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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.05.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990519024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899051902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899051902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-19
- Monat1899-05
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Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr, di« Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaction »nd Erpeditio«: JohanntS-affe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ott» klemm'» Laotin». (Alfred Hahn), Universität-straffe 3 (Pauliuuui/. Louis Lösche, Latharinenstr. IS, Part, und König-Platz 7. Bezugs-Preis in der Hauptexpedition oder den im Stadt- bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau- 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l 6.—. Directe tägliche Kreuzbandsendusg in» Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. MpMcr. TaMM Anzeiger. Antlsölatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reckamen unter dem RedactionSstrich (-ge spalten) 50^, vor den Familirnnachrichte» (6 gespalten) 4O/H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniff. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Srtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbefördrrung 60.—, mrt Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig, 252. Freitag den 19. Mai 1899. W. Jahrgang. Am zweiten Feiertage erscheint keine Nummer unseres Blattes. Anzeigen für die Frühnninnrer nein Dienstag, den 23. Mai, erbitten n»ir bis spätestens morgen Sonnabend Abend < Uhr Politische Tagesschau. * Leipzig, 19. Mai. E» kam, wie eS kommen mußte; der Reichstag hat die — unmöglich aufschiebbaren — Pfingstferien angetreten, ohne das Invalid engesetz in zweiter Lesung zu Ende zu derathcn. Berliner Zeitungen — darunter sehr ernsthafte — veröffentlichten gestern Abend eine von einem geschwinden Journalisten dem Reichstage ausgefertigte Ouartalsbilanz, in der die „erledigte" zweite Lesung des JnvalidengcsetzeS dem hoben Parlamente auf daS „Haben" geschrieben war. Der industriöse Herr und seine Abnehmer haben dem Reichstag Unrecht getban. ES wäre geradezu frivol gewesen, die noch ausstehende Hälfte der schwierigen Materie in ungefähr drei Stunden — mehr Zeit stand nicht zur Verfügung — „abzumachen". Allerdings war eS nicht die gesetzgeberische Moral, sondern das Gesetz, waS den Ver handlungen ein Ende machte. Bei tz 51 ergab sich Beschluß unfähigkeit. Wir glauben aber zu wissen, daß, wenn in diesem Stadium die Weiterberathung nicht unmöglich geworden wäre, der Reichstag die Vorlage gestern dennoch nicht für die dritte Lesung reif gemacht hätte. Die von An beginn nicht würdige Beschleunigung der zweiten Berathung hat bei einer nicht gerade großen, aber unter den gegebenen Umständen numerisch bedeutenden Anzahl von Abgeordneten etwas wie Schamgefühl erweckt, eine Empfindung, die sich bei einem Süddeutschen in den Worten Luft machte: „Müssen wir unS denn von der Regierung, die selber gebummelt hat, zu Tode Hetzen lassen?" Der Ausspruch, dem wir seinen ursprünglichen bajuvarischen Beigeschmack genommen haben, kennzeichnet den Sachverhalt ungefähr richtig. Man hat den Reichstag sehr spät einberufen, hat ibm beim Zusammentritt keinen Ucberblick über den Ge- scbäftSplan ermöglicht, sondern ihn nach und nach mit einer ungeheueren Arbeitslast bebürdet, man hat außerdem ruhig zugesehen, wie sich ein gut Theil die Kraft in Commissionen durch Jnitiativ-Allotria ver brauchte, nnd aus einmal wird die Negierung oder wenigstens Graf PosadowSky ungeduldig und will etwas auf seinem PfingstniorgenfrühstückSlisch haben. Der Neichstagspräsident hilft merkwürdigerweise mit und so kommt ein verderbliches Jagen zu Stande mit dem traurigen Effect, daß kein HaUali geblasen werden kann. Besonnene Parla mentarier standen schon am Mittwoch der vergangenen Woche, als ein beschlußfähiges Haus zu Repräsentationszwecken des Centrums zusammenterrorisirt wurde, nicht an, den gewöhn lichen Zustand der Nichtbeschlußfähigkeit als den augenblick lichen wünschenSwerlheren zu bezeichnen. Debatte und Be schlüsse haben diesen Herren Recht gegeben. ES wurde — nicht nur von socialdemokratischer Seite — zum Fenster hinaus geredet und zum Fenster hinaus gestimmt. Von einer Reihe von Bestimmungen wußten die Antragsteller und Mitbeschlie ßenden ganz genau, daß die Negierungen sie nicht acceptiren oder auch nur ihre Preisgabe in dritter Lesung ernstlich als CompensationSobject behandeln würden. Aber man sprach und beschloß „drauf loS", weil man sich sagte, die Sache sei doch nicht ernst. ES muß leider gesagt werden, daß die Socialdemokratie, die einer Berathung des Gegenstandes vor Pfingsten widerstrebte, Recht behalten hat. DaS kann am allerwenigsten die Regierung leugnen, die den armen Reichstag schuldig werden ließ und ihn dann der Pein über ließ. Die Beteiligung des BundesrathS an den Debatten war, lwie die Berichte ergeben, überaus dürftig. Herr Graf PosadowSky fühlte das allmählich und machte aus der Unzulänglichkeit eine Tugend, indem er der Sache nach be merkte, die Negierung halte sich zurück, um überhaupt Beschlüsse zweiter Lesung zu Stande kommen zu lassen — seilioet vor Pfingsten. Nun die Debatte erloschen, ist die „Diplomatie" zu Schanden geworden und bleibt auf den: Grunde deS Bechers nur die Hefe der Unzulänglichkeit zurück. Das Erzebniß der Verhandlungen zu resumiren, hätte auch keinen Zweck, wenn die zweite Lesung beendet worden wäre. Von einer Reihe von Beschlüssen ist es gewiß, von anderen wahrscheinlich, daß der Bundesratb ihnen nicht zustimmen kann resp. wird. Ueber folgenlose Unterhaltung des Reichstags aber braucht man kein Papier zu verschwenden. Ohne jedes Interesse sind diese Debatten aber doch nicht gewesen. Sie haben Differenzen innerhalb der freisinnigen Volkspartei offenbart, wie man sie bisher in Richter'schen Parteien oder Gruppen nur vor Secessionen gesehen bat. Zweimal wurde gemeutert, und als Herr Richter durch Nichtunterstützung eines von ihm eingebrachten SchlußantrageS — wozu nur 30 Stimmen nöthig sind — vielleicht die schwerste parlamentarische Nieder lage seines Lebens beigebracht wurde, da soll eS der aus der einstmals gewaltigen freisinnigen Führung bervor- gegangcne Vicepräsident Schmidt gewesen sein, der die Nieder lage des Vorgesetzten organisirte. Schließlich wird die übliche Unterwerfung nicht ausbleiben, im „Cirkel" hat sich Eugen Richter noch nicht ganz zu Tode gesiegt. Die bekanntlich sehr canalfreundliche „Natl. Corresp." erörtert heute den Stand der kanalvorlage wie folgt: „Die Canalerörterungen werden in den freiconservativen und agrarischen Organen mit dem unverhohlenen Bemühen fortgeführt, die Gegensätze auf die Spitze zu treiben. Namentlich zeichnet sich darin die freiconservative „Post" aus, deren Beziehungen zu Freiherrn von Stumm bekannt sind, in dessen Sinne sich ja auch die Eisenindustrie an der Saar so scharf gegen den Mittellandcanal aus gesprochen hat. Das Organ geht sogar so weit, Kuigge's „Umgang mit Menschen" durch ein neues Capitel über den Umgang mit Ministern und Landräthen zu bereichern. Es erzählt, der Minister des Innern, Graf Fritz Eulenburg, habe sich einmal, als Herr v. Meyer- Arnswalde ihm im Abgeordnetenhause in seiner bekannten drastischen Art sehr energisch Opposition gemacht hatte, be wogen gesehen, ihn darauf aufmerksam machen zu lassen, daß für einen Lanbrath eine so scharfe Form der Kritik an der Politik seines vorgesetzten Ministers nicht geeignet erscheine. Herr?von Meyer ließ dem Sendboten gegenüber an den Minister die aus dem Götz von Berlichingen be kannte Einladung ergehen, der Niemand zu folgen braucht, worauf Graf Eulenburg, als ihm der Erfolg seiner Sendung mitgelheilt wurde, in die Worte ausbrach: „Ich habe eS doch immer gesagt, der Meyer ist ein anständiger Kerl." Auf den Boden nüchterner Erwägung führen indeß bereits Centrums organe, die bisher die conservative Opposition energisch ent schuldigt haben, aber angesichts der Ergebnisse der Commissions- berathungen sich dahin äußern, daß eS der Opposition doch wohl weniger um den Canal als um die Machtfrage zu thun sei. Sie rechnen, wie es auch an dieser Stelle geschehen ist, damit, daß die Centriimsmitglieder aus dem Westen, die noch Bedenken gegen den Canal hatten, diese Bedenken znrück- stellen werden und daß die schlesische Centrumsopposition ebenfalls einlenken würde, wenn die Competenzfrage be friedigend gelöst wäre, zumal da schon jetzt nicht alle schlesischen Centrumsabgeordneten auf einem ablehnenden Standpunkte ständen. Dieselben Centrumsblätter bestätigen weiter, daß von den Conservativen und Freiconservativen nicht wenige Canalfreunde sind. Ist diese Rechnung richtig, dann ergiebt eine Gegenüberstellung der FractionSziffern, daß daS Abgeordnetenhaus sich in zwei Hälften theilt, wobei die Entscheidung bei ganz objectiver Aufrechnung unleugbar in der Hand der mehr als 30 politischen Beamten liegt, die außerhalb des HauseS verpflichtet sind, die Politik der Re gierung zu vertreten. So wenig hinter der Eulenburg-Anekdote der „Post" eine allgemeine ernsthaft gemeinte Verhaltungs maßregel für preußische Beamte, seien eS nun Landräthe oder Seehandlungspräsidenten, zu suchen ist, so wenig wird man es auf der Rechten bestreiten können, daß diese Eonstcllation für alle Betheiligten, Partei, Landräthe und Staats regierung, wenig erquicklich ist, und daß eine Partei, die der Antheilnabme der Landräthe eine so erhebliche Förderung ihrer Interessen und Macht zu danken hat, nun auch die Lasten dieser „Geschäftsverbindung" nicht von sich abweisen darf." — Die Berufung auf die Beamtenqualität einzelner Abgeordneter ist immer ein heikel Ding, am heikelsten aber bei rein wirthschaftlichen Angelegenheiten. Zur Frage der Beamtenmandate muß man principiell, aber nicht von Fall zu Fall Stellung nehmen. Nichtig bleibt indessen, daß die gegenwärtige Situation unerquicklich ist für die Regierung wie für die Beamten. In der gestrigen Sitzung deS englischen Unterhauses kam die Rede auf Transvaal. Ueber die schon kurz erwähnten Ausführungen deS Colonienministers Chamberlain geht uns noch folgende ausführlichere Mittheilung zu: * London, 18. Mai. (lln terhaus.) Chamberlain erklärt der Präsident deS Oranje-Freistaates habe den Gouverneur der Capcolouie und den Präsidenten Krüger zu einer Zu sammen kunst nach Bloemfontein eingeladen. Ter Gouverneur Miln er habe diese Einladung mit Zustimmung der Regierung angenommen, welche hierdurch einen Beweis von ihrer Bereitwilligkeit, mit der südafrikanischen Republik herzliche Beziehungen aufrecht zu erhalten, habe geben wollen und ernstlich hoffe, Las; durch die Zusammenkunft eine befriedigende Lösung der schwebenden Fragen werde herbeigeführt werden. Tie Zusammen, kunft bezwecke, die gegenwärtige Lage zu erörtern und den Abschluß eines solchen Abkommens herbeizusühren, welches die englische Negierung anuehmen und den Uitlanders als ein billiges Zugeständniff auf ihre gerechten Forderungen empfehlen könnte. Ferner wolle man suchen, den Schwierigkeiten ein Ende zu machen, welche die guten Beziehungen bedrohen, die nach dem Wunsche der englischen Negierung zwischen ihr und der Negierung der Südafrikanischen Republik fortdauernd bestehen sollten. Chamberlain fügt hinzu, er höre, daß Präsident Krüger erklärt habe, Milner's Antwort gehe über seine Absichten hinaus, trotzdem sei er aber bereit, nach Bloemfontein zu gehen und jeden Vorschlag in sreundschast- kicher Weise zu erörtern, welcher Aeeignet sei zu einem guten Ein- vernehmen zwischen der südafrikanischen Republik und England und zur Aufrechterhaltung des Friedens in Südafrika beizutragen, vorausgesetzt, daß die Unabhängigkeit der südafrikanischen Republik nicht angefochten werde. (Beifall aus den Bänken der Opposition.) Schließlich erklärt Chamberlain, er glaube, die Zu- sammenkunft werde am 30. Mai erfolgen. Chamberlain erwähnt mit keiner Silbe den Johannes burger Putschversuch und die Verhaftung englischer Unter- thanen. Er muß doch einen sehr triftigen Grund dafür haben, daß er sich solche Zurückhaltung auferlegt, und auch unter den UuterhauSmitgliedern scheint esstillschweigendeSUeber- einkommen zu sein, die heikle Sache nicht zu berühren. Nur daS versöhnende Moment, die bevorstehende Zusammen kunft Krüger'S mit dem Gouverneur der Capcolouie zieht er in den Kreis seiner Erörterungen und zwar in freundlichem, zustimmendem Sinne. Er zeigt sich überhaupt von der liebenswürdigsten Seite, man glaubt den Donnergott Albions gar nicht wieder zu erkennen, der auf einmal von „herzlichen" Beziehungen zn Transvaal und der Hoffnung ihrer Befestigung spricht! Offenbar glaubt Herr Chamberlain durch dieses schmeichelhafte Entgegenkommen nach dem > letzten Johannesburger Gewitter, bei dem leider aber- I mals die englischen Hoffnungen verhagelt sind, viel I eher wieder gutes Wetter machen zu können, als Äußer Diensten. 7f Roman von Ernst Wichert. Nachdruck verbct n. Zu gleicher Zeit wurde die Unterhaltung auch von den übrigen Tischgenossen eine kleine Weile mehr gruppenweise ge führt. Der Freiherr, der zwischen den beiden weiblichen Gästen saß, rühmte das gute Wetter, dessen er als Landwirth jetzt sehr bedürftig sei, Graf Zehlendorf setzte seinen Nachbarinnen, der Baronin -Schecken und der Wirthin, mit Kennermiene ausein ander, weshalb er, so ausgezeichnet der französische Champagner sei, doch zu dem noch ausgezeichneteren deutschen Mosel zurück kehre, den er schon als eine Specialität des freiherrlichen Kellers kenne; BaronSchecken,derFrau v. Jttenborn geführt hatte, wandte sich indessen zu Comtesse Hertha Westerhagen an seiner Linken, um ihr etwas Schmeichelhaftes über die jüngste Novelle zu sagen, die er sich von seiner Frau habe erzählen lassen, und machte da bei so viel Confusion, daß der Capitän auf der anderen Seite ihn mit dem ernstesten Gesicht fragte, ob er nicht vielleicht an einen Jagdroman des seligen Barons Münchhausen denke, was ihn aber nicht aus der Fassung brachte. Rasch gewann aber das Tischgespräch wieder einen gemeinsamen Mittelpunkt, als irgend wo der Name der Herzogin genannt wurde und Frau von Jtten born nun bei der ihr gegenüber sitzenden Gräfin mit der lieb lichsten Miene anfragte, wie es der hohen Frau gehe, nach deren Befinden sie sich früher an jedem Morgen habe erkundigen dürfen. „Das ist ja nun mein Amt", antwortete die Gräfin, die auf diese Frage nur gewartet zu haben schien und wahrscheinlich auch die Anregung gegeben hatte, „ein, wie Excellenz wissen, nicht immer erfreuliches Amt. Man muß da auf schlechte Träume, Verstimmungen, allerhand Nervenspuk vorbereitet sein. Ihre Ehe war wohl nicht die glücklichste gewesen; sie fühlte sich, wie mir's schien, stets ein wenig gedrückt, hielt sich — ich weiß nicht gegen wen — zurückgesetzt und quälte manchmal ihre Umgebung durch Mißtrauen recht empfindlich." „Aber davon weiß ich ja gar nichts, Excellenz!" rief Frau von Jttenborn, wie äußerst erstaunt. „Mir ist die Frau Herzogin stets die gnädigste und liebenswürdigste Herrin gewesen, deren öftere Kränklichkeit ich nur habe bedauern müssen." Die Gräfin lächelte. „Uns Anderen, die wir nicht in gleich bevorzugter Stellung waren, hat es doch so scheinen können. Jedenfalls bemerke ich seit einiger Zeit eine sehr erfreuliche Ver änderung. Die Herzogin ist vorwiegend heiter, mittheilsam, sicherer in ihrem ganzen Benehmen. Auch in ihrer äußeren Er scheinung markirt sich das wachsende Wohlsein; ihre Formen run den sich angenehm aus, sie bekommt frischere Farben, hat hellere Augen, erinnert wieder mehr und mehr an das Bild, das wenige Jahre nach ihrer Verheirathung, Wohl in der glücklichsten Zeit ihres Lebens, gemalt wurde." „Der Gram über den Tod des Gemahls scheint der Her zogin danach nicht tief gegangen zu sein." „Der junge Herzog thut jedenfalls Alles, was in seinen Kräften steht, ihn zu mildern. Das Verhältniß zwischen Sohn und Mutter ist das zärtlichste. Ich glaube, sie ist seine beste, vielleicht einzige Vertraute — selbst in politischen Angelegen heiten. Er thut nichts, ohne mit ihr berathen zu haben, und sie lenkt alle seine Schritte mit so leiser Hand, daß er sich völlig frei halten darf. Ich kann mir vorstellen, daß sie es als eine hohe Genugthuung empfindet, einen Einfluß gewonnen — ich möchte sagen: wiedergewonnen zu haben, der ihr das Vollgefühl ihrer Würde giebt." Frau von Jttenborn wechselte die Farbe: „Wiedergewonnen?" „Nun ja, ich meine mich zu erinnern, daß der selige.Herr ihn seiner jungen Frau ebenso willig einräumte, bis dann . . ." „Bis er die Neigung verspürte, allein zu regieren", fiel der Capitän ein. „Das soll bei Fürsten selten ausbleiben. Der junge Herr wird schwerlich aus der Art schlagen, und das Gängelband der Mama, denke ich, liegt nicht einmal so lange fest, als das einer liebenswürdigen jungen Frau. Ist nicht schon von einer Ab lösung die Rede?" „Daß ich nicht wüßte", antwortete die Gräfin mit einem stechenden Blick. „Es ist auch zu wünschen, daß der Herzog nicht zu früh heirathct. Er muß Zeit haben, vorher sein Herz zu beruhigen, damit er nicht nachher in der Ehe stürmische Erfahrun gen macht." Hertha hüstelte in die Serviette und schielte dabei nach den jungen Herrschaften hin, die schon aufmerksam zu werden schie nen. Die Oberhofjägermeisterin bemerkte es und brach das Ge spräch ab. Die Tafel war auch sogleich beendet. Frau von Jttenborn schlug vor, den Kaffee auf der Veranda zu nehmen. Dorthin begab sich dann die ganze Gesellschaft, anscheinend in heiterster Laune. „Wollt Ihr nicht Herrn von Gunzenstein den Garten zeigen?" fragte der Capitän die Zwillinge. „Sehr gern", antwortete Irmgard rasch. / „Wenn Mama erlaubt", fügte Armgard hinzu. Sie war immer die gesetztere und bedächtigere. Die Mama erlaubte huldreichst, und sie hüpften nun die Treppe hinab, hinter ihnen der Hofjunker, dem der Graf schmun zelnd mit dem Finger drohte und über das Geländer hin zu flüsterte: „Halten Sie Ihr Herz fest." Es war wirklich keine ganz ungefährliche Sache, das Zünd hölzchen zwischen zwei Feuern zu sein. Er mußte sich für ver loren halten, wenn er sich dem einen zu sehr näherte, und die Kunst war daher, sich so geschickt in die Mitte zu stellen, daß ihre Wirkung sich gegeneinander aufhob. Das wurde ihm leichter, weil er wirklich nicht mit sich einig war, welcher der beiden Schwestern er den Preis der Schönheit und des Liebreizes zuerkennen sollte. Bald erschien ihm die Blonde, bald die Braune begehrenswerther. Mit der munteren Irmgard hätte er tollen, mit dec ernsteren Arm gard schwärmen mögen. Vielleicht war's gut, daß er sich zu gleich mit Beiden abzufinden hatte. Armgard freilich hatte etwas in den Augen, was ihn immer auf ihrer Seite einen Mo ment länger zu verweilen zwang; aber wenn Irmgard lachte, mußte er immer innerlich mitlachen, daß ihm das Herz hüpfte. In einer so wonnig-beklommenen Stimmung hatte er sich im ganzen Leben noch nicht gefühlt. Sie entfernten sich immer weiter von der Veranda, vielleicht in dem stillen Wunsch, von dorther nicht beobachtet zu werden. Sie besichtigten die Rosen, hielten sich an den Himbeerhecken auf, wo die Schwestern wetteiferten, ihren Cavalier auf die reifsten Früchte hinzuweiscn, die er dann durchaus wieder ihnen über lassen wollte. Sie zeigten am Thurm hinauf zu den Fenstern ihres Schlafzimmers. „Und was uns da heute früh begegnet ist —!" kicherte Irmgard. „Du wirst doch nicht —" fiel die Braune ängstlich ein. „Aber warum denn nicht? Wir wissen doch nun schon, daß es Keiner von uns galt." Nun ließ der Graf keine Ruhe, bis das kleine Abenteuer aus geplaudert war. „Ich glaube doch, daß die Briefpost eine Vorbedeutung hat", sagte er geheimnißvoll. „Welche?" fragte Armgard. „Für wen?" Irmgard. „Ja, meine Damen, darüber muß ich selbst noch reiflich nachdenken", versicherte er. „So bald Sie's aber wissen, sagen Sie's uns — nicht wahr?" „Einer von Ihnen." „Wem?" „Ja, das muß ebenso noch eine offene Frage bleiben." „Wie lange?" „Bis ich Sie wiedersehe. Hoffentlich geschieht's bald." Sie hörten die Wagen vorfahren. „Wir können auf dieser Seite durch die Gartenpforte in den Hof", meinte Irmgard. „Aber ich muß mich durchaus von den Excellenzen verab schieden", sagte der Junker. „Am liebsten versteckte ich mich hier und ließe mich gar nicht finden, bis sie fort wären — und Sie erzählten, ich sei in den Brunnen gefallen." Das gab viel zu lachen, während sie nun doch eiligst dec Veranda zuschritten, von welcher Tante Hertha sie schon zu rufen kam. Beim Abschied verbeugte er sich vor Armgard und dann vor Irmgard, und dann vor Armgard doch noch einmal. Die älteren Herrschaften überhäuften einander mit Liebenswürdigkeiten. Als die Wagen abgefahren waren, zischelte Irmgard neckisch der Schwester zu: „Du hast eine Eroberung gemacht." „Nein Du!" erwiderte Armgard plötzlich ganz Purpur. „Du, Liebchen! Mich hat er ja kaum beachtet." „Ach — Du bist ungerecht." „Und überhaupt — ich mache mir gar nichts aus ihm." „Ich etwa?" schmollte Armgard. Die Blonde lachte herzlich. „Seinetwegen bleiben wir also gute Freundinnen. FllnftesCapitel. Die Residenz lag an der Eisenbahn. Für das kleine Herzog- thum vielleicht eine zu große Hauptstadt; sie hatte sich ihm aber nicht angepaßt, sondern im Mittelalter ihre besondere handels politische Bedeutung gehabt, von der auch noch mancherlei monu mentale Bauten und eine Reihe stattlicher Patricierhäuser am Markt und in der Langgasse Zeugniß ablegten. Das Schloß, in seinen älteren Theilcn burgartig, mit seinen modernen Flügeln bis an den Fluß und die städtischen Anlagen herangebaut, über ragte die Häuserflucht und war auch vom Bahnhof aus, der sich auf der entgegengesetzten Seite befand, sichtbar. Aus dem eben einfahrenden, nur wenige Minuten haltenden Zuge stieg ein junger 'Mann in hellgrauem Sommer-Anzuge. Er hatte einen leichten Staubrock über die Schulter geworfen und trug sein Gepäck selbst dem Ausgang zu: ein kleines Köfferchen und einen Tornister mit langen Riemen, beide Stücke in derselben Hand haltend, während die andere mit einem Stock bewaffnet war. Er durchschritt aber die Barriere nicht, sondern erkundigte sich bei einem Dienstmann nach dem Portier. In dessen Ge schäftsraum legte er dann vorläufig sein geringes Gepäck ab, steckte die erhaltene Marke in die Westentasche und verließ den
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