Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.05.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990524017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899052401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899052401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-24
- Monat1899-05
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
ltv» »o. t.o. U.1S0S. >ue» 7. ei» r o > v. ,. v. 1.1). t.v. >.o. ». v. 8. 8 2 8 - 8 »o »o »o 14 8. SS X " SS HS . x»r v 87: l100.E l.v. ,- >.v i «.v. w.Op 2Ä oi.Lp.27 t. 0. >. v. t.0. 8. 8. 8. ». 6. 8. 8. 8. 8. 8 6. 8. 6. 8. 8. 8. 8. 8 8 8. r«.A0L«tv. 4 »v. -0. « l7OL—r 0. itU-U N.rk »0. . »v »v. tUck Ll»rk l,tt.S»«X>S t»0. S. ». a. 8 ». »8 oe«Qt »II«» 8 8. Bezvgs-PreiS K der Hauptexpedition oder den km Stadt« bezirk und den Vororten errichteten AuS« gobestellen abgeholt: vierteljährlich ^l4.bO, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestährlich S.—. Directe tägliche Kreuzbandirndung tut Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Aöeud-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Filialen: klts Slemm'S Lortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstraße 3 (Paulinum), Lauts Lösche, Nathariuevstr. 14, part. uud NüaigSplatz 7. Ledaction nnL ErpeLitto«: Jahannt-saffe 8. Die Expedition ist Wochentag» unuaterbrochea geöffnet von früh 8 bi» Abends 7 Uhr. Morgen-Ausgabe. eipMerIagMalt Anzeiger. Amtsblatt -es H'önigtiche« Land- «n- Äinksgerichtes Leipzig, -es Mathes und Notizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen-PreiS d!e 6 gespaltene Peützeile 20 Pfg.' Reklamen unter dem RedactionSstrich (4g«i spalten) bO^Z, vor den Familiennachricht«» (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Prei»« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsap nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de, Morgen «Ausgabe, ohne Postbrsörderung 60.—, mit Postbeförderung ^li 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud«Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen« Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filiale» und Annahmestellen je ein» halb« Stund« früher. Anreisen sind stets an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz tu Leipzig. Mittwoch den 24. Mai 1899. 93. Jahrgang. 258. Ein Wahlrecht nach Altersstufen. Mit Bezug auf unsere Notiz in Nr. 236 über den Heckler'schen Vorschlag im „Deutschen Wochenblatt" wegen einer Aenderung des ReichswahlgesetzeS geht unS von einem alten ehemaligen Parlamentarier folgende Zuschrift zu: „Mit Recht bemerken Sie, daß der Vorschlag zwar augenblicklich, „da eine Abänderung de» Wahlgesetze» aus geschlossen sei", eine unmittelbar praktische Bedeutung nicht habe, daß er aber jedenfalls „interessant" sei und, „falls einmal die Frage der Wahlreform in den Vordergrund treten sollte", nicht unbeachtet würde bleiben können. Ich möchte noch mehr sagen: mir erscheint der Vorschlag, obschon bis jetzt meines Wissen» noch von keinem unserer Politiker oder StaatSrechtSlehrer in Erwägung gezogen, doch so naturgemäß, daß er mich fast an da» Ei de« ColumbuS erinnert. DaS unbedingt „gleiche" Wahlrecht, wonach der erste beste, vielleicht geistig noch sehr unreife Bursche von 25 Jahren in Ausübung des wichtigsten staatsbürgerlichen Rechts, der Wahl der Volksvertreter, eben ko viel gilt und dasselbe Ge wicht in die Waagschale wirft, wie der an Erfahrungen reiche, durch seine Leistungen als tüchtig bewährte, geistig hoch gebildete, seinem Charakter nach erprobte Mann oder Greis, dieses unbedingt gleiche Wahlrecht mag dem ultraliberalen Doktrinär schmeicheln, ist aber für den Realpolitiker, der auf die Wirkungen für« Allgemeine steht, anstößig. Umgekehrt aber haben auch die Surrogate, welche man an die Stelle dieses gleichen Wahlrechts gesetzt hat oder setzen möchte, insofern etwas Verletzendes, als sie die Ausnahmen von dieser Gleichheit, die Bevorzugungen des einen TheileS der Wähler vor dem andern, nach aristokratischen Maßstäben (Vermögen, CensuS, Berufsstellung u. dgl.) messen und dadurch gegen das demokratische Princip, welches unsere Zeit beherrscht, verstoßen. Da kommt nun der Heckler'sche Vorschlag ganz erwünscht, indem er die Gegensätze vermittelt. Er vermeidet die Schroffheiten einer absolute« Gleichmacherei in Bezug auf die Ausübung deS.Wahlrecht-, aber ebenso auch das Anstößige einer Trennung der Wählerschaft in zwei scharf geschiedene Claffen nach aristokratischen Principien. Er hält zwar eine Abstufung deS Wahlrechts aufrecht, wie daS natürlich und ver nünftig ist, aber er macht gleichsam zum Schiedsrichter über die Abgrenzung dieser Stufen nicht den Zufall der Geburt, des Besitzes oder auch einer besonderen Bildung, sondern die Natur selbst und ihre für alle Menschen, Vornehme und Ge ringe, ganz gleichen EntwickelungSgesetze. Bei CensuSwahlen kann der Arme mit Recht klagen, daß ihm ein Recht versagt sei, daS der Besitzende ausübt; bei einer Abstufung des Wahlrechts nach dem Heckler'schen Vorschlag entfällt jeder Grund für eine solche Klage, denn wenn auch der Vierzigjährige vor dem jetzt Fünfundzwanzig oder Dreißigjährigen den Vorsprung hat, daß seine Wahl stimme doppelt so viel gilt, als die jenes Anderen, so wird Letzterer in diese Vorzugsstellung allmählich ganz von selbst hineinwachsen; es bandelt sich hier nicht um eine künstliche Schranke, wie beim CensuS und vollends beim ständischen System, sondern nur um ein paar Jahre früher oder später, auch nicht um den schroffen Gegensatz -wischen einer kleinen Minderheit Bevorzugter und einer großen Mehr heit geringer Bewertheter, sondern um principirll ganz gleichwertige, nur in ihrer praktischen Geltung der Zeit nach abgestufte Größen. ES ist von Interesse, sich diese Abstufungen nach ihren Wirkungen auf die Wahlen einmal etwas genauer zu ver gegenwärtigen. Die Altersstufe von 25—40 zählt 5 968 478 Köpfe, die von 40—55 4 330 817, die über 55 2 096 413, also etwa 48, 35, 17 Procent der Gesammtzahl. Hier fällt eS sofort bei einem Blick auf unser jetziges Wahlsystem als ein starkes Mißverhältniß auf, daß diese Stufe, welche nur 15 Jahrgänge umfaßt, nahezu ebenso viele Wähler aufweist, wie die beiden folgenden Stufen zusammen, die doch daS Drei- bis Vierfache an Jahren darstellen. Man sieht hier recht deutlich, wie unser dermaliges Reichswahl recht ein „Kopfwahlrecht" in dem Sinne ist, daß auf jeden „Kopf", d. h. jede Person, gleichermaßen Eine Stimme kommt, gleichviel ob dies auch ein Kopf im höheren, idealen Sinne ist oder nicht. Al- eine ganz verständliche Corrrctur dieses Stimm- Verhältnisses erscheint eS daher, daß durch Verdoppelung der Stimmenzahl auf der zweiten und Verdreifachung auf der dritten Stufe die Abstufung der Wahlstimmen sich so stellt, daß die Wähler zwischen 25 und 40 Jahren bei ihren 48 Procent beharren, die zwischen 40 und 55 nunmehr 68, die über 55 48 Procent ausmachen. Ein Arbeiterblatt, „der Evangelische Arbeiterbote", er kennt gerade vom Arbeiterstandpunct aus das dem Vorschlag zu Grunde liegende Princip als richtig an, indem eS sagt: „Durch die Scheidung nach AlterSclassen käme die natürliche Autorität zu ihrem Recht. DaS kräftig« Mannesalter, aus gerüstet mit doppeltem Wahlrecht, würde gleichsam als das Rück grat des neuen WahlkörperS zu betrachten sein, dir darüber hinauSgehende höchste Altersclasse mit ihrem dreifachen Wahl recht als der Kopf". DaS Blatt rechnet auS, daß die eigent lichen (zur Zeit noch unselbstständigen) „Arbeiter", die auf der ersten Stufe fast 60 Procent aller Wähler bilden, auf der folgenden allmählich in die Classe der „Selbstständigen" über gehen und als solche mit ihrem zwei- bis dreifachen Stimm recht in die Wahlen eingreifen würden, und sie erachtet dies mit Recht für einen Vortheil. Auch daS satirische Witzblatt „Der Kladderadatsch" findet den Heckler'schen Vorschlag beachtenSwertb; nur betont er etwas boshaft den Zweifel, ob auch die höheren AlterSclassen immer eine mit ihrer Stimmenzahl übereinstimmende Steigerung geistiger Kraft und speciell politischer Reise erreichen möchten. Nun, eine solche Anzweifelung deS höheren Alter- war viel leicht zu keiner Zeit weniger angebracht, als bei dem noch frischen Andenken an die glorreiche TriaS von Achtzigern und Neunzigern: Kaiser Wilhelm I., Bi-marck, Moltke." Das Ende des lothringischen Grubenarbeiter - Ausstandes. L. Saarbrücken, 22. Mai. Nach einer Dauer von etwa zwei Wochen ist der Ausstand der lothringischen Grubenarbeiter, über den wir schon berichtet haben, nunmehr als beendet an zusehen. Die Arbeiter auf den de Wendel'schen Gruben in Klein-Rosseln sind mit geringen Ausnahmen wieder angefahren, nachdem sie das Aussichtslose ihrer Bemühungen, die Gruben- direction zur Annahme ihrer Forderungen zu zwingen, eingesehen hatten. Wie schon an dieser Stelle ausgeführt, ist ein großer Theil der Forderungen der Arbeiter berechtigt; die Besitzer der Gruben, die Ausländer sind, haben nicht in dem Maße für Wohlfahrtseinrichtungen gesorgt, wie dies erfreulicher Weise von den deutschen Arbeitgebern in der Regel geschieht. Gerade wir hier an der alten französischen Grenze haben Gelegenheit, zu sehen, in wie ausreichendem, über die gesetzlichen An forderungen hinausgehendem Maße die Besitzer großer Werke für die Wohlfahrt ihrer Arbeiter besorgt sind. Um Beispiele zu nennen, erwähnen wir die Burbacher Hütte und die um fassenden Werke der Gebr. Röchling-Saarbrücken, die beide Tausende von Arbeitern beschäftigen und zum Segen der Arbeiter Wohlfahrtseinrichtungen geschaffen haben, die als mustergiltig zu bezeichnen sind. Zu der schnellen Beendigung des Streikes in Klein-Rosseln hat zweifellos ein geschicktes Flugblatt der Grubendirection wesentlich beigetragen. In ihm wurde erklärt, daß die Gruben baue es nicht mehr gestatteten, die volle Belegschaft anzulezen; wer daher überhaupt wieder angelegt werden wolle, der müsse spätestens am Morgen des 17. Mai anfahren. Alle später An fahrenden hätten zuvor anzufragen, ob sie überhaupt wieder an gelegt werden könnten. Die hiernach drohende Aussicht, die Arbeit dauernd zu verlieren, minderte natürlich die Streiklust wesentlich herab; hinzu kam noch der Umstand, daß die Streiken den fast ohne alle Unterstützungen waren. In der letzten Ver sammlung der Bergleute wurde daher beschlossen, am verflossenen Mittwoch früh wieder anzufahren und danach Delegirte zu wählen, die im Namen der Arbeiter über deren Forderungen und Wünsche mit der Direktion verhandeln sollen. Die Direktion hatte im Verlaufe des Streikes wiederholt versichert, die Forderungen der Arbeiter wohlwollend prüfen und, falls sie als berechtigt befunden würden, auch genehmigen zu wollen. Einen eigenthümlichen Vorgeschmack hat nun das zugesicherte Wohl wollen dadurch erhalten, daß die Grubenverwaltung, nachdem die Arbeiter, gezwungen durch die Verhältnisse, wieder zur An fahrt sich bereit erklärt hatten, von ihrem Versprechen zurück trat, keine Maßregelungen wegen Betheiligung am Streik vor zunehmen. Dieses Zurücktreten wurde damit begründet, daß die Arbeiter die an die Zusage geknüpfte Bedingung nicht erfüllt und nicht rechtzeitig die Arbeit wieder ausgenommen hätten. Das Recht, Maßregelungen eintreten zu lassen, hat sich jetzt di« Direktion ausdrücklich Vorbehalten. Daß hieraus die Arbeiter kein günstiges Vorzeichen der wohlwollenden Prüfung ihrer Forderungen erblicken, ist begreiflich. Jedenfalls hat die Zusicherung einer solchen Prüfung be wiesen, daß die Direktion selbst sich bewußt ist, daß in der Grube nicht Alles so ist, wie es sein sollte. Thatsächlich sind die Verhältnisse nicht erst seit heute und gestern verbesserungs bedürftig; es bedurfte aber erst des energischen Vorgehens der Arbeiter, um dies Zugeständniß zu erreichen. Um so weniger ist es zu billigen, daß die Direktion die Arbeiter durch die Aussicht auf Maßregelungen erbittert. Der ganze Verlauf des Streiks hat doch mit Ausnahme von einigen Fällen gezeigt, daß die Arbeiter durchaus maßvoll sich benommen und von der wüsten socialistischen Agitation sich ferngehalten haben. Trägt man aber die Verbitterung in die Arbeitcrkreise auf diese Weise hinein, dann ebnet man den socialdemokratischen Aposteln, die zahlreich genug sich eingefunden haben, den Boden. Die Wahl der Delegirten, die mit der Direktion verhandeln sollen, hat nunmehr stattgefunden; der Beginn der Ver handlungen steht unmittelbar bevor. Nachdem die Arbeiter durch Wiederaufnahme der Arbeit gezeigt haben, daß sie auf dem un gesetzlichen Standpunkte des Streikes nicht verharren wollen, ist es an der Direktion, zu zeigen, ob sie den deutschen Arbeit gebern einigermaßen nachzustreben geneigt ist. Die Haupt forderungen der Arbeiter sind: bessere Wohlfahrtseinrichtungen, Verkürzung der jetzt langen Schichtdauer, Abschaffung der Ueber- tagearbeit nach der Schicht, Einführung von Lohnbüchern, die das Verhältniß der geleisteten Arbeit zu der Entlohung er kennen lassen, und Lohnerhöhung. Warten wir ab, wie viel hiervon das Wohlwollen der Direktion in Erfüllung bringt. Auf den Gruben in Karlingen und Spittel, deren Verhältnisse hinter denen von Kleinrosseln noch zurllckstehen, ist der Streik ebenfalls im Erlöschen. Deutsches Reich. 6. H. Berlin, 23. Mai. (Contreatimiral Bendemann über den spanisch-amerika nischen Krieg.) Bekanntlich hat der neuernannte Chef des Admiralstabes der Marine, Contreadmiral Bendemann in der militärischen Gesellschaft einen hochinteressanten Vortrag über den Seekrieg zwischen Spanien und den Vereinigten Staten gehalten, aus dem bereits Einiges mitgetheilt worden ist. Jetzt, da der Vortrag gedruckt vorliegt, entnehmen wir ihm noch die folgenden charakteristischen Episoden: „Ernste Fairilletsn. Honor6 -e Lahac. Von Ernst Koppel (Florenz). Nachdruck vcrbotcn. Der Wirklichkeitssinn, der in der französischen Literatur der zweiten Hälfte des Jahrhunderts so virtuos und glänzend hervor getreten, ist das Ergebniß einer langen vorbereitenden Ent wickelung, die man ohne Mühe verfolgen kann, so klar liegt sie zu Tage. Der Ahnherr aller dieser Schriftsteller aber, die dieser realistischen oder naturalistischen Literatur, der Name thut wenig zur Sache, als Jünger dienen, sie mögen nun Flaubert, die Brüder Goncourt, Zola oder wie immer heißen, ist Balzac, der am 20. Mai 1799 zu Tours geborene und im Alter von einundfünfzig Jahren zu Paris gestorbene große Romanschrift steller. Ueberschaut man die Summe seines Wirkens, so erstaunt man über den Reichthum und die Fülle, die darin aufgestapelt ist. Dieselbe erscheint zunächst völlig verwirrend und verworren, ein Labyrinth, in dem man sich erst allmählich und mühsam zurechtzufinden vermag. DaS Leben dieses merkwürdigen Mannes liegt in seinen Werken, mehr als vielleicht bei irgend einem Anderen auf dem gesammten Gebiete der Literatur. Man kann ihn sich nicht anders als mit der Feder in der Hand vorstellen, so viel er auch beobachtet haben mag, und eS ist Thatsache, daß er sich zeitweilig, mitten im geräuschvollen Paris, völlig von der Außenwelt abschloß, bei dicht geschlossenen Vorhängen, in auch bei Tage künstlich erleuchtetem Zimmer arbeitete, um mit seiner Phantasie völlig allein zu sein. Für ihn war DaS, was er erdachte und erdichtete, die Wirklichkeit, das Leben, die Wirk lichkeit nur ein, wenn auch ungewöhnlich klarer und deutlicher Traum, der fortwährend in sein Geistes- und Phantasieleben reflectirte. Wenn dieser Umstand sich dem scharfen Beobachter nicht schon aus seinen Schriften ergäbe, so würde manches überlieferte Wort aus seinem eigenen Munde dies beweisen. Schon während seines Aufenthaltes im Collöge von Ven- d-me schrieb er im Alter von 12 Jahren Verse und ebenso in der Pension Lepitre zu Paris. Für den Stand eines Notars bestimmt, weigerte er sich hart näckig, diesen Beruf zu ergreifen, da sein schöpferische», nach literarischer Kundgebung dürstendes Naturell bereits gleich einem nicht zu stillenden Fieber in ihm glühte. Auf sich selbst angewiesen, schrieb er nach einem verunglückten Trauerspiel, „Cromwell", eine Reihe von Romanen, die un gefähr dreißig Bände füllen, ohne daß er mit irgend einem derselben Erfolg aufzuweisen hatte. Das oben erwähnte Trauer spiel ist für sein gesammte» Schaffen auf dramatischem Gebiete bezeichnend, da seine Bühnenarbeiten, den einzigen „Mercadet" ausgenommen, spurlo» vorübergingen und erst im Jahre 1853, also nach seinem Tode, gesammelt unter dem Titel „IKSLtrs äs Lulruc" herauSkamen. Seine sämmtlichen Romane bi» zum Jahre 1829 erschienen pseudonym, und erst mit dem Roman: „Le, ckoruier, Odouuus-, der unter seinem wirklichen Namen in die Welt ging, lenkte sich die Aufmerksamkeit auf den Dreißigjährigen, der, obgleich er bereits eine literarische Vergangenheit hinter sich hatte, mitten im luxusstrotzenden Paris in wirklicher Dürftigkeit dahinlebte. Es muß eine ungeheure Summe von Energie, die mit der Gewalt einer Naturkraft lebenspendend und -erhaltend wirkte, in ihm aufgespeichert gewesen sein, denn sonst wäre der Ehr geizige, nach literarischem Ruhm, nach Ehren und Reichthum Lechzende in seiner Dunkelheit und Dürftigkeit sicher zu Grunde gegangen. Kaum hatte ihn denn auch nach so langen dunklen Tagen die Sonne der Anerkennung und des Erfolges beschienen, als sich ein Werk nach dem anderen ununterbrochen aus seiner Seele losrang, und fast jedes einzelne bedeutete einen neuen Erfolg. So zunächst: „LKMoIoxis äu murinxe", das ihm neben dem Ruf eines Physiologen auch den eines witzigen Kopfes eintrug. Während „Ls äernisr äes OiiouLim" bei allen seinen Vor zügen doch den Einfluß Walter Scott's und Eooper's erkennen läßt, ist „kdysioloßiö äu nmriaxs" bei Weitem origineller. Es athmet Etwas von altgallischer Fröhlichkeit, die an keinen Geringeren als Rabelais, den von Balzac stets Bewunderten, erinnert, der, wie er selbst, bekanntlich ein Kind der Touraine, des Gartens von Frankreich, war. Mit dem nun folgenden Werke: „Ln peau 6« Odugrin" eroberte er endlich die Stellung in der Literatur seines Vater landes, die er bis zu seinem Tode und weit über denselben hinaus behaupten sollte. Dieses eigentümliche Werk erinnert in seiner Phantastik an E. T. A. Hoffmann, der eben damals, um das Jahr 1831 in Frankreich bekannt und sogleich gewürdigt wurde, wie außer Heine vielleicht kein anderer deutscher Schrift steller. Goethe hat das Werk noch gelesen und sich wiederholt an erkennend darüber ausgesprochen, wie es überhaupt in seiner svmbolisirenden Philosophie gerade bei deutschen Lesern auch heute noch seinen Eindruck nicht verfehlen kann. Zugleich enthält es viel Selbstbiographisches und enthüllt zum ersten Male den Dichter Balzac. Fast gleichzeitig mit diesem tiefsinnigen Roman entstand die Erzählung: deUs Iwpsrin", die erste in der langen Reihe der „Ooutes ärolLtiqus8". In ihnen ahmt er mit feinem Kunstgefühl die alterthümliche Sprache Rabelais' nach. Diese Novellen erscheinen wie verspätete Kinder der Renaissance-Epoche, so strotzen sie von überschäumender Lebensfreudigkeit und ent fesselter Sinnenlust. In ihnen erhebt der Dichter sich zu einer Vollendung des Stils, wie wohl nie mehr, weder vorher, noch in seinen zahlreichen nun folgenden Romanen, die er unter dem stolzen Titel: „Lu cowLckiv Kumulus" als Gegensatz zu Dante'» „Göttlicher Komödie" zusammenfaßte und als deren Schöpfer er sich als „ckoctsnr en Sciences kumuiues" bezeichnet«. Man kann sein Lebenswerk wohl kaum höher bewerthen, als indem man dem Unermüdlichen die Berechtigung zu diesem stolzen und vielsagenden Titel zuerkennt. Als Vater deS modernen Romans kennzeichnet Balzac sich vor Allem darin, daß er mit einer Art von wissenschaftlicher Methode verfuhr, und in noch höherem Grade, daß er dem Hauptelement der erzählenden Kunst, der Liebe, andere sociale Mächte neben-, ja überordnete. So vor Allem dem Geld, da» in seinen Werken zum ersten Mal al» Alle» bewegende, fast stet» verderbliche Macht geschildert wird. Da der Einfluß des Geldes auf alle Verhältnisse des modernen Daseins ein verhängnißvoller ist, so erklärt sich hieraus zum großen Theil die düstere An schauung des Daseins und der Menschennatur, von denen er fast nur die dunkeln Seiten, die versteckten Abgründe aufdeckt, mit der Fackel deS Forschers, mit dem Auge des Sehers in ver hüllte Labyrinthe dringend. Ob diese Art, zu sehen, eine rein künstlerische ist, mag dahingestellt bleiben, sie einfach mit dem Schlagwort „Pessimismus" abzuthun, wie es vielfach geschehen, ist aber gar zu dilettantisches Verfahren, mit dem man einer so tiefblickenden, schöpferischen Persönlichkeit, wie diejenige Balzac's es ist, nicht gerecht wird. Wenn er die Liebe schildert, die bei ihm meist als Das, was man als Leidenschaft bezeichnet, auftritt, so ist ihr Gegenstand nicht das junge Mädchen, sondern die reife Frau, wie sie sich in seinem Roman: „1.L ksmms äs trsnto aus" enthüllt. Es war nicht die Art dieses Naturforschers der menschlichen Seele, einfache, ungebrochene Zustände darzustellen; je complicirter, verzweigter ein psychologischer Fall war, um so mehr reizte es ihn, ihn zu erforschen, darzulegen, zu erläutern. So hat er denn diesen Typus der reifen Frau, die noch Liebe fühlen und erwecken kann, recht eigentlich in die Literatur eingeführt, wie er überhaupt die hundert Leiden, Schwächen und Heimlichkeiten des weiblichen GHhlechts mit hellseherischem Blick und erstaunlicher Virtuosität zu schildern unternommen, ein Physiologe der Frauennatur, wie vor ihm kaum Einer. Und wie ihr inneres und verborgenes Dasein kennt er ihre Aeußerlich- keiten, ihre Toilette, die hundert Nichtigkeiten, mit denen sie sich zu umgeben lieben, einerlei, ob er die große Dame, die Frau aus dem Bürgerstand oder die Courtisane schildert, mögen sie nun unter dem Kaiserreich, der Restauration oder dem legitimen Königthum auftreien. Für alle diese Perioden werden die Werke Balzac's einen kulturhistorischen Werth behalten, wenn die literarische Schätzung derselben auch nachlassen mag, ein Umstand, den der Stil und die Form seiner Schriften möglicher weise beschleunigen. Denn dieser Stil ist ein für einen Franzosen des neunzehnten Jahrhunderts eigenthümlicher Umstand, schwer und oft schwülstig, überladen und besonders in den Augen seiner Landsleute geschmacklos. Dieser Stil leidet, wie so manche seiner Schriften, an einer Ueberfülle, die kein reines ästhetisches Be hagen aufkommen läßt, und er steht in Zusammenhang mit dem geringen idealen Gehalt seiner Romane, die nichts von den religiösen, socialen und freiheitlichen Bestrebungen seiner Zeit, die doch von diesen erfüllt war, Widerspiegeln. Ihm war es vor Allem darum zu thun, die Fülle des Daseins an und für sich, die Nachtseiten der Gesellschaft, daS zeitgenössische französische Leben sowohl in seinem geliebten Pari» wie in der Provinz so breit und eindringlich als möglich darzustellen, so daß sie al» „ckoeumentz Kunming", wie er e» nannte, wirkten. Daß er diese große Aufgabe mit seltener Kraft und Energie gelöst, genügt für einen Ruhmestitel, der den Mangel einer gereiften und geklärten Künstlerschaft weniger störend hervortreten läßt, als es bei geringerer schöpferischer Begabung der Fall sein würde. Ihm ist weder Muße noch Beruf geworden, sich eine um fassende Bildung anzueignen. Seinen Erzeugnissen merkt man die schwere Hand de» Arbeiter» an, der sich nicht genug zu thun weiß, dabei aber oft da» edle Maß, di« wrisr Beschränkung der- f«hlt und v«rsäumt. Von seinen Romanen sind besonders, außer den bereits er wähnten, bemerkenswerth: „Ls tsmms LbLucioimSs", „Ls3 cLIikutnires", „Louis Lumksrt", „Lugsuis Orunckst", „Ls xörs Loriot", „Oousins Lette", „Lloclests klixnon", „Ls mSckeciu äs cumpnxne", „Listoirs äe Ireires", „lUusions perckues" und eine Reihe kleinerer Erzählungen, von denen im Gegensatz zu den eigentlichen Romanen einige, wie .^L'utköe' und „Ls reliuisitionuuire", auch in Form und Composition wahre Meisterwerke sind. Je mehr er Welt und Menschen kennen lernte, um so dunkler wird das Eolorit seiner Darstellungen. Abgründe der Selbst sucht und des Lasters öffnen sich immer häufiger vor den Augen des Lesers, sei es nun, daß er die zeitgenössische Provinz schildert oder eine seiner „Lcöuss cis In vis cis proviucs". Beharrlich und unerbittlich, mit eiserner Folgerichtigkeit zeichnet er die Menschen und ihre Leidenschaften, und es scheint, als ob weder Herz noch Hand ihm bei der Wanderung durch diese moderne Hölle je gezittert hätten. Erst kurz vor seinem Ende hat der große Kenner der modernen Frau, der Autor der „Lkzsiologie äu muriags", selbst die Ehe kennen gelernt, ein Umstand, der möglicherweise auf sein gcsammtes Schaffen von Einfluß gewesen. Auf einer Reise hatte er eine russische Gräfin Hanska kennen gelernt, mit der er bald einen Briefwechsel begann, der von 1833 bis zu seiner im Jahre 1850 erfolgten Vermählung mit jener Frau währte, da er sie, die meist auf ihrem Gute in Ruß land wohnte, nur selten zu sehen Gelegenheit hatte. Er schob diese Verbindung so lange hinaus, um sich von seinen Schulden zu befreien, die durch fchlgeschlagene Unter nehmungen, wie kostspielige künstlerische Liebhabereien be deutend angewachsen waren. Kaum aber hatte er sich in Paris ein Haus nach seinem Geschmack eingerichtet und seine Verlobte heimgeführt, als der Tod diesem reichen Dasein ein Ziel setzte, am 18. August 1850. Er stand auf der Höhe seines Könnens und seines Ruhmes, sollte aber nach so ungeheueren Anstrengungen zum wahren Genüsse der so schwer errungenen Güter nicht gelangen. Da er bei seinem unermüdlichen Arbeitseifer die Nacht zur Hilfe nehmen mußte, dabei in dem hastigen, nervösen Paris, das er kaum je verlassen wollte, einer lebhaften Geselligkeit huldigte, so hatte er sich, um sich anzuregen, ein Uebermaß im Genuß des Kaffees angewöhnt, das sein Ende unzweifelhaft be schleunigte, so daß über ihn gesagt werden konnte: „Er lebte von 50 000 Tassen Kaffee und starb an 50 000 Tassen Kaffee", und es ist nicht zu viel gesagt, daß man Spuren der Wirkungen dieses Reizmittels in seinen Schriften zu spüren vermag, die nicht selten etwas Ueberhitztes, Ueberhastetes haben. So lange und heftig er auch während seines Lebens von der Kritik und unter Angriffen mancher Art zu leiden hatte, so ist er doch als Sieger dahingegangen. Seitdem hat sich die Anerkennung seiner Bedeutung wie sein Ruhm stet» weiter ver breitet. Zu diesem Umstand haben auch seine Schüler, die Meister des modernen Romans in Frankreich, entschieden bei getragen, als deren Letzter kein Geringerer al» Emile Zola, der wohl die größte Familienähnlichkeit mit ihm aufweist, am Ende de» Jahrhundert» in frischester Schaffrn»kraft dasteht.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite