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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.05.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189905077
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18990507
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18990507
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-07
- Monat1899-05
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.05.1899
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Größere Echristen laut unserem Preis verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Vxtr«-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung -/t 60.—, mit Postbesörderung ./l 70.—. Iinnahmeschluß für Anzeigen- Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4Uhr Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. a? 23«. Sonntag den 7. Mai 1899. 83. Jahrgang. Aus -er Woche. Da» englisch-russische Ab ko mm en über China oder, wie man vielfach gern hervorhebt, der bloße Notenwechsel über daS interessante Project dürfte den Staatsmännern stärkere- Kopfzerbrechen verursachen, als der Zeitungswelt. Bielleicht entpuppt es sich noch einmal als die folgen reichste der den östlichen Koloß betreffenden diplomatischen Actionen, die seit der von Deutschland mitgemachten Inter vention bei den japanisch-chinesischen Friedensverbandlungen unternommen worben sind. Die Presse hat, was übrigens wohl begreiflich, der Vereinbarung gegenüber hauptsächlich die berühmte Frage: „Wer wird hier betrogen?" ventilirt. Aber wie ehrliche Pferdegeschäfte vorkommen, so giebt es auch politische Abmachungen, bei denen jeder Theil seine Rechnung findet, und daS chinesische gehört wahrscheinlich dazu. Selbst ein deutsches Blatt, das sich im Uebrigen sehr kühl verhalten zu sollen glaubt, schreibt dem „Notenwechsel" die Bedeutung zu, daß England mit ihm daS Princip der Auftheilung Chinas acceptirt habe. Das würde — waS das spätere Aussehen der Land karte betrifft — gewiß sehr viel besagen. Dennoch ist eS erfreulich, daß ein Rufen nach deutschem Zugriffen, nach der Erklärung deS Gebietes des Hoangho-FlusseS als deutsche Einflußsphäre, fast ungebört verhallt ist. Die „Kreuz-Ztg." schrieb dazu sehr verständig: „Ganz abgesehen davon, daß der Hoangho einer der am schwierigsten z« regulirrnden Ströme der Welt ist, so daß viele Hunderte von Millionen nöthig wären, um solch eine Aufgabe in erträglicher Weise zu lösen, halten wir es überhaupt nicht für wünschenswerth, daß wir in absehbarer Zeit über die Grenzen hinausgehen, welche di« bis heute abgeschlossenen Verträge unS sichern. Wir haben in Schantung vollauf zu thun und keinerlei Interesse daran, die Auflösung Chinas zu beschleunigen und die ohnehin erregte Bevölkerung zu einem Ansturm gegen die Fremden zu drängen. Im Gegentheil. Unser Interesse v«rlangt, daß ein Stillstand etutritt und China Zeit gewinnt, sich in die neuen Ordnungen einzuleben, ganz wie wir Zeit brauchen, um unS so weit zu kräftigen, daß wir die gewonnene Position auch gegen Jedermann behaupten können. Der Länderhunger scheint zu einer Krankheit auszuarten, und wir glauben nicht, daß es klug ist, mehr an sich zu reißen, als man zu hallen vermag." Ganz unsere Meinung, was die Territorialfragen angebt. Die Sache hat aber auch ihre wirthschaftliche Seite. England läßt — selbstverständlich nicht für immer und über haupt, aber nach russischer Meinung vorläufig und für China — den Grundsatz der „offenen Thür" fallen und zwar in einem Abkommen mit Rußland, noch dazu in einem Augen blicke, wo trotz des in Frankreich bestellten Dementis eine allgemeine wirthschaftliche Annäherung derbeidengroßenLänder sehr wahrscheinlich ist. Diese Eventualität nimmt die „Kreuz zeitung", die übrigens, wie man gesehen, auch der rein poli tischen Seile der chinesischen Vereinbarung die Beachtung nicht versagt, sehr ernst. Sie meint, „daß eine ernstlich ge meinte Annäherung beider Reiche ganz dazu angethan wäre, gerade im wirthschaftspolitischen Sinne einen Umschwung an zubahnen, der uns in Deutschland keineswegs gleichgiltig lassen könnte; denn zum guten Theil auf unsere Kosten würde er sich zweifellos vollziehen". Auf unsere Kosten, das steht außer Frage, in Europa wie in Asien! AuS diesem Grunde sollte man auch die „feine Ironie", der man sich in Deutschland berühmt hat, weil der Vereinbarung zwischen Rußland und England möglicher weise vor Allem „Geldbedürftigkeit" der erstgenannten Macht zu Grunde liegt, für eine bessere Gelegenheit aufsparen. Die russische Geldbedürftigkeit ist eine sehr ernste Sache für daS Ausland, denn daS Zarenreich borgt nicht wie Spanien oder Griechenland, um AugenblickSnöthen zu begegnen, sondern eS Feuilleton. Die Studentenunruhen in Rußland. Von vr. Otto Schmelzer (Schöneberg). Nachdruck verboten. In Rußland sind die Studentenkrawalle wieder einmal an der Tagesordnung. Seit Jahrzehnten gehören sie zu den stän digen socialen Wintererscheinungen des Zarenreiches; aber nie mals haben sie solche Ausdehnung und solche Schärfe an genommen wie unter der jetzigen Regierung. Der Sommer pflegt gewöhnlich ruhig zu verlaufen, und auch im ersten Theile des Winters finden nur selten Störungen statt. Abber sobald das zweite Studiensemester beginnt, das in Rußland vom 1. Februar bis zum 16. Juni läuft, tauchen die Hetzschriften auf, welche die Bewegung vorbereiten, und wenn dann der 8. Februar, der Stiftungstag der Petersburger Universität, herankommt, so bricht der Putsch aus, und epidemieartig, mit unglaublicher Schnelligkeit verbreitet sich di« Empörung über sämmtliche russische Hochschulen, zeigt fast überall den gleichen Charakter und dauert fast überall die gleiche Zeit, so daß man an dem Bestehen einer Centralleitung, die nach ihrem Ermessen auf- urtd abwiegelt, gar nicht zweifeln kann. Die heimlich abgehaltenen Studentencongresse, an denen sich Vertreter aller Universitäten betheiligen, liefern überdies den ausreichenden Beweis dafür, und obenein giebt da» jetzt auch die Regierung zu, nachdem sie «S bisher immer geleugnet hat. Bis zu diesem Jahre hatte sich nun die Universität Dorpat von den Studenten revolutionen ferngehalten; neueren Nachrichten zufolge ist auch sic jetzt geschloffen worden. Wahrscheinlich haben di« nationalen Studenten, welche die russische Regierung auf ihre Kosten seit Jahren zur Zersetzung des Deutschchums dorthin geschickt hat, die Bewegung mit hinübergetragen. Der eigentliche und innerste Grund der unüberwindlichen Unzufriedenheit der russischen Studentenschaft ist ihre materielle, ihre wirthschaftliche Nolhkage. Nur etwa die Hälfte aller Studenten besitzt nach statistischen Untersuchungen ausreichende Mittel zum Lebensunterhalt. Die andere Hälfte ist auf Sti- nimmt Gelder auf, die mit größtem Eifer und Geschick zu wirthschaftlicher und militärischer Erstarkung verwendet werden. Deshalb ist die Schadenfreude darüber, daß eS nun England „anpumpen" zu können scheint, nicht recht verständlich. Denn die Länder, in denen Rußland Anlehen untergebracht hat, haben keinen Schaden von ihrer Creditgewährung davon getragen. Und wenn Herr Witte, wie nicht zu be zweifeln, anderwärts Anleihen aufnehmen kann, so werden diese Länder wohl Ursache haben, sich der Vortheile, die das Gläubigerverbältniß mit sich brachte, zu erinnern. Die indirecten Nachtheile bleiben bestehen, gleichviel wer der Darleiher ist, denn Eisenbahnen und Kanonen merkt man eS nicht an, von wessen Gelbe sie hergestellt worden sind. Daß der Abschluß der russisch-englischen Vereinbarung ein Anzeichen dafür sei, daß wir — vom deutschen Stand punkt angesehen — diplomatisch in der besten aller Welten leben, wird man also nicht so ohne Weiteres zugeben dürfen. Deshalb scheinen auch die Lobgesänge, die der deutschen Diplomatie täglich zwei Mal als Morgen- und Abendständchen aus vielen Blättern entgegentönen, — verfrüht. Freilich ist eS nicht unerklärlich, daß Excesse abfälliger Kritik, wie sie in einer kleinen Anzahl deutscher Blätter begangen werden, eine Rcaction Hervor rufen. Nur sollte man sich fragen, ob diese Presse nicht lediglich deshalb weithin Gehör findet, weil der andere, größere Theil der Zeitungen sich allzu empfänglich für opti mistische Inspirationen zeigt. Man sicht im denkenden Publicum nicht so ruhig zu und ist namentlich stutzig geworden, seit die sonst mit Vertrauen gelesene Presse mit fabelhafter Geschwindigkeit ihr Urtheil über Transvaal „berichtigt" hat. Nicht nur im Bezug auf das politische Verhalten der deutschen Regierung zur süd afrikanischen Republik; auch deren germanische Bewohner, die zwei Jahre hindurch als treffliche Stammesgenosscn galten, wurden mit einem Male als eine culturfeindliche, nichts nutzige Gesellschaft vorgesührt. Auch die besonders am fünfzigsten Geburtstage des Staatssekretärs v. Bülow veranstaltete Brillant-Beleuchtung deS Standes der Samoafrage kommt der im ungünstigen Sinne übertreibenden Presse zu statten. Am Ende ist hier nicht mehr erreicht, als die — vielleicht nur vorläufige — Suspendirung von Feindseligkeiten Englands und Amerikas, die sich als eine Nichtachtung Deutschlands darstellten. Von einem Entgegenkommen, daS als Genugthuung gedeutet werden könnte, verlautet noch nichts; die provisorische Wiederherstellung eines von anderer Seite in verletzendster Form gestörten 8tatu8 guo ist denn doch nicht der höchste aller denkbaren staatsmännischen Triumphe. Eduard von Simson'S Ableben ist im „Reichs- Anzeiger" in einer Kürze mitgetheilt worden, über die sich Hinterbliebene vortragender Ralbe niemals zu beklagen haben. Es ist unbekannt, wodurch der Verstorbene sich die Ungnade des amtlichen Blattes — denn über dieses hinaus geht, wie der an anderer Stelle mitgetheilte Bericht über die Bei setzung der Leiche beweist, die Ungnade nicht — zu gezogen hat, und weder nothwendig noch auch nützlich, Vermuthungen darüber anzustellcn. Die Presse aller Parteien hat dem in so vieler Hinsicht ausgezeichneten Manne an erkennende Nachrufe gewidmet. Mit einer einzigen Ausnahme allerdings. Man bekam nämlich zu lesen: Als der preußische Conslict auf den Gipfel gelangte, da gehörte Simson zu denen, die ihre dialektischen Künste am eifrigsten gegen BiSmarck benutzten, und noch, als der große Kanzler entlassen worden war, da wurden Gerüchte laut, als habe auch Simson'S Einfluß mitgewirkt an dem unerfreulichen Werke. Zur Beleuchtung dieser Geschichtschreibung zwei Thal- fachen. Fürst Herbert BiSmarck hat der Familie Simson'S sein Beileid ausgedrückt und die von dem angeführten Histo- pendien oder Nebenerwerb angewiesen, und der größere Theil hievvon befindet sich in so bitterer Armuth, daß er nicht das Allereinfachste erschwingen kann, was zu des Leides Nahrung und Nothdurft gehört. Man kann sich von dieser Art des Studentenlebens in Westeuropa schwerlich eine Vorstellung machen. Tausende von Werst durchwandern die jungen Leute, wenn sie die Schule beendet haben, um eine Universität zu erreichen. Sie sparen das Reisegeld — wenn sie es überhaupt besessen Haden — und schlagen sich mit der dem Russen eigenen Sorglosigkeit und Entbehrungsfähigkeit von Ort zu Ort bis zu ihrem Ziele durch, wo sie völlig abgerissen eintreffen. Den jenigen, di« gar keine od«r nur ganz gering« Mitt«! haben, stellt sich hier gleich ein Hinderniß entgegen, wenn sie die Hochschule besuchen wollen: die vorgrschrisbene Uniform, die «twa vierzig Rubel kostet. Si« war schon einmal aufgehoben, aber der Schöpfer des neuen Universitätsstatutes, der frühere Minister des Innern, Graf Tolstoi, hat sie wieder eingeführt, viel tveniger aus biSciplinaren Gründen, als weil er thatsächlich in dem Press« der Uniform ein wenn auch noch so unbedeutendes Mittel sah, den Zudrang gänzlich mittelloser Leute zur Universitär zu hemmen. Der Kampf um die Existenz wird dem russischen Studenten sehr schwer, obwohl er keinen Weg unversucht läßt, sich über Wasser zu halten. Die Einen hoffen auf Stipendien, die an russischen Universitäten reichlicher vorhanden sind als an den Hochschulen anderer europäischer Länder. Aber sie sind natürlich immer nur eine Hilfe für Wenige, und ihre Verleihung soll zudem so oft allem Anderen, nur nicht dem Gerechtigkeits gefühl« entsprechen, daß die Stipendiaten dem Hasse ihrer Kommilitonen ausgesetzt sind. Andere suchen durch eigene Arbeit Geld zu verdienen, und di« krass« Noth und daS Elend in sein«r fürchterlichsten Form treibt sie zu Beschäftigungen, die von der wissenschaftlichen Laufbahn weitab liegen. Menschen, di« täglich nur zehn bis zwanzig Pfennig« — das ist ebenfalls statistisch ermittelt — für Essen uisd Trinken auszugsben haben, di« weder Licht noch Heizung zu erschwingen vermögen und ihr Obdach in einem stickigen Winkel haben, hören auf, wählerisch zu sein. Man darf sich nicht wundern, wenn sie ihr tägliches Brod als Fabrikarbeiter, Kutscher, Schaffmr und in Gott weiß welchen Stellungen zu erringen trachten, und man riker gleichfalls mitgetheilte Geschichte von einem im Jahre 1849 Uber Simson geihanen und dessen jüdische Abkunft betreffenden Ausspruch Bismarck's ist aus einer Erzählung gerissen, in der berichtet wird, daß der erste Kanzler 37 Jahre später „freudig" eine Gelegenheit ergriffen habe, Simson „als einen der aus gezeichnetsten, von der reinsten Vaterlandsliebe getragenen Vertreter des nationalen Gedankens, als ein edles Gefäß, in dem stets die lautersten Empfindungen zusammengeströml seien", zu rühmen. Es ist auch bekannt, daß Fürst Bismarck es gewesen, der nicht ohne Mühe Simson zur Uebernahme des Präsidiums deS Reichsgerichts bewogen hat. Das Ergebniß der Reichstagsersatzwahl in Melle- Diepholz ist bereits erörtert worden. Nachzutragen ist, daß die RegicrungSpresse eS entweder gar nicht bespricht, oder den beiden Hauptgesichtspuncten aus dem Wege gebt. Der Rückgang der konservativen Stimmen im ersten Wahl gange ist eine Niederlage, die die in Berlin die Berufung eines Welfen auf den braunschweigischen Thron betreibende Gruppe sich zugezogen hat. Diese Gruppe kann es natürlich dem Centrum nicht verargen, daß es in Melle dircct welsijch gestimmt und dem Candidaten der preußcnfeindlichen Partei in die Stichwahl geholfen hat. Sonst sollte man meinen, müßte dieses Verhallen der Klerikalen Zweifel in die Ver sicherungen der Staats- und Rechtstreue, in denen sich das Centrum zu ergehen beliebt, auch in höheren Kreisen erwecken. Das Schweigen der Regierungspresse deutet aber nicht aus solchen SkepticismuS hin. Der „Vorwärts" hat natürlich den üblichen weihrauch spendenden Hosbericht über die „Maifeier" auch in diesem Jahre gebracht. Von den Aussperrungen, die die Arbeit geber über die Maistreiker verhängt haben, macht das Central organ aber, gegen seine sonstige Gewohnheit, sehr wenig Auf hebens. Sein hauptsächlichster Beweggrund dürfte aus der Thatsache gefolgert werden, daß sich für die Ausgesperrten und die wegen einer temporären Aussperrung zum förmlichen Ausstand Uebergegangenen fast allerwärts sehr leicht Ersatz findet. Die Arbeiter und selbst die „Genossen" verargen eS den Unternehmern auch nicht, daß sie sich der Zumuthuug, einem Decret eines inter nationalen Socialistcncongresses Folge zu leisten, nicht fügen. Im Ausland« ist es nicht anders und die ganze Maiposse dieses IahreS verdiente keine Erwähnung, wenn sie nicht in Warschau den Anstoß zu einer von nationalpolnischer Bei mischung nicht freien Demonstration geboten und nicht, wie die jüngsten Stubentenuuruhen in derselben Stadt, nach längerer Zeit wieder daran erinnert hätte, daß auch Ruß land noch der polnischen Propaganda Aufmerksamkeit zu schenken hat. Deutsches Reich. /?. Berlin, 6. Mai. <Schulfeste undSchulunter- r i ch t.) In den gestrigen Abendblättern wird eine Entscheidung des Kammergerichts mitgetheilt, von der wir wünschen Müssen, daß sie eine Aenderung der einschlägigen Bestimmungen zur Folge habe. Das Kammergericht ist nämlich einem Urtheil eines Schöffengerichts und einer Strafkammer beigetreten, die angenommen hatten, daß Schulfeste nicht zum Schul unterricht gehören, und deshalb eine Anzahl Personen für straflos erklärt hatten, deren Kinder von einem Schulfest fern geblieben waren. Vergegenwärtigt man sich die Con sequenzen, die aus dieser Kammergerichtsentscheidung gezogen werden können, so überzeugt man sich leicht, daß Maßnahmen getroffen werden müssen, um der Wiederholung der fraglichen Gerichtsentscheidung vorzubeugen. Letztere setzt, vonder Beeinträchtigung der Schuldisciplin ganz a b- gesehen,Sociald«mokraten und Polen in den Stand, ihre Kinder von Schulfeierlichteiten, kann Denen die Anerkennung nicht versagen, die unter solchen unerhörten Opfern die Hoffnung nicht aufgeben, sich doch noch einmal für die Wissenschaft retten zu können. Dieser Magenfrage steht di« Regierung macht- und rathlos gegenüber. Sie hat viel mehr zur Abhilfe gethan, als selbst in Rußland verständige Leute glauben wollten. Aber mit der größeren Hilfe haben sich die Ansprüche gesteigert, gesteigert bis ins Maßlose. In den revolutionären Studcntenzcitungen ist hundertmal di« Forderung erhoben, die Regierung solle für jeden bedürftigen Studenten sorgen, also den ganz unterhalten, der gar nichts besitzt. Das ist ein offenbares Unding, denn es würde sich em solcher Strom von jungen Leuten auf die Universitäten ergießen, daß ihre Zahl verdoppelt und verdreifacht werden müßte und ein geistiges Proletariat "heranwüchse, für das kein Staat Verwendung hat. Die einzig« Besserung ist von der Beschränkung des UniversitätSbesuches zu erwarten; das weiß dir Regierung auch, ober sie hat bisher kein wirksames Mittel gefunden, sie herbeizuführen. Diese traurigen wirthschaftlichen Verhältnisse haben den russischen Studenten schon lange zum Kampf gegen die Re gierung und ihre Organe gereizt und m ihm ein« Verbitterung erzeugt, die ihn auf abschüssig« politische Bahnen gebracht und ihn zum Feinde der ganzen bestehenden Ordnung, schlechthin zum Revolutionär gemacht hat. Wenn die Regierung die öffent liche Meinung damit trösten will, daß nur eine Minderheit von solchen Gedanken erfaßt sei, so weisen -di« Thatsachen darauf hin, daß diese Minderheit so groß und so mächtig ist, daß ihre Verirrungen die Regierung selbst dauernd zwingen, die Mehrheit mit darunter leiden zu lassen. In Wahrheit geht ein allgemeiner Zug von Widersetzlichkeit durch die ganze russische Studenten schaft, der nur bei den Einen stärker hervortritt als bei den Anderen. Den Wohlhabenden treibt dazu das Joch, unter dem er gemeinsam mit dem Unbemittelten steht: die akademische Unfreiheit, di« man erst mit der Erlangung politischer Freiheit abschüttrln zu können meint. Es ist mit dieser akademischen Unfreiheit d«s russischen Studenten ein eigenes Ding. Man hat es in russischen Re- gierungskreisen längst eingefthen, daß Graf Tolstoi einen groben Fehler beging, als er in seinem Statut die Zügel so scharf die an Kaisers Geburtstag und am Sedan tage veranstaltet werden, fern zu halten. Ge rade von den Polen muß man sich dessen versehen, daß sie eine so schöne Gelegenheit zur Bearbeitung der polnischen Jugend im national-polnischen Sinne nicht ungenützt werden vorübergehen lassen. Zeigt doch die soeben im preußischen Abgeordnetenhaus« eingebrachte Interpellation des Abgeordneten Motty, daß sich die Polen in der Umschmeichelung dec Jugend von der Social demokratie nicht im Geringsten unterscheiden. Redet die Inter pellation der Untersagung des Anwendens körperlicher Siras- mittel das Wort, so werden die Herren Polen, selbstverständlich nur in der humanen Absicht, der „überbürderen" Jugend einen vollkommen freien Tag zu verschaffen, ihre Kinder von der Theilnahme an nationalen Schulfeiern ausschließen. Daß der Staat eine derartige Behandlung seiner Schulanstaltcn sich nicht gefallen lassen darf, liegt auf der Hand. So lange die Schule eine staatliche Veranstaltung ist, muß der Staat darüber wachen, daß nicht staatsfeindliche Einflüsse in den Schulbetrieb ein greifen. Wenn diese staatliche Ueberwachung nach den be stehenden Bestimmungen undurchführbar ist, so müssen sie durch andere ersetzt werden, die der Anfechtung mittels gerichtlicher Urtheile nicht uiuerworfen sind. 0. II. Berlin, 6. Mai. (Postb eiräthe.) Die Handels kammer in Hanau hatte in einer Eingabe an den Staats sekretär des NeichspostamteS die Einsetzung ständiger Post- bcirathe auö den Kreisen der Interessenten bei den einzelnen Postverwaltungsbczirken ähnlich den Eisenbahnbczirksräthcu angeregt. Dieser Antrag war damit begründet, daß eS ebenso wie bei der Eisenbahnverwaltung, die in den Bezirke- eisenbahnrätben und dem Landeseisenbabnrathe bereits ähnliche Organe besitze, auch auf dem Gebiete dcs Post wesens, wo nach Verwaltung, Umfang und Zweck durchaus gleichartige Verhältnisse herrschten, nothwendig sei, eine Behörde ins Leben zu rufen, welche der Ver waltung die Wünsche der Interessenten vermitteln könnte. Mündliche Verhandlungen, die erfahrungsmäßig be friedigendere Ergebnisse lieferten als ein schriftliches Verfahren, würden die Forstverwaltuug zur Berück sichtigung localer Bedürfnisse veranlassen. Die Mehrzahl der Handelskammern hat sich diesem Anträge nicht ange schlossen; die Wiesbadener betont, wenn auch eine Erweite rung deö persönlichen Verkehrs mit den Obcrpostdircctionen wünschenswerth sei, so sei doch zu wenig BerathungSstvsf für die Postbciräthe vorhanden, weil die Tarife und die Betriebs verhältnisse der Post einfacher Natur und die bestehenden Corporationen für Handel, Industrie und Landwirthschast als genügend zur Vertretung der Beschwerden zu erachten seien. Z8 Berlin, 6. Mai. Der Nachtrag zum Reichs haushaltsetat für das Rechnungsjahr 1899 ist, wie schon telegraphisch gemeldet, dem Bundeörath zugegangen. Es werden im Ganzen 8 439 990 gefordert, und zwar 940 866 an fortdauernden Ausgaben, sowie 1 9l1 932 an einmaligen Ausgaben deS ordentlichen und 5 587 192 des außer ordentlichen Etats. — 1 642 250 sind angcsetzt ^u Theuerungözulagen für Unterbeamte. Zur Er läuterung dieser Forderung wird gesagt: „Die Ein- kommenöverbcsserung für Unterbeamte im Etat für 1899 hat noch einer Ergänzung bedurft. Solche Ergänzung ist durch die namentlich in größeren Orten und in den Industriebezirken erschwerte Lebenshaltung, welche sich nicht blos auf die Wohnungöverhältnisse beschränkt, ge boten und nicht in einer Erhöhung deS Wohnungsgeldzuschusses, auch nicht etwa in einer weiteren allgemeinen EinkommenS- erhöbung zu finden. Die Gehaltsaufbesserung muß vielmehr als abgeschlossen gelten. Die Abhilfe soll auf dem Wege einer die Einzelvcrhäitnisse berücksichtigenden Bewilligung widerruf licher und nicht pcusionSfähiger Zulagen erfolgen, bei denen die niedrigst besoldeten Unterbeamten an den betreffenden Orten den Hauptantheil haben werden." Von dem ange- anzog, daß selbst Pobjedonoszew sich dagegen entschied. Aber man weiß auch ganz genau, daß die Wiederherstellung der früheren Gesetze nicht «in Atom an der herrschenden Unzufrieden heit ändern würde, denn vor 1884 gab «s auch schon regelmäßige Studentenrevolten, uno der liberalste Cultusminister, den Ruß land in diesem Jahrhundert gehabt hat, Saburow, erhielt auf einem Festactus als Quittung von einem Studenten eine Ohr feig«, nachdem er in einer Rede freiheitlicheZugeständniss« zugesagt hatte. Es sieht in dieser Hinsicht ganz wirr aus im Kopfe des russischen Studenten, und unter dem waltenden Drucke hat er seine Forderungen so hoch hinaus entwickelt, daß erst ein ganz unabsehbarer politischer Umschwung eintreten müßte, ehe sie nur Halbwegs zu erfüllen wären. Mit der Einführung des Tolstoi'schen Statutes hat sich auch das Verhältniß der Studenten zu ihren Lehrern, das ohnehin kein nahes war, noch verschlechtert. Die Studenten Haden es den Professoren sehr verargt, daß sie ohne Widerstand di: Auto nomie der Universitäten gegen persönliche Vortheile eingetauschi haben. Zudem sink unter den Professoren sehr viele Elemenle, die in Lehre und Wandel gleichmäßig zu wünschen übrig lassen und das wissenschaftliche und sittliche Deficit durch Kriecl^rei und Verdächtigung ihrer besseren Kollegen wetr zu machen pflegen. Die angesehenen und ehrenhaften Lehrer können ihren Eil fluß nicht geltend machen, da sie dann höchsiei.s der Kon spiration mit den Studenten geziehen werden. Der Rector und dir Inspektoren — «ine Einrichtung, die man längst hätte ab- sclaffen sollen, — holen beim geringsten Anlaß sie Polizei, und damit ist die Möglichkeit, in Güte Ruhe zu stiften, verloren. Diese immer wiederkehrcnden Revolten können natürlich auch dann kein vernünftiges Arbeiten auftommen lassen, wenn sie harmloser verlaufen als in den letzten Jahren, wo sie bis zu Straßenkämpfen mit Leichen und Verwundeten geführt haben. Es steht schlecht um di« stubirende Jugend Rußlands, und bislang ist nicht die geringste Aussicht vorhanden, daß eine Besserung der trostlosen Zustände rinkreten könnt«.
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