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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.05.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990518015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899051801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899051801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-18
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Eine „Pastorisirung" solcher Art ist vom deutschen nationalen Standpuncte deshalb sehr bedenklich, weil die Slowenen ja nicht die einzigen Slawen sind, die im deutschen Westen sich nieder gelassen haben; sie finden einen nationalen Rückhalt an zahl reichen Tschechen und vor Allem an der Masse polnischer „Brüder". ^lieber die polnischen Niederlassungen allein im Ruhrkohlen gebiet hat der „Globus" kürzlich sehr beachtenswerthe Mit theilungen gemacht. Dem genannten, als zuverlässig bekannten Fachblatte zufolge befinden sich dort gegenwärtig weit über 100 000, vielleicht 150000 Polen. Sie wohnen meist dicht zusammen, entweder in eigenen Colonien oder in bestimmten Ortstheilen, behalten darum in der Regel ihre Muttersprache bei und bilden bereits slawische Sprachinseln in ursprünglich rein deutschen Gebieten. An Kenntnissen und "Gesittung stehen sie auf einer weit niedrigerenStufe als der Durchschnitt der einheimischen Arbeiter. Keine Wohnung ist ihnen zu schlecht, ihre Nahrung besteht meist aus Speck, Heringen, Brod, "Kartoffeln und Schnaps; an Vergehen und Verbrechen haben sie einen großen Antheil. Von socialdemokratischer Seite wird ihnen vor geworfen, daß sie die granulöseAugenkrankheit und die berüchtigte Bergarbeiterkrankheit, die Wurmkrankheit, eingeschleppt hätten. Wie sehr sie durch die Unkenntniß der deutschen Sprache den Grubenbetrieb gefährden, indem sie die Schutzvorschriften nicht lesen und mit ihren deutschen Mitarbeitern sich nicht verständigen können, ist durch die bekannte Sprachenverordnung der Berg behörde anerkannt worden. Es wäre beklagenswerth, wenn man in Deutschland sich dem Glauben hingäbe, die 150 000 Polen in Rheinland-Westfalen würden über kurz oder lang germanisirt werden, weil sie nur einen slawischen Tropfen im deutschen Volksmeere bildeten. Der gleichen kann man Wohl gelegentlich in der klerikalen Presse lesen. Aber das führende Centrumsorgan, die „Köln. Wolksztg.", hat in einer schwachen Stunde die Polengefahr für Westdeutschland auf das Unzweideutigste anerkannt. Am 34. November vorigen Jahres erklärte sie, mit der Anstellung polnischer Arbeiter in Rheinland-Westfalen sei „schon eine Art Kalamität entstanden", und fügte wörtlich hinzu: „Es wäre eine starke Selbst täuschung, wenn die Regierung meinen sollte, die so ver pflanzten Polen würden leichter germanisirt." Die Begründung für diese bedauerliche Thatsache findet sich wiederum in der „Köln. Volksztg.", und zwar in ihrer Nummer vom 4. December 1898. Darin ist wörtlich zu lesen: „Kommen diese polnischen Arbeiter nach dem Westen, so läßt man sie unter einander ruhig sprechen, wie sie wollen, und ist überhaupt froh, Ar beiter zu haben. . . . Die fortwährenden Germanisirungsver- snche...fallen in der Fremde we g." Die nahe liegende Vermuthung, daß die Polen gerade in Deutschland ihre Nationalität besonders eifrig und besonders leicht behaupten, ist unrichtig: in Dänemark kann man ganz dieselbe Erscheinung beobachten, wie bei uns. Zur Illustration dieser Thatsache geben wir die nachstehenden Zeilen aus einer Correspondenz