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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.05.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990508027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899050802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899050802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-08
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So Wünschenswerth es auch im Allgemeinen bei der Ge schäftslage des Reichstags ist, daß neue Gesetzentwürfe während der laufenden Tagung nicht mehr an ibn gelangen, so freudig ist eS doch zu begrüßen, daß der BundeSrath auf wiederholtes Drängen sich ealschlossen hat, dem Hause noch den Entwurf eines Gesetzes wegen Verwendung von Mitteln deS RetchSinvaliVenfondS zu Beihilfen für „nicht anerkannte" Invaliden, sowie für Hinterbliebene der im Kriege Gefallenen oder infolge des Krieges verstorbenen Militärpersonen zugehen lassen. WaS die „nicht anerkannten" Invaliden — nicht anerkannt, weil ihre Invalidität nicht unmittelbar auf Verletzungen im letzten Kriege zurückzuführen sind — betrifft, so gab es deren im Jahre 1897 bereits 23 000; im Anfang dieses IahreS war ihre Zahl 35 367. Gesetzlich waren 1895 für sie 1,8 Millionen Mark auSgeworfen. Daraus wurde ihnen eine jährliche Beihilfe von 120 gewährt; das reichte für etwa 15 000 Mann. Durch die neue Vorlage werden noch 1 680 000 bereit gestellt, um auch den übrigen, soweit sie hilfsbedürftig sind, den gleichen „Ehrensold" gewähren zu können. Für Unterstützung der Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen oder in Folge einer Kriegsverletzung Verstorbenen sind 600 000 bestimmt, von denen 535 165 an Preußen, 33 411 an Bayern, 23 134 an Sachsen, 7633 an Württemberg und 657 an die Marine überwiesen werden sollen. Von der Gesammtsumme entfallen rund52 000-E aufWittwen und Waisen von Officieren, Sani- tätSofsicieren und Heeresbeamlen, 545 000 aus Wittwen von Personen des Soldatenstandes vom Feldwebel abwärts, der Rest von etwa 3000 soll zur Erhöhung schon jetzt gewährter Zuschüsse an Hinterbliebene von Theilnehmern an den Kriegen vor 1870 verwendet werden, welche an den ihre Invalidität bedingenden Leiden gestorben sind. Auch die Beihilfen für Hinterbliebene sind auf Hilfsbedürftige beschränkt, mit Rück sicht besonders auf „die Finanzlage deö Reiches nach einem künftigen Kriege". Daß eine solche Rücksicht ge boten ist, muß anerkannt werden; schwerlich aber läßt eS sich mit dieser Rücksicht rechtfertigen, daß die Bei hilfen für die Waisen sich auf die Kinder von Off! eieren beschränken und Kinder von Soldaten nicht berücksichtigt sind. Mindestens in diesem Punkte wird der Reichstag eine Aenderung herbeizuführen suchen müssen. Daß er die Durch- berathung der Vorlage, die wichtiger ist, als so mancher Initiativantrag, an dessen AuS- und Verunstaltung einige Commissionen sich abquälen, beschleunigen werde, unterliegt wohl keinem Zweifel. Der von dem Haupttheoretiker der Tocialdeniokratie und letzten Schüler von Marx und Engels, I)r. Eduard Bern stein in London, erbrachte Nachweis, daß vie ganzen Voraus setzungen des Erfurter Programms, die Krisen-, Verelendungs und Zusammenbruchstbeorie, sich angesichts der Tbatsachen nicht mehr halten lassen, batte in der socialdemokratischen Presse und Partei eine derartige Verwirrung angerichtet, daß die mehr oder minder principienfesten Chefs der Parteileitung sich immer mehr mit dem Gedanken ver traut machten. Genossen Bernstein nicht zu widerlegen, sondern „fliegen" zu lassen. Genosse Bernstein möchte jedoch nicht „fliegen", sondern am liebsten widerlegt werden; da nun aber die langathmigen und lahmen Entgegnungen der opponirenden Theoretiker einerseits die Schwäche ihrer Position, andererseits aber auch eine wilde Energie ver- F-ttilleton. Errungen. 24 j Roman von M. Buchholtz. Nachdruck »krioten. Während Herr von Tarden sich bemühte, einer unerklärlichen Angst vor einem, seinen Geist marternden grausigen Ereigniß Herr zu werden, fuhr er mit Greta, die wie gebrochen in einer Ecke des Coupes lehnte, K... zu. Stanislaus war der Einzig«, an dem sein kaltes Herz mit 'Liebe hing, so weit er sie zu fühlen überhaupt fähig war. Daß seinen Sohn die That, di« er bis jetzt so leicht genommen, in den Tcv getrieben haben könnte, machte sein Herz in banger Erwartung und qualvoller Angst schlagen. Raffelnd und keuchend flog der Zug durch das winterliche Land, und die schwarzen Rauchwolken, die sich wie dichte, lang«, schwarze Schleier über die verschneiten Felder hinzogen, erschienen ihm wie schwarze Trauergewebe, die sich über den dunkelnden Tag legten. Endlich waren sie in K. und wurden von Wilm, -der auf ihr Kommen mit diesem Zuge sicher gerechnet hatte, auf dem Bahn hofe empfangen. Die Frage, die Leo von Tarden nach dem Befinden des Sohnes aussprechen wollte, unterblieb, als er in Wilm's Gesicht sah, der sich nach einem mit ihm gewechselten Händedruck, der Alles sagte, Greta zuwandte, deren Hand er mit innigem Mitleid an seine Lippen führte und dann auf seinen Arm legte, um sie zu dem bereit stehenden Wagen zu führen. Hier brach Herr von Tarden endlich das unheimlich bange Schweigen mit der müh sam herausgebrachten Frag«: „Wodurch geschah das Unglück?" „Er fiel im Duell!" ES war, als ob diese Antwort die niederdrückend« Angst in Leo von Tarden's Herzen etwas milderte, denn Stanislaus hatte sich also nicht seinetwegen das Leben genommen. DaS ließ ihn freier aufathmen und weiter fragen: „Wer war sein Gegner?" „Ihr jetziger Beamter, Herr Ransau!" Der Ausruf der Uebecraschung von des alten Herrn Lippen wurde übertönt von dem wilden, qualvollen Schrei, der über Greta's Lippen kam, die wie zu einer Bildsäule erstarrt dasaß und über ihre zuckenden Lippen kein Wort brachte. Mit wenig«» Worten erzählt« nun Wilm, was er wußte, und gab Greta d«n Brief, d«n Stanislaus für sie hinterlassen hatte. rathen, zur Deckung der Autorität der Parteiführung und der weiteren Beherrschung der Massen jedes Opfer des Intellekts zu bringen, so lenkt er jetzt in einem „Schluß wort" im Centralorgan ein. Er erhebt nickt mehr die Forderung: „Austragung", sondern stellt die viel vorsichtigere Frage: „Begrenzung oder Ueberbrückung der Gegensätze?" Und er ist für „Ueberbrückung", erstens, weil ein unver söhnlicher Gegensatz nickt da sei, und zweitens, weil bei der reinlichen Scheidung, die bereits vorge schlagen wurde, auch praktisch nichts herauSkomme. „Man glaube doch nickt", so meint er, „daß, wenn man einmal mit dem Reinigen angefangen hat, man damit so leicht zu Ende kommt. Parteien spalten sich nie „reinlich". Kaum daß der Bruch glücklich erfolgt ist, bat jeder Flügel schon wieder seine Rechte und Linke, und da ist denn bald Gelegen heit zu neuen Reinigungen." Nun muß «('gewartet werden, ob sich die geärgerten Parteibäuptlinge durch diese Friedens schalmei beruhigen lassen wollen. Ganz leicht würde es der socialdemokratischen Parteileitung nicht werden, „Genossen" Bernstein abzuschütteln; denn wie eine Zusammenstellung socialdemokratischer Preßstimmen im „Vorwärts" zeigt, findet die Ablehnung der unhaltbaren alten Theorien unter den Genossen weit mehr Zustimmung, als Anfangs an- zunebmen war. Und solche Stimmen fordern bei ihrer Selbst ständigkeit mehr Berücksichtigung als der auf der anderen Seite stehende Chorus, der in blöder Nachbetung die alten Glaubensartikel fortmurmelt und der Parteileitung znruft, die Socialdemokratie „müsse an ihrem Charakter als revo lutionäre Kampfespartei festhalten unv damit auch an ihrer erprobten Taktik". Aber warum sollen sie sich auch nicht vertragen? Im Grunde haben beide Theile Recht, die Apostaten der Theorie und die Apostel der Taktik; die ersten in der Sache, die letzten darin, daß die Socialdemo kratie ihren Charakter behalten muß. Sie muß die Gegen wart in schwärzesten Farben malen; sie muß den Massen für die Zukunft goldene Berge versprechen; sie darf nicht einsehen, daß cs in Wirklichkeit so ganz anders kommt; sie darf nicht Mitarbeiten an der praktischen Besserung der Verhältnisse, an activer Socialpolitik — sonst vertiert sie mit der faScinirenden Wirkung auf die Massen auch deren Stimmen und Parteigroschen. Wer in der Socialdemokratie führen will, muß sich — und wenn eS noch so sehr wider sein besseres Wissen und Gewissen ist — der alten „erprobten" Taktik fügen. Und sie füge» sich, sie werden sich alle fügen, weil sic außerdem alle einen Ministersessel im Hohen Natve der Genossen besitzen wollen, ein führendes Amt, ohne das sie nicht nur bei den Genossen, sondern überhaupt nichts bedeuten. Um diese Herrlichkeit zu retten, kann es wahrlich nicht darauf ankommen, der „Theorie" einige Gewalt anzuthun. Im schlimmsten Fall macht man es wie bei der Agrarfrage; zuerst wird verkleistert, dann läßt man ver sumpfen und betreibt um so betäubender den Kampf gegen Staat und Gesellschaft weiter. Kein Leser Äer Schriften Roseggcr'S wird den steirischen Dichter für einen „Gotteslästerer" halten. Erst der löblichen Ccnsurbehövde war es beschießen, Rosegger zu diesem Epitheton zu verhelfen. Die Ehristusbilver Wereschtschagin's sind bekannt durch die naturalistische, des Heiligenscheins entkleidete Dar stellung. In ähnlicher menschlicher Auffassung zeichnet Rosegger im Aufsätze: „Wie ich mir die Persönlichkeit Jesu denk e", aber durchaus mit Zugrundelegung des Evangeliums, die edle Gestalt Christi. Wie bereits gemeldet wurde, verfiel das betreffende „Heimgarten"-Heft der Beschlagnahme. Auf das hin — ohne in der Lage gewesen zu sein, den Aufsatz Eine erschütternde Scene spielte sich dann am Todtenbette des jungen Officiers ab, und Wilm wußte nicht zu sagen, welch' ein Jammer ihm mehr zu Herzen ging, der des alten Mannes, der wie gebrochen in einen Stuhl gesunken war und über dessen Ge sicht Thräne um Thräne rann, oder der thränenlose Schmerz, mit dem Greta an dem Lager kniete, mit ihren Küssen das geliebte Antlitz und die Hände des Bruders bedeckend. Endlich erhob sie sich auf Wilm's Zureden, um den Brief des Verstorbenen zu lesen und nickte dann, als ob derselbe nur bestätige, was sie ver- muthet hatte, mehrmals mit dem Kopf. Dann reichte sie ihn dem Vater auf dessen Verlangen, und Wilm verließ jetzt leise und rücksichtsvoll das Zimmer. Was sich dann weiter ereignet hatte, wußte er nicht, nur daß Leo von Tarden wie ein Sinnloser ihm nach Verlauf einer Stund« erklärt hatte, er müsse sofort wieder nach Hause, er könne nicht länger bleiben, denn er habe kein Recht, dem Sohne auch nur eine Stunde mehr nah« zu sein! Wilm hatte umsonst versucht, etwas Näheres zu erfahren, und Herrn von Tarden zum Bleiben zu bewegen, er hatte um sonst versucht, Greta zu veranlassen, ihren Vater nicht fortzu lassen, sie hatte ihn nur darauf wie verständnißlos angeblickt und müde den Kopf gesenkt. Diese müde Apathie war geblieben. Sie aß kaum, sie sprach kaum und ließ gleichgiltig Alles um sich her geschehen und schien nur Augen für den tobten Bruder zu haben, von dessen Seite sie sich nicht entfernte. Das Wetter hatte sich wieder aufgeklärt und der letzte Tag d«S alten IJahres war in strahlender Frisch« angebrochen. Still uns kalt war die Luft, kalt der strahlende Sonnenschein und still und kalt das Grab, in das Stanislaus von Tarden heute gebettet werden sollte. Als die Stunde gekommen war, in der man den Sarg schlie ßen mußte, trat Wilm an Greta heran und bat sie, nun von dem Bruder Abschied zu nehmen. Herzzerreißend war ihr thränen- loses Schluchzen, mit dem sie sich über den Bruder beugte, dann führte Wilm sie hinaus und sie ließ es geschehen, denn sie fühlte, daß ihre Kraft zu Ende ging und sie nicht den Anblick der vielen fremden Officiere ertragen können würde, die kamen, um den jungen, allgemein beliebten Officier zum letzten Gang abzu holen. So stand Greta allein in einem Zimmer und sah vom Fenster auf die Straße hinab, wo der unter einer Fülle von Blumen ver schwindende Sarg unter den schwermuthsvollen Klängen deS Chopin'schen Trauermarsche» auf den schwarz behangenen Wagen zur Ruhestatt hinauSfuhr. Dickt hinter dem Sarge wurde sein gesatttkte» Pferd von dem Burschen geführt, der sich mit der zu lesen — fiel eine gewisse Presse in Berserkerwuth über Rosegger, „den „Gotteslästerer" und „Religionsstörer", her. Zur Abwehr veröffentlicht nun der Dichter in der Grazer „Tagespost" folgende Erklärung: „Infolge der jüngsten Confisoation des „.Heimgarten" haben mehrere zelotische Blätter mit cynischer Behaglichkeit Vie Nachricht verbreitet, daß ich ein „Gotteslästerer" und „Religionsstörer" sei. Ich will gegen diese Phantasie von meinen Rechtsmitteln keinen Gebrauch machen, weil man Neligionssachen nicht mit Paragraphen austrägt. Meine ganze Gotteslästerung bestand darin, daß in jener confiscirten Studie auch die edel-menschliche Seite des Gottmenschen zum Ausdrucke kam, und zwar auf Grund der Evangelisten, be sonders des Matthäus. Man muß sich ja beeilen, das Evan gelium zu benutzen, bevor es auf den Index gesetzt wird. Graz, 5. Mai 1899. Peter Rosegger." Als Grund für den Rücktritt dcS französischen Kriegs ministers de Freycinet wird allgemein nicht der Vorfall in der letzten Sitzung der Deputirtenkammer angesehen, man erblickt seinen Anlaß vielmehr in dem Stand der Dreyfus- angelegenbeit vor dem Cassationsbofe. Ein untergeordneter Deputirter zapfte den KriegSminister wegen eines neben sächlichen Zwischenfalles, der Maßregelung eines für Dreyfus eintretenden Professors der Militärschule, an und vor lauter Lärm und Unterbrechungen konnte Freycinet seine Apologie nicht zu Ende halten. Darin lag noch durchaus kein Grund für Freycinet, feine Autorität für verletzt und sich selbst für zu schwach im Kampf mit seinen Gegnern zu erklären. Empfindlichkeit war nie Freycinet's schwache Seite, er hielt gleichmiithig Stand, als es in der Panamasache von allen Richtungen auf ihn einhagelte, auch litt er bei aller Gewandtheit undGlätte in der rednerischen und gesellschaftlichen Form nie an übergroßer Schüchternheit, und eswar bekannt, daß „das weiße Mäuschen" sich nicht so leicht inS Mauseloch jagen ließ. Das also ist eS nicht; waS Freycinet, der noch bis zuletzt den Standpunkt des Generalstabes zu stützen suchte, aus dem Amte treibt, das er diesmal kaum ein halbes Iabr iunegehabt und an das Neigung und Sachkenntniß ihn fesselten, ist die Erkcnntniß der Unmöglichkeit, das, was die Armee von ihm als dem Schutz ibrer „Ehre" fordert, nämlich die Vertuschung von Vergeben, Verbrechen unv Fehlern länger zu vertreten, der Unmöglichkeit, das gebieterisch Klärung heischende Gewissen der Nation in Einklang zu bringen mit dem Gewissen der Generäle, die noch gebieterischer Schweigen fordern, der Unmöglichkeit, eine Lage zu retten, die nicht mehr zu retten ist. Somit ist auch Freycinet ein Opfer des DreyfushandelS geworden. Er ist der achte Kriegsminister, der von Beginn der „Affäre" seinÄmt verläßt. Die Krise im französischen Kriegsministerium scheint sich also zu verewigen. Der Nachfolger Freycinet's ist der bisherige Arbeitsminister Krantz, an dessen Stelle der Senator Monestier tritt. Letzterer gilt für revisionsfreundlich, ersterer als Anhänger Möline'S für einen Gegner der Revision. Man hat also bei dieser unbestimmten Haltung des Ministerpräsidenten, der zwei ganz heterogene Elemente beruft, noch keinen bestimmten Anhalt für die in verschiedenen Blättern ausgesprochene Ansicht, Dupuy sei entschlossen, nach dem Spruch des Cassalionshoses „die Verantwortlichkeiten festzustellen". Allerdings spricht der Rücktritt de Freycinet's für dessen Glauben, daß die compromittirten Generäle nicht mehr zu halten seien, nicht aber dafür, daß Dupuy der gleichen Ansicht ist. Mit Freycinet verschwindet, vielleicht für immer, der letzte Mann, dem die französische Nation aus der Erinnerung an das große Kriegsjabr ein besonderes Vertrauen entgegenbringt. Seine rastlose Thätigkeit als Chef des militärischen Cabinels Hand immer wieder über seine nassen Augen fuhr und das Thier, das mit tief gesenktem Kopse dahinschritt, leise streichelte, als wollte er sagen: ,Mir Beide wissen, was wir an unseren Herrn Leut nant verloren haben!" Dann kam die Ghrencompagnie, dann das Officiercorps und viele Befreundete des stillen Schläfers, der nie wieder mit seinen lachenden Augen in die Welt sehen würde — nie wieder — und die einsame Zuschauerin oben am Fenster sah dem traurigen Zuge uach, so lange ihn ihre Augen sehen konn ten, um dann in die Knie zu sinken und so bitterlich zu schluchzen, als wollten die versiegt erschienenen Thränen nie wieder zu fließen aufhören. 'Und während auf dem Friedhof das Trompetercorps seines Ulanen-Regiments die preußische Eavallerie-Retraite schmetternd in die klare Winterluft hinausblies, an die sich die hehren Klänge des Abendgebetes anschlossen, senkten sie den Sarg des jungen Reitervfficiers hinunter in die Erd«, der trotz seiner Jugend schon müde des Lebens gewesen war. Greta war so tief in ihren Schmerz versunken, daß sie das l«ise Klopfen an ihrer Thüre nicht hörte, ebensowenig das Oeff- nen derselben und die Schritte des Eingetretenen, der sich der noch immer Knieenden jetzt zögernd näherte. „Greta", sagte endlich Heinz Ransau, „Greta, verzeih', aber ich muß Dich sprechen!" Wie von einer Viper gestochen, fuhr die Angeredete in die Höhe und sah ihn mit ihren dunklen Augen, die fast unheimlich groß für das erschreckend schmal geworden« Antlitz erschienen, verstört an, wich dann einen Schritt zurück und sagte leidenschaftlich: „Sie? — Sie? — Was wollen Sie von mir? Ihren Anblick hätten Sie mir ersparen können!" „Greta, nicht so!" rief Ransau und reicht« ihr sein« Hände in angstvoller Sehnsucht nach Verzeihung entgegen. „Sei barm herzig, Greta, und höre mich an; da Du mir alle meine Briefe uneröffnet zurückschicktest, komme ich selbst, denn ich muß Dich sprechen!" „Nein, nein, ich will aber nicht! — ich kann auch nicht! Denn die Liebe, die ich einst empfand, die hat der Mord an meinem Bruder für immer getödtet, und ich hasse den Mörder heute ebenso tief, wie ich ihn einst liebte!" „Greta!" entrang es sich keuchend Ransau's Brust, „Du weißt nicht, was Du sprichst! Dein Schmerz macht Dich ungerecht, und läßt Dir mein« Thal, die ich in gerechter Entrüstung be ging und deren tödtlichen AuSgang ich nicht beabsichtigte, im falschen Lichte erscheinen!" Schneidend lachte das junge Mädchen auf, um dann in bitterem Tone zu fragen: Gambetta's während der zweiten Hälfte des Krieges 1870/71 hat ihm die Dankbarkeit seines Volkes gesichert, obwohl gerade diese seine Thätigkeit die Leiden deS Krieges verlängert hat, ohne Frankreich den geringsten Vortheil eingebracht zu baden. Gleichviel, Freycinet lebt als Vorbild einer großen Pflick:- erfüllung in dem Bewußtsein der Nation, welche in ihm eine der Hauptstützen jener Hoffnung sah, „von welcher inan niemals sprechen, an die man aber stets denken soll". Der neue Kriegsminister Krantz wurde im Jahre 1848 in Dinozv im Vogesen-Departement geboren, war Ingenieur der StaatSmanufacturen und dann Secretair bei den Weltaus stellungen 1878 und 1889 und endlich General-Commissär der französischen Abtbeilung auf der Centenar-Ausstellung von Chicago. Das Kriegssach ist Krantz als Zögling der Leols polz toekmiquo nicht fremd. Außerdem diente er währnd deS Jahres 1870/71 als Leutnant in der Auxiliar-Artillerie. Der neue Kriegsminister gehört der liberal-republikanischen Partei an und steht, wie gesagt, der Revision nicht sympathisch gegenüber. Wie ans dem Haag berichtet wird, dürste der Vorsitz in der Abriistnngscottscrcn; auf Anregung der zunächst berech tigten Niederlande, dem russischen Botschafter Herrn v. Staal übertragen werden. Man nimmt der „Kreuzztg." zufolge eine ungewöhnlich lange Dauer der Conferenz in Aussicht; ja man glaubt, daß die Berathungen der Sectionen allein sechs bis acht Wochen in Anspruch nehmen werden. Auck nach deren Erledigung dürfte, um zunächst zu grund sätzlichen Feststellungen zu gelangen und um Beschluß fassungen über die Einzelsragen vorzubereiten, zur Einsetzung von Permanenzcommissionen geschritten werden. Auf diese Weise hofft man, die für ein ersprießliches Ergebniß erforderliche grundsätzliche Uebereinstimmung, betreffend die einzelnen Fragen, erzielen zu können. Einen Hauptgegenstand der Berathungen dürfte die Frage der Revision der Genfer Convention bilden, in welcher Beziehung von der schwei zerischen Negierung bereits bestimmte Anträge vorbereitet sind. Diese gehen nach Allem, WaS man hört, dahin: 1) daß die Verwundeten für neutral erklärt werden, und die Frage studirt werde, ob in Gefangenschaft gerathene Verwundete nach ihrer Genesung olS Kriegsgefangene zurückzuhalten oder zu repatriiren seien; — 2) daß die Convention auf den Seekrieg aus- zudehnen sei; — 3) daß für die Feststellung der Identität der Todten, Verwundeten und Gefangenen vorgesorgt und jeder mit einer alle Angaben enthaltenden Plaque versehen werde; — 4) daß in allen Ländern den Soldaten die Kcnntniß der Bestimmungen der Genfer Con. ventio» zur Pflicht gemacht werde; — 5) daß von jedem Lande eine besondere Gendarmerie z»r Perlustration der Schlachtfelder und zum Schutze der Verwundeten geschaffen werde; — 6) daß die Frage des Austausches der Gefangenen durch besonders zu er- nennende militärische Commissionen studirt werde; — 7) daß die Ambulanzen, um Ansteckung zu verhüten, in eine bestimmte Ent fernung von den Schlachtfeldern verlegt werden, — und 8) daß die Gesellschaften deS Rothen Kreuzes osficiell anerkannt und daß ihre Organe für unverletzlich erklärt werden. An der Vertretung Italiens bei der FriedenS-Conferenz wird der Ausgang der Ministerkrise, wie immer er aus fallen möge, nichts ändern; sie bleibt dem Botschafter in Wien Grasen Nigra übertragen. Auch heißt eS, baß sich die italienische Regierung mit den Cabinetten der beiden anderen Dreibundstaaten bezüglich eines überein stimmenden Verhaltens auf der FriedenS-Conferenz verständig: habe, und daß die drei Mächte sich rücksichtlich der die Con- „So? — Mein«» Sie? — Nun, worin bestand denn die Schuld, die Stanislaus begangen haben sollte?" — „Daß er «in« ehrlose That beging und über mein und Dein Glück hinweg sie verheimlichen wollte!" »Ja, so glaubten Sie und fragten nicht danach, ob das nicht eine falsch« Vcrmuthung wäre! Stanislaus hat mir Alles mit- getheilt — Alles — auch den unseligen Jrrthum, daß Sie ihn, hören Sie wohl, ihn, statt meines Vaters für de» Schuldigen halten konnten!" „Erbarmen, Greta, das kann nicht sein! Sage, daß das nicht sein kann! Es stand doch so deutlich in dem Brief!" „In dem Briefe stand nur von dem Vergehen eines Herrn von Tarden! Daß Sie meinen Bruder und meinen Vater ver wechselten, daß Sie in sinnloser Heftigkeit ihm die Beleidigung in das Gesicht schleudern konnten, die er zu stolz war, zurückzu- weisen, — daß Sie, trotz Ihrer mir eingestawdenen Liebe den einzigen Bruder mit kalter Hand todtschießen konnten, ihn, der Sie meinetwegen schonte, — das trennt unsere Wege für ewig, und wird mich Ihrer stets nur in Verachtung denken lassen." „Das ist zu viel", stöhnte Ransau, indem er seine Hände vor das Gesicht schlug. „Das ist mehr, als ein Mensch ertragen kann!" So standen sich die beiden Menschen, die vor kurzer Zeit kein größeres Glück als ihren gegenseitigen Besitz gekannt hatten und die ein unseliges Geschick jetzt für immer getrennt, eine Weile wortlos gegenüber, bis endlich Ransau sein erbleichtes Gesicht Greta wieder zuwandte und sagte: „Hab' Erbarmen, schicke mich nicht so fort! Laß mich nicht von Dir gehen, ohne ein Wort der Verzeihung, ohne Hoffnung, daß Du meiner ohne Groll gedenken wirst!" ,/Nie!" sagte Greta und wandte sich von ihm ab. Da lag er zu ihren Füßen und umschlang in leidenschaftlicher Angst ihre Knie und flehte: „Sei nicht so hart! Ich bin ein Mensch, der irrend sehlle und mein Fehlen geschah ans Liebe zu Dir!" Ein Beben ging durch Greta's Körper und ihr Herz schnürte sich in Jammer und angstvoller Liebe zusammen. Noch schwankte sie einen Augenblick, dann aber reichte sie Ransau die Hand und sagte leise: ,So wollen wir in Frieden scheiden. Mag Der richten, der allbarmend die Schuld eines schwachen Menschenherzens mit seinem allgütigen Vaterblick in seinen tiefsten Beweggründen er forscht. Er wird auch mir Kraft geben, mich in das Unvermeid liche zu fügen, und Ihrem Herzen Ruh« und Fassung, um Jbre Schuld zu tragen. Aber unsere Wege trennen sich heute für ewig!
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