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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.05.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990529025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899052902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899052902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-29
- Monat1899-05
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Tabellarischer und Ziffrrnsatz »ach höherem Tarif. Rxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. ^Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzich Montag den 29. Mai 1899. 93. Jahrgang, 288. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. Mai. Boa officiöser Seite wird auf den günstigen Stand der Reichsfinanzen hiagewiesen. Da» wird voraussichtlich im Reichstag bei der Berathung de» Gesetzentwurf», be treffend die Besserstellung der AriegSinvaltden benutzt werden, um der Reichsregierung zu Gemüthe zu führen, daß für diese Invaliden mehr gethan werden könne. So wie er ist, begegnet der Gesetzentwurf vielfach einer abfälligen Beurtheilung. Man vermißt darin eine zeitgemäße Besserstellung der Kriegsinvaliden, welche al- solche sofort nach dem Kriege anerkannt wurden, sei es, weil sie ver wundet waren, Glieder verloren hatten, Krüppel geworden waren oder sonst an ihrer Gesundheit einedauernde Schädigung erfahren hatten. Diese eigentlichen und wirklichen KriegS- invaliden beziehen ja allerdings ihre Pensionen seit ihrer Invaliditätserklärung, aber seit dieser sind Jahrzehnte ver gangen und der Lebensunterhalt ist lheurer geworden. Das wird fort und fort von den gesetzgebenden Körperschaften anerkannt, indem die Gehälter für die verschiedensten Beamtenkategorien erhöht werden. Um so mehr sollte diese billige Rücksichtnahme gegen die Kriegsinvaliden gelten. ES ist allerdings die besondere Unterstützung nothleidenber Veteranen i»S Auge gefaßt worden, aber die Unterscheidung, wo die Noth anfängt, ist sehr verschieden und oft leidet gerade jener die größere Noth, welcher sich nicht mit einem Armenschein versehen lassen will, um eine Invalidenunterstützung als Almosen zu erbitten. Es muß zugegeben werden, daß ein „Ehrensold", wie Minister »n Miquel ausführte, sich nach unseren Einrichtungen der allgemeinen Wehrpflicht auSschlicßt. Eben deswegen sollte aber der Staat eine Ehre darin sehen, den Mit kämpfern, die im Kriege an ihrem Leibe und in ihrer Erwerbsfähigkeit Schaden genommen haben, eine aus reichende Pension zu gewähren. Was vor nahezu drei Jahrzehnten in schon damals nicht allzu reichem Maße ge währt wurde, ist heute sicher nicht mehr ausreichend. Die alten KriegSveteranen, die ergraut sind oder zu ergrauen beginnen und deren Gebrechen sich im Alter meist noch mehr fühlbar machen, waren daber berechtigt, mit der in Aussicht gestellten Erweiterung der Jnvalidenwohltbaten diesem Umstande Rechnung getragen zu sehen. Statt dessen bringt der Gesetzentwurf allerdings eine bescheidene Verbreiterung, aber keine gründlichere Ausgestaltung der Jnvalidenwohltbaten. Vielleicht hat dazu gerade die For derung eines „EhrensoldeS" die Veranlassung gegeben; aber wenn auch diese- Verlangen über da- Ziel binauöschoß, so ist da» kein zureichender Grund dafür, datz die Vorlage da- Ziel nicht erreicht. Auch das von Seiten der Regierung geltend gemachte Bedenken, daß man durch eine erheblichere Besser stellung der jetzt lebenden Krieg-invaliden eine Verpflichtung für spätere Zeiten übernehme und bei ter Ungewißheit über den Ausfall eine» künftigen Krieges eine solche Verpflichtung nicht wohl übernehmen könne, scheint un- nicht recht stich haltig. Bei einem künftigen Kriege steht so viel auf dem Spiele, daß «ine etwa» kleinere oder größere Ver pflichtung gegen die Kriegsinvaliden gar nicht in Betracht kommen kann. Jedenfalls aber wirkt eine größere weit günstiger auf die Opferwilligkeit namentlich der älteren Mannschaften ein, als eine geringere. Ob freilich die parlamentarische Lage so ist, daß sie eine weseot- Außer Diensten. 14j Roman von Ernst Wichert. Nachdruck verdet r. „Das scheint ja ein richtiges Complott zu sein", sagte Jtten- born nicht ganz frei. „Sind meine Töchter nicht auch schon dabei?" „Noch nicht", versicherte der Andere, „außer daß Irmgard Mich al» Doctor Junge kennt, der die Zeitungen macht und sich dadurch in ihrem Gewissen sehr beschwert fühlt." Er erzählte, wie er ihr begegnet war. Die Sache wurde dann für diesmal nicht weiter erörtert; der Freiherr wollte sie gar nicht für ernst angesehen haben. ES wäre so eine Idee, die ihm auch schon durch den Kopf gegangen sei: blitze so auf und verlösche auch ebenso schnell wieder. Er schlug vor, die Whistpartie fortzusehen, und damit waren die beiden Anderen gleich einverstanden. Jungenheim wußte sehr gut, daß er auch den Schein vermeiden müßte, «inen moralischen Druck auszuüben. Nur den Anstoß wollte er gegeben haben; mochte dann die Bewegung fortwirken. Am Mittagstisch war heute viel die Rede von Berlin. Frau Iduna brachte sie immer wieder darauf. „Ich begreife Dich nicht", sagte der Freiherr. „Sonst hattest Du eher-eine Ab neigung gegen die Kaisrrresidenz und warst nicht einmal zu ver mögen, mich zu begleiten, al» ich zu einer Ministerconferenz dahin mußte." „Mein Himmel", antwortete sie abweisend, „mein Amt hielt mich bei Hofe zurück. Ich glaubte damals noch, den alten Herr schaften unentbehrlich zu sein — und man sprach auch nicht gern von Berlin in diesen Kreisen." „Du selbst nanntest mit Vorliebe di« Stadt «inen Parvenü." „Nun ja, ja, ja", eiferte sie ärgerlich, „die Bezeichnung, di« kch übrigen» nicht erfunden hab», war ja auch in mancher Hin sicht zutreffend, und jedenfalls wurde sie gern gehört. Man hat seinen LocalpatriotiSmu» und betont ihn mitunter vielleicht etwa» zu sLarf, möchte sich so lang» als möglich ungefähr auf gleichen Fuß stellen. Aber diese» riesige Wach»thum ist doch imposant. Und die Verhältnisse haben sich ja auch so wesentlich geändert. Wir sind nicht mehr gebunden, können einen größeren und freieren Raum um un» vertragen. Und ich bekenne offen, daß ich eine rechte Sehnsucht hab«, mich einmal nach Herzenslust liche Verbesserung des Gesetzentwurfs erwarten läßt, ist I mindestens zweifelhaft. Wenn daS HauS vor der Vertagung I noch fertig bringen will, waS es fertig bringen soll, so muß es sich sehr beeilen. Gut Ding aber will Weile haben. Es dürfte sich daher empfehlen, den Gesetzentwurf bis zu einem günstigeren Zeitpunkte zurückzustellen. Würde er jetzt in unzulänglicher Fassung angenommen, so würde sicherlich eine ganze Reihe von Jahren vergehen, ehe er eine Verbesserung erführe. An eine Betrachtung über daS Schicksal der LkarsreitagS- vorlagc verflicht die „Allgemeine Evangelisch-Luthe rische Kirchenzeitung" eine Verdächtigung, die in einem kirchlichen Organe nicht eben angenehm auffällt. Die genannte Wochenschrift schreibt nämlich von der Charfreitazs- vorlage: „Was aus der Vorlage im Abgeordneten hause wird, läßt sich noch gar nicht ermessen. Bei der kirchliche» Gleichgiltigkeit der Liberalen kann es sehr wohl sein, daß sie rem Eentrum den Gefallen thun, den Beschluß des Herrcnbauscs abzulchnen. In diesem Falle würde auS der Sacke überhaupt nicktS werden; denn den Zusatz des Grafen Pfeil kann das Herrenhaus nicht fallen lassen, ohne dem evangelischen Bewußtsein zu vergeben. Bleibt cs infolgedessen beim Status «zuo, so würde das einen unzweifelhaften Erfolg Roms bedeuten." Unter den „Liberalen" können sinngemäß nur die Nationalliberalen verstanden sein, da die Freisinnigen de» Abgeordnetenhauses ihrer geringen Zahl wegen nickt in» Gewickt fallen. Gerade in der nationallweralen Presse aber ist mit aller Entsckiedenheit betont worden, daß die klerikalisirte Charfreitagsvorlage, wie sie aus der Commission des Herren hauses hervorgegangen war, den Hauptzweck ter ganzen Vor lage vereitelt haben würde. Wie wenig die Nationalliberalen geneigt sind, dem Centrum in diesem Stücke einen „Gefallen zu thun", daS hätte die „Allg. Ev.-Luther. Kirchenztg." auS der „Conservativen Correspond." ersehen können, die Mitte Mai wörtlich daSFolgende schrieb: „Die Charfreitagsvorlage ist im Herrenbause nicht in der Fassung, die ibr die Commission verlieben hat, angenommen worden; in liberalen Blättern zeigt man darüber Befriedigung ... Es ist bezeichnend, daß gerade diejenigen Kreise, von denen man nicht beh. apten kann, daß sie kirchlich gesonnen sind ..., für dieNegierungS - Vorlage eintraten, während positive kircklichgesiunte Evangelische dem in der HerrenhauScommission ge schaffenen Compromiß beigetreten waren, ohne Skrupel zu empfinden." Nickt also die Liberalen, sondern gewisse conservative Kreise sind geneigt, dem Centrum „einen Ge fallen zu thun" und Rom zu einem „unzweifelhaften Erfolge" zu verhelfen." Die Nichteinladunz de- Papstes zur Friedens konferenz erfährt nachträglich noch den Tadel der „Ham burger Nachrichten". Das Blatt findet, daß man dem Papste recht wobl die Genugthuung hätte bereiten können, ihn zur FriedenSconferenz einzuladrn, und begründet dies folgendermaßen: Ersten» einmal gehört der „ewige Friede" mehr oder weniger in» kirchliche Ressort; zweiten» wäre e» doch auch nicht so schlimm gewesen, wenn die Salbadereien, von denen jetzt au» dem Haag berichtet wird, auch noch durch etwas römisch-katholische Phraseologie ausgejchmückt worden wären; dritten» endlich hätte die Einladung de» Papste» jedenfalls nicht» geschadet. Wenn der Inhaber de» heiligen auszuweiten. Das ist freilich ein Standpunct, zu dem Du Dich nicht scheinst erheben zu können." „Ich lerne es vielleicht noch", sagte er mit einem bedeutsamen Blick auf den Doctor, der befriedigt vor sich hin lächelte. Nach dem Essen blätterte Jungenheim in dem Roman der Gräfin Hertha. Er hatte eine große Fertigkeit darin erlangt, rasch zu lesen, da so viele Manuscripte durch seine Hand gingen und zunächst nur oberflächlich geprüft werden konnten. Bald fesselte ihn aber der Inhalt, so daß es nun länger dauerte, bis er das Blatt wandte. Der Roman hieß: „Im Schmollwinkel" und schilderte eine Gesellschaft von Menschen, die sämmtlich in den verschiedensten Wirkungskreisen Anläufe genommen hatten, ein vorgestecktes Ziel zu erreichen, dann aber weit von demselben zurückgeworfcn oder von Anderen überflügelt waren und nun verstimmt mit der bösen Welt haderten, statt von Neuem ihre Kraft anzustrengen, der Hindernisse Meister zu werden oder sich zu der Erkenntnis durchzuringen, daß sie sich mit ihrem Platz zu be scheiden hätten. Beides gelang endlich doch der von Grund aus gesunden weiblichen Hauptfigur, mit welcher die Verfasserin offenbar sympathistrte. Er beschloß, sich noch eingehender mit der jedenfalls recht talentvollen Arbeit zu beschäftigen und dann in Erwägung zu ziehen, ob er der verehrten Dame zu einem Ver leger helfen könne. Als die Luft kühler geworden war, ging er in den Garten und traf da auch sehr bald mit den beiden Fräulein zusammen. Irmgard, die ihre munteren Augen überall hatte, bemerkte ihn zurrst, zog die Schwester am Arm zu sich heran und zischelte ihr lachend etwas zu. Armgard blickte gar nicht auf und setzte mit gleichmäßigen Schritten ihren Weg fort. Sie schien »inen Ver weis ertheilt zu haben, denn Irmgard ging jetzt auch ganz ehrbar neben ihr her und sah zur Seite, al» ob der Doctor sie gar nichts anginge, und e» schien nun so, als ob sie an ihm vorüber wollten, ohne auch nur guten Abend zu sagen. Er machte ihnen auch wirklich den Spaß, tief den Hut zu ziehen und weiter zu gehen. Aber noch nicht fünf Schritte hatte er hinter sich, al» er daS er wartete hellt Kichern vernahm. Er dreht« also rasch um, eilte ihnen nach und sagte: „Lachen Sie über mich, dann möchte ich doch dabei sein." Mir lachten gar nicht", sagte die Blonde und bemühte sich, ihm «in ernstes Gesicht zu zeigen. Armgard stieß sie leise an. „Aber Irmgard . . ,Ach — ich dachte nur an etwa» Komische»." „Darf man wissen?" „Was der Detter Jungenheim thun würde, wenn der Doctor Junge un» die Zeitung brächte — hi, hi, hi!" Stuhles auch keine Kanonen und Kleinkalibrigen besitzt, also nicht abrüsten kann, so ist dies insofern unerheblich, als die anderen Machte, die sich im Besitz dieser Kriegsmittel befinden, ja doch schließlich auch nicht abrüstrn werden. An bloßen Beschlüssen, die in partibu» iuüäeliuw ergehe», aber kann der Papst ebenso gut Mitwirken, wie irgend eine andere Macht. Wozu überhaupt den Papst durch Zurücksetzung verletzen, wenn das Gegelltheil nicht nur keine prin- cipielleii oorr materiellen Ovser erfordert, sondern sogar noch Vor theile bietet. Die Theilnahme des Papstes an der Conferenz hätte zwar das Ergebniß derselben wahrscheinlich auch nicht vergrößert, aber die Sache hätte doch dadurch einen ganz netten Anstrich er halten, und die Sympathien der Kathol ken der ganzen Welt würden der Conserenz in höherem Maße zugewendet worden sein; Ver stimmungen aber wären unterblieben. Wir unsererseits unter schätzen den Einfluß Les Papstthums nicht und halten eS für richtig, deujelben zu benutzen, sobald cs im eigenen Interesse liegt. Fürst Bismarck dachte ebenso und hat dies praktisch in der Earolinenfrage bewiesen. . . . Jedenfalls ist nicht einzuschen, weSholb nicht bei einer Gelegenheit, wie der Völker- und menjchenbeglückende Congreß im Haag sie darstellt, nicht einmal rin Delegirter aus dem Vatican neben einem au» dem Ouirinal mitwirken soll. Ob eS richtig ist, die ganze Sache ironisch zu behandeln, erscheint doch zweifelhaft. Wer daS Wesen der katholischen Kirche und die Ziele des Papstthums ricktig würdigt, hat wahrlich keine Ursache, die weltlichen Machtansprücke deS Papstthums zu unterstützen. Bon diesem Gesichtspunkte könnte e» sogar fraglich erscheinen, ob die Anrufung des päpstlichen Schiedsspruches in der Carolinenfrage durch den Fürsten Bismarck nicht ein politischer Fehler gewesen sei. Lange hat die polnische Presse Galizien» sich über die dort herrschenden Zustände ausgeschwiegen, die durch die letzten Bankkatastrophen blitzartig beleuchtet worden sind. Allmählich beginnen jetzt aber auch die polnischen Blätter Kritik zu üben an der verrotteten Wirlbschaft in diesem polnischen Musterlande, und die Posener Polenpresse spinnt den Faden weiter fort, indem sie erklärt, daß diese Dinge nicht nur Galizien, sondern die gesammte Nation angingen. Der „Orendownik" z. B. führt auS: „Der conservative „Czas", wie dessen Gegnerin, die liberal« „Reforma" und andere galizische Zeitungen, die systematisch in da» Horn des lärmenden Patriotismus stoßen, gestehen voll Trauer und Schmerz zu, daß die Vorsehung Galizien LS Jahre hindurch Selbstverwaltung gegeben habe, ohne daß dieses Land während dieser Zeit etwas für sich und au» sich selbst heraus fertig gebracht bätte. Wenn der „Lzas" darauf hinwcist, daß dir Herren und der Adel Galizien» sich mit Allem befaßten, nur nicht mit der Arbeit nnd der Wirtschaft; daß sie nur in der Welt herum führen, um zu vergeuden, waS sie auS dem Lande mit fortnehme», ohne etwas vom Auslande in die Heimath zurückzubringe», — so charakterisirt die „Reforma" die gegenwärtig in Galizien herrschenden Verhältnisse folgendermaßen: Das Volk unten kann nicht lesen und stirbt vor Hunger, in den oberen Sphären aber weiß die Nation nicht zu arbeiten, und sie führt ein Leben über den Stand hinaus." Der „Orendownik" erklärt rund heraus, daß eine solche VolkSgesammtheit kein Recht habe, zu existiren, und bemerkt weiter: „Unier oder über dem Strich?" „Was heißt das?" „Unter dem Strich stehen die hübschen Geschichten, in denen sich gewöhnlich ein armer Teufel in eine reizende junge Dame ver liebt, die zuerst gar nichts von ihm wissen will, aber zuletzt doch ein gutes Herz hat. Ich glaube, der Vetter könnte gar nichts einwenden, wenn er sein Cousinchen da abgezeichnet fände." Irmgard hielt den Sonnenschirm vor das rothe Gesicht. „Er müßte ihn auf Pistolen fordern! Weiß der Papa übrigens jetzt schon?" „Was?" „Daß Sie der sind?" „Natürlich! Er hat sich ja bereits von Doctor Junge inter viewen lassen." „Das glaube ich nicht!" „Warum?" „Ach —! mit Ihnen ist ja gar nicht ernst zu sprechen. Komm, Armgard, wir wollen Kegel spielen." „Darf ich mit von der Partie sein?" fragte er, den Hut ziehend. „Gewiß", antwortete Armgard. „Aber Sie müssen die Kegel aufsetzen", fügte Irmgard hinzu. „Als Kegeljunge, meinen Sie", plänkelte er weiter. „Mit Vergnügen." Der Scherz wurde belacht. Sie gingen nach dem Park, wo hinter einem BoSqurt das Kegelspiel mit hängender Kugel stand. Daran vergnügten sie sich eine gute Stunde lang. Das Wetter war wieder schön geworden und so wurde denn auch noch ein Spaziergang in den Wald unternommen. Nach dem Abendessen versammelt« man sich, da die Luft sich rasch abkühlte, im Musik zimmer. Die beiden Freifräulein sangen sehr hübsch zwei stimmig. E» ermittelte sich nun, daß der Doctor einen kräftigen und wohlklingenden Baryton hatte und allerhand Schalkslieder, aber auch Balladen gut vorzutragen wußte. Man blieb bi» elf Uhr zusammen. Als die jungen Dämchen dann in ihr Thurmzimmer hinauf kamen, dauerte es noch lange, bis sie Ruhe fanden. War hatten sie einander nicht Alles zu erzählen! Natürlich war der Doctor immer da» dritte Wort. Sie konnten sich über ihn schwer einigen. Irmgard fand ihn iibermüthig und dreist und mokant und über haupt abscheulich, auch gar nicht einmal so hübsch, wie beim ersten flüchtigen Begegnen; Armgard ließ um so eifriger sein Lob ertönen. „Und wie schön er singt!" „Ach ja — wenigstens dir lustigen Sachen." „Es handelt sich hier darum, festzustellen, ob die Polen bei einiger politischer Freiheit fähig sind, etwas durch sich und für sich auszurichten. Die jetzigen galizischen Vor kommnisse verneinen diese Frage, ja, sie lassen das Urthcil zu, daß das polnische Element in hohem Grade unfähig ist, sich in socialer und politischer Hinsicht zu organisirrn." Dieses Bckenntniß des „Orendownik" ist ungemein werts voll. Hier hören wir auS polnischem Munde selbst, daß die Polen unfähig sind, selbstständige politische Gebilde zu schaffen und zu erhallen. Damit wird auch noch nachträglich zuge- standen, daß eine Theilung Polens durchaus gerechtfertigt gewesen ist und im Interesse deS polnischen Volke- selbst gelegen bat. Aber cs wird auch weiter von polnischer Seite indirect damit zugegeben, daß die gewaltige Ent wickelung des Polenthums im preußischen Antheil die Polen einzig und allein der preußischen Verwaltungsthätigkeit und der preußischen Verfassung zu verdanken haben. Leider sind, wie die „Schlesische Zkg." richtig hervorhebt, die Polen heute weiter denn je davon entfernt, ihr Verhalten und ihre Ge sinnung Preußen-Deutschland gegenüber mit den Gefühlen eines moralisch zur Dankbarkeit für genossene Wobltbateu verpflichteten Volkes in Einklang zu bringen. Vielmehr wühlen und Hetzen sie nach Kräften gegen denjenigen Staat, der die Polen erst zum Bewußlsrin ihrer Menschenwürde und zu wirthschaftlichem Gedeihen gebracht hat. Heute beginnen vor dem französischen CassalianShofc die Verhandlungen in der LrryfuSangclegenhctt und werden bis Donnerstag Abend dauern. Heute unv morgen verlieft der Referent und Vorsitzende der I. Civilkammer, Beauprö, seinen Bericht, am Dienstag und Mittwoch spricht der General- staatSanwalt des CassationShosS Manau, am Donnerstag der Bertheidiger Mornard. DaS Urtheil wird am Freitag Abend ober am Sonnabend verkündet. Wie schon gemeldet, erkennt Beauprä in Uebereinstimmung mit dem Wunsche der Familie des Deportirten dahin, daß die Revision des kriegsgerichtlichen UrtheilS von 1894 stattzufiuden habe und daß Alfred DreyfuS vor ein neueSKriegs- gericht zu verweisen sei. Da eS kaum je selbst als Ausnahme zu verzeichnen ist, daß der oberste Gerichtshof eine von den Schlußfolgerungen seines Berichterstatters abweichende Entscheidung gefallt hat, da ferner auch der Generalstaats anwalt Manau zweifellos dem Gericht denselbeu Antrag unterbreiten wird, so darf man in der Thal mit einiger Bestimmtheit dieses Ergebniß als den Ausgang der Verhandlungen erwarten. ES ist schon lange bekannt, baß auch der Rechtsanwalt der Familie DrcysuS, Maitre Mornard, sich dem Anträge Ballot - Beauprß'ü auf Verweisung des Verurtbcilten vor ein neues Kriegsgericht anschließcn wird, und diese Haltung ist durchaus ver- släudliw, denn nach Allem, WaS vorausgegangen, darf DreyfuS das Reckt in Anspruch nebmen, von seinesgleichen, die ibn zu der ärgsten Schmach verdammten, die dem Soldaten wider - sahren kann, auch in seiner Ehre wieder ausgericklet zu werden. Nach den Proben von kriegsgerichtlichen Entscheiden, die die letzten Jahre inFraukreich geliefert öaben, könnte man allerdings annehmen, daß DreyfuS der Gefahr ausgesetzt sei, aufs Neue verurtbeilt zu werden. Aber es ist zu beackte», daß der Cassationshof dem neuen Kriegsgericht den Lauf der Vcr- I hanolungen vorschreibt und daher auch für den Ausganz I dieser Verhandlungen gewissermaßen verantwortlich ist; sie ! werden daher wesentlich von dem Geiste und der Begründung „Mir gefielen die ernsten noch besser." „Du bist ja auch immer anderer Meinung als ich." „Nur, wenn Du nicht meiner Meinung bist. Es würde Dir übrigens diesmal gar nicht gefallen, wenn ich Dir zustimmte." „Ach Du glaubst wohl . . ." „Na, na!" „Nein, das darfst Du nicht sagen, Armgard." ,„Jch sage ja gar nichts." ' „Aber Du denkst Dir etwas." „Gute Nacht." Irmgard schmollte. Aber nach einer Weile sagte sie doch: „Gute Nacht." — Am nächsten Morgen beim Frühstückstisch, als die Zeitungen gebracht wurden, lag bei denselben auch ein Kreuzband. Ter Freiherr öffnete. Es war die Berliner Tageszeitung darin ein gepackt, die er nicht hielt. Er las den blau angestrichenen Artikel mit immer gespannterer Aufmerksamkeit. Jungenheim hatte sein stilles Vergnügen, das Gesicht zu beobachten, von dem sich in wechselnder Folge Aeberraschung, Zustimmung, Zweifel, Verdruß und innigstes Behagen absehen ließen. Er schmunzelte, er biß die Lippe, er stieß ein paar kurze Lachtöne au», er schüttelte den Kopf, zog den Bart durch di« Hand oder trällerte mit den Fingern auf dem Tischtuch, blinzelte vergnügt mit den Augen und brach zuletzt in ein Helle- Lachen auS. „Was ist denn dar?" rief er. „Man nimmt in der Reichshauptstadt von uns Hinterwäldlern Notiz, leitet den Scheinwerfer über unser Residenzchen hin und läßt den Lichtstrahl eine Minute lang darauf ruhen, so daß es lächerlich durchsichtig wird. Liebe Iduna, Du solltest Dir diesen Artikel einmal ansehen; er würde Dir, glaube ich, amüsanter als ärgerlich sein." Die gnädige Frau nahm da» Blatt naserümpfend und zögernd an, warf erst nur einen flüchtigen Blick über die Spalte, mußte aber wohl rasch ein paar Mcrkworte getroffen haben und fing nun von oben zu lesen an. Während sie sich in die Lttkllre mehr und mehr vertiefte, ungefähr mit denselben äußeren Zeichen der Betheiligung, fuhr er fort: „Der Verfasser ist offenbar gut unterrichtet, hat sich die Dinge aus der Nähe angesehen, weiß zwar nicht mehr als wir Alle, hat aber den Muth, sich darüber lustig zu machen, daß wir Alle nicht- wissen. Er schildert unsere Verhältnisse etwas zu liliputanisch, aber da» verlangt die Satire so, und es ist in ihr bei aller Schärfe doch so diel liebenswürdiger Humor, daß sie nicht schwer verletzen kann. Der Artikel wird jedenfalls in der Residenz und wahrscheinlich auch eine Stunde über da» Herzogthum hinan» gewaltige» Aufsehen machen. Es kann sein, daß man mich für den Anstifter hält; aber «» schadet
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