Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.12.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189612270
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-27
- Monat1896-12
- Jahr1896
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- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.12.1896
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Wie schwer lauten die Anklagen: die Industrie ballt die Menschen in große Städte zusammen, schließt sie in öde, ungesunde Räume, reißt die Gattin vom Gatten und die Eltern von den Kindern, erzeugt ein schwächliches, verkommenes Ge schlecht! Beruhen diese Anklagen auf Wahrheit? Bereichert die neue Bertheilung der wirthschaftlichcn Arbeit die Menschen, indem sie dieselben zugleich verdirbt? Oder bat die In dustrie die Macht in sich, auch in socialer Hinsicht die Mensch heit vorwärts zu bringen? Ergreifen wir den Wanderstab, um eine Industrieanlage an Ort und Stelle zu schauen! Unser Weg führt uns hin aus an den Rand der Alpen, wo Rhein und Inn sich be grüßen und in der Ferne der blaue Bodensee schimmert. Dort liegt im Vorarlberg ein weites, grünbewachsenes Thal, Dornbirn genannt, an dessen Abhang eine zu ebener Erde gebaute große Spinnerei von I. M. Hämmerle sichtbar ist. Die Mittagsstunde schlägt. In Schaaren verlassen die Ar beiter die Fabrikthore. Es sind fröhliche und gesunde Menschen, die uns entgegenkommen, nicht jene bleichen und schwächlichen Arbeitergestalten, welche man vielerorts um diese Zeit dahin basten sieht. Vieles mag dazu die gesunde, schöne Lage der Spinnerei beitragen, aber in der Hauptsache ist die Wohl fahrt der Arbeiter wohl daö Werk ihres Arbeitgebers, des Fabrikbesitzers Viktor Hämmerle in Dornbirn. Es sei zuerst auf seine WohlfahrtSeinrichtnngen für die Arbeiter^esund- heit näher eingegangen. Gute Luft und nahrhafte Kost sind bekanntlich die Haupt bedingungen für körperliches Wohlbefinden. Demgemäß ist in den Arbeitssälen allen Erfordernissen der neueren Hygieine genügt. Es herrschen überaus günstige Raumverbältnisse, eine vorzügliche, durch Wasserbrausen gekühlte Ventilation ist ein- gefübrt; an die Arbeitsstätten stoßen gute, von den Arbeitern in festgesetzter Reihenfolge während des ganzen Tages benutz bare Wasch- und Badegelegenheiten. Um die Fabrik liegen schattige, mit Ruhebänken versehene Gartenanlagen und in ihnen ein mit einer hohen Leinwandhülle umschlossenes, den Arbeitern des Abends als unentgeltliches Vollbad eingeräumtes Wasserbassin. Die Einführung einer rationellen Beköstigung für solche Arbeiter, welche nicht vom Hause ihr Essen erhallen, bat eine auffallende Verbesserung des Gesundheitszustandes herbeigeführt, was aus der seitherigen Verringerung der rela tiven Zahl der Krankentage erhellt. In einer Fabrikküche werden täglich an 180 Mittagsmahlzeiten bereitet und unter dem Selbstkostenpreis gegen Bezahlung von 12 Kreuzern an männliche und 10 Kreuzern an weibliche Arbeiter verabreicht. Dreimal in der Woche wird nach der Suppe Fleisch mit je zwei Gemüsen, die anderen Tage Mehlspeise mit Salat oder gekochtem Obst verabreicht, auch wird in der NachinittagSruhe- pause Kaffee mit guter, aus der Meierei der Firma gelieferter Milch zu 2>/r Kreuzer für 0,3 Liter abgegeben. Daß die Versorgung erkrankter und verunglückter Arbeiter bestens nach den gesetzlichen Bestimmungen geschieht, versteht sich von selbst. Eine Unterstützungscasse für alte und invalide Arbeiter wird von der Firma unterhalten, ohne daß die Arbeiter zu irgend welchen Beiträgen herangezogen werden. Die Firma hat auch eine Arbeiter-Sommerfrische in 1100 w Seeböhe zn Luft kuren für gewisse kranke und reconvalescente Arbeiter ein gerichtet. Als ein Beweis, in wie eingehender Weise der menschenfreundliche Fabrikherr