Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.06.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990613014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899061301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899061301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-13
- Monat1899-06
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
140 Millionen Mark oder nahezu 22 Proccnt, gewachsen, msthin mehr al- viermal so stark, als die Zunahme der Bevölkerung in dem gleichen Zeiträume betrug. Die größte Zunahme trat von 1895/96 auf 1896/97 mit beinahe 70 Millionen Mark ein, worunter sich allerdings auch die Wirkungen der Aenderungen deS Branntwein, und ZuckersteuergejetzeS mit zusammen beinahe 20 Millionen Mark geltend machten. Ihr kommt die Ertragssteigerung in dem soeben abgeschlossenen Jahre mit rund 48 Millionen Mark am nächste». Der Jsterlrag an Zöllen und Verbrauchssteuern hat in dem letzten Jahre den in dem Etat veranschlagten Betrag um nicht weniger als 81 Millionen Mark überstiegen und ist selbst um 40 Millionen Mark höher, als der Ertrag der Zölle und Verbrauchssteuer» in dem Etat des laufenden Jahres veranschlagt ist. Diese dauernd günstige Gestaltung der wichtigsten Reichs einnahmen hat zur Folge gehabt, daß den Bundesstaate» nicht nur regelmäßig die von ihnen in Form von Matricularumlagcn ge zahlten Zuschüsse zu den ReichSkosten in vollem Betrage in Form von Uebrrweisungen erstattet sondern ihnen darüber hinaus aus Reich?» Mitteln ein Beitrag zur Bestreitung ihrer eigenen Ausgaben gewährt werden konnte. Dieser Beitrag hätte sehr viel größer sein können, wenn nicht seit einigen Jahren ungefähr Dreiviertel des ganzen Ueber- schnsseS des Ertrages der der Klausel Franclcnstein unterliegenden Steuern, also der Zölle, Tabaks-, Branntwein-, Verbrauchs-, Börsen- und Lotteriestener, zum Zwecke der Verminderung der Reichs schuld in der RcichScasse zurückbehalten worden wären. Immerhin haben sie im Jahre zwischen 13 und 16 Millionen betragen. Angesicht? der Thatsache, daß schon im letzte» Jahre die Zölle und Ver- brauchsstcuern 40 Millionen Mark mehr erbracht habe», als für 1899 von ihnen erwartet wird, und die steigende Bewegung der Erträge nach den vor» liegenden Ausweisen noch ungeschwächt sortdauert, so sind auch dieAuSsichten für das lausendeJabr überaus günstige. Dauerndes starkes Anwachsen der Einnahmen und Ucberschüsse aus Zöllen und Verbrauchssteuern ist daher die Signatur des letzten finanziellen Jahrfünfts im Reiche und sein charakteristisches Merkmal die Thatsache, daß diese Zunahme ohne jede fiskalische Er» Höhung der Zoll- und Steuersätze erfolgt ist und somit aus- schließlich aus Rechnung der Verbrauchsfähigkcit, d. h. der Einnahmen und der Wohlhabenheit der Bevölkerung zu stellen ist. Ist daher die finanzielle Lage des Reiches eine glänzende, so ist ihre Grund- läge, die steigende Wohlhabenheit des Volker, die denkbar sicherste und Dauer versprechende." Es kann hiernach keinem Zweifel nnterlieyen, haß die Kosten selbst für eine weitgehende Verstärkung ver deutsch en Flotte aus denlaufendenNeichöeinnahmeu ohne Steuererhvhnng bestritten werden können, zumal da diese Ausgaben sich auf einen Zeitraum von wenigstens 4—5 Jahren vcrtheilcn würden. D Berlin, 12. Juni. Der Kaiser und die Kaiserin kehrten gestern gegen 6 Uhr von Grünau nach Berlin zurück. Die Abendtafel, zu welcher Admiral Hollmann eine Einladung erhalten hatte, fand im Schloß Bellevue statt, von wo die Majestäten ins königl. Schloß zurückkehrten. Heute hörte der Kaiser von '/«IO Uhr ab die Vorträge des Chefs des Civil- cabinetS llr. v. LucanuS, deS Staatssekretärs des Neichs- Marine-AmtS Tirpitz und des Chefs des Marine-Cabinets v. Senden - Bibran. Nach der Mittagstafel wohnten die Majestäten dem Nennen des Berlin-Potödamer Ncitervereins in Sperlingslust bei. Die Kaiserin hatte am Vormittag die Ausstellung für Krankenpflege in der Philharmonie besucht und hierauf dem Zufluchtshaus Sichar bei Plötzensee «inen Besuch abgestattet. D Berlin, 12. Juni. (Telegramm.) Der Colonial rath trat heute Nachmittag unter dem Vorsitze deS DirectorS Ur. v. Buchka zu einer neuen Tagung zusammen. Dem Colonialrath gingen zu: der Entwurf einer Verordnung, betr. die Einführung des deutschen Maß- und GewichtS- systemS für das südwestafrikanische Schutzgebiet, die Denkschrift über das Gutachten der Professoren Koch und Kohlstock, betr. die Errichtung eines tropischen Gesund heitsamtes, und der Gesetzentwurf, betr. die Vorbildung der Colonialbeamten. D Berlin, 12. Juni. (Telegramm.) Die „Nordd. Allgem. Ztg." vernimmt, daß die Audienz, in der der deutsche Gesandte dem Kaiser von China den Schwarzen Adlerordcn und der Kaiserin-Regentin zwei kost bare Girandolen überreichte, befriedigend verlief. Der Kaiser legte sogleich die Ordensinsignien an, während die Kaiserin ihre lebhafte Freude über das geschmack volle Geschenk ausdrückte. Beide dankten dem Kaiser Wilhelm durch die hiesige chinesische Gesandtschaft telegraphisch. „ES zeigt sich", fährt das Blatt fort, „daß die entschiedenen deutschen Maßnahmen und die Art ihrer Durchführung weit davon entfernt sind, die beiderseitige» Beziehungen zu beein trächtigen, daß sie vielmehr bei der Regierung und Bevölke rung Chinas von guter Wirkung waren. Nicht allein, daß die chinesische Regierung in der Missionarsrage sich zu energischen und hoffentlich durchgreifenden Vorkehrungen aufraffte, sondern es ist auch sicher anzunehmen, daß die Anwesenheit des deutschenDetachementsaufdie glücklicheAbschließungdeSTientsin- Tschnikiang-Eisenbahn-VertragS fördernd und beschleunigend einwirkte. Die Meldung ausländischer Blätter, daß China gegen die Deutschen in Schantung ein feindseliges Vor gehen plane, erwiesen sich als Erfindungen. Es sei zu hoffen, daß der von uns in Peking und Schantung erzielte Eindruck nachhaltig bleibe und die chinesische Regierung sich an die Entschiedenheit ver Europäer auch im Innern deS Landes gewöhnen lerne. — Der Centralvorstand der nationalliberalen Partei trat gestern Mittag im Reichstagsgebäude zu einer Sitzung zusammen, in der der Jahresbericht erstattet und verschiedene andere geschäftliche Angelegenheiten erledigt wurden. Nachmittag vereinigte sich der Centralvorstand mit den beiden nationalliberalen Fractionen des Reichtages und des preußischen Landtages zu einem Fest mahl im Zoologischen Garten, das einen sehr angeregten Verlauf nahm. — Die constiiuirende 'Generalversammlung der neuen Drechsler-Zwangsinnung in Berlin fand vorgestern im Bürgersaal deS Nathhauses statt. Infolge der Agitation der Socialdemokraten waren die Meister zahlreich erschienen, es waren etwa 280 zur Stelle. Zum Obermeister wurde Drcchslermeister Friedrich Schulz, rin Gegner der Innung, mit 149 von 279 Stimmen gewählt. Der bisherige Obermeister Karl Jacob, Ritlerstraße 86, für den die bisherigen Innungs meister geschlossen eintratcn, unterlag. Bei der Wahl der Bei sitzer siegten die Socialdrmokraten, die ihre Liste, aus der sich auch ein früherer Anarchist befindet, mit etwa 25 Stimmen Mehrheit durchbrachten. Die Uebernahme des Vermögens der alten Innung in Höhe von etwa 27 500 c.// (4200 -// Cassenbestand der Meisterkrankencasie, 17 300 c/k Ver- mögen der Sterbecasse und rund 6000 ckk Bestand der Unter- stützungscasse) wurde von der neuen Zwangsinnung abgelehnt. — Den allgemeinen Boykott hat die Berliner Ge- werlschaslScommission soeben über eine Anzahl Berliner! Sckubwaa reu handln ngen verhängt. Die Arbeiter Berlins werden aufgefordert, keinerlei Einkäufe in diesen Geschäften zu machen. Es bandelt sich dabei nm die Nieder lagen einer Firma, die schon früher Differenzen mit ihren Arbeitern hatte und sckion einige Zeit unter vem Boykott stand, der wegen Wirkungslosigkeit aufgehoben werden mußte. Ob der neue Boycolt Erfolge erzielt, muß abgewartet werden. — Ablwardt muß sich immer mehr der Freunde aus dem antisemitischen Lager erwehren. Sein „Deutsches Schwert" vom 4. Juni schreibt, nachdem eS seine Reden und Reisen ausgezählt hat: „Es berührt recht schmerzlich, wenn man angesichts solcher Arbeitsleistungen, denen die glänzendsten Erfolge zur Seite stehen, die Wahrnehmung machen muß, daß andere Personen, die angeblich auch aus antisemitischem Boden stehen, im klebrigen aber durch er heblichen Eifer sich nicht auszeichnen, die Erfolge des Herrn Ahl- warbt durch alle möglichen Kassiber wieder zu zertrümmern suchen! Herr Ahlmardt bekämpft nie einen Antisemiten weder offen noch heimlich und die große Centralorganisation, die er jetzt zu schassen im Begriff steht, soll anderen Antisemiten niemals hindernd in de» Weg treten, aber die Kassiber, die überall hinter ihm her- laufen, möchte er sich Loch für die Zukunft verbitten I" * Kiel, 11. Juni. Zn der Nachricht, daß die deutsche Marineverwaltung bei der dänischen Regierung den Antrag gestellt habe, gegen ein Esbjcrger Blatt die öffentliche An klage wegen Beleidigung deutscher Matrosen vom Aviso „Zielen" zu stellen, bemerkt die „Kopenhagener National Tidende", daß nach dänischem Recht eine öffentliche Anklage wegen Beleidigung nicht zulässig sei. Man kenne in Dänemark nur die Privatklage, auf die auch die deutsche Marineverwaltuug zu verweisen sein würde. Von diesem Thatbcstande habe die dänische Regierung das deutsche Marineamt in Kenntniß gesetzt. Die dänischen Behörden würden aber vielleicht aus freien Stücken eine Untersuchung einleiten und dem Marineamt Mittheilung machen, ob und in welchem Umfange die erhobenen Vorwürfe berechtigt gewesen seien. Das Esbjerger Blatt hatte das Verhalten der deutschen Matrosen im Allgemeinen getadelt und insbesondere behauptet, daß sie sich Verbrauchögegenstände ohne Bezahlung angeeignet hätten. (-) Emden, 12. Juni. (Telegramm.) BeiderReichs- tagS-Ersatzwahl im ersten Hannoverschen Wahlkreis am 8. d. M. erhielt nach amtlicher Ermittelung von 15 818 ab gegebenen Stimmen Graf zu Inn- und Knyphausen lcöns. Hosp.) 8507 und Agena (nat.-lib.) 7301 Stimme. Ersterer ist somit gewählt. * Weimar, 11. Juni. Der Großherzog wird seinen 81. Geburtstag (24. Juni) auf Schloß Dornburg an der Saale feiern. r. Gera, 12. Juni. Der Landtag unseres Fürsten- thumS trat heute Morgen wieder zusammen, Staatsminister Engelhardt eröffnete ihn mit dem Hinweise, daß seine Tätig keit hauptsächlich von den Gesetzentwürfen in Anspruch ge nommen werden würde, die mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Verbindung stehen. * Darmstadt, 12. Juni. (Telegramm.) Der Groß- Herzog ist an den Varioloiden (leichtere Form der natürlichen Pocken) erkrankt. Nach dem von der „Darm städter Zeitung" veröffentlichten Krankenberichte war bereits gestern eine Besserung in dem Befinden deS hohen Patienten eingetreten, die beute fortschreitet. Die Großherzogin ist gestern mit der Prinzessin Elisabeth auS England hier ein getroffen. * Karlsruhe, 11. Juni. Eine merkwürdige Geschichte von der Verhängung eines Stubenarrests für einen Be- zirkSarzt erzählt die „Bad. LandeSztg." folgendermaßen: „Der Bezirksarzt von Tri berg wurde kürzlich in seiner Eigen schaft als Reserveofficier von dem Major deS Meldeamtes Triberg eines Abends dienstlich aufs Meldeamt gerufen. Der Bezirksarzt erschien nicht, entschuldigte sich jedoch am anderen Morgen, daß ihn sein ärztlicher Beruf zu einer Wöchnerin gerufen habe, so daß es ihm unmöglich gewesen sei, zu erscheinen. Schon aber war vom Meldeamt die Meldung des Dienstvergehen- an- Bezirks- commando nach Donaueschingen abgegangen, von wo dem Bezirks- arzt dann ein zweitägiger Stubenarrest auferlegt wurde. Wir haben vor unserer militärischen Organisation die aufrichtigste Hoch- achtung, allein Arzt und Stubenarrest — man braucht diese beiden Worte nur nebeneinander zu stellen, um sofort den unversöhnlichen Widerspruch zu fühlen I Gewiß hätten die bestehenden Vorschriften auch eine andere Regelung der Angelegenheit ermöglicht, und die Verantwortung für die naturwidrige Maßregel, durch die den Kranken der Arzt aus zwei Tage entzogen wird, trifft in erster Linie die Personen, die es nicht verstanden haben, die Forderungen deS militärischen Dienste- in Einklang zu bringen mit der Rücksicht auf die wichtigen BerusSpflichten de? Arzte-, der Hu jeder Stunde deS TageS und der Nacht bereit sein muß, ans Krankenlager zu eilen. Aber auch im System muß eine Lücke vorhanden sein, wenn dasselbe die Mög. lichkeit einer derartigen unglückselige» Maßregel offen läßt. Wir zweifeln keine» Augenblick daran, daß der Fall den Anlaß zu Bestimmungen gebe» wird, die eine Wiederholung eines solche», dir besten VolkSkreise im Innersten aufregenden Vorkommnisses un- möglich machen. Wie um dir Absurdität de» ärztlichen Stuben arrestes recht deutlich vor Augen zu führen, schoß sich ein Ein- wohiier von Triberg eine Kugel in Len Kopf, während der Bezirks arzt im Stubenarrest saß und ein anderer Arzt nicht auszutreibrn war; der Selbstmordversuch wäre wohl von Erfolg begleitet gewesen, wenn nicht der Bürgermeister von Triberg, der glück licherweise pensionirter Officier ist, den Bezirksarzt unter Neber- nähme der Verantwortung veranlaßt hätte, den Stubenarrest zu brechen und dem Schwerverletzten zu Hilfe zu kommen, der dann mich am Leben erhalten wurde. Der ganze Fall spricht in Anbetracht der besonderen Umstände, von der Wöchnerin bis zum Selbstmordcandidalen, eine so beredte Sprache, daß wir Weitere- nicht hinzuznsügen brauchen." * Ttrasjlmrg, 11. Juni. Aus Furtwangen wurde bekanntlich dieser Tage über einen Oberamtsrichter auö Triberg berichtet, daß sein Glaubenseifer ihm verboten habe, in Furtwangen mit dem altka tholischen Bischof Di. Weber an der gleichen Wirthstafel zu speisen. Die Centrumspresse hat für den Eiferer, der sich so weit vergaß, kein Wort der Mißbilligung; sie ist vielmehr geneigt, ihm eine Art von confessioneller Bürgerkrone zu überreichen, weil mit Herz und Nieren auch sein Magen sich widerspenstig gegen den alt katholischen Bischof erwies. Dies veranlaßt die „Straßburger Post" zu folgenden Bemerkungen: „Wenn schon die gewöhnliche Politik die guten Sitten verdirbt, die Kirchenpolitik scheint in diesem Puncte noch weit mehr zu leisten, sonst wäre es undenkbar, daß die Presse irgend einer Partei für eine solche konfessionelle Wirthstafel in die Schranken tritt. Was man heute gegen den altkatholischentzBischof in Scene jetzt, könnte man ja mit ganz dem gleichen Recht morgen gegen den evangelischen Prälaten ausjpielen; wir hätten dann eine Ketzerrichterei edelsten Stils in das bürgerliche Leben eingeführt, und es fehlte dann nur noch, daß die einzelnen Thäter jeweils mit Auszeichnung in der kirchenpolitischen Parteipreffe genannt würden. Den Protestanten könnte man allerdings kaum verbieten, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Man braucht diese Dinge nur zu streifen, um sie in ihrer verhetzenden Bodcnlosigkeit zu zeigen. Daß katholische Bischöfe stets im Pfarrhause oder aus dem Zimmer speisen, ist selbstverständ- lich falsch; der Bischof von Rottenburg speiste Jahre lang im Sommer an der Tafel seines Gasthofs in Baden, und es fand sich kein protestantischer Amtsrichter, der ihn boycottirt hätte. Vergebens wird sich die Centrumspresse selbst bei ihren eigensten Genossen be- mühen, «Inen besonderen Respect vor Staatsbeamten zu züchten, denen beim Anblick von „Ketzern" mit dem Appetit auch noch einiges Andere vergeht." * München, 11. Juni. Eine Correspondenz der „Augsb. Postztg." aus Kloster Andechs erzählt von einem jüngst verstorbenen Ordensbruder Eberhard Winkler, einem gebürtigen Tiroler, der Lehrer an der dortigen Erziehungs anstalt und Sakristan an der Klostcrwallfahrtskirche war, Folgendes: Die hochselige Kaiserin Elisabeth von Oester reich beehrte bei ihrem Aufenthalt in Feldafing jedes Mal das Kloster Andechs und speciell ihr „Tiroler Landeskind" — Frater Eberhard — mit hochihrem Besuche und schenkte der Kirche außer anderen Gaben ein prachtvolles Meßgewand im Werthe von 1500 Frater Eberhard bekundete selbst redend gegen diese hochedke Wohlthäterin die Gefühle schuldigster Ehrerbietigkeit; er sagte Ihrer Majestät aber auch einmal mit dem Freimuthe eines aufrichtigen Mönchs- bruders die bitterste Wahrheit. Als nämlich Ihre Majestät vom Kloster Andechs nach Feldafing zurückkehrte, begegneten ihr die Zöglinge der St. Nicolaus-Anstalt, die den gewohnten Spaziergang machten. Ihre Majestät die Kaiserin fragte nun den Frater Eberhard, was dies für Knaben seien, worauf er erwiderte: „Majestät, d»S sind die Knaben unserer Erziehungsanstalt. Wenn Sie Ihren Kron prinzen, anstatt einem ungläubigen Professor — unserer Anstalt zurErziehung anvertraut hätten, wäre Eurer Majestät daS namenlose Unglück er spart geblieben." Bitterlich schluchzend verabschiedete sich die unglückliche Kaiserin von Frater Eberhard — sie kam nicht mehr nach Feldafing und Andechs." — Die „AugSb. Abendztg." erhält nun zu dieser klerikalen Heldenaeschichte eine Zuschrift, in der eS u. A. heißt: „Gestatten Sie noch den Hinweis, daß natürlich der als sehr religiös bekannte Kaiser Franz Josef über die Erziehung seines einzigen Sohnes bestimmte! Der Kronprinz wurde erst, und anerkannt zu streng, von einem Grafen Gondrecourt, später von einem Grafen Latour erzogen; den Unterricht in der Religion ertheilte Haynald, der spätere Erzbischof von Kalocsa-Bacs, von Leo XIII., dem Unfehlbaren, zum Cardinal erhoben. Daraus mag der geistliche Correspondent von Andechs und die „Postzeitung", die solches Gerede rühr- selig abdruckt, ersehen, was der verstorbene Frater für — ungereimtes Zeug an die hohe, aber auch unglückliche Kaiserin hinredete! Jeder weitere Commentar dazu ist überflüssig!" Oesterreich-Nngarn. AnSgleichScompromitz. * Wik», 12. Juni. (Telegramm.) Die ungarischen Blätter bejubeln, die deutsch-österreichischen beklagen den Compromiß. Die tschechischen Organe drücken ihr« Zu friedenheit weniger über den Inhalt des CompromisseS aus, al» über die Folge, daß sein Zustandekommen das Ministerium Thun-Kaizl befestige. Nach tschechischen Blät.tern werden die Ausgleich-Minister große Auszeichnungen erhalten, Kaizl wird der Freiherrnstand verliehen werden. * Pest, 12. Juni. (Telegramm.) Derr ungarische Ministerpräsident v. Szell und die NessortS-Mi.nister werden beute noch in Wien verweilen, um die Feststellun'g de» über einstimmenden Wortlautes der AnSgleichSvorli-ge zu er ledigen. Die Einreichung de- Entwurfes wirbt in der Sitzung des Ab'.eordnetenhanseS am nächsten Do.nnerStag erwartet. Frankreich. Tie Ansschrtitttngen beim «rand Prix. * Paris, 12. Juni. (Telegramm.) Der PolizeiprLfect ordnete infolge der Beschwerden über gewaltthätigeS Vor gehen einzelner Polizeiorgane am gestrigen Tage «ine strenge Untersuchung an. Die schuldigen Polizisten sollen bestraft werden. Von den gestern Verhafteten wurden etwa 12 in Polizeigewahrsam gebracht. Gegen diese wird wegen Ausstoßcns aufrührerischer Rufe, wegen Beschimpfungen von Polizeibeamten und wegen Beleidigung deS Präsi denten der Republik die Untersuchung eingeleitet. Italien. Republikanischer Wahlfies. * Mailand, 12. Juni. (Telegramm.) Bei den gestrigen Ersatzwahlen für den Gemeinderath siegte nach unerhört heftigem Wahlkampfe, woran 65 v. H. der eingeschriebenen Wähler theilnahmen, die vereinigte re- publikanisch-socialistisch« Partei mit 19000 'Stimmen gegen Liberale und Klerikale, die zusammen nur; 15 000 Stimmen aufbrachten. (Voss. Ztg.) Die Amnestie * Rom, 10. Juni. Am Verfassungsfest, dem ersten Sonn tag im Juni, hat der König, wie gemeldet, einen umfangreichen Strafnachlaß für politische Vergehen, Zweikampf, Wider stand gegen die Staatsgewalt, -Sachbeschädigung bei Tumulten u. s. w. angeordnet. Die Wirkung dieses Gnadenactes ist, daß alle nach den vorjährigen Mai-Unruhen wegen Aufreizung zum Verbrechen, zum Classenhaß und ähnlicher demokratischer Tugenden verurtheilten Socialisten und Republikaner in Freiheit gesetzt werden. 'Da die Begnadigung aber nur für die Freiheits» und Geldstrafen erfolgt ist, so fahren die Herren Turati, De Andreis, Romussi, Chiesi und Genossen auch nach ihrer Be freiung fort, der bürgerlichen Ehrenrechte entkleidet zu sein. Völlig ausgeschlossen von dem Gnodenact sind außerdem die wegen Landstreicherei unter Polizeiaufsicht gestellten, die zugleich wegen Verbrechen gegen Leben und Eigenthum verurtheilten und diejenigen Personen, die sich der Strafe durch die Flucht ent zogen haben. Man kann danach begreifen, daß die revolutio nären Parteien durch den Gnadenact keineswegs befriedigt sind; es genügt ihnen nicht, daß die Hetzer Turati u. Co. wieder in Freiheit gesetzt sind, sie wollen sie auch ins Parlament gewählt sehen, und das ist vorläufig nicht möglich, so lange diese Herren nicht bürgerlich völlig rehabilitirt sind. Ungehalten ist di: revolutionäre Presse auch darüber, daß die Duellanten begnadigt sind und damit auch der „Mörder" Cavallotti's, der Abgeordnete Macola. Die völlige Amnestie für die Revolten des Mai 1898, wie die Revolutionären sie wünschen, würde u. A. auch den noch nicht abgeschlossenen Proceß von Minervino-Murge unterdrücken, wo der Pöbel wahrhaft kannibalisch gebrannt, gemordet und geraubt hatte. Von den extremen Parteien kann man es allen falls auch noch begreifen, daß sie für diese Mordbrenner als werthvolle Hilfstruppen bei Aufruhrbewegungen besonder.» Sympathie empfinden; wenn aber auch Blätter der Ordnungs parteien die Mangelhaftigkeit des jüngsten Gnadenactes beklagen und den Wunsch nach baldiger völliger Amnestie aussprechen, so ist das nur eben wieder eine neue Aeußerung des pathologischen Zustandes, der die öffentliche Meinung Italiens in Bezug auf Alles beherrscht, was Strafe heißt, der jämmerlichen Charakter schwäche, die keine Strafe ernst nehmen kann und in jedem Be straften nur einen Gegenstand des Mitleids sieht. Diese Schwäche, an der die große Mehrheit der Bevölkerung leidet, verhindert die abschreckende Wirkung aller Bestrafungen wegen sogenannter politischer Vergehen, wie Aufruhr, Aufreizung zum Bürgerkrieg u. dergl., denn Jeder, der die Pforten des Ge fängnisses auf zehn oder mehr Jahre hinter sich zuschlagen hört, weiß ganz genau, daß die öffentliche Meinung sie nach eben so viel Monaten wieder zu öffnen weiß. Wenn es wieder einmal in Italien zu Revolten kommen sollte, was leider nicht außer dem Bereich der Möglichkeit liegt, nachdem die Anstifter wieder auf freiem Fuß sind, so würde man wohl besser thun, nicht so dra konische Strafen zu verhängen wie das letzte Mal, aber dann auch unerbittlich jeden Gnadenact zu verweigern. Anders kann man die italienischen Massen nicht zur Achtung vor Gesetz und Obrigkeit erziehen. (Köln. Ztg.) (Fortsetzung <n der 1. Beilage.) Lrösütss Lr8tss UotsI Vvut8vklanä8 Central-Hotel, Berlin. 500 Ammer von 3 M. — 25 DM" Oexenllder Oentrnldnkndok krlockrlodstrasü«. »MG Zeit, und zum Glück fiel ihm auch noch ein, bei welcher Ge legenheit er dem großen Künstler hatte nahen dürfen. So konnte er di« zweite Frage, bei welcher Aufführung er das beneidens- werthe Glück genossen, beantworten und entzückte dadurch die Fragenden noch mehr. „Im „Lohengrin", ach, das ist ja reizend. Ueberhaupt „Lohengrin", meine Lieblingsoper", und so weiter schwirrte und summte eS um den Armen, daß diesem der Kopf rauchte und er froh war, endlich mit den Visiten durch zu sein. Es regnete nun Einladungen auf den Unglücklichen herab, und da er in der That eine hübsche Baritonstimme besaß, so mußte er sein Abendbrod beständig absingen. Schon nach vier Wochen konnte er seinen Berliner Freunden schreiben: „Fünfmal die Woche Kalbsbraten und ebenso oft: ,O Du mein holder Abendstern", das nimmt den Menschen mit, Ihr könnt es glauben." Nichts desto weniger fühlte sich unser Referendar frisch wie ein Fisch in seinem Element und schwamm ganz lustig mit seinen Mitbürgern um die Wette. Im Gesangverein war er die beste Stütze d«S alten DirectorS, dem sein neues Mitglied Muth zu den ungeheuerlichsten Unternehmungen verlieh. Der „Odysseus" von Max Bruch sollte diesen Winter gesungen werden, und ganz A. sang im Schweiße seines Angesichts durch vier Monate unermüdlich. Endlich war er so weit. Zwar ging die Sache noch nicht wie aus einem Guß, allein man würde schon zurecht kommen, zumal di« Solisten, tüchtige Kräfte, die man von außerhalb kommen ließ, das Hauptinteresse in Anspruch nehmen würden. Alles war in Ordnung, die Programme gedruckt, da kam noch in der elften Stunde, zwei Tage vor der Aufführung, die Absage de» Hauptsanger», der Herr war an Influenza erkrankt. Ver zweifelt eilte der Musikdirektor zu dem Mäcen de» Städtchens, der auch die Gagen für die Sänger hergab und klagte dem sein Leid. „Unmöglich, lieber Docior, Sie müssen Rath schaffen", ent gegnete dieser würdige Herr, auf eine Stelle in seinem Knopfloch schielend, wo Platz für einen Orden war, „ganz unmöglich. Prinz Bernhard hat sein Erscheinen zugesagt, wir dürfen uns nicht blamiren. Ob nicht der Referendar . . .?" „Hab' auch schon an ihn gedacht und war zuerst bei ihm", antwortete der Director verzweifelt. „Der weigert sich aufs Entschiedenste und erklärt, Halsweh zu haben. Unbegreiflich, wo er doch schon in der Oper zu Berlin aufgetreten ist." „Dann schaffen Sie anderen Rath, es koste, was cs wolle", entschied der Kunstfreund und entließ den armen Director ohne Trost. War's der verheißene goldene Lohn oder erbarmten die armen A.er den Künstler, genug, Ernst K., der gerade in W. weilte, ließ sich bereit finden, als Lückenbüßer aufzutreten und verbat sich nur die Aenderung des Programms. Die guten Leute, meinte er, werden ihn auch ohnedies erkennen. „Sie treffen bei uns einen Collegen", erzählt« der erfreute Director im Abgehen. „Freilich ist er kein Künstler von Gottes Gnaden, sondern ein simpler Referendar, was, weiß Gott, schade genug ist. Der Mann hat Gold in der Kehle. Alle Künstler, Bulß an der Spitze, wollten ihn zum Uebertritt bewegen, ver gebens. Er hat schon oft in Berlin an der Oper mit ausgeholfen und dort auch mit Ihnen zusammen gesungen." „Wie heißt der junge Mann?" fragte K. nachdenklich. „Köhler, Hugo Köhler", war die rasche Antwort. „Hm, hm, mein Gedächtniß ist wie ein Sieb, kann mich nicht besinnen. Na, sehen uns ja morgen bei der Generalprobe." Hugo Köhler hatte nicht erfahren können, wie sich sein Freund und Gönner, der Musikdirektor, au» der Affaire gezogen, im Grunde war ihm das auch ziemlich egal. Nur nicht eintreten müssen, denn bei aller Keckheit fühlte er doch wohl, daß er dabei ein jämmerliches Fiasko gemacht haben würde. Und das wollte er lieber bleiben lassen. Es gefiel ihm, so wie es war, in A. ganz ausgezeichnet, als Hahn im Korbe, wenn's nur nicht immer Kalbsbraten geben möchte! Vielleicht ließ sich die Wirthin zur Post, bei der das Festmahl morgen stattfand, bewegen, einmal ein anderes Gericht zu geben, jedenfalls wollte er sich darum bemühen. Damit ging die Zeit hin und Köhler hatte den ganzen Tag kein mitwirkendes Wesen gesehen, als er des Abends in den Saal trat. Der Verein war vollzählig versammelt, nur die Künstler fehlten, die kamen erst, wenn der erste Theil verklungen, