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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.05.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990506018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899050601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899050601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-06
- Monat1899-05
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Morgen-Ausgabe Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. Sonnabend den 6. Mai 1899. Anzeigen-PrelS die 6 gespaltene Peützeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4ge» spalten) bO^H, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schristen laut unserem Preis- verzeickniß. Tabellarischer und Ziffernsay nach höherem Tarif. Auuahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen siud stets an die Expedition zu richten. ttpMcr.TllgMM Anzeiger. Amtsblatt des Hönigtichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuiig 60.—, mrt Postbesörderung 70.—. Bezugs-PreiS U d«e Hauptrxpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten AuS- aavestellen ab geholt: vierteljährlich ^-4.50» vei zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus ^l SSO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliäbrlich 6.—. Direkt« tägliche Kreuzbaudsendung Ms Ausland: monatlich ^4 7.V0. Di» Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. di» Abend-Ausgab« Wochentags um b Uhr. Redaktion und Expedition: Aohannisgafse 8. DirExyrdition ist Wochentags ununterbrochea geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filiale«: Dtt» Klemm'« Sorti». (Alfred Hahn), Uuiversitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche. Katharinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. 228. Wohnung-- uu- LUdungsverhaltnisse -es schwedischen Industriearbeiters. I—. In Stochholm mit seinen außerordentlich hohen Mieths- preisen herrscht in Arbeiterkreisen fortwährend Wohnungsnoth. Billig«, preiswerthe Arbeiterwohnungen wurden durch Fabriken und gemeinnützige Gesellschaften gerade in Stockholm sehr spät aufgeführt. In den Fabrrfftätten Jönköping, Malmö und Gotheftburg sind Humanitäts-Verein« und Großindustrielle der Arbeiterwohnungsfrage schon vor Jahrzehnten näher getreten. In Gothenburg wurden bereits im Jahre 1847 zehn kleine Arbeiterhäustr mit je 4 bis 5 Zimmern und -Küchen gebaut. Die Häuser stehen heut« noch und jetzt bezahlt man darin 14 bis 15 Kronen Monatsmiethe fiir zwei Zimmer mit Küche, 10 bis 11 Kronen für ein Zimmer mit Küche. Ferner hat die Robert- Dickson-Stiftung in Gothenburg, von einer bekannten Gothen burger Capitalistenfamili« im Jahre 1878 ins Leben gerufen, 44 Arbeitshäuser mit zusammen 339 Wohnungen aufführen lassen, worin gegenwärtig rund 1500 Menschen wohnen. 59 Wohnungen davon haben zwei Zimmer mit Küche, 238 1 Zimmer mit Küche und weiter finden sich 241 einzelne Zimmer vor. Der Arbeiter zahlt in den Dickson'schen Häusern 10 bis 14 Kronen monatlich für «in Zimmer mit Küche, 17 bis 20 Kronen für zwei Zimmer und etwa 5 Kronen für 1 Zimmer phn« Küche. Für Gothenburger Verhältnisse sind dies erstaunlich niedrige Miethpreise, denn sonst kostet in Gothenburg «ine Arbeiter wohnung von zwei Zimmern mit Küche 22 bis 30 Kronen und darüber, «ine solche, aus