den gesundheitlichen Bedürf nissen seiner Arbeiterschaft geradezu nachspürt, sei nur noch ein kleines Vorkommniß angeführt. Im vergangenen Jahre ist bei der gesammten Arbeiterschaft eine Revision und Plom- birung schadhafter Zähne vorgenommen worden und seitdem sind Zahnleiden zur Seltenheit geworden. Indessen, was nützt alle Fürsorge innerhalb der Fabrik, wenn die Arbeiter außerhalb derselben allen Gefahren schlechter Wohnungen und einer schlechten Verwen dung ihrer freien Zeit ausgesetzt sind? Ein umsichtiger Fabrikherr wird sein Augenmerk auch aus diese beiden wichtigen Puncte erstrecken, und Viktor Häminerle hat dies in vorbildlicher Weise gethan. Da ist in daS üppig grüne Berggelände eine ganze kleine Colonie von etwa 50 Arbeiter häusern hineingebaut, durch deren blumengeschmückte, von dunklem Holzschnitzwerk umrahmte Fenster schmucke, jschneeigc Gardinen blicken und vor deren Thüren vollbesetzte und gut gehaltene Gemüsebeete und reich behangene JohanniS- und Stachelbeersträucher ein ganz behagliches Heim ver- rathen. Die meisten dieser Häuschen haben eine von ge schnitzten Holzfäulen und einem schützenden Dache gebildete Veranda, aus der sich die Familie des Mittags und an den schönen Sommerabeuden traulich zusammenfindet. Diese Wohngebäude sind durchwegs Eigentbum der darin wohnenden Arbeiterfamilien, welche dieselben in Ratenzahlungen um den Herstellungspreis (2600 bis 3600 fl.) erstehen. In Ver bindung mit dieser Colonie steht das von der Firma ihrer Arbeiterschaft gewidmete Haushaltungsgebäude. Das selbe, in einem sehr gefälligen, anheimelnden Stile und in überraschend wohlthuender Farbengebung ausgesübrt, birgt im Erdgeschoß die Arbeiter-Kochschule mit dem Lehrsaal für den HauShaltungScurS, in den beiden oberen Stoß werken einen Musiksaal, die Bibliothek mit zwei Lese zimmern nebst einer offenen Veranda und die Nähschu-le. Im Musiksaal sind ein gutes Clavier und ein Harmonium aufgestellt und wird Gesang — Kirchenchor und gesellige Lieder — fleißig gepflegt. Es wird aber auch den Arbeitern Gelegenheit geboten, ihr Talent für irgend eine Art von Musikinstrumenten auszubilden. Den Besucherinnen deS KochcurseS wird auch über Gemüsebau und Blumenzucht, sowie über Aufbewahrung von Gemüsen und Herstellung von Fruchtsäften und eingemachtem Obst Unterweisung ertheilt. Aelteren Arbeiterfrauen wird ein besonderer AbendkochcurS ertheilt. Außerdem bestehen aber auch, den Arbeitern ohne Entgelt zugänglich, selbstständige Curse über Gartenbau, Obst- cultur und Bienenzucht und sind zur praktischen Durchführung mehrerenortS Mustergärten und Obstbaumschulen angelegt und durch einen tüchtigen Gärtner in gutem Stand gehalten. Ganz besonders hervorgehoben zu werden verdient die Näh schule, welcher eine sehr geschickte und äußerst praktische Meisterin vorsteht. Den Besucherinnen derselben wird neben allgemeiner Fertigkeit in Näharbeit und in Beurtbeilung der Stoffqualitäten hauptsächlich gelehrt: schadhaft gewordene, ab genutzte Kleidungsstücke in geschickter und dauerhafter Weise auszubessern oder umzuändern, eventuell auS alten Kleibern Erwachsener neue Kinderanzüge herzustellen. Daß ein so menschenfreundlich wirkender Fabrikherr nicht an der Fürsorge für die Kinderwelt vorübergeht, liegt auf der Hand. So ist denn für die der Wiege entwachsenen Arbeiterkinder durch musterhaft eingerichtete Kindergärten und für vie Volksschüler durch Schulräume mit ausgezeichneten Licht-, Luft- und Raumverhältnissen bestmögliche Fürsorge getroffen. Die Kinder haben mindestens nach jeder zweiten Stunde eine Pause von einer Viertelstunde, in welcher sie sich auf den die Schule umgebenden Gartenplätzen wohlthätige Erholung verschaffen können. Auf einem großen Waldplatze werden Turn- und Jugendspiele abgebalten, bei welchen die Dornbirner Jugend sich barfuß in einer kleidsamen, allgemein eingeführten Tracht herumtummelt. Eine im Winter heiz bare Schwimmschule dient zum Schwimmunterricht und zur Abhaltung von Wettschwimmen. WaS in der Schule und in den späteren praktischen Cursen angeregt und eingeleitet worden, wird dann durch Zugänglichmachen einer gut aus gewählten Bibliothek, durch Pflege von Musik, durch An weisung und Unterstützung in der Garten- und Obstcultur und endlich durch Schaffen behaglicher Familienheimstätten gepflegt und weiter gebildet. Die Einwendung, daß ein solches Wohlbefinden der Arbeiter nur durch Gewährung außergewöhnlich hoher Löhne erzielt werden könne, ist nicht stichhaltig. Die Löhne sind in Dornbirn gut, aber nicht erheblich höher als in anderen gleich artigen Betrieben. Der Erfolg Viktor Hämmerle'S ist nur durch die systematische Pflege der Arbeiterwohlfahrt erreicht, als deren Schlußstein die schon in der Schule begonnene An regung und Uebung zur S p a r s a m k e i t zu erachten ist. Durch mittelbare Einwirkung, durch geeignete Lesestücke, moralische Erzählungen und durch das lebende Beispiel wird in den Kindern die Vorstellung erweckt, daß eS gut und vortheilhaft sei, Ausgaben für entbehrliche und nutzlose Dinge zu ver meiden. Zur Anregung deS SparsinnS macht Viktor Hämmerle außerdem am Weihnachtsabend gewissen Schul- clafsen Sparkarten mit fünf Postkarten zum Geschenk. Durch diese systematische Erweckung des SparsinnS ist erreicht worden, daß die Schüler z. B. in den ersten fünf Monaten de« IahreS 1895 bereits 4250 fl. durch Vermittelung der Lehrer bei den österreichischen Postsparkassen eingelegt hatten. Das gute Vorbild hat auch die bereits verdienende Jugend angespornt, so daß manche junge Arbeiter in kurzen Zeit räumen sich bereits 100—150 fl. erspart haben. Durch dieses Beispiel — und es lassen sich zum Glück noch manche ähnliche Vorbilder auch in der Nähe aufzählen — ist der Beweis erbracht, daß mit der Fabrikindustrie nicht notbwendigerweise eine schlechte Lebenshaltung großer Arbeiter massen verbunden zu sein braucht. Ja, man darf sogar behaupten, daß der Fabrikbetrieb besonders geeignet erschemt, die Wohlfahrt der Arbeitnehmer systematisch zu fördern. Dazu gehört freilich die Leitung eines Fabrikunternehmens nickt nur mit dem Verstände, sondern auck mit dem Herzen. Hoffen wir, daß in unserem Fabrikantenstande immer mehr die reine Freude, die diese Mitarbeit deS Herzens giebt, er kannt wird, und hoffen wir weiter,, daß der Werth eines Fabrikunternehmens weniger nach dem aus dem Betriebe ge wonnenen Gelbe, als nach der Summe der im Volke ver breiteten Wohlfahrt beurtheilt wird. Deutsches Reich. * Leipzig, 26. December. Der Kniff der klerikalen „Köl nischen Volkszeitung", die Geheimpolizisten, die zum Schutze des Fürsten Bismarck im Reichstage erschienen, den „Vigilanten und Leuten ähnlichen Kalibers" gleichzu stellen, ist kürzlich von uns beiläufig erwähnt worden. Heute lesen wir über diese Beamten, denen die persönliche Be wachung deS Fürsten Bismarck oblag, in der demokratischen „Franks. Zeitg.": „Das waren Wachtmeister und Criminal- schutzleute, . . . biedere Männer, die man auch mit dem obligaten Stock oder Regenschirm vor dem Palais deS Fürsten aus der Wiihelmstraße ihres Dienstes walten sah, und die all mählich jeden älteren Journalisten mit einem höflichen: „Guten Tag, Herr Doctor"! zu grüßen pflegten. DaS waren keine ver lumpten ehemaligen-Officiere, sondern brave Wachtmeister lind Sergeanten, die auf Grund ihrer Civilversorgungsberechti- guug angestellt ßwaren und für keinen einigermaßen Ein geweihten irgend etwas Geheimes harten. Man thut ihnen Unrecht, wenn man sie mit Tausch und Lützow in einen Topf wirst. Sie haben nicht an Spioniren ge dacht und hatten nur die eine Sorge, die Spur des Fürsten Bismarck nickt zu verlieren. Sie warteten auf der Tribüne, bis er den Saal verließ, dann eilten sie herunter, paßten auf, ob und durch welche Thür er auS dem Reichstag ging, und ge leiteten ihn dann möglichst unauffällig. DaS war ihr Dienst, und der Dienst war oft nicht leicht. Einmal hatten sie ihn verloren. Der Fürst war an einem schönen Frühlingstage nickt durch den AuSgang nach der Leipziger Straße, sondern zunächst vom Foyer nach dem angrenzenden Garten des Herrenhauses gegangen und von da über die Königgrätzer Straße nach seinem PalaiS. Für seine geheime Leibgarde war er verschwunden; der Schrecken war groß und wurde noch größer, als dieses komische Mißgeschicks und daS ängstlichcHerumsncken der braven Männer in den Zeitungen geschildert wurde. Die meisten dieser statt lichen Männer der ehemaligen Leibgarde des Fürsten Bis marck scheinen jetzt als Boten oder Diener in einzelnen Reichsämtern beschäftigt zu sein, auch im Reichskanzleramt; sie grüßen noch immer vie älteren „Herren Doctoren". Der Eine fungirt bei größeren parlamentarische» Soireen als dienender Geist und präsentirt mit einer Liebenswürdigkeit und einem Berständniß für bessere Marken, wie eS Leuten mit schlechtem Gewissen nichr eigen ist, nach Tisch die Cigarren." * Vertin, 26. December. Ueber die Vorlagen, die im BnndeSrathe nach den Weihnachtsferien der Erledigung harren, schreiben die „Berl. Pol. Nachr": „Dazu gehört zu nächst die Militairstrafproceßordnung. Sie ist (ent gegen einer Meldung der „Franks. Ztg") in den Aus schüssen vorberathen und wird nun eingehenden Plenarberathungen unterworfen werden. Daß hierbei jedoch, wie von einzelnen Seiten gemeldet wird, sich noch große Schwierigkeiten ergeben werden, ist kaum anzunehmen. Dagegen ist eS bisher immer noch nicht recht klar, wie sich va« Schicksal der Handwerks organisations Vorlage im BundeSrathe schließlich ge stalten wird. Man nimmt an, daß eS noch im Januar möglich werden wird, im Plenum zu einer Entscheidung zu gelangen. Gleichfalls einer schleunigeren Erledigung ist die Grundbuch ordn ung sicher. Sie gehört zu den Gesetzen, die gleichzeitig mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch am 1. Januar 1900 in Kraft treten werden, ebenso wie daS dem ReichtStage bereits zugestellte Subhastationsgesetz. Von solchen Gesetzen liegen dem BundeSrath außerdem die Novellen zum Gerichts- versassungsgesey, zur Civilproceßordnung nnd zur ConcurS- ordnung schon seit längerer Zeit vor, jedoch ist eS wohl ohne Weiteres verständlich, wesbalb Subhastationsgesetz und Grundbuchordnung sich leichter und schneller er ledigen lassen. Dagegen wird eine längere Berathung noch bezüglich der Novelle zur Jnvaliditäts- und Altersversicherung nötbig sein. Namentlich die Frage der anderen Bertheilung der Rentenlast auf vie Ber- FrniHet-n. Die Harfencordel von Geyer. Historische Novelle auS dem sächsischen Erzgebirge von Ad. Lippold. (Nachdruck verboten^ (Schluß.) So gut nun die Kauf- nnd Handelsherren mit ihren Waaren, die ihnen doch große Spesen bereiten, von einer dieser Messen zur anderen ziehen und dabei ihre reichliche Rechnung finden, warum sollen wir, die wir dabei nur für unseres Lebens Nothdurft zu sorgen haben, unsere Waaren aber wohlgeborgen in Kops und Kehle tragen, nicht auch auf jenen Plätzen, ebenso, wenn auch vielleicht bescheidener wie in Leipzig, guten Erfolg und Verdienst ernten? — Es ziemt sich nicht, so lange wir arbeiten können, uns auf die faule Haut zu legen, und die Zeit vom Ende der Neujahrsmesse biS Ostern, wo auch im Handel sind Wandel Stillstand ein tritt, könnten wir ohnedies jedes Jahr zu Hause ver leben. Wir sind unserer Acht, und wenn ich dereinst mein Haupt ruhig und in dem Bewußtsein, Euch Alle gut versorgt zu wissen, zum Sterben niederlegen könnte, wollte ich gern scheiden, wenn der Herr mich abruft. — Sieb, mein Kind, in der Zeit zwischen den Leipziger Messen giebt es eben solche in Braunschweig, Frankfurt a. O. nnd Frankfurt a. M., aber auch große Jahrmärkte, welche acht Tage dauern, z. B. in Dresden, Altenburg, Torgau ,c. So beginnt gleich nach der Ostermesse der Markt in Altenburg, der sehr bedeutend sein soll, und nach der MichaeliSmess« der in der Residenzstadt Dresden. Ich bin deshalb entschlossen, von nächster MichaeliSmess« ab zunächst einen Versuch mit Dresden zu machen; glückt es, so werden wir weiter sehen, schlägt e« fehl, so kann e« un« doch nicht viel kosten, denn etwa-, nnd sei e« da», wa« wir zum Lebensunterhalt brauchen, werben wir ja wohl immer verdienen." Cordel hörte dem Vater aufmerksam zu und pflichtete demselben auS vollem Herzen bei, hatte sie selbst doch schon oft seit dem Leipziger Erfolg« AehnlicheS erwogen; Beide aber beschlossen, für jetzt noch zu schweigen. Cordel übte fleißig mit den Geschwistern und war stets bestrebt, neue Lieder zu erlangen und einzustudiren. Dabei vergaß die Familie auch nicht, manchen Armen zu unterstützen und wie früher des Sonntags in der Kirche mit- zuwirken, so daß nach und nach die Kirchgänger von weit und breit, ja selbst von Annabery, Schlettau und Scheiben berg zu Fuß und zu Wa^en herüberkamen, um die Kirchen musik in Geyer mit anzubören. Oft vermochte daS bescheidene Kirchlein die Menge kaum zu fassen und Thüren und Fenster desselben mußten dann offen bleiben, damit die auf dem das Kirchlein umgebenden Friedhöfe zahlreich Versammelten, zu spat Gekommenen wenigstens etwas von dem Concert hören konnten. Der Opferstock des Kirchleins sowohl, wie die Gast häuser deS Städtchens, in welch letzteren die fremden Besucher auSspanntcn oder nach der Kirche einkehrten, kamen dabei ebenfalls nicht zu kurz, und so hielt nicht blos der Herr Pfarrer, sondern die ganz« Bewohnerschaft große Stücke auf die Familie Titel. Im Juli nuu, al» der ebenfalls große Jahrmarkt in Chemnitz, welcher mehrere Tage währte, bevorstand, lief von einem dortigen Gasthaltrr ein Brief ein, dem ein Empfehlungs- schreiben de« Herrn Querner in Leipzig beilag, worin die Familie eingeladcn wurde, während der Dauer des Jahr marktes im Saale deö großen Gasthauses zu conccrtiren und zwar verbürgte sich der Gastwirth bei freier Kost und Wohnung für die Familie für mindestens 50 Thaler Ein nahme derselben. Ohne Weitere- sagte Vater Titel zu, und als die kleine Gesellschaft nach zehntägiger Abwesenheit zurück- kehrte, betrug die reine Einnahme mehr als da« Doppelte des garantirten Betrages. Im Herbste, als die MichaeliSmesse zu Leipzig zu Ende war und wieder reichen Ertrag gebracht hatte, da machte Vater Titel seinen Plan zur Wahrheit und überall, wohin die Familie kam, fand sie begeistert« Bewunderer. Mancher wackere Mann aber verlor sein Herz an daS einfach« GebirgS- kind — unsere Harfen-Cordel — und auch die aufblühende Anna zählte mancken Verehrer, aber beide Mädchen bewahrten sich ihr reines Herz und ein Blick aus den nnschuldSvollen Augen der Mädchen genügte stets, um übermüthige oder dreiste Gesellen in die gebührenden Schranken zurückzuweisen. In Dresden hatten sie sogar die Ebre, vor den kurfürst lichen Hof gerufen zu werden und als sie der Kurfürst nebst seiner Gemahlin, überaus befriedigt von dem Gehörten, huld voll entließ, überreichte er dem Vater Titel eine werthvolle silberne Dose mit seinem Bildniß, inveß seine Gemahlin jedem der drei Mädchen einen zierlichen goldenen Ring zum An gedenken schenkte. Je mehr sich aber die Kunde von den Erfolgen der Titel'schen Familie im Erzgebirge verbreitete und je sichtlicher der Wohlstand derselben wurde, desto mehr leuchtete eS auch anderen Bewohnern des Gebirges ein, daß der neue Erwerbs zweig wohl auch ihnen Brod geben könnte, und gar bald finH eS in den Thälern und auf den Höhen, in Dorf und Stadtlrin an zu klingen und zu tönen, und kaum waren fünf Jahre ins Land gegangen, da zogen schon einzelne Trupp-, welche sich meist au- Familien oder der Verwandt schaft organisirt und eingeübt hatten, ebenfalls hinaus, um auf Messen und Märkten ihren Erwerb zu suchen und meist auch reichlich zu finden. Ist doch in fast allen Ländern gerade der Bergbewohner meist immer musikalischer Natur, unv die Erzgebirger machten hiervon keine Ausnahme. Gar bald drangen diese Gesellschaften weiter und weiter, und im ganzen vorigen, ja bis zur Hälfte deS jetzigen Jahr hunderts konnte man die Sänger und Musikanten des Erz gebirges in allen Ländern Europas finden. Mancher bedeutende Künstler ging auS diese» Gesell schaften hervor, und manche berühmte Sängerin, deren Lied Tausende in weltbekannten Opernhäusern lauschten, batte ihre Heimath im sächsischen Erzgebirge, mochte auch auf dem Theaterzettel der Name irgend einer Signora X oder U angegeben sein. Wie aber ein Industriezweig in der Regel den andern nach fick zieht, so geschah eS auch hier. Lange Zeit mußte man die Musikinstrumente aus Augsburg, ja wobt selbst auS Italien zu enormen Preisen beziehen, bis spekulative Köpfe sich in Markneukirchen und Klingenthal ansässig machten und Jnstrumentenfabriken errichteten, welche gar bald reißenden Absatz fanden. So wurde das Unternehmen der Titel'schen Familie zuni Segen für ihr ganzes Heimathland und gab bald vielen Tausenden reichliche Nahrung. Der Familie selbst aber that die immer mehr anschwellende Concurrenz keinerlei Abbruch in ihrem Erwerbe, der Name der Erzgebirgischcn Wachteln war weit und breit berühmt, und sie hatten ihre festen Plätze, wo sie concertirten, sicher inne. Auf diese Weise verging Jahr auf Jahr. Cordel, zum prächtigsten Weibe entwickelt, stand bereits im zweiund- zwanzigsten, Anna, ebenfalls herrlich erblüht, im einund- zwanzigsten Lebensjahre, als Vater Titel nach kurzer Krank heit plötzlick verstarb. Kaum ein Jahr darauf folgte Anna der Werbung des jungen Gelenauer Pfarrers und ward dessen Weib; dafür traten nun Hans und selbst der kaum zehnjährige Martin mit in die Capelle, sowie eine junge Verwandte von großer Begabung, und die Truppe der „Harfen-Cordel" behauptete unter allen anderen nach wie vor den ersten Platz. Es vergingen wiederum zwei Jahre in der gewohnten Tbätigkeit. In dem liebliche» Angesichte Cordel'S zeigte sich ein resignirter, schwcrmüthigcr Zug. Viele hielten sie für stolz, weil sie alle Bewerbungen, und zwar oft ebenso reicher wie ehrenhafter Männer, standhaft znrückwieS. Zwar glaubte sie schon längst nicht mehr an eine Bereinigung mit Günther, aber sein Bild wohnte unerschütterlich in ihrem Herzen, und sie wollte die Treue, die sie ihm einst gelobt, niemals brechen. Zur selben Zeit, wie Vater Titel, war auch der Vater Günther'S auf dem Lottcrhofe mit Tode abgezangen, ohne daß sein einziger Sohn an seinem Sterbebette gestanden hätte. Es verlautete nur, der Letztere sei-als Baumeister in fremder Herren Diensten und würde wohl nie wieder Heimkehr«». Ob er verheirathet sei oder nickt, wußte Niemand. Die Ver waltung des LotterhofeS geschah in alter Weise durch einen Pogt, der schon dem verstorbenen Herrn viele Jahre gedient hatte und der alljährlich einmal nach Leipzig fuhr, um dem Petter seines jungen Herrn Rechnung abzulegen. Auch in Leipzig war über Güntber'S Aufenthalt nichts zu erfahren, und Cordel war zu stolz, um weitere Nachforschungen an-
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