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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.05.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990515024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899051502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899051502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-15
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Abend-Ausgabe Die Morgeu-Au-gab« «scheint n» V«? Nh«, U« Abeud-Au-gab« Wochentags nm b Uhr. Filiale«: Ott» Klemm's Sovti«. (Alfred -ahn), UniversitätSstraße 3 (Paulinum/. Lout« Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und KSatgrplatz 7. Ne-artion «ad Lrpe-Mo«: Johanntsnaffe S. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. riMM. TaMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. BezugS-PreiS tu d« Hauptexpeditio« oder den im Stadt- bezirk und den Bororte» errichteten Aus- aabestellen ab geholt: vierteljährlich ^>4L0, kei zweimaliger täglich« Zustellung in« Hau»^ib.üO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^tl 8.—. Direkte tägliche Ikreuzbandsruduag in« Ausland: monatlich ^l 7.Ü0. Anzeigeu-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter demRedactionSftrich («ge spalten) bO/ij, vor deu Familienaachrichten (6 gespalten) 40^. 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Daö wurde im Senioren-Convent natürlich als absolut unthunlich bezeichnet, eS wurden dort sogar Zweifel geäußert, ob eö möglich sei, auch nur die zweite Berathung deS Gesetze« vor Pfingsten zu beendigen, will sagen, bis Donnerstag ein beschlußfähiges HauS zusammenzuhalten. Insofern durfte der Präsident die Besprechung des Senioren - Convents als „ergebnißlos" be zeichnen. Dagegen brachte eine ihm gewordene Mitthrilung der Regierung Gewißheit darüber, daß der Reichstag, wie schon telegraphisch gemeldet, gegen Ende Juni bis zum Herbst vertagt werden wird. Diese Verständigung deöReichstages scheint nicht Jedermann in den Regierungskreisen zu con- veniren, denn ein Particular-Officiosus bat zu versichern, daß die Vertagung noch keineswegs beschlossene Sache sei. Von dieser Seite wird auch behauptet, die Negierung bestände für die Zeit nach Pfingsten noch auf Erledigung der Postgesetze neben der deS Invalidengesetzes, des NachtragSelatS und eines — noch nicht zugegangencn— provisorischen Handels- ab kommens mit England. Bei den Postgesetzen aber bereitet daS Capitel deS ZeitungStarifS große Schwierigkeiten, und die Bereitwilligkeit der Regierungen, die hier in Aussicht ge- nommenen starken Veränderungen ihrer Vorlage hinzunehnien, steht noch keineswegs fest. Wennschon vertagt werden soll, so empfiehlt eS sich, gerade diese Angelegenheit mit zu ver- taben, und vertagt wird. Letzteres schon wegen deS dringenden Wunsches einiger Bundesregierungen, weitere Be denkzeit zur Stellungnahme gegen den Entwurf eines — leider um diesen Namen gebrachten — Gesetzes zum Schutze Arbeitswilliger zu erlangen. Was die kurze Zeit bis nächsten Donnerstag anlangt, so glauben wir unsererseits, daß der Reichstag bis dahin beschlußfähig bleiben werde. Man wird wohl nicht für die Ermöglichung der zweiten Lesung deS Invalidengesetzes so außerordentliche Anstrengungen gemacht haben wollen, nm den Abschluß leichthin preiszugeben. Es wird erzählt, Gras Ballestrem habe mit seinem Rücktritt vom Präsidium für den Fall gedroht, daß am vergangenen Mittwoch kein be schlußfähiges HauS vorhanden sei. Ist dies richtig, so wird er wohl die „Cabinetsfrage" bis zur Beendigung der zweiten Berathung aufrecht erhalten. Diese ist bisher allerdings sehr langsam fortgeschritten. In der Sitzung vom Sonnabend kam eS sogar aus Anlaß deS — wie wiederholt ge- meldet — mit einer Modifikation angenommenen Antrages, Saisonarbeiter, die nur 12 Wochen im Jahre als Lohn arbeiter beschäftigt sind, auf ihren Wunsch von der Ver sicherungspflicht zu befreien, zu einer allgemeinen Erörterung des Werthes und der Beliebtheit des Versorgungsgesetzes. Es trat dabei die bemerkenswerthe doppelte Thatsache hervor, daß die Conservativen des OstenS — allerdings nur wegen der Altersrenten — der Arbeitervrrsicherung großes Lob spendeten und deshalb den Antrag bedauerten, daß sie aber dennoch für ihn stimmten, weil ihn die „Süddeutschen wollten". Man erkennt daraus, wie viel den Conservativen an der Durchdringung der Vorlage gelegen ist. Die National liberalen bekämpften den Antrag als einen das Prin- cip des Gesetzes durchbrechenden; eS gelang ihnen aber nur, eine Abschwächung durchzusetzen, welche die Befreiung von der Versicherungspflicht verbietet, sobald für einen Arbeiter 100 Wochenbeiträge bezahlt worden sind. Ein Beschluß des Reichstages zu dem folgenden Paragraphen (5) stellt vielleicht die Verabschiedung deS ganzen Gesetzes in Frage, wenigstens hat sich die Negierung mit großer Entschieden heit gegen den angenommenen, ans die Knappschaftscassen gemünzten Centrumüantrag erklärt, wonach besondere Casseneinrichtungen an die Stelle der allgemeinen Ver sicherung nur unter der Voraussetzung treten können, daß bei der Verwaltung der besonderen Cassen die Ver sicherten durch in geheimer Wahl bestellte Vertreter betheilizt sind, und zwar mindestens im Verhältniß ibrer Beiträge zu denen der Arbeitgeber. Die Reichspartei erklärte, nach enk- giltiger Aufnahme dieser Bestimmung gegen das ganze Gesetz stimmen zu wollen. DaS Centrum wird Wohl bei der dritten Lesung von seinem, mit agitatorischen Absichten nicht unvermengten Verlangen abstebcn müssen. Die die Versicherung der Seeleute betreffenden Bestimmungen deS Com- missionsentwurfö wurden von den Sccialdemokraten zu befligen Angriffen auf die SeeberufSgenossenschafl mißbraucht, der eine mit dem Effect, daß dieser Körperschaft, vor Allem ihrer Fürsorge für die Wittwen und Waisen ihrer Versicherten, von allen Seiten daS beste Zcugniß ausgestellt und nach gewiesen wurde, daß ein auch von den Svcialdemokraten beantragter Zusatz unter Umständen den Hinterbliebenen der Seeleute Nachtheile statt Vortheile brächte. Aus der CharfreitagS-Vorlage der preußischen Negierung hatte mit deren Zustimmung die Commission des Herren hauses ein Schaugericht gemacht, so daß Prof. Beyschlag ein Recht hatte, in der Plenarberathung deS Herrenhauses, die am Sonnabend stattfand, auSzurufen: „Dem Gesetz ist jeder praktische, vernünftige Sinn genommen... Sagen Sie da doch lieber offen: Wir wollen den bestehenden Zustand be lassen." Obwohl dieses Urtheil zutraf, stellte der Cardinal- Fürstbischof vr. Kopp die Zustimmung zu jenem CommissionS- beschlusse als weitestes Engegenkommen der „Katholiken" dar. DaS war beinahe eine so gewaltige Leistung, wie eine weitere Darlegung deS Cardinals, die schließlich darauf hinauSlief, daß der Charfreitag durch daS Ruhen der Arbeit von seiner Heiligkeit eigentlich — verlöre. Professor Beyschlag zerstörte daS künstliche kirchenfürstliche Gewebe mit seiner unhaltbaren Gegenüberstellung von „Trauertag" und „Festtag", die es so erscheinen ließ, als ob die „Lustbarkeiten" am Charfreitag, auf die Beyschlag hinzuweisen nicht verfehlte, von Protestanten veranstaltet würden. Der hallische Theologe vermied auch nicht den „Mißton" — er selbst gebrauchte dieses Wort mit wohlangcbrachter Ver spottung der herrschenden Unterwerfungsstimmung —, die Vermuthung auszusprechen, daß da, wo die Vorlage bei den Katholiken Beunruhigung hervorgerufen, dies eine Folge der klerikalen Preßhetzereien sei, eine Annahme, die zur Gewiß heit wird, wenn man erfährt, daß im weitaus größten Tbeil Preußens, ohne die Katholiken zu beunruhigen, das als Vorschrift gilt, was der Regierungsentwurf wollte. Die vom Herrenhause angenommenen CommissionS- vorschläge ändern gar nichts an dem Zustande, der in gewissen Gebieten die Evangelischen hindert, den Char freitag heilig zu halten und diesen Tag, wie Beyschlag sagte, vor geflissentlicher Herabwürdigung und sich selbst vor Be schimpfungen zu bewahren. Nach der Fassung des Herren hauses können die Behörden störende Handlungen verbieten, sie müssen eS aber nicht, und in dem heurigen Preußen werden sie von der Befugniß kaum Gebrauch zu machen wagen. In den Gemeinden mir überwiegender katholischer Bevölkerung dürfen die Behörden WerktagStbätigkeit nicht verbieten, eS sei denn, daß eS sich um öffentlich bemerkbare oder geräuschvolle Arbeit handelt. DaS ist, wie gesagt, weniger, als schon jetzt im größten Tbeile von Preußen Vorschrift ist, und da der Antrag deS Oberbürgermeisters Struckmann, bestehende weitergehende Bestimmungen ausdrücklich als von dem neuen Gesetz unberührt zu bezeichnen, abgelehnt wurde, so ist eS nicht ausgeschlossen, daß der bestehende Zustand in sieben Achteln des preußischen Gebietes verschlechtert wird, ohne im letzten Achtel verbessert zu werden. Daß nirgends am Charfreitag Amtshandlungen und Rechtsgeschäfte vorgenommen werden dürfen, will nicht viel besagen, denn solche Verrichtungen stören jedenfalls weniger als z. B. das möglich bleibende Tnngerfabren. Aber — so wenig daS Gesetz bietet, Cardinal Kopp bat (wie übrigens auch der Reichsbankpräsideiit Koch) schließlich doch gegen dasselbe ge stimmt, weil, entgegen dem von ihm genehmigten CommissionS- beschlüssen, ein Antrag angenommen war, der die Befugniß, störende Arbeit zu verbieten, nicht aus die Nähe von Ge bäuden, die rem Gottesdienst gewidmet sind, beschränkt. Daß Minister Ur. Bosse Beyschlag entgegentrat und wegen seiner ursprünglichen Vorlage nochmals um Verzeihung bat, braucht wohl nicht gesagt zu werden. In der Märznummer seines „Heimgarten" veröffentlicht Peter Rosegger einen Aufsatz „Los von Rom" und schildert darin den Eindruck, den er von einem altkatholischen Gottesdienst in Graz erhalten, wie folgt: „Vor Kurzem trat ich zur Sonutagsfrühe in eine Kirche ein. Es war mitten in der Stadt, aber über der versammelten Ge meinde athmete eine Ruhe und eine Andacht und eine Hin- gebung, wie man sich eine solche Weihestimmung in den Zeiten der ersten Christen denkt. Der Priester im katholischen Ornat trat an den Altar, der mit den sechs still brennenden Kerzen und dem hohen Kreuzbilde geschmückt war. Unter reinem Orgel- klang sang der Chor deutsche Weihelieder. Der Priester las zu dem Meßopfer die Epistel und das Evangelium, aber nicht in einer Sprache, die die Gemeinde nicht verstehen kann, sondern in unserer lieben deutschen Muttersprache. Dann bestieg er die Kanzel und redete milde und liebreich von der christlichen Lehre. Dann trat er wieder an den Altar, um das hochheilige Gedächtnißopfer zu voll- sühren. Es war die allen Katholiken bekannte Messe, aber nicht lateinisch, sondern deutsch. Das Credo deutsch, daS Sanktus deutsch, das Vaterunser deutsch, die Communion deutsch, da« letzte Evangelium deutsch, und in deutscher Ausfassung die Heiligung und Genießling deS Brode« und Weines zum Andenken an den Herrn. Und wie daS so in großer einfacher Feierlichkeit und Inbrunst sich vollzog, da ist mir das erste Mal die ganze Erhabenheit des Meßopfers klar geworden. Ich konnte mit dem Priest« mitdenken, mitbeten, kein kalter, fremder fürs Herz werthloser Laut störte mich, es war meine Zunge, in der der Opfernde zu Gott sprach. Nie noch zuvor war mir meine Muttersprache so innig vorgekommen, nie noch das Meßopfer so göttlich. AlS es vorüber war, schrie etwas in mir auf: Warum ist mir und meinem Alpenvolke nicht gegönnt, daS in unseren Kirchen zu finden?" Rosegger hat sich trotz der Reformbedürftigkeit der römischen Kirche, die er unumwunden anerkennt, noch nicht entschließen können, aus derselben auszutreken. Jedenfalls aber würde er nach dem Eindruck, den er von der „Er habenheit ter deutschen Messe" empfangen hat, sicherlich nicht zn dem in den Augen des Katholiken so nüchternen Pro testantismus, sondern eher zu dem Altkatholicismus gezogen werden, der allen religiösen Bedürfnissen des gläubigen katho lischen GemütheS gereckt wird, ohne IesuitiSmuS und ohne PapismuS. So wie Rosegger geht eS Tausend und Aber tausend Katholiken und deshalb konnte der im Kampf mit dem jesuitischen UltramontaniSmus in der vordersten Reihe stehende Jenaer Kirchenbistoriker Nippold sehr wohl zu dem durchaus diScutirbaren Vorschlag kommen, unter den Deutschen Oesterreichs zunächst für den Uebertritt zum Altkatholicismus zu werben. Würde man die ganze Energie der LoS von Rom- Bewegung nach dieser Richtung hin concentriren, so könnte man viel eher auf Massenübertritte zählen, und auf die kommt eS an. Mit der rnglisch-rusfischcn Ehina-Beratredung scheint eS schon zu hapern und zwar auf beiden Seiten. In Peters burger diplomatischen Kreisen ist man verstimmt darüber, daß die Hauptorgaue der englischen Presse die „unglückliche Ein gebung" gehabt haben, einen großsprecherischen Ton an zuschlagen, der die nationale Eigenliebe in Rußland verletzen mußte und in Petersburg ein gewisses Mißtrauen gegen die Auf- richtigkeitEnglandSinBezugausdaS geschlosseneUebereinkommen zu erwecken geeignet war. Weiter lenkt das Organ des Fürsten UchtomSki, die „Peterburgski Wjedomosti" die Aufmerksamkeit auf die Tbatsache, daß Lord Salisbury bei Ankündigung des russischen Uebereinkommens die Verpflichtung unerwähnt ließ, welche die unbedingte Achtung der Integrität Chinas in sich schließt, eine Bedingung, welche russischerseitS als die Grund lage deS Uebereinkommens mit der englischen Regierung be trachtet wird. Diese Unterlassung hat in manchen russischen Kreisen gleichfalls einen gewissen Argwohn wachgerufen, welcher den ursprünglich so ausgezeichneten Eindruck deS Ueberein kommens abschwächen mußte. Aber auch in England ist das Mißtrauen in die russische Politik nicht schlafen gegangen und ist gerade jetzt hell auf, wo Rußland mit dem Plane um geht, die transmandschurische Bah» direct mit Peking zu verbinden. Wir erhalten hierzu folgende Meldung: * London, 14. Mai. Die „Times" führen 1» einem Artikel aus: Die jüngste an China gerichtete Forderung Rußlands geht direct darauf auS, das Ziel deS englisch-russischen Ab kommens, nämlich die Vermeidung von ConflictSursachen in China, zu vereiteln. Der britische Handel in China beruht auf der Macht und dem Ansehen Englands, und diese beiden sind durch das Vorgehen Rußland- ernstlich gefährdet. DaS ist durchaus richtig, denn die projectirte Bahn würde die Residenzstadt deS chinesischen Reiches völlig in die Gewalt Rußlands bringen. Allein eS sind eben auch noch andere Leute auf der Welt als die Söhne AlbionS. Ob die Haltung Englands gegenüber Transvaal in der Dynamit-Monopol-Frage, welche viel zu der jüngsten Spannung zwischen London und Pretoria beigetragen bat, so sicher begründet ist, wie man im Londoner Colonial-Amt behauptet, steht dahin. Clark hat neulich im Unterhause den Colonial-Minister gefragt, ob cs ihm bekannt sei, daß die FeniH-tsn» Äußer Diensten. 3j Roman von Ernst Wichert. Nachdruck »erbet'«. „Ja, ich verstand «S auch nicht recht. Er meinte doch den Papa und die anderen. . . „Aber nicht ganz aufrichtig. Es klang fast spöttisch." „Ich denke, die armen Leute thun ihm im Herzen leid. Er ist ja so gutmüthig." „Wir müssen einmal sehen, ob wir nicht bei Papa etwas für sie ausrichten können", meinte Irmgard. Sie fetzten den Weg nach dem nahen Försterhaus« fort, traten aber nicht ein, sondern riefen der wirklich erschreckten Försterin nur durch das Fenster einen guten Morgen zu und sagten, daß sie nicht stören, aber bald einmal Nachmittags zum Täßchen Kaffee wiederkommen wollten, wenn es erlaubt sei. Dann kehrten sie um und gingen langsam nach dem Schloß zurück. Tante Hertha war nun schon auf. Sie hatte bald nach der Verheirathung ihrer schönen Schwester hier rm Schloß Horseln ein recht behagliches Unterkommen gefunden. Die Grafen Wester hagen waren ein uraltes Geschlecht, das aber im Laufe der Zeiten seine Begüterung bis auf «in nicht sehr werthvolleS Fideicommiß «ingebüßt hatte, da« dem jeweiligen Besitzer kaum die standes- gemäße Erziehung seiner Kinder gestattete, eine Unterstützung fernerer Familienmitglieder nicht erlaubte. Der Staats-, Kirchen- und Hofdienst mußt« aushelfen, besonder» der letztere, in dem ja auch Töchter eine Versorgung finden konnten. Meist allerdings keine erfreuliche. Die vornehmen jungen Damen, die zu Gnaden angenommen wurden, behaupteten zwar in den vor deren Reihen der Gesellschaft eine vielfach beneidet« Stellung, aber da» HörigkeitSvechaltniß mit fast ungemeffenem Dienst für wenig mehr al» das tägliche Brod und rin wenig Putz und Schmuck, das geisttödtende Einerlei der Hoffeftlichketten und die entwürdigende Form d«S.Verkehr» mit allen Denen, die sich noch eine Stuße höher wußten oder dünkten, schien mancher weiblichen Natur unerträglich. Hertha war nach dem Tode des Vaters, eine» höheren Militärs, mit ihrer Schwester Iduna zusammen an den Hof gekommen. Die Gräfinnen Westerhagen hatten ein ge wisses Aufsehen erregt; man nannte Hertha „die Geistreiche" und Iduna „die Schöne". Die Geistreichigkeit der Aelteren hatte darin bestanden, daß sie ungewöhnlich belesen, schlagfertig und immer geneigt war, sich mit den Professoren und Künstlern, die mitunter eingeladen wurden, in ein ernsteres Gespräch einzulassen. Obgleich selbst in ihrer Erscheinung ganz anmuthig,. trat sie doch gegen die schöne Schwester weit zurück. Sie bildete sich, doch tief in aristokratischen Vorurtheilen steckend, allerhand Jreiheitsgefühle ein, die sie sehr unglücklich stimmten, oder hatte auch ganz wahr haft die Empfindung, da nicht an ihrem Platze zu sein, und be trachtete es als eine Erlösung, als Iduna einen reichen Mann heirathete, der nicht nur sein« Frau vom Hofe entführte, sondern auch ihr bald darauf gestattet«, sich in Schloß Horseln ungefähr nach ihren Wünschen einzurichten. Da war sie denn auch ge blieben, als kaum «in Jahr nach der Geburt der Zwillinge in der schönen Freifrau wieder stark die Neigung erwachte, in di« Residenz zurückzukehren und Jttenborn durch ihre Vermittelung «ine Anstellung in der Regierung erhielt, di« ihn nun dauernd von feinem Landbesitz fern hielt und bald in das höchste Amt förderte. Sie erhielt di« Aufsicht über die innere Wirthschaft, wie später der Vetter Lapitän über die äußere, und konnte glauben, sich der abwesenden Schloßherrschast, die sie hier ganz vertrat, so nützlich zu machen, daß noch eine Dattkschuld zu ihren Gunsten übrig blieb. Sie hätte im neuen Hause wohnen können, aber die weiten und hohen Räume warm ihr zu ungemüthlich und entlegen. Das Bedürfniß, sich eine recht behagliche Existenz zu schaffen, rieth ihr, sich lieber in dem alten Schloßflügel einzuschränken, und es spielten dann bei der Wahl ihrer Zimmer auch romantisch« oder antiquarische Neigungen mit. Der Ausbau zu Anfang des vorigen Jahrhunderts hatte die ursprüngliche Anlage um den Thurm herum nicht völlig beseitigen können, vielleicht auch nicht wollen. Es sollte Wohl noch eine Erinnerung an die älteste Zeit de» Schlosse» bleiben; jedenfalls waren in zwei größeren Ge mächern und einem Cabinet di« schweren Balkendecken und die kunstvoll geschnitzt«» Holztäfrleim an den Wänden, die bunten Kachelöfen und di« Jmnenfenster mit kleinen Scheiben um di« ge malten Wappm erhalten. Es hingen da auch noch Messing kronleuchter, deren Arme wunderliche Thier- und Menschen gestalten verkörperten, und kleine Spiegel von dickem G-laj^ in ähnlicher Umrahmung. Dorthin hatte da» gnädige Fraulein dann Alles zusammengebracht, was sich von alten Möbeln auf den Böden vorfand, wirklich treffliche Stücke, di« sehr zu Un recht vergessen und verstaubt waren, alt« Bilder von ehrwürdiger Dunkelheit der Farbe und mancherlei Euriositäten von Majo lika und Elfenbein, Bücher in Ledereinbändm und sonderbar ge staltete Saiteninstrumente. Sogar ein Betpult fehlte nicht, auf dessen mit einer goldgestickten Deck« behangener Platte «ine Bibel aus sehr früher Druckzeit lag. Das Alles stimmte gut zu sammen und war von so geschickrer Hanv geordnet, daß es die Wohnlichkeit nicht beeinträchtigte. Schien die Sonne durch die Borderfenster, wie eben jetzt, so konnte man sich kein traulicheres Heim denken. Dafür hatten auch die beiden Nichten, als sie nun «intraten, offene Augen. „Ach, wie hübsch ist es bei Dir, Tante Hertha!" rief Irmgard, die Hände zusammenschlagend, und Armgard setzte hinzu: „Wie in einem Märchen!" „Du schreibst wohl auch wieder eins?" fragte di« Blonde, nach einem Tisch in der Fensternische deutend, auf dem eine aufgeschlagene Mappe mit losen Papieren lag. „Nein, kein Märchen", antwortete Hertha. Ihre Wangen röth«t«n sich, und die zwei dünnen Locken unter den Schildpatt kämmchen zu beiden Seiten der hohen und schmalen Stirn fielen «in wenig vor, während sie den Kopf senkte. „Es wird wieder — ein Roman." „Ein Roman!" wiederholte Armgard verwundert. „So ein ganz langer von drei Bänden?" „Ich weiß nicht", sagt« sie verschämt, „eS können auch nur zwei werden. Man erlebt hier so wenig — und es sollen immer Hofgrschichten werden, weil man sich einbildet, daß ich —. Ach! der Stoff geht mir schon aus. Jetzt freilich diese jüngsten Ereig nisse, bei denen der Papa betheiligt ist! — Aber daran darf man freilich nicht rühren." „Weiht Du etwas 'Nähere» davon?" fragte Irmgard neu gierig. Sie hatte sich in «inen alten Lehnstuhl mit hoher Backenlehn« gesetzt, di« Hände gefaltet um da» Kni« gelegt unb es aufgezogen. „Uns sagt man natürlich gar nicht» von so wichtigen Dingen, die doch eigentlich Niemand mehr angehen, al» die Töchter." Di« Tante löste ganz leis« mit ihren langen Fingern den Verband der Hände und führte dadurch einen tadellosen Sitz her bei. „Ich weiß nichts", versicherte sie, „gar nichts — so wenig, al» irgend ein Mensch. Daß der Papa nicht spricht, kann mich am Ende nicht wundern. Aber daß auch mein« Schwester —, ja, «» werden ja wohl Gründe sein, von der plötzlichen Entlassung nicht zu reden. Daß 'sie ganz und gar unverschuldet ist, darauf möchte ich schwören. Man hat seit fünfzig und mehr Jahren im Ländchen keinen Minister gehabt, der so die allgemeinste Achtung genoß. E» muß etwas ganz Sonderbares, Geheimniß- volle» — und da» reizt eben die Teilnahme zu Fragen, und, wenn sie unbeantwortet bleiben, zu Lombinationen. Dafür fehlt freilich auch jeder sichere Anhalt. Aber dieses unvermuthete Herabsinken au» höchster Machtfülle in privat« Verhältnisse —. Die Phantasie wird lebendig, malt sich allerhand Bilder auS. Was meint Ihr, wenn man ins vorige Jahrhundert zurückginge, den Stoff gleichsam historisch behandelte — aber dann wäre er freilich lange nicht mehr so pikant. Man will immer das Pikante, das 'Actuelle. Und das sehe ich voraus, Kinder: wenn ich mir die ganze Geschichte von A bis Z erfinde, wird man doch überzeugt sein, daß ich aus der Schule plaudere. Ah — ein Roman von der Gräfin Westerhagen, die den Begebenheiten so nahe stand! Das ängstigt mich, aufrichtig gesagt. Meinen Namen muß ich immer nennen; darauf bestehen die Verleger. Da muß ich nun ungeheuer vorsichtig sein, daß nicht einer aus der Nachbarschaft sich abgeschrieben glaubt. Und wenn nun gar von einem entlassenen Minister die Rede wäre — Ihr könnt Euch denken, wie man unter jede Zeile gucken würde. Ich bin übel dran. Es entstand eine kleine Pause. Den beiden Fräulein waren da wieder neue Gssichtspuncte gegeben, zu denen sie nicht gleich Stellung nehmen konnten. Ein« schriftstellernde Tante zu haben, war eigentlich schon etwas sehr Merkwürdiges, woran sie sich aber gewöhnt hatten, da sie ihr früh schon als Verfasserin von Weih nachtsbüchern für Töchter höherer Stände begegnet waren. Aber darüber, was dazu gehörte, einen Zeitroman zu schreiben, hatten sie noch nie nachgedacht. Sie dachten wahrscheinlich auch jetzt nicht darüber nach, wenn auch das Streiflicht, das über den Gegenstand fiel, sie einen Augenblick aufmerksam machte. „Tante", rief Irmgard endlich, „wenn Du das brauchen könntest . . .!" „Was denn?" „WaS wir Beide heute früh erlebt haben." „Ihr hättet etwas erlebt? Im Walde?" „Nein, oben im Thurmzimmer." „Nun? Erzählt doch." Sie erzählten nun Beide, einander fortwährend da» Wort fortnehmend, ergänzend, berichtigend. Hertha hörte gespannt zu. „Das habt Ihr geträumt", sagte sie. „Ach,geträumt", schmollte Irmgard. „Hier ist ja doch das Röll chen ganz leibhaftig." Sie holte es aus der Tasche vor und wickelte es auf. „Da — der Schönsten Gruß und — hi, hi, hi — und Kuß." „Wahrhaftig!" rief das Fräulein. „Kinder, das ist ein« ganz reizende, klein« Geschicht«. Und recht gut verwendbar! Man müßte nur einen Anfang und «in Ende dazu erfinden. Uno überhaupt eine Einkleidung, in der Ihr gar nicht kenntlich wäret. Zum Beispiel" — sie regt« sich sichtlich auf —, „zum Beispiel, zwei junge Mädchen au» der Stadt könnten zu einem Ballfest auf ein Gut geladen sein und da für den Rest der Nacht »in
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