Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.05.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990520027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899052002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899052002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-20
- Monat1899-05
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-Ausgabe erscheint «m Uhr. dir Abend-Ausgabe Wochentag« um b Uhr. Filialen: Ltl« Klemms Lotti«. (Alfred Hahn), Universität-stratze 8 (Paulinum-. LoutS Lösche, Latharinenstr 14. Part, und KSalgSplatz 7. Nedaciion und Expedition: JohanuiSgafie 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbroche» geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Bezugs-PreiS ln her Hauptexpedition oder den in» Etabt» bezirk und den Vororten errichteten AuS» oavestellen abgeholt: virrteljübrltch ^14.50, kri zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« ^l 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich S.—. Direkte tägliche Krruzbandsrndii.ng in« Ausland: monatlich ^li 7.50. Abend-Ausgabe. MMtr TagMati Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes nn- Nolizei-Amtes -er Lta-t Leipzig. Sonnabend den 20. Mai 1899. Nnzeigen-PrelS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Neclamen unter dem Redactionsstrich («ge spalten) 50^, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis. Tabellarischer und Zissernjay nach höherem Taris. Artra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbefördrrung 70.—. Rnnahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« «Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stund« früher. Anzeigen siod stet« an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. Mai. Daß während der am Donnerstag abgebrochenen zweiten Berathung des Invalidenversicherungsgesetzeö die Beteiligung des VundcSralhS an den Debatten reckt dürstiz war, Haven wir schon mehrfach hervorgehoben. Heute finden wir in der der badischen Regierung nahestehenden „Südd. Reichs-Corr." eine Ausführung, die wenigstens den Anschein erweckt, als ob selbst in einzelffaatlichen Regierungskreisen die Art, in der der Entwurf der verbündeten Regierungen gegen Abänderungsvorschläge aller Art vertheidigt worden ist, mangel haft zu finden sich nicht entbrechen könnten. Natürlich wird daS nicht direkt gesagt; aber wenn gefragt wird: Wie war es möglich, daß der Reichstag einen so bedenklichen Beschluß fassen konnte? so lauert im Hintergründe die Frage: Wie ist eS möglich, daß einem so bedenklichen Beschlüsse nicht mit allen Mitteln der Ueberredung vorgebeugt wurde? Der betreffende Beschluß ist der am letzten Sonnabend auf Antrag deS Centrums gefaßte, der auf die KnappschaftScassen gemünzt ist und eine tief einschneidende Aenderung der preußischen Berg gesetzgebung bedingt. Zur Beleuchtung dieses BeschlusseS führt die „S. N.-C." Folgendes auS: „Wie ein rother Faden zieht sich durch den Gesammtinhalt der Verfassung des deutschen Reiches der leitende Grundgedanke, Laß, um den dauernden harmonischen Gleichgewichtszustand zwischen dem Princip der nationalen Einheit und der einzetstaatltchen Selbstständigkeit aufrecht zu erhalten, von beiden Seiten mit pein- lichsterGewisstnhafligkeitausAchtnng derZustäodigkeitSgrenzen gesehen werden muß. Weder soll da« Reich r« sich bestallen lassen, einen Druck auf die Freiheit der Entschließungen und Handlungen eines EinzelstaateS zu üben, noch soll ein Einzelstaat darnach streben, die Autorität des Reiches in den Dienst seiner Sonder interessen zu stellen. Ter innere Grund dieser sorgsamen Scheidung zwischen Reichs- und bundesstaatlicher Zuständigkeit