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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.05.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990531020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899053102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899053102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-31
- Monat1899-05
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Um Alles, was störte und stören mußte, zu Beginn zu erledigen, sei gleich hier noch der Entgleisung des Herrn Professors vr. Paulsen aus Berlin gedacht, der eine Gelegenheit, der Versammlung sein persönliches Nichtein- verständniß mit dem deutschen Sprachunterricht in den Schulen Nordschleswigs kundzulhun, bei den Haaren berbeizezerrt hat. Der gelehrte Herr hätte kaum einen den Berathungsgegenständen fremderen Stoff auf befremdendere Weise heranzichen können. Vielleicht wollte er nachträglich einer Bemerkung in der Begrüßungsrede des Vorsitzenden eine „actuelle" Unterlage geben. Gebeimrath Nobbe hatte einige Besorgniß geäußert, weil die Herren im Vorstande des Congresses und die Referenten Berliner seien; „wie man aber über die Berliner in der Provinz denkt, weiß man". Es ist nicht so schlimm mit dem Leumund der Berliner in der „Provinz", daß sie aber dafür gelten, mit Vorliebe ihre Steckenpferde am unrechten Orte zu reiten, ist richtig. Der Congreß konnte die wenigen in seine Verhandlungen getragenen Mißtöne leicht verschmerzen, denn er war gut besucht und animirt. Der Vorsitzende konnte mit Recht der Klage über viele Enttäuschungen Worte der Hoffnung folgen lassen. Es erleidet gar keinen Zweifel, daß ein stärkerer socialpolitischer Zug als in der unmittelbar hinter uns liegen den Zeit weht, und es wäre nicht erklärlich, wenn diese gesteigerte Lebhaftigkeit nicht auch dem so manches illustre Mitglied zählenden evangelisck-socialen Congresse zu Statten käme. Die von Professor Harnack energisch, aber ohne Herausforderung zurückgewiesene Meinung, „die sociale Frage gehe uns (die Theologen) nichts an", ist offenbar >m Zurücktreten begriffen und dem Gruße den der Herzog Günther von Schleswig-Holstein dem Congresse bestellen ließ, kommt wahrscheinlich eine gewisse Bedeutung zu. Principiell weichen die von der Versammlung an genommenen Leitsätze Professor vr. Kaftan's nicht von der in der protestantischen Kirche herrschenden Auffassung ab, daß die Kirche als solche weltlichen Organen die unmittelbare Ein wirkung auf die Gestaltung des socialen und wirthschaftlicben Lebens zu überlassen habe. Der Congreß erkannte aber einen Zusammenhang der socialen Bewegung der Zeit mit dem Grundgedanken des Evangeliums und der Reformation Luther's an und er zog nur die richtige Folgerung aus dieser Erkenntniß, wenn er eine mittelbare Förderung der Socialreform in Predigt und Volkserziehung als eine Aufgabe der lutherischen Kirche bezeichnete. BemerkenSwcrth ist ein gleichfalls an genommener Antrag vr. Maurenbrechcr's zur Ergänzung dieser Sätze, in dem eine der Zeit angemessene Entwickelung der protestantischen Ethik gewünscht wird. Wenn diese Ethik heute noch auf dem Standpunkte Luther's steht, der das Nehmen des höchsten erreichbaren Preises für eine Waare verwirft, so ist sie allerdings nicht für eine sociale Richtung zu gebrauchen, die dem Arbeiter das moralische Recht zuspricht, seine Arbeit so theuer wie möglich zu verkaufen und sich zur Erzielung des höchsten erreichbaren Preises eines Kampf mittels wie des Streiks zu bedienen. Nicht minder beachtenswerth ist die auf vielseitigen Wunsch erfolgte Zurück ziehung eines Antrages, der dahin ging, die Vertreter der Landeskirchen in Staat und Gemeinden zu ersuchen, die Mindestforderungen auf dem Gebiete der Socialreform ihrerseits zu verfechten. Das Verschwinden des Antrages deutet jedenfalls auf den ernsten Willen zu vorsichtigem, maßvollem Vorgehen hin, und der stürmische Beifall, den der Fabrikbesitzer Freese mit seiner Empfehlung eines aus gedehntesten „constitutionelleu Systems" gefunden hat, ist Wohl auch nicht dahin zu verstehen, daß der evangelisch-sociale Congreß einniüthig in der Ansicht gewesen sei, das, was Herr Freese in einem verhältnißmäßig kleinen Betriebe eingeführt und be währt befunden hat, passe nun ohne Weitere- für die gesammte deutsche mittlere und Großindustrie. ES bleibt vorerst noch sehr zweifelhaft, ob, wie der gewiß verdiente, aber viel leicht bei der Auswahl der einzustellenden Arbeiter zur An wendung besonderer Vorsicht in den Stand gesetzte Industrielle meint, die Arbeitgeber, die von der Einsetzung von aus freien Wahlen hervorgegangenen Ausschüssen einen Terrorismus der Arbeiter befürchten, „sich vollständig irren". Prof. Paulsen's mitgetheilte Leitsätze über ErziehungS- und Bildungs wesen hat sich die Versammlung nicht, wie Kaftan's Thesen, angeeiguet, sondern sie nur als wertbvolle Gesichts punkte für die Beurtheilung des auf dem Gebiete zu Er strebenden begrüßt. Alle Sympathie verdienen dieses Redners strafende Worte gegen die Mitglieder des preußischen Abgeordnetenhauses, die der Beurtheilung der durch die Volks schule vermittelten Bildung als einer zu „hohen" Beifall gespendet haben. Nur daß der Herr Professor den Groß industriellen Unrecht thut, wenn er sie zu den Applaudirenden zählt. Diese bestanden in der That nur aus den Vertretern des Grundbesitzes, namentlich deS großen, und aus den Klerikalen. Die Ausführungen, mit denen wir am Sonnabend an dieser Stelle den herausfordernden Vorschlag der „Ger mania", dem verstorbenen Ceutrumsführer MallinckroVt in der Berliner St. Hedwigskirche ein Denkmal zu setzen, bekämpften, hat die freiconservative Berliner „Post" in der Rubrik „Revue der Presse" abaedruat und die Quelle', „Leipziger Tageblatt", in gesperrtem Druck namhaft gemacht. Sollte man es für möglich halten, daß die „Germania" gegen unsere Ausführungen als gegen die Ansicht der „Post" polemisirt, letzterem Blatte vorwirft, es gebe keinen Grund an, weshalb der Vorschlag der „Germania" eine ultramoutane Herausforderung ersten Ranges sei, und in gesperrtem Druck die Behauptung hinzufügt: „Es giebk auch kein anderes Blatt außer der „Post", welches daran Anstoß genommen hätte" —? Mag cs immerhin denkbar sein, daß der Widerspruch einer Reihe von Blättern gegen den Vorschlag der „Germania" (wir nennen nur die, „CoblenzerZtg.", die „HalberstädterZtg.", die „KrefelderZtg.") dem ullramontanen Moniteur entgangen ist: ausgeschlossen erscheint ein gutgläubiger Jrrthum des CentrumsblatteS in Bezug auf die Behauptung, die „Post" habe keine Gründe angegeben und sei das einzige Blatt, daS Anstoß genommen habe. Schon die Rubrik, in der die „Germania" die sie so sehr erregenden Ausführungen vorfand, die Rubrik „Revue der Presse", zeigte der „Germania", daß mindestens noch ein Blatt außer der „Post" an dem Denkmalsplane Anstoß ge nommen hatte. Stellt sich das Berliner Centrumsorgan so, als wären keine Gründe angeführt worden, weshalb ein staatsfeindlicher Parteimann in einer Kirchs die bei ossiciellen Gelegenheiten von den Vertretern der Behörden und vom Kaiser selbst häufig genug besucht wird, nicht verherrlicht werden dürfe, so beweist sie damit lediglich, daß sie die von ihr angeblich vermißten Gründe nicht widerlegen kann. Die schweizerische kranken- nnd Unsallversichernng, welche seit 1890 durch Volksbeschluß grundsätzlich angenommen wurde, kann nicht in Kraft gesetzt werden, so lange nicht die nöthigen Geldmittel auf außerordentlichem Wege beschafft sind. Der Bundesralh erhielt im März durch die Bundesversammlung den Auftrag, Erhebungen zu machen, wie das Versicherungswerk finanzirt werden könne. Man war anfänglich der Ansicht, daß mittels einer Politik der Ersparnisse die 7—8 Millionen Francs, die der Bund zur Unterstützung der Versicherungsreform benöthigt, er übrigt werden könnten. Allein bald stellte sich die Un richtigkeit dieser Annahme heraus. Heute ist thatsächlich fcstgestellt, daß dies nicht möglich ist; der Bundes rath selbst ist dieser Ueberzeugung. Er ist deshalb zu dem Entschluß gekommen, der Bundesversammlung die Einführung deS Tabak Monopols vorzuschlagen, welches einen Reingewinn von 6*/? Millionen Francs abwerfen würde. Um dem Volke dieses Monopol annehmbar zu machen, schlägt der Bundesrath vor, 25 Procent der Netto einnahmen zur Unterstützung der Volksschule zu verwenden. Diese bundeöräthliche Botschaft wird eine gemischte Aus nahme finden. Die Conservativen, Katholiken und ein großer Theil der Liberalen werden diese Lösung lebhaft be kämpfen, weil sie Gegner aller staatlichen Monopole sind, weil sie jedes Hineinregieren des Bundes in die cantonale Organisation der Schule verwerfen und die Furcht vor der Schaffung neuer eidgenössischer Beamten stellen seit Jahr und Tag an die Wand malen und dem Volke als Unglück denunciren. Von dieser Seite ist unter keinen Umständen eine Unterstützung der Vor lage zu erwarten. Aber auch die Freunde des Mono pols sind nicht unter allen Umständen einig. Als vor sechs Jahren die äußerste Linke die unentgeltliche Krankenpflege in Form eines Jnit at'vbegehrens zu verwirklichen trachtete und zu dem Zwecke das Tabakmonopol als Finanz quelle vorschlug, waren es gerade auch entschieden freisinnige Kreise, welche diese Initiative heftig bekämpften und alle Hebel in Bewegung setzten, um den Erfolg der Initiative zu hinter treiben. Diese Opposition gelang vollständig und die nöthigen 50 000 Unterschriften kamen nicht zusammen, so daß das Volks begehren ins Wasser fiel. Haben sich nun die Verhältnisse wesent lich geändert? Man kann das nicht behaupten. Indessen wäre es doch sehr zu bedauern, wenn das Monopol nicht Annahme fände; denn mit ihm stehl oder fällt die eidgenössische Kranken-, Unfall- und Militärversicherung, welche schon am 26. October 1890 mit 283 000 Ja gegen 92 000 Nein in Form eines VerfassungSartikels vom Volke gutgeheißen wurde. Es wäre ein nationales Unglück, würde das große Ver sicherungswerk an der Geldfrage scheitern, und wie würde die Schweiz vor dem Auslände dastehen, wenn sie ihre finanzielle Schwäche vor aller Welt klarlegen müßte? DaS DrehfuS-Drania eilt seinem Abschluß zu. Der Bericht erstatter des Cassationshofs Ballot-Beaupr« sowohl, wie der Generalvrocurator Man au haben sich, wie vorauszu sehen war, für die Revision des Dreyfus-Processes mit Verweisung vor ein neues Kriegsgericht aus gesprochen und nach der Stimmung, die jetzt in Paris herrscht, ist zu erwarten, daß die Mehrheit des Cassationöhofes ihnen beipflichtet. Aus dem Bericht Ballot-Beauprs's ist noch Folgendes nachzutrageu: * Paris, 30. Mai. Cassationshof. Ballot-Beauprö führte am Schluffe seines Berichtes aus, die Fälschung Henry's, so ver brecherisch dieselbe auch sein möge, könne nicht als Las für die Re vision nothwendige neue Factum angesehen werden. Sie datire aus dem Jahre 1896 und habe aus das Urtheil im Jahre 1894 keinen Einfluß gehabt. Betreffs der übrigen Fälschungen sei kein Beweis vorhanden, daß dieselben von Henry oder Du Paty de Clam herrühren. Für die Machenschaften, welche Du Paly de Clam an gezettelt, sei dieser allein verantwortlich. Die Behauptung Ester- hazy's bezüglich der Umtriebe Les Generalstabes verdiene keinerlei Glauben, sie sei ein Nacheact. Die einzige Grundlage für die Revision, erklärt Ballot-Beauprö, sei das Bordereau. Er habe die feste Ueberzeugung, daß es nicht von Dreyfus, sondern von Esterhazy geschrieben sei. Dieses Factum schließt die Schuld Dreyfus' aus'; denn Niemand würde begreifen können, daß Esterhazy der Urheber des Bordereau sei und Dreyfus die in dem Bordereau angeführten Docuinente geliefert habe. Vallot-Bcauprö schließt tief bewegt mit den Worten: „Die von mir beantragte Lösung würde in einer ge wöhnlichen Affäre Niemanden überraschen, aber die Leidenschaften, welche der Proceß hervorgerufen hat, haben die Frage entstellt, und es scheint fast. Laß man dem Gericht zumuthet, in seiner Ent scheidung sich für oder gegen die Armee auszusprechen. Nun denn, aus Ehre und Gewissen, ich würde meine heiligsten Pflichten verletzen, wenn ich nicht laut erklären würde, daß in dem Bordereau die Thatsache für die Revision sei!" (Bravorufe im Auditorium.) Diese mannhafte Haltung Ballot-Beauprö's wird ihren Eindruck nicht verfehlen, umsomehr, als er in Ueberein- slimmung mit dem Geueralprocurator auf das Aengstlichste bemüht gewesen ist, Alles, was zu Gunsten Dreyfus' sprach und was ihn in den Augen der Oeffentlichkeil ohne Weitere- freisprack, auszuscheiten, wenn ihm in den Augen des nach dem Buchstaben nrtheilenden Juristen auch nur der ent fernte Schein des nicht völlig Zureichenden anhaftete. Sv hat er vor Allem die Fälschung Henry'S als neue Thatsache preisgegeben, weil sie nichts für den Charakter dieses „Ehren mannes" zur Zeit des DreyfuSprocesscs zu beweisen scheint; sie datirt erst mehrere Jahre nach dem Proceß. Damit, daß Beauprs LaS Bordereau als einzige Grundlage für die Revision bezeichnet, verzichtet er auch darauf, die übrigen „neuen Thalsachen", namentlich die behauptete Mittheilung geheimer Schriftstücke an die Richter, als Revisionsgründe in Anspruch zu nehmen, und so wird wieder das Bordereau die Losungscin. Man tonnte befürchten, daß die neuen Schreibsachver- ständigen, welchemitcerPlüfungbetraut werden, daSBvrdereau doch wieder Dreyfus zuschreiben, da eine Aehnlichkeit der Schrift des Excapitäns mit der Eslerhazy'S, der nach Ueberzeugung Beauprö's und aller unbefangen Urtheilenden der Verfasser ist, nicht geleugnet werden kann. Allein der Cassationshof Hal ein, wie cs scheint, unumstößlich bewiesenes neuesjMoment darin entdeckt, daß das Bordereau nicht wie ursprünglich angenommen, vom April oder Mai, sondern vom August datirt, eine Zeit, um welche Dreyfuö gewußt hat, daß eine am 17. Mai 1894 unterzeichnete Verfügung des Generals Boisdeffre die frühere Bestimmung aufgehoben hatte, nach welcher die commandirciiden Officiere an den Herbstmanövern theilzunehmen haben. Er tonnte also nicht schreiben vais partir cm muueuvros". Auch bezüglich des Bordereaus hat Feurlletsn. Außer Diensten. 16j Roman von Ernst Wichert. Na-druck vcrdrt r. Er küßte ihre zierliche Hand. „Sie sind die Güte und Nach sicht selbst, Excellenz", sagte er. „Ich kenne nur den Doctor zu gut, er ist ein rechter Eigensinn und läßt sich schwer dreinreden. Ich hoffe, Sie werden mir nicht zürnen, wenn ich meinen Preis noch zu steigern suche. Das ist Weltklugheit, die Sie gewiß zu würdigen wissen. Vorläufig habe ich Herrn von Jttenborn mein Wort gegeben, ihm nach besten Kräften zum Reichstagsmandat zu verhelfen." „Es ist wirklich seine Absicht —?" rief die kleine Dame, plötz lich den Kopf hebend und die grauen Augen größer öffnend. „Ich kann nur bestätigen, was der Herr Graf Gunzenstein berichtet hat", erwiderte Jungenheim mit aller Gelassenheit. „Der Freiherr hat den sehr erklärlichen Wunsch, sich öffentlich aussprechen zu können, und im Reichstage pflegt man am weitesten gehört zu werden." „Aber das ist ja ein Affront für den Herzog —" „Diese Auffassung theilt er sicher nicht, Excellenz. Er hofft im Gegentheil, so Seiner Hoheit die besten Dienste zu leisten." „Lolo, kannst Du Dir vorstellen . . . Mit diesen Worten «ilte sie ihrer Tochter entgegen, die eben eintrat, und überschüttete sie dann mit den aufregenden Neuigkeiten. Das Fräulein begrüßte indessen den Kammerjunker und den Doctor aufs Freundlichste. Die Mitthcilungen der sich mehr und mehr erzürnenden Dame schienen den erwarteten Eindruck zu verfehlen. „Zunächst, beste Mama, habe ich Dir zu melden", wisperte sie, „daß der Herzog sich Dir heute zum Thee angesagt hat. Ich sprach ihn eben." Das Gesicht der Oberhofmeisterin verklärte sich. „Es ist uns allemal eine große Ehre —" „Er wollte mich gar nicht fortlassen, obgleich der Minister wartete. Wissen Sie, Herr von Jungenheim, Sie müssen heute hier bleiben und sich am Abend wie zufällig bei uns einfinden. Schicken Sie nur die Karte herein, ich werde dafür sorgen, daß der Herzog selbst Ihre Vorlassung wünscht. Sie können dem hohen Herrn dann vorgestellt werden, und das Weitere liegt in Ihrer Hand. Warum zucken Sic denn mit der Stirn? Ich habe doch nichts Dummes gesagt?" „Meine gnädige Comtesse — Sie meinen es zu gut mit mir", antwortete er, ihr offen in die Augen sehend, „überhaupt die ganze verehrte Familie . . ,Mch —! Wir sind Ihnen doch Dank schuldig. Einen guten Theil von dem Wenigen, was ich weiß, dürfen Sie auf Ihr Conto schreiben. Sie haben einen festen Grund gelegt." „Dieses unverdiente Anerkenntniß ist jedenfalls sehr liebens würdig." „Also Sie kommen?" „Es ist mir leider unmöglich. Ich habe versprochen, heute noch in Horseln zurück zu sein." Sie schmollte. „So —! Aus der Fußwanderung ist übrigens nicht viel geworden. Horseln scheint Sie verzaubert zu haben. Welche von den beiden jungen Damen ist denn die zauber kräftigste?" „Einem armen Journalisten sind beide gleich ungefährlich." Die Gräfin mischte sich ein. „Hat der Herzog die Einladung bestimmter Personen befohlen?" „Durchaus nicht", sagte Lolo und fügte lächelnd hinzu: „er wollte gemüthlich mit mir plaudern." Bevor die Herren aufbrachen, hatte sie Gelegenheit, Jungen heim zuzuzischeln: „Ich habe ihn übrigens gefragt." „Nun?" „Das sei Geheimniß seiner Mutter", antwortete er. „Seiner Mutter?" „Ja, und dabei mußte ich mich beruhigen." Als Gunzenstein und der Doctor vor das Schloßthor ge langt waren, sagte Ersterer wie entschuldigend: „Sie werden sich vielleicht gewundert haben, mich in Gesellschaft meines Bruders bei Zehlendorfs anzutreffen. Aber es war wohl nur natürlich, daß ich dem Minister von Dem Nachricht gab, was ich gestern so überraschend erfahren hatte, und daß wir dann die Sache im Freundeskreise zur Sprache brachten." „Ich bin überzeugt, daß der Freiherr gestern von diesen noch im Werden begriffenen Dingen in Ihrer Gegenwart nur des halb so offen und laut gesprochen hat, damit sie hier angekündigt würden", antwortete Jungenheim. In der Nähe der Post trennten sie sich. Bei der Rückkehr nach Horseln fand Jungenheim seinen Freund Rüttger von Blanden dort. Er hatte gemeint, nicht schnell genug seine Gcgcnvisite ab statten zu können, und war mit den jungen Damen schon ganz gut befreundet. Der gnädigen Frau schien seine burschikose Ma nier weniger zu behagen. ElftesCapitel. Auch die folgenden Tage waren voll abwechselnder Arbeit und Erholung in der schönen sommerlichen Natur. Es war plötzlich im Schlosse sehr lebhaft geworden; nach und nach fand sich die ganze Nachbarschaft ein, soweit sie sich zur Gesellschaft rechnete, auch die Frauen und Töchter wurden vorgestellt. Der Freiherr bemühte sich, den leutseligen Herrn herauszukehren, der zwischen adelig und bürgerlich, zwischen Gutsbesitzer und Pächter keinen Unterschied zu kennen schien. Das konnte nur seine Pläne fördern. Die Frau Gemahlin war nicht ebenso nachgiebig gegen die Gebote der Klugheit. Sie empfing die Gäste in feier licher Haltung und ließ sich gern von ihnen den Hof machen. Konnte sie sich auch zu gütiger Herablassung verstehen, wenn eine achtbare Familie Schulze oder Müller gemeldet wurde, die im Lande angesessen war, oder die Honoratioren aus den kleinen Städten der Umgegend aufwarteten, so litt ihr Stolz doch keine Vertraulichkeit. Sie war rasch gelangweilt, und es kam vor, daß sie sich nach einer kleinen Weile zurückzog oder ihr Fern bleiben mit Unwohlsein entschuldigen ließ; aber sie stieß nicht ge rade an und konnte, wenn sie wollte, bestechen. Wenige zeigten sich so feinfühlig, den Verkehr auf gleichem Fuße zu verlangen, und die Meisten glaubten sich auch schon durch ein huldvolles Lächeln der vornehmen, schönen Frau geehrt. Da die Würde des Hauses auf dieser Seite gewahrt war, hatte der Freiherr um so weniger Beoenken, sich — übrigens im Allgemeinen seiner Neigung gemäß — in seiner gemächlichen Weise gehen zu lassen und seine Eroberungen zu vervollständigen. Das Verhältniß zwischen den Eheleuten blieb kühl. Iduna bemühte sich wohl kurze Zeit, dem Gemahl ihre Zufriedenheit über das Eingehen auf ihre Wünsche zu erkennen zu geben, aber auch das geschah nur herablassend, und sie ermüdete überdies bald. Von der ganzen Bedeutung der Umwälzung, die sich nach Jungen- heim's Rath vollziehen sollte, hatte sie doch kaum eine richtige Vorstellung, und die Briefe, die sie aus der Residenz von den Damen erhielt, die ihr früher nahe gestanden hatten und mit denen sie allen ihren Lebensanschauungen nach doch noch immer mehr harmonirte als mit den neuen Bekanntschaften, bereiteten ihr Verdruß durch versteckte Vorwürfe, deren Berechtigung sie unmöglich ganz verkennen konnte. Sie fand nun, daß Jttenborn die ganze Sache „nicht aristokratisch genug" behandle, und fing deshalb zu nörgeln an. Es war wiederholt von einer Badereise die Rede, für die es wohl noch nicht zu spät sei. Jungenheim wieder konnte Jttenborn gar nicht demokratisch genug agitiren. „Stellst du dich auf die andere Seite, meinte er, so mußt du dir da auch volles Vertrauen verschaffen. Und ver giß nicht, daß bei dieser Wahl der ärmste Mann seine Stimme hat." Er rieth ihm, sich öfters in den Dörfern nahe bei seinen Besitzungen zu zeigen und mit den kleinen Leuten freundlich zu reden. Der Arbeitslohn könne ihnen wohl etwas erhöht und den Wilddieben eine Weile durch die Finger gesehen werden. Dem Freiherrn widerstand eine derartige Bewerbung, die den gemeinen Mann iibcrmüthig stimmen müsse, aber er hatte nun einmal A gesagt und mußte auch B sagen. An jedem Vormittag gleich nach dem Frühstück ließ er anspannen, nahm Jungenheim auf den Wagen und fuhr in der Nachbarschaft herum, sich bei den kleinen Besitzern und Len angesiedelten Arbeitern nach ihren Be dürfnissen erkundigend. Meist mußte der Doctor für ihn sprechen. Der verstand's besser, mit den Leuten in ihrer Sprache zu reden; aber er stimmte doch zu und gab das ermunternde Schlußwort. Der Landtag des Herzogthums war zu einer kurzen Sitzung einberufen. Der Freiherr von Jttenborn hatte da wegen der großen Familiengüter von Alters her eine Virilstimmc. Am liebsten hätte er dies Mal nicht Theil genommen. Er sah vor aus, daß er von den Standesgenossen beargwöhnt und zu einer Auseinandersetzung gedrängt werden würde; der Verkehr mit den Vertretern der Regierung war ihm peinlich. Aber Jungenheim stellte eindringlich vor, daß hier die Presse eine erwünschte Hand habe erlange, für ihn weiter thätig zu sein. Er fitzte seinen Eintritt durch und schrieb dann einen fulminanten Artikel, In halts dessen die Landtagsverhandlungen eigentlich nur durch die den Gegnern unerwartete Betheiligung des früheren Ministers Bedeutung erhalten zu haben schienen. Den Freiherrn verließ bei allen diesen Machinationen nicht mehr ganz das unbehagliche Gefühl, daß er seiner Natur etwas ihr Widerstrebendes zumuthrte. Wie es auch den Anschein haben sollte, daß er führte, er war in Wirklichkeit doch ins Schlepptau genommen und mußte sich nun ziehen lassen, wohin ihn die Neigung nicht trieb. Er suchte eine Ablenkung von aller hand verdrießlichen Gedanken und fand sic, wenigstens zeitweilig, bei der hübschen und munteren Emma. .Zwar bei ihrem Vater konnte er sie jetzt nicht mehr treffen. Der alte Schloßverwalter war soweit wieder hergestellt, daß er, wenn auch noch ein wenig humpelnd, seinen Dienst zu verrichten im Stande war. Jttenborn mußte darauf denken, ihr anderswo zu begegnen, und das konnte nur auf jener Seite des Schlosse gelingen, wo die Wirthschaftsräume lagen. Häufiger als noth- wendig, klopfte er deshalb jetzt an der Kajütenthür des Capitäns an. Er mußte, um zu ihm zu gelangen, ein Stück über den Hof gehen, am Milchkeller vorüber, in dem er Emma beschäftigt
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