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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.05.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990517012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899051701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899051701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-17
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Bezugs-Preis Kl ß«r Hauptrxpeditton oder den tm Ktatzk« b»jtrk und den Vororten errichteten Au-« gebeftellen «bgeholt: vierteljährlich ^l4.bO, bei zweimaliger täglicher Zustellung in- Haus k.vl). Durch dl« Post bezogen sitr Deutschland und Oesterreich: virrteliäbrlich 6.—. Direct» tägliche Kreuzbandsendung tvr Ausland: monatlich 7.L0. Di« Morgen-Ansgabe erscheint um */,7 klhr, di« Aörud-Ausgabe Wochentag- «M b Uhr. Nrdaciion r»nd Lepe-Mo«: Johannisgasse 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geSffuet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Filiale«: Vtt» Klemm s Sorti«. (Alfred Hatz«), Universitätsstratze 3 (Paunnum), Loui» Lösche, Katharinen str. 14, Part, und König-Platz 7. Morgen-Ausgabe. WVMrIilgMM Anzeiger. Nmtsvlatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und NEzei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS dir 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Meclamen unter dem Redaction-strich (4gs» spalten) bO^, vor den Famtliennachrlchlen (Sgespaiten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzricknih. Tabellarisch» und Ziffernjatz nach höherem Laris. Ertra»veilagen (gesalzt), nur mit der Morgen. Ausgabe, ohne Postbeförderung >lt 60.—, mit Postbefördrrung 70.—. Ännahmefchluß für Ä«)eige«: Abend-AuSgab«: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Grtzeditiou zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Mittwoch den 17. Mai 1899. 93. Jahrgang. Obligatorischer oder facultativer Ladenschluß? Die Reichstagscommission, welche mit der Worberathung der Gewerbeordnungsnovelle betraut ist, hat belanntlich entgegen den Vorschlägen der Regierungsvorlage und trotz der dringenden Abmahnungen der in der Com mission anwesenden Vertreter der Verbündeten Regie rungen, für den obligatorischen einheitlichen Ladenschluß sich ausgesprochen. Ihr Votum lautet: „Von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens müssen Verkaufsstellen für den ge schäftlichen Verkehr geschlossen sein." Gegen diesen CommissionS- beschluß wendet sich die „Verl. Corr.", das Organ der preußischen Regierung, mit einer Entschiedenheit, die kaum einen Zweifel daran aufkommen läßt, daß die preußischen Stimmen im Bun- desrathe der Gewerbeordnungsnovelle nicht zustimmen würden, wenn das Plenum des Reichstages im Punkte des Ladenschlusses auf den Boden der Commission sich stellen sollte. „Würde", so führt die „Berl. Corr." aus, „der Commissions beschluß Gesetz werden, so wäre damit eine Ordnung der Dinge geschaffen, gegen welche noch vor wenigen Jahren eine leiden schaftliche und weitverzweigte Opposition sich geltend gemacht hat. Die Gründe, welche damals das Widerstreben weitester Kreise gegen die gesetzliche Normirung der Verkaufszeit für offene Läden wachriefen, haben seitdem an Schwergewicht nicht einge- büßt. Man muß demnach darauf gefaßt sein, daß Unzufrieden heit und Mißmuth seitens der betheiligten Erwerbszweige, so wie des Publikums in starkem Maße hervortreten würden, sobald die geplante Zwangsvorschrift zu praktischer Geltung gebracht wäre. Das ist sehr begreiflich, denn die gleichmäßige Reglemen- tirung des Ladenschlusses für große Städte und für das flache Land, für alle Arten von Verkaufsstellen und Bedürfnissen kann nicht durchgeführt werden, ohne in die Erwerbsverhältnifse der Kaufleute und in die Lebensgewohnheiten des Publicums schädi gend oder störend einzugreifen. Es ließe sich über die zu erwartenden Unzuträglichkeiten hin wegsehen, wenn man von dem gesetzlich fixirten einheitlichen Ladenschluß Vortheile sich versprechen könnte, die die Schatten seiten der Neuerung aufzuwiegen im Stande wären. Der prak tische Nutzen der erzwungenen Ladenruhe darf indessen nicht zu hoch veranschlagt werden. Er würde sich darauf beschränken, daß diejenigen Kaufleute, welche gegenwärtig gegen ihre Neigung, lediglich aus Rücksicht auf ihre Concurrenten, ihre Geschäfte auch noch nach 9 Uhr Abends offen zu halten sich genöthigt fühlen, zu einer früheren Stunde sich der Ruhe hingeben könnten. Diesem Ruhebedürfniß wird aber auch in der Regierungsvorlage durch die Bestimmung Rechnung getragen, daß durch die höhere Ver waltungsbehörde auf Antrag von mindestens zwei Dritteln der betheiligten Geschäftsinhaber für einzelne oder für mehrere ört lich unmittelbar zusammenhängende Gemeinden nach Anhörung der Gemeindebehörde für alle oder für einzelne Geschäftszweige der Schluß der offenen Verkaufsstellen während bestimmter Stunden in der Zeit zwischen 8 Uhr Abends und 6 Uhr Morgens oder in der Zeit zwischen 9 Uhr Abends und 7 Uhr Morgens angeordnet werden kann. Auch hiernach kann also einem Theile der Ladeninhaber die Schließung ihrer Geschäfte zu einer be stimmten Stunde vorgeschrieben werden, die vorangehende frei ¬ willige Uebereinkunft einer Zweidrittelmajorität beruflich und local zusammenhängender Kaufleute bürgt aber dafür, daß die Entscheidung zu keinen wesentlichen Interessen der betreffenden Händlergruppen im Widerspruche steht. Der Commissions beschluß befürwortet staatlichen Zwang und allgemeine Regle- mentirung, die verbündeten Regierungen hingegen empfehlen freie Entschließung unter Berücksichtigung örtlicher und beruf licher Eigenart. Die nach Zeit und Ort in großer Mannigfaltigkeit wechseln den Anforderungen an den Handverkauf aus offenen Läden lassen sich überhaupt nicht unter die von der Commission aufgestellte einheitliche Formel bringen, ohne die kategorische Regel von An fang an durch eine lange Reihe von Ausnahmen zu durchlöchern. Es mag in dieser Beziehung an das Beispiel der Sonntagsruhe erinnert werden, deren Durchführung in Folge der in den Groß geschäften von jeher üblichen sonntäglichen Ruhegewohnheit doch schon sehr erleichtert war; trotzdem hat die allgemein giltige Vorschrift in Hinblick auf die unabweislichen Bedürfnisse der Bevölkerung mannigfach abgeändert werden müssen. In ungleich stärkerem Maße würde die Dringlichkeit von Ausnahmebestim mungen bezüglich des Ladenschlusses sich erweisen, wenn da- Schema der Commission zum Gesetz erhoben werden sollte. Den Landescentralbehörden und höheren Verwaltungsorganen würde die ungemein schwierige Aufgabe zufallcn, den Grundsatz der Ladenruhe in oben angegebenem Umfange durchzufllhren, ohne den berechtigten Ansprüchen des Geschäftslebcns Gewalt anzu- thun. Ganz anders würde die Organisation der Ladenruhe sich aufbauen, wenn letztere von Anbeginn die individuellen Wünsche der Interessenten zum Ausgangspunct nehmen würde. Die Jn- dividualisirung nach Branchen z. B. würde in der Mehrzahl der Fälle wahrscheinlich viel besser zum Ziele führen als die Schablone. So könnten die Inhaber von Läden für Luxus artikel, Haushaltungsgegenstände und dergleichen mehr kein Interesse daran haben, ihre Locale bis in die späten Abend stunden offen zu halten, während vermuthlich Geschäfte zum Ver kauf von Lebens- und Genußmitteln eine willkürliche Beschrän kung ihrer Erwerbsgelegenheit als ungerechtfertigte Härte em pfinden würden. Kurz, der Decretirung des obligatorischen Ladenschlusses stehen die schwersten Bedenken entgegen. Man darf auch nicht außer Acht lassen, daß der Ladenschluß an sich noch keineswegs die Ausdehnung des Arbeiterschutze- auf eine bestimmte Gruppe von abhängigen Personen, also die Handelsangestellten, bedeutet. Letztere werde vielmehr vor Aus beutung ihrer Arbeitskraft durch die gleichzeitig gesetzlich zu ord nende Minimalruhezeit, nicht durch den Ladenschluß geschützt, da die Angestellten, falls ihnen nicht eine Minimalruhezeit ge währt würde, auch nach dem Ladenschluß noch weiter beschäftigt werden könnten. Bei der Frage des Ladenschlusses kommen ledig lich selbstständige Unternehmer in Betracht. Ihnen gegenüber bedeutet die Begrenzung der Verkaufszeit einen Eingriff in ihre berufliche Bethätigung. Daher sollte mit einer solchen Regle- mentirung nicht über die durch die Umstände geforderten Schran ken hinausgegangen werden. Die Annahme der von der Com mission vorgeschlagenen Zwangsbestimmung könnte aber den Ge danken nahelegen, die gleiche Fürsorge auch auf alle anderen Er- werbsthätigen, bis hinauf zum Gelehrten und Beamten, auszu dehnen. Dem allgemeinen Maximalarbeitstage wäre auf diese Weise ein breiter Weg geebnet. Solche principielle Erwägungen sollten im Verein mit den berührten praktischen Bedenken den Reichstag veranlassen, den Commissionsbeschluß, betreffend den reichsgesetzlichen einheitlichen Ladenschluß, abzulehnen, die Be stimmungen der Gewcrbeordnungsnovelle hingegen anzunehmen." Gewerkschaftsbewegung und Social demokratie. Q In der verflossenen Woche hat bekanntlich in Frankfurt a.M. der dritte Kongreß der deutschen Gewerkschaf ten getagt. 53 gewerkschaftliche Organisationen waren darauf durch 130 Dclegirtc vertreten, die nach Ausweis der Gewerk schaftsstatistik für das Jahr 1898 507 747 organisirte Arbeiter hinter sich hatten. Das ist in der That eine Zahl, die Beachtung verlangt, zumal wenn man hinzunimmt, daß die Gesammtzahl der gewerkschaftlich organisirten Arbeiter im Jahre 1891 nur 287 000 betrug. Darum aber braucht man diese Ziffer nicht zu überschätzen, denn die Zahl der nicht zu den Gewerkschaften gehörenden Industrie-Arbeiter ist immer noch mindestens zehn mal so groß. Die Bedeutung der Berathungen faßte am Sonn abend bei Abschluß des Congreffes der Vorsitzende in nachstehen den, jeden Zweifel ausschließenden Worten zusammen: „Diejeni gen, die immer und immer wieder glauben, einen Gegensatz zwischen der Gewerkschaftsbewegung und der socialdemokratischen Partei constatiren zu dürfen, sind stark auf dem Irrwege. Die deutschen Gewerkschaften sind unpolitisch, aber ihre Mit glieder sind fast ausnahmslos Socialdemo kraten. Die Gewerkschaftler wissen, daß die Noth der Ar beiterklasse nicht eher aufhören wird, als bis die gegenwärtige Productionsweise durch eine genossenschaft lich e e r s e tz t i st." Unter diesem Gesichtspunkte sind die gesammten Verhand lungen zu betrachten, denen nicht nur in der socialdemokratischen Presse als besonderes Lob angerechnet wird, daß die Debatten sachlich und leidenschaftslos geführt seien. Das ist in der That richtig. Als der schärfste Ausdruck, der im Laufe der Tagung gefallen ist, könnte man vielleicht die Wendung bezeichnen, daß das geheim: Rundschreiben des Grafen Posadowsky Wunder ge wirkt und den Glauben an die Arbeiterfürsorge der Re gierung zerstört habe; wobei in Erinnerung zu bringen ist, daß es ein Rundschreiben der Reichsregierung mit der Aufforderung an die Einzelstaaten war, ihrerseits eine sorgfältige Aufnahme über die Arbeitsausstände zu veranstalten, da die bisher bestehen den umfassenden, und zwar von der Gewerkschaftsführung veran stalteten Aufnahmen sich als unzuverlässig erwiesen hatten. Im Uebrigen aber besagt der „ruhige Ton", der bereits auch einem Theile der bürgerlichen Socialpolitiker zu verwirrenden Betrach tungen Anlaß giebt, nichts. Es war eben nichts da, was zu einer anderen Tonart hätte veranlassen können. Dies ergiebt sich ins besondere aus der Erörterung über Punct 3 der Tagesordnung, das Coalitionsrccht der deutschen Arbeiter, wobei ein scharfer Protest gegen den sogenannten „ZuchthauScurs" veranstaltet wer den sollte. Es kam aber nur zu einem Referate des Gewerk schaftsführers und socialdemokratischen Abgeordneten Legien und der einfachen Annahme einer vorher ausgearbeiteten Resolution, worin — und das trägt wiederum zur Klärung bei — der Ge- werkschaftsvongreß erklärte: Der Congreß protestire energisch gegen den „Gedanken", „daß zumeist von der Verzweiflung über ihre Nothlage getriebene, für sich und ihre Familien um eine bessere Existenz ringende Arbeiter, welche zum letzten ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, der Arbeitseinstellung, greifen und ihre Ärbeitsgenossen zu gleichem Thun auffordern, dem Ver brecher gleich geachtet und mit Zuchthausstrafe bedroht werden sollen." Das ich zwar sehr ruhig, aber im Uebrigen ebenso un wahr und für die Arbeiterbewegung nicht minder verhetzend, wie die entsprechende Kundgebung, die seiner Zeit die socialdemo kratische Parteiführung erlassen hat. Dabei kommt noch für die Gewerkschaften als besonders erschwerendes Moment hinzu, das; derstärksteGewerkschaftsverband,der inBerlin, noch bei der letzten Maifeier die vom Dresdner Schwurgericht wegen Landfriedens bruchs und schwerer Körperverletzung verurtheilten Aufrührer als Opfer der Classenbewegung reclamirt hat, während die socialdemokratische Parteiführung den Verurtheilten dies be stritten und ihnen darum die Aufnahme in die allmonatlich ver öffentlichte Ehrentafel verweigert hatte. Es haben also auch die Frankfurter Verhandlungen aufs Neue bethätigt, daß vor der Hand die Gewerkschaften lediglich die von socialdemokratischen Agitatoren geführten und discipli- nirten Kerntruppen der politischen Umsturzbewegung sind und demselben politischen Ziele einer neuen Gesellschaftsordnung zu- marschiren, allerdings so geräuschlos als möglich, theils wegen der augenblicklichen Confusion im politischen Lager, theils in Rücksicht auf die vorläufig noch nicht zur Socialdemokratie ge hörenden Arbeiter, die sich durch eine lärmende Agitation bei der Behandlung reiner Arbeitsangelegenhelten zurückgestoßen fühlen könnten. Durch diese kluge Taktik darf sich aber eine Weit schauende, von dem selbstlosen Interesse für das Wohl der hand arbeitenden Bevölkerung geleitete praktische sociale Arbeit nicht verwirren lassen. Ihre Aufgabe bleibt, in deutlich erkennbarem Gegensätze zu den Bestrebungen der socialdemokratischen Gewerk schaftsführer, durch gewissenhafte Arbeiterfürsorge die unabhän gigen 90 Procent der industriellen Arbeiterschaft davon überzeugt zu halten, daß ihre Interessen im Rahmen der bestehenden Staatsordnung gewahrt sind, während von der Socialdemo kratie, gleichviel in welcher Gestalt, nur leere Verheißungen und verlockende Schlagworte zu erwarten sind. Deutsches Reich. 42 Berlin, 16. Mai. (Die Freisprechung des Grafen Piickler.) Der gegen den Grafen Pückler durchgeführte und mit dessen Freisprechung beendigte Proceß ist hier bereits unter dem Gesichtspunkte der Frage der Berufung gegen die Urtheile der Strafkammern erörtert worden. Er verträgt und verlangt aber noch eine andere Betrachtungsweise. Die Verfolgung des Grafen wegen Aufreizung zu GewaltthLtig- keiten gegen die Juden war auf eine von jüdischer Seite an gebrachte Denunciation hin eingcleitet worden, und zwar waren es Berliner Juden, die sich vor Gewaltthatigkeiten als einer Folge der in dem schlesischen Dorfe Klein-Tschirne gehaltenen Rede gefürchtet hatten. Die Angst war einiger maßen auffällig, denn die Beredsamkeit de- Grafen ist Fruilleton. Zukunstslmhnhöft. Ein Verkehrsbild aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Von Karl Rudolf i. Nachdruck vrrbotkn. Als die preußische Regierung mit dem großartigen Projecte des Rhein-Elbe-Eanals als ersten Gliedes eines kolossalen, Deutschland vom äußersten Westen bis zum fernsten Osten durchquerenden Binnenschifffahrtscanals vor die Öffentlichkeit trat, war ihr Hauptargument zur Rechtfertigung der bedeuten den Ausgabe von 400 Millionen Mark die Thatsache, daß es bei der zu erwartenden weiteren Zunahme des Verkehrs und dem Steigen des Bodenwerthes in den unablässig wachsenden Groß städten und Jndustriecentren auch mit den größten zulässigen Opfern nicht mehr möglich sein werde, die Bahnhofsanlagen den Bedürfnissen des Zukunftsverkehrs entsprechend zu erweitern. Wenn nun auch die Güterbahnhöfe durch eine Erweiterung des Netzes unserer Wasserstraßen eine ausgiebige Entlastung erfahren können, so gilt keineswegs das Gleiche von dem Per sonenverkehr, in welchem die >Unzuträglichkeiten von Tag zu Tag wachsen. Auf einzelnen besonders frequentirten Personen bahnhöfen nimmt der Verkehr schon heute geradezu beängstigende Formen an, obwohl diese Verkehrsanstalten für die betreffende Stadt durchaus nicht den Charakter von Centralbahnhöfen haben. Die ganze großstädtische Entwickelung drängt aber darauf hin, den Personenverkehr zu centralisiren. Denn wenn, wie es heute an den meisten größeren Orten der Fall ist, mehrere Bahnhöfe als Ausgangspunkte der von der Stadt ausgehenden Linien bestehen, welche untereinander in keiner oder nur mangel hafter Verbindung stehen, so empfindet dies der Einheimische, der in der Stadt oder in ihrer nächsten Umgebung die Bahn benutzt, ebenso unangenehm wie der Durchreisende, der von einem Bahnhofe zum anderen, sobald er Gepäck mit sich führt, die theuere und schwerfällige Droschke benutzen muß. Das Ideal bleibt also auf jeden Fall der Centralpersonen- bahnhof in möglichster Nähe des Mittelpunctes der Stadt, auf welchem Localverkehr und Fernverkehr vereinigt sind. In einer großen Zahl deutscher und österreichischer Städte, auch abgesehen von den bereits mit Stadtbahnen ausgerüsteten Metropolen Berlin und Wien — man denke nur beispielsweise an Leipzig, Hamburg, Breslau, Köln, Stuttgart — befinden sich Bahnhöfe tief drinnen im Häusermeer, leicht erreichbar von allen Seiten. Daß dieselben aber keineswegs mehr zureichen können, wenn die Einwohnerzahl sich verdoppelt oder fämmtliche die Stadt verlassenden Züge von ihnen abgehen, ist außer Zweifel. Kann man sich nun mit den Bahnhöfen inmitten unserer großen Städte, wo umfangreiche Häuserankäufe Millionen ver ¬ schlingen würden, nicht mehr in die Breite ausdehnen, so bleibt es doch unbenommen, dies nach oben oder unten oder in diesen beiden vertikalen Richtungen gleichzeitig zu thun, und das End resultat dieser Entwickelung ist der Etagenbahnhof, der sicher kommen wird und zwar um so eher, als die Einführung der Elektricität in den Betrieb der Bollbahncn nur noch eine Frage der Zeit ist. Die ersten Vorläufer dieser Zukunftsbahnhöfe sind die großen neuen Centralbahnhöfe in Köln und Dresden und diejenigen der Berliner Stadtbahn, bei welchen Wartesäle, Restaurationsräumlichkeiten und Bureaus zum größten Theil direct unter dem Niveau der Gleise liegen. In Amerika aber stehen schon mehrere Bahnhöfe, wie z. B. in Boston und Baltimore, bei welchen die Schienenanlagen mit ihrem gesammien Zugverkehr in zwei und sogar drei Etagen übereinander liegen, und die große Centralstation der weitverzweigten Untergrund bahnen, welche am verkehrsreichsten Puncte der Londoner City gegenwärtig in Bau ist, weist ebenfalls drei verschiedene Tunnel systeme auf, die in verschiedenen Höhen unter spitzen Winkeln übereinander Weggehen. Den zukünftigen Centralpersonenbahnhof stelle man sich nun vor als ein riesenhaftes, thurmartiges Gebäude aus dem solidesten Mauerwerk und Eisen und Glas oder in runder oder polygonaler Form und von einer Höhe, welche etwa das Doppelte eines dreistöckigen städtischen Wohnhauses, also ungefähr 40 Meter, beträgt. Das Erdgeschoß, welches durch Portale von allen Seiten zugänglich ist, enthält an den Wänden die für einen großen Bahnhof unbedingt nothwendigcn Läden für Cigarren, Reisebcdarfsartikel, Geldwechselung, Zeitungen, dann natürlich einige Auskunftsstellen und die heute unentbehrlichen Automaten, Telephonzellen u. s. w. Weiter gegen die Mitte zu führen breite, bequeme Treppen in die Tiefe, ebenso wie nach dem ersten und zweiten Stockwerk, die natürlich auch durch zur Massenbeförderung eingerichtete Fahrstühle oder bewegliche schiefe Ebenen erreichbar sind, auf welche man sich ähnlich wie bei der Stufenbahn nur zu stellen braucht, um von selbst nach oben oder unten befördert zu werden. Lassen wir uns nun nach unten tragen, so gelangen wir zu den Bahnsteigen der dem Localverkehr dienenden Untergrund bahnen, die natürlich zumeist nach dem Vorbilde der Pester Verkehrsanlage direct unter dem Pflaster laufen und nur dem Verkehre innerhalb der Stadt dienen. Auf besondere Züge des Fahrplans brauchen wir hier nicht zu warten, denn alle 2 längstens alle 3 Minuten saust ein aus nur wenigen elektrischen Wagen bestehender Zug aus den Tunnelröhren, welchen nichts von dem ekelhaften Schmutz der früheren Tunnelbahnen an haftet, da die Dampflokomotive hier längsts als Zugkraft ab- gewirthschaftet hat. Das Publicum, welches hier verkehrt, hält sich stets nur wenige Augenblicke auf; daher kommen umständ liche Restaurationsräume und Wartesäle ganz in Wegfall. Steigen wir zum ersten Stockwerk hinauf, so gelangen wir zu den radiär vom Mittclpunct des Gebäudes nach außen ver laufenden Bahnsteigen der dem Schnellverkehr in der Stadt und dem Vorortverkehr dienenden Züge. Wer in den heutigen Metropolen, wie z. B. in Berlin, oder in langgestreckten Städten wie Elberfeld-Barmen oder Stuttgart-Cannstatt Strecken von 10 oder mehr Kilometer zurückzulegen hat, dem kommt die Ge schwindigkeit der alle 500 oder 1000 Meter haltenden Unter grundzüge wie Schneckentempo vor. Deshalb halten die vom ersten Stockwerk ausgehenden Züge, welche auf eisernen Viaducten nach Art der im Bau begriffenen Berliner elektrischen Hochbahn in der Höhe des zweiten Häuserstockwerkes mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 Kilometer die Stadt durcheilen, nur in größeren Intervallen und befördern den mit der Zeit kargenden Fahrgast binnen einer viertel bis halben Stunde bis in die entferntesten Vororte. Automaten für Fahrkarten, Fahr pläne, kalte Speisen und Getränke dürfen hier natürlich erst recht nicht fehlen. Da diese Züge zumeist von Personen fre- quentirt sein werden, welche die Strecken oft benutzen, wird die Zahl des Dienstpersonals hier nach Möglichkeit eingeschränkt. Kein Portier verkündet uns mehr hier mit einer durch den kauder welschen Dialect seines Heimathsdorfes noch unverständlicher werdenden Stimme Abfahrzeit und Richtung des draußen harrenden Zuges, sondern elektrische Klingelsignale lenken unsere Aufmerksamkeit auf große Rahmen, in denen die Tafeln mit den den nächsten Zug betreffenden Angaben abwechselnd er scheinen, wie es z. B. heute schon auf dem Frankfurter und Halleschen Hauptbahnhofe der Fall ist, in ersterer Stadt wird allerdings zum Ueberfluß noch in unverfälscht sachsenhäuserischem Deutsch ausgerufen; die automatischen Apparate functioniren aber dort ausgezeichnet, indem sie uns zum Beispiel melden: „Personenzug nach Bockenheim, Rödelheim, Weiskirchen, Ober ursel, Homburg. Abfahrt 9 Uhr 30 Min.". Hier muß natür lich Jeder selber für sich sorgen. Die mahnende Stimme des Portiers „höchste Zeit" ist verbannt, und das Publicum, welches nur allzulange an dem Gängelbande der Bevormundung herum geführt wurde, gewöhnt sich rasch an die Selbstständigkeit nach amerikanischem Vorbilde, was übrigens gar nicht so schwer ist, da es nur heißt, die Augen offen halten. Noch ein Stockwerk höher findet die Abfertigung der Fern züge statt, welche nicht mehr als Züge von 10 oder 12 oder noch rstehr Wagen nach stundenlangen Intervallen, sondern auf ver kehrsreichen Linien alle Stunden oder halben Stunden ver kehren. Für die Oekonomie der elektrischen Kraft ist es ziemlich gleichgiltig, ob man eine größere Wagenzahl auf einmal als geschlossenen Zug oder in kurzem Zwischenraum zu je 2 oder 3 laufen läßt. Für das Publicum aber ist es von großem Vor- theil, wenn man des Tages zwanzig- oder dreißigmal mit einer Geschwindigkeit, welche diejenige unserer heutigen Blitzzüge weit übertrifft, nach anderen großen Städten gelangen kann. Für die Betriebssicherheit erweisen sich überdies diese sehr kurzen Züge als höchst nützlich, da nachweislich ein großer Theil der jetzigen Eisenbahnunfälle dadurch entsteht, daß bei einem Wechsel der Fahrgeschwindigkeit der schneller fahrende rückwärtige Theil des Zuges auf den langsamer fahrenden vorderen mit seinem ganzen enormen Gewicht drückt und auf ihn gewissermaßen aufläuft, was fürderhin nicht mehr geschehen kann. Die Züge der Fernbahnen laufen auf höheren Viaducten als diejenigen des Vorortverkehrs durch die Stadt. Um jeden Unfall durch Herabstürzen unmöglich zu machen, bei welchem in Anbetracht der großen Geschwindigkeit und der Höhe der Gleise über der Straße kaum einer der Insassen mit dem Leben davonkommen würde, laufen die Züge in großen tunnel artigen eisernen Röhren, aus welchen dieselben nicht herausfallen können und welche das nöthige Licht durch große seitliche Aus schnitte erhalten. Solche Röhren sind schon jetzt bei einigen langen englischen und amerikanischen Eisenbahnbrücken im Gebrauch und tragen auch viel zur Schonung der Brücken bei. deren Gefüge namentlich durch die Erschütterungen leidet, welche durch den unruhigen, springenden Gang unserer jetzigen Dampf- locomotiven bervorgerufen werden. Draußen im freien Lande führt der Viaduct natürlich selbstverständlich zum Erdboden herab, auf dem das Gleis in der bisher üblichen Weise weiter geführt ist. Kehren wir nach dieser Abschweifung zu unserem Thurm bahnhof zurück. Dieser muß natürlich in Zwischengeschossen genügende Räumlichkeiten zur Aufnahme einer großen Zahl elektrischer Wagen haben, welche durch Aufzüge in diejenigen Stockwerke gehoben oder herabgelassen werden, wo dieselben gerade benöthigt werden. In oder über der Etage der Fernzüge befinden sich dann auch alle jene Bequemlichkeiten, welche das auf weite Distanzen reisende Publicum beansprucht, also Re staurant, Kaffeehaus, Badeanstalt u. s. w., und oben auf deni Dache des einem amerikanischen „Himmeltratzer" nicht un ähnlichen Gebäudes ein Garten, von welchem der Ausblick auf unsere über kurz oder lang doch durch die Elektricität rauchfrei werdenden Städte sowohl bei Tage, wenn das Verkehrsleben durch die Straßen fluthet, als auch bei Nacht, wenn gleich Sternen überall in großer Zahl die Lichter aufflammen, ein ungemein fesselnder sein wird. Der Leser wird fragen, ob ihm hier nicht ein gutes Stück fernster Zukunftsmusik vorgespielt wird. Darauf ist zunächst zu erwidern, daß sich dem Bau solcher Riesenthürme keineswegs unüberwindliche Schwierigkeiten gegeniiberstellen. In Amerika stehen Hunderte gleich kolossaler Gebäude, welche allerdings anderen Zwecken dienen, und die Kosten eines solchen Bahnhofs werden keinesfalls bedeutender sein, als jene der modernen Riesenbahnhöfe in Köln, Frankfurt a. M. und Dresden, die 19 bzw. 31 und 54 Millionen Mark verschlungen haben. Die ununterbrochen fortschreitende Technik mag zwar an den Einzelheiten des hier entworfenen Zukunftsbildes Manches ändern, was sich jetzt nicht voraussehen läßt; aber in den Grund- principien werden diese Bahnhöfe in einer nahen Zukunft zur Ausführung kommen; denn die Vorzüge, welche sich an dieselben knüpfen, sind unbestreitbar, und wenn heute derartig fruchtbare Ideen auftauchen, so setzt sie der Mensch an der Geburtsstundr deS neuen Jahrhunderts auch bald in Wirklichkeit um.
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