einem Zimmer mit Küche bestehend, 14 bis 18 Kronen und mehr monatlich. Zeitweilig waren aber in Gothenburg die Preise für Ar beiterwohnungen noch höher und dann mußten Hunderte von Arbeiterfamilien in alten feuchten Kasematten, Baracken u. s. w. Monate lang Hausen. In Folge dieser Uebelstände hat auch, die Gotheftburg«r Sparcassr vor längerer Zeit einen Arbeiter-Haus- bauverein begründet. Von den Ersparnissen der Arbeiter, die diese in der Sparkasse niederlegen, wird ihnen ein eigenes kleines Haus gebaut. Den Restbetrag der Baukosten zählen die Arbeiter in ganz klrinen Raten ab. klebrigen- hatten auch die Arbeiter Gothenburgs selber im Jahre 1872 einen Hausbauverein ge gründet („Arbetarnes ByggnadSforening"). Der Verein erbaute bis zum Jahre 1896, wo er sich selber auflöste, 24 Arbeiterhäuser für 144 Familien. Auch dir Betriebsdirection der schwedischen Staatseistnbahnen hat in Gdthenburg und Stockholm zwei Arbeitercäsernen mit billigen Arbeiterwohnungen erbaut. Von Fabrikanten, die für ihr« Arbeiter billige Wohnhäuser aufge- führt haben, müssen in erster Linie di« Eockum'sche Tabakfabrik in Malmö und di« große Husgoarnafabrik in Jönköping er wähnt werden. Im Allgemeinen aber fehlt es, besonders in den großen und größten Städten Schwedens, an gesunden und billigen Arbeiter- wckhnungen außerordentlich. In den kleinen Städten Schwedens wohnt der Arbeiter billiger, da dort die Häuser meist aus Holz aufgeführt und die Bauplätze zu niedrigen Preisen zu haben sind. Trotz des hohen Bruchtheils des Lohnes, den der schwedische Arbeiter in den größeren Städten dem HauSwirthe zahlen muß, ist derselbe sehr leichtlebig, theftweise sogar direkt verschwenderisch. Auf sein Aeußeres verwendet er gern Sorgfalt, er kleidet sich sauber, Sonntags, so wert es die Verhältnisse erlauben, sogar elegant. Seine Amgangsformen sind einnehmend und entgegen kommend. Won Gemüthsanlage ist der Schwede überhaupt heiter, freilich greift er leicht zum Sorgenbrecher, der Flasche. Ungeachtet des hohen Branntweinpreises und der weitgehenden Einschränkung des Spirituosenverkaufs fröhnen recht viele Arbeiter dem Schnapsgenusse, so daß die durch den Alkoholismus hervorgerufEn Nothstände in Schweden augenfälliger sind als bei uns. Für Theater und Concerte interessirt sich der schwedische Industriearbeiter gar nicht. Dagegen tanzt er Sommer und Winter leidenschaftlich und pilgert im Sommer jeden Sonntag früh hinaus auf das Land, wo er dann den ganzen Tag zu bringt. In seiner Bildung steht der schwedische Arbeiter hinter dem norwegischen, noch mehr hinter dem dänischen zurück. Dabei sind die städtischen Volksschulen in Schweden sehr gut, -während in den dünnbevölkerten ländlichen Distrikten sich nicht überall ständige Schulen befinden. Ja, es giebt noch jetzt in vielen Gegenden des nördlichen Schweden nicht einmal feste Schulge bäude auf dem Lande. Dort reist noch heute der Lehrer von Schulbezirk zu ^Schulbezirk. In der Regel hält sich in diesen Gegenden der Lehrer in jedem Schulbezirk 3 bis 4 Monate auf, unterrichtet die Kinder und zieht dann weiter. Es bleiben also sehr häufig die Kinder auf dem Lande 8 bis 9 Monate ohne Schulunterricht. Im Jahre 1886 zählte Schweden 4115 feste Schulen und 1357 'Wanderschulen. Das Fortbildungsschulwesen ist in Schweden