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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.05.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990501015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899050101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899050101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-01
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifferasay nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung W—, mit Postbefördrrung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: . Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. : Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 218. Montag den 1. Mai 1899. 83. Jahrgang, Amtlicher Theil. Arbeiter-Zählung. Auf Grund der Verordnung des Königlichen Ministeriums des Innern vom 4. December 1882 zu 441. III. findet auch in diesem Jahre eine Arbeiterzählung am 1. Mai statt. Die Zählung der Arbeiter hat bei allen denjenigen Gewerbe unternehmern zu erfolgen, welche 1) in ihren Gewerbeanlagen mindestens 10 Arbeiter beschäftigen, oder 2) durch elementare Kraft (Dampf, Wind. Wasser, Gas, Luft, Elrktricität u. s. w) bewegte Triebwerke verwenden, oder 8) Hüttenwerke, Zimmerplätze und andere Bauhöfe, Wersten, sowie solche Ziegeleien, Brüche und solche nicht bergmännisch abgebaute Gruben besitzen, die nicht blos vorübergehend in Betrieb sind, oder 4) deren Anlagen nach 8 16 der Gewerbeordnung und den Nachträgen hierzu besonderer Genehmigung unterliegen, oder b) die solche Werkstätten der Kleider- und Wäjchekonsection besitzen, auf die nach der Bekanntmachung vom 31. Mai 1897 die §8 115 bis 139 und I39b der Gewerbeordnung aus gedehnt worden sind. Auch für solche Anlagen der unter 4) erwähnten Art, in welchen keine Arbeiter beschäftigt werden, ist das Formular onszusüllen. Wir werden allen uns bekannten Gewerbetreibenden der unter 7 bi« 5 fallenden Arten Fragebogen zufertigen lassen, welche bis zum 5. Mai 1899 an unser stalistilches Amt, Thomaskirchhof 25,1., zurückzusenden sind. Diejenigen hiesigen Gewerbetreibenden der genannten Arten, welche bis zum 1. Mai noch nicht in den Besitz von Fragebogen gelangten, wollen diese in unserem statistischen Amte abholen und bis zum 5. Mai dahin ausgefüllt zurückgelangcn lassen. Leipzig, den 24. April 1899. Der Rath der Stadt Leipzig. 8t. 447,99. Ur. Georgi. I)r. Hasse. Bekanntmachung. Bei unserem Stadtorchester, das den Dienst in Kirche, Gcwaud- hausconcert und dem Stadttheater zu versehen hat, ist die mit An- spruch auf Pensionsberechtigung und einem Ansan^sgebalt von 1300 verbundene Stelle sür Englisch Hör» und bez. H. Oboe möglichst bald zu besetzen. Geeignete Bewerber werden mit dem Bemerken, Laß sie sich einem Probespiel zu unterziehen haben, auch die Anstellung zunächst nur auf ein Probejahr erfolgt, hierdurch aufgesordert, ihre Gesuche unter Beifügung eines kurzen Lebenslaufes und der Abschriften ihrer Zeugnisse bis spätestens zum IS. Mai dieses Jahres bei uns einzureichen. Leipzig, den 24. April 1899. „ Der Ratü der Stadt Leipzig. Is. 1997. Ur. Georgi, Wilisch, Ass. Oberbürgermeister. Ocffentliche Zustellung. Der Geschäftsinhaber Erwin V. Goldammer, in Firma: C. G. Bemme zu Alt-Scherbitz bei Schkeuditz, vertreten durch Rechtsanwalt Di. Leo in Leipzig, klagt gegen den Bäckermeister Robert Lauer, früher zu Neu-Mockau, jetzt unbekannten Aufenthalts, aus käuflicher Lieferung von Mehl mit dem Anträge auf gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbare Verurtheilung des Beklagten zur Zahlung von 696 75 nebst Zinsen zu 6 "/<> von 357 seit dem 23. Januar 1899 und von 339,75 seit dem 15. Februar 1899 und ladet den Beklagten zur mündlichen Verhandlung des Rechts streits vor die zweite Kammer für Handelssachen deS Königlichen Landgerichts zu Leipzig auf dc» 22. Juni 18SS, Vormittags SV, Uhr, mit der Aufforderung, einen bei dem gedachten Gerichte zugelassenen Anwalt zu bestellen. Zum Zwecke der öffentlichen Zustellung wird dieser Auszug der Klage bekannt gemacht. Leipzig, den 26. April 1899. Sekretär Thronicker, Gerichtsschreiber des königliche» Landgerichts. Grundstücks-Verkauf. Das der Stadtgemeinde gehörige, au der Ecke der Vismnrck- und Wiescustratzc gelegene ehemalige Ahleiuann'jche Grundstück Wicscnstratzc Rr. s soll ausschließlich Les zur Verbreiterung Ler ÄiSmarckslraße bcnöthigten Areales, aber einschließlich Ler daraus z. Z. stehenden, jedoch vollständig abzubrechcuüen Baulichkeiten mit einem verbleibenden Flächengebalt von ca. 570 gm verkauft werden. Angebote werden versiegelt und mit entsprechender Ausschrift versehen bis zum 15. künftigen Monats auf Lein Rathhause, I. Ober geschoß, Zimmer Nr. 8. eutgegenqenommen. Daselbst können Ler Plan über die künstige Begrenzung des Grundstücks und die Be dingungen, unter Leuen der Verkauf erfolgen soll, eingejehen werden. Die Ablehnung aller Gebote behalten wir uns vor. Leipzig, am 25. April 1899. 7>. 2lk>6. Ter Rath der Stadt Leipzig. 540. Or. Georgi. Krnmbiegel. »Aufgebot. Der Kaufmann Müller in Firma: F. Moritz Müller in Leipzig-Eutritzsch hat Las Aufgebot eines von dem Frühbeetfenster, sabrikanten Adolph Schlansky in Leipzig acceptirten, jedenfalls im April 1898 ausgestellten, am 15. October 1898 fällig gewesenen Wechsels über 909 ./ä 90 welcher vor Ler Unterschrift Lurch den Aussteller verloren gegangen ist, beantragt. Ter Inhaber der Ur kunde wird aufgesordert, spätestens in dem aus den 23. Sep tember 1899 Vormittags II Uhr vor dem unterzeichneten Gerichte im Zimmer Nr. 165 anberaumten Anfgebotstrrmine seine Rechte anzumclden und die Urkunde vorzulegen, widrigenfalls die Krast- loserklärnng der Urkunde erfolgen wird. Leipzig, Len 19. Dezember 1898. Königliches Amtsgericht, Abth. II.V. Müller. B. Oie ersten Jahrzehnte der Leipziger Bürgerschule. Die erste Bürgerschule sicht vor einem Wendepunkte ihrer Ge schichte. In wenigen Monaten soll sie das alte, traute Heim am Augustusplatz verlassen, das fast ein Jahrhundert lang sie be herbergte. Es b.dcutet für sie thatsächlich mehr als einen bloßen Wohnungswechsel, denn es werden dadurch Beziehungen gelöst, die oft durch Generationen bestanden und ein schönes Ver- hältniß zwischen Elternhaus und Schule zeitigten. Dem G e - bäude wird noch manches Jahr di« Erinnerung treu bleiben; wohl noch lange wird cs dem Leipziger „die erste Bürgerschule" sein. Bei der Bedeutung, Vie die Schule besonders in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts als die einzige Bildungsstätte des aufstrebenden dritten Standes nicht nur für Leipzig, son dern auch für unser Vaterland hatte, dürfte vielleicht Einiges über ihr Entstehen und die erste Zeit ihres Bestehens weiteren Kreisen von Interesse sein. Seit dem 16. Jahrhundert bestanden in Leipzig zwei Gym nasien, die Thomas- und die Nicolaischule. Sollte ein Knabe nicht ganz ohne Schulunterricht bleiben, so mußte er eine von diesen beiden Anstalten besuchen. Auch für unsere Stadt galten die Worte des Ministers Zedlitz: Den künftigen Schneider erzieht man wie den künftigen Schulrector; man lehrt ihn Griechisch, Latein und Dogmatik. Nun bestanden zwar in den verschiedenen Stadtvierteln noch einige sogenannte Winkelschulen — es wirkten im Grimmschen und Halleschen Viertel je 5, im Peters- und Rein städter Viertel je 7 Lehrer —, aber weder di: unterrichtlichen noch die erziehlichen Erfolge konnten befriedigen. Es waren Privat anstalten, die keiner behördlichen Controle unterstanven. „Man überläßt es dem Zufalle oider der Unwissenheit mechanischer Lehr meister, nützliche Bürger, geschickte Künstler, verständige Kauf leute, kluge Landwirthe zu bilden. Der erwerbende Stand der Bürger wird fast ganz ohne öffentliche Erziehung gelassen. Und doch braucht Vie Welt gegen 100 geschäftige Bürger kaum zwei Gelehrte." So klagt noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts der Abt und Director des Klosters Berge bei Magdeburg. Und wie schlimm es um die Erziehung Leipziger Kinder bestellt war, ersehen wir aus ein«r Predigt des Pfarrers Weiße an der Thomaskirche, der einmal ausruft: „Wenn heutzutage ein Hand werksmann einen Lehrjungen sucht, da heißts: Nur kein LeipzigerKind! Verlangt ein Kaufmann einen Burschen ober Markthelfer, auch der spricht: Nur kein Leipziger Kind! O, Ihr Leipziger Kinder! O, Ihr Leipziger Eltern!" Die Besserung solcher Zustände sollte durch die Pietisten kom men. August Hermann Francke hatte im benachbarten Halle die erste deutsche Bürgerschule gegründet; wenn sie auch zunächst noch auf Jahre hinaus die einzige blieb, so verstummte doch von nun an nicht mchr der Ruf nach einer besseren Schulbildung für den Bürger. Basedow, Campe, von Rochow, Herder u. A. for derten sie. Auch in Leipzig fanden sie Gehör. Im Jahre 1774 gründete Graf Hohenthal eine Schule für arme Kinder; nur 60 Schüler konnten Aufnahme finden, und was war das unter so viele? Ihm folgte 1788 der Buchhändler Wendler, der eine Freischule errichtete, zunächst auch für 60 Kinder. Die weitaus besuchteste dieser Armenschulen wurde die, welche der Rath 1792 den Kindern armer und verarmter Eltern eröffnete. Hier waren bald 700 Schüler und Schülerinnen versammelt. Superintendent Rösenmüllcr hatte sich um die Gründung aller dieser Schulen hochverdient gemacht; er wußte den Vätern der Stadt und reichen Bürgern gar eindringlich die Sorge für gute Schulen ans Herz zu legen. Merkwürdig! Nun hatte man Gelehrten- und Armen schulen, aber der mittlere Bürgerstand ging imm.-r noch leer aus. Da, am 25. Februar 1795 — nach Anderen schon 1794 — rich teten 'die Vorstände von 25 Leipziger Zünften ein: Eingabe an den Rath der Stadt, in der sie um Errichtung einer Bürgerschule bitten. Sie sagen: In den Gymnasien sind di: wenig Befähigten, Vie nicht Gelehrte werden wollen, ein Hemmniß ver Besseren. In den Winkelschulen lernen die Kinder trotz großer Kosten nur mitunter ein bischen Lesen und Schreiben.. Viel glücklicher als di: Kinder der wohlhabenden Bürger sind die der Armen daran. An ihnen ist auch der günstige Einfluß einer guten Schulerziehung schon sichtbar geworden. Der Rath wird sich durch die Errichtung einer Bürgerschule ein bleibendes Denkmal setzen. Gnädigen Schutz, reichstes Glück und Wohlergehen möge der All mächtige solch guter That folgen lassen! — Und der Rath? Er kannte den bürgerlich-tüchtigen Sinn der Bittsteller, und war von der Berechtigung des Wunsches viel zu sehr überzeugt, als daß er sich ablehnend verhalten konnte. Der aufgeklärte, that- kräftige Bürgermeister Karl Wilhelm Müller stand an seiner Spitze Die Vorarbeiten wurden begonnen, die Kinder gezählt. Ein Baumeister war in der Person Jobann Friedrich Dauthe's bald gesunden; er führte eben die Renovation der Nicolaikirche aus und vollendete sie 1796. Ein der Stadt würdiges Schulhaussollte er bauen — so lautete sein Auftrag. Im Mai 1796 theilte der Rath den Zünften mit, daß er eine Schule errichten wolle. Er hoffte, daß die Kosten aus dem Schulgeld zunächst verzinst und dann nach und nach zurück gezahlt werden würden, ja, vielleicht könnte daraus einmal eine Einnahmequelle für die Stadt entstehen. In dem Sinne, wie es hier gemeint war, hat sich die Hoffnung freilich nie erfüllt! Zum Bauplatz hatte man dieM o r i tz b a st e i gewählt. Weise Sparsamkeit schien das zu fordern; die alten Grundmauern sollten das Neue tragen. Fröhlich.begann noch 1796 der Bau. Kaum aber stieg er bei rüstiger Arbeit, da trat eine Störung ein, die um so lähmender wirkte, je unerwarteter sie kam. Man hatte den alten Mauern zu viel getraut, der Neubau senkte sich unv drohte einzustürzen. Dem Baumeister blieb nichts übrig, als durch große Gewölbe zu stützen. Das war aber sehr kostspielig, und so mancher Leipziger Bürger mag kopfschüttelnd vor dem Werte gestanden haben, das Tausend um Tausend verschlang, ohne daß man eine eigentliche Förderung des Baues bemerkte. Jahre lang ist an den Gewölben gebaut worden. Ein scharfer Beobachter und spottlustiger Schilderer Leipzigs schreibt 1799 in dem bekannten Büchlein: „Leipzig im Profil": „Das Schul haus wird wegen der kostbaren und weitläufigen unterirdischen Gewölbe, an denen nun schon seit vier Jahren eine Menge Werk leute arbeiten, eins der merkwürdigsten Gebäude Europas werden!" Eine Zeit lang dachte der Rath daran, dem Hause eine voraussichtlich besser zinsende Verwendung zu geben. Im April 1802 fragte er bei den Zünften an, ob sie denn angesichts der hohen Kosten, die bis zur Vollendung des Baues leicht auf mehrere Tonnen Goldes steigen könnten, bei ihrem Vorhaben beharren oder vielleicht andere Vorschläge machen wollten. Diplomatisch antworteten sie, daß sie in den Nöthen zwar auch kein Mittel an die Hand zu geben wüßten, aber sie seien überzeugt, der Rath werde nichts verabsäumen, die Voll endung des Schul baues zu ermöglichen. Nur die Gerber widerriethen einer Fortführung des Baues. Es wurde weiter ge baut und zunächst — da man begreiflicher Weise endlich etwas Fertiges sehen wollte — der l i n k e F l ü g e l vollendet. Nun war es Zeit, an Schulbesuch, Schulgeld, Unterricht u. s. w. zu denken. Der treue Berather der Behörde war Superintenden: N o s e n m ü l l e r. Er sagte z. B. über die Festsetzung des Schul geldes: „Ich sollte meinen, 3 Groschen 'wöchentlich für jedes Kino würde weder zu viel noch zu wenig sein. Fände sich eine große Anzahl, so könnte man vielleicht mit 2 Groschen zufrieden sein. Ich halte es nicht für rathsam, zu sagen, wie viel jähr lich gegeben werden soll; denn wenn der Bürger von sechs Thalern hört, so wird er stutzig. Da es ihm hingegen leichter ankommt, wöchentlich einige Groschen zu zahlen." Auf Rosen- müller's Rath erfolgte auch die Ernennung eines Directors; man berief den Gymnasialdirector von Bautzen, Ludwig Friedrich Ernst Gedike. War es eine Begeisterung für die heilige Sache der Volksbildung, war es der Zug nach den weiteren Verhält nissen der werdenden Großstadt, reizte ihn die schöne Aufgabe, als Organisator an hervorragender Stelle zu wirken, ganz der eignen Einsicht und pädagogischen Erfahrung folgen zu können, — wir wissen es nicht, was diese immerhin merkwürdige Uebersiedelung veranlaßte. Jedenfalls dachte und fühlte man damals in Allem, was Jugendbildung anging, einheitlicher als heule. Ganz in der Stille des Rathhauses hatte sich diese Ernennung vollzogen; draußen in der Stadt stritt man noch immer für und gegen die Schule. Da machte eine Rathsverordnung vom 2. Juni 1803 allen Zweifeln ein Ende. Sie lautete: „Es ist nunmehr Alles in die Wege geleitet worden, daß zu Michael dieses Jahres, alsbald nach geendigter Messe, zur Er öffnung einer allgemeinen Bürgerschule in dem völlig ausgebauten Flügel des Gebäudes auf der Moritzbastei verschickten werden kann. Wie nun solches den Innungen, die bereits vor Jahren um Anlegung einer dergleichen Bürgerschule angelegentlichst gebeten haben, auch der gesummten Bürgerschaft allhier andurch bekannr gemacht wird: also werden diejenigen Eltern, welche ihre Kinder an sothanem Unterrichte, der sich vorzüglich auf Religion, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, Erdbeschreibung, Naturkunde, Ge schichte, insonderheit Vaterlandsgeschichte, auch in der Folge ruf Technologie und überhaupt auf Alles, was zum gewöhnlichen bürgerlichen Leben nützlich und angenehm ist, erstrecken soll, gegen Erlegung eines billigmäßigen Schulgeldes, Anteil nehmen zu lassen gedenken, hiermit veranlasset, in der Woche nach dem 4. Sonntage nach Trinitatis, bei der hiesigen Schoßstube auf dem Rathhause, unv namentlich bei dem allda angestellten Cal- culator, Herrn Johann Gottlieb Winkler, der vom 4. bis zum 9. Juli, als an den dazu bestimmten Tagen, diesem Geschäfte sich ganz widmen wird, sich deshalb gehörig zu melden, die Namen und das Alter ihrer Kinder, deren Aufnahme sie wünschen, genau anzugeben und sodann der Einzeichnung derselben, auch nach Befinden weiterer Anweisung, gewärtig zu sein." Das ist die Urkunde, welche der ersten Bürgerschule Leipzigs das Leben gab! Noch vor der Eröffnung machte Director -Gedikc in den „Grundlinien des Planes der neuen Bürgerschule zu Leipzig" seine Behörde mit den Grundsätzen bekannt, nach denen er die Anstalt einrichten und leiten wollte. Wir erkennen ihn als Kind seiner Zeit, der Verstandesbildung über Alles geht. So gründlich alle seine Forderungen in einer tiefen philo sophischen und pädagogischen Bildung verankert sind, so wenig verliert er die besonderen der Zeit und des Ortes aus dem Auge. Im Rechnen stellt er das kaufmännische in den Vordergrund; eine Handelsschule soll später der Anstalt angegliedert werden. Das Zeichnen soll besonders ein gewerbliches sein, um das Hand werk in ästhetischer Beziehung zu fördern. Verfassungs- und Gesetzeskunde soll der Unterricht einschließen. Als Merkwürdig keit sei noch erwähnt, daß nach Gedite's Wunsch täglich nach beendigtem Unterrichte „einige Männer von gesetztem Charakter als Pädagogen im alten Sinne des Wortes" sich in der Schule einfinden und dir Kinder ein Stück des Weges zu begleiten. ^euillatsir. Der Protz. Skizze von Anna Wahlenberg. Deutsch von Francis Maro. Nachdruck vcrbolkn. Draußen in dem eleganten Entree stand Olle Söderholm und wartete. Er hatte dem kleinen netten Hausmädchen seinen Namen ge sagt, und war jetzt neugierig, wer sich in der Thür zeigen würde, das Mädchen, um ihn zu bitten, einzutreten, oder Nisse Lund mann selbst, um ihn zu begrüßen, denn daß der Herr des Hauses daheim war, sah er an dem Biberpelz, der auf einem der Haken hing. Lundmann und er waren als ganz junge Leute sehr intime Freunde gewesen. Später trennten sich ihre Weg«, und ihre Schicksale gestalteten sich gänzlich verschieden. Lundmann, der sich nie «ine gediegener« Schulbildung angeeignet hatte und in ge wissen Dingen ein klein wenig beschränkt war, hatte jedoch «in brillantes GeschästStalent und stieg unaufhörlich von einer Stufe der mercantilen Welt zur nächsten empor, bis er endlich seine jetzige angesehen« und einträgliche Stellung als Director einer lucrativen Bergwerksgesellschaft erreichte. Aber Söderholm hatte nicht so viel Glück gehabt. Er galt für einen guten Kopf, was zuweilen, wenn man Geschäftsmann ist, «in zweifelhafter Vorzug zu sein scheint. Genug, er hatte schlimme und gute Zeiten durch gemacht, aber meistens schlimme. Ein paar Jahr« lang war «S ihm in srinem Berus« gut gegangen. Aber dann kamen ungün stig« Konjunktur«», alte Schulden begannen drückend zu werden, und dann brach der Krach herein. Jetzt hatte er gerade angr- fangrn, sich von diesem Unglück zu erholen und «inen neuen Weg einzuschSogen. Er war Weinagent geworden. An dieser Eigenschaft befand er sich auch hier oben. Die Woche tzikvor hatte er Nisse Lundmann auf der Straße getroffen und ihn gefragt, ob er ihm einige Weinproben schicken könnte. Dieser war in großer Eil« gewesen, aber hatte ihn freundlich auf den Rücken geschlagen und gesagt: „Ja, schick nur, Du .. ." So hatte er ge schickt, aber von keiner Bestellung gehört, und darum hielt er es für das Weste, persönlich ein wenig daran zu erinnern. Nun hörte man Schritt«, aber sie waren zu leicht, um die eines Mannes zu sein. Richtig, da stand das frischgestärkte, kleine Hausmädchen, aber gar nicht mit der verbindlichen Miene, die sie haben mußte, um ihn zu bitten, «inzutreten. Und eine solche Aufforderung kam auch nicht. Sie sagte ganz einfach, daß der Herr Director beschäftigt wäre und sich jetzt nicht entscheiden könnte, ob er den Wein nehmen würde. Aber wenn der Herr seine Adresse zurücklassen wollte, würde er bald Antwort bekommen. Ein grobes Wort schwebte auf seinen Lippen, doch es löste sich glücklicher Weise in «in „Jaso" auf, freilich ein sehr düsteres. Er schritt der Thüre zu, und als das kleine Hausmädchen ihn noch einmal bat, seine Adresse zurückzulassen, antwortete er kurz, es sei nicht nöthig, und ging. So behandelte man also einen alten Freund! Nicht zum ersten Mal merkte er, wie di« Freunde ihr Antlitz zugleich mit dem Glücke abwandten, aber es ergriff ihn darum jedes Mal nicht weniger tief. Und Nisse Lundmann hatte er doch nicht für einen solchen Protz gehalten. Von Zeit zu Zeit machte er den schwachen Versuch, ihn zu ent schuldigen. Vielleicht war das «in sehr wichtiges Geschäft, da? ihn verhindert hatte, ihn zu empfangen. Aber für «inen Augenblick hätte er doch kommen können. Nein, er war «in Protz! Na, vielleicht hatte man ihn aus seinem Mittagsschläfchen ge weckt. Und er war darum zornig. Aber deshalb behandelt man einen alten Freund doch nicht so bagatellmäßig. Nein, er war ein Protz! Olle Söturholm ging in bitteren Gedanken in den Straßen auf und ab, und schließlich lenkte er halb unbewußt seine Schritte zu einer neu eröffneten Bierkneipe, wo er hier und da eine Abend stunde zu verbringen pflegte und stets sicher war, Bekannte zu treffen. Auch diesmal war es so. Als er hereinkam, wurde er sehr freundlich bewillkommnet. Ein Seidel stand augenblicklich vor ihm, Cigarren wurden angeboten, und Scherze hagelten von allen Enden des Tisches. Die Stimmung war ausgelassen, denn man erzählte gerade Geschichten. Eine gab die andere, und die Lachsalven wollten nie verstummen. Man fühlt« sich als Kame raden, als Jugendfreunde, und sprach zuweilen von recht in timen Sachen. Da war es, daß Jemand das Wort „Protz" aussprach. Protz! Gerade das,-was Olle Söderholm den ganzen Abend im Halse gesteckt! „Ja, es giebt Protzen", sagt« er düster und versenkte beide Hände in die Hosentaschen. „Ja, das will ich glauben", rief die ganze Gesellschaft wie aus einem Munde. Sie waren ja mehr oder weniger Künstler, alle Versammelten, und Künstler sind, wie man weiß, niemals Protzen, Und dann tischte jeder seine Geschichte von einem Protzen auf. Wer nannte zuerst Nisse Lundmann's Namen in diesem Zu sammenhang? Ja, das läßt sich nicht feststellen. Aber Oll« war es nicht. Von dieser Sünde wußte sein Gewissen sich rein, als er nachher an die Sach« zurückdachte. Es war wohl Stenhelt oder Jägerhaft. Die hatten beide ein Mißtrauen gegen Lund mann. Der ein« schwor darauf, daß die Bilder in seinem Salon Oeldrucke wären, und der Andere behauptete, daß er allen Kin dern in einem Kinderheim Pfefferkuchenherzen und Blechtrom peten zu Weihnachten g«schenkt hätte, um so zu einem Orden zu gelangen. Aber dann verstummten sie und sahen Olle an. Der Teufel, ja richtig, er und Olle waren ja gute Freunde. Das war doch etwas zu stark für Olle. Line Freundschaft, die die Leut« nicht abhält, ihre guten Freunde so gut wie hinaus zuwerfen, gegen die mußte er doch protestiren, und das that er auch mit aller Kraft. Mit der Freundschaft stand eS schuf! Tq^Einen Augenblick wachte er daran, die Geschichte mit, den Weinproben zu erzählen, aber es war doch nicht behaglich, seine eigene Demüthigung vor der ganzen «Gesellschaft auszubreiten. Er fühlte jedoch «in starkes Bedürfniß, Beweise dafür vorzulegen, daß er den Mann jetzt klar durchschaute, zufällig entsann er sich einiger ganz charakteristischen Züge Lundmann's, aus der Zeit, in der sie täglich zusammen waren. Und er erzählte von der kleinen Episode mit dem Kamme, den er sich bei Nisse Lundmann für den Augenblick hatte ausleihen wollen, da sein eigener eben zerbrochen war. Nisse hatte ihn auch bereitwillig geschickt, aber sagen lassen, daß er ihn über morgen wieder haben wollte, denn da wär« er zu einem Souper geladen. Uno er erzählte auch, wie Lundmann zuerst Director wurde. Das geschah nicht, als er zum Leiter der großen Bergwerksgesell schaft berufen wurde. Schon als er mit der Tasche in der Hand herumging und Conservenproben in Kaufläden vorzeigte, war er es. Er hatte einfach Director auf sein Thürschild und seine Visitenkarten setzen lassen, und wenn man etwas Näheres über di« Unternehmung wissen wollte, die er leitet«, wurde man belehrt, daß es ein« Conservenfabrik war. Aber die Conservenfabrik lag in einem Dörfchen und sie fand Platz in einer Küche, wo seine Mama und seine Schwester Hering in Blechdosen legten. Die ganze Gesellschaft lacht« über den Heringsdirector, der so elegant war, daß er sich kämmte, wenn er zu einem Souper ging. Oll« feiert« «inen Triumph als Geschichtenerzähler und unter Plauvern und Lachen zog sich der Abend hinaus. Es war Uber ein Uhr, als er endlich heim kam, und da hämmerte sein Kopf ganz schrecklich, so daß er zögerte, ob er einen Brief, der auf dem Nachttischchen neben seinem Bett lag, gleich öffnen sollte. Er betrachtete ihn. Er war nicht mit der Post gekommen, denn er hatte kein« Mark«. Er sah die Handschrift an, aber er»
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