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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.12.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189612259
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18961225
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18961225
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-25
- Monat1896-12
- Jahr1896
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.12.1896
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Die Morgen-Ausgabe erscheint nm V,? Uhr. die Vbend-AuSgabe Wochentag» um v Uhr. Nedaction und Expedition: Johannes-affe 8. Lie Akpedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filiale«: ktto Klemm'S Torttm. (Alfred Hahn), Universitätsstraße S (Paultnum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, part. und Königkplatz 7. BezugsPreis Al der Hau-texpebition oder de« im Stadt- destrk und den Bororten errichteten AuS- aabrftellen abgeholt: viertel jährliche 4^0, »et »wetmaliaer täglicher Zustellung ins Haut^l LM. Durch die Post bezoaen kür Dentschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche streu-bandiendung in» Ausland: monatlich 7b0. kMM TagMM Anzeiger. Amtsblatt -es Äömglichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes ««- Molizei-Amtes -er Lta-t Leipzig. AnzeigenPreis dir 6 gespaltene Petitzrile 20 Pf-, Rrclamrn unter dem Redactionsstrich (4ae- spalten) vor den Familiennschrtchlen («gespalten) 40/»-. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichnih. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Au»aab«, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morge n-Ausgab«: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Freitag den 25. December 1896. Sv. Jahrgang: ZUM Feste. Graue Nebel über der Erde, aber in den Herzen die Gewißheit, daß die Sonne, mit jedem Tage höher empor steigend, die Welt dem Frühling entgegenführt! Da» ist Weihnachten, im Glauben und in der Natur daS Fest der Bürgschaft des Kommenden. Darum gehört es vor Allem den Kleinen, deren noch ahnungslosen Herzen die Zukunft deS Hause», deS Vaterlandes anvertraut sein rvirp. Reinen Ge- mütheS genießen sie unter dem Weihnachtsbaume reine Freude, aus deren Widerstrahl erst die Erwachsenen für sich dSS beste Glück des Feste» schöpfen. Sie, die weiter vorau«- blicken, weil sie rückwärts schauen gelernt, die von Kämpfen und Sorgen umgeben sind, sie wissen, daß deS Augenblickes un- umwölkter Schein flüchtig ist, daß keine Verheißung hinieden sich voll erfüllt, das irdische gelobte Land dem Menschen nur gezeigt, nicht bestimmt ist. Aber gezeigt und trotz allen Wissens ersehnt und erstrebt. Derselbe Geist, der der unenttäuschten Jugend alle Blüthen- träume zum Reifen angesrtzt zeigt, derselbe Geist treibt die Welterfahrenen vorwärts auf dem Wege, der zum Besten, Höchsten leitet. Dieser Drang zu dem als unerreichbar Er kannten ist das Göttliche im Menschen und seine Stärke be stimmt den Werth des Einzelnen, des Volkes, des Zeitalters. Redlicher Irrthum und Leidenschaften sind die der Mensch heit von Anbeginn gethürmten Hindernisse auf dem Zuge zur Vervollkommnung und das lebende Geschlecht ist hierin wahrlich vor keinem seiner Vorgänger bevorzugt. Ungeheuere, »och an keiner Stelle abgeschlossene Umwälzungen auf dem Gebiete, wo deS Lebens Nothdurft und der Hang zum Genüsse Befriedigung suchen, haben unS vordem nie gekannte Kämpfe aufgezwungen, in deren Gewoze die Menschheit Manches abgestreift hat, dessen sie zur Reise nach den höchsten Zielen nicht entrathen kann. Arge Verfehlungen Einzelner, die seit dem letzten Weihnachtsfeste in Gerichtssälen sich offen bart haben, sind mit nickten als für die Bewerthung unserer Zeit gleichgiltige Erscheinungen anzusehen. Denn es hat sich gezeigt, daß Männer, die wegen tiefer sittlicher Verirrungen der Acktnng der Näherstehenden verlustig gegangen waren, m ihrem Kreise, an ihrer Stelle geduldet wurden, weil man den Schmutz minder scheute als seine Entblößung. Wir haben die orga- nisirte Verleumdung nicht vor dem Hause des Kaisers Halt machen, nicht vor dem Eindringen in die Staatsgeschäfte zurückschrecken und mit ehrlichen Namen wie mit wilden Kastanien spielen sehen, und die Allgemeinheit hat sich an all' dem Schlimmen mitsckuldig gemacht durch di« dabei zu Tage getretene Lust am Sittlich-Häßlichen, die Schadenfreude, die kalte Niedertracht, die ganze Stände wegen der Ver irrung Einzelner dem Haffe preiSgiebt, durch die Abneigung und Unfähigkeit, den Zusammenbruch fremder Schuld läuternd auf sich selbst wirken zu lassen. In den eigentlichen wirthschastlichen Kämpfen, an sich ehrlich und nothwendig, beklagen wir die ungeschwächte ver giftende Einwirkung eine« fcstgeschlossenen Kreises von VolkS- verführern, die jene Kämpfe ihren Zwecken untrrthan zu machen wissen und es zu verantworten haben, daß Tausende von fleißigen Arbeitern an der Nordsee, durch ihr Rasten sich und Andere schädigend, das heutige Fest unter Entbehrungen verbringen muffen. Die politische und gewerbliche AuSnüyung von Zuständen, deren Verbesterungsfäbigkeit an vielen Stellen nicht bestritten wird, behindert, obwohl die deutsche Socialpolitik sich niemals an die Bedingung der Erkenntlichkeit geknüpft hat, die verbesse rungsbereite Hand, weil sie die Verständigung erschwert, jene nüchterne Verständigung von Punkt zu Punkt, von der ja auch die deutsche Arbeiterschaft, wo sie nach eigenem Ermessen wollen darf, die Hebung ihrer Lebenshaltung sich verspricht. Hieran will auch daS Bemühen redlicher Männer, unter Verzicht auf die eigentlichen Vaterlands- und bildungS- feindlichen Ziele der socialdemokratischen Führer deren sociales Programm durchzuführen, bemessen sein. DaS Phan tastische bleibt, waS eS ist, auch wenn eS gut gemeint ist, unv wer sein Volk führen will, um ihm zu Helsen, der ist ihm nicht nur Liebe, sondern auch Klarheit und Klugheit schuldig. Indessen, Jrrthümer und Leidenschaften, das deutsche Volk wird sie auch in diesen Wirrnissen überwinden, wenn es seinem Leitstern, d«m Göttlichen, treu bleibt. Daß dies geschehe, dafür liegt nicht in letzter Reihe die Sorge den Männern ob, die das Wort Gottes zu lehren berufen sind und von denen nur zu viele in unseren Tagen in Gefahr sind, den Schein mit dem Wesen, ihren Kirchenbegriff mit Religion zu verwechseln. Was man in manchen Theilen Deutschlands heute aus dem alten deutschen Sonntag machen will, daS verräth nicht mehr das Streben nach Verinnerlichung de» Menschen und Christen, sondern daS Begehren, ihn sich unterthan zu machen. Der Geist aber, der deutsche Geist widerstrebt in religiösen Dingen dem Menschengehorsam; ihm soll daS Licht, daS in der Christnacht aufgeleuchtet, unumdämmert scheinen, zur Ehre Gottes in der Höhe und zum Heile der nach Frieden ringenden Menschen auf Erden! Zur Artillerie-Frage schreibt man den „Hamburger Nachr. „Bis jetzt ist die Nachricht von der vertraulichen Miitheilung de» Kriegsminister» in der Budgetcommission