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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.06.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990612011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899061201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899061201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-12
- Monat1899-06
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Von 1686 an, wo man von einem Juwelier Caspar Schneider füo 18 Thaler 9 Groschen 79 alt« römische Münzen taufte, bilden die Ausgaben für Münzen ein ständiges Conto, das in manchen Jahren sogar das Bücherconto beträchtlich übersteigt; unter den Geschenken, die der Bibliothek von Rathsherren und anderen Personen zugingen, waren zahlreiche Münzen, und der Rath selbst gewährte wiederholt zum Ankauf ganzer Münzsamm lungen aus den Mitteln der Einnahmstube so bedeutende Sum men, wie er sie zum Ankauf von Büchern nie hatte zu gewähren brauchen. Schon im Juni 1686 kaufte er für 900 Thaler „die von Herr Mgr. Heinrich Meyern *) collixirte alte römische und andre Münzen samt denen darzu gehörigen 29 Büchern und Be hältnissen" und 1694 für 660 Thaler da» Findekellerische Münz- cabinet, womit die Sammlung so anwuchs, daß dem Tischler für 60 Thaler die Anfertigung einer „neuen Köthe" verdungen wer den mußte. Im April 1696 gab der Rath aus der Einnahm- stube eine Anzahl älterer Reichsthaler, Ducaten, Goldgulden u. s. w. auf die Bibliothek, die zwar zunächst mit 114 Thalern Kaufpreis in dem Ausgabekonto der Bibliothek erscheinen, „weil noch nicht resolvirt gewesen, ob dieselben in die Einnahmstube ersetzet oder als eine 'Verehrung weggeschrieben werden sollen. Da aber nachgehends der Lidlivtiiec Vermögen also befunden worden, daß keine restitution daher zu hoffen, ist von E. E. Hochw. Rathe resolvirt worden, dieses Pöstlein der Lidliotlisc zu verehren." Im Oktober 1703 schoß die Einnahmstube wieder 536 Thaler „zu Erkaufung 83 Stück güldener Lleäaillen auf künftige terminliche Wiederbezahlung" vor — es waren lauter antike Goldmünzen aus dem Besitz eines Herrn von Kriegsheim; aber auch diese Summe hat sie nie zurllckgefordert und nie zurück erhalten. Am willkommensten zur Ausschmückung der Bibliothekräume waren natürlich Gemälde, namentlich Bildnisse berühmter Ge lehrten. Was die Bibliothekcasse und die Stadtcasse dazu bei trugen, war freilich nicht viel. Die Bibliothekcasse kaufte 1690 von dem schon genannten Cosnowski für 6 Thaler ein angeblich Dürer'sches Porträt (Hugenckorn primus gsnator evangelieas Korinbergao pictus ab Alberto Öurero) und bezahlte 1709 4 Thaler 5 Groschen „vor vier polnischer Könige contretuite aus einer auetiou"; der Rath schenkte 1696 zwei Kisten Bilder, die er in Dresden aus dem Nachlaß eines Obersten Starckc gekauft hatte, und von denen die eine 30 ..Oontretrüts" enthielt. Um so werthvoller war, was von einzelnen Rathsherren als Geschenk einging. Polycarp Heiland schenkte ein Bildniß des Herzogs Georg von Sachsen, von Cranach gemalt, die Gattin des Bürger meisters vr. Paul Wagner die Bildnisse des sächsischen Kur fürsten Johann Friedrich und seiner Gemahlin Sibylle, Bau meister Jacob Mayer mit Zustimmung seiner Geschwister aus dem Nachlaß seiner Eltern (seine Mutter stammte von I)r. Jo hann Bugenhagen ab) vier Cranachische Bildnisse: Luther, *) Tiakonu» an der NIkolaikirche, s 1669. Katharina von Bora, Melanchthon und Bugenhagen, der Raths herr Falckner ein Bildniß des ersten Leipziger Superintendenten vr. Johannes Pfeffinger, der Rathsherr Oktavian Bürger „zwei sehr schöne Bildnisse eines Mannes und einer Frau (tluas pieturas maris et keminae perpulckrae), Stadtrichter Pflaume ein Bildniß des Kurfürsten August von Sachsen und die Bildnisse des Cujacius und des Leipziger Rathsherrn Leonhard Badehorn, die Gattin des Rathsherrn Carpzov ein italienisches Gemälde: Johannes der Täufer, in der Wüste predigend (imago ^nturnnis daptistus in äessrtis »ä xopulum verda facisntis, a quoäam Italo pic- tore elegautissime pieta), und Oberhofgerichtsadvocat Jacobi eine tabula picta oontinena tixuras multorum tkeoloxorum Imtke- ranas et rskorinatorum aeotentiae. *) Aber auch Maler machten der Bibliothek Geschenke. Der Leipziger Maler Johann Heinrich Am Ende (der die Deckenbilder in der alten Börse gemalt hat) schenkte ihr 1692 eine Darstellung des Diogenes, der kurfürstliche Hofmaler Samuel Wotschild in Dresden 1698 ein Bild, dessen Gegenstand leider nicht genannt wird. Außerdem war eS üblich, daß die Meisterstücke der Malerinnung, die nach der Innungs ordnung an den Rath abgeliefert werden mußten, von diesem auf die Bibliothek gegeben wurden. 1697 fertigte der Tischler „einen sehr großen Rahmen" für das Meisterstück deS Malers Haarhaus. Wiederholt wurden aus der Bibliothekcasse auch Kupferstiche angekauft, so im Februar 1690 für 8 Thaler von einem stuä. tbsol. G. I. Zöllner, „em Buch mit 500 Kupferstichen von großen Herren und gelehrten Leuten", nachdem der Bürger meister vr. Wagner kurz vorher eine reiche Kupferstichsammlung geschenkt hatte, in deren Lobpreisung sich das Geschenkbuch der Bibliothek gar nicht genug thun kann. Dazu kamen dann mancherlei plastische Kunstwerke, antike und neuere, und kunstgewerbliche Gegenstände. Im Jahre 1697 kaufte Gräve aus einer Hand 9 kleine Antiken, 26 Gemmen und einige Münzen, angeblich alles aus Rom. Bürgermeister Wagner schenkte acht in Wachs gearbeitete Bildnisse in Relief, Apotheker Lincke eine Gruppe von drei aus Aloäholz geschnitzten Figuren: Mensch, Satyr und Affe, angeblich indische Arbeit, der Raths herr Kees 1692 ein mächtiges „Einhorn", auf dem ringsum laufend die Fabel von Apollo und Daphne geschnitzt war**)(eoruu monocerotis porquam elegniw, lonxituäine guntuor ulnas supe- rnns, cnvlnturu tixurnruin bumnnnrum vnriis nrborum ramm inkaerentium aämiranäum), Kaufmann Graff eine» großen venetianischen Spiegel. Unter den ethnographischen Gegenständen war das Haupt stück eine egyptische Mumie, die im December 1692 für 260 Thaler einem gewissen Daniel Lehmann abgekauft wurde-f); das Geld dazu spendete der Rathsherr Rappold. Aber schon 1687 waren „etliche zwanzig Stück alter urnarum sspulcruliuin. so zu Eilenburg ausgegraben", auf der Bibliothek „beigesetzet" worden. Bürgermeister Wagner schenkte chinesische Malereien (aliquot pioturae Siueuses), Buchhändler Gleditsch 1694 zugleich *) Die meisten dieser Nilder sind, theil» auf der Bibliothek selbst, theil» im städtischen Museum, noch vorhanden. **) Jetzt im Kunstgewerbemuseum. f) Jetzt im Museum für Völkerkunde. mit dem schon genannten Koran ein „türkisches Hemd" und zwei türkische Amulette, Kaufmann Zeh eine indische Stickerei, und ge kauft wurde 1707 „ein rar indianisch Messer". Dazu kamen ferner Globen und allerhand mathematische und physikalische Instrumente. Globen wurden wiederholt von Raths herren geschenkt, Erd- und Himmelsgloben, vön Bleu in Amster dam und von Coronelli in Venedig bezogen. Gekauft wurden im April 1692 für 18 Thaler „zweierlei holländische micro- soopia, so des seligen Herrn v. Stießers gewesen"; 1693 wurden 24 Thaler bezahlt „vor ein groß englisch Llioroeeopium und einen schönen reinen gläsernen Brennspiegel", 1694 100 Thaler sür allerhand Instrumente „aus des sel. Herrn SpenerS musco", die früher im Besitz des Obersten Titel gewesen waren (ein Jtinerarium, «in Quadrant, ein Schrittzähler, ein hohler Glas spiegel, 28 Objectivgläser, „ein Magnet, so 3 Pfd. zieht", „ein tubus mit messingenen Röhren" u. s. w.), und 1701 nochmals 13 Thaler für ein Mikroskop, das von Thomas Solger in Dres den, dem „Kirchner zur lieben Frauen und Opticus", bezogen wurde. Der Rathsherr Seidel schenkte eine Wasseruhr, Raths herr Fleischer einen Behälter mit mathematischen Instrumenten (tüsou vui'iis instrumoutis wutdemuticis pleuu. äiligeutissims kuotis), Rathsherr Jöcher eine Luftpumpe und Rathsherr Gott fried Winkler kurz darauf noch eine zweite, neuer«, die der Leip ziger Mechaniker Jakob Leupokd verfertigt hatte. Dazu kamen endlich noch Naturalien aller Art bis herab zu den Curiositäten im heutigen Sinne des Wortes. Das Beste darunter waren die Mineraliensammlungen, wie sie höhere Berg beamte, wohl auf Bitten Gräve's, eingesandt hatten, so 1689 Hans Beit Schnorr in Schneeberg, 1672 der Oberberghaupt mann Abraham von 'Schönberg in Freiberg und der Geh. Rath Johann Christian Orschal in Arnstadt. Aber auch Leipziger, wie die Rathsherren Pflaume und Georg Bose, schenkten ganze Sammlungen. Einzelheiten, die sich einstellten, waren z. B. das Skelett eines Judenkindes, die Gehörknöchelchen eines Kindes, die Nachbildung eines menschlichen Auges aus Elfenbein, ein Para diesvogel, ein Eisvogel, eine indische Bohne, ein 'Gewächs aus einem Ochsenmagen (pila. 6 veutricuio tuuri axsscta), ein „gar gemacht Rauchfell von einem zweiköpfigen Kalbe"; alles wurde dankbar angenommen, gewissenhaft verzeichnet und sorgfältig aufgehoben. Sogar eine „grüne Raupe" wurde „in einen spiri- tum eingesetzt", „ingleichen eine in einer andern Citronr «in- zc: .'achsene Citronr" und „zween junge weiße Sperlinge, welche aber, sobald sie in den spiritum kommen, die weiße Farbe größtentheils verloren und eine graue gewöhnliche Sperlings farbe über den ganzen Leib angenommen". Soviel aber auch für die Bibliothek in den ersten dreißig Jahren nach ihrer Stiftung geschehen war, eins 'hatte man doch versäumt und, wie es scheint, ganz aus den Augen verloren: sic nach der testamentarischen Bestimmung ihres Stifters „der studierenden Stadtjugend innerhalb der Ringmauer" zugänglich zu machen. Man freute sich des kostbaren Besitzes, war fort und fort auf seine Vermehrung bedacht, zeigte ihn auch dem und jenem, der ihn zu sehen wünschte, was immer etwas umständlich war, denn der ..Lidliotiiscurius" war im Rathhause, war dort beschäftigt und konnte sich nicht zu jeder Stunde mit ins Zeug haus begeben. Aber im Ganzen war doch die Bibliothek mit all ihren Herrlichkeiten ein verriegelter und versiegelter Schatz, der Niemand etwas nützte. Die Hauptschuld an dieser Versäumniß trug ohne Zweifel der Mangel eines Katalogs. Von der Bibliothek des Stifters war zwar schon im Jahre 1677 gleichzeitig mit der Jnventarisirunz seines gesammten Nachlasses ein gutes, genaues Verzeichniß an gefertigt worden. Alles aber, was seit 1677 hinzugekommen war, war unverzeichnet. Gräve hatte daher schon am 31. Ma: 1693 folgenden Vortrag beim Rathe eingereicht: „Nachdem bei E. E. Hochw. Raths liidlintstec ein richtiger und vollkommener Outalogus ermangelt, welcher gleichwohl um vieler Ursachen willen sehr nöthig ist, und zwar der Oberstadtschreiber sich zeit- hero angelegen sein lassen, darzu zu gelangen, jedoch mannich faltiger Hindernissen halber solchen nicht zu Stande bringen können, und aber derselbe nicht länger zu entrathen ist, als wird ohne Maßgebung vorgeschlagcn, ob E. E. Hochw. Rath geschehen lassen wolle, daß ein oder zweene darzu geschickte und treue stuäiosi darzu gebrauchet werden, deren man sich durch rcvers; versichern könnte, und weil es ohne Entgelt einem nicht wohl zuzu nmthen, ob E. E. Hochw. Ruth aus dessen Einnahmstube ihrer jedwedem wöchentlich etwan einen Thaler zur Ergetzlichleit reichen lassen wolle; der Oderstadtschreiber würde sodann Sorge tragen, daß zwischen äatv und Michaelis der Bücher-Oatnlagus ver fertiget werden möchte, welcher hierüber wohlgedachten Raths resolution förderlichst erwartet." Auf diesen Vortrag war aber kein Beschluß gefaßt worden, und Gräve scheint auch nicht darauf zurückgekommen zu sein, aus den Rechnungen der Jahre 1699 fz. gewinnt man den Eindruck, als ob sein Interesse für die Biblio thek später etwas nachgelassen hätte. Erst am 20. Juni 1708 wird wieder in der Engesitzung des Rathes vorgetragen, es werde gebeten, daß Jemand „zurftidliotüec zur Verfertigung der catn- logorum bestellet werde". In Vorschlag kam ein Kandidat der Theologie, Mgr. Groschupf, der schon gelegentlich auf einer Uuction Bücher für die Bibliothek erstanden hatte und ein Bücher freund gewesen zu sein scheint. Man beschloß, es solle mit ihm geredet werden, was er für die Arbeit fordere, auch sei er „mit Pflicht oder eidlichem revers zu verbinden". Am 14. Juli stellls Mgr. Henrich Augustin Groschupf, littcraruin sncraiuni cultnr, folgenden Revers aus: „Nachdem E. E. Hochweisec Rath der Stadt Leipzig mir aufgetragen, über die Bücher in dessen ftil-Iio- tüee einen vollkommenen Ontnloxum sowohl nach denen mutcrmn als Namen derer äuctorum, cclitorum und andern, so elwas dar bei gethan haben, zu verfertigen, so verspreche ich hiemit, daß ich mich an dieser Verrichtung getreulich verhalten, die Thören wohl verwahren und verschließen, die Schlüssel niemano anders geben, die Bücher und alles, was sonst auf der Kil-Iiutlioe ist, in guter Acht haben, nichts davon, was cs auch sei, verwenden, ver tauschen oder auf andere Weise von Händen kommen lassen, ohne besondere Einwilligung nichts darvon mit nach Hause nehmen, noch dergleichen andern verstatten, die Katalogs nach allen I'acultütcn und Abtheilungen nach der vorgeschriebenen Art, oder wie es weiter angeordnet werden möchte, mit allem Fleiße ferti gen, auch solche Arbeit, so viel immer möglich, befördern, keinen Frembden ohne des Herrn Vorstehers Vorbewußt und Bewilli gung auf die ftil-liotücc führen noch ackmittireii, auch im übrigen E. E. Hochw. Raths und des Herr Vorstehers Anordnung mich gemäß bezeugen, darwider nicht handeln, auch der ftidliotliec Feuilleton. Ein friedliches Spiel. Von HanS Siegelt. Nachdruck verboten. Die Schänke war von jeher der Mittelpunct des gesellschaft lichen Lebens von Tellerhäuser. Hier suchte sich der biedere Waldarbeiter nach sechstägigem schweren Schaffen die sonn tägliche Erholung bei einem friedlichen Scat; hier drehten sich Sonntags die Paare in wirbelndem Tanz nach den Tönen eines altersschwachen Leierkastens, dessen höhere Pfeifen, wenn sie einmal angeblasen waren, aller Harmonie zum Hohne fort quiekten, bis die Welle ihre Umdrehung beendigt hatte; hier sand alljährlich am zweiten Weihnachtsfeiertage jenes große, von Alt und Jung sehnlichst erwartete Concert statt, in dem eine wandernde Truppe einem kunstverständigen Publicum von Tcllerhäuser die Kinder der heiteren Muse, wie „Eins, zwei, drei — bei der Bank vorbei!" oder „O du Veronica — ha ha ha!" gegen Erlegung von zwei guten Groschen darbot; hier endlich trug der Obernhaus-Christian, der Gelegenheitskomiker deS Dorfes, zweiundfünfzig Mal im Jahre „auf vielseitigen Wunsch" die einzige und schönste Nummer seines Repertoires vor: „Ach, als alte Jungfer sterben, muß doch gar zu schrecklich sind". Gottlieb Poller, oder, wie er seit einem halben Menschen alter hieß, der „alte Lieb", der Wirth, saß heute in der ge räumigen Gaststube am Hinteren Ecktisch und studirte mit ernster Miene im Amtsblatt. Das that er jeden Tag. Al» Christ und Mensch hätte er gern auf diese» Vergnügen verzichtet, aber als Wirth mußte er seinen Gästen, die selbst nicht» lasen, stets etwas zu erzählen wissen, als Gemeindevorstand und weltliche» Oberhaupt von Tellerhäuser endlich mußte er dir Bekannt machungen sämmtlicher Behörden studiren mit heißem Bemühen. Sein bartloses, freundliches Gesicht war heute nm einem dicken Tuch umwickelt, denn Gottlieb hatte „ZähMieting". Da ging die HauSthür. Ein kräftiger Tritt wurde hörbar, da» bekannte Stampfen, da» die Stiefeln vom Schnee befreien soll, ließ di« Fenster erzittern, und herein trat Teumer, der Förster. „Glick auf, Gottlieb!" grüßte der Förster. „Äelick auf, Herr Farschter!" sagt« Gottlieb. „Ihr halt eich doch en rächten Beißkorb nagericht — woS Hots dä? Epprr ZLH-Wieting?" fragte Jener. „I nu, de richting Zäh-Wieting sei» nett; '» thut när eitel asu lummern", antwortete Lieb. „Ham Die sich dii heit aa rauSgemacht bei dann grüßen Schnee?" fuhr er fort. „DaS ka bei unnerenn ntscht halfen, un wenn» Pudelmützen schneie thut." „WoS trinken Se dä, Herr Farschtrr?" „A Tippl Bier, Gottlieb!" sagte der Förster, sich setzend. Gottlieb ging hinaus. Das Winterstroh, das auf den Dielen ausgebreitet lag, wickelte sich um seine mächtigen Filzschuhe, und als er bis zur Thür gelangt war, hatte er einen leidlichen Berg von Stroh vor sich zusammengeschoben. „Gustel", rief er seiner Frau zu, „namm amol ne Baasen un stuß dos Struh awink ausenanner!" Gustel, die gerade im Begriffe war, einen neuen Klöppel sack zu stopfen, stand auf und befreite ihren Mann von dem zudringlichen Stroh, wie sie jeden Tag unzählige Male that. Gottlieb holte Bier. Unterdessen kam ein anderer Gast, Barthel, der Waldwärter. Er begrüßte seinen Vorgesetzten und nahm an dem Tische desselben Platz. „Jech ho Sic reigieh saah, un do dacht ich: Kehrscht aa amol ei!" nahm Barthel das Wort. „Un wenn Ihr mich nett gesaah hett, do wärt Ihr aham gange, galle, Barthel?" fragte der Förster. „Dos ka ich itze nimmer soong", redete sich Barthel heraus. Da kam Gottlieb mit dem Bier. „Jnusse Christisgeesis — do is doch aa dor Barthel; host Du Dich dä aa rausgemacht heit?" rief er, indem er dem Gast die Hand gab. „Jawohl, was glaubst Du denn? Un Wenns Klippelseck schneie thut — mir sei in Wald! Epper nett, Herr Farschter?" „Jawohl, un Wenns Klippelsick schneie thut!" bestätigte der Förster. „Sog amol, Gottlieb, hoste epper Zäh-Wieting?" fragte Barthel theilnehmend. „Ich denk när, de richting Zäh-Wieting sei'S nett, 'S thut när eitel asu lummern." „Nu, do loß när zulummern — itze hui mor när amol a Tippl Bier un vornwag a SchnapSl, doß dor Moong nett dorschrickt!" befahl Barthel. Gottlieb ging zunächst bi» zur Thür. Hier wartete er, bis Gustel ihn mit dem Besen vom Stroh befreit hatte, und dann eilte er hinaus, um mit „Pfeffermünz" und Bier die leiblichen Bedürfnisse de» Waldwärters zu befriedigen. Friedlich saßen die Drei beieinander. Die Waldmänner rauchten Tabak, der alte Lieb, der nicht rauchte, hatte sich von Auguste „a Schalle Kaffee" bringen lassen, und die Zeit verging unter allerlei wichtigem Gespräch schnell und angenehm. Da ertönte wieder die Klingel der Hau»thür. Eine kräftige Stimme sang: „Ich bin der kleine Postillon, Die ganze Welt bereis' ich schon. Halft, hallo, mein Horn hat Klang, Drum reis' ich mit Gesang!" „Der Prienger-Schuster!" riefen die Drei wie au» einem Munde. Die Thür öffnete sich. „Die Kaiserliche Post ist da — guten Tag, meine Herrschaften!" So führte sich Priegner ein. Die Anwesenden lachten. „Mir dachten, Du kämst gar nett bei dann tiefen Schnee", sagte Lieb. „Un wenn Hietgunge vunn Himmel roporzeln — die Kaiser liche Poft ist zur Stelle!" renommirte Priegner selbstbewußt. „Na komm när haar un ruh Dich awink aus!" sagte Lieb. Priegner setzte sich zu den Uebrigen, jedem herzhaft die Hand schüttelnd. „Host epper Zäh-Wieting, Gottlieb?" fragte er. „De richting Zäh-Wieting sei's nett, 's thut när eitel asu lummern", erklärte Lieb aufstehend. „Jnu, wenn's när kümmert, do is nett gefährlich; oder wenn mor de Zäh-Wieting asu schlimm Hot, doß mor en Flaaderwisch for en Stiefelknacht ahsieht, nochert giebts fei nischt ze lachen!" meinte Priegner. „Naa, asu schlimm is nett", erwiderte der Wirth. „Nu, do käste früh sei!" Gottlieb ging, um dem Postboten das alltägliche Quantum Feuerwasser zu holen, nicht, ohne daß Gustel noch einmal den Klöppelsack mit dem Besenstiel hätte vertauschen müssen. Er war eine wetterfeste Natur, dieser Priegner-Schuster. Viele Jahre hatte er vordem gewissenhaft das männliche unv weibliche Schuhwerk von Rittersgrün mit Pechdraht, Hammer und Ahle bearbeitet und mit liebevoller Sorgfalt Seitenfleck auf Seitenfleck gefügt. ES gab wenige unter den Rittcrsgrüner Stiefeln, deren Daseinsberechtigung Meister Priegner nicht mit kundiger Hand und gewichstem Schuhdraht in das rechte Licht gesetzt hätte. Schließlich aber, als das Walddorf Tellerhäuser an die Post von Rittersgrün angeschlossen worden war, hatte Priegner daS ehrsame Handwerk an den Nagel gehängt, um fortan die höchste menschliche Ansiedelung des Erzgebirges mit Briefen und Packeten, Zeitungen und anderen schönen Dingen zu beglücken. So bildete er gewissermaßen die lebendige Ver bindung zwischen der abgeschiedenen Waldeinsamkeit und der stets betrogenen, geschäftigen Welt. Auch heute hatte er den beschwerlichen Wog von RitterSgrün nach Tellerhäuser zurückgelegt. S „Spiel mor epper L Stund, Herr Farschter?" fragte er. „Meintwaang — iDh mach a Stund miet; woS well mor dä spieln?" sagte derZFörster. „Jnu, ich denk haM a Scactl", schlug Barthel vor. „WoS willst Du M mit Scat!" erwiderte Priegner gering schätzig, „Du käst dochliischt. Well mor lieber „Alter un Baster zam" machen!" I „Awos, iech ne SF-t nett kenne?" wetterte Barthel, „iech ho ne schu gekennt, do bchst Du noch en Zulper for a TobakSpfeif ahgesaah!" » „Dos ka schu scki, Mancher larnts aam in Laam nett!" sagte Priegner trockqn. „Nu Du warscht morsch doch nett epper larne welln, Du armsalig» Weibfalle Du!" „Jnu, wenn Du mor vorsprichst, doß De richtig off dor Ratt spanne willst, nochert will ich dorsch schu larne!" „Do härt oder doch Alles auf!" polterte Barthel. „Itze will dor Prienger-Schuster mir, ne Wolbwärter Barihel, Scat- spieln larne! Steck Du doch lieber bei Nos in Deine Lcsten un nett in meine Spielerei!" „For Diech bi ich dor Herr Kaiserliche Postbut »August Priegner — verstanden? Du hast gar kaa Rächt, mich Prienger-Schuster ze haaßcn!" rief Priegner. „Wenn die Litenei asu fort gicht, sitzen mor morng früh aa noch un warten off's Lusgieh", mischte sich Lieb in den Streu der beiden Kampfhähne. „Itze ward geluhst, wos gespielt ward", entschied der Förster. „Barthel, Ihr nammt zwee Schwefelhölzle in de Hand und der Priegner thut ziehe!" Barthel gehorchte. Er nahm zwei Streichhölzchen, brach von dem einen ein Stück ab und verbarg in jeder Hand eins. „Nu paß auf", sagte er zum Schuster, „dos lange Holzl bedett Scat un das korze Alter un Baster zamm; wos willste" — er mischte zur größeren Vorsicht die Loose noch einmal unter dem Tisch — „doß De fei nett guckst! — also wos willste, Scat oder Alter un Baster zamm?" „Alter un Baster zamm!" sagte er. Der Förster und der alte Lieb wollten platzen vor Lachen. „Dos iS die Geschieht vun Kaas un dun Staa!" sagte der Förster. Bvrthel legte gedrückt «die beiden Hölzer hin. „Dann Ding warsch asu hicgetha!" meinte er. „Ja", entgegnete Priegner achselzuckend, „wos Rächt is kimmt wieder!" „Nu well mor oder lusmachen!" commandirte der Förster „fix, abheben!" Jeder der Spieler hob eine Karte ab zur Bestimmung des ersten Geber». „Der Kaiserliche Postbut hot's hechste", sagte Barthel, „Kaiserlicher Postbut, Du mußt ahgaam!" „Jech bi schu drüber." Priegner mischte geschäftig die Karten und theiltc Jedem die üblichen acht Blätter zu. Barthel eröffnete das Spiel mit dem Grün-Daus. „Grienerzen sengt mor, Wenns donnert", sagte er und legte sein Blatt auf den Teller in der Mitte. „Grün ist die Hoffnung", sagte der Förster und gab die Grün-Sieben zu. „Dos ward nett gelitten", entschied Lieb. Er stach mit dem Schell-Daus. Priegner überstach mit dem Schellunter: „Do sitzen de Musikanten!" rief er und nahm den Stich herein. Lieb war sehr überrascht. „Dos hett ich mor nett traame lassen!" meinte er. „Galle, mor sollt'« nett denken, doß de Katz Schmaar frißt" sagte Priegner. Nun spielte dieser die Schell-Zebn auS: „Ich will arscht amol menn Ma suchen, do — de Zaahne macht a verwerrt» .spiel!"
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