so gut wie noch gar nicht entwickelt. Auch die „besseren" und wohlhabenden Klassen in Schweden interessiren sich wenig für die Ausbildung der Arbeiter. Die vor einigen Jähren begründete Gesellschaft „Studentar och arbetare" (Stu denten und Arbeiter), die von jungen Studirenden ins Leben ge rufen wurde, um durch Studenten in Arbeiterkreisen Vorträge halten zu lassen, hat nur eine geringe Anhängerschaft aufzu weisen. Auch in Schweden liegt der innere Zusammenhang zwischen dem Wohnungsel«nd und dem Wirthshausleben auf der Hand. Es ist eine alte Erfahrung, daß die besten Volksschulen nicht nachhaltig wirken können, wenn die in der frühen Jugend ge pflanzten Keime nicht später aus eigener Kraft gepflegt werden können. Und dazu bedarf's einer gemüthlichen Wohnung. Deutsches Reich. Berlin, 5. Mai. (Ein Symptom.) Die „Kölnische VolkSztg." hatte, wie erinnerlich, ein Preisausschreiben für ein „CeutrumSlied" erlassen, das bereits seit einigen Monaten der deutscden Literatur angehört. Das rheinische Centrumsblatt ersuchte spater seine Leser um die Kund gebung ihrer Meinung darüber, welckes der drei von den Preisrichtern „lobend erwähnten" Lieder den Vorzug ver diene und welche drei Lieder unter den sechs, welche die Redaktion der „Kölnischen VolkSztg." noch ausgewahlt batte, die besten seien. Hierauf sind jetzt die Ant worten eingelaufen, deren wichtigste die „Kölnische VolkSztg." abdruckt. Eine davon ist Werth, weiteren Kreisen bekannt zu werden. Sie lautet: „Die veröffentlichten Centrumslieder haben drei Mängel: 1) Dieselben sind viel zu sehr vom Kampfesgeist der Culturkampfsjahre beherrscht und daher für das Volk nicht paffend, besonders nicht für die Jugend, die sich eine solche Zeit nicht vorstellen kann, der aber doch die Zukunft deS CentrumS gehört. 2) Viel zu religiös-fromm. DaS Centrum ist doch keine religiöse Genossenschaft, sondern eine politische Partei. 3) Cs fehlen Gedanken an Kaiser und Reick darin. Das Centrum ist eine durchaus patriotische Partei, der stärkste Thurm für Kaiser und Reich (!). Solche Gedanken ziehen auch die Jugend an." — Ohne mit dem Schreiber des Vorstehenden eingehend darüber zu rechten, weshalb das Centrum der stärkste Thurm für Kaiser und Reich nicht sein kann, wollen wir nur an das alte Wort erinnern: WeS dasHerz voll ist, deS geht derMund Uber! Die Herzen der Bewohner des CentrumS-ParnasseS sind eben voll von Culturkampfgedanken und von kirchlichem Eifer, aber leer an Gedanken für Kaiser und Reich. In welchem Grade die CentrumSbarden deswegen ein treues Spiegelbild der CentrumSpartei sind —, zur Untersuchung dieser Frage erläßt die „Kölnische VolkSztg." vielleicht dem nächst ein neues Preisausschreiben. ---- Berlin, 5. Mai. („Großstädtische Kultur.") Die „Deutsche Tageszt g." hat sich mit Recht seiner Zeit darüber aufgehalten, daß das „Berl. Tagebl." die im Protest Rosengart enthüllten sittlichen Zustände als typisch für die sitt lichen Zustände auf dem Lande überhaupt ausgab. Heute aber macht sich die „Deutsche Tagesztg." selbst einer ähnlichen ten denziösen Uebertreibung und Verallgemeinerung schuldig. Weil gewisse Berliner Blätter auffällig viel Anzeigen von Masseusen und von Gesuchen, betreffend die Unterbringung uneheücher Kinder, sowie zweifelhaft« Heirathsgesuche enthalten, stellt die „Deutsche Tagesztg." die „großstädtische Kultur" als fiir die Jugend besonders verhängnißvoll hin. Sie schließt einer. Leit artikel über dies« großstädtische Kultur mit^. folgendem Satze: „Die Gefahren, die namentlich der Jugend (Studenten, jungen Kaufleuten u. s. w.) drohen, mehren sich; in immer v.elgestal- tigerer Form macht sich das Laster auf dem großstädtischen Pflaster breit, und immer leichter fängt es den Unerfahrenen in seinen Schlingen, so daß man es Eltern nicht verdenken kann, wenn sie Scheu davor haben, ihre Söhne nach Berlin zur Aus bildung zu schicken." — Es fällt uns nicht ein, zu leugnen, daß in der Großstadt der Jugend sittliche Gefahren aller Art drohen. Wogegen wir uns wenden, das ist die geflissentliche Einseitigkeit, die gerade in der Großstadt Gefahren für die Jugend «rblickt, während in Wahrheit solche Gefahren überall vorhanden sind. Wie wenig auch das L a nd di« Jugend vor sittlichen Gefahren zu schützen im Stande ist, das ist am 19. April dieses Jahre- auf der in Eisenach abgehaltenen Nationalconserenz der EvangrlischenJünglings-Vereins-Verbändt Deutschlands aus das Unzweideutigste zugestanden worden. Auf jener Conferenz hielt der Bundesagent Mehmke-Stuttgart einen Vortrag über die Pflege der Jllnglings-Vereinssache auf dem Lande. Er stellte darin fest, daß im Allgemeinen die sitt lichen Gefahren für die Jugend auf dem Lande nicht geringer sind als in der Stadt. Dem entsprechend 'wurde di« nachstehende Resolution angenommen: „Die National-Konferenz erklärt aufs Neue, daß nach den vielfachen Erfahrungen in unseren deutschen Bündnissen di« Einrichtung von ländlichen Verein« ndurchausnöthig und möglich istt Sie richtet daher an die Vorstände der einzelnen Bündnisse die Bitte, der Ausbreitung der Jünglingsvereine auf dem Lande stetig ihr Interesse zuzuwenden. ..." — So viel zur Bekuchtichg der ein seitigen Anklage der großstädtischen Kultur durch tte „Deutsch« Tagesztg.". Was aber ihre Klage über unsittliche Jnstrate an betrifft, so geben wir der „Deutschen Tagesztg." anheim, unter 93. Jahrgang. den Anzeigen der dritten Seite des Beiblattes ihrer gestrigen Mendnummer Musterung zu halten: Sie wird dort etwas finden, was zur Förderung der Sittlichkeit jedenfalls nicht beiträgt. u Berlin, 5. Mai. (Großpolnische Hetzerei.) Den diesseitigen großpolnischen Hetzern wird von ihren galizischen Gesinnungsgenossen auö allen Kräften secundirt. So schreibt bas Lemberger „Slowo PolSkie" anläßlich der letzten Aus weisungen auS Berlin: „Graf Thun kündigte an, er würde für den Fall writerer Ausweisungen österreichischer Bürger den Grundsatz der Gegen- seitigkeit zur Anwendung bringen. Vielleicht wäre »S an- gebracht, die Ankündigung einmal zur That werden zu lassen, nämlich auf die preußischen Ausweisungen mit der Ausweisung der in der Industrie und Laiidwirthschast in Oester reich beschäftigten Ausländer zu antworten. Damit wäre auch gleich- zeitig der Bortheil verbunden, daß für die in Oesterreich Arbeit suchenden Personen neue und einträglichere Stellen olS bisher in verschiedenen Industrie-, Bergwerk- und landwirthschaftlichen An stalten sich eröffnen würden. Vielleicht würden die pol nischen Herren, die auf ihren Gütern Hunderte ver schiedener Ausländer als Fabrikdirectoreu, Förster, Wirth- schaftsinspectoren, Brenner, Brauer u. s. w. beschäftigen, sich zu der patriotischen That emporschwingen, ihnen den Dienst zu kündigen und sie durch aus Preußen auSgewiesene Landsleute zu ersetzen. Dies ist eine Pflicht der Solidarität in National sachen. Wenn unS die Regierung nicht schützt, müssen wir unS selbst schützen. Wir ersuchen alle Freunde, unS genaue Angaben über den Aufenthalt und die Beschäftigung der Ausländer in unserem Lande übersenden zu wollen. Wir werden zur rückhaltlosen An- Wendung de» Grundsatzes der Gegenseitigkeit unermüdlich auffordern. Polen, organisirt euren eigenen Schutz." Setzt man im Vorstehendeu, wie solches der thatsächlichen Wahrheit entspricht, statt „Schutz": „Trutz" und statt „Aus länder": „Deutsche", so erhält man als Quintessenz des Programms der großpolnischen Hetzpropaganda den agressiven Deutscheutrutz, wre er sich immer und überall hervorwagt, wo er glaubt, die» ungestraft riskiren zu können. Für die Vertreter d<S Deurschthum« in den gemischtsprachigen Landes- theilm ist jede derartige Kundgebung aus dem großpolnischen Hetzkager eine Mahnung zu verstärkter Wachsamkeit und zum schärfsten Mißtrauen gegenüber den Bestrebungen von jener Seite, die öffentliche Meinung hinsichtlich deS wahren Cha- rzzvars der Lage zu täuschen. (-) Berit«, 5. Mai. (Telegramm.) Am heutigen Namenstase Her Kaiserin von Rußland fand um 11 Uhr Vormittags großer Gottesdienst in der Capelle der russischen Botschaft statt, dem der Botschafter v. d. Osten-Sacken mit Gemahlin, das gesammte Personal der Botschaft in großer Uniform und zahlreiche hier lebende Ruffen beiwohnten. An den Gottesdienst schloß sich in den Räumen der Botschaft eine Frühstückstafel an, zu welcher auch der Commandeur des 2. Garde-Dragoner-RegimentS, Oberstleutnant v. Mitzlaff, Major v. Loebenstein, sowie ein großer Theil des Officier- corps dieses Regiments geladen waren. Auf dem Botschafter- palaiS Unter den Linden wehte der russische Doppeladler. — Der Magistrat beschloß, bei der Beerdigung Sim so»'S sich durch Bürgermeister Kirschner und zwei Feuilleton» Registrator Schuhe's Glück. Bon Lore Nilgen. Nachdruck verboten. Der Registrator Schulze gehört zu den Menschen, die bei jeder Handlung gewissenhaft nach dem Profit fragen; auch beim Heirathen. Als er seine erste Frau auf einem Hausbesitzerballe kennen lernie, hatte er Vie Jünglingsjahre schon sehr lange hinter sich; ja, auf seinem würdigen Haupte zeigte sich bereits jener blaff« Schein, den die naseweisen Stifte als „Herrn Schulze'S Mond" bezeichneten. Uftd eben di« Entdeckung dieses Umstandes war «S gewesen, die ihn veranlaßt hatte, den Gedanken an eine Heirath, der ihm wiederholt schon aufgetaucht war, nun einmal in nähere Erwägung zu ziehen. Er hatte in seinem Bekanntenkreise Umschau gehalten, doch war da das Weib seiner Wahl nicht «vertreten gewesen. Mehr als ein« leidliche Aussteuer und vielleicht ein paar Hundert Mark in Sparkasseneinlagen hätte die Sache dort nicht abgsworstn. Und der Sinn des Herrn Registrators stand doch nach Höherem! So hatte er sich entschließen müssen, auf dem von Alters her üblichen Weg« vorzugehm. Bald «war es unter den Ballmüttecn der Fleischer- und Bäckerinnung ruchbar geworden, daß Herr Schulz« sich mit Absichten trug, als er sich erkühnt hatte, in