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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.05.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990513020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899051302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899051302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-13
- Monat1899-05
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Filialen: Dtta klemm'» Lo.tim. (Alfred Hahn), Uuiversitätsstraße 3 (Paulinuut/. Louis Lösche. katharinrnstr. 14, Part, und König-Platz 7. 2«. Abend-Ausgabe. MpWcr Tagtblall Anzeiger. Äutlsölatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Nottzei-Amtes der Ltadt Leipzig. Sonnabend den 13. Mai 1899. Anzeigen'Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Neelamen unter dem RedactionSstrich (»ge spalten) 50^4, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40/4- Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördrrung »l 60.—, mit Postbefördrrung »l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abrnd-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morge ».Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Deutschland und die Friedensconferenz. Russische Blätter gefallen sich darin, in ihren Lesern die Meinung hervorzurufen, daß Deutschland an dem etwaigen Scheitern der Friedensconferenz die Schuld tragen werde. Jene Blätter geben mit der Verbreitung solcher unwahren Be hauptungen französisch-englischen Einflüste rungen Raum, welche durch die Thatsachen Lügen gestraft werden. Die deutsche Regierung hat von Anfang an Beweist dafür geliefert, daß sie von dem ernsten Willen beseelt ist, so viel an ihr liegt, die Friedens conferenz zu gedeihlichem Ausgang zu führen. Die deutsche Regierung hat den Vorschlag des Kaisers Nicolaus sofort und zuerst angenommen; sie hat während der vorbereitenden Schritte Alles vermieden, was dem Zusammentritt der Conferenz Hinder nisse hätte bereiten können; insbesondere hat sie sich um die Frage der Einladung des Papstes und Transvaals nicht im Geringsten gekümmert; sie hat endlich zu ihrem Hauptbevoll mächtigten im Haag einen so hervorragenden und verdienten Diplomaten, wie es der Botschafter in Paris Graf Münster ist, ernannt. Gerade durch die Wahl dieses Mannes hat sie gezeigt, daß sie der Friedensconferenz dieselbe Bedeutung beimißt wie Rußland, das ebenfalls einen seiner ersten Diplomaten, den Baron von Staal, nach dem Haag entsendet. Nun wissen freilich die französischen Hintermänner der „Nowosti" aus der Ernennung des Professors von Stengel zu einem der deutschen Kommissare Capital zu schlagen, weil Herr von Stengel Gegner der Idee des „ewigen Friedens" ist. Aber einmal ist Professor von Stengel nicht der Hauptvertreter Deutschlands auf der Conferenz, sondern nur ein Commissar, der vielleicht gar nicht in Action tritt und der nach dem Haag delegirt wurde, weil er mit den dort zur Verhandlung gelangen den Fragen sich wissenschaftlich beschäftigt hat. Nimmt man übrigens an Herrn von Stengel als an einem Gegner des „ewigen Friedens" Anstoß, so könnte man das noch mehr an der Ernennung des österreichischen Hauptvertreters nehmen; denn dieser, Graf vonWelsersheimb, ist Minister der Landesvertheidigung und als solcher Abrüstungsgedanken sicher lich nicht mehr geneigt, als ein theoretischer Gegner des „ewigen Friedens". Rechtfertigt die Haltung des amtlichen Deutschlands in keiner Weise den Vorwurf, daß Deutschland die Schuld an dem etwaigen Scheitern der Friedensconferenz treffe, so gilt das Gleiche von dem nicht amtlichen Deutschland. In der deutschen Bevölkerung hat der Vorschlag des Kaisers von Rußland sogar Strömungen hervorgerufen, die über die Ziele der Friedensconferenz noch hinausgehen. Abgesehen von den Kundgebungen der schon be stehenden Friedensgesellschaften, sind in sehr vielen Orten des Reiches besondere Comitßs in der Bildung begriffen und treten theilweise schon mit Aufrufen hervor, welche den Eindruck des Griedensmanifestes getreu widerspiegeln; der Berliner Aufruf z. B. schließt: „Es wäre der schönste Abschluß für das scheidende Jahrhundert, wenn ein allgemeines Friedenswerk die einzelnen Völker dem Banne gegenseitigen Mißtrauens, künstlich genährten Hasses und steter schwergcrüsteter Kampfbereitschaft zu entziehen begänne, wenn ein gemeinsames Friedenswerk die Völker lehrte, daß es für die ganze civilisirte Menschheit hohe und heilige gemeinsame Pflichten giebt, zu deren Erfüllung sie eines gesicherten Friedens bedürfen." Selbst die bürgerlichen Frauen, deren Betheiligung am öffentlichen Leben sonst gering ist, werden in vielen Städten zu Kundgebungen für den Friedensgedanken sich versammeln. Allerdings kann nicht geleugnet werden, daß ungeachtet der wärmsten Sympathien für den Friedensgedanken auch in Deutsch land berechtigte Zweifel daran ausgesprochen worden, ob die Friedensconferenz die erhofften praktischen Ergebnisse haben werde. Es wäre unnatürlich, wollte man gerade in Deutschland solchen Zweifeln sich verschließen. Jahrhunderte hindurch hat Deutschland, weil es die starke Rüstung des nationalen Ein heitsstaates nicht anzulegen vermochte, an seinem blutenden Leibe die Erfahrung gemacht, daß Friedensliebe allein keine Bürgschaft für den Frieden ist. Jahrhunderte hindurch haben Deutschlands Fluren das Kriegstheater abgeben müssen für europäische Kriege. Erst jetzt, da die deutschen Stämme zum nationalen Staate geeint und fähig geworden sind, die volle nationale Wehrkraft auszunützen, erfreut sich Deutschland seit einem Menschenalter eines dauernden und ehrenvollen Friedens. In der Mitte Europas gelegen, die kriegerischste und unruhigste Nation, die Franzosen, zum Nachbar habend, nach der Ent wickelung der Weltgeschichte und nach dem geringen Zusammen hänge, den die deutsche Nation bisher in sich im Vergleich mit anderen Völkern gehegt hat, der Gefahr einer Katastrophe mehr ausgesetzt als irgend eine andere Macht, wuß die öffentliche Meinung in Deutschland über den Erfolg der Friedensconferenz mindestens ebenso skeptisch sein dürfen, wie die öffentliche Meinung in England und in Frankreich. Gerade in diesen Ländern aber, die gegen Angriffskriege durch ihre geo graphische Lage so unvergleichlich gesichert sind, hat man nicht nur die Möglichkeit praktischer Ergebnisse der Friedensconferenz sachlich geleugnet, sondern man hat die ihr zu Grunde liegende Idee mit Spott und Hohn überhäuft. Und nicht genug damit! Französische Blätter würzten ihre satirische Kritik des Friedens manifestes mit niedrigen Anwürfen auf seinen Urheber und mit unsauberen Verdächtigungen seiner erlauchten Gemahlin. Diesen „Heldenthaten" läßt man jetzt intrigante Verdächtigungen Deutschlands folgen. Ilabeant sibi! Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. Mai. Laut Beschluß des Seniorenconvents des Reichstag» soll der Versuch gemacht werden, die Berathung des In- validenversicherungSgesetzeS bis zum nächsten Donners tag zu erledigen. Da nun aber der Gesetzentwurf nicht weniger als 164 Paragraphen umfaßt und von diesen vor gestern und gestern nur die HZ 1—4 und 9 erledigt worden sind, so steht die Hoffnung des Präsidenten, am Donnerstag die Mitglieder des Hauses mit dem befriedigenden Bewußtsein, daö wichtige Gesetz unter Dach und Fach gebracht zu haben, in die Pfingstferien entlassen zu können, auf schwachen Füßen; besonders dann, wenn eS redelustigen Abgeordneten gleich Herrn vr. Oertel beliebt, die Debatte durch Abschweifungen auf fern liegende Gebiete in die Länge zu zieben. Auch die Mittel, mit denen man vorgestern ein beschlußfähiges Haus zu erzielen gewußt hat, sind nicht geeignet, die Aussicht auf eine prompte Durchberathunz der Vorlage zu verbessern. Die »Freis. Ztg." erzählt nämlich Folgendes: Sonderbare Praktiken sind ausgeübt worden, um für die Aufrechterhaltung der angekündigten Tagesordnung (Invaliden versicherung) eine zahlreiche Präsenz des Plenums herbeizuführen. Es wurden am Mittwoch Morgen durch die Reichstagsboten anonyme rothe Zettel ausgetragen mit folgendem Wortlaut: Reichstag. Freisinnige Volkspartei. Es wird auf das Dringendste gebeten, heute beim Beginn der Plenarsitzung um 1 Uhr gefälligst anwesend sein zu wollen, da An träge auf Absetzung des Tagesordnungs-Gegenstandes gestellt werden, um die Sitzung zu vereiteln. Berlin, den 10. Mai 1899. Niemand in der Freisinnigen Volkspartei hat zu einer solchen Aufforderung unter der Firma der Partei Auftrag gegeben. Der Bureaudirector erklärte auf Befragen, die Verantwortung für diese Vertheilung zu übernehmen; die Firma der Partei sei „aus Versehen" hinzugesügt. Die anderen Parteien haben ähnliche Zettel, Iheils mit, theils ohne die Parteisirma erhalten. Die Mitglieder der socialdemokratischen Partei haben solche Zettel nicht erhalten. Es ist wohl vorgekommen, daß der Präsident, ohne Unterschied der Partei und ohne Stellung zu nehmen gegen einen Parteiantrag, Einladungen zur Thcilnahme au einer Sitzung an alle Mitglieder des Reichstages versendet hat. Niemals aber ist dergleichen anonym von einer untergeordneten Stelle und noch dazu in derart partei ischer Weise geschehen unter Benutzung des Apparates des Reichs tagsbureaus. Bringt nun, wie er gewillt zu sein scheint, Herr Eugen Richter diesen Vorgang im Plenum zur Sprache, so wird man kaum unter Zuhilfenahme von Abendsitzungen zum Ab schluß der Berathung vor Pfingsten kommen. Wenn man gleichwohl die Hoffnung noch nicht völlig aufzugeben braucht, so liegt dies daran, daß der Verlauf der gestrigen Sitzung die Abneigung der Mehrheit des HauseS, auf wesentliche Abänderung der CommissionSbeschlüffe sich eiuzulassen, deutlich hat hcrvortreten lassen. So wurde derZ 3a,derdieVersicherungS- pslicht der vorübergehend beschäftigten ausländischen Arbeiter aufhebt, aber nach dem CommissionSvorschlage gleichwohl den Arbeitgeber auch für diese Arbeiter mit seiner Beitrags quote belastet, trotz der vom Abg. Richter unterstützten Opposition der socialdemokratischen Redner unverändert an genommen und von den zu den ZZ 4 und 9 (Feststellung und Beginn der Erwerbsunfähigkeit) gestellten Anträgen gelangte nur der die CommissionSfassung ergänzende des Abg. vr. Lehr, nach dem die Invalidenrente im Falle einer durch Unfall herbeigefübrten Erwerbsunfähigkeit nur insoweit gewährt werden soll, als sie die Unfallrente üb'ersteigt, zur Annahme. Dieses Ergebniß wird vielleicht die Fluth der Abänderungs anträge etwas eindämmen. Zu der Conferenz, die sich in Berlin am 3. Mai mit der Gründung einer intcriiationalc» Bereinigung zur Förderung de» ArbciterschntzcS beschäftigte, waren bekanntlich auch einige socialdemokratische Reichstagsabgeordnete eingeladen worden. Ein Fractionsbeschluß untersagte ihnen jedoch die Theilnahme, weil die „begründete Aussicht" vorliege, man habe mit der Auswahl bestimmter Personen einen Theil der Partei für die bürgerliche Socialreform einfangen wollen. Die Conferenz suchte hierauf dieses „Mißverständniß" zu be seitigen und ließ eine abermalige Einladung ergehen, die aber, wie bereits mitgetheilt, kurz und kühl abgewiesen worden ist. Diese Absage ist für beide Betheiligte bezeichnend und lehrreich. Die socialdemokratische Führung hat damit wieder einmal bekundet, daß sie zum Agitiren da ist, aber nicht zu praktischer Mitarbeit an der Hebung der arbeitenden Classen. Diejenigen Mitglieder des Arbeilerschutzcomitös aber, die ohne eine Theilnahme der Socialdemokratie nicht auskommen zu können glaubten, haben dadurch eine Lehre erhalten, die sie hoffentlich so bald nicht vergessen werden. Nur Schwarm geister, die über die Welt auS Wölkenkuckucksheim ur- theilen, können sich darüber Hinwegtäuschen, wie tief die Kluft zwischen einer ernsten und opferbereiten Socialpolitik und einer lediglich auf Machttendenzen zugespitztcn Agitation ist, die in der Fürsorge für die Handarbeiter nur eine Belästi gung ihrer zukunststaatlichen Theorien sieht. Zn dieser Be ziehung bestehen zwischen socialdemokralischen Abgeordneten nur graduelle Unterschiede. Die Nummer ist je nach Tem perament und Begabung verschieden, der Faden ist derselbe. Darüber haben auch die gegenwärtigen Verhandlungen über daS neue Invalidenversicherungsgesetz ausreichende Be lege erbracht. AuS der Zahl der socialdemokratischen ReichStagSabgeordneten war den Volksbeglückern vom Tem perament des Professors Sombart-Breslau der Abgeordnete Molkenbuhr als der Mann erschienen, dessen Mitarbeit als Vertreter der Socialdemokratie nicht zu entbehren sei. Der Abg. Molkenbuhr aber ist es gewesen, der im Reichstag, obwohl die Invalidennovelle am 19. Januar dem Hause zu gegangen war, das Plenum des Reichstags vom 13. bis 16. Februar beschäftigt hat und dann vom 18. Februar ab unter Mitwirkung von 14 Vertretern der verbündeten Negie rungen in einer Commission von 28 Mitgliedern iu 32 Sitzungen durchbcrathen worden ist, — scrupelloS das Schlag wort münzte, diese Vorlage solle Wohl darum so schnell be handelt werden, weil sie „nur ein Gesetz für arme Leute" sei. Und das hat das Mitglied einer politischen Gruppe gesagt, die bisher alle diese „Gesetze für arme Leute" ab gelehnt hat. Mit solchen Leuten ist ein gemeinsames Wirken zum Schutz der Arbeiter weder national noch international möglich; mit ihnen wirken, hieße auf die socialpolitische Mit arbeit des Staates und der bürgerlichen Parteien verzichten. Darum kann der internationalen Arbeiterschutzconferenz nur dringend der Rath gegeben werden, diesen Theil ihrer Mit arbeiter in verständiger Disciplin zu halten. Den Mitthei lungen der „Socialen Praxis" über die bisherigen Schritte entnehmen wir, in Berichtigung der durch die Blätter ge gangenen Nachrichten über die Conferenz, daß dem proviso rischen Ausschuß, der sich zur Begründung einer deutschen Scction der internationalen Vereinigung gebildet hat, der Abg. Bass er mann nicht angehört. Ein charakteristisches Zeitbild au» Oesterreich bot dieser Tage eine Straße in einem dichtbevölkerten Stadt bezirke von Wien. In dieser Straße hat sich nämlich ein — „Wunder" ereignet und in Hellen Haufen drängte sich die gläubige Bevölkerung an die neue Gnadenstätte. So stürmisch wurden die Andachtsbezeugungen, daß endlich die Polizei sich gcnöthigt sah, zur Aufrechterhaltung des Verkehrs und zur Ver hütung größeren Unfugs mit rauher Hand, das Wunder, „des Glaubens liebstes Kind", hinwegzuräumcn. Ein Schreiner hatte nämlich, als er einen dicken Baumast zersägte, die Ent deckung gemacht, daß die Querschnitte durch eine eigenthümliche Äderung des Holzes das getreue Abbild der heiligen Maria auf wiesen. Die ganze Umgegend wiederhalltc nach wenig Stunden von dem entdeckten wunderbaren Gnadenbilde und bald wäre die Werkstätte des Schreinermeisters zu einer von Wallfahrern überfüllten Capelle geworden. Das Bolk strömte hinzu, warf sick auf die Knie und verrichtete brünstige Gebete. Der Schreinermeister, dessen Gläubigkeit nicht ohne einen industriösen Einschlag ist, stellte neben das zur Verehrung ausgestellte Naturgnadenbild einen recht tiefen Teller auf, der sich auch bald mit den klingenden Opfergaben der wundergläubigen Menge anfllllte und natürlich täglich erneuert wurde. Drei Tage dauerte dieser Spuk, mit welchem mitten im Straßen- gcwirre einer Weltstadt von anderthalb Millionen Einwohnern an der Schwelle des zwanzigsten Jahrhunderts das finsterste Feuilleton. Außer Diensten. 2s Roman von Ernst Wichert. Nachdruck verbct r. Das Röllchen war noch da. Irmgard zog es durch die spitzen Finger. „Wer soll nun entscheiden, wem das gehört?" fragte sie schmollend. ,Mch — wir sagen keinem Menschen davon", rieth Armgard. „Was soll man denken? Es ist ja dummes Zeug." „Es ist gar nicht dummes Zeug", versicherte die Blonde mit komischem Eifer. „Der das geschrieben hat, meint's gewiß ganz ernst. Und es könnte doch sein, daß man einmal aus der Hand schrift -" „Dann aber wollen wir's lieber gleich verbrennen." Arm- gard streckte die Hand danach aus. „Auf keinen Fall. Glaube nur, daraus entwickelt sich noch etwas. Was soll —? Gut, fragen wir den Papa." „Der lacht uns ooch nur aus." „Oder die Mama." „Nein, nein! Sie ist so nervös. Ich getraue mich mit so tiwas nicht zu ihr." „Dann den brummigen Onkel Ccrpitän." „Allenfalls. Brummig ist er übrigens gar nicht, er hat nur so seine Art." „Also dann die Tante Hertha. Sonst wüßte ich wirklich Keinen, der überhaupt möglich wäre." „Ueberlegen wir's noch", schlug Irmgard vor. Sie blickte nach der Uhr, die auf ihrem Tischchen lag. „Gehen wir nun wieder ins Bett?" „Bewahre!" rief Irmgard. „Ich habe mir schon immer ge wünscht, einmal so früh durch einen glücklichen Zufall heraus gebracht zu werden. Wir wollen im Park spazieren gehen." „Oder den Kuhsiall rcvidiren. Ich habe rechte Lust auf ein Glas frische Milch." „Wie Du willst." Die beiden jungen Dämchen zogen sich nun fertig an, nicht ohne noch wiederholt auf die räthselhafte Taubenpost zurückzu kommen, und stiegen dann die im Anbau des Thurmes befind lich- Wendeltreppe hinab, die auf den oberen Flur dieses älteren Schloßflügels auslief. Das Neue, zweistöckige Wohnhaus mit einem von vier Säulen getragenen Vorbau und stattlicher Rampe zur Auffahrt bei feierlichen Gelegenheiten war dem Giebel quer vorgesetzt. In der inneren Ecke befand sich der gewöhnliche Ein gang vom Wirthschaftshof her. Die Gebäude lagen auf einer mäßigen Erhöhung des Erdbodens mitten in Aeckern und Fel dern, die von Pappelalleen durchschnitten waren. Nur gegen über dem neuen Hause zog sich ein Gehölz die sanfte Anhöhe hinan, dem Laufe eines über Steingeröll hinfließenden Baches folgend, erst parkartig von Rasenflächen unterbrochen, dann in dichten Wald übergehend. Am alten Hause hin und um den Thurm herum zeigten sich noch Spuren einer U'mwallung mit Graben, die zu hübschen Gartenanlagen ausgenutzt war. Sie schlossen auch den nach dieser Seite vorspringenden, mit einer Veranda geschmückten Theil des neuen Hauses ein und gingen jenseits in den Park über. Der Horizont war von einer Kette waldiger Hügel begrenzt, die nur an einer Stelle den Ausblick in die weite, gelblich schimmernde, mit Dörfern und Herrensitzen bestellte Ebene gestatteten. Irmgard und Armgard waren Zwillinge, die Töchter und übrigens einzigen Kinder des Jreiherrn Benno von Jttenborn, Besitzers von Horseln und einigen benachbarten Gütern. Sie hatten sich auch früher schon ein paar Mal in den großen Ferien hier besuchsweise einige Wochen aufgehalten, wurden aber erst ganz kürzlich aus der Pension abberufen, um nun dauernd in Horseln zu bleiben, nachdem auch die Eltern aus der nur wenige Meilen entfernten herzoglichen Residenz dahin über- gssiedelt waren. Das hing mit einem merkwürdigen Ereigniß zusammen. Der Freiherr von Jttenborn war seit sechzehn Jahren der allmächtige Minister im Lande gewesen, bald nach dem Tode des alten Her zogs aber ganz Plötzlich, ihm und aller Welt unvermuthet, von dem noch sehr jugendlichen, unter dem Einfluß seiner Mutter handelnden Nachfolger, dem Herzog Erich, seines Dienstes ent lassen worben. Nicht gerade in Ungnade, im Gegentheil in einer Form, die den an den freundschaftlichsten Verkehr seines Fürsten gewöhnten Mann nicht verletzen konnte, aber doch ohne erkennbaren Anlaß. Mochte er auch seinen Unwillen verbergen, so halte er doch die glänzend eingerichtete Amtswohnung in wenigen Tagen geräumt und sich auf seinen Landsitz zurück gezogen. Seine ebenso stolze als schöne Frau, eine geborene Gräfin Westerhagen, begleitete ihn tief empört über den Undank des jungen Herzogs, dessen Hofmeisterin sie in seinen ersten Lebensjahren gewesen war. Nun hatten beide auch den Wunsch gehabt, sich endlich ihrer Töchter zu erfreuen, die sie bei der über reichlichen Inanspruchnahme des Frriherrn durch Staatsgeschäfte und gesellschaftliche Verpflichtungen, sowie der Freifrau im Amte der Oberhofmeisterin der Herzogin in einer Pension besser aufgehoben glaubten als in der Residenz. Das Ehepaar hatte selbst die beiden Fräulein aus der Schweiz abgeholt und nach einer gemeinsamen Rheinreife, die jedoch wegen Unwohlseins der Mama abgekürzt werden mußte, in Schloß Horseln eingeführt, wo sie nun unter der besonderen Aufsicht der Tante Hertha, einer älteren unverheiratheten Schwester ihrer Mutter, bleiben und das Hauswesen kennen lernen sollten. Die Zwillinge waren wenig über siebzehn Jahre alt, ungefähr gleich groß und auch sonst in Figur und Schnitt des Gesicht» einander sehr ähnlich, Irmgard nur etwas voller und von frischeren Farben, Armgard zierlicher und noch feiner profilirt. Das braune und blonde Haar ließen eine Verwechselung nicht leicht zu. Armgard hatte es glatt von der Stirn fort über den Kopf gescheitelt und hinten in einem Knoten zusammengebracht, aus dem sich die Haarspitzen herauskräuselten; auch über den Schläfen waren die kurzen Härchen freigeblieben und geringelt. Irmgard ließ die blonden Wellen anscheinend ganz kunstlos vom Scheitel herab tief an der Stirn hin über die kleinen Ohren nach dem Nacken fluthen, wo sie sich ineinander wälzten, um unter einem Bande von Neuem hervorzuquellen und sich lose üder den schöngeformten Rücken zu ergießen. Sie liebte nichts Feste» am Kopfe und wollte die Frisur, wenn sie sich bei seinen raschen Bewegungen zu sehr verschoben hatte, jeder Zeit durch ein paar rasche Striche mit dem Taschenkämmchen wieder ordnen können. Obschon sie nun Strohhüte von derselben Art und Form trugen, war der Eindruck doch ein ganz verschiedener, denn Armagrd hatte den ihren attf die Stirn hinabgezogen und auf den Haar knoten gestützt, während er bei Irmgard nur nach hinten hin auf dem blonden Gelock zu hängen oder besser zu schweben schien. Und so konnten sie sich auch im Uebrigen gleich kleiden, was ihnen öfters gefiel, ohne daß die Urbereinstimmung allzu merklich wurde, denn die Farben hatten für jede einen besonderen Werth, und dieselbe Spitze oder Schleife schmückte sie auf andere Welse. Bei Armgard war Alles fest, knapp, geschlossen, bei Irmgard lose, bequem, flatternd. Sie hatten auch das untere, in der Höhe der oberen Etage deS alten Hauses liegende Thurmzimmer und ein anstoßendes zu ihrer Verfügung, und hier vollendeten sie ihre Toilette zum Ausgehen. Sie sollten eigentlich in den Neubau einquartiert wer den, wo auch die Eltern wohnten, aber sie hatten gleich dringend um das Thurmzimmer als Schlafraum gebeten, wo sie schon einmal als klein« Mädchen untergebracht gewesen waren, als sie, weil man sie in der Stadt nicht brauchen tonnte, zur Tante nach Horseln geschickt Warrn. Der alt« Thurm mit seinen dicken Mauern, tiefen Fenstern, schmalen, um einen Steinpfeiler ge wundenen Treppen war ihnen so „romantisch" erschienen, an aller hand Rittergeschichten erinnernd, von denen auch die Tante immer einen hübschen Vorrath hatte, und wie schön war die Aussicht von der Höhe hinab über das weite Gefilde und den grünen Hügelkranz! Es erregte bei den Gutsleuten einige Verwunderung, sie schon so früh auf zu sehen, obgleich es für diese selbst nicht mehr gar so früh war. Im Kuhstall hieß es, dir Morgenmilch sei schon nach dem Keller gebracht, und dort fanden sie die Mamsell, wie Emma allgemein genannt wurde, bei dem Kühlapparat beschäftigt. Sie erhielten auf ihre Bitte ein paar große Gläser voll eingeschenkt, auch ein Stück Schwarzbrot, dazu, setzten sich auf die umgc- stülpten Eimer und verzehrten das improvisirte Frühstück mit rechtem Heißhunger. Emma, sicher wenig über zwanzig Jahre alt, konnte mit ihrem runden Gesicht, den immer lachenden dunklen Augen, den Grübchen in den Wangen und den dicken, kranzartig aufgesteckten Zöpfen für eine ländliche Schönheit gelten. Sie fragte artig, wie die gnädigen Fräulein geschlafen und waS für Träume sie gehabt hätten. „Es ist sonderbar", antwortete Irmgard, „uns hat Beiden von einer blauweißen Taube geträumt." „Ach —! das war wohl eine Brieftaube?" „Ja. Wenigstens hat sie ein Zettelchen gebracht. Das konnte aber doch nur für eine von uns bestimmt sein." „So—?" Emma blinzelte forschend mit den munteren Augen. „Darf man denn wissen, was darauf geschrieben stand?" „Nein", sagte Armgard, „es ist zu dumm." „Aber warum nicht?" meinte Irmgard. „Wenn es dumm ist, so hat der Traumgott das zu verantworten." Sie gab der Schwester einen Wink. „Es stand auf dem Zettel: „Der Schön sten Gruß und Kuß"." Emma nickte und kicherte sehr vergnügt. „Und das haben die gnädigen Fräulein beide geträumt?" „Ja, das haben wir geträumt. Und nun wissen wir nicht " Armgard unterbrach sie durch ein rasches Räuspern. „— wo die Taube geblieben ist", fuhr Irmgard fort. „Wir hätten ihr g«rn ein Dankschreiben mitgegeben." „Ich nicht", versicherte Armgard. „Ist nicht unter Ihren Tauben auch eine blauweiße, Mamsell Emma?" erkundigte sich die Blonde. „O — mehr als «ine, gnädiges Fräulein", versicherte da» Mädchen. „Und waren sie letzte Nacht alle zu Hause?"
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