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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.05.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990531011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899053101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899053101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-31
- Monat1899-05
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Alle europäischen Culturstaaten mühen sich mehr oder weniger, Aehnliches, zu schaffen, und müssen cs thun, weil die Sache aus den socialen Anforderungen der Zeit herauswächst; nirgends aber ist bisher eine gleiche, vollständige Versicherungsgesetzgebung zu Stande ge kommen, wie sie Deutschland bereits seit 10 bis 15 Jahren hat. Gerade solche Länder, die man sonst gern als an der Spitze des Arbeiterschutzes marschirend, als demokratisch den Arbeitern eine bessere Lebensstellung und weitere Rechte ge während hinstellt, sind auf diesem Gebiete noch außerordentlich zurück. InEngland geht die Gesetzgebung seit Jahren um die Unfall- und Jnvaliditätsversicherung herum, und in letzter Zeit ist erst wieder zu Tage getreten, daß wenigstens aus letzterer in absehbarer Zeit nichts wird; dieSchweiz, welche zuerst einen allgemeinen Maximalarbeitstag einführte, laborirt seit einem Jahrzehnt an verschiedenen Entwürfen der Arbeiterversicherung, hat aber noch nichts davon fertiggebracht. Nun kommt endlich unser westlicher Nachbar Frankreich mit einem Unfallversicherungsgesetz, welches, vom Parlament schon vor mehr als Jahresfrist votirt, schließlich mit seinem für 1. Juni dieses JahreS beabsichtigten Inkrafttreten hinaus geschoben werden muß, weil es sich als höchst fehlerhaft erweist und in gewerblichen Kreisen einen Sturm von Protesten und Entrüstung hervorgerufen hat. Die letzte Legislatur wollte eben vor dem Erlöschen ihres Mandats der industriellen Demo kratie ein Vermächtniß hinterlassen, welches diese zu «Gunsten der Wiederwahl der ausscheidenden Volksvertreter veranlassen sollte; so mag das Gesetz vom 8. April 1898 über die Unfallversicherung (loi sur los »ooiUonts cku travail) wesentlich aus Wahlrück sichten zu Stande gekommen sein. Tatsächlich ist eS mit un gewöhnlicher Ungeschicklichkeit gemacht und würde wahrscheinlich mehr Schaden als Nutzen stiften, der Großindustrie und noch mehr den in Frankreich außerordentlich zahlreichen kleinen und mittleren Unternehmern. Frankreich zählt 1700 000 ein geschriebene Gewerbetreibend« (pntentSv), dazu eine Menge von Handwerkern, die vom Patent befreit sind. Diese alle können Arbeiter beschäftigen und alle würden sie nach dem neuen Gesetz verantwortlich. In der neuesten Nummer des „Iloonomisto Cran^ais" führt der bekannte Nationalökonom Paul Leroy- Beaulieu bei einer vernichtenden Kritik des Gesetzes ein Bei spiel an: Der Dorfschmied, der mühsam 1000 oder 1200 Frck. im Jahre verdient und einen Gehilfen beschäftigt, dem er als Lohn oft eine fast gleiche Summe giebt, kann, wenn diesem Gehilfen ein Unfall passirt, gehalten werden, ihm eine Rente von zwei Dritteln des Jahresverdienstes zu zahlen, und wenn der Ge hilfe in Folge des Unfalles stirbt, so kann der kleine Schmiede meister gezwungen werden, dessen hinterlassener Familie eine Rente bis zu 60 Procent des Jahresverdienstes deS Verstorbenen zu gewähren. Was aber die Tragweite dieser gesetzlichen Rege lung noch drastischer illustrirt, ist die Thatsache, daß, wenn der Schmiedemeister selbst das Opfer eines Unfalles wird, er gegen Niemanden einen Anspruch hat und keine Entschädigung bezieht. Es kann sich also der unsinnige Fall ergeben, daß, wenn derselbe Unfall den kleinen Handwerker und seinen Gehilfen trifft, ersterer nichts mehr verdienen kann, subsistenzlos wird und doch letzterem zwei Drittel des Jahresverdienstes ersetzen soll, und das selbst dann, wenn der Unfall durch schwere Schuld des Ar beiters und unter Verletzung der Anordnungen des Meisters eingetreten ist! Eine „human" sein wollende Gesetzgebung würde hier also völlig inhuman. Das deutsche Unfallversiche rungsgesetz hat bekanntlich bisher das Handwerk aus guten Gründen nicht rinbezogen; außerdem hat in Deutschland der einzelne Industrielle eine organisirte Rückendeckung, durch die Zwangsorganisation, durch die Berufsgenosscnschaften, welche dem französischen Gesetz fehlt; dort muß die D«ckung — falls der Unternehmer überhaupt eine solche will — bei den privaten Versicherungsgesellschaften gesucht werden, die natürlich unter dem neuen Gesetz ihre Prämien stark erhöhen und für die gesammte Industrie vertheuern müssen. Das französische Gesetz bringt auch andere Un billigkeiten und Unzuträglichkeiten. Da die Unfallrente sich im Todesfälle für die Hinterbliebenen nach deren Zahl richtet — 20 Procent deS Verdienstes für die Ehefrau und 15 Proc. für ein Kind, anstrigend bis 40 Procent für 4 und mehr Kinder —, so besorgt man, das (desetz werde dahin wirken, daß die Unternehmer möglichst nur junge und unver- heirathete oder ausländische Arbeiter beschäftigen, daß demnach die Zahl der Ehen und des Bevölkerungszuwachses noch weiter zurückgeht, während deren Stagnation schon ein Gegenstand schwerer Besorgniß für die Socialpolitiker und Patrioten in Frankreich ist. Arbeiter mit vielen Kindern, die am meisten dauernde Arbeit nöthig haben, würden unter dem neuen Gesetz am schwersten solche finden. Man berechnet, daß die Ver sicherungsprämien in gewissen Gewerben bis zu 10 und 12 Proc. deS L.hnes ansteigcn würden- iDjjr kleine Dorfschmicd, d^r seinem Gehilfen 1000 Francs Lohn zahlt, könnte also 100 bi» 120 Francs jährlich für dessen Versicherung zu zahlen haben, ohne für seine eigene Person versichert zu sein. Im Einzelnen mögen ja starke Uebertreibungen bei der Opposition gegen das Gesetz Vorkommen. Es begreift sich aber unter diesen Umständen, daß man sich in Frankreich nicht mit der Hinausschiebung des Inkrafttretens des Gesetzes begnügt, sondern völlige Umarbeitung verlangt, ja, daß dieser mißglückte Versuch die ganze socialpolitische Ge setzgebung einigermaßen discreditirt. So genirt sich ein ernstes und angesehenes Blatt, wie der „Temps", nicht, den Avbeiter- schutz überhaupt als die „große Mystifikation des Jahrhunderts" hinzustellen. Leroy-Beaulieu macht in dem citirten Aufsatze für die Unfallversicherung Mänderungsvorschläge, welche sich theil? weise den deutschen Einrichtungen nähern; er will als Träger der Versicherung Gegenseitigkcitsverbände, ähnlich wie unsere Be rufsgenossenschaften, errichtet wissen, auch soll der Arbeiter nicht von jeder Verantwortlichkeit für Unfälle befreit sein; indem man das thue, zugleich aber andererseits den Arbeitgeber einer gleich mäßigen Verantwortlichkeit unterwerfe, ohne auf die von ihm genossenen Vorsichtsmittel Rücksicht zu nehmen, werde man die Zahl der Unfälle nur vermehren. Es müßte also im Falle schwerer Schuld des Arbeiters die Entschädigung des Arbeiters wenn nicht ganz Wegfällen, so doch reducirt werden, vielleicht auf die Hälft«. Ferner müßten die Entschädigungen in der Höhe gegenüber den Ziffern des Gesetzes mehr begrenzt werden und dürften niemals 600 bis 700 Frcs. Rente übersteigen, während nach dem neuen Gesetze, welches sich auf ein Jahreseinkommen bis zu 2400 Frcs. erstreckt, das Maximum der Rente 1600 resp. 1440 Frcs. beträgt. Leroy-Beaulieu verlangt weiter, daß die Arbeiter die Hälfte d«r Prämien bezahlen sollen, während in Deutschland bekanntlich die Unternehmer allein die ganze Last der Unfallversicherung tragen. Er schließt: „DaS Gesetz über die Unfälle ist eine bezeichnende Probe dieser leichtsinnigen und im- provisirten socialen Gesetzgebung, indem «s einen automatischen Mechanismus an Stelle der Handlung der Individuen und Asso ciationen setzt; die Philanthropen lassen sich darin freien Lauf und freuen sich darüber; aber es ergiebt sich, daß ihr Vorgehen einfach verwüstend gewesen ist." « Die deutsche Industrie und die deutsche Gesetzgebung haben gezeigt, daß, obwohl letzter« wahrlich auch nicht fehlerlos ist, sehr wohl eine gedeihliche Arbeiterversicherung hergestellt werden kann. Wir haben für das Ausland mit großrn Opfern ein rühmliches Vorbild geliefert. Wird es so schlecht nachgeahmt, wie allerdings in dem französischen Unfallgesetze geschehen, so be weist das nur die Unfähigkeit der modernen französischen Gesetz gebung. Andererseits aber zeigt da« Unvermögen oder der schlechte Wille unserer Rivalen auf dem Weltmarkt in ihrer Ar beite: geseygebung erst recht, daß wir mit< weiterer «Belastung der deutschen Industrie sehr vorsichtig sein müssen. «Mögen auch die deutschen Socialpolitiker und Betreiber des internationalen ArbeiterschuheS vorerst einmal dahin wirken, daß das Ausland auf diesem Gebiete annähernd so viel leiste, wie es bei uns längst der Fall! Deutsches Reich. Berlin, 30. Mai. (Unberechtigte Angriffe aus die Ansiedelun gScommissicn.) DaS Ausscheiden tcr Gutsbesitzers Fritz Ritter aus dem Ostmarkenverein, das dem genannten Herrn von zuständiger Stelle nahe gclrx^ war, weil er sein Gut Pawlowo an einen Polen verkauft hatte, wird von dem Bunde der Landwirthe hefreundcic:: Seiten als Anlaß benützt, unberechtigte Angriffe auf die Ansiedelungscommission zu richten. Eine Zuschrift an die „Deutsche TageSztg." entschuldigt nämlich nicht nur das Verfahren deS Herrn Ritter mit der Rücksicht, die letzterer als kränkelnder Familienvater auf seine Angehörigen hätte nehmen müssen, sondern hebt auch hervor, daß außer Pawlowo noch die beiden in derselben Gegend gelegenen Rittergüter Wronczyn und Zlotnik auS deutschen Händen in polnische übergegangen seien, und wirft im Hinblick auf diese Güter der Ansiedelungscommission vor, mit dem Unterlassen des Kaufes einer Unterlassungssünde sich schuldig gemacht zu haben. „In unsere deutsche Oase hier bei Pudewitz", so heißt eS in der Zuschrift wörtlich, „ist dadurch das polnische Element recht eingedrungen und verdirbt, was Deutsche narb langer Arbeit glücklich erreicht haben. Dieser Proceß schreitet anscheinend fort, falls es der königlichen AnstedelungScouimission nicht gefällt, auch von Deutschen zu kaufen." Die „Deutsche TageSztg." pflichtet, nicht ohne den Ostmarkenverein grundlos zu censuriren, ihren, GewährSmanne vollkommen bei, indem sie eS als Pflicht der AnsiedelungScommission erklärte, deutsche Güter, die „nach Laste der Dinge verkauft werden müssen", nickt in polnische Hande fallen zu lassen, sondern anzukaufen. Der Unkundige muß au« den vorstehenden Ermahnungen, die in der Zuschrift die Form einer halben Drohung annebmen, den Schluß ziehen, daß die AnsiedelungScommission von Deutschen gar nicht oder sehr wenig kaufe. Seit Jahren aber kann hiervon keine Rede sein. Nachvem sich herauSgestrllt hatte, daß viele polnische Besitzer, die ihre starkverschuldeten und heruntergewirib- schafteten Besitzungen verkauften, sich unter besseren Verhält nissen wieder ankauften oder in den Städten eine wirtdsckafl- liche Existenz begründeten, gab die AnsiedelungScommission den Grundsatz, nur von polnischen Besitzern Güter zu kaufen, auf. Schon in den Jahren 1893 und 1894 war die Hälfte aller von der AnsiedelungScommission erworbenen Grundstücke in deutschen Händen gewesen. Wie das Berhältniß jetzt ist, darüber giebt die Anlage I. der Denkschrift, betreffend die Ausführung des Ansiedelungsgesetzes — Nr. 50 der Drucksachen des Abgeordnetenhauses — erschöpfende Auskunft. Darnach sind von den im Jahre 1898 erworbenen 24 Gütern 22 in deut schen und nur 2 in polnischen Händen gewesen; unter den 9 Fririll-tsn. Schaufenster-Studien eines Leipziger Naturforschers. IH. «Kiebitz- und Möveneier. Auf mich kommt es zwar wenig an, aber ich bin kein Lieb haber von Kiebitzeiern. Warum? Na, in diesem Falle sind bei mir die Gründe allerdings so wohlfeil wie «Brombeeren — also: 1. sind sie mir zu theuer; 2. kann ich ihnen nichts Besonderes abessen, Hühnereier sind mir lieber, sie sind größer; 3. bin ich mißtrauisch, man erwischt gar zu leicht einmal eins, das bebrütet ist oder den „hohen Geschmack", wie es zierlich heißt, hat, d. h. mehr oder weniger faul ist, und ich verzichte auf bebrütete und „hochschmeckende" Eier, und wenn's Kiebitzeier sind; 4. thut es mir herzlich leid, daß der Kiebitz durch die Verfolgungen, denen seine Nachkommenschaft ausgesetzt ist, selbstverständlich von Jahr zu Jahr seltener wird, da er doch ein so lieber, hübscher, gemüth- licher, mit der Poesie der deutschen Volksseele so vielfach ver knüpfter und so nützlicher Vogel ist. Dieser vierte und letzte Grund, weshalb ich mir den Genuß seiner Eier versage, zerfällt daher eigentlich wieder in vier Untergründe, von denen jeder einzelne an und für sich schon genügend wärt, mir daS Essen von Kiebitz eiern zu verleiden, — indessen, wie gesagt, auf mich kommt e» überhaupt wenig an und in diesem besonderen Falle nun einmal gar nicht. Ich will auch weiter keine langen «Reden gegen die Liebhaber dieser sogenannten Leckerei halten — man wäscht be kanntlich immer noch eher einen Modren weiß, ehe man einen in der Wolle gefärbten, echten Feinschmecker bekehrt; dem gegen über ist ein verdorbener Magen die einzige Logik der Thatsachen. UebrigenS sind, unter unS, aber auch ganz unter uns gesagt, manche dieser Liebhaber blo- Talmiliebhaber, sie wissen Kiebitz eier und ähnliche Delikatessen gar nicht zu beurtheilen, aber e» handelt sich um kostbare Maaren, und ihre Mittel erlauben ihnen daS. Das ist so die Sorte, denen eS nicht einfallen würde, Kiebitzeier zu essen, wenn da» Dutzend 10 Pfennige kostete und Lehmann's Kutscher ein halb Schock zum Frühstück vertilgen könnte. Ja, ja, es ist ein alte», wahre» Wort: E» geht nirgend» so närrisch zu, wie auf der Welt! Doch — Philisterei und Splitterrichterei haben mich da von meinem Gegenstand abgebracht, kehren wir zu den Kiebitz- und Möveneiern al» zu Naturobjecten zurück und verlassen wir den culinarischen Standpunkt! — Sin Bogelri hat für mich immer etwa», ich möchte sagen, Heilige», Geheimniß- und Ahnungsvolle«. So ging e« mir schon al» Knaben, und ich habe mich niemals am Nesteraulinehmen, „Schnillen" war der Kunstausdruck in meiner Vaterstadt dafür, bctheiligt, obgleich ich sonst rin ziemlicher Schlingel war, der seine Hosen auch trotzdem ohne große Baumrutschereien zu zer reißen verstand. Es ist vor einiger Zeit im „Tageblatt" ein Lange» und Breite» Über Hühnereier zu lesen gewesen, aber manche bei den Eiern anderer Vögel bedeutungsvolle Seiten konnten dort nur flüchtig beleuchtet werden; e» sind da» aber solche Seiten, die ge rade bei Kiebitz- und Möveneiern stark hervortreten, bei ersteren noch mehr als bei letzteren, das sind Gestalt und Garbe. Die Form der Eier ist bei den Möven nicht gerade sehr charakteristisch, aber um so mehr beim Kiebitz. Bei ihm und seiner ganzen Sippe, Schnepfen, Regenpfeifern, Strandläufern u. s. w., sind sie ausgeprägt birn- oder kreiselförmig. Was ist die Ursache dieser Erscheinung und weshalb hat eine Eule fast kugelrunde Eier? Das muß doch seine Gründe haben, denn „es giebt keinen Zufall"? Allerdings hat das seine «Gründe, aber ich muß gestehen, sie sind mir noch gar nicht recht klar. Die Haushllhner können wir, als domesticirte, bis zu einem gewissen Grade doch abnormen Einflüssen unterliegende Vögel, in diesem Falle ruhig bei Seite lassen. Man hat verschiedene Ursachen für die verschiedenen Ge stalten der «Vogeleier angegeben. Sehr allgemein und auch schon recht alt ist die Ansicht, daß gute Flieger längliche, weniger gute rein ovale oder rundliche legen, eine andere sieht als entferntere Bildungsbedingungen für die Eierform Anpassungen an ge wisse Theile des Knochengerüstes des jungen Vogels, namentlich an das Brustbein. «Dem wäre entgegenzuhalten, daß bei den Kolibris und bei den Thurmschwalben oder Seglern, sehr nahe verwandten und im Knochengerüst nur wenig von einander ab weichenden Vögeln, die Eier in der Form von geradezu extremer Verschiedenheit sind: bei jenen fast so rund wie eine Erbse, bei diesen sehr gestreckt. Ein Engländer, Hardy, hat darauf hingewiesen, daß manche Vögel, wie Adler, Habichte, Möven, wilde Gänse u. s. w., in der Gefangenschaft länglichere Eier als im wilden Zustande legen. Er schreibt das einer Senkung de» Eileiter» zu, die bei einem Vogel, dem da» Fliegen unmöglich gemacht sei, eintretcn müsse. «Jene äußerst feinhäutige Blase mit flüssigem Inhalt und später mit zähflüssigerer Hülle, die das Ei doch vor der Bildung der Schale ist, soll sich nun noth- wendiger Weise nach den anhaltenden Stellungen des Vogel» richten. In einer elastischen Röhre, wie sie der Eileiter darstellt, mußte sich jene Kugel mehr verlängern. Mir scheinen ver schiedene Factoren die Eiform zu bestimmen: zunächst hie Gestalt der mütterlichen Leiberhöhle und die Lage, die der Eileiter mit eventuellem Inhalt durch die Größe und die Anordnung anderer innerer Organe genöthigt, annehmen muß. Doch scheinen auch andere Ursachen noch mitzusprechen. Nämlich alle jene vorher erwähnten Vögel, zu denen auch der Kiebitz mitgehört, sind Bodenbrüter, die gar kein Nest bauen, und so verhält e» sich auch mit den Alken und Lummen, Vögeln, die gar nicht näher mit jenen verwandt sind, aber doch auch Eier von au»gesprochener Birnform legen. Welche Vorthrile könnte unter diesen Um ständen diese Birnform wohl bieten, dir für solche Eier, die sich in Nestern oder in Baum, und Felsenlöchern eingeschlossen befinden, überflüssig sind? Ein Gegenstand von jener Kreisel oder Birnform wird, wenn er einen Anstoß erfährt, viel weniger leicht in da» Rollen kommen, al» «in ovaler oder gar ein runder, und er wird sich eher um sich selbst drehen wegen der Lage seine» Schwerpunkt». Da» ist aber ganz gewiß bei Eiern, die frei auf dem Boden liegen, ein nicht zu unterschätzender Dortheil. ES kommt dabei freilich auch auf die Beschaffenheit de» Boden» an; ist derselbe locker und lose, besteht er etwa au» Sand, so werden die Eier schon so sicherer liegen, al» auf Felsen, er härtetem Schlamm oder festem, wie eine Tenne ebenem Moor grund. Gleichwohl legen die schnepfenartigen Vögel gern in eine Bodendelle, in dir Hufspur eine» Pferde» z. B., wo sie sie haben können, aber sie können sie nicht überall haben, meist sogar nur in selteneren Fällen, Anpassungen werden aber nicht von der Aus nahme, sondern von der Regel bedingt. Doch nun zu der Farbe der Eier der Vögel im Allgemeinen und zu der der Kiebitze und Möven im Besonderen. Diese Farbe ist eine wichtige Sache, aber die Ansichten der Fachleute über ihr Wesen, ihre Bedeutung und ihr Entstehen sind noch lange nicht unter einem Hut. Früher glaubte man, sie entstehe im Endabschnitt deS Darmes, das ist aber nicht der Fall, eS geschieht das vielmehr im unteren Theil des Eileiters, und zwar bildet sie sich hier aus dem Blutfarbstoff, der in den Gefäßen der Wandungen desselben vorhanden ist. Er tritt aus den Hüllen der feinen Adern heraus und drückt sich auf die Eischale ab. «Besondere Farbendrüsen hat man bis jetzt im Eileiter der Vögel nachzuweisen noch nicht vermochte, aber die oft so sonderbaren geschlängelten Zeichnungen auf den Eischalen würden sich nur sehr schwer erklären lassen, wenn jene ihr Sitz sein sollten, während sie als Abdrücke von Gefäßschlingen, aus denen die Farbstoffe herausschwitzten, sehr plausibel erscheinen. Der Gegenwart von Farbendrüsen würde auch die merkwürdige Thatsache ziemlich schwer begreiflich gegenüberstehen, daß, wie man sich leicht überzeugen kann, die verschiedenen Schalenfarben sehr häufig nicht einfach nebeneinander liegen, sondern überein ander, gewissermaßen in verschiedenen Horizonten. Es sondern sich also jene Farben in verschiedenen Abschnitten des unteren Theile» des Eileiters hintereinander ab, und man hat die ganze Erscheinung nicht unpassend mit dem beim Buntdruck beobachteten Verfahren verglichen. Die bunten Vogeleier besitzen meist eine allgemeine, gleich mäßige Grundfarbe der Schale, und entweder bloS diese, oder auf ihr verbreitete größere und kleinere Punkte, Fleckchen, Flatschen, Schnörkel u. s. w., und verschiedene Arten der Zeich nungen kommen meist zusammen vor, sind auch durch Ueber- gänge verbunden. Die chemischen Untersuchungen haben dargethan, daß es eigentlich nur zweierlei Farbstoffe der Eischalen giebt: das Eiroth oder Oorhodin und das Gallengrün, Biliverdin, oder Eiblau, Oocyanin. Da» Erstere ist nicht an den Kalk der Schale, sondern an ihren oberflächlichen Ueberzug gebunden und wird durch Be handlung mit verdünnter Kalilauge verflüssigt und abreibbar. DaS Eiblau hingegen ist an den Kalt gebunden und läßt sich nach «Behandlung mit Kalilauge keineswegs abreiben und verändert sich unter Einfluß von Natronlauge in den wirklich blauen Schalen mancher Vogeleier in Grün. Da» Eiroth, da» sich durchaus nicht, wie man früher annahm, mit dem Bilirubin, dem rothen Farb stoff der Galle deckt, hat ein eigene» Spectrum, mithin seine eigene chemische Zusammensetzung, und läßt sich auch weder in der Galle noch im Blute der Vögel Nachweisen. UebrigenS ist ein Unterschied in der blauen Farbe der Schale der Vogeleier. Bei manchen (z. B. beim Staar, Hausroth- schwänzchen u. a.) ist blot die Außenseite blau, bezw. blaugrlln, bei anderen, wie bei denen der Enten, wenn sie nicht weiß sind, der Fischreiher, mancher Steißhühner, de» Hühnerhabicht», der Heckenbraunelle u. s. w., ist aber die Schale durch und durch blau. Das letztere kann auch bei blauen, gefleckten Eiern statt finden, z. B. bei denen der Drosseln, de» gemeinen Bussard», der Weihen u. a. m. Aber diese» Eiblau ist doch an da» organische Bindemittel der Schale und nicht an ihre anorganischen Be- standtheile, die Kalksalz«, gebunden, denn werden diese durch den «> Einfluß von Säuren entfernt, so behalten die geringen orga Nischen Ueberbleibsel die blaue Färbung. ES giebt also in den Eischalen nur zweierlei Farben, denn weiße haben eben überhaupt keine Farbe, nämlich Rothbraun in sehr verschiedenen Graden der Jntensivität und Blau vezw. Blau grün, und aus diesen beiden Farben gehen durch die verschieden artigen Verbindungen derselben alle die zahlreichen Modifika tionen in der Buntheit der Vogeleier hervor. «Die meisten Eier, die rein bräunlich, gelblich oder röthlich erscheinen, enthalten doch auch den blauen Farbstoff, doch ist derselbe vom Oorhodin über wuchert und zurückgedrängt. Es ist bemerkenswerth, daS beide Farbcnnüancen bei den Eiern ein und derselben Vogelart ouftreten können, allerdings niemals grün oder blau bei solchen, die normaler Weise röthlich oder bräunlich sind, aber nicht selten umgekehrt roth bei solchen der grünen Kategorie. Was ich über das Berhältniß dieser Roih- sucht oder diese? Erythrismus bei Eiern einiger unserer ein heimischen Vögel beobachtet habe, bezieht sich ans die des Neun- tödters, des Baumpiepers und des Plattmönchs: alle drei Vogel arten legen Eier, in deren Schalenfarbe normaler Weise grün bei Wettern vorherrscht, aber unter den Gelegen des Neuntödters finden sich 20, unter denen des Baumpiepers 6—8 und bei denen deS Plattmönchs etwa 1 Procent rachsüchtige. «Sehr selten tritt diese Erscheinung bei der gelben Bachstelze auf. Es ist eine ganz vage aus der Luft gegriffene Behauptung, daß jene Rothsucht bei Vögeln, die sonst grünliche Eier zu lege:: pflegen, auf eine höhere Kraftfülle der Mutter hindeute; dafür liegt auch nicht die kleinste Spur eines Beweises vor, auch hat cs nicht die geringste innere «Wahrscheinlichkeit. Man hat wohl auch, und noch dazu mit ziemlicher Bestimm! heit, die Ansicht ausgesprochen, einunddasselbe Weibchen, z. B. des Neuntödters, lege grünliche und röthliche Eier, rn. weder nach den Jahrgängen oder nach dem Alter verschieden oder auch durcheinander in einem Gelege zusammen. Solche Angaben entspringen sicher entweder aus falschen Beobachtungen, oder sind auch nur Phantasiegebilde. Jeder weibliche Vogel hat rn seinen Eiern auch seinen ganz bestimmten, eigenen Typu», und es spricht sich in diesem seine Individualität weit mehr aus als in seiner eigenen Erscheinung. Im Allgemeinen sind nicht blos die Eier eines Geleges, sondern die aller folgenden desselben Weibchens von einer charakteristischen Ähnlichkeit, denn von völliger Gleich heit kann hier so wenig wie sonst in den Erscheinungen der orga nischen Welt die Rede sein. Junge und alte Weibchen mögen vielleicht blasser gefärbte Eier als in der vollen Kraft des Leben» stehende, weibliche Kiebitze und Möven mögen in Gegenden, wo ihre Eier regelmäßig gesammelt werden und sie zum Nachlegen gezwungen sind, zufolge einer gewissen Legeerschöpfung wenig ge zeichnete Eier mit hellerer Grundfarbe legen, da» kann zugegeben werden. Wenn der Feldsperling ein volle» Gelege erzielt, dann ist immer da» zuletzt gelegte Ei Heller al» die übrigen, wa» beim HauSspatz auch, aber weniger regelmäßig, vorkommt. Ob die Nahrung der Mutter einen wesentlichen Einfluß aus die Färbung der Eischalen hat, wie vielfach, aber ohne auf Er- perimente begründeten Hinweis behauptet wird, ist zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich. Daß sie bei Hühnern und Tauben, die mit Krapp gefüttert wurden, röthlich sind, beweist nichts. In diesem Falle theilt sich die rothe Farbe allen Geweben des Vogels mit, ohne daß wahrscheinlich vorher im Stoffwechsel eine Der» Lnderung deS Krapp» vor sich gegangen ist. /
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