den Bereich ihrer Späheraugen zu treten. Wenn aber Eine vielleicht eine stille Hoffnung genährt hatte, so hatte sie sich doch getäuscht. Dem großen Winterfest d«S Hausbesitzervereins war es nämlich Vorbehalten gewesen, Herrn Schulze sein Herz verlieren zu lassen. Da hatte «in zartes, schlankes Ding «S verstanden, die» im Sturm zu «robern. Diese, oder — eine Andere, wenn sie, was ihn allerdings sehr geschmerzt hätte, ohne Vermögen gvwefen wäre! dachte Herr Schulze. Er wich den ganzen Abend nicht von ihrer Seite. Bei sämmtlichon Tänzen war er ihr ritterlicher Partner. Die Pausen wußte er ihr durch ebenso geistreiche wie scherzhafte Gespräche zu verkürzen. Natürlich versäumt« er auch nicht, durch gelegentliche Bemerkungen ihr Veranlassung zu geben, sich über die Vorzüge ihres elterlichen Hause- zu äußern. Und was er so erfuhr, war allerdings geeignet, feine Begeisterung für den kleinen Blondkopf nur noch mehr zu erhöhen. Die Anwesenheit einer jungen Wittwe, der er kürzlich vor gestellt worden war und die ihm dabei mitgethrilt hatte, daß sie am heutigen Abend auch zugegen sein würde, war vergessen. Sein Herz gehörte vorläufig der kleinen Blonden au» der Amalienstraße. Und damit sollte er Glück haben. Anderen Tages besuchte er einen Freund, der eine Stellung am Hypothekenamt bekleidete, und bat ihn, doch gelegentlich ein mal nachzusthen, wie da» Grundstück Amalienstraß« 36 sich renbire, wie hoch es mit Hypotheken belastet sei. Der Freund konnte ihm, da er gerade Zeit hatte, sofort dienen. Wie Musik klang es in in« erwartungsvoll gespitzten Ohren des Registrators, daß auf dem Haus, einem vorzüglichen Zinshaus, nur eine einzige, verhältnißmäßig sehr kleine Hypothek stehe. Also galt jetzt die Losung: „Frisch gewagt, ist halb gewonnen". Am Abend dessekben Tages warf sich Registrator Schulze in Gala. Er erstand in der Markthalle zwei prächtige Boukets und begab sich damit nach der Amalienstraße. Mit Kennerblick mustert« er die stattliche Fassade des Hauses und stieg befriedigt lächelnd die Treppe zum ersten Stockwerk empor. „Ein sehr aufmerksamer Mann, di«ser Herr Schulze", sagte, als er sich verabschiedet hatte, Frau Dünkl zu ihrer Tochter, während sie an den duftenden weißen Rosen roch, die er ihr überreicht hatte. Fräulein Ella rümpfte zwar das Näschen und murmelte etwas, das wi« „Glatze" klang, aber ihre sorgsame Mama brachte ihr nach längerer Rode die Ueberzeugung bei, daß Männer, die die erste stürmische Jugend hint«r sich haben, die besten Ehemänner werden. Sie wußte genau, daß Ella's Freundinnen Lotte und Mariechen sich glücklich schätzen würden, wenn Registrator Schulze sie zur Frau begehrte. „Aber er hatte ja nur Augen für Dich, soviel sich die Beiden auch um ihn be müht haben", bemerkt« zum Schluss« die kluge Frau. Ella lächelte geschmeichelt. — Bald war der Registrator täglicher Gast bei Dünkel's. Kaum ein Tag verging, an welchem er sich der Frau des Hauses nicht irgendwie nützlich machen kannte. Natürlich vernachlässigt« er auch die Tochter nicht, obwohl er, bei der Unsicherheit der Chancen es verschmäht«, ihr Herz durch fortgesetzte Blumenspenden zu erobern. Nach vierwöchiger Belagerung der Festung ging er dann zum Sturme vor. Er trat vor 'den Kommandanten, der durch sein« Frau schon instruirt war und in Folge dessen sofort capitulirt«. Als Herr Dünkel den Registrator von dem Vermög«» seiner zukünftigen Frau in Kenntniß setzte, äußerte letzterer zur Ge nugthuung seiner Schwiegermama in gp«: „Ein Mädchen wie Ella, das unter d«r Leitung einer so vorzüglichen Mutter heran gewachsen ist, würde einen Mann auch ohne alles Verwögen glücklich machen. Ich zum Beispiel habe geglaubt, nur auf eine gediegen« Aussteuer rechnen zu können. Daß Sie, gütigste Mama", wendete er sich an dies«, „daran nichts fehlen lassen, weiß ich; das Uebrige bedarf keiner weiteren Erwähnung." Sir ließ es auch an nichts fehlen, die gütige Mama. Trotz dem Herr Dünkel eifrigst prvtestirte und nachwies, daß die beiden Jüngsten dadurch verkürzt würden, schaffte sie unaufhörlich. Immer fand sie noch etwas Schönes für die neu« Wirtschaft, und was sie nicht fand, das fand sicher der Registrator. Endlich war aber doch Alles tadellos im Stand, und so fand im Wonne monat Mai di« Hochzeit statt. Das junge Weibchen wußte das Glück, Frau Registrator Schulz« zu sein, leider nicht nach Gebühr zu schätzen. Nach kaum einjähriger Ehe sagte sie ihrem Gatten .ftd zugleich der Welt äde, jedoch nicht ohne ihm einen Ersah in Gestalt eines neu geborenen Söhnleins zu hinterlassen. Nun war guter Rath theuer! Mr gemischten Gefühlen be trachtete der trostlose Wittwer den jungen Weltbürger. Das Ergebniß längeren Ueberlegens tmc schließlich, daß «r, erstens Schicklichkeitshalber und zweiten-, weil viele Frauen an dem ganz kleinen Kinde Anstoß neh'/en würden, mindestens ein bis einoinhalb Jahre warten müsse «he er an eine neue Verbindung denken könne. Sollte er sick so lange Zeit von einer Wirth- schaftrrin ausbeuten lassen? Nun und nimmer! Lieber wagte er eine Attacke auf das, na-- dem Tode der ältesten Tochter sehr weich gestimmt« Herz sener Schwiegermama, wenn er auch schon lange nicht mehr U so gutem Ansehen bei ihr stand, wie früher. Sie hatte sij/ inzwischen überzeugt, daß nicht nur Männer, sondern auck Schwiegersöhne sich nach der Hochzeit oft bedeutend verändern. Doch das Marder glückte. In dasselbe Miner, das vor einem Jahr die Tochter ver lassen, zog nun "-er Enkel ein, und Registrator Schulze war ein freier Mann. Ein Jahr war vergangen, als er eines Tages zu feinem Schrecken benerkt«, daß der Mond auf stimm Haupt sacht und unbemerkt einen Hof bekommen hatte. „Nun wird's Zeit", dachte er, holte seine Vrrgnügungsliste hervor und constattrt«, daß der nächste Ball, zu dem er schon eine Einladung erhalten hatte, in vierzehn Tagen stattfand. Etwa acht Wochen später sah man den Registrator im schwarzen Rock, ein in Seidenpapier gehülltts Etwas in der Hand, im Haust des reichen Wurstfabrikanten Hölzel, bei dem er in letzter Zeit häufiger verkehrte, verschwinden. Derselbe nannte «in hübsches, schnippisches Töchterchen sein Eigen. Und seltsam! Der Registrator, der sonst stets längere Zeit in dem gastfreien Haust zu verweilen pflegt«, verließ dasselbe heute sehr bak> wieder und eilte mit wehmüthig hängendem Schnurr bart so schnell von dannen, als ob drei Schwiegermütter ihn verfolgten. Unwillkürlich lenkte «r seine Schritte direct nach der Stammkneipe, denn di« Kehle war ihm trocken geworden und Hunger nagte in seinen E^geweiden. „Hoho!" riefen ihm seine Freunde ubermüthig entgegen, „ganz in Schwarz, Sie gehen wohl aus FreierSfüßen, Schulze?" Er knurrte etwas von „Besuch beim Vorgesetzten", wendete ihnen den Rücken und ließ sich mürrisch an einem der Ncbentische nieder. Lang« hielt indeß der Aerger über diese Niederlage nicht Stand. „Es giebt noch mehr Mädchen", pflegte er zu sagen, wcnn ihn sein« Freunde an sein Fiasko erinnerten, das er ihnen im ersten Schreck verratheu. And Fortuna lächelt« ihm. Er lernte ein nicht mehr ganz junges Mädchen kennen, das nicht abgeneigt schien, Frau Registrator zu werden. Auch der Vater, ein bekannter Häustragent, kam ihm in der liebens würdigsten Weise entgegen, trotzdem er in weiteren Kreisen als ein rechter Geldprotz verrufen war. Wie fühlte sich Registrator Schulz« geschmeichelt, daß ihn der reiche Mann so auffallend bevorzugte. Welch wonnig« Schauer durchrieselten ihn, wenn ihn Herr Krümpler in liebenswürdigster Weist aufforderte, ein Gläschen Wein mit ihm „in seinen vier Pfählen", wie er sein luxuriös ausgestattetrs Privatcomptoir nannt«, zu trinken. Das war hier freilich etwas Anderes als bei Dünkel's. In der Ecke stand groß und massiv ein Geldschrank, und es kam zuweilen vor, daß Herr Krümpler ihm Dies und Jenes zeigte, das der Schrank barg. Wie gebannt hingen dann stets die Augen des Registrators an den verschiedenen Fächern des umfangreichen Möbels. „Hier", sagt« eines Tages Herr Krümpler, auf ein ziemlich gefülltes Fach Deutend, „liegt das Vermögen meiner Bertha. Ich will recht froh sein, wenn ich die Verwaltung einmal los sein werde; aber dem ersten Besten giebt man doch sein einziges Kind nicht. Sie hätte sich ja schon oft verhoirathen können, aber sie will mal keinen Prostsfionisten, sondern einen Beamten oder Lehrer." Das war deutlich. 'Herr Schulz« säumte denn auch nicht lange, sondern machte sich mit dem obligaten Strauß bewaffnet auf den Weg, seine Werbung anzubringen. Bertha sank ihm erröthend in die Arme, und die Mutter sagt- gerührt: „Gott sei Dank, so sehe ich Doch mein Bertchen noch als Braut. Ich hatte schon Angst, daß sie trotz ihres Geldes ein« alte Jungfer werden sollte, denn es hat sich Keiner an sie gewagt; di« Leute haben uns immer für so stolz gehalten." Die Hochtzeit wurd« zum Entzücken des Registrators mit großem Aufwand in Seene gesetzt. Freilich wußte er nich, oaß der alte Krümpler in der Stille des ehelichen Schlafgemacks zu seine Frau geäußert hatte: „Weißt Du, Alt«, ich hätte unsere Bertha dem armseligen Registrator wohl nicht an Lrn Hals geworfen. Aber ein Anderer hätte doch nicht mehr angebissen, sie ist über die jungen Jahre schon zu lange hinaus, und be sonders hübsch war sie nie; sie hat halt Dein Gesicht geerbt." Diese letztere Aeußerung hättr beincche ernstliche Störungen des häuslichen Friedens veranlaßt, wenn nicht die Sorgen um di« bevorstehend« Vermählung ihrer „Einzigen" die Ettern bald wieder versöhnt hätten. Auch Dünkel's waren von ihrem Schwiegersohn, der ihnen mit stimm Erfolg Imponiren wollte, zur Hochzeit geladen worden. Die Feier verlief großartig. Alles ging nach Wunsch Dünkel's ärgerten sich, die Freunde platzten schier vor Neid, und in den Bekanntenkreisen wurde vierzehn Tage fast von nichts Anderem gesprochen, als von Registrator Schulz«'» Glück.
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