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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.05.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990505022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899050502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899050502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
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Interessant war allerdings auch die gestrige Debatte, an deren Schluffe die Anträge an die um 7 Mitglieder verstärkte GewerbeordnungS-Coinmission ver wiesen wurden, erfreulich aber nicht. Die Freunde und die Gegner der Anträge hatten sich allmählich so in Hitze geredet, daß gestern die Geister viel heftiger auf einander platzten, als man im Interesse einer rein sachlichen Erörterung in der Commission wünschen muß. So redete der wildliberale Abg. Roe ficke den Abg. Frhrn. v. Stumm zum Saale hinaus und dessen reichsparteilicher College v. Kardorff erntete von Herrn Stöcker für die Schmeichelei, ihm traue keine Partei mehr über den Weg, die nicht minder schmeichelhafte Antwort: „Daß Ihre Partei mir nicht traut, das glaube ich. Ich meine aber, daß der Grund dazu nicht in meiner Person liegt, sondern im Charakter derjenigen Herren, die Ihre Partei auSmacken." Daß die Socialdemokratie nicht mit sonderlichem Respect uud sonderlicher Furcht vor bürger lichen Gegnern, die einander beim Streite über die wirksamsten Mittel zur Befreiung der Arbeiterwelt von dem socialdemokratischen Terrorismus mit derartigen Liebenswürdigkeiten traktiren, erfüllt werden kann, liegt auf der Hand. Auch der zwischen den »ationalliberalen Abgg. Hilbeck und Frhr. v. Hehl geführte Meinungsaustausch, wie viel Mitglieder der Fractivn für den Antrag des Letzteren sich erwärmen können und wieviel nicht, wäre am besten unterblieben; man weiß ohnedies, daß die schöne Einmüthigkeit der Fractivn darüber, daß die socialpolitische Reformgesetz gebung nicht slillstehen dürse, in die Brüche geht, wenn eS sich um das Wie und das Tempo der Weiterfübrung handelt. Wäre dieser Meinungsaustausch unterblieben, so hätte sich wohl auch der Abg. v. Hehl nicht versucht gefühlt, sich für seine Person als ausgesprochenen Gegner einer Borlage zum Schutze der Arbeitswilligen (sog. Zuchthausvorlage), gleichviel wie sie anSfalle, zu bekennen und damit eine neue MeinungSdisferenz in der national liberalen Fractivn festzustellen. — AuS der ganzen dreitägigen Debatte ist somit nichts hervorgegangen, als daß für organi satorische Versuche in der Richtung der Hitze'schen Arbeiter kammern eine Mehrheit im Reichstag vorhanden ist, im Uebrigen aber in Bezug auf die socialpolitische Reform arbeit unter den bürgerlichen Parteien und innerhalb derselben eine Verschiedenheit der Meinungen herrscht, die an eine auch nur leidlich erfolgreiche Cemnnssionsberathung der Anträge nickt denken läßt. Man sollte daher in Bezug auf die Einbringung von Iniativanträgeu zu der früheren löblichen Gepflogenheit zurückkehren und mit solchen Anträgen erst hervorlreten, wenn durch FraclionSberathungen und Meinungsaustausch von Fractivn zu Fractivn ein sicherer Anhaltspunkt für die Aussichten der Anträge gewonnen ist. Die neuerdings eingerissene Methode, mit Anträgen loSzu- schießen, sobald nur die nöthige Anzahl von Unterschriften erreicht ist, führt zu nichts als zu unfruchtbaren und gereizten Plenardebatten, weiterer Parteizersplitterung, Ueberhäufung der Commissionen mit zweckloser Arbeit, Zeitverschwenduug, die den Fractionen keine Minute zu innerer Sammlung und gegenseitigem Meinungsaustausch übrig läßt, und zu weiterem Sinken deS Ansehen» der deutschen Volksvertretung. Der (Srohherzog von Bade» hat jüngst in Heidelberg bei der Festlichkeit, die anläßlich des neuen Landgerichts dort stattfand, eine Rede gehalten, die von hoher politischer Be deutung ist. Es erscheint deshalb um so auffallender, daß der Telegraph über jene Rede nichts berichtet hat. Die wichtigste Stelle der Rede hat nach dem „Heidelberger Tageblatt" folgenden Wortlaut: „Sie haben mich", sprach der Großherzog, zum Ober bürgermeister Wilckens gewendet, „zu viel gelobt. Wenn etwas gelungen ist in allen den Dingen, die Sie genannt haben, so ist es gelungen durch das Zusammenwirken mit der Regierung. Sie erwähnten vorhin alles das, was für die Hochschule gethan worden ist. Da freue ich mich, in Gegenwart des Staats ministers (vr. Nokk) sagen zu können, daß sehr viel mit seiner Hilfe, auf seinen Antrag, auf seinen Rath geschehen ist. Es ist mir eine Freude, meine Herren, dies anerkennen und es überhaupt aussprechen zu dürfen, w i e dankbar ich es empfinde und welches Glück es für einen Fürsten ist, gut berathen zu sein." Es liegt auf der Hand, welche Bedeutung diese öffentliche, überaus warme Anerkennung der Wirksamkeit des Staats ministers vr. Nokk für Baden hat. Fortab kann nicht mehr der geringste Zweifel darüber bestehen, daß sie Erklärungen I)r. Nokk's bei den k i r ch e n p o l i t i s ch e n Debatten im badischen Landtage die rückhaltlose Zustimmung des Groß herzogs gefunden haben. Die Frage, ob Baden demnächst mit katholischen Orden beglückt werden soll, ist hiermit in verneinen dem Sinne entschieden. Der Ansturm der badischen Ultra montanen, der nicht nur von Demokraten und Socialdemokraten, sondern leider auch von den badischen Conseroativen lebhaft unterstützt wurde, ist wieder einmal abgeschlagen. Im Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen fällt die Vertrauens kundgebung des Großherzogs für Or. Nokk schiver ins Gewicht. Die Rede des Großherzogs ist aber auch für das ganze Reich von nicht geringem politischem Interesse. Denn der Groß- Herzog hat die Stellung des Ministers zum Fürsten ebenso klar wie entschieden in dem Sinne umschrieben, der dem modernen constitutionellen Empfinden durchaus ent spricht. Mit Recht hat man es zu den am schwersten wiegenden Nachtheilen der Kanzlerschaft des Grafen Caprivi gezählt, daß durch seine Schuld die Bedeutung des verantwort lichen Staatsministeriums in Preußen herabgedrückt worden ist. Auch heute noch werden in dem führenden deutschen Staate bei den verschiedenartigsten Anlässen von verschiedenen Seiten Versuche gemacht, dem verantwortlichen Staatsministerium das ihm zukommende Gewicht gegenüber der Krone zu vermindern. Angesichts dieser Thatsache ist es mit Freuden zu begrüßen, daß der Großherzog von Baden unumwunden und öffentlich dem Minister giebt, was des Ministers ist. Das deutsche Volk weiß, -daß der hochherzige badische Fürst geradeindiesemPuncteinden Bahnen Kaiser Wilhelm's I. wandelt. Bei aller Sympathie, welche wir der deutsche» und deutsch-evangelischen Bewegung in Oesterreich ert- gegenbringen, haben wir stets davor gewarnt, die Antipathie gegen das jetzige Regime in unserem Nachbarreich so weit zu treiben und offen zu documentiren, daß man den Deutschen drüben lauter und lauter zuruft, nicht blos „Los von Rom!", sondern auch „Los von Oesterreich!" Das Bedenk lichste in dieser Beziehung leistet eine in München erschienene Schrift, betitelt: „Oesterreichs Zusammenbruch und Wiederauf bau". Der Verfasser derselben sieht den Zusammenbruch der habsburgischen Monarchie als nahe bevorstehend an uns hält es für die Aufgabe der deutschen Politik, die „kurze Frist" bis zum Eintritt derselben zu benutzen, um die Welt auf eine „Fort setzung des Krieges von 1866", die mit der Einverleibung Cis leithaniens in das brutsche Reich enden würde, vorzubereiten. Ob es einen verständigen Politiker in Deutschland giebt, der das hier bezeichnete Ziel auch nur wünschen möchte, darf man bezweifeln. Dem Verfasser machen die 11 Millionen Slawen, die dies groß« mitteleuropäische Reich aufweisen würde, keine Kopfschmerzen: die ungeheure Uebermacht der Deutschen würde sie einfach nieder halten. Aber hinter diesen Slawen steht Rußland, und die russisch-französische Coalition gegen dies neue Reich der Mitte wäre einfach selbstverständlich. Auf der anderen Seite wäre das deutsche Element in diesem neuen Reich nichts weniger als eine fest geschlossene Einheit. Ein Menschenalter ist verflossen seit der Umwälzung, aus der das heutige deutsche Reich hervor gegangen ist; Niemand wird behaupten, daß seine einzelnen Theile bereits vollständig ineinander verwachsen seien. Und da sollten „in kurzer Zeit" die Deutsch-Oesterreicher sich mit uns zu einer Einheitlichkeit des Fühlens, Denkens und Handelns ver schmelzen, die die Voraussetzung für eine genügende Wider standskraft gegen die unausbleiblichen europäischen Stürme sein würde? Man vergegenwärtige sich nur einmal, wie ein großes wirth-schaftliches und politisches Centrum wie Wien sich in ein Staatswesen mit preußischer Hegemonie fügen würde! Man muß sich schon sehr erhaben fühlen über die Factoren des wirk lichen Lebens, um in solchen Zukunftsträumen schwelgen zu können. Ebenso thöricht ist es, den Zusammenbruch Oesterreichs herbeizuwünschen. Unser Bundesverhältniß zu diesem entspricht den natürlichen Beziehungen und dem gemeinsamen Interesse an der Aufrechterhaltung des europäischen Friedens. Wir müssen ge rade im Gegentheil das Unsrige thun, einen solchen Zusammen bruch zu verhüten. Wir möch:«n schließlich die Warnung wieder holen: man spiele nicht mit dem 'Feuer! Der „Schwäb. Merc." hat vollkommen Recht, wenn er schreibt: In Oesterreich fehlt eS nicht an LeNien, die sich mit etwas ganz Anderem als mit Zu- sammenbruchsgedanten tragen. Es giebt dort Feinde des Drei bundes, die sich nach dem nächsten Thronwechsel eine russisch- ö st erreichisch-französische Coalition mit dem Ziele der Losreißung Südveutschlands erträumen und darin durchgewisse Erscheinungen, nament- lichinBayern.unleug darbe st ärkt werden. Diesen Elementen kommen reichsdeutsche Kundgebungen wie jene Schrift sehr gelegen, um die deutsche Politik zu verdächtigen und für den anzedeuteten Zeitpunkt einen vollständigen Umschwung des bisherigen Verhältnisses zu Deutschland vorzubereiten. Deshalb können Ausschreitungen der politischen Zeichendeuter und Pro- jectemacher, wie die oben gekennzeichneten, auch wenn sie noch so widersinnig sind, nicht scharf genug verurtheilt und zurückge- wiefen werden. Da die Behandlung der Einführung der Schulpflicht in den NictcrlanSc» in der zweiten Kammer vor der Thür steht, giebt sich die oortige katholische Geistlichkeit alle Mühe, einen Adressensturm zu organi- siren. In den Sakristeien der katholischen Kirchen werden Listen aufgelegt, zu deren Unterzeichnung die Gläubigen von der Kanzel herab aufgefordert werden. An manchen Orten, wie z. B. in Utrecht, weigern sich aber die meisten Katholiken, der an sie ge stellten Zumuthung Folge zu geben, indem sie sich dabei auf Nie mand anders, als auf den Papst Leo XIII. selbst berufen, v:r nicht für die materielle, sondern auch für die geistige Entwickelung des Volkes bei jeder Gelegenheit eingetreten sei. Besonders heftig wird von ultramontaner Seite gegen die Fortbildungsschulen ge hetzt, in denen während der Winterabende Unterricht ertheilt wird. Man schildert die angebliche Gefahr für die Sittlichkeit in den schwärzesten Farben, wenn beide Geschlechter des Abends allein, ohne jedwede Aufsicht, nach Hause gehen; wenn aber die katho lischen Geistlichen verlangen, daß di- halbwüchsige Jugend wäh rend der Fastenzeit den Abendgottesdienst besucht, dann fällt natürlich jedes Bedenken weg. Der wahre Grund des erbitterten Widerstandes der Ultramontanen liegt eben in der bekannten Thatsache, daß die Unwissenheit d«r unteren Volksclassen die sicherste Bürgschaft ist, daß sie im unbedingten Gehorsam erhalten werden können, und dann fürchtet man, wohl nicht mit Unrecht, eine Abnahme des Besuches der konfessionellen katholischen Schulen. Es wird aber Alles nichts helfen, die Lehrpflicht wird kommen, gerade so wie die persönliche Dienstpflicht gekommen ist. Gegen das deutsche Protectorat über die deutschen Katholiken im Orient hat im Einverständniß mit dem französischen Consularvertreter in Bagdad der dortige katholisch-unirte Patriarch eine Rede gehalten bei der im November v. I. stattgefundenen Einweihung der neuen syrischen Kathedrale. Die Rede, welche jetzt im „Memorial diplomatique" veröffentlicht wird, lautete an der betreffenden Stelle folgendermaßen: „Mit großer Liebe und lebhaftem Dank erinnern wir uns hier der hohen und edlen französische» Nation, die schon seit Jahr hunderten über die Interesse» der Christen im Orient wacht, dieser edelmiithigen Nation, die zu Zeiten nicht gezögert hat, da- Blut ihrer Kinder zu vergießen und große Opfer zu bringen, tum de« Christen zu Hilfe zu kommen. Wir halten «ns gleichzeitig ver pflichtet, unseren Dank zu richte» an den unter uns anwesenden Vertreter derselben, den Herr» Consul, der sich in so wirk- samer Weise bestrebt, znr Wohlfahrt der Christen von Bagdad beizutrageu. Wir beten für diese berühmte Nation, auf daß der Herr sie befreie sowohl von ihren inneren wie äußeren Feinden, die darauf ausgehen, die Rechte derselben zu zerstören und ihre Ruhe wie ihren Frieden zu bedrohen. Wir bitte» den Herrn, daß er ihr Eintracht verleihe und sie tröste in ihren Schick» salsschlngen. Wir beten für ihr Glück und Gedeihen und erflehe» vom Himmel, daß sie allezeit und mit immer größerer Energie sortsahre, alle Christen des Orient-zu beschützen, zu vertheidige» und zu unterstützen, die die ruhmreichen Borfahren ihrer Sorge an vertraut habe», diese Christen, die sich immer an sie wenden, um Zuflucht und Schutz zu finden." Diese Rede sieht ganz wie bestellte Arbeit auS und be- weist daher nicht viel sür die Stimmung der Katholiken im Orient, speciell in Bagdad. Dem Patriarchen kann eS ganz gleickgiltig sein, und ist eS ihm wohl auch, wer den Schutz der seiner Fürsorge und Aufsicht anvertrauten Christen auS- übt, wenn er nur auSgeübt wird. Frnilletsn. Errungen. 22s Roman von M. Buch Holtz. Nachdruck vrrtolrn. Vollständig unzurechnungsfähig in seiner maßlosen Auf regung, nahm er dann beid« Briefe an sich und stürmte zur Thür hinaus, um zu sehen, ob Stanislaus vielleicht rn seinem Zimmer wäre. Nach einem kurzen hastigen Anklopfen öffnete er die Thür und stand im nächsten Augenblick dem jungen Officiere gegenüber, der ihm mit einem verstörten Gesichte cntgegenblickte. Stanislaus war, nachdem er Greta verlassen, zuerst auf sein Zimmer gegangen und hakte den Brief an den Fürsten geschrie ben, in dem er ihm kurz mittheilte, daß Greta mit seiner Bitte einverstanden sei, aber die Bedingung stellte, ihn erst in acht Tagen zu sehen und natürlich dann auch erst ihre Verlobung zu veröffentlichen. Dann ging er zum Vater hinunter und fand ihn so verändert, ja, so zusehend gealtert, daß sich in seinem guten Herzen nur ein tiefes Mitleid mit dem alten Manne regte. 'Der hilflose, un sichere Blick, den er ihm bei seinem Eintritt zuwarf, ließ ihn jeden Vorwurf, der sich vielleicht sonst über seine Lippen ge drängt hätte, unterdrücken. Schnell auf den Vater zutretend, reichte er ihm seine Hand entgegen und sagte freundlich: „Laß' das Vergangene vergangen sein, Papa! Wir wollen nicht weiter darüber sprechen, denn ich komme, Dir zu sagen, daß die jedenfalls in einem unzurechnungsfähigen Augenblick begangene That still beigelegt werden wird!" Er erzählt« mit schnellen Worten dem still zuhörenden Vater von dem heute erhaltenen Briefe des Fürsten, und daß Greta ein gewilligt habe, den Antrag d«s Fürsten Dietrich anzunehmen. Ein ungläubiges Lächeln flog über Leo von Tarden's Antlitz, dann, als der Sohn schwieg, sagte er müde: „Das hört sich Alles ganz gut an und ich danke Dir, daß Du und Greta, die also doch, trotzdem sie sich stets hoch und theuer verschwor, nichts vom Fürsten wissen zu wollen, nun er Ernst macht, nach der gebotenen Hand —" „Vater, es wurde Greta sehr schwer", unterbrach Stanislaus den Vater, „und nur, da sie keinen anderen Ausweg sah, willigte sie «in." „So? — Also, Du hast ihr natürlich auch schon von Allem erzählt? Das hättest Du nicht thun dürfen, denn, glaube mir, die Idee des Fürsten, Greta heirathen zu wollen, ist Unsinn! Er hat sich in die Leidenschaft zu Greta verrannt und denkt, mit dem Kopfe durch die Wand zu können. Aber, so weit ich seinen Vater kenne, wird der niemals seine Einwilligung zu einer Her rath seines Sohnes mit Greta geben." „Freilich, wenn er erfahren möchte, was sich gestern ereig net hat —" „Wenn er das auch nicht erfährt! Es giebt noch andere Punkte, über die der alte Fürst niemals hinwegsehen wird." „Du meinst, daß Mama nicht von Adel war?" „Ja wohl, ja wohl", entgegnete der alte Herr erregt, „er spare mir. Dir heute Alles aufzählen zu sollen, weshalb ich über zeugt bin, daß es niemals zu einer Hochzeit zwischen Greta und Fürst Dietrich kommen wird. Glaube mir auch so, daß ick mick darin nicht irre." „Das wäre allerdings entsetzlich, denn Greta —" er brach jäh ab, denn er dachte an das d«r Schwester gegebene Ver sprechen, dem Vater nichts von ihrer Verlobung mit Ransau zu erzählen. „Es ist aber anzunehmen", fuhr Leo von Tarden, im Zimmer auf- und niedergehend, fort, „daß der Fürst, wenn rr das ein sieht, auch schweigt. Freilich, mir wäre es gleichgiltig, wenn ec auch Alles an die große Glocke hängen würde. Aber Euret wegen, besonders Deinetwegen, will ich hoffen, daß er es nicht thut. Sich' mich nicht so entsetzt an, Stanislaus, als wenn Du glaubst, ich hätte nicht mehr meinen vollen Verstand beisammen. Ich bin ganz klar. Aber ich bin auf dem Punkte angelangt, auf dem Einem schließlich Alles gleich ist. — Nun wir einmal offen sprechen, will ich Dir auch eingestehen, daß ich keinen Ausweg sehe, mich auf Domnika zu halten. Es ist zu hoch verschuldet und jegliches Geld zum weiteren Betrieb der Wirthschaft fehlt. Ich sehe auf ein verfehltes Leben zurück und auf ein düsteres, sorgenvolles Alter. Aber es findet sich auch wohl für mich ein Platz auf der Welk, um mein Leben bis zu meinem Ende auszu leben; ihm gewaltsam ein Ende zu machen, geht gegen meine An sichten. Es war immer meine Ueberzeugung, daß Jeder die Suppe auseffen muß, die er sich eingebrockt hat, und ich l»abe auch stets danach gehandelt. Ihr, Du und Greta, seid gesund und fähig, Euch allein im Leben vorwärts zu Helsen; ick hoffe, es wird Euch gut gehen und Ihr am Schlüsse Eures Lebens glück licher und befriedigter sein, als ich es bin. Gieb mir Deine Hand, Stanislaus, ^uid laß mich Dir danken, daß Du über mein gestriges, mir heute selbst unbegreiflich vorkommendes Handeln mit so gutem Anstand hinwegsehcn willst, obgleich dabei auch wohl ein gut Theil Egoismus mitspricht. Trage Das, was ich Dir mittheilte, als Mann. Wir wollen sehen, wie sich Alles weiier entwickelt. Es wäre mir weiß Gott angenehm gewesen, den Fürsten zum Schwiegersohn zu bekommen; aber es wird nicht sein. Heut und morgen kommt die Geschichte hier in Domnika auch noch nicht zum Klappen, das hat noch Zeit — vielleicht in zwei bis drei Wochen. — So, und nun verlaß mich, ich werde allein am besten mit meinen unliebsamen Gedanken fertig." Es fröstelte Stanislaus bis ins tiefste Herz bei den kalten Wor-en des Baders. Das Mitleid, das er kurz zuvor mit dem alben Manne empfunden, Hali- ein«m Gefühl der Verachtung Platz gemacht, und nur Vie Rücksicht, daß es eben sein Vairr war, hielt ihn davon ab, ihm in bitteren Worten auf seine lieblose Rebe zu antworten. Er reichte ihm mit kühlem Druck die Hand und wandte sich dann ohne ein weiteres Wort zum Gehen. Als er schon unter der Thür war, ries der Vater noch einmal seinen Namen und gab ihm einen Brief, der für ihn heute früh unter den einge gangenen Postsachen gewesen war. Mit kurzem Dank nahm Stanislaus das ihm entgegenge reichte Blatt und ging in sorgenvollen Gedanken in sein Zimmer hinauf. Er hatte schon ein« ganze Weile am Fenster gestanden, als er sich endlich des Briefes «ntsann. Es war ein feines, stark parfü- mirtcs Bisset, auf dem mit kritzeliger Damenhand seine Adrrss« geschrieben stand. Mit einer müden Gleichgiltigkeit öffnete er «s und las: „Lieber Stanislaus! Ich habe schon gestern Deiner Schwester gesagt, der Du ganz gegen Dein mir gegebenes Versprechen doch von unserer Verlobung erzählt hast, daß ich schon lange mit dem Gedanken umgehe. Dir zu sagen, daß aus unserer Heirath nichts werden kann. Ich bin Dir noch immer ganz gut! Greta habe ich gestern im Aerger gesagt, ich wäre Dir gar nicht mehr gut, das ist aber nicht wahr! Nein, das ist nicht wahr, ich kann Dich gut leiden. Du bist so hübsch und stattlich, unv es rührt mich, daß Du mich so schrecklich gern hast. Aber sieh, zum Heirathen gehört doch mehr. Du bist arm und ich bin nicht reich, und ich mag keine arme Leutmantssrau werden, die am Ende noch die Strümpfe für uns Beide stopfen soll — hu — gräßlich! Aber abgesehen von diesem Grunde, würde besonders Mama es nie zugrbrn, daß ich Dich heirathen dürfte, denn Deine Familie ist doch wenig nett, und Mama sagt, es wäre nicht einmal ein passender Umgang für mich, viel weniger würde sie zugeben, daß ich Dich heirathen kann. Nein, Stany, das geht nicht, sei mir nicht böse, aber ich kann nicht! Mama wünscht, daß ich Fürst Dietrich heirathen soll, und obgleich er viel häßlicher und auch lange nicht so nett ist wie Du, werde ich es thun, denn Greta, die ihm auch sehr gefällt, die wird er doch nicht heirathen. Und nun lebe wohl und werde noch recht glücklich! Es grüßt Dich vielmals Deine Hella." Es war, als wenn das Schicksal Schlag auf Schlag dem jungen Officier Alles nehmen wollte, was ihm das Leben noch vor wenig Stunden schön und lebenswerth gemacht hatte. Die Liebe zu Hella hatte ihm Muth gegeben, das feindliche Schicksal bekämpfen zu wollen. Seine Liebe zu Hella war ihm der strah lende Stern gewesen, den zu erringen er keine Mühe, keine An strengungen gescheut hätte, und noch vor wenigen Minuten, als er das Zimmer wieder betreten, hatte der Gedanke an Hella ihm Trost gegeben und ec die Kraft in sich gefühlt, sie sich trotz Allem zu erringen. Nun er ihr kindisches Billet gelesen, war es, als ob plötzlich eine Saite in seinem Innern riß, die nie wieder erklingen würde. Ein Beben ging durch seinen jungen, starken Körper, das von der in seiner Brust tobenden Erregung zeugte, als er äußerlich ruhig die rosa mit Goldschnitt geränderte Karte in hundert kleine Stück chen zerriß. Richt einLaut kam überfeine Lippen. Unheimlich ruhig war sein von Schmerz förmlich erstarrtrs Gesicht, das er jetzt Heinz Ransau, dessen Klopfen er überhört hatte, zuwandte. Heinz, der das verstörte Aussehen Stanislaus für den Aus druck seines schlechten Gewissens nahm, trat dicht an ihn heran und sagt«, ihm den gefundenen Brief des Fürsten zufchlrudcrnL: „Da ist der Brief, den mich ein Zufall finden ließ, und der mir Ausschluß über Ihre ehrlos: Handlung gab, die Sie sich nicht entblöden, durch Zerstörung des Glückes der eigenen Schwester verheimlichen zu wollen!" „Was unterstehen Sie sich?" fuhr Stanislaus auf, „und wie kommen Sie zu meinem Brief?" — „Was ich mich unterstehe? Nun, Ihnen die Wahrheit zu sagen, Herr Kamerad, der Sie keinen Augenblick mehr verdienen, des Königs Rock zu tragen! Und wie ich zu dem Brief kam? Den habe ich an meiner Thür gefunden und ihn später gelesen, nachdem Ihre Schwester aus geheimnißvollen Gründen heute wieder ihr Wort zuriicknabm, das sie mir gestern gegeben. Ja, da habe ich den Bries gelesen, in der sicheren Voraussetzung, die mich auch nicht trog, daß ich durch ihn Alles erfahren würde, was ich wissen wollte. Was wiegt die begangene Indiskretion gegen Ihr ehrloses Handeln, gegen Ihr feiges Stchverbergcn- wollen hinter der Shwest-r zerstörter Gluck, dos mich mit grenzenloser Verachtung gegen Sie erfüllt, wir ich nicht Worte genug finde, dasselbe auszusprechen!"
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