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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990609023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899060902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899060902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-09
- Monat1899-06
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Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsay aach höherem Tarif. Extra-veilasen (gesalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbesörderuog SO.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgru-Ausgabe: Nachmittag« «Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Gxtzedttta» zu richten. Druck und Verlag von E. Volz in Leipzig, WS. Freitag den 9. Juni 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. Juni. Die Aussicht, bald zu einem vorläufigen Abschluß der parlamentarisch»» Arbeiten zu kommen, übte schon gestern auf die Berathungen de« Neich-tagS ihre Wirkungen au«. Trotz der jammervollen Besetzung de« Hauses wurde die zweite Lesung des ÄnvalidrnversicherungSgesetzeS so schnell gefördert, daß schon in den ersten drei Stunden mehr Paragraphen erledigt waren,als in den früheren acht BerathungS- tagen zusammen. Bei tz 66, der Bestimmungen darüber trifft, unter welchen Voraussetzungen die Bezirke der Ver sicherungsanstalten verändert werden können, setzte die Debatte ein, und dann wurden mit unwesentlichen Veränderungen die Be stimmungen über die Ordnung der Schiedsgerichte, deS Reichs- Versicherungsamtes und der Landesversicherungsämter, des Ver fahren« be, der Feststellung, Auszahlung und Vertheilung der Renten, der Erstattung von Beiträgen, des MarkenklebenS, der Entrichtung der Beiträge durch die Arbeitgeber und die Versicherten und deS Verfahren- bei Streitigkeiten ohne erhebliche Debatte angenommen. Eine längere DiScussion knüpfte sich erst an die von der Commission neu eingefügten Schutzvorschriften, die den Organen der Versicherungs anstalten die Befugniß geben, solche Vorschriften zu ertasten und ihre Ausführung zu bewachen. Die freisinnige Volks partei, die in der Commission für diese Vorschriften gestimmt hatte, war nachträglich zu der Erkenntniß gelangt, daß sie damit eigentlich aus ihrer Rolle gefallen sei, und beantragte durch den Abg. Richter Streichung. Die „Genossen" nahmen ihr diesen manchersterlichen Rückfall natür lich sehr übel. Entrüstet erklärte Herr Singer, da« sei keine Arbeiterfreundlichkeit, sondern Heuchelei von Arbeiterfreundlichkeit, die Arbeiter hätten eben nur noch daS Recht, möglichst schnell zu Tode gehetzt zu werden, während die tztz 130s. bis o vorzüglich dazu dienen würden, den Unternehmer- Hochmuth zu beugen, und was dergleichen Redensarten mehr waren. Staatssekretär Gras PosadowSky wiederholte die Be- denken, die er schon in der Commission geäußert, und wies darauf hin, daß ein tüchtiger GewerbeanfsichtSrath in der Richtung der vorgeschlageneu Bestimmungen viel besser zu wirken im Stande sei, als die einzelnen Anstalten. Aehnlich sprach sich Abg. Gamp au«, während Abg. vr. Hitze für die 130a bi« e eintrat. Nachdem Abg. Richter noch in längerer Rede für seinen Antrag gesprochen, protestirte Abg. vr. Lehr in entschiedener Weise gegen den Anspruch deS Abg. Singer, al« habe die Socialdemokratie ein Patent aus Arbeiterfreundlichkeit. DaS hielt den Abg. Molkenbuhr nicht ab, von Neuem in Redensarten zu schwelgen, worauf die Debatte geschlossen wurde. Die tztz 130» bi« s fielen gegen die Stimmen der Socialdemvkraten, eines Theil« de« CentrumS und de« Abg. Rösicke (Dessau). Heute Fortsetzung der Berathung; dazu die zweiten Berathungen der Gesetze, betr. den Jnvalidenfoad«, betr. da- Flazgenrecht der Kauf fahrteischiffe und betr. die Reichsschuldenordnung, sowie Wahlprüfungen. Wenn sich der Reichstag demnächst mit dem -rutsch spanischen Lolonialvertrag zu beschäftigen haben wird, wirs er besondere Aufmerksamkeit dem Artikel 2 des Vertrag- zu wenden müssen, in dem «S u. A. heißt: „Deutschland wird auf den genannten Inseln den spanischen religiösen und OrdenSgesellschaften dieselben Rechte und Freiheiten gewähren wie den deutschen religiösen und OrdenSgesellschaften." Nach unserer Ansicht ist diese Bestimmung so zu ver stehen, daß auf den genannten Inseln Rechte und Freiheiten nur solchen spanischen religiösen und Ordensgesellschaften verliehen werden sollen, die Rechte und Freiheiten in Deutsch land haben, also nicht dem Jesuitenorden. Die „Tägl. Rundsch." dagegen faßt die Bestimmung so aus, al« ob sie Rechte und Freiheiten auf den Inseln auch dem Jesuiten orden verbürge, und schreibt deshalb: „Zu den spanischen Orden gehört vor Allem der Jesuiten orden, und dessen Ordensthäligkrit ist im deutschen Reichsgebiete, also auch in den deutschen Colonien, gesetzlich ausgeschlossen. Die Frage drängt sich auf, ob di« Reichsregierung das Recht hat, sich über rin bestehendes und bis zur Stunde giltiges ReichSgesetz in einem Vertrag mit einem fremden Staate derart weg zu- setzen? Auch abgesehen von dieser Rechtsfrage kann man sich keine größere politische Unvorsichtigkeit denken, als eben den OrdenSgesellschaften, welche notorisch die spanische Herrschaft auf den Philippinen heilloS compromitirt und un haltbar gemacht haben, in deutschen Colonien verwandter Art die Fortdauer ihrer Wirksamkeit nicht nur vorläufig zu gestatten sondern durch Staatsvertrag für immer zu verbürgen. Man hat von dieser höchst überflüssigen Bestimmung den Eindruck, daß sie wieder einmal eine captatio deoevoleutine an da« Centrum sein soll. Wann wird unsere Regierung einmal aushvren, die vitalsten Interessen Deutschlands der dienstwilligen Besorgung der Geschäfte des Ultramontanismu« untrrzuordnen?" Wir halten, wie gesagt, diese Interpretation des Art. 2 für irrig; jedenfalls aber wird der Reichstag sich vergewissern müssen, wie die Reichsregierung die Sacke auffaßt. Daran ist ja freilich nicht zu Lenken, Laß eine NcichstagSmehrheit, die für die Aufhebung deS JesuitengesetzeS sich begeistert, die Anwendung dieses Gesetze« auf die spanischen Jesuiten im neuen Colonialgebiete fordern und von dieser Forderung die Zu stimmung zu dem Vertrage abhängig macken werde. Eher Ware es schon möglich, daß die spanische Negierung, die auf den Philippinen so trübe Erfahrungen mit den Jesuiten gemacht hat, nicht« dagegen einzuwenden hätte, wenn der Artikel 2 re« Vertrags so interpretirt würde, wie wir ihn ausfaffen. Immerhin ist eine Anfrage im Reichstage sckon deshalb un erläßlich, weil die Antwort vom Regierungstische zugleich eine Antwort auf die Frage sein muß, ob der BundeSrath an seiner ablehnenden Haltung gegen die vom Reichstage geforderte Aufhebung de« Jesuitengesetzes festhält oder nicht. Verschiedene Blätter melden, daß Deutschland den An kauf der Fernanda-Pa-Insel beabsichtige. Fernando Po ist spanischer Besitz und ist im Golf von Guinea dem deutschen Kamerungebiet vorgelagert. Die schon 1888 von dem Afrika forscher Oskar Baumann eingehend geschilderte Insel ist von vul kanischer Bildung, sehr gebirgig, im Kraterberg Sta. Isabel-oder Clarence-Pik 2850 Meter hoch, hat 1998 Quadratkilometer thcils felsigen, theils sehr fruchtbaren Boden und großen Reichthum an Quellen, Bächen, Waldungen und kleinem Rothwild. Das Klima ist sehr ungesund, ja nahezu mörderisch, die Mittel temperatur beträgt im Jahre 25,6 Grad; im kühlsten Monat I (September) 23,6 Grad, im heißesten (Januar) 27,7 Grad 6. I Man baut Bananen, Mais, Reis, Maniok, Dams; in den Plan- I tagen auch Cacao, Kaffee, Zuckerrohr, Baumwolle und Tabak. Das von Europa eingeführte Hornvieh gedeiht gut. Die Insel zählt etwa 25 000 Einwohner, theil« Mischlinge von Portugiesen und Negern, theils durch die Engländer befreite Neger und wenige Europäer, größtentheils aber eingeborene Neger, Adiah oder Bubi, ein ehemaliges feindseliges, jetzt aber den spanischen Behörden folgsames, schmutziges, nackt gehendes Volk, welches das Innere bis zu 1000 Meter Höhe bewohnt. Der Handel hat noch keine nennenswerthen Erfolge erzielt. Fernando Po wurde 1471 von dem Portugiesen Fernao do Poo entdeckt, 1778 an Spanien abgetreten, aber 1827 von den Engländern besetzt, die auf der Nordküste an einer geräumigen, von der befestigten Landzunge Point-William gebildeten Bai die Colonie Clarence- town, jetzt Santa Isabel, mit etwa 1300 Einwohnern, darunter 50 Weiße, gründeten, jedoch 1845 die Insel wieder Zurückgaben. Unter den Engländern wurde sie benutzt zur Bewachung der Sclavenküste und des Nigerdeltas, als Handels- und Missions station, sowie als Ausgangspunct zu Entdeckungsreisen nach dem Innern Afrikas. Deutschland erwarb 1882 das Recht zur An lage einer Kohlenstation an der Bucht Carboneras oder Gravinas. Die Hamburgische Handelskammer hat im Jahre 1883 dem Reichskanzler die Erwerbung des Hafens von Fernando Po empfohlen. In Paris beschäftigt man sich gegenwärtig wieder lebhaft mit dem Fall Emile Zola. Der bekanntlich nack Paris zurückgekebrte Autor des Artikel« „ll'aceuss" empfing in seiner Wohnung in der Rue de Bruxelle«, wo jetzt wieder, wie ehedem, Schutzleute auf- und abpatrouilliren, den Besuch deS GerichtSschreiberS, welcher ihm daS auf ein Jahr Ge° sängniß und 3000 FrcS. Buße lautende sckwurgerichtliche Urtheil von Versailles übermittelte. Zola nahm daS Schriftstück persönlich in Empfang und legte unver züglich gegen dieses Contumazurtheil Berufung ein. Mit Rücksicht auf die schwere Krankheit, die Mr. Labori, der Ver- tbeidiger Zola'«, eben überstanden bat, dürste der neue Proceß kaum vor einigen Wochen zur Verhandlung gelangen, fall- nicht bi« dabin der ganze Handel jetzt, nach dem in zwischen erfolgten Urtheil de« CassationShofeS, unterdrückt wird. Man glaubt, daß die Sache fallen gelassen wird. Die Mitglieder de« Kriegsgericht«, welche Zola in seinem Artikel beleidigt, zur Zurücknahme ihrer Klage zu ver anlassen, scheint aus verschiedenen Gründen nicht mög lich und nicht praktisch. Nun bat vorm Jahre die Kammer eine Amnestievorlage genehiniat, welche haupt sächlich die gelegentlich der algerischen Wirren verurtheilten Personen und andere politische Verbrecher mit Ausnahme von Emile Zola und Urbain Gobier begnadigte und jetzt der Prüfungscommission deS Senats vorliegt. Urbain Gobier ist inzwischen freigesprocken worden. Die Ausnahme bezieht sich al,o allein noch auf Zola. Die erwähnte Commission hat sich riueSthrilS noch nicht entschieden, weil sie der Vorlage feindlich gegenübersteht und anderntheils daS Urtheil des CassationShof- abwarten wollte. Die Ansicht zahlreicher Parla mentarier geht nun dahin, die Emile Zola betreffende Aus nahmebestimmung in der Amnestievorlage einfach zu streichen, und eS scheint heute begründete Hoffnung vorhanden, daß Kammer und Senat dies ratificirrn werden. Zola selbst erwartet die Wiederaufnahme seines Processes nicht vor August. Das Dunkel, daS über seinem Aufenthalt in Eng land lag, hat er durch die Eiklärung gelichtet, daß er in der Zeit die großen Fabrikstädte Manchester, Liverpool, Dublin und Edinburg studirt, im Uebrizen aber bei seinen Freunden in Richmond und nachher in Sloane Street gelebt habe. England hat ihm nicht sonderlich gefallen, aber er bewundert den Gewerbefleiß und die Thatkraft des englischen Volkes. Ueber die -ortugirsisch - englische Freundschaft wird uns aus Lissabon berichtet: Die Frage, ob die Regierung England gegenüber Verpflichtungen eingegangen ist, welche Portugal in eine feindselige Haltung zu Transvaal und mög licherweise auch zu Frankreich bringen würden, bildet noch immer den Gegenstand leidenschaftlichster Erörterung. Oppositionelle Blätter, wie „Novidades" und „Seculo", gehen so weit, einzelne Minister zu beschuldigen, ihre plötzliche Freundschaft für Eng land sei durch persönliche Vortheile erweckt worden. Die Gegen sätze, welche innerhalb des Cabinets aufgetreten sind und jeden falls auch den Rücktritt zweier Minister nach sich ziehen werden, hätten ihren Grund darin, daß die Letzteren das „englische Ge schäft" nicht mit machen wollten. Die Regierungsblätter ant worten auf diese Angriffe zumeist in sehr zweideutiger Weise. Einerseits bemühen sie sich, die Engerknüpfung der Beziehungen zu Großbritannien und die bevorstehende Besuchsreise des Königs nach England als einen großen diplomatischen Erfolg der jetzigen Regierung anzupreisen; andererseits aber stellen sie doch in Ab rede, daß Portugal bestimmte Verpflichtungen bezüglich der Engländer in Südafrika oder in einem europäischen Seekriege eingegangen sei. Einer bündigen Erklärung gehen jedoch die Regierungitreise ängstlich aus dem Wege. Dir Verbandlungen der vlaemfsnteiner Conferenz sind, wie vorauSzusehen war, gescheitert. Die englische Presse, namentlich die unionistische, ist darüber sehr ver stimmt und die englischen Minister thun wenigsten« so. „Daily Cbronicle" vermuthet, wohl nicht ohne Grund, Chamberlain habe die Conferenz absichtlich vorgeschlagen, weil er wußte, daß sie resultatloS verlaufen würde und weil er wollte, daß der Conflict auf die Spitze getrieben werde. Unser letztes Telegramm in der Angelegenheit besagt: * London, 9. Jnnl. (Telegramm.) Die „Times" melden aus Capstadt vom 7. d. Mts.: Am Schluß der Conferenz in Bloemfontain sagte Präsident Krüger, er freue sich über die freundliche Art und Weise, in der die Dinge erörtert worden seien und hoffe, daß man in Zukunft einander besser verstehen werd,. — In ihrem brütigen Leitartikel sagen die „Time«", der freundschaftliche Ton der Besprechung und die von Milner beobachtete Haltung freundlichen Zuredens habe die mit dem Fehlschlagen der Verhand lungen verknüpfte Gefahr auf ein Minimum redncirt. Wünsche von unbestreitbarer Mäßigung wurden im Interesse der Ruhe und stetigen Unabhängigkeit Transvaal« mit aller Dringlich, keit an den Präsidenten Krüger gerichtet; aber dieser lehnt« es ab im Interesse der Oligarchie TranSvaalS, von deren Ansprüchen er kein Jota ab lassen wollte. Wenn Krüger die Uitlander« ihrem Wunsche gemäß zu Staatsbürgern machen würde, wäre die ganze Streitfrage erledigt. — „Daily Graphic" erfährt, dir englische Regierung betrachte die durch da» Fehlschlägen der Conferenz entstandene Lage als außerordentlich ernst, und wenn die südafrikanische Republik bei ihrer gegenwärtigen Haltung beharre, so bleibe für England kein anderer Weg übrig, als durch Gewalt eine Lösung der Schwierigkeiten zu suchen. In dieser Meldung töne» Cbamade und Fanfare durch einander, ein Anzeichen dafür, daß man zu einem festen und letzten Entschluß in London noch nicht gekommen ist. Die I fein-ironische Färbung der Schlußworte de« Präsidenten FeitiHotsn. Außer Diensten. L4j Roman von Ernst Wichert. Ratdruck dxrbrt n. Er täuschte sich nicht. Baier und Sohn wollten eben, jagd mäßig ausgerüstet, fortgehen, nachdem sie zu Abend gegessen hatten. Der Tisch stand noch gedeckt und die Försterin konnte den gnädigen Herrn bitten, Platz zu nehmen und sich ein GlaS Bier einschenken zu lassen. „Wo geht's denn hin?" fragte er. Der Kerl, der Becker, treibe wieder ganz arg sein Unwesen, berichtete Randolf. Seit er ihn angezeigt habe, vergehe keine Nacht, in der er ihm nicht einen Schabernack spiele. Nun wolle er ihn 'mal mit seinem Sohn zusammen auflauern, um ihn wo möglich dingfest zu machen. Das Gewehr habe er ihm neulich schon abgenommen, aber er müsse sich ein anderes besorgt haben. „Ich wuckdrre mich, Sie noch hier zu finden — wenn Sie schon überhaupt herkamen", sagt« der Freiherr zu Ottomar. „Es sind in der Anstalt Ferien", antwortete der junge Mann mit finsterem Gesicht, kaum von unten aufsehend. „Ihr Vater meinte aber. Sie würden Sie dort dazu benutzen, Lücken in Ihrem Wissen auszvfüllen und sich zum Examen vor zubereiten." „Ja — das war auch mein« Absicht, Excellenz." „Und jetzt sind Sie anderen Sinne- geworden?" Ottomar zog die Augenbrauen zusammen. „Ja, jetzt bin ich anderen Sinnes geworden." „DaS ist keine paffende Antwort. Sie verstehen mich wohl, daß ich auch den Grund wissen möchte." Der junge Mann sah zur Erde und schwieg. / „Run?" „Es ist natürlich der Mamsell Emma wegen", sagte der Förster, etwa« verlegen. „Ich hab' ihn von ihr abbringen wollen — aus guter Meinung — und nun ist er ganz rappel köpfig geworden." „Davon had' ich mich kürzlich selbst überzeugen können", äußerte der Freiherr. „Ich erwartete, daß Sie zu mir kommen würdey, mich wegen des ärgerlichen Auftrittes, den Sie in meiner Gegenwart mit dem Mädchen hatten, um Entschuldigung zu bitten. Aber Sie scheinen auch jetzt noch nicht recht zur Be sinnung gekommen zu sein." „Ich habe nichts abzubitten", entgegnete jder junge Randolf mürrffch. „Excellenz wissen selbst am besten . . ." „Was weiß ich?" Darauf blieb wieder die Antwort aus. „Die Mamsell ist übrigens nicht mehr im Schloß", nahm der Frechen wieder das Wort. „Nein." „Also brauchen Sie sich gar nicht zu beunruhigen." „Sie kann wiederkommen." „Das wird von ihr abhängen." „So lange ich hier bin, wird sie nicht wiederkommen." Das klang recht tückisch und wie eine versteckte Drohung. Der Freiherr lachte. „Es kann wohl sein, daß sie Ihret wegen fortgegangen ist", erwiderte er. „Sie müssen doch ein sehen, daß sie von Ihnen nichts wissen will; sich aber grob an fahren zu lassen, wird sie keine Lust haben. Und da geräth nun die Wirthschaft in Unordnung, meine Schwägerin kommt in Ver legenheit. Was soll das Alles? Ich verlange, daß Sie die Mamsell nicht weiter beunruhigen und in nächster Zeit wieder abreisen." Ottomar schüttelte heftig den Kopf. „Ich bleibe, Excellenz. Es kann mir Keiner verbieten, in meines Vaters Haus . . ." „Ach, das ist ja dummes Zeug. Ihr Vater selbst wird wünschen, daß Sie ihm keine Ungelegenheiten bereiten. Wenn Sie sich in den Ferien ein Vergnügen machen und zugleich etwas lernen wollen — ich bin bereit, Ihnen da» Geld zu einer kleinen Reise zu geben. Ich hatte sie Ihnen ohnedies zugedacht." Der jung« Mann wendete sich unwillig ab. „Aber den Unsinn müssen Sie sich so bald als möglich auS dem Kopf bringen", fuhr der Freiherr fort. „Sie sind noch viel zu jung, auf die Freischaft zu gehen, und haben noch einen zu werten W«g vor sich, bis Sie zur Selbstständigkeit gelangen, um jetzt schon bindende Versprechungen geben zu können. Das Mäd chen ist wenige Jahre jünger als Sie, und wenn es so lange warten soll, bis Sie in Amt und Brod sind, wird es Ihnen nichr mehr gefallen. Sie sollten nicht vergessen, was ich mit Ihnen vorhabe, und an etwas Andere» denken als an solche Tändelei, zu mal da« Mädchen viel zu verständig ist, sich ernstlich mit Ihnen einzulassen." Ottomar maß ihn mit finsteren Blicken. „Ich weiß", stieß er ingrimmig heraus, „weshalb Eure Excellenz mir da» sagen." „Ich sage es unter allen Umständen zu Ihrem Besten." „Ich kann jeder Zeit irgendwo eine Försterstelle haben, wenn Emma nicht warten will." „Sie wären thöricht genug, sich für «in Paar schöne Augen Ihre ganze Zukunft zu verderben. Ich denke, da hat der Vater ooch auch ein Wort mitzureden. Was, Alter?" Randolf hatte sich in das Gespräch nicht weiter eingemischt. Er stand zur Seite und strich mit dem Knebel unter dem fuchsigen Schnauzbart hin. Es widerstand seinem ehrlichen Sinn, mit sich Verstecken spielen zu lassen. Was der gnädige Herr für sich selbst betrieb, ging ihn nichts an, aber die Hindernisse aus dem Wege räumen, mochte er ihm nicht. Er knurrte daher nur ärgerlich: „Was kann man mir einem erwachsenen Menschen thun? Für mich wär's nichts, wahrhaftig nicht. Aber Jeder ist seiner Glückes Schmied." Ottomar, dem das Gesicht glühte, mochte seine Leidenschaft lichkeit fürchten. Er nahm den Hut vom Tisch. „So ist's recht, Barer", sagke er in zischendem Ton. „Ich bin hier wohl nichr weiter nöthig. Entschuldigen mich Excellenz. Ich geh voran, Vater." Er warf mit einer hastigen Bewegung den Hut auf den Kopf und verließ das Zimmer. „Ein recht ungeschliffener Bursche", sagte der Freiherr hinter ihm her. „Ich finde ihn sehr zu seinem Nachtheil verändert." ,Er ist sonst gar nicht so", entschuldigte die Försterin. „Die Geschichte mir dem Mädchen hat ihn ganz verstört." Der Freiherr sprach nun von Geschäften. Randolf gab ihm jede erwünschte Auskunft, schien ihn aber immer nicht befriedigen zu können. Offenbar war er in schlechter Laune, so wenig er sich's merken lassen wollte. Endlich kamen sie in einen Wort wechsel wegen der Lage eines Grenzsteines nicht weit oberhalb der Försterei. Der Freiherr meinte, der Abend wäre so schön, daß er wohl Lust hätte, den Umweg über die Höhe zu nehmen und sich an Ort und Stelle umsehen. Randolf war bereit, ihn zu führen. So gingen sie denn sehr bald an der Hecke entlang, di« daS Feld des Försters abgrenzte, der mit dichtem Tannenwald be wachsenen Anhöhe zu. Sie hatten sich derselben bis auf fünfzig Schritte genähert, als au» dem Unterholz ein Schuß fiel. Der Freiherr schrie auf: „Ich bin getroffen!" und sank gegen die Hecke zusammen. „O der Bube — der Bube!" Randolf war aufs Furchtbarste erschreckt. Das Aufblitzen des Pulvers hatte ihm die Stelle angezeigt, von welcher der Schuß kam, ohne daß doch eine menschliche Gestalt sichtbar geworden wäre. Jetzt herrschte dort tiefste Finsterniß. Er lief einige Schritt« vor, hörte Aefle knacken, als ob sich Jemand rasch ent fernte, überlegte blitzschnell, daß die Verfolgung wahrscheinlich nutzlos sein würde, sein Herr aber nicht hilflos bleiben dürft«, und wandte sich wieder zu ihm zurück. Er suchte ihn aufzu richten. Mein Himmel", rief er, „was ist das? Gnädiger Herr — Sie sind verwundet? Sprechen Sie doch . . ." „Ich hab's — in der linken Schulter . . .", stöhnte der Freiherr. „Ich darf Sie nicht allein lassen, sonst . . . Aber wenn Sie befehlen . . . ." „Sparen Sie sich das, Randolf — lassen Sie den Buben —" „Erkannten Sie Jemand, Excellenz?" „Nein." „Ich auch nicht. Kreuzdonnerwetter, was nun thun? Meinen Excellenz bis zum Hause gehen zu können?" „Ich will's versuchen." Er legte den rechten Arm um den Hals des Försters und ließ sich halb von ihm tragen. So kamen sie ein paar Hundert Schritte weiter. Dann war der Alte völlig erschöpft. „Hier, diese Steine sind bequem zum Niedersitzen", keuchte er. „Ich will nach der Försterei, mir meine Frau zur Hilfe holen und die Magd gleich nach dem Schlosse schicken, einen bequemen Wagen zu bestellen. Es könnte auch einer gleich zum Arzte nach der Stadt." „Ja, ja", sagte der Freiherr matt. „Ich lasse Herrn von Jungenheim bitten, mich abzuholen." „Daß-auch mein Ottomar eine halbe Stunde voraus ist!" Der Freiherr stieß einen Laut aus, der wie Lachen klang. „Ich denke —" Randolf eilte schon fort. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er mit seiner Frau wiederkehrte. Er brachte einen Korb stuhl mit. Darauf trugen sie den Verwundeten nach dem Hause. Sechzehntes Capitel. Es gab eine unruhige Nacht im Schlosse. Bis nach einigen Stunden der Arzt kam, suckte Jungenheim das Blut zu stillen. Gräfin Hertha half ihm mit allerhand Hausmitteln, die sie bei Verwundungen der Leute anzuwenden pflegte. Auch der Schloß verwalter und seine Frau bemühten sich um ihren Herrn. „E- wird eine Pflege nothwendig", meinte Berner. „Wir sollten zu Emma schicken; sie ist jetzt hier unentbehrlich." Die Frau war ganz einverstanden. „Und jetzt kann sie sich auch nicht weigern." Es waren Rehposten in die Schulter gedrungen. Das Schlüsselbein schien verletzt. Der Arzt brachte zwei von den Ge schossen heraus, stieß aber in einem dritten Wundcanal auf Knochensplitter und wagte sich mit seinen Instrumenten nicht weiter. Auch waren die Schmerzen des Kranken zu groß, um ohne Chloroform weiter operiren zu können. Er schlug vor, selbst nach der Residenz fahren und einen angesehenen Chirurgen mit allen erforderlichen Hilftmitteln herbeiholen zu wollen. Augen-
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