über eine bevorstehende t77 Millionenvorlage für neues Artilleriematerial ohne Dementi geblieben. LS ist nur gesagt worden, daß dem BundeSrath noch keine solche Vorlage zugegangen sei, sondern daß eine Neuformation der Frldartillrrie sich erst im Anfangsstadium der Erwägungen befinde. Die Umstände sprechen dafür, daß es sich dabei im Wesentlichen um die Einführung von Schnellfeuergeschützen in die Frldartillrrie handeln wird. E» untrrlag schon seit längerer Zrit keinem Zwrifrl, daß die französische Herresverwaltung sich mit der Einführung einrs Schnellfeuer - EtnheitSgrschützrS von höchster Beweglichkeit, großer Feuergeschwindigkeit und einer Wirkung, di» möglichst drr deS S-cm- Kalibers gleichkommen sollte, beschäftigte. Kürzlich ist gemeldet worden, daß in Frankreich die Eonstruction eines derartigen Schnellfeuer- geschützt» gelungen sei, welche» bei gehöriger Wirkung noch ans 4000 m genügend» Geschoßwirkungsbeobachtung gestatten soll» Schon jetzt besitzt die französische Arme» je zwei Schnellfeuerhaubitz batterien pro Armeecorps mit Beschützen von beträchtlichem Kaliber für besondere Zwecke. Die italienische Arme« hat ebenfalls einige Schnellseuergeschützbatterien im abessinischen Feldzüge erprobt. So mit sprechen bereit» mannigfache Anzeichen für die srühere oder spätere Einführung der Schnellseuergeschütze al» Haupt- und Ein heitsgeschütz drr Feldartillerie mehrerer auswärtiger Mächte. ES fragt sich nun, ob Deutschland ebenfalls zur Einführung der Schnellfeuergeschütze schreiten, oder die dazu erforderlichen Summen lieber zur Vermehrung und Verbesserung seines jetzigen Materials verwenden soll. Die deutsche Feldartillerie besitzt rin völlig neues, durch Nickelstahlrohre und eine Vereinfachung ihrer Ladrvorrichtung, sowie die Karpenterbremse verbessertes Besckützmaterial, von dem zwar nur ein Theil, etwa drei Batterien per Artillerie-Regiment, in den Händen des stehenden Heeres ist, der erforderliche Rest sich jedoch in den Beständen befindet, und jeder Zeit im Falle einer Mobilmachung zur Ausgabe an die Truppen der Feldarmee gelangen kann. Die Mannschaften der Batterien, die die alten Geschütze führen, sind mit dem neuen, sehr leicht zu handhabenden Geschützmaterial auSgebildet und ebenso ein beträchtlicher Theil der Reserven. Auch da» Laffetenmatrrial ist erneuert und verbessert. An Treff- sicherheit, Rasanz der Flugbahn, Geschoßwirkung und bestrichenen Räumen steht da» neue Feldgeschütz völlig auf der Höhe der Zeit. Der Hauptvorzug der Schnellseuergeschütze dagegen besteht darin, daß sie unter Umständen in taktisch-wichtigen Momenten zur Herbeiführung der Entscheidung, jedoch nur bei mit Sicherheit ermittelter Distanz und sich nicht bewegenden Zielen, eine sehr intensive Feuerwirkung ermöglichen, ihre Nachtheile darin, daß sie infolge ihrer ballistischen Anforderungen, sowie ihres gesteigerten Munitionsverbrauchs ein kleinere» Kaliber und ein größeres Munitionsquantum erfordern; di« Wirkung ihres einzelnen Schusses ist geringer als die der jetzigen Geschütze. Auch gestatten die Schnellseuergeschütze nicht die Verwendung oer namentlich gegen Truppen hinter Deckungen wichtigen Brisanzgranaten. Dazu tritt der Nachtheil deS schwierigeren Einschiebens. Die zur Zrit in Gebrauch befindlichen Geschütze ge- statten ein rascheres und sicheres Einschieben. Das Feuer auf unbekannte, erst durch Einschieben zu ermittelnde Entfernungen aber bildet im Feldkriege die Regel und das Feuer aus brkannte, bereits im Voraus ermittelte Entfernungen die Ausnahme. Auch die Gefahr des Verschiebens ist bei dem Schnellseuergeschütz grob, da die Batterien nur »in verhältnib- mäßig beschränktes MuuitivnSquantum bei sich führen können, und ihre sowie die Munition ihrer rückwärtigen Staffeln bald ver- schossen haben. Ein rascher MunttionSersatz vou den Hinteren Staffeln der Munitionsfahrzeuge benachbarter Batterien, wie ihn di» GefechtSlage erfordern kann, ist aber erheblich schwieriger als bei der Infanterie. Unter diesen Umständen begreift es sich, daß die Ansichten über di« Einführung der Schnellseuergeschütze in den artilleristischen Kreisen deS deutschen HeereS bisher noch getheilt waren. Aber anderntheilS ist es klar, daß wenn Frankreich ein von den Nachtheilen der Schnellseuergeschütze befreites, alle Bor- thetle der alten mit denen der Schnellseuergeschütze vereinigendes Geschütz construirt hat und zu seiner Einführung schreitet, wir diesem Beispiele doch werden folgen müssen. Ob dieser Fall jetzt schon als vorliegend anzusehen ist, darüber dürst» jetzt in den maßgebenden Kreisen berathen werden." Deutsche- Reich. * Leipzig, 24. December. Nach dem neuen UebersichtS- plan Uber die Zusammensetzung der Senate beim Reichsgericht werden die Senate au» folgenden Herren gebildet: I. Civilsenat: Wirkt. Geheimer Rath Senats präsident Or. v. Drechsler, Excellenz, Vorsitzender; ReichS- aerichtSräthe vr. Bolze, vr. Rehbein, vr. Behrend, Winchenbach, Planck, Ieß, vr. Sievers. II. Civil senat: Senat-Präsident Or. Bingner, Vorsitzender; Reichs- gerichtSrätbe Wielandt, vr. Petersen, Wüstenseld, NoSpatt, Förtsch, Remels. III. Civilsenat: Senatspräsident vr. Petersen, Vorsitzender; ReichSgerichtSräthe von Streick, Maßmann, von Buchwald, von Liebe, Müller, Brückner, Weller. IV. Civilsenat: Präsident deS Reichsgerichts, Wirklicher Geheimer Rath von Oehlsckläger, Excellenz, Vor sitzender; ReicksgerichtSräthe Nötel, Calame, Reincke, Velt- mann, Weichsel, Tetzlaff, Wandersleben, Helf. V. Civil senat: Senatspräsident vr. Kayser, Vorsitzender; NeichS- gerichtSrälhe vr. Rassow, Beer, vr. Turnau, Schütt, Dauben speck, Förster I. (Conrad), vr. Iaeckel, Meyn. VI. Civilsenat: Senatspräsident vr. Däbnbardt, Vorsitzender; NeichSgericktS- räthe vr. Schlesinger, Wittmaack, Boethke, v. Ege, vr. Lipp- niann, Wolfs, Hofsmann. I. Strafsenat: Senatspräsident vr. v. Bomhard, Vorsitzender; ReichSgerichtSräthe vr. v. Lenz, Stellmacher, Schmidt, vr. v. Zimmerle, Brann, Dietz, Tagg, Ewald. II. Strafsenat: SenatSpräsident vr. Löwenstein, Vorsitzender; ReichSgerichtSräthe Schmalz, Borttrich, vr. Ols- hausen, Kaufmann, v. Bruchbausen, Galli, v. Baerenfels. III. Strafsenat: Senatspräsident Wirk!. Geheime Rath vr. von Wolff, Vorsitzender; ReichSgerichtSräthe Neiße, vr. Stenglein, Schulte, vr. Wiesand, Toussaint, Freiherr von Dincklagc, von Hassell, Förster II. (Georg). IV. Straf senat: SenatSpräsident vr. FreieSleben, Vorsitzender; Reichs gerichtsrätbe vr. Freiherr von Bülow, Zander, Horten, Suppes, Reichardt, BraunbehrenS, Hesse. * Berlin, 24. December. Innerhalb der klerikalen Publicistik haben sich in neuerer Zeit Symptome zu zeigen begonnen, denen man vielleicht eine gewisse Aufmerksamkeit zuwenden darf, ohne sie deshalb in ihrer Bedeutung und be sonders auch in ihrer Dauerhaftigkeit irgendwie zu über schätzen. Ein Artikel in den Münchener „Historisch-politischen Blättern" protrstirt anläßlich des Chlodwig-Jubiläums zu ReimS gegen den von einem geistlichen Festredner gebrauchten Ausdruck „christliche Demokratie": das sei ein Widerspruch, da die Demokratie autoritätsfeindlich sei,das Cbristenthum aber und besonders die katholische Kirche durchaus auf autoritärem Boden beruhten. Als Verfasser dieses und ähnlicher Artikel in jenem einst von Josef Görres begründeten und jetzt von vr. Edmund Jörg geleiteten klerikalen Organ ist unwidersprochen der neulich wieder in den Reickstag gewählte Frhr. v. Hertling ge nannt worden. Vielleicht noch bezeichnender sind Aus führungen in derselben Halbmonatsschrift über „ Döllinger- red ivlvus", die sich gegen gewiße neuerliche liberal-katho lische Regungen zu Freiburg i. B. wenden, dem herrschenden Ultramontanismus aber zugleich eine Reihe unangenehmer Wahrheiten sagen. Nach diesen Ausführungen hat der katho lische Glaube zunächst von innen heraus zu entstehen und darf dabei die Autorität erst an zweiter Stelle mitwirken; die heutige Kirche muß mehr verinnerlicht werden; zum Schaden der religiösen Wirkung romanisirt man den deutschen KatboliciSmuS immer mehr, obgleich doch in Deutschland gewiß die vor Zeiten in Frankreich bestandene nationalkirch- Uche Gefahr nicht vorhanden sei; dagegen würden dem slawischen KathvliciSmuS Concessionen gemacht, für welche sich dieser durch Annäherung an die russische StaatSkircke er kenntlich zeige; die in Deutschland herrschende französische Richtung der kirchlichen Kunst sei flach und süßlich; der deutsche Katholicismu» leide an einem „Bildungsdeficit" rc. Man wird sich nicht Illusionen hierüber bingeben, da dies ganz vereinzelte Stimmen sind, und da für absehbare Zeit im deutschen KatholiciSmns die ultramontane Richtung die allein herrschende bleiben wird; immerhin sind solche Erörterungen einer Erwähnung Werth. * Berlin, 24. December. vr. Carl Peter» bat seine Ansichten über die englische Colonialpolitik und über unser Verhältniß zu England in Bezug auf Colonialfragen in der letzten Zeit recht erheblich geändert, wenn anders eine Rede dieses Forschers, die wir weiter unten ansühren, richtig Vie Harfencordel von Geyer. Historische Novelle au» dem sächsischen Erzgebirge von Ad. Lippold. (Nachdruck vnrbdttv.) Wenn man vor etwa dreißig Jahren im Sommer eine der im Erzgebirge fast überall so lohnenden prächtigen Fußtouren machte und beispielsweise von Chemnitz über Burghardsdorf und Thum den Greifenstein bestieg, um dann von diesem über Geyer durch die prächtigen Wiesenthäler und Gebirgsschluchten nach Annaberg zu wandern, tönte dem Wanderer aus fast allen Dörfern und Städtlein, welche er passirte, musikalischer Klang und Sang entgegen. Hier schmetterte eine Trompete, dort übte sich ein Anfänger auf der Elarinrtte und dazwischen brummte eine von kundiger Hand gestrichene Baßgeige. Au» den meisten, zur schönen, freilich nur kurzen Sommerzeit, offen stehenden Fenstern aber erklang Larfen- und Guitarreklang, und frische Mädchen stimmen sangen dazu die heimathlichen Lieder. Entschloß sich aber ein solcher WanderSmaun, vom Tagesmärsche ermüdet, die Nacht in dem alten baufälligen, aber gastfreundlichen Rath»keller de» Städtlein» zuzubrmgen und durchstreifte er dann zur Abendzeit noch die wenigen Gassen, so hörte er mit Erstaunen gar harmonische Concerte und erfuhr daun auf seine Nachfrage von feinem freundlichen Wirthe, daß eine große Anzahl, ja fast die Mehrzahl drr Bewohuer von der Ausübung der edlen Musik lebte und familien- oder chor weise einen großen Theil ihre« Leben« damit ^»brächten, weit in den deutschen und auch außerdeutschen Landern herum- zuftreifen, um durch ihre musikalischen Kenntnisse als wandernde Sänger oder Musikbanden ibr Brod und wohl auch so viel darüber zu verdienen, um ihr Alter bei ihren einfachen und geringen Bedürfnissen wenigsten» sorgenfrei zubrinaen zu können. Denn, ist auch der Boden de- erzgebirgischen Landes ein harter und steiniger, dazu die Witterung m der größten Zeit de» Jahre« raub und unfreundlich, so daß die Erträgnisse der Landwirthschast nur gering sind, so hängt doch der Bewohner mit ganzem Herzen an seiner Heimath, und wenn er auch viele Jahre in weit entfernten, schöneren und reicheren Ländern zubringt, immer zieht e« sein Herr wieher zurück »ach seinen heimischen Bergen mit seinen biederen, treuherzigen Bewohnern, und er kehrt oft noch heim, um wenigsten« in der Heimath zu sterben und in ihrem Boden sein letztes Bett »u finden. Jetzt freilich ist Sang und Klang, soweit r» wenigsten« den allgemeinen LebenSerwerb betrifft, in jenen Gegenden fast gänzlich ausgestorben, denn die Sänger, Sängerinnen und Musikanten finden ihre Rechnung nickt mehr, dafür aber bat sich die Industrie eingerichtet, und manche Hand, die früher die Saiten der Harfe und Guitarre schlug, näht jetzt kunstvoll Posamenten und findet auf diese Weise auf heimathlicher Scholle ihr freilich immer nur be scheidene« Brod. Boretwa l SO Jahren lebte in Geyer eine gar armeBevölkerung. Die Mehrzahl der Bewohner waren Weber und die Anderen Bergleute, welche beiderseitig ntbenbei bemüht waren, dem steinigen Boden einige« Ertragniß abzugewinnen, aber leider oft ohne Erfolg, denn der Bau der jetzt für die ganze Be völkerung so segensreichen Kartoffel war damals noch un bekannt und da» Getreide reifte oft so spät, daß Schnee und Kälte die ganze Ernte zu nicht« machten. Iu einer der kleinen Seitengassen am oberen Theil» de» Marktes wohnte der Bergmann Sebastian Titel und hauste mit seinem getreuen Ehe weihe nebst sechs Kindern in einem kleinen mit Schindeln gedeckten Häuschen- Vater Titel batte früher in den Erzgruben bei Annaberg sein ausreichende» Brod gefunden; seit aber deren Ausbeute sich immer mehr verringert», batte er rin« Stell« al« Häuer in der sogenannten Gtttarube bei Schlettau, avwo neben Kohlen auch mancherlei Gifte gegraben wurden, er halten. Er war zur Zeit de» Anfang» unserer Erzählung etwa 50 Jahre alt; seine Ehefrau arbeitete am Webstuhl, indeß dir Wirtschaft und da» kleine Feld von den Kindern, insbesondere aber von der ältesten Tochter Concordia, ge wöhnlich nur „Eordel" genannt, welche vergangene ^Weih nachten 17 Jahre geworden war, sowie von ihrer Schwester, der ein Jahr jüngeren Anna, und dem ältesten Sohne Karl, welcher 14 Jahre zählt«, bestellt und besorgt wurde. Dir darauf folgenden zwei Kinder, Martha von 12 und Han son 10'/, Jahren, gingen drr Mutter schon fleißig bei der Weberei zur Hand, indem st« die Spulen besorgten, und nur da« Nesthäkchen der Familie, der kaum 4 Jahre alte Martin, der Liebling Aller, tbat noch nichts, al» fleißig essen und trinken. Da» Häuschen war klein und eng, aber die Mädchen dielten Alle« blitzsauber, und da im ganzen Städtlein eben Niemand Uber großen Refchthum prahlen konnte, so nahm Vater Titel im Gemeinwesen immerhin eine geachtete Stellung ein. Aus seinen Iugendjahren her besaß er eine Geige, die er einstmals in Annaberg von einem böhmischen Händler billig erstanden hatte, und im Laufe der Jahre hatte er eS nicht nur selbst auf diesem Instrumente zu einer gewissen Fertigkeit gebracht, sondern auch seinen Karl in dessen Gebrauch unterrichtet, so daß e« dieser dem Vater im Spiel» fast gleich that. Auch Cordel konnte den Bogen geschickt führen; aber al» vor etwa drei Jahren die Wittwe di früheren Pastor», welche Eordel mehrer« Iabr» wacker ge pflegt hatte, starv und zum Danke dem Mädchen ihre eigene, alterthümliche Harfe mit prachtvollem Klanae vermachte, ruhte Vater Titel nicht eher, bis er auch für Anna und Martha zwei Guitarren erbandelt hatte, und wenn auch darob lange Zeit Schmalhans noch mehr al» bisher im Häuschen Küchenmeister war, so fühlten sich doch Alle be glückt, al» sie zum ersten Mal eine einfach« Melodie im Gesammtspiel auffübren konnten Der damalige Pfarrer d«S Städtchen» aber, Magister Ebermann, selbst »,n großer Freund der Musik und vorzüglicher Orgelspieler, batte kaum bemerkt, welch guter musikalischer Fond in der Familie Titel steckte, al» er e« für sein« Pflicht erachtete, diese» Samenkorn nicht verderben zu lassen, sondern weislich zu pflegen und zur Blütb« zu bringen. Er brachte dea Kindern, welche bisher nur nach Gehör gespielt batten, die Kenntniß der Noten bei, pflegte ihr Zusammenspiel und hatte gar bald die Freude, da« Quartett als Begleitung zu seinem Orgelspiele ver wenden zu können, WaS nicht wenig zur Erbauung seiner Gemeinde beitrug. Dieserhalb und auch ihrer Besckeidenbeit gegen Jedermann wegen war auch die ganze Familie Titel woklgeachtet und deren Glieder überall gern gesehen im Städtlein, und selbst Herr Peter Lotter, drr Besitzer de« an der Straße nach Elterlein liegenden stattlichen Oekonomie- bofe» — allgemein nur drr Lotterhof genannt —, der sick sonst ganz abgeschlossen von den übrigen Bewohnern des Städtchens hielt und als Nachkömmling de« Leipziger Bürger meisters Hieronymus Lotter mit Stolz auf die armen Weber und Bergleute des Städtchens blickte, verschmähte es nickt, au besonderen Festtagen, zumal wenn er Besuch erhielt, das Quartett zu sich kommen zu lasten, damit dasselbe seine Melodien ertönen ließ, und ein blankes Guldenstück war der jedesmalige Lohn. Einem langen und besonders harten Winter war ein herrlicher warmer Sommer gefolgt, aus Wiesen und Feldern sproßten Blumen und Getreide in lange Jahre nicht gesehener Fülle, die Vögel ließen in Wald und Feld ihr Lied ertönen, und aus den überall offenen Fenstern der Häus«r tönte der Dreischlag de« Weberschifflein» lustig in» Freie. Vergessen war deS Winter« Härte, und Alt und Jung lebte neu auf im warmen Sonnenstrahl. Vater Titel war auf seiner Schicht; di« Mutter saß dickt am offenen Fenster im Webstuhl«, und sehnsüchtig blickten Martha und Hans vom Spulrade hinaus durch die weit geöffnete Tbür in den leuchtenden Sonnenschein, in den, sick Karl und der kleine Martin mit de» Nachbar» Spitz herum - jagten. Anna waltete in der Küche, das MittagSbrod zu bereiten. Eordel aber überschritt in diesem Augenblicke, vou Tbum kommend, wo sie Mehrer«« besorgt hatte, gerade den Gipfil de« Greifenstein« und bog dann in d«n Fußweg ein, der direct von der Höhe im steilen Abfall nach Geyer führte Sie hatte fertige Waare au« der Mutter Webstuhl ab geliefert und neue» Garn «halten, für den erhaltenen Lohn aber auch allerlei Einkäufe gemacht und war somit ziemlich schwer bepackt. Einen Augenblick rastete sie auf der einsamen Höbe und ließ den leuchtenden Blick auf die herrliche Land-
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