wieder, die der „Voss. Ztg." unter dem 7. April d. I. von Kopenhagen zuging: „In Maribo auf der Insel Laaland wird in der dortigen katholischen Kirche jeden Sonntag polnisch gepredigt und polnisch gesungen. Diese Kirche wurde erst vor 1Z Jahren eingeweiht. Auf der Insel Laaland haben sich mehrere Tausende Polen seit einigen Jahren für immer niedergelassen, da sie dort guten "Ver dienst finden. Die katholische Kirche zu Maribo ist Dank den Anweisungen des dortigen katholischen Geistlichen Ortwod er baut worden. Ortwod, ein Däne, und von Hause aus evan gelischer Theologe, wurde Katholik, erlernte durch längeren Aufenthalt im Posenschen und in Galizien polnisch und unter nahm unter den Polen Sammlungen zum Bau einer katholischen Kirche in Maribo. Jetzt wird dort fast nur polnisch gepredigt und gesungen. Die Zahl der dänischen Katholiken in Maribo ist so gering, daß für dieselben nur in größeren Zwischenräumen dänische Predigten abgehalten werden." Wie in Dänemark, gehört auch in Rheinland-Westfalen die katholische Geistlichkeit zu denjenigen Factoren, welche der Germanisirung hinderlich sind; denn sie kommt der aus national politischen Gründen gestellten Forderung der Polen, polnische Geistliche anzustellen, viel zu sehr entgegen. Man höre nur, was die „Germania" vom 6. v. M. hierüber zur Beschwichtigung der polnischen Agitatoren berichtet hat: „Die Oberhirten der in Betracht kommenden Diöcesen haben auch ihr Möglichstes gethan, um allen berechtigten Ansprüchen zu genügen. Richt nur, daß sie g e b o r e n e P o l e n zur Pastorisirung namentlich in der Osterzeit herangezogen, sie haben auch angehenden Can- didaten des Priesterstandes polnischen Sprachunter richt ertheilen lassen, damit wenigstens für das Roth- wendigste Vorsorge getroffen werden könnte. In der That be herrscht eine ganze Reihe von Geistlichen der Bisthllmer Paderborn und Münster insoweit dasPolnische, daß sie in dieser Sprache Beichte zu hören im Stande sind." Trotzdem wird die Agitation für die sofortige An stellung polnischer Geistlichen in Bochum und Watten scheid mit derart wachsender Anmaßung betrieben, daß die „Germania" den ungestümen Petenten wiederholt vorhalten mußte, sie hätten die schuldige Ehrerbietung gegen den Bischof von Paderborn vermissen lassen! In der Sache aber findet das Berliner Centrumsblatt gegen die polnische Petition „kaum etwas einzuwenden". So hat die Praxis des deutschen Kleri- kalismus dieselbe Folge, wie die „Pastorisirung" des Slowenen Krek: sie stärkt das Slawenthum auf deutscher Erde. Auf die Thätigkeit Krek's in seiner Heimath fällt übrigens ein sehr charakteristisches Licht durch die Schrift des Professors Or. Hofmann von Wellenh'.-f, der in seiner Schr ,r über „Das Deutschthum in den östlichen Alpenländern" u. A. Folgendes erzählt: Eine „christlich-sociale" Arbeiterversammlung faßte nach den Aus führungen des geistlichen Abgeordneten vr. Krek eine ebenso freche als komische Entschließung, in der u. A. die berufenen Factoren aufgcsordert wurden, das Tragen der Frankfurter Bänder (schwarz- roth-gelb) zu verbieten, da auch die slowenischen Arbeiter nicht mehr ruhig Blut bewahren könnten, wenn sich die Deutschen auch im slowenischen Laibach unterfingen, Ausschreitungen zu ver anstalten. Und an einer anderen Stelle der Schrift heißt eS: Ter schon genannte geistliche Abgeordnete vr. Krek ließ sich im Mai 1898 in einer Laibacher Volksversammlung dahin vernehmen: „Wie in der ungarischen Reichshälfte die Magyaren alle übrigen Volker unterdrücken und Las Volk im Allgemeinen ausbeuten, thun Lies in Oesterreich die Deutschen. Darum ist cs erste Bedingung, die Deutschen in Oesterreich zu bekämpfen, ihren Ein fluß zu vernichten, ehe an eine Besserung der Verhältnisse ge dacht werden kann. Denn der Einfluß der Deutschen in Oesterreich ist das Grundübel, aus welchem die wirthschaft- lichen Uebelstände ihren Ausfluß haben . . ." In Rheinland-Westfalen wird sich Herr Krek nun freilich hüten, seinem Hasse gegen das Deutschthum gleich offenen Aus druck zu geben; aber er wird es schoGOirstehen, bei seiner „Pasto risirung" der Slowenen diesen etwas von seinem Hasse einzu flößen. Und trotzdem läßt man ihn unbehelligt wirken, während Männer, wie Or. Hofmann von Wellen Hof, wegen ihres Eintretens für das in Oesterreich bedrängte Deutsch thum mit Ausweisung bedroht werden. Freilich hetzt Krek zunächst nur gegen das Deutschthum in Oester reich, und das ist dort kein Vergehen, während vr. Hof mann von Wcllenhof sich durch sein Eintreten für das Deutsch thum in Oesterreich dort mißliebig macht. Und aus lauter Loya lität gegen die jetzige österreichische Regierung scheint man in Berlin bei der Beurtheilung der Thätigkeit Krek's und Hof- mann's von Wellenhof in Preußen die österreichische Brille auf zusetzen. Man duldet das Hereintragen österreichischer Feuer brände in das Reich, weil sie in Oesterreich als Leuchtfackeln angesehen werden, und gießt das Wasser, das zur Löschung solcher Brände dienen könnte, aus, weil es der österreichischen Regierung die Füße naß machen könnte. Erwartet man vielleicht, daß man von Wien aus mit Brandeimern zu Hilfe kommen werde, wenn Herr Krek im deutschen Westen ein Feuerchen angezündet hat? Zur Jubilaumsbulle Papst Leo's XIII. v. Die „Germania" veröffentlicht eine eigene Uebersetzung der Bulle, mit welcher Leo XIII. die Feier des „heiligen Jahres" angcordnet hat. Ueber das Wesen eines solchen Jubeljahres unterrichtet der6.Band des katholischen „K i r ch e n l e x i k o n S" folgendermaßen: „Man unterscheidet ein doppeltes Jubiläum, das ordentliche, welches dermalen alle 25 "Jahre wiederkehrt, ein ganzes Jahr, von Weihnachten zu Weihnachten, dauert und, nachdem es zu Rom abgehalten worden, im folgenden Jahre auf die gesammte katholische Kirche ausgedehnt wird, und ein außer ordentliches, welches ... oft nur für kurze Zeit und bald für die Äesammtkirche, bald auch für einzelne Länder und Städte concedirt wird. . . . Beim ordentlichen Jubiläum sind in der Regel nur der Empfang des Bußsacramentes und der hl. Kom munion und der Besuch bestimmter Kirchen . . . vorgeschrieben; bei außerordentlichen Jubiläen kommen dazu noch Fasten und Almosen. . . . Die Gnade des Jubiläums besteht in einem vollkommenen Ablasse und in außer ordentlichen Vollmachten, welche der Papst den cht - äternder Gläubigen verleiht. Die Beichtväter wer- vr-Vermächiigt, von allen noch so schwerenSünden, auch wenn sie dem Bischof oder dem Papste Vorbehalten sind, und von allen auf solche Sünden gesetzten Censuren in loro oon- soiontiao zu absolviren. Ausgenommen sind nur pecoatum LOM- pliei8, attoutata absolutio.eomplicis uno talsa aceusatio sol- ieitationis. . . . Die Beichtväter können ferner das Object ein facher Gelübde (mit Beschränkungen) in andere heilsame Werke umändern, bisweilen auch von ihm ganz dispensiren, sowie die zur Gewinnung des Jubiläums vorgeschriebenen Werke ganz oder theilweise in gleichwerthige umändern." ManerkenntaufdenerstenBlick.inwelchem Grade das Jubeljahr geeignet ist, die Macht der vatikanischen Kirche im Allgemeinen und die Macht der Beichtväter im Besonderen zu erhöhen. Das wird um so einleuchtender, wenn man sich er innert, daß der Erfinder des Jubeljahres einer der herrschsüch tigsten Päpste gewesen ist: Bonifaz VIII. Tosti, der be geisterte Biograph dieses Papstes, sieht darin nach seiner idea listischen Auffassung den größten und schönsten Gedanken seines Helden. Der unerschöpfliche 'Gnadenschatz der Kirche sollte ein mal, meint Tosti, zur Jahrhundertwende einer möglichst großen Zahl ihrer Kinder zu Theil werden. Auch wollte Bonifaz, da er eine Abnahme des kirchlichen Geistes bei den Völkern wahrnahm, daß die Kirche ihre Kinder für kurze Zeit an ihr Herz drücken solle, um sie neugestärkt und gekräftigt in der Liebe zu entlassen. Außer der Befestigung seines wankenden Ansehens war aber, wie Wattenbach in seiner „Geschichte des römischen Papst- thums" urtheilt, Bonifaz doch nicht gleichgiltig gegen die reichenOpfergaben, welche die Pilger mitbrachten. Un zähliges Volk strömte nach Nom, noch niemals seit den Zeiten des alten Kaiserreichs hatte man so gute Tage gehabt. Das ganze Jahr 1300 hindurch, sagt der Augenzeuge Giovanni Villani, sink täglich 200 000 Pilger anwesend gewesen und alle Römer wurder reich. Von der Habgier, die zu früheren Zeiten in Rom herrschte giebt das „ K i r ch e n l e x i k o n " an der angeführten Stelle einen Begriff, indem es erzählt: „Als der Cardinallegat Maß regeln ergriff, um der Prellerei Grenzen zu setzen, wurde er so gar mißhandelt." Finanzielle Rücksichten auch sind es gewesen, welche zur immer häufigeren Feier des Jubeljahres führten. Clemens VI. ließ das Jubeljahr alle 50 Jahre begehen, der kriegerische Urban VI. alle 33 Jahre, der eitle "Paul II., der öffentlich, wie Wattenbach anmerkt, nie ohne Schminke erschienen sein soll und im höchsten Grade habsüchtig und geizig war, alle 25 Jahre. Solche finanzielle Beweggründe liegen Papst Leo XIII. natürlich fern. Das Papstthum ist jetzt weit sicherer und glän zender im Punkte der Finanzen gestellt als damals. Wohl aber besteht auch für das heutige Papstthum in unverminderter Stärke das Bedürfniß, die Herrschaft der römischen Kirche über die Seelen zu befestigen. Papst Leo sagt in seiner Bulle: Das Jubeljahr biete eine große Menge von Hilfsmitteln dar zur Ver besserung der Sitten und zur Heiligung der Seelen. Seltsam widerspricht dieser Angabe die Vorschrift, die der Papst weiterhin ertheilt und die also lautet: „Alle sollen aus ganzem Her- zenzu Gottbeten um die Erhöhung der Kirche, die A u s - rottungderKetzer.die Eintracht der katholischen Fürsten und das Wohl des christlichen Volkes." Wie ein Gebet um Aus rottung der Ketzer die Titten zu verbessern und die Seelen zu heiligen vermag, ist für unsere ketzerische Einsicht ein Geheimniß. Aber Eines glauben wir bestimmt zu wissen: Die Vor schrift des „Knechts der Knechte GotteS" muß in allen Ländern, die nicht ausschließlich von Katholikenbewohntsind, denconfessionellen Frieden sehr erheblich stören. Deutsches Reich. Berlin, 17. Mai. (Die Bestrafung von Anar chisten.) Der angesehene Berliner Psychiater Professor Mendel bat dieser Tage in einem Vortrage über „ AnarchiS - muS und Geisteskrankheit" sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß man jetzt bei anarchistischen Verbrechen aus Furcht, einen Verbrecher der gerechten Strafe zu ent ziehen, vielfach »och nicht die Frage nach dem Geisteszustände des Attentäters aufwerfe. Eine derartige Untersuchung sei aber vom Standpunkte der Bekämpfung des Anarchismus aus weit praktischer. Diese Ansicht begründete Professor- Mendel in folgender Weise. Ein Narr, der im Irrenhause ende, finde keine Nachahmer, ein Anarchist, der auf dem Schasfot sterbe, gelte in seinen Kreisen als Mär tyrer; sein Tod verherrliche in den Augen seiner Gesinnungsgenossen seine That und sporne sie zur Nach ahmung und zur Rache für die Hinrichtung ihres Genossen an; der Propaganda der That werde dadurch neuer Nährstoff zugesührt und der uothwendige Kampf gegen den Anarchis mus nur erschwert. — Wir glauben nicht, daß die Ein sperrung eines anarchistischen Attentäters ins Irrenhaus eine andere Wirkung haben würde, als seine Bestrafung mit Tod oder lebenslänglichem Zuchthaus. Denn mag der anarchistische Attentäter nun geistig gesund oder ein Paranoiker oder ein Geistesschwacher gewesen sein; immer wird er den Anarchisten als bewunderungswürdiger Held gelten, dessen That Nachahmung verdiene. Und vielleicht werden sogar die Anarchisten cs als ein noch größeres Martyrium ansehen, wenn ein solcher Held ins Irrenhaus gesperrt, als wenn er mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthause bestraft wird. Die Anarchisten werden behaupten, die Nieder tracht der bestehenden Staatsgewalt zeige sich darin, daß sie einen anarchistischen Helden durch Einsperrung inS Irrenhaus Feuilletsn. Leaumarchais. — Geb. 24. Januar 1732, gest. in der Nacht vom 17.—18. Mai 1799. — Von Karl Frenzel-Berlin. Nachdruck verboten. Zwei Schöpfungen haben dem Ramen Beaumarchais Unsterb lichkeit erworben: die beiden Komödien „DerBarbier von Sevilla" und „Die Hochzeit des Figaro". Beide wurden zum ersten Male in der ComSdie Fransaise aufgcführt: „Der Barbier" am 23. Februar 1775, die „Hochzeit" am 27. April 1784, seitdem sind sie das Gemeingut aller Theater der Welt geworden. Die Musik zweier genialischer Meister, Mozart's und Rossini's, die als Künstler weit das dichterische Talent ihres Verfassers überragten, hat sie mit ihren Tönen wie mit einem Zaubergewebe von Sonnenstrahlen und Frühlingsduft umsponnen und ihnen damit alle Spuren irdischer Gebrechlichkeit genommen. Sie besitzen für uns nicht mehr die satirische Spitze, die sie, besonders die „Hoch zeit des Figaro", gegen die verrotteten Zustände des alten Frank reichs richteten, sie sind jetzt reine und zeitlose Kunstwerke. Aber ihr Urheber war ein Mann der That, des Kampfes, der Pro teste und der großen Unternehmungen, nichts weniger als eine beschauliche Natur. Für ihn waren die drei Schauspiele, die beiden Komödien und der Operntext „Tarare", den Antonio Sa lieri in Musik setzte — eine Mischung von heroischer und komischer Oper im orientalischen Stile —, nur die Zerstreuungen seines ruhelosen Geistes, „die tollste Träumerei meiner Nachtmütze", hat er „Figaro's Hochzeit" genannt. Mit seinen Abenteuern und Ge richtshändeln, seinen Geschäften als Rheder, Waffenhändler und Buchhändler hat er das letzte Drittel des achtzehnten Jahr hunderts erfüllt und ist einer der am meisten gehaßten und be neideten, aber auch am wärmsten geliebten und bewunderten Männer in Versailles und Pari- gewesen. Peter Augustin Ca« ron, der Sohn eines wohlhabenden Uhrmachers in der Straße St. Denis — Beaumarchais nannte er sich von einem kleinen Gute seiner ersten Frau, nach der Erwerbung eines untergeord neten Hofamts —, stellt in seiner Person und seinem Geschick den Uebergang des alten königlichen Frankreichs zu dem Frank reich der Revolution vorbildlich dar. An die Stelle des Adels und der Geistlichkeit tritt der Bürgerstand. Er wird hoffähig und sein Reichthum verdrängt die Macht und den Einfluß der bisherigen leitenden Stände. In „Figaro's Hochzeit" handelt es sich scheinbar allein um den Streit zwischen dem Grafen Alma- viva und seinem Kammerdiener über den Besitz Susannens: in Wahrheit aber wird das Herrenrecht in Frage gestellt, als un moralisch und tyrannisch verworfen und mit List überwunden, weil den Unterdrückten noch die Waffe fehlt, es gewaltsam zu brechen. Nicht mit Unrecht hat man darum Beaumarchais' Lust spiel als einen der Jeuerfunken bezeichnet, die den Brand der Revolution entzünden halfen. Der junge Caron hatte eine gute Schulbildung genossen, dennoch wollte ihn der Vater nicht die juristische Laufbahn ein schlagen lassen, sondern behielt ihn in seinem Geschäft. An stellig, wie er zu allen Dingen war, die er ergriff, erfand er bald eine neue Hemmung der Uhren, die Aufsehen machte. Dadurch wurde er mit den Prinzessinnen, den Töchtern Ludwig's XV., denen er Uhren mit seiner Erfindung überreichen durfte, ober flächlich bekannt. Ein anderes Talent empfahl ihn noch besser ihrem Wohlwollen, er war eine musikalische Natur und spielte vortrefflich die Harfe und die Flöte. Bald war er bei ihren kleinen Hausconcerten, mit denen sie sich die Langeweile ihres Lebens zu erheitern suchten, ein ständiger Theilnehmer. Er gab ihnen Unterricht im Harfenspiel und componirte eine Reihe kleiner zierlicher Musikstücke für sie. Sein offenes, hübsches, etwa- llbermllthiges Gesicht, sein bei aller Keckheit der Rede angemessenes Betragen erweckte ihr Vertrauen, und er durfte gelegentlich ein freies Wort wagen, das sie einem Diener oder Hofmann nicht ge stattet hätten. Seine Stellung bot ihm die Gelegenheit, einem reichen Bankier einen großen Dienst zu leisten. Paris Duverney hatte auf seine Kosten unter der Zustimmung des Königs eine Schule gegründet, in der die Söhne verarmter Edelleute und Officiere eine militärische Erziehung erhielten: eS lag ihm daran, seine Schöpfung dem Könige zu zeigen. Aber alle seine Be mühungen in dieser Hinsicht waren vergebliche geblieben. Da ge lang es Beaumarchais, die Prinzessinnen zu einem Besuche der Schule zu bewegen. Duverney empfing sie mit allen Ehren, und die Prinzessinnen waren entzückt vonAllem, was sic sahen, dem stattlichen Gebäude, der passenden Einrichtung, den jungen Leuten und ihren Lehrern. Ihre Erzählungen überwanden die Trägheit und Gleichgiltigkeit ihres königlichen Vaters: am 18. August 1760 erschien Ludwig XV. in der Militärschule. Paris Duverney war am Ziel seiner Wünsche und vergaß es bis zu seinem Tode Beaumarchais nicht, daß er ihm dazu verholfen. In der Schule dieses hervorragenden Geschäftsmannes ent wickelte sich Beaumarchais' Talent für finanzielle Unternehmun gen, den Wagemuth und die Kühnheit brachte sein Temperament hinzu. Jeder kennt aus Goethe's Trauerspiel „Clavigo" die glänzende Rolle, die er in der Vertheidigung der Rechte seiner Schwester in Madrid spielte. So ganz als irrender Ritter, wie es Beaumarchais darstellt, war er indessen nicht nach Spanien ge gangen. Sein Vater trieb einen regen Uhrenhandel mit Spanien, und im Laufe der Zeit hatte sich eine große Summe nicht be zahlter Rechnungen und Schuldscheine angesammelt, die der Sohn bei Gelegenheit seiner spanischen Reise eincassiren sollte. Der Hauptgrund zu dieser Reise war keineswegs der Treubruch des königlichen Archivrathes Joseph Clavigo's gegen Fräulein Marie Caron, die im Hause ihres Schwagers Ludwig Guilbert, eines Baumeisters, seit einigen Jahren in Madrid lebte, sondern ein phantastischer Plan Duverney's, all« Truppen der König reiche Spanien, Majorka und der Presidios an der afrikanischen Küste für zwanzig Millionen Franken jährlich mit Lebensmittel und Proviant zu versorgen. Als Abgesandter des angesehenen Bankiers war Beaumarchais reichlich mit Geld und Empfeh lungsbriefen an den französischen Gesandten und die spanischen Minister ausgestattet. Der Ehrenhandel mit Clavigo war nur eine Episode in dem eigentlichen Geschäft. Was Beaumarchais später in einem seiner gerichtlichen Memoiren, in seinem Proceh gegen den Parlamentsrath Goözman, von diesem Abenteuer berichtet, hat Goethe bekanntlich fast wortgetreu in dem zweiten Act seines Trauerspiels wiedergegeben. So tragisch, wie unser Dichter es darstellt, sind die Dinge nicht verlaufen. Marie Caron ist nicht am gebrochenen Herzen und der Schwindsucht und der treulose Clavigo nicht an dem 'Degenstich Beaumarchais' gestorben. Eine Weile war Clavigo, als sein unwürdiges Be nehmen gegen die Geschwister Caron bei Hofe bekannt geworden, in die Ungnade König Karl's III. gefallen, aber allmählich kam er wieder- empor. Er ist erst im Jahre 1806 als Vice- dircctor des naturhistorischen Museums in Madrid gestorben, geehrt und geschätzt als einer der ausgezeichnetsten spanischen Schriftsteller und Journalisten; Marie hat ihr Leben vor ihm in dem Kloster der Damen zum Kreuz zu Roye in der Picardie beschlossen; nach dem Tode Guilbert's im Jahre 1772 hatten die beiden Schwestern Madrid verlassen und waren nach Frank reich zurückgekehrt. Vom Mai 1764 bis zum März 1765 verweilte Beaumarchais in Spanien, er hatte weder das große Verproviantirungsgeschäft, noch die Heirath seiner Schwester mit Clavigo zu Stande ge bracht, aber er trug offenbar eine viel bessere Ausbeute seiner Reise heim, die schwankenden Schattenbilder seiner beiden Komödien. Er schwärmte für die spanische Musik und das spanische Kostüm: „ich hülle mich in meinen spanischen Mantel, mit einem weiten, weichen, breitkrempigen Hut auf dem Kopfe — das nennt man hier in oupa gombroro, und wenn ich, den Mantel über die Schulter geworfen, drei Biertel meines Gesichts in seine Falten verberge, bin ich, wie es heißt, oint>o88a<Io" —, Graf Almaviva, wie er leibt und lebt. Sein erstes Schauspiel „Eugenie" ist denn auch eine dem „hinkenden Teufel" entnommene spanische Novelle, die er nach England ver legte, ohne ihr Lokalkolorit dadurch verwischen zu können. Doch weder der Beifall, der dem Stück zu Theil ward, noch die Niederlage, die ein zweites Drama „Die beiden Freunde" er fuhr, machten ihn berühmt. Erst zwei Processe mit einem Stich in den Scandal verschafften ihm einen Weltruf. Nach dem Tode Duverney's am 17. Juli 1770 strengte sein Neffe und Universalerbe, der Graf de la Mache, einen Proceß gegen ihn an: nach den Büchern Duverney's sei Beaumarchais den Erben noch eine Summe Geldes schuldig. Vielleicht wäre eS das Klügste gewesen, die Summe zu bezahlen; da indessen auf dem Unter grund des ProcesseS der Verdacht zu ruhen schien, Beaumarchais habe die Bücher gefälscht, so nahm er den Fehdehandschuh auf.
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