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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.05.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990516025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899051602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899051602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-16
- Monat1899-05
- Jahr1899
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Die Morgrn-Au-gabe erscheint um '/,7 Uhr. di« Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. Redaction und Expedition: JohanntSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet voa früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: Dtt« klemm'- Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstrabe 3 (Paulinuni/. Louis Lösche, Aatharmenstr. 14, pari, und König-Platz 7. Bezugs-Preis Kl der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten AuS- -odestellen ab geholt: vierteljährlich 4.50, »ei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutfchland und Oesterreich: viertel,ährlich «^l 6.—. Directe tägliche Kreuzbandlendung iu- Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. KipMer Tageblatt Anzeiger. Ämtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes nnd Notizei-Ämtes -er Lta-L Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (-ge spalten) 50^, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz uach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung >4 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. 246. Dienstag den 16. Mai 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 16. Mai. Wenn man bedenkt, daß die Reichsregierung vom Reichstage verlangt, daß er bis zum Donnerstag die Bc- rathung des Jnvalidengesetzes vollständig erledigen solle, so begreift man kaum, warum die Vertreter der Re gierung zögern, bestimmte Stellung zu einzelnen der wich tigsten Beschlüsse der Commission zu nehmen. So hatte die Commission bekanntlich, über die Regierungsvorlage hinaus, weite Kreise kleiner Gewerbtreibenden und Betriebsunter nehmer in den Kreis der zur Selb st Versicherung Berech tigten hineingezogen in der Absicht,dadurch dem bedrohten Mittel stände die Segnungen der Invalidenrente zugänglich zu machen. Heber diese Bestimmung erhob sich nun gestern, wie voraus- zuseben war, ein heftiger Streit, in dem sich die Regierung vollständig neutral verhielt. Staatssekretär Graf Posa- dowsky gab kund, er werde sich an der Debatte nicht be- tbeiligen und erst nach der zweiten Lesung erklären, ob die Regierung die in solcher Weise abgeänderte Vorlage an nehmen könne oder nicht. Der Reichstag ist somit in der an genehmen Lage, unter Umständen nutzlose Redeübuugen ab zuhalten. Dieses Verhalten des Staatssekretärs deS Innern ist um so unverständlicher, je entschiedener er sich vorgestern gegen den zu tz 5 der Vorlage gestellten und angenommenen, auf die Knappsckaftscassen gemünzten Antrag aussprach, nach dem die Zulassung von besonderen Veranstaltungen als Träger der Jnvaliditätsversichcrnngspflicht neben den all gemeinen Versicherungsanstalten an die Bedingung einer die Höhe ihrer Beiträge entsprechenden Vertretung der Arbeiter bei der Verwaltung, sowie an die der geheimen Wahl ge knüpft werden soll. Gegen diesen Beschluß wenden sich auch die osficiösen „Bert. Polit. Nachr.", indem sie ausführen: „Durch diesen Beschluß wird ein schwerer Schlag gegen die bestehenden Knappschaftseinrichtungen in Aussicht genommen; denn diese beruhen ohne Rücksicht auf die beiderseitigen Beiträge aus der Grundlage gleichmäßiger Vertretung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie auf der autonomen Berechtigung, darüber zu beschließen, wie die Wahl der Arbeitervertreter er folgen soll. Wie die Herren Stütze! und vr. Hitze die An nahme dieser ihrer Anträge nur den Socialdemokraten ver danken , so leisten sie damit nur der letzteren Partei Vorspann. Es widerstrebt an sich den elementarsten Regeln der Gesetzgebungs kunst, so nebenher und ohne genügenden Grund von altersher be stehende, in der Praxis bewährte Einrichtungen von Grund aus umzugestaltcu. Diese Bedenken werden noch erheblich verstärkt durch Len Umstand, daß es sich um einen lieber- griff der Reichsgesetzgebung in das der Landesgesetzgebung vorbehaltene Gebiet Les Bergrechts handelt und daß dieser Ucbergriss trotz des entschiedenen Wilerspruchs der Regierung des dabei in erster Linie bctheiligten Slaales, Preußens, erfolgt. Bedenken von solchem Gewicht dürften hoffentlich doch bei ruhiger Erwägung auch diejenigen Mitglieder des Centrums sich nicht verschließen, welche nicht aus dem einseitigen socialpolitischen Standpunkte der Herren vr. Hitze und Stütze! stehen, so daß von der dritten Lesung die Beseitigung des unheilvollen Beschlusses erwartet werden darf." Man sollte meinen, eine ebenso unzweideutige Stellung nahme der Negierung hätte sich darüber erzielen lassen, ob eö sich empfiehlt, daß sich auch beim Ausscheiden auS dem zur Selbstversicherung berechtigenden Verhältnisse Betriebs beamte, Werkmeister, Techniker, Handlungsgehilfen und sonstige Angestellte, Lehrer, Erzieher und Schiffsführer selbst freiwillig weiter versichern können, wenn ihr regelmäßiger Jahresverdicnst mehr als 2000, aber nicht über 3000 beträgt. Schiebt die Negierung ihre Stellungnahme zu einer derartigen Frage auf die lange Bank, so wird sie sich nickt wundern können, wenn der Reichstag die Berathung deS ganzen Gesetzes auf die lange Bank schiebt. Die Nachgiebigkeit, die die preußische Negierung gegen die klerikalen Ansprüche dadurch bewiesen hat, daß sie ihre CharsreitagSvorlagc preiSgab und für die von der Herren- hauscommission auf Antrag des Cardinals vr. Kopp be schlossene, den Zweck der Vorlage fast ganz beseitigende Fassung eintrat, hat ihr nichts genützt, wenn der Ton, in dem die „Germania" die Plenarbeschlüsse des Herrenhauses vom Sonnabend beurtheilt, demnächst von der gesammten CentrumSpartei angeschlagen wird. Cardinal vr. Kopp und die anderen katholischen Mitglieder deS Herren hauses haben, wie das Blatt hervorhebt, schließlich gegen das Gesetz gestimmt, weil auf den Antrag des Grafen Pfeil beschlossen worden war, daß für den Charfreitag durch bezirks- oder provinzialpolizeiliche Anordnung öffentlich bemerkbare oder geräuschvolle Arbeiten auch in überwiegend katholischen Orten allgemein verboten werden können, nicht nur in der Nähe der dem Gottesdienst gewidmeten Gebäude. Cardinal Kopp hatte im Herrenhause gegen den Antrag Pfeil gesprochen, aber ohne Schärfe: ein solcher Beschluß würde Beunruhigung Hervorrufen, man möge seine Bedeutung wohl in Erwägung ziehen rc. In der „Germania" jedoch nimmt der Widerspruch gegen den vom Herrenhause genehmigten Antrag Pfeil folgende Form an: „Der Culturkamf steht wieder vor der Thür oder wir befinden uns bereits wieder mitten in demselben. Das preußische Herrenhaus hat heute einer Parole hes Evangelischen Bundes Folge geleistet und die Charfreitagsfrage iu einer Weise gelöst, nel<. s!> die Katholiken ganz unannehmbar ist. Und wer war der Urheber oder das Werkzeug dieser unglücklichen Wendung? Der schlesische Graf Pfeil-Hausdors, der bislang noch für einen zwar streng gläubigen, aber nicht gerade katholikenfeindlichen Mann galt. WaS ihn dazu veranlaßte, ist ein psychologisches Räthsel, wenn man nicht besondere Charaktereigenschaften, insbesondere ein hochausgebildetes Selbstgefühl in Betracht ziehen will. So ist nun die unglückliche Vorlage ein Zankapfel in schlimmster Bedeutung geworden, so harmlos sie in die Ocsfentlichkeit geworfen wurde. Aber die Schleppenträger des Evangelischen Bundes werden noch ihre be sondere Freude an diesem Feldzuge erleben und die Regierung mit ihr. Nicht mehr unser Episkopat wird sich weiter bemühen, diese Angelegenheit in versöhnlichem Sinne zu lösen, sondern das katho lische Volk wird dieselbe in die Hand nehmen und seine Vertreter werden nun in einem anderen Tone zu der „wohl- wollenden" Regierung sprechen. Sie hat den Kampf, wenn auch nicht gewollt, so Loch hervorgerufen. Sie wird auch die Kriegskosten zu zahlen haben. Man sage eS nur gerade »heraus, wenn man Len Kampf will; wir können denselben laushalten; ob aber der preußische Staat ein zweites »Mal, bezweifeln wir. Er kann sich-dafür bei dem Grafen Pfeil-Hausdorf bedanken, und die katholischen Schlesier werden ihm diesen Dank auch nicht entziehen." Gerade die „katholischen Schlesier" sind an dem Streite ganz unbetbeiligt, denn Schlesien gehört zu denjenigen preußischen Landestheilen, in denen der Charfreitag seit länger als hundert Jahren allgemeiner Feiertag ist; dort bleibt Alles beim Alten. Die aufgeregte Berufung auf die Schlesier zeigt recht veutlich, wie der klerikale Lärm in dieser Angelegenheit agitatorische Ursachen und Zwecke hat. Wenn trotzdem die Drohung der „Germania" die preußische StaatS- regierung bewöge, auf der klerikalisirten Cbarfreitagsvorlage zu bestehen und der jetzt beschloßenen Fassung, die wohl verstanden immer noch eine sehr erhebliche Abschwächung der ursprünglichen Regierungsvorlage ist, ihre Zu stimmung zu versagen, so würde sie dem Centrum zu einem Triumphe verhelfen, der ihrem eigenen Ansehen den schwersten Stoß versetzte. Die preußische Staatsregierung möge ernst lich bedenken, daß sie jenen Triumph einer Partei verschaffte, die durch den Mund der „Germania" soeben einen Kampf ankündigt, von dem sie bezweifelt, daß der preußische Staat ihn aushalten werde! So lächerlich derartige bramarbasirende Redensarten sind, einen so tiefen Einblick gewähren sie in das Wesen des UltramontaoiSmuS: um ein sachliches Nichts unternimmt er skrupellos einen Kampf, der nach seiner Meinung den Bestand deS Staates erschüttert. Um ein sachliches Nichts —sagen wir nochmals; denn waS in sieben Achteln deS preußischen Staates für die Katholiken recht ist, ist den Katholiken im letzten Achtel zweifellos billig. Wie die Regierung, so werden auch die Conservativen deS Abgeordnetenhauses vor die Frage gestellt, ob sie in einem so eclatanten Falle den CentrumökurS steuern wollen oder nicht. Es war ein Ge sinnungsgenosse von ihnen, Graf Pfeil, der im Herrenhause die völligeKlerikalisirung der CharfreitagSvorlaze verhindert hat. Für die Lösung dieses „psychologischen NäthselS" zieht die „Germania" das angebliche „hochausgebildete Selbstgefühl" deS Grafen Pfeil herbei. Die Conservativen des Abgeord netenhauses werden zeigen müßen, ob sie dasselbe Selbst gefühl haben, wie ihr Gesinnungsgenosse im Herrenhause, oder oh sie so bescheiden sind, sich dem Centruru zu unter werfen. ? - Deutsche Blätter erzählen nach dem „Transvaal Leader" und der „Südafrik. Ztg." eine übrigens wiederholt auf gewärmte Geschichte von der armeblichen Beleidigung des deutschen CousulS Biermann in Pretoria durch den Staats sekretär von Transvaal, Herrn Reitz. Darnach hätte sich Herr Biermann mit dem neuen österreichisch- ungarischen Generalconsul von Capstadt nach dem Regierung»- gebäude begeben, um Letzteren Herrn Reitz vorzustrllen. Obgleich die Zusammenkunft vorher verabredet war, bat man die beiden Herren, im Corridor „einen Augenblick" zn warten, da Herr Reitz mit Herrn vr. LeydS conferire. AuS dem „Augenblicke" wurden lO Minuten, und als Herr Biermann durch einen Diener Herrn Reitz an feine Anwesenheit erinnern ließ, wurde der deutsche Consul ersucht, „noch einen Augenblick" zu warten. Da aber wieder eine Viertelstunde verstrich, ohne daß Herr Reitz sich zeigte, verließen die beiden Conjuln da- Regierungsgebäude und der deutsche Consul schrieb an den Staatssekretär in scharfer Weise, worauf Letzterer das Vorkommniß durch ein „Mißverständniß" aufzuklären und zu ent schuldigen versuchte. Später kam Herr Reitz selbst und sagte an- deutungsvoll: „Sie wissen, wer daran Schuld ist!" Ueber diese Persönlichkeit soll sich dann ein hochstehender Beamter, der sich höchlichst entrüstet ob dieses Vorkommnisses äußerte, folgendermaßen ausgesprochen haben: „Leyds erklärte, er wolle seine Revanche für Berlin haben, und er hat sie gehabt!" Herr vr. Leyds war bekanntlich, als er da» erste Mal in Berlin erschien, um sich als Gesandter von Transvaal vorzustellen, vom Kaiser nicht empfangen worden. Er mußte zu diesem Zwecke später noch einmal nach Berlin kommen. Daß der Vorfall sich so nicht zugetragen hat, ist schon Anfang April richtig gestellt worden. Damals erhielten die „Hamb. Nachrichten" folgendes Telegramm: * Pretoria, 12. April. Ein neues, in Johannesburg er scheinendes englisches Blatt macht heute den albernen Versuch, die guten Beziehungen zwischen unserer Regierung und dem deutschen Reich zu störe». Vor einigen Wochen habe der deutsche Consul Biermann den Staatssekretär Reitz besucht, welcher zufällig in einer Conferenz mit vr. Leyds begriffen war. Nachdem er einige Minuten gewartet, ging Consul Biermann fort, obne den Staats sekretär gesehen zu haben, welch' Letzterer ihm sofort schrieb, um ihn über den Fall auszuklären. Ter deutsche Cousul nahm die Erklärung herzlich entgegen, da niemals die geringste Ver anlassung vorgelegen hätte, gegen den deutschen Beamten absichtlich unhöflich zu sein. — TaS oben erwähnte Blatt veröffentlicht nun eine sensationelle Geschichte mit der Absicht, zu beweisen, daß vr. Leyds den Zwischenfall veranlaßt und nachher seine Genugthunng darüber ausgedrückt habe, in dieser Weise für den Empfang von Cecil Rhodes in Berlin sich gerächt zu hktben. Ta diese Erzählung von einer deutschen Zeitung in Johannesburg übernommen worden ist, besuchte ich heute Nachmittag den Staatssekretär, der die übertriebene Darstellung des englischen Blattes entschieden in Abrede stellte. ES liegt also wohl die englische Aufbauschung eines an sich wenig bedeutsamen Vorkommnisses vor, ins Werk gesetzt, zu dem Zweck, Verstimmung zwischen Deutschland und Transvaal zu säen, eine Beschäftigung, der man um so eifriger sich hingeben zu sollen glaubte, als der zweite Empfang vr. Leyds' beim deutschen Kkkfftr den Be weis geliefert hatte, daß in maßgebenden Berliner Kreisen keinerlei Animosität gegen Transvaal herrschte. Entschieden zu weit aber geht das Anfang April gebrachte Dementi der „VvlkSstecn",daö behauptet, an der ganzen Geschichtesei überhaupt kein wahres Wort,denn weder der deutsche noch der öster reichische Consul seien bei Herrn Reitz gewesen. Die „National- Zeitung", welche zu unserem Auswärtigen Amt in Bezie hungen steht, stellt fest, daß eS sich um eine vorher verein barte Zusammenkunft gebandelt hat und daß der deutsche Consul in der That ungebührlich lange hat warten müssen, weshalb er sich wieder entfernte. Nach Erkundigungen des Berliner Blattes an wohlunterrichteter Seite „richtete nach dem Vorfälle der Staatssekretär Reitz an den deutschen Consul, nachdem dieser mit dem österreichisch-ungarischen Consul, des mit der internationalen Höflichkeit schlecht im Einklänge stehenden Wartenlassens müde, sich entfernt batte, eine Entschuldigung. Mit dieser kreuzte sich die berechtigte Beschwerde deS deutschen Consuls. I Letztere war um so angemessener, als von deutscher und I österreichisch-ungarischer Seite lediglich ein Act der Höf- - I lichkeit vorlag, da eS sich nicht um die Einführung FenLlleton» Außer Diensten. 4j Roman von Ernst Wichert. Nachdruck verdrt r. ES dauerte noch eine gute Weile, bis die gnädige Frau in einem langschleppigen, wie mit Spitzen überschütteten Morgen rocke von gelber Seide durch den Gartensaal rauschte und an dem zuletzt voreilenden Haushofmeister vorbei, über die Schwelle der Veranda trat. Sie war eine imposante Erscheinung, weniger wegen der nicht übermäßigen Gröhe, als wegen der stolzen Hal tung der vollen Büste und des von einem hohen Halse getragenen sehr schönen Kopfes. «Man merkte ihr's auf den ersten Blick an, daß sie sich daran gewöhnt hatte, diese Ha.ltung als die ihr natürliche dauernd zu behaupten. Ihre Schönheit hatte etwas Regelrechtes, an die Juno Ludovisi Erinnerndes, ihr Gesicht be wahrte eine statuenhafte Unbeweglichkeit und war gepudert. Auch sonst mochten Toilettenmittel angewandt sein, die sieben- oder achtunddreihig Jahre, die ihr nachzurechnen waren, zu mindern; doch hatte sie sich solcher Künste wahrscheinlich schon in früher Jugend bedient, da die höfische Mode ihre Anwendung forverte. Das prachtvolle, braune Haar gehörte ihr ganz. Die großen, dunkelgrauen Augen bewahrten ihren ruhigen Glanz, auch wenn die Lippen ein wenig zu lächeln bemüht waren, wie eben jetzt bei der Begrüßung der Ihrigen. Der Freiherr schritt gleich auf sie zu, verbeugte sich mit einer tiefen Senkung des Kopfes und küßte ihr Hand und Stirn. Auch die beiden Mädchen traten zu, knixten vorschriftsmäßig und küßten ihre Hand, worauf sie einen Kuß auf die Wange gehaucht erhielten. Sie erkundigten sich in gewählten Ausdrücken nach dem Befinden der gnädigen Frau Mama und erfuhren, daß sie nicht gut habe cinschlafen können, später die Nacht leidlich ge wesen sei. Sie sprach mit ziemlich eintöniger, flüsternder Stimme, wie daran gewöhnt, immer mit Aufmerksamkeit angehört und «mit gespanntem Ohr verstanden zu werden. Der Gemahl führte sie am Arm zu ihrem Sessel, der alte Diener schob ihr ein zierliches Bänkchen unter den Füßen zurecht. Dann traten di« beiden Lakaien herein und verrichteten ihr Amt an dem mit Kaffee, Thee, Chocolade, Brod und Butter. Eiern und kaltem Aufschnitt reich besetzten Frühstückstisch mit recht überflüssiger Dienstfertigkeit, da Alles zur Hand war. Irmgard erhielt, als sie sich den Kaffee selbst zugießen wollte, von der Mama einen mißbilligenden Blick. Die Unterhaltung wurde nicht lebhaft geführt und stockte minutenlang ganz. Die beiden Fräulein wagten sich dabei immer nur zu betheiligen, wenn eine Frage an sie gerichtet wurde. Die Art, wie die Mama mit ihnen sprach, hatte viel gemessen kühles, als ob sich nach dem langen Getrenntleben ein freundschaftlicheres Vekhältniß noch nicht hätte bilden können, vielleicht aber auch gar nicht bilden sollte. Die Scherze des Freiherrn klangen frostig und wurden von ihr auch nur sehr gnädig belächelt, mitunter durch ein Naserümpfen abgewiesen. Das Wetter verspreche schön zu bleiben. In der Nacht scheine starker Thau gefallen zu sein. Wenn nur die Hitze nicht wieder unerträglich werde! Gestern sei der Abend noch recht ^schwül gewesen. Man habe auch der abscheulichen Mücken wegen nicht einmal die Fenster offen lassen können. Eine böse Landplage, von der man doch in der Stadt glücklicher Weise verschont bleibe! „Und was fangen wir nun wieder mit dem langen Tage an? fragte die Freifrau, ein Gähnen unterdrückend. Wir sind hier wie auf einer Insel im Ocean, tausend Meilen vom Welt verkehr entfernt." „Wenigstens nicht auf einer wüsten Insel, liebe Iduna", antwortete der Freiherr lächelnd. „Das Schloß ist recht wohn lich, und wenn Du über Garten und Park hinausschauen willst . . „Ach ja, Alles recht hübsch für einen kurzen Aufenthalt", unterbrach sie indolent, „besonders wenn es an guter Gesellschaft von Erholungsbedürftigen nicht fehlt. Aber hier, wie im Exil, das Leben hinbringen zu sollen — dazu fehlen mir doch zu sehr die Tugenden einer braven Landedelfrau. Wie bringt man mit sich allein so einen Sommertag glücklich zu Ende? An den Winter mag ich schon gar nicht denken. Bis dahin lebe ich gewiß nicht mehr." „Du gefällst Dich denn doch in Uebertreibungen, liebste Iduna", wendete er in mildester Tonart ein. Sie hörte gar nicht darauf, sondern winkte einem der La kaien, die bis zum Eingang zuriickgetreten waren. „Fritz, schließen Sie doch hinter mir das Fenster; es zieht plötzlich sehr un angenehm." > „Zu Befehl, Excellenz." Eine Zeit lang wenigstens kann es uns doch an angenehmer Unterhaltung nicht fehlen", fuhr der Freiherr fort. Man wird spazieren fahren, reiten, «ine Partie Karten spielen —" „Patience legen —" „Auch das. Ein gutes Buch lesen, Reiseplän« schmieden, Briefe schreiben. Und dann haben wir doch nun unsere Töchter bei uns, die wir so lange entbehren mußten. Sie werden es sicher nicht an Bemühungen fehlen lassen, unsere Muße zu er heitern." Er reichte Armgard, die ihm zunächst saß, die Hand. „Wenn wir nur wüßten, Papa —" bemerkte Irmgard. „Ich fürchte, wir werden hier auf dem Lande nicht die wün- schenswerthe Gelegenheit haben, ihre Erziehung zu vervollständi gen", schnitt die Mama ihr das Wort ab. Es fehlt an passen dem Umgang. Die meisten Besitzer von Adel aus -der Nachbar schaft leben mit ihren Familien in der Stadt, haben verpachtet. Die Töchter des Pfarrers sind doch zu simpel! Und ob wir den Amtsrath nicht in arge Verlegenheit setzen, wenn wir jetzt die Bekanntschaft auffrischen, ließe sich doch fragen. Er wird fürch ten, daß ihm die Domäne aufgeschlagen wird, wenn er sich mit der gefallenen Größe abgiebt. Das sagte sie mit spitzester Ironie, die sich denn auch ihrem Gesichte aufprägte, indem der Mundwinkel und das Kinn eine Falte zogen. Der Freiherr wiegte den Kopf. „So einfältig und servil ist er denn doch wohl nicht", sagte er, leicht mit der Hand abwehrend. „Du willst Dich in eine ärgerliche Stimmung hinein reden. Ich hoffe, es wird Dir nicht gelingen. Wir wollen es uns in Horseln mit den Kindern so wohl sein lassen, als wir es uns zu anderer Zeit oft gewünscht haben, in der auf Erfüllung nicht zu rechnen war. Nicht so, Mädel? Wir wollen uns die ent schwundene Mimsterherrlichkeit nicht anfechten lassen und ganz vergnügt den Tag pflücken, wie der alte Horaz räth, den ich wieder vorzunehmen beabsichtige. Die Schwestern standen auf, traten um den Tisch, umarmten den Papa und streichelten ihn mit komischem Wetteifer. Frau Iduna sah mit sehr zweifelhaftem Wohlgefallen auf die Gruppe. „Nun ja", sagte sie, „Du hast ja Dein Spielzeug. Ich will Dir's nicht mißgönnen, bitte nur, mich ein ander Mal auch ein wenig zu unterstützen, wenn ich ein ernstes Wort zu sprechen nöthig habe. Es fehlt den Mädchen doch noch sehr an vornehmem Schliff; die Pension hat in dieser Hinsicht nicht vortheilhaft ge wirkt. Liebe Irmgard, ich habe Dich schon darauf aufmerksam gemacht, daß Du Dich zu kose trägst, — es gefällt mir nicht, liebe Armgard, daß Du mit den Dienstboten im Hause sprichst, als ob Du sie um etwas zu bitten hättest, noch weniger freilich, daß Irmgard mit ihnen scherzt. Sie erlauben sich gar zu leicht Ver traulichkeiten. Besonders vorsichtig habt Ihr Euch gegen Mam- sell Emma zu benehmen, die sich' schon für etwas Besonderes hält und von meiner Schwester, vielleicht auch vom Onkel Capitän etwas verwöhnt zu sein scheint. Der Abstand muß immer scharf markirt werden." Die Fräulein hatten den Papa losgelassen und sich respectvoll vor ihr aufgestellt. Sie zupfte an Jrmgard's Blouse und drückte Armgard's allzuschlichtes braunes Haar ein wenig von der Stirn ab. „Kommt nachher in mein Zimmer. Ihr sollt mir, bevor wir zur Tafel Toilette machen, aus einem fran zösischen Buche borlesen und dann auch etwas singen. Die Vor steherin hat Eure Stimmen gelobt." „Gern, Mama", sagte Armgard keineswegs vergnügt. „Wie Du befiehlst, heißt das." „Wie Du befiehlst." „Dürfen wir nun gehen, Mama?" fragte Irmgard. „Wie klingt das! Als ob Ihr die Zeit nicht erwarten könnt, von uns frei zu kommen." „Ach nein; wenn Du befiehlst, daß wir noch bleiben . . ." Der Alte brachte die Post, Zeitungen und Briefe, und legte sie auf den Tisch, den die beiden Lakaien abräumten. Dann entfernte sich die Dienerschaft. Der Freiherr blätterte sogleich eine Zeitung auf und überblickte die Spalten. Auf einem kleinen Artikel haftete sein Blick länger. „Man kann sich noch immer über meine Entlassung nicht beruhigen", sagte er leichthin, „Will durchaus den Grund wissen. Ja, den Grund —?" Er zog die Schultern auf. „Den wissen wir selbst nicht", ergänzte Iduna. „Das ist ja eben das Aergerlichste." „Und zugleich Lächerlichste. Man kann's ja Keinem sagen." „Und muß allerhand kränkende Vermuthungen laut werden lassen." „Ja, offenbar soll die Regierung gereizt werden, sich zu äußern." Sie lachte höhnisch. „Die Regierung? Die ist genau so klug wie wir. Es hat dem dummen Jungen gefallen . . ." „Iduna!" berief der Freiherr sie streng. „Ach — wir sind ja unter uns. Warum soll ich rin Blatt vor den Mund nehmen?" „Die Wände haben Ohren. Auch die gerechteste Entrüstung darf Dich nicht vergessen lassen . . ." „Geht in den Garten, Kinder", sagte die Freifrau, deren Stirn und Nase sich geröthet hatten. „Das ist nichts für Euch. Es versteht sich von selbst, daß Ihr über Alles, was zwischen uns besprochen wird, tiefstes Schweigen beobachtet. Das sei rin« für allemal bemerkt." Die Fräulein küßten ihr etwas scheu die Hand und entfernten sich über di« Treppe hin in den Garten, dort eiligst zwischen den Gebüschen verschwindend. Der Freiherr stand auf und schloß die Glasthüren nach dem Gartensaal. „Aber wie konntest Du in
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