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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.05.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990529019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899052901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899052901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-29
- Monat1899-05
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Der Ordinarius, d. h. der erste ordentliche Pro fessor der Leipziger Juristenfacultät diente im fünfzehnte«» und noch im ersten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts dem Leip ziger Rath entweder gegen einen regelmäßigen Jahressold als rechtskundiger Beistand (Syndicus) oder verpflichtete sich wenigstens gegen ein Jahresgeschenk, sich nicht gegen den Rath gebrauchen zu lassen. Diese Stelle hatte auch Dietrich von Buckensdorf bekleidet, nachdem er 1449 zum Ordinariat gelangt war, und das mag ihm Gelegenheit gegeben haben, ein Capital v,on 600 Gulden, das er sich erübrigt hatte, beim Rathe der Stadt Leipzig zu 6^ Procent zinstragend anzulegen. Als er nun 1463 als Bischof nach Naumburg berufen wurde, wo er dann 1466 starb, benutzte er die ihm gebührenden 40 Gulden Jahres zinsen zu einer Stiftung: er bestimmte, daß diese Zinsen einem Studenten, zunächst aus seinem Geschlechte, zufließen sollten, und zwar sollte dieser den Genuß davon haben, „äicrveil er lernet, uuä so lauge, das er äoctor vrirt", doch höchstens zehn Jahre; „äordiuue mag er vol äoctor verclen. rvil er auäers seinen vleiz tun bei seiner lernunxe". Außerdem aber hinterließ Buckensdorf dem Rathe zur Benutzung für den betreffenden Studenten 42 Bücher, lauter Handschriften, mit folgender Bestimmung: „äer rat sal soloks dtleker ru sieb uemen unä sal merken, ap äer stuäente äer dücker xar ader eins teils deäorte; vas er bedarf, äie sal im äer rat lassen tun sd. h. geben), unä äer stuäents sal keine «nackt Kaden, äie klicker vez ru küren aäir ru verleiken ans äes rats ville. Her sal auck äie dücker vol btzvareu unä sal äer nickt sd. h. derer kein») verterken, snnäsrn sal äie vor seinen nockkoweling in Mer knte deknläen; wurde er auck eins »äer mekir variieren »äer rudi-engen sd. b. zerbringen, umbringeu), so sal er ein anäers aäer anäer so. h. andere) an äie stat Konken in glieder gute »äer dessir, unä sal äie dücker bessern von iare ru iure nnä nickt ergern sd. h. verschlechtern); äaruk sal äer rat ack- tunge lassen Kaden alle iare ierlicken. 8o ap äas äer stu- äente nickt tete, äas dann äer rat von äen iarrenten äie dücker niäerkoukte, so äas äie dücker ie nickt umdrackt werden". Die Stiftungsurkunde zählt dann die Bücher einzeln auf. Es waren meist juristische Werke; eine Anzahl davon ist noch jetzt in der Stadtbibliothek erhalten. Dieser Stiftung Vuckensdorfs folgte im sechzehnten Jahr hundert eine zweite. Im Jahre 1622 starb der Syndicus des Raths Or. Peter Freitag, der lange Zeit im Dienste der Stadt gestanden und verschiedene Aemter bekleidet hatte. Von 1480 bis 1502 war er 'Unterstadtschreiber gewesen, hatte in dieser Zeit auch das Pfarramt zu St. Jacob ein Jahr lang verwaltet (von 1491 bis 1492), es aber wieder aufgegeben, weil es zu wenig einbrachte, von 1502 bis 1505 war er Schöppenschreiber gewesen, und 1519 war er, nachdem er inzwischen auch Domherr zu Merse burg geworden war, als Nachfolger des Ordinarius, Bürger meisters und Syndicus Or. Johann Lindemann noch einmal in den Dienst des RathS getreten. Am 16. April 1515 nun, also zu einer Zeit, wo er nicht im Dienste der Stadt war, hatte er mit dem Rathe einen merkwürdigen Vertrag abgeschlossen. Der Rath baute damals an der Ecke des Nitolaikirchhofs und der Nikolai straße neben der im Jahre 1511 errichteten Nikolaischule noch rin zweites Haus. Auf dieses Haus hatte es Freitag abgesehen, er wollte es für sich zur Wohnung haben. Der Rath versprach ihm nun, daß er es so „vollenden und zubereiten" wolle, wie es vr. Freitag „selbst angeben und im am bequemlichsten gefallen wirket, die fenster mit glasefenstern und sunderlich die understen fenster legen der gassen und kirchofe mit eisern gittern besetzen und Vorsorgen, auch die bodeme mit estrichen beslahen lassen,»auch die fenster, so aus der schulen in das hoefichen gehen, also vormachen und vermauern, das man daraus in das hoefichen nichts werfen aber schütten, auch nicht sehen könne noch möge, also das er desselben Hauses, wenn das allenthalben volbracht und bereitet, bezihen, seine lebetage lang darinne wohnen und gebrauchen möge nach allem seinem gefallen". Dagegen versprach Or. Freitag dem Rathe „umb sunderlicher Zuneigung willen", daß er „uns alle seine bucher in Rechten, die er itzundt an einer grossen zahl hat, auch die er noch lunftiglich kcufen und zu ime brengen, wenn er mit tode vorschieden wirket, geben und zueigen wölle, also be- scheidenlich smit der Bestimmung), das wir eine bequeme, ge raume liberarei uf unserm Rathause sollen bauen aber machen, und wenn er mit tode Vorfällen ist, obberurte seine bücher, weß der sd. h. derer) in recht ader in jure sind, nach rechter ordenunge ein itzlichs darein legen und sunderlich mit eisern ketten an eisern stanzen wie in der clostere liberarei anschmiden lassen, das nimandes macht haben könne ader möge, einig buch wegzunemen, mit ime heimzutragen und (wie beweilen zuvor mit andern buchern gescheen) nicht wieder zu brengen". In seinem Testament, das er am 25. September 1516 auf dem Rathhause niederlegte, und worin er, zum Theil mit Capitalien, die er im Laufe der Zeit beim Rathe angelegt hatte, eine Anzahl frommer Stiftungen machte, erneuerte er auch die Bestimmung über seine juristischen Bücher; alle nichtjuristischen sollten an einen Neffen von ihm fallen. Or. Freitag starb im März 1522. Am 27. März nach seiner Bestattung wurde sein Nachlaß ausgenommen. Die juristischen bildeten bei weitem den größten Theil seiner Bücher. Nach einer Bemerkung, die auf dem „Copert" eines Rathsbuchcs ge standen haben soll, kamen an den Rath 253 Bände. Was davon noch jetzt in der Stadtbibliothek vorhanden ist, läßt sich nicht nachweisen. Jedenfalls waren es nicht blos geschriebene, sondern zum großen Theil gedruckte Bücher. Unter den jetzigen Hand schriften der Bibliothek ist nur eine einzige, von der es sicher ist, daß sie aus Freitags Nachlaß stammt. Trotz dieser beiden Stiftungen kann man aber im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert noch nicht von einer Rathsbibliothek reden. Ob wirklich im Rathhause ein Raum zu einer „Libe rarei" hergerichtet worden ist, und ob dieDücher Vuckensdorfs und Freitags von Studenten benutzt worden sind, ist zweifelhaft. Vielleicht ist es anfangs eine Zeit lang geschehen. Daß es später nicht mehr geschehen sei, kann man mit ziemlicher Sicherheit daraus schließen, daß, als im letzten Viertel des siebzehnten Jahr hunderts abermals eine Bücherstiftung gemacht wurde mit der ausdrücklichen Bestimmung, sie der öffentlichen Benutzung zu gänglich zu machen, es über dreißig Jahre dauerte, bis diese Be stimmung erfüllt wurde. Am Ostermontag, am 16. April des Jahres 1677 starb in Leipzig der äuris practieus und Oberhofgerichtsfiscal Huld reich Groß. In seinem wenige Tage zuvor, am 10. April, er richteten Testament hatte er in der Hauptsache drei Bestimmungen getroffen: 1) daß er „in der Heiligen Geistkirchen, sonsten ins gemein die Barfußkirche genannt, aufm Platze sd. h. auf dem Altarplatze) begraben, auch hernach an dem Pfeiler darbei eine messingene Tafel und Leuchter gefertiget und auf der Tafel, daß er allda begraben, gemeldet werden sollte"; 2) daß sein ganzes Vermögen an den Rath der Stadt fallen sollte, „jedoch be- scheidentlich und also, daß sie solch Vermögen und Erbschaft nicht in privat-, noch gemeinem Raths- oder Stadtnutzen, sondern der studierenden Stadtjugend allhier innerhalb der Ring mauer zu Nutzen anlegen und verwenden möchten, dergestalt, daß wohlbesagter Rath seine vorhandene kidliotkec in gemeldter Barfußkirche oder ein bequem Haus nicht weit darvon bringen und darzu einen Ribliotkecarium umb ein leidliches salarium verordnen, sowohl sd. h. sowie) zu complir- als Verschaffung einer vollkommenen Lidliotkec das übrige gesamte Vermögen an Häusern und andern kitkecteu anwenden, der Lidlio- tkecaiius der studierenden Stadtjugend auf Begehren die Bücher vorlegen, jedoch nicht nach Hause folgen lassen, und solches alles Ein Edler Hochweiser Rath aufs beste aämiiiistrjren sollte, wie einem eingesetzten ^iäoicomwissario wohl und rühmlich zu stünde und derselbe es am verträglichsten vor die Stadtjugend allhier befinden würde"; 3) daß zu seinem Gedächtniß „auf der Heiligen Geistes- oder Barfußkirche von den mathematischen lustrumcuten kiSus genannt immer eines größer als das andere gesetzet werden möchte". *) Die letzte Bestimmung war nur als Wunsch ausgesprochen. Der Schöpfer dieser Stiftung, Huldreich Groß**), war am 28. December 1605 in Leipzig geboren. Sein Vater, Gotthard Groß, war Seidensticker gewesen, sein Großvater, Ulrich Groß, hatte merkwürdige Schicksale gehabt, er hatte in Leipzig studirt, hatte aber dann einen Weinschank eröffnet, auch eine Zeit lang Glück damit gehabt, war dann in Schulden gerathen, hatte als Schulverwalter der Fürstenschule in Grimma ein paar Jahre seinen Unterhalt gefunden, war dann „wegen eigennütziger Amts verwaltung" wieder entfernt worden und hatte sich schließlich mit kleinen literarischen, namentlich ortsgeschichtlichen Arbeiten die Zeit vertrieben, unter anderm auch eine Chronik von Leipzig geschrieben. Der Enkel, Huldreich Groß, hatte die Nikolaischule in Leipzig, dann, bis 1622, die Schule in Schleußingen, endlich noch ein Jahr lang die Fiirstenschule in Meißen besucht, hatte dann von 1623 an in Leipzig, später in Rostock studirt, anfangs Medicin, dann die Rechtswissenschaft, daneben aber auch Mathe matik und Naturwissenschaften, nach seiner Rückkehr nach Leipzig 1628 sogar noch Theologie. Sein Hauptstudium blieb aber doch die Rechtswissenschaft. Er schlug die Laufbahn des Rechts anwalts ein, warf sich aber, veranlaßt durch die Noth und das Elend, das der Krieg mit sich brachte, nochmals auf die Medicin, namentlich auf die Chirurgie, ging deshalb 1632 noch einmal auf die Universität in Helmstädt, war dann auch als Arzt in einem Kriegslager bei Hameln thätig und kehrte 1633 mit dem Chirurgenzeugniß der Universität Helmstädt nach Leipzig zurück. Hier nahm er dann doch seine juristische Thätigkeit wieder auf, wurde bald ein gesuchter Anwalt und später FiScal (aävoeatus tisci) beim kurfürstlichen Oberhofgericht. In dieser Stellung ist er bis zu seinem Tode geblieben. Obwohl in seinen jungen Jahren in manche Liebeshändel verstrickt, die ihm sogar ein paar Mal den Degen in die Hand genöthigt hatten, den er übrigens gut und gern geführt hatte, war Groß doch schließlich unverheirathet geblieben und einer jener liebenswürdigen Sonderlinge geworden, wie man sie unter alten Junggesellen antrifft: offenherzig, derb und scharf in seinen Aeußerungen, höchst anspruchs- und bedürsnißlos, ein Verächter der Mode und der gesellschaftlichen Formen. Aber er war ein sehr gescheidter, kenntnißreicher und überaus thätiger Mann ge wesen. Er hatte, namentlich in jüngeren Jahren, auf allen wissen schaftlichen Gebieten gearbeitet, hatte viel geschrieben und in allen möglichen Sprachen, hatte Allerlei durch den Druck veröffentlichen wollen, auch im Meßkatalog angekündigt, schließlich aber doch das Meiste unvollendet liegen lassen und nichts zum Druck be fördert. Seine ganze Liebe und Freude aber war von Jugend an seine Bibliothek gewesen. Auf sie hatte er Alles verwendet, was er durch seine Thätigkeit als Anwalt erworben hatte, er be trachtete sie aber auch nicht blos als seinen Büchervorrath, sondern *i l^vs, dir Linie. Gemeint sind die verschieden großen linsen förmig geschliffenen Gläser eines Fernrohrs. **) So hat er sich selbst immer unterschrieben. Huldreich war eine im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert beliebte volks etymologische Umbildung von Ulrich. So machte man auch Ehren- reich aus Erich. eben als eine Bibliothek im besonderen Sinne des Wortes; in seinem Wohnhaus auf dem Brühl, wo er sie aufgestellt hatte, waren die einzelnen Bücherkammern mit Inschriften versehen, wie: äuriäica didliotkeea u. aknl. Aber er hatte auch noch eine andere Eigenschaft alter Jung gesellen gehabt und damit wahrscheinlich zugleich eine Ader seines Großvaters: er hatte in seinen Einnahmen und Ausgaben keine rechte Ordnung gehalten. War daher auch seine Stiftung nicht geradezu ein Danaergeschenk für die Stadt — dazu war sie zu bedeutend —, so bereitete sie doch dem Rathe einige Ver- legenheit. Zunächst: ihm seinen Wunsch zu erfüllen und ihn in der Barfüßerkirche zu bestatten, davon konnte gar keine Rede sein; man kann sich nur Wundern, wie er als alter Leipziger auf diesen Gedanken gekommen war. Schon seit 1536 war der Johannis kirchhof der ausschließliche Begräbnißplatz der Stadt; nur in di- Paulinerkirche wurde noch begraben. Die Barfüßerkirche stand aber schon seit Einführung der Reformation in Leipzig (1539) und Aufhebung des Barfüßerklosters (1542) leer. Erst 1698 wurde sie wiederhergestellt und nun unter dem Namen Neulirche dem Gottesdienst zurückgegeben. So wurde denn auch Groß auf dem Johanniskirchhof beerdigt. Sein anderer Wunsch, ein Fern rohr auf der Barfüßerkirche anzubringen, mußte aus demselben Grunde zunächst unerfüllt bleiben und ist wohl später in Ver gessenheit gerathen. *) Die Bibliothek wurde zunächst aufs Rathhaus gebracht, dort in einer besonderen Kammer ausgestellt und der Fürsorge des Oberstadtschreibers Gottfried Gräve übergeben, der über die neue Errungenschaft der Stadt lebhaft erfreut war und ihr seine volle Theilnahme zuwandte. Wenn er aber etwa geglaubt hatte, auch den übrigen Nachlaß Großes in kurzer Zeit ordnen und für die Bibliothek nutzbar machen zu können, so hatte er sich darin sehr geirrt. Es wurde eine solche Menge von Forderungen an den Nachlaß angemeldet, daß die Sache beinahe einem Concurs glich und, da Gräve die Ordnung des Nachlasses nicht beiläufig be sorgen konnte, ein besonderer eurator bonorum eingcselzl werden mußte. Hierzu wurde am 30. März 1678 ein jüngerer Rathsherr ernannt, der seit 1667 im Rathe war, Michael Thomae, ihm auch eine besondere Instruction dazu gegeben. Während sich also Gräve die Verwaltung der Bibliothek vor behielt, war es nun Thomaes Aufgabe, den Nachlaß so weit zu ordnen, daß die Verwaltung der Stiftung wieder in einer Hand vereinigt werden tonnte. Dazu bedurfte es aber ganzer sech. Jahre. Groß hatte drei Häuser hinterlassen, zwei auf dem Brühl, eins auf dem Thomasgäßchen, die zwar schuldenfrei waren, aber keinen großen Werth hatten. Sie waren von kleinen Leuten be wohnt und brachten wenig Miethzins. Das Beste war also, sie sobald wie möglich zu verkaufen. Die beiden auf dem Brühl — sie lagen neben einander**), etwa dem „Blauen Harnisch" gegen über — stammten noch aus dem Besitze seiner Eltern; ec hatte sie 1637, nach dem Tode der Mutter, in einem Erbvergleich mit seinen Geschwistern***) für 2700 Gulden angenommen. Dazu hatte er 1639 das Haus auf dem Thomasgäßchen — es war das Eckhaus am Thomaskirchhof — für 1400 Gulden gekauft. *) Die Tbomaskirche hatte damals schon ein Fernrohr, ebenso die Nikolailirche. Jin September 1678 wurden für 16 Groschen zwei neue geschliffene Gläser gekauft, „in das große perspectiv ausn Thomasihurin", im Oktober 1678 18 Groschen ausgegcben für das Perspectiv aus der Nikolaikirche. **) In dem gerichtlichen Inventar wird unterschieden zwischen dein „größern Hause", worin Groß selbst mit gewohnt batte, und dem „Fürverhauje". Er halte sie „zusammen in ein Haus nnd Hausthür verbauet". Sein Wohnhaus scheint also nicht an der Straße gestanden zu hoben. ***) Seine damals noch lebenden Geschwister waren eine Schwester, Anna Marie, die an den Professor Scheurl in Helmstädt verheiralhct war, und ein Bruder, Gottfried. Feriillrtsn. Nummer 85. Ein« moderne Liebesgeschichte Von Wilhelm Rullmann (Graz). «Nachdruck vcr'ctcu. Ec hatte das Leben genossen und «» bot ihm keinen Reiz mehr. Er war einundzwanzig Jahre alt. Er sah zum Frnster hinaus. Ein grauer Himmel spannte sich über die Ebene, auS deren Aeckern und Wiesen ein grauer Dunst emporstieg. Aller erschien ihm grau und düster. Armer Theobald! Was ist aus den Träumen geworden, die einst in Deinem sechzehnjährigen Kopfe spukten. Damals hatte er eine Tragödie in fünffüßigen Jamben „Der Stern der Liebe" geschrieben. Lr lächelte, wenn er daran dachte. ES fröstelte ihn, wenn er daran dachte. Und er sah den grauen Nebel draußen sich höher und höher zu den grauen Wolken erheben, deren grauer Schleier daS scheidende Licht det Tage» verhängte. Er war daS Leben müde. Welchen Reiz hatte et ihm noch zu bieten, den er nicht schon bis Dem Ueberdrusse genossen hätte? Er hing seinen grauen PaMot um, zog seine perlgrauen Handschuhe an und ging in den grauen dämmernden Herbstabend hinaus. Er schlug den Weg durch die Pappelallee ein, die nach dem Teeufer führte. Eine Pappel. Und wieder ein« Pappel. Und wieder eine Pappel ... So ist daS Ltben, dachte er. So öde, so lang weilig . . . Er war ein Dichter. In seinem neunzehnten Lebensjahre batte er sich der neueren Richtung zugewandt. Die moderne Kunst, die moderne Dichtung, als das Spiegelbild der Natur und deS modernen Lebens — wenn trg«ndwo, so war hier daS Heil auch für ihn zu finden. Ab«r auch die Moderne hatte ihm kein Glück gebracht. Von «einer Sammlung ungereimter Lieder „Schutt und Schatten" waren nur 25 Exemplare abgesetzt worden, von denen er selbst ein Dutzrnd erhalten hatte. Ein zweite» Dutzend hatte der Ver leger an belletristische Zeitschriften glS Rec«nsionS«xemplare ver sandt und nur ein Exemplar war, wie man dem Dichter mit- theilte, verkauft worden. Schmachvoll! Die lange Pappelallee hatte er hinter sich. Jetzt zogen sich zu seiner Rechten Telegraphenstangen bis zu dem „Hotel am See" dahin. Hier eine Stange — und hier wieder eine Stange — und wieder eine Stange — immer dasselbe trostlose Einerlei — so langweilig — so öde — wie di« Pappelallee — — wie das Leben Bittere, freudlose Gewohnheit des Daseins und Umher- bummelnS! Wenn er ihr ein Ende machte! Dort schimmerte die graue Fläche des Sees. Ein Sprung in die Tiefe Es fröstelte ihn wieder. Er sah mit dumpfen Blicken vor sich nieder. Da auf einmal fiel sein Blick auf etwas Helles, RotheS, da» auf de:- Wege lag. Er bückte sich nieder, hob daS Helle, Rothe auf und führte es zu seinen Augen. Was war da»? Ein Band. Vielleicht ein Strumpfband? Auf dem Hellen, rothen Streifen, den er in der Hand hielt, war mit goldenen Lettern das Wort: Basta — eingestickt. Wa» hatte dies Wort auf einem Strumpfband zu bedeuten? Er steckte daS Band zu sich und ging weiter. Und «r war kaum einige Schritte weitergegangen, al» er ein junge» Mädchen bemerkte, daS in der Nähe de» „Hotel» am See" auf einer Ruhe« bank saß und in einem Buche las. Ein junge» Mädchen im Alter von ungefähr zwanzig Jahren. Er konnte ihre Augen nicht sehen, die auf daS Buch gesenkt und von langen Wiinpern beschattet waren. Aber wenn diese Augen so schön waren, wie alles Uebrige, — hm! Wahrhaftig! Nicht übel! „Mein Fräulein", fragte er, indem er sich näherte, „haben Sie vielleicht dieses Strumpfband verloren?" Sie hob ihre Augen empor — es waren Augen von einer eigenartigen blaugriinen Farbe —, und indem sie die fremde Er scheinung mit festen und ruhigen Blicken musterte, sagte sie: „Es ist kein Strumpfband. E» ist rin Lesezeichen, da» mir au» dem Buche fiel. Ich danke Ihnen." „Oh! Pardon!" „Bitte!" Sie nickte, al» er mit einer Handbewegung anfragte, ob e» ihm erlaubt sei, neben ihr Platz zu nehmen. „Darf ich fragen, was Sie da lesen?" „Peter Altenberg: „Wie ich es sehe"." „Ein herrliches Buch", sagte er. „Nicht wahr? Ein wunderbares Buch. Ich schwärme für Altenberg. Hören Sie nur diese Stelle!" Und sie laS: „Er sprach. Sie schwieg. Sie sprach. Sie schwieg. Sie sprachen. Sie schwiegen." Sie schwiegen, al» dächten sie beide dem Tiefsinn dieser Worte nach. „Was liegt nicht Alle» in solchem Dichtrrwort!" sagte sie dann. „Unvergleichlich!" stimmte er bei. „DaS ist Stimmung. Da» ist Poesie." „Gedichte in Prosa!" „Jawohl. Gedichte in Prosa!" Sie schwiegen wieder. Es war ganz stille um sie. Am Horizont stieg die blasse Scheibe deS Mondes empor. Man hörte nicht», als daS Quaken einer Frosches vom nahen See ufer her. „Arno Holz!" schwärmte sie vor sich hin. Er reichte ihr die Hand. „Mein Fräulein, wir verstehen un»." „ES soll mich freuen!" sagte sie. „Hier habe ich" — fuhr sie dann nach einer kurzen Pause fort — „eben erst ein Gedicht gelesen, da» der Stimmung dieses Abends poetischen Ausdruck giebt. Darf ich eS Ihnen vorlesen?" „Ich bitte darum?" Sie hatte ein anderes Buch ergriffen, das neben ihr auf der Bank gelegen und das er bisher nicht bemerkt hatte. Und als jetzt sein Blick auf dieses Buch fiel — Er fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Wahr haftig! Das war ja das war seine Gedichtsammlung „Schutt und Schatten". „Also hören Sie, bitte." Und sie las mit vieler Em pfindung: „Abendfiille. Ueber den Bergen — ist Stille. In allen Thälern — ist Stille. In den Bäumen die Vögel sind stillt. Stumm und still Mit grünen Augen Auf die braune Erde Blickt der Mond — Stille — stille Ganz — Ganz Stille " „Ganz — ganz stille" — wiederholte sie. „Wie das schön ist!" „Mein Fräulein", rief er erregt auS, indem er nach ihrcc Hand faßte, ich bitte Sir —ich beschwöre Sie — woher hab:.: Sie dieses Buch?" „Diese» Buch? Aber das ist doch sehr einfach. Ich hab: es mir gekauft." Sie hatte es gekauft! Hier sah er also jenes merkwürdig- fünfundzwanzigste Exemplar von „Schutt und Schatten" vor sich, welches verkauft, wirklich verkauft worden war! Und di: Käuferin war dieses schöne, junge Mädchen, da» der Himmel ihm in den Weg geführt hatte! „Ich liebe die Poesie und ich kaufe mir sehr oft Gedichte", fuhr sie fort. „Mein Fräulein — und wissen Sie wissen Sie wer der Verfasser dieser Gedichte ist?" „Walter Freimund steht auf dem Titelblatt." „Ein Pseudonym! Der Dichter sitz« neben Ihnen. Mein Name ist . . . hm . . . Theobald Meier." „Sie sind also der Dichter?" Er nickte lebhaft. „Ach, da ist ja reizend! Und dieses Lesezeichen, das in Ihren Gedichte-, lag, hat unsere Bekanntschaft vermittelt!" „Ich wäre glücklich, wenn ich eine Fügung des Himmels darin erblicken dürfte . . ." Sie richtete einen prüfenden Blick auf ihn. Dann sagte sie. indem sie den Blick zu Boden senkte und mit dem Sonnenschirm Figuren in den Sand schrieb: „Ich bin noch frei, meine Elteri sind wohlhabend —" „Ganz wie die meinen —" „Papa hat mir eine ansehnliche Mitgift auSgesetzt —* „Oh, mein Fräulein —" „Gut!" sagte sie dann, indem sie ihm mit einem freundlichen Lächeln die Hand reichte, „ich wrrde mit Ihrer Mama sprechen."
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