läßt sich mit Händen greifen. DaS Band, welches Deutschlands Fürsten und Völker umschlingt, besteht in dem festen, unverbrüchlichen Ver trauen Jedes zu Jedem und Aller zu Allen, daß die nationale Wiedergeburt, wie sie sich in der Gründung de» Reiches verkörpert, für Kleine wie Große, für Schwache wie Starke gleichmäßig den unverbrüchlichen Rechtshort bilden werde, auf den man unter allen Umständen rechnen kann, den aber Niemand, der ein reines natio nales Gewissen hat, zu fürchten braucht." Nachdem dann darauf hingewiesen worden ist, daß es zu den angelegentlichsten Sorgen deS Fürsten Bismarck gehört habe, die preußische Politik auch vor dem leisesten Anfluge des Verdachtes zu schützen, als trachte sie nach unzulässiger unv dem Buchstaben wie dem Geiste der Neichsverfassung widersprechender Beeinflussung der übrigen Bundesstaaten zu Gunsten des größten und mächtigsten, heißt eS weiter: „Angesichts des am Sonnabend im Reichstage gefaßten Beschlußes, der dem Centrnm zu Liebe sich einen verfassungswidrigen Eingriff in das der Landesgesetzgebuog Vorbehalten« Gebiet des Bergrecht» erlaubt, wäre man stark versucht, sich zu fragen, ob heute die öffentliche Entwickelung in Deutschland nicht im Begriffe ist, die Verhältnisse in ihr Gegentheil umzukehren und vom Boden des ReichStagsparlamentariSmuS auS einen Einbruch in die staat liche Selbstständigkeit deS größten Einzelgliedes, des preußischen, zu riSkiren k Ter io Rede stehende Beschluß stellt ja allerdings noch nicht daS letzte Wort dar. Er kann, und wir meinen, er wird in dritter Lesung die gebührende Eorrectur finden. Aber als Symptom angesehen, behält der Zwischenfall ein den Wechsel der TageSconstellation überdauerndes Interesse. Denn er zeigt, welcher Abirrungen vom Wege des Reichsverfassungsrechts und einer gesunden nationalen Politik die Sucht des Ultra- montaniSmuS fähig ist, unter allen Umständen ein doppel- händigeS Spiel in der Hand zu halten, damit nur ja der kühne Ausspruch: „Centrum ist Trumpf!" zu Recht bestehen bleibe. Man stelle hierzu in Parallele jene bundesstaatlichen Milieu-, in denen das Hantlren mit dem Schreckgespenst der „Berpreußung" zu den beliebtesten agitatorischen Kunstgriffen einer skrupellosen CentrumSdemagogie gehört. Wenn der preußische ParticularlSmus hierauf mit einer dem Centrumsarsenal entlehnten Waffe reogiren wollte, er hätte nur nöthig, auf die socialpolitischen Liebhabereien der Reichstagsklerikalen vr. Hitze und Stötzel hinzuweisen, deren gesetzgeberische Durchführung gleichbedeutend wäre mit einer .reichsverfassungswidrigen Majorisirung der staatlichen Zuständig keit Preußens durch den Unitari«muS. Hier zeigt sich der springende Punkt de« in Rede stehenden NeichStagSbeschlusseS, welch' letzterer unseres Erachten- nur durch «ine Ueberrumpelung des Reichstages durch die socialpolitische Gefolgschaft der vor genannten CentrumSabgeordneten im Bund« mit den Social- demokraten rc. hcrbeigesührt werden konnte." Auch wir hoffen, daß der Beschluß bei der dritten Lesung seine Correctur findet, ebenso aber erwarten wir, daß dieser Correctur vom BundeSrathStische aus eine energischere Zurückweisung deS CentrumSantrag« vorauSgeht, al« bei der zweiten Berathung. Ueberhaupt ist eine stärkere Be setzung deö BundesrathStisckeS bei wichtigen Berathungen höchst Wünschenswerth. Man darf von den Staats sekretären und ihren Commissaren nicht Alles erwarten; zu ihrer Unterstützung sollten besonders in Fällen, in denen es sich um die Wahrung der Rechte der Enzelstaaten handelt, die bevollmächtigten Minister dieser Staaten nicht fehlen, deren regere Betbeiligung an den Arbeiten des Bundesraths und des Reichstags schon wiederholt angeregt worden ist. Eine noch weitere Ausspinnung der Debatten ist von einer solchen Betheilignng nicht zu besorgen; im Gegentheil ist anzunehmen, daß gar manche sehr entbehrliche Rede aus der Mitte des Hauses ungehalten bliebe, wenn die Redner eine Abfertigung von berufener Seite zu gewärtigen hätten. Die „Conservative Correspondenz" setzt die führenden CentrumSorgane in den Stand, als „gerechtfertigte Annahme" die Meinung auszusprechen, daß die konservative Partei im preußischen Abgeordnetenhause für die Wiederherstellung der vom Herrenhause zur Vorberatbung der CharfrcitazSvorlage eingesetzten Commission gefaßten Beschlüsse eintreten und mithin die Vorlage in der vom Plenum deS Herrenhauses beschlossenen Form ablehnen werde. Die „gerechtfertigte Annahme" der Centrumsorgane stützt sich auf folgende Auslastung des konservativen Parteiblattes: „Wir können . . nicht finden, daß dem evangelischen Bewußtsein auch nur ein Jota vergeben worden wäre» wenn man den von maßgebender katholischer Seite geäußerten Wünschen durch Annahme der Commissionsanträge Rechnung getragen hätte." Mehr konnte das Centrum allerdings kaum verlangen! Aber die Begründung, welche die „Conservative Correspon- denz* ibrer Auffassung girbt, ist für den Klerikalismus noch weit erfreulicher; sie lautet: „Es ist bezeichnend, daß gerade diejenigen Kreise, von denen man nicht behaupten kann, daß sie kirchlich gesonnen sind, die sogar theilweise nur den „historischen Christus" anerkennen, für die Regle- rungSvorlage eintraten, während positiv gesinnte Evangelische dem in der Herrenhauscommission geschaffenen Compromiß beigetreten waren, ohne Skrupel zu empfinden. In dieser Beziehung ist ein Wort des Freiherr» von Durant bemrrkenSwerth, das er in einer Rede für die CommissionSsassung aussprach: „Ich lege", so äußerte er, „dem friedlichen Zusammenwirken beider christlichen Consessionen den höchsten Werth bei, insbesondere heute, wo wir in dem Un glauben so sehr viele gemeinsame Kämpfe zu bestehen haben." Möchte dieser Ausspruch in beiden christlichen Consessionen ein weite- Echo finden." Wir bezweifeln, daß die „Conservative Correspondenz" bei ihrem Eintreten für die klerikalisirte CharfreitagSvorlage auf dieZustimmung der Conservativen des preußischen Abgeordneten hauses rechnen kann. Wäre e« der Fall, so würden die Conser- vativen deS Abgeordnetenhauses nicht von dem Selbstgefühl de« Grafen Pfeil beseelt sein, da« diesen laut der „Ger mania" zur Einbringung seines bekannten Antrages be stimmte; sie würden ferner, verblendet durch den von der „Conservative« Correspondenz" gepredigten Kampf wider den „Unglauben", dem „friedlichen Zusammenwirken beider christ lichen Consessionen" die größten Schwierigkeiten bereiten. Denn gerade ein solches friedliches Zusammenwirken verhin dert die klerikalisirende CommissionSsassung der CharfreitagS vorlage, indem sie die Verärgerung der Protestanten durch am Charfreitage von Katholiken vorgenommene störende Arbeiten nicht verbietet. Erst der Antrag de« Grafen Pfeil ermöglicht es, derartige chicanöse Arbeiten auch da zu ver bieten, wo dies bisher noch nicht möglich war. Deshalb ist eS der Antrag Pfeil, der daS friedlich« Zusammenwirken beider christlichen Zonfessionen praktisch fördert. Da die „Conservative Correspondenz" auf dieses Zusammenwirken solches Gewicht legt, müßte sie konsequenter Weise dem An träge Pfeil, d. h. dem Plcnarbeschluß deS Herrenhauses, zu stimmen. Aber eS scheint beinahe, als wollte die „Conservative Correspondenz" die Charfreitag- vorlage benützen, um die Zustimmung deS Cen- trumS zur Canalvorlage zu verhindern. Daß diese Taktik von der Mehrheit der Conservative« des preußischen Abgeordnetenhauses gebilligt werde, daran glauben wir einstweile^nicht. Die 19. Hauptversammlung des Tcutschen Schnl- vcreinS in Wien wird morgen im Stadttheater zuTroppau in Oesterreichisch - Schlesien abgehalten werden. Im ver flossenen Vereinsjahre hatte der nationale Schutzverein eine Einnahme von 203 431 st. gegen 204 622 st. im Iabre 1897. Die Gesammtausgabe betrug 160 469 st. gegen 168 860 ft. ini Jahre 1897. Wie schon in den Jahren 1890 97 hat sich der deutsche Sckulverein auch 1898 in der Hauptsache darauf beschränken müssen, das Bestehende zu erhalten, da die Mittel nicht ausreichten, um neue Schulen und Kindergärten ins Leben zu rufen. Gegenwärtig erhält der Verein 7 Volksschulen in Böhmen, 3 in Mähren, 3 in Schlesien, 1 in Galizien, 3 in Steier mark und 2 in Kram, im Ganzen also 19 Schulen mit 43 Classen in 44 getrennten Abteilungen, ferner 33 Kinder gärten (davon 16 in Böhmen, 10 in Mähren, 1 in Schlesien, 2 in Steiermark, 3 in Krain und 1 in Tirol). Weiter wurden im abgelaufenen Vereinsjahre 45 Schulen und 45 Kindergärten subventionirt. 15 vom Wiener Schulverein errichtete Schulen wurden von den betreffenden Gemeinden als öffentliche Volksschulen übernommen, 12 Kindergärten als Privatkindergärten weitergeführt. Deutscher Religions unterricht wurde in 5 Schulen ermöglicht. Schulbäuser besitzt der Verein 30; zu Schulhäusern wurden zwanzig Gebäude adaptirt, Schulbauunterstützungen 14 bewilligt. Für 21 Orte wurden Schul- und Volksbibliotheken beschafft. 32 Schulen wurden mit Lehr- und Lern mitteln versehen. TheilS zur Gewinnung, thcils zur Er haltung tüchtiger Lehrer an Schulen sprachlich bedrohter Orte wurden in 91 Fällen Gehaltszulagen und Ehrengaben be willigt. In 31 Fällen wurde das Schulgeld für arme deutsche Kinder bezahlt. WeihnachtSbescheerungen wurden an zahlreichen Vereinsanstalten, außerdem auch an 66 anderen Schulen veranstaltet. Der unantastbare Gründerfonds, von dem nur die Zinsen verwendet werden dürfen, beträgt zur Zeit 197 087 fl. Ganz anders würde der deutsche Scknl- verein in Wien dastehen, wenn er von dem deutschen Adel, der deutschen Geistlichkeit, den deutschen Gemeinden und Geldinstituten ebenso unterstützt würde, wie der tschechische Schulverein vom böhmischen Adel (mit den urdeutschen Namen!), vom tschechischen Clerus und den tschechischen Spar- und Vorschuß-Cassen! In Pariser und Brüsseler Blättern macht gegenwärtig ein officicller französischer Spion viel von sich reden. Herr Mon tier gehörte nominell der französischen Handels kammer in Brüssel an. Er ist angeblich Kaufmann, krackte aber nie auch nur das kleinste Handels- oder Vermittelungs geschäft zustande, worum er sich auch gar nicht bemühte. Statt dessen reiste er viel in Belgien und auch im Auslande. Er zog besonders seit dem Selbstmorde Henry's die Aus- merksamkeit auf sich. AuS Paris erhielt er wiederholt bedeutende Geldsendungen, er spielte sich als geschwo rener Dreyfusseind auf, sandte Blumen auf daS Grab Hcnry'S und spendete eine Geldsumme für das zu Ehren des Fälschers geplanteDenkmal. Als ihm vorKurzen seineEigeuschast eines Agenten des NachrichtenburrauS deS französischen Kriegs Ministeriums zum Vorwurf gemacht wurde, gestand er zu, ein Freund des Fälscher-Henry gewesen zu sein. Spionage betreibe er aus Liebhaberei und das ihm auS Paris zugesandte Geld übermittle er den untergeordneten Agenten. Daraufhin wurde vor drei Wochen der leitende Ausschuß der Handelskammer,bestehend aus 15Mitgliedern,einberufcn,um den Ausschluß M.'S zu verfügen. Kaum waren jedoch die Mitglieder zusammengetreten, als der französisch eGesandteG^rard in den Saal eintrat und in gebieterischem Tone erklärte: „Meine Herren! Diesem Herrn M . . . werden Sie nichts anbaben. Ich nehme ibn unter meinen Schutz. Dafür babe ich von meiner Regierung förmliche Befehle erhalten. Rühren Sie den Mann an, so werden Sie gesprengt werden (vaus drnös)." Auf diese herausfordernden Worte des Gesandten, dem die hiesigen liberalen Franzosen nicht verzeihen können, daß er mit den Klerikalen liebäugelt, antwortete der Vor sitzende der Handelskammer Rolland, dessen geräuschvolle Vaterlandsliebe außer allem Zweifel steht, mit folgen der Erklärung: „Wir sind freie Männer, und Be fehle solcher Art nehmen wir nicht an. Wir wollen die Ehre unserer Körperschaft aufrecht erhalten. Was mick angeht, so lege ich mein Amt nieder." Sprach's und verließ den Saal, gefolgt von 13 Mitgliedern. Ein einziges, der zweite Vorsitzende, blieb mit dem verblüfften Gesandten Frrrrllrtsn. Äußer Diensten. 8j Roman von Ernst Wichert. Nachdruck verbkt n. Das Gespräch wurde noch eine Weile fortgesetzt, ohne daß sich eigentlich neue Gesichtspunkte ergaben. Es kam aber auch zur Sprache, daß das Mandat zum Reichstag erledigt sei und die Neuwahl in kurzer Zeit bevorstände. Junge wollte wissen, ob eine Parteiverschiebung stattgefunden habe und wer etwa in Frage käme. „Es ist hier, wie beinahe überall", antwortete Doctor Pletter, „ohne einen Compromiß geht's nicht ab. Ich selbst bin Präsident des freisinnigen Bürgervereins, aber allzu freisinnig dürfen Sie ihn sich nicht denken. Wir haben übrigens einen rechten und einen linken Flügel, und e» droht stets eine Se cession, wenn nicht scharf im mittleren CurS gesteuert wird. Die Conservative« bedeuten für sich selbst nicht viel, machen aber mit der Agrarierpartei gemeinsame Sache. An der Spitze der In dustriellen steht der Commerzienrath Schorn, ein durchaus wohl wollender Mann, der aber vor der Socialdemokratie ungemessene Angst hat, und die Arbeiter, deren Führer der Buchdrucker Wa gelin ist, vertreten ebenso einseitig ihre Interessen. Der Hofadel betheiligt sich politisch gar nicht. Für den Bürgermeister Rau bach und den Bürgerschaftsvorsteher Planfeld ist die Stadt Alles. Füge ich noch hinzu, daß auch die orthodoxe "Geistlichkeit eine Heerde weidet, die als Stimmvieh immerhin in Betracht kommt, so können Sie sich ungefähr selbst sagen, mit welchen Hinder nissen jede Candidatur zu kämpfen haben muß. Vielleicht fällt un» noch in letzter Stunde einer vom Himmel, der Allen als ein Gottgesandter erscheinen kann." Er sah nach der Uhr und stand rasch auf. „Aber entschuldi- gen Sie mich, bester Herr College, meine FrühstückSzeit ist schon überschritten. Sehe ich Sie Abends irgendwo?" Doctor Junge hielt dies für sehr zweifelhaft. Er werde wahrscheinlich schon am Nachmittag seine Wanderung antreten, gedenke aber nochmals nach der Stadt zurückzukehren und hoffe dann zu gründlicherer Aussprache Gelegenheit zu haben. In- dessen werde es ihm an interessanten Beobachtungen schwerlich fehlen, die sich vielleicht auch journalistisch nutzbar machen ließen. „Ich muß die Reisekosten einzubringen suchen." Die beiden Männer verabschiedeten sich auf der Straße. Pletter ging nach der Redaktion. Doctor Jung, schlendert« über i den alten Markt und durch ein paar krumme Gassen, die nach I der Stadtumwallung und den Anlagen führten. Auch hier hielt I er sich, so angenehm es sich im Schatten der Linden und Ahorn- I bäume wandelte, nicht auf, sondern überschritt — eben fuhr der Herzog in einem leichten Wägelchen vorüber — die steinerne Schloßbrücke mit den zopfigen Sandsteinfiguren, um dann den rechten Flügel zu umgehen und durch einen seitlichen Thorbogen km älteren Schloß einen geräumigen, von zweistöckigen Gebäuden mit mäßig großen Fenstern umgebenen Hof zu betreten. Es befanden sich hier, wie er wußte, die Wohnungen verschiedener Hofchargen, deren stete Nähe dem Schloßherrn erwünscht sein mußte. Auf einem Schilde an einer der Hausthuren las er: „Oberjägermeister Graf Zehlendorf". Hier trat er ein, hielt sich in dem gewölbten Corridor rechts, ging dann die ziemlich enge Steintreppe hinauf und zog an einer Glasthllr die Glocke. Dem öffnenden Livreediener überreichte er seine Karte, die aber nicht derselben Seite des Täschchens entnommen war, der die in der Redaction abgegebene entstammte. Es war darauf eine siebenzackige Krone und der Aufdruck „vr. Hans Freiherr von Jungenheim, Lieutenant der Reserve" zu bemerken. Der Diener überblickte sie, verbeugte sich und trug sie hinein. Der junge Mann hielt Umschau im Vorraum und drehte sich dabet einmal um sich selbst. Es war da noch Alles unverändert, wie vor zwölf Jahren, als der achtzehnjährige Gymnasiast hier wöchentlich mehrmals seine Mütze auf einen der Zacken des Hirschgeweihes neben dem schmalen Spiegel gehängt hatte. Er gab dem kleinen Fräulein Unterricht, um sich ein Taschengeld zu verdienen, denn von Hause konnte er's nicht haben. Da lag nun noch der rothe Teppich auf den Steinfliesen, vielleicht ein Ersatz de« schon damals verschossenen. An den Wänden hingen noch die sonderbar nachgedunkelten Oelbilder in ganz schmalen Goldrahmen, wahrscheinlich frühere Oberjägermeister mit ihren Damen in allerhand Rococo-Costümen darstellend, und auS den Thüraufsiitzen streckten Hirschköpfe ihre mächtigen Geweihe vor. Hier und auch in den anstoßenden Zimmern lagen die Fenster hoch vom Fußboden, was verbunden mit den alten Möbeln, wie sie in solchen Amtswohnungen gewöhnlich sind, den Räumen etwas Altmodische» gab. Erst im dritten, freundlicher ausge- statteten fand der Gast die Damen des Hauses vor, Gräfin Zehlendorf und ihre Tochter Charlotte. Die Gräfin ging ihm entgegen und reichte ihm die Hand zum Kuß. „Aber das ist ja eine Freude, lieber Jungenbeim", sagte sie mit ihrer wispernden Stimme, „Sie einmal wieder bei unS zu sehen. Ihre frühere Schülerin erkennen Sie wohl gar nicht mehr? Lola — laß Dich einmal von dem Herrn Doctor näher betrachten. Oder hören Sie sich lieber Herr Leutnant nennen? Ich ersehe aus Ihrer Karte, daß Sie auf beide Titel Anspruch haben. Sie schütteln den Kopf? Also Herr Doctor. Das klingt für einen Freiherrn auch aparter." Sie schob ihre Tochter ein wenig vor, ein zierliches und hübsches, übrigens der Mama sehr ähnliches Fräulein. „Nun?" „Ich darf nicht überrascht sein", antwortete er, eine junge Dame wiederzufinden, die an das achtjährige Schulmädel wenig erinnert, wie ich's im Gedächtniß hatte. Und doch — ich finde mich schon zurecht. Die Augen und das Zucken der Unterlippe, wenn Sie etwas sagen wollen . . . Sie wollten eben etwas sagen, gnädiges Fräulein." „Jawohl", bestätigte Lolo lächelnd; „daß ich Sie gleich aus Tausenden heraus erkannt hätte, trotz ihres Bartes, den Sie sich damals noch nicht leisten konnten. Ich darf auch sagen: die Augen und das Zucken — aber bei Ihnen spukt's auf der Stirn, und Sie haben es sich vielleicht gerade für mich angewöhnt, ich meine, Ihrer Schülerin besser zu imponiren. Ich kann auch ver sichern, daß ich immer große Furcht hatte, wenn ich eS bemerkte: dann hatte ich gewiß wieder etwas recht Dummes vorgebracht. Sie zuckten eben wieder mit der Stirn." „Weil Sie mich in Verlegenheit sehen, mein gnädiges Fräulein. Und das war wohl auch damals der Grund dieser Unart. Sie setzten mich so oft in Verlegenheit durch sehr kluge Fragen, auf die meine achtzehnjährige Weisheit nicht gleich die passende Antwort fand. Himmel, was hatten Sie nicht Alles zu fragen! Ich hatte, wie ich gestehen will, ein bischen Angst vor Ihnen, und noch mehr vor der französischen Bonne, die daneben saß und mich immer so erstaunt ansah, wenn ich einen Augenblick nachdachte." „Sie verstand kein Wort Deutsch." „Schien sich aber gar nicht vorstellen zu können, daß man'S nicht sofort auf der Zunge hätte. Er bot ihr die Hand. „Nun, ich hoffe, wir sind einander jetzt nicht mehr fürchterlich und werden gute Freunde werden." „Sehen Sie sich zu uns", bat die Gräfin, „und erzählen Sie uns, was Sie seitdem erlebten. Ich habe noch ein halbes Stündchen Zeit; dann muß ich zur Herzogin. Sie werden mich entschuldigen, wenn ich aufstehe. Also — bitte, bitte." „Es ist da nicht viel zu erzählen, Excellenz", sagke er, nach dem er sich auf einen Sessel den Damen gegenüber niedergelassen und seinen Hut aus der Hand gelegt hatte. „Sie wissen, daß ich trotz meines freiherrlichen Standes — oder vielleicht am meisten deshalb — ein ziemlich armer Teufel war, der sich schon durch seine Gymnasialzeit durchstümpern mutzte. Meine Eltern früh verstorben, meine immer kränkliche Stiefmutter ohne aus reichendes Vermögen, jüngere Geschwister noch zu Hause —. Es war sehr liebenswürdig, Excellenz, daß Sie mir durch die Stunden, die ich Ihrer Fräulein Tochter geben durfte, eine Unterstützung gewährten, ohne mich durch ein Almosen zu be schämen, und auch in Ihren Kreisen in dem gleichen Sinne wirk sam Propaganda machten." „O, es verstand sich ja von selbst", fiel die Gräfin ein, „daß wir Einen von den Unserigen — einen Freiherr« von Jungen- heim — nicht im Stiche ließen, sobald wir erfuhren . . . Das verstand sich von selbst." Er verneigte sich. „Auf der Universität hatte ich's nicht viel reichlicher. Doch stand mir ein nicht ganz unbeträchtliches tzamilienstipendium zur Verfügung, und ein entfernter Ver- Ivandter, wenn ich so sagen darf, eine Art Stiefonkel, der Minister von Jttenborn —" „Ganz recht, mit dem sind Sie verwandt; seine Frau Ge mahlin machte mich auf Sie aufmerksam." Er war mit meinem Vater eines Processes wegen verfeindet gewesen, und meine Stiefmutter konnte sich erst in der äußersten Bedrängniß entschließen, mich zu einer Vorstellung bei ihm zu veranlassen. Er hat dann für mich recht freundlich gesorgt und würde mehr für mich gcthan haben, wenn nicht mein Stol, abgelehnt hätte, von ihm mehr als das Nothwendige anzunehmen. Ich studirte Jura, mit größerem Eifer freilich manches sonst Wissenswerthe, wenn auch vorläufig nicht praktisch Brauchbare, und machte den Doctor. Meine Absicht war, mich ein paar Jahre später bei einer Universität zu habilitiren. Aber dazu gehörten Mittel, Uber die ich nicht gebot. Ich mußte mir schleunigst ein selbstständiges Einkommen zu schaffen suchen. So entschloß ich mich nach zweijährigem Aufenthalt in Paris und London, wo ich meinen spärlichen Antheil am väterlichen Nachlaß hoffentlich mit Nutzen verbrauchte, Journalist zu werden." „Journalist!" rief Frau von Zehlendorf, sichtlich erschreckt, und auch das Fräulein, das bis dahin ohne besondere Theil- nahme vor sich hingeblickt hatte, schaute offenbar sehr ver wundert auf. „Ja, Journalist", wiederholte er, „es scheint Eurer Excellenz befremdlich." „Hm — ein Freiherr von Jungenheim —." Die Nase wurde sehr spitz. Er zuckte die Achseln. „Ein Freiherr von Jungenheim, der nichts hat, muß sich sein Brod gerade so verdienen wi, rin ge«
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite