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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.05.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990525019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899052501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899052501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-25
- Monat1899-05
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Reclamen unter dem Redaation-strich (4ga» spalten) 50/H, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Änzeizen: Abend-AuSgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag- - Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je eine halbe Stunde früher. Anreigen sind stet- an die Expedition zu richte«. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Eine kluge Predigt. Auf der von uns erwähnten Wiener Protestversamm lung gegen die LoS von Rom-Bewegung hat der bekannte ultramontane Politiker Prinz Alois Liechtenstein eine Rede gehalten, die als ein Meisterstück jesuitischer VolkS- bearbeitungSkunst kennen gelernt zu werden verdient. Wir geben sie deshalb nach klerikalen Blättern im Wortlaute wieder. Der Prinz ließ sich wie folgt vernehmen: Bischöfliche Gnaden I Hochverehrte Versammlung! Alle öster reichischen Völker sind verläßliche Unterthanen, und der Staat kann in Zeiten der Gefahr darauf bauen, daß sie mit ihm Gut und Blut vertheidigen. Insbesondere aber sind die Tugenden de- deutschen Volke- und des österreichischen deutschen Volke- Treue zum Landesherrn, reges Stammesgesühl und Liebe zum Vaterlande, zum Verbände de- Staates, dem es angehört. Diese Charaktermerkmale de- deutschen Volke- erwachsen au- seiner Naturanlage, sind ihm angeboren, nicht anerzogen. Sie erhellen in unwiderleglicher Weise nicht bloS au- der Geschichte Oesterreich-, sondern noch weit mehr au- der Geschichte Deutschland-; ja sie bilden geradezu den Inhalt der deutschen Geschichte. Aus dieser zähen und unwandelbaren Anhänglichkeit des deutschen Volke- an da- Erbgesessene, Althergebrachte und an poli tische- Sonderrecht ergeben sich, wie bei allem Menschlichen, günstige und minder günstige Folgerungen. Da- Gebiet de- deutschen Volke» bedeckte sich schon frühzeitig mit einer Menge von Eultur« centren, den Sitzen der StammeSfürsten, deren Familien sich ver- zweigten. Jedes dieser Centre» wurde eine Stätte edler Kunst und wirthschaftlicher Blüthe. Keine andere Nation Europas weist eine so große Mannigfaltigkeit de- reichsten geistigen und mate riellen Lebens auf, als das kleinstaatliche particularistische Deutsch land. Freilich hatte dieser Particularismus auch bedeutende Schatten seiten. Einzelne Epochen der deutschen Geschichte litten an einer bedauer lichen Schwäche des Nationalbcwußtseins, an politischer Zersplitterung. Es ist eben sür eine Nation ebenso wie für Len einzelnen Menschen sehr schwer, die richtige Mitte einzuhalten; in jeder Begabung und in den schönsten Impulsen liegt der Keim zu Gebrechen, wenn sie irregeleitet werden. Aber au- diesem manchmal übertriebenen kräftigen Sondergefühle haben die deutschen Stämme dennoch den ungeheuren Vortheil gezogen, daß ihnen jene geistige Einförmigkeit jene beängstigende und erdrückende Centralisation erspart blieb, welche z. B. in der gallischen Race der Rückschlag ihre- altrömischen Erziehungsdrilles ist und welche in Frankreich die edleren germani schen Einflüsse verwischt hat. Diese Centralisation hat das moderne Frankreich dahin gebracht, daß nur mehr die Hauptstadt denkt, fühlt und handelt, während die Provinzen den Gehorsam von Leichen üben, die Paris galvanisirt. (Sehr wahr!) Die Folge dieser vornehmen Tugenden des deutschen Volkes ist, daß jede Bewegung, welche gegen das Herrscherhaus, die Ehre des Staate- und die Sicherheit des Vaterlandes gerichtet ist, zu allen Zeiten kläglich gescheitert ist. (Sehr richtig!) Solche Bewegungen können sich nämlich nie in den Massen ausbreiten und dort Wurzel fassen, weil sie dem sicheren Jnstincte des deutschen Volkes zuwider sind. Ja sie üben nur insofern Anziehungskraft auS, als sie hinter einer erborgten Maske ihre Ziele verbergen; wo sie in ihrer wahren häßlichen Gestalt unverhüllt hervortreten, sind sie auch schon zur Ohnmacht verurtheilt. Für sich allein sind sie ungenießbar und ab stoßend; aber wenn sie die jeweilig volksthümliche Idee vorschirben und sich hinter derselben vorsichtig decken, können sie immerhin eine Weile unerkannt bleiben und somit dem deutschen Volke gefährlich werden. So gestalten sich Verlauf und Endschicksal der radical- »ationalen Deutschenbewegung in Oesterreich, welche gegenwärtig schon zum zweiten Mal« in Oesterreich eine gewisse politische Bedeutung erlangt. Da- erst« Mal erlangten unter Führung de- Ritters Georg v. Schönerer (Pfui! Pfui!) die Radikaler» namhaften Erfolg und starken Zulauf um die Mitte und gegen das Ende der achtziger Jahre. Die Begeisterung, welche damals geweckt und von sehr achtbaren Elementen gr- theilt wurde, galt aber keineswegs antidynastischen und lande-« prei-gebenden Regungen, die ja nur in engsten geschloffenen Parteizirkeln «nd in versteckten Brieflasten - Notizen der „Un- verfälschten Deutschen Worte" sich offenbarten. Diese Be geisterung galt dem Antisemitismus und der socialen Reform, welche ein unabweisbar dringendes Bedürfniß unserer Zeit sind. (Sehr wahr! Beifall.) Es gab einen kurzen un wiederbringlicher» Augenblick, knapp vor der Organisation der schwarz-gelben christlichen Bewegung, wo die Radical-Nationalen die Führung de- deutschen Volke- in Oesterreich, welches um jeden Preis da- Joch deS Judenliberalismus abzuschütteln entschlossen war, an sich zu reißen schienen. Sobald jedoch die Kornblume in- Knopfloch gesteckt, die hochverrätherische Tendenz offenbar wurde, war rS mit dem Einflüsse der Radikalen geschehen. UnS strömten die Massen deS deutschen Volkes zu, und wir führten sie zum Siege. Unser Volk erkannt« mit seinem geraden, gesunden Menschenverstände, daß den Radikalen die wirthschaftliche und geistig« Befreiung von der Judenherrschaft nur Nebensache und Aufputz eines irrendentistischen Programms war, uns aber Hauptsache, der wahre, einzige Inhalt unseres politischen Credo-. Der Anhang der Radikalen schwand zusehends; kaum geduldet, so lange sie sich unserer DiSciplin fügten, wurden sie abgestrrift und ausgewiesen, als sie den Frieden im christlichen Lager zu stören sich unterfingen. Es muß hervorgeboben, es kann nicht ost genug wiederholt werden, daß der NationalradicalismuS bereit- vollständig besiegt, ja so gut wie weggefegt war durch unS Ehristlichsociale nnd durch die Deutschnationalen und daß da- Resultat der letzten Reichs« rathSwahleu darin bestand, daß Wien und Niederöster- reich von Irredentisten gesäubert war. (Beifall und Applaus.) Wir hatten sie genöthigt, auSznwandern mit Sack und Pack. ES gab in Wien und Niederösterreich, ihrem früheren Hauptsitz, keinen Wahlkreis mehr, in welchem sie die leiseste Hoffnung hegten, durchzudringen. In Böhmen, wo man sie nicht kannte (Beilall), wurde« Schönerer und Wolf von der deutschen Wählerschaft gut ausgenommen, aber rS ist ein Jrrthum, zu glauben, daß sie ihre Mandate der sogenannten Preußenseuchelei verdanken; als Antisemiten wurden sie in Kreisen, welche müde waren, dem jüdischen Prager Casino zu gehorchen, auf- Schild gehoben. Speciell Herr Wolf hat auf sich selbst Stimmen von Geistlichen und Tschechen vereinigt (Heiterkeit); der Liberalismus war eben dort ein Gegenstand allgemeinen Verdrusses geworden. (Lebhafter Beifall.) Ritter v. Schönerer und Wolf hätten daher im neuen Reichs« rathe eine namhafte Rolle kaum gespielt, am allerwenigsten al- Führer einer deutschen Jrredenta. Daß sie ein zweites Mal poli tische Bedeutung erlangen konnten und bi- zur Stunde behaupten, verdanken sie der Sprachenvrrordnung d«S Grafen Badens, die seine Nachfolger leider noch immer nicht ausgehoben haben. Ich unterschätze gewiß nicht die Gefahr, welche in der Existenz dieser Partei für Oesterreich liegt, insbesondere unterschätze ich nicht den nachtheiligen Einfluß, den die Existenz dieser Partei auf unser staatliches Ansehen im Auslande übt, das sie für mächtig hält, weil sie laut und lärmend ist. Aber ich constatire, daß sie ihre Kraft nicht auS sich selbst und au- ihrem Programme schöpft, sondern aus rinem noch nicht behobenen Mißgriffe einer gestürzten Regierung. Ich constatire, daß diese Partei nur darum Glück bei ihrer Agitation in Deutschböhmen hat, weil sie gegen an und für sich unleid liche Zustände Mittel anwendet, die den loyalen und staat-freund lichen Parteien untersagt sind. Ts ist eben nicht klug, ein Volk in eine Stimmung zu versetzen, in der nur die leidenschaftliche Rück- sichtSlosigkeit angehört wird. Der Haß der Schönerianer gegen Oesterreich stammt auS einer Zeit, i« welcher da- österreichische Deutschthum in keiner Weise be drängt oder bedroht war. Er ist ein principieller und unversöhn« licher. DaS steht fest. Ein Politiker kann nur dasjenige wirksam bekämpfen, waS er vom Grunde auS begriffen hat. Ich habe mir die Mühe genommen, durch persönliche Diskussion mit einzelnen Radicaluationalen im Privatgespräche die Ursachen ihrer Abneigung gegen Vaterland und Dynastie zu erforschen. Jeder dieser unglück lichen Fanatiker hat mir dieselbe Antwort gegeben: „Ein Volk kann nur Eineu Staat bilden und Einem Oberhaupte gehorchen." Das ist da- Axiom, der politische Glaubenssatz, die fixe Idee dieser Querköpfe. E» girbt nicht-EinfachereS und auch nicht» Ein fältigere-. (Sehr wahr!) Es ist derselbe einförmige und tyrannische Gedanke, der am Ende deS vorigen Jahrhundert- die Franzosen zur Abschaffung der Provinzen und zur Bildung der Departe ments drängte, der den italienischen Carbonari den Dolch in die Hand drückte, der die deutschen Geheimbündler der dreißiger und vierziger Jahre zu Verschwörungen gegen ihre Monarchen und Regierungen incl. der preußischen verleitete. Es ist eine re volutionäre und eine undeutsche Idee, stümperhaft und un praktisch, sie widerstrebt der Natur unsere- Volke-, und der Gang der Ereignisse hat sie widerlegt. — Die deutsche Einheit ist nicht von theoretisch gebildeten Professoren im StammbeiSl gegründet worden, sondern mit Blut und Eisen wurde sie zusammengefügt auf den Schlachtfeldern im Lande deS Erbfeindes und besiegelt durch sreie Verträge der Fürste», welche di« Vertreter der deutschen Stämme und Sonderrechte sind. Die Professoren waren eben Nullen, die von einer Einheit träumten, Von einem symmetrische« Kluinpen, der au» Trümmern zusammengeschmolzen werden sollte; Bismarck, der große StaatSkünstlcr, hat einen Bundesstaat errichtet, einen lebendigen Körper, dessen Glieder frei sich regen und doch ein trächtig wirken. Oesterreich gegenüber aber war die Politik deS großen Kanzler» noch behutsamer, al» gegenüber den deut schen Staaten und Fürsten. Er hat sich jeder Annexion deutsch österreichischen Gebiete- enthalten, er hat jede staatsrechtliche Einbeziehung Oesterreichs oder deutschen ehemaligen Bundesgebietes Oesterreichs in das neu gegründete Deutschland vermieden; ja er ist sogar sorgfältig dem von vielen Seiten gemachten Vorschläge ausgewichen, den Allianzvertrag der beiden Großmächte von den beiden Parlamenten pragmatisch gutheiße« zu lassen. Wie kommt eS nun, daß Bismarck, der von jeder romantischen Vor liebe sür Oesterreich ebenso frei war wie Schönerer oder Wolf, während seiner Amtsthätigkeit so gehandelt hat? Ohne Zweifel, weil er bester verstand, WaS zum Nutzen und Frommen des deutschen Volkes dient, als Wolf und Schönerer. — Wie kommt eS, daß Bismarck'S Nachfolger daS von ihm geschlossene Vündniß mit Oesterreich noch fester geknüpft haben, jeden Hirne» gedanken deutscher Gebietserwerbung auf unsere Kosten ver abscheuen und die ehrlose Zudringlichkeit unserer heimischen Irre- denta verächtlich abweisen? — Weil BiSmarck's Ueberzeugung von der Nothwendigkeit und Unentbehrlichkeit Oesterreich» Gemein gut de» deutschen Volkes geworden ist und jedes Kind in Deutschland heute weiß, daß die Sicherheit des deutschen Reiches von dem Bestände und dem Wohlergehen Oesterreichs bedingt wird. Denken wir uns doch einmal für einen Moment in eine solche Lage, die Gott verhüten möge: Deutschland gewänne 9 Millionen Katholiken zu den 18 Millionen die «S schon besitzt; da- Centrum würde im deutschen Paria- mente alleingrbietend, während es jetzt maßgebend ist; da» Reich hätte zwei Hauptstädte, die wirthschaftlich, social und religiös Rivalen von einander wären. Welche Quelle von Verlegenheiten erwüchse der protestantischen Spitze de- deutschen Reiches aus dieser völligen Verschiebung deS bisherigen Schwergewichts? (Sehr gut!) Wolf und Schönerer würde» freilich der» deutschen Reiche in die andere Waagschale einen imponirenden Zuwachs des protestantischen Elementes legen: bis Ende April sind laut statistischen Nachweises in ganz Oesterreich, als Folge des„Los«von-Rom"«Rummels, 450 Personen — arme Teufel, die gar keine Ueberzeugung, am wenig, sten eine religiöse, haben (stürmischer Beifall) — von unserer Kirche abgefallen, denen etwa 100 zum KatholicismuS Convertirte gegen überstehen. Deutschland gewänne ferner rin ausgezacktes Terri torium, dem jede Arrondirung fehlt, und da der Rest Oesterreichs ohne die deutschen Provinzen lebensunfähig wäre, gewänne Deutsch, land längs seiner ganzen Ostgrenze zum Nachbarn ein übermächtiges Rußland, welches dem revanchelustigen Frankreich in bedenkliche Nähe rücken würde, Deutsch, land einklemmen und zur Ohnmacht vrrurthetlen. (Sehr wahr!) Dagegen ist der Be stand Oesterreichs in seinem jetzigen Umfang für da- deutsche Reich und die deutsche Nation geradezu von unberechenbarem Vortheilr; eS darf kühn behauptet werden, daß Oesterreich Deutschland nützlicher ist, als Deutschland Oesterreich. (Lebhafter Applaus.) Oesterreich ist heute, waS es von jeher gewesen ist. Deutsch- lands Vormauer gegen Osten, der Schild, der Deutschlands schwächste nationale Grenze deckt, und der deutsche Einschlag und Kern Oesterreichs, die Alpenprovinzen, bilden die beste Bürgschaft des Bundes und der Eintracht beider Großmächte. Oesterreich, daS ist unser fester, unerschütterlicher Glaube, wird die jetzige traurige Krise, die nicht ärger ist, al» manche vorher- gehende, glücklich überwinven. Diese Kris« hat aber den Radikalen Gelegenheit gegeben, sich in ihrer wahren Gestalt zu enthüllen. Die Jrredenta verfolgt Ziele, welche dem deutschen Volke al» Ganzes und insbesondere jenem Theile desselben, daS unter dem Scepter der Hohenzollern lebt, verderblich wären. Die Deutschen Oesterreich-, welche stark genug sind, um für sich allein ihre Stellung gegen die Slawen zu behaupten und zu einem ehrenvollen und Vortheilhasten Frieden zu gelangen, werden durch unsere Jrredenta nur gestört, da sie da» Einigung«, bestreben der deutschen Parteien durch Einschüchterung aller maßvollen und vernünftigen Elemente hindert und Angesicht? der geeinigten Slawen eine« religiösen Streit im deutschen Lager zu entzünden versucht. Die Radicalen sind Schädlinge für Volk und Reich; die Frage ist erlaubt, ja naheliegend, ob der Staat gegen sie nicht jene Zucht« und Strafmittel anwenden soll, die solche verdienen, die ihn verneinen. (Bravo! Beisall.) Ein solche- Ver fahren mag ein Byzantiner anrathen; ich halte es nicht sür opportun. Bevor normale Verhältnisse in Oesterreich wieder her gestellt sind, würde die Strenge nur Märtyrer schaffen auS solchen, die in friedlichen Zeiten zwar schlechtgesinnte, aber kaum beachtete Sonderlinge wären, die sich selbst schädlicher sind, als allen Anderen. (Heiterkeit.) Ich wüßte ein besseres Recept gegen unsere Radicalen: Man lasse ihnen ihr Bier nnd nehme ihnen die Sprachenverordnung weg. (Heiterkeit.) Dann wird ihre über» ganze Reich auSgebreitete Organisation von selbst sich auslösen. Was dann von ihnen übrig bleibt, wird ein geschlossener kleiner Lirkel sein, eine Tafelrunde überhitzter Querköpfe, die Jeden an die Luft setzt, der zur Besinnung kommt. (Heiterkeit. Großer Beifall.) WaS an dieser Rede zunächst ausfällt, ist der Umstand, daß sie, gegen die LoS von Rom-Bewegung und in Gegen wart eines Bischofs gehalten, Religion und Confessio» kaum berührt. Dazu mag den Redner ein Doppelte- bewogen haben. Indem er mit verächtlichem Seitenblick an der Be wegung, für die er bei seiner sonst vornehmen AuSbrucksweise nur die Bezeichnung „Rummel" hat, vorbeihuschte, mag er geglaubt haben, dadurch seine klerikalen Zuhörer in der Annahme zu bestärken, daß unter den Deutschen Oesterreichs nirgends ein religiöse- Bedürfniß nach Erhebung auS dem jesuitisch verrammelten Ideen- uno Gefühlskreise der heutigen römischen Kirche bestehe. Sodann enthob sein Schweigen über Religion und Consession, also den Gegenstand, der den Anlaß zur Versammlung geboten, ihn, dem ein national-geschichtlicher Excurs am Platze schien, der Nothwendigkeit, über die Gegenreformation in Oesterreich und verwandte Dinge ein Wort zu verlieren. Dieser geschichtliche Excurs ist wie die Beleuchtung der Politik Bismarck'S, in der allerdings die Angabe Uber deS deutschen Kanzlers Auffassung und Wünscht hinsichtlich der gesetzgeberischen Festlegung de- deutsch - österreichischen Bündnisses unrichtig ist, sehr hübsch. Nur fehlt da wie dort Einige-. So der Hinweis auf die Thatsache, Laß die Alexander Puschkin. St« ErinnerungSblatt zu seinem 100. Geburtstage am 26. Mat 1899. Von vr. Ernst Wilms. Rund um uns her sehen wir Culturen erstehen, wachsen, blühen und vergehen. Ein schönes Frühlingsbild gewährt un dec Anblick einer jungen Eultur in ihrem Ringen nach Vollendung. Erst langsam, dann immer schneller, zuletzt mit titanenhafter Kraft schießt und sproßt es aus dem Boden, während wild und grimmig die Lenzstürme Uber das junge GrUn dahinbrausen. Weit voraus eilen Phantasie und Dichtung, lang samer folgt die Wissenschaft; den Reigen eröffnen die Er leuchteten, in allmählichem Zuge schreitet die große Masse hinter ihnen drein. Stolz und glühend wie der Sommer steht vor uns daS Wachsende, selbstbewußt, mild und bescheiden zugleich prangt das Gewordene wie im Strahle einer milden Herbstsonnt. Grausig und erschütternd aber wirkt daS Schauspiel de» winter lichen Todeskampfe» einer Eultur — da» Ringen und die Stürme hat sie gemein mit dem Werden, nur mit dem Unterschiede, daß hier die Kämpfende glorreich alle Anfechtungen überwindet, dort aber unter Zuckungen und Fieberschauern untergeht. Rußland bietet un» seit 200 Jahren da» Bild eine» gigantischen Werdens. Der Größe de» Kolosse» entsprechend, geht die Entwickelung nur langsam vorwärt», und die Frühling»- stllrmr wüthen schrecklicher al» anderiwo. Und doch sproßt und prangt nicht nur schon allenthalben da» zarte Grün, sondern auch duftige Blüthen strecken die farbigen Häupter neugierig oder schönheitksroh auS dem Boden empor. Der lauernd« Frost vermag sie zu tödten, aber die gläubige Seele geht nicht verloren. Das Werden ereilt seine Märtyrer wie das Vergehen. Eine der schönsten Blüthen dieses Culturfrühlings ist Alexander Sergejewitsch Puschkin, der russische Byron, der gefeiertste Ro mantiker unseres Nachbarstaates. Seine Wiege stand in Moskau, der Tag seiner Geburt war der 26. Mai 1799. In seinen Adern floß afrikanisches Blut, denn seine Mutter stammte von dem berühmten Mohren Peter de» Großen, Hannibal, ab, den der Kaiser als Sclaven jung kaufte und ausbilden ließ, worauf der intelligente Mohr in den Staatsdienst trat, in welchem er im Laufe seines Lebens bi» zum Range eine» 'Generals emporstieg. Sicherlich blieb dieser Umstand nicht ohne Einfluß auf das Naturell Puschkin'S; das afrikanische Blut machte, wie A. von Reinholdt in seiner Geschichte der russischen Literatur mit Fug hcrvorhebt, „seine Natur zu einer siedend heißen, und darin lagen auch die mannig fachen Wandlungen seines Lebens und sein böser Ausgang be gründet." Der Vater war Sproß eines alten Adelsgeschlechtes. Der Knabe wurde nach der Mode der Zeit französisch erzogen, im Uebrigen bekümmerten sich seine vom Leben der großen Welt in Anspruch genommenen Eltern nicht sehr um ihn. Außer Französisch und Italienisch lernte er daher zunächst nicht viel, und auch von seinem Fleiß im Lyceum zu Zarskoje-Selo, wohin man ihn 1811 brachte, ist nicht viel Rühmens zu machen. Die blaue Blume der Poesie pflückte er dagegen frühzeitig, seine alt« Amme, die Bäuerin Arina Rodionowna, war die Muse seiner Kindheit. Sie war e», welche ihm die alten Volkslieder sang und sein Ohr mit dem Märchen seiner Heimath füllte. Dafür hat ihr der Dichter eine wahrhaft rührende Anhänglichkeit be wahrt. Nicht nur blieb sie auch in späteren Jahren während mehrerer Monate de» Jahre» auf seinem Landgute seine einzige Gesellschaft, und er la» ihr, die er wie eine Mutter liebte, vor, wa» er gedichtet hatte, sondern er verherrlichte sie auch in einer Reihe von Dichtungen. So erwachte in ihm der Drang, zu „fabulirrn", und schon aus dem Lyceum machte er sich als Dichter von Gottes Gnaden einen Namen. Legte ihm doch damals schon der greise Dichter Dershawin, als er bei Gelegenheit eines Examens eines seiner Gedichte vortrug, begeistert die Hände auf das Haupt. Ob nun auch Puschkin sich weder durch Fleiß noch besonderes Streben auszeichnete, erfreute er sich doch bei seinen Mitschülern seines offenen Charakters wegen großer Beliebtheit, sein überlegener Geist wurde anerkannt, die ritterliche Ehrenhaftigkeit seines Benehmens bewundert. Bei seinen glänzenden Fähigkeiten zog er trotz seiner Unaufmerksamkeit mehr Nutzen aus dem Unter richt als seine Mitschüler. Um so leichter überließ er sich, seines Fortkommens in der Anstalt sicher, unnützen Zerstreuungen, ließ sich vom Augenblick beherrschen und verlor seine Zeit in nichtigen Vergnügungen. Bereits im Jahre 1817, im Alter von kaum 18 Jahren, trat der Jüngling in den Staatsdienst ein, und es darf wohl nicht Wunder nehmen, daß ein eben der strengen Schulzucht entronnener junger Mann, der plötzlich mitten in die große Gesellschaft von Petersburg versetzt und dort mit Rücksicht auf seine Herkunft und seine Talente mit offenen Armen aus genommen ward, sich Anfangs in dem berauschenden Strudel verlor und sich in den Zerstreuungen der vornehmen Kreise gefiel. Daß er trotzdem Arbeit und Dichtkunst nicht vergaß, zeigte seine Dichtung „Rußlan und Ljudmila", welche er im 21. Jahre vollendete und di« sofort eine begeisterte Aufnahme fand. In Rußland lagen damal» die klassische und romantische Schule in Streit, der ElassicismuS, der in dem jungen Staate noch nicht den rechten Boden fand, lag in den letzten Zügen, während die Romantik die jungen, aufstrebenden, nach Freiheit durstenden Geister unter ihrer Fahne sammelte. Puschkin'» Dichtung stellte ihn sofort unter die Führer der romantischen Schule; fehlte ihr auch noch ein einheitlicher Geist, verrieth sie die Vorbilder de» Verfasser», Ariosi und ein paar russische Autoren, so verliehen ihr doch Humor und eine seltsam« Mischung südlicher Phantasie mit nordischem Empfinden einen eigenen Zauber. Mit einem Schlage war aber auch der feurige Jüngling der Sänger der Opposition. In politischen Gelegenheitsgedichten und Epigrammen machte sich der Freiheitsdrang des Dichters Luft, ein Drang, der nicht die Wirkung einer reifen Ueberzeugung war, sondern lediglich dem demonstrativen Fühlen seiner feurigen schwärmerischen Natur entsprang. Der Erfolg dieser Gelegen heitsdichtungen übertraf noch den seines Erstlingswerkes. Inzwischen wegen seines leichtsinnigen Lebenswandels aus Petersburg entfernt, begleitete der Dichter, nachdem er eine gefährliche Krankheit überstanden, die Familie des General- Rajewskij nach dem Kaukasus. Hier, in der großartigen Natur, empfing er jene unvergänglichen Eindrücke, welche un» auS seinen späteren Dichtungen so wunderbar ansprechen. Dort lernte er auch die Schöpfungen Byron's kennen, und der Einfluß des großen britischen Sängers beherrschte ihn von nun an voll ständig. Die Dichtungen „Der Gefangene im Kaukasus", „Die Räuberbrüder", „Die Zigeuner" und „Der Springbrunnen von Bachtschißarai" waren die Frucht dieser Reise, in ihnen spiegelt sich außer dem Geiste Byron's die gluthvolle Scenerie de» Orients und der Reiz der farbenprächtigen Landschaft wieder. Wer sollte auch nicht entzückt sein von Versen wie den folgenden: „Oft, wenn er über Felsentrümmer Hinkletterte zur Morgenzeit, Da sandte er die Blicke weit. Weit in die Fern'! Er sah sie schimmern, Die VergeSspitzen schneegehüllt, Erglüh'nd im keuschen Frührothglanze, Bekränzt mit dunklem Wolkenkranze — Welch' stolzes, wunderprächtig Bild! Und doppelhäuptig unter Allen Des Elboru» gewalt'ger Bau; Hoch ragt, geschmückt mit Eiikrhstallen, Sein Haupt bi» in de» Himmel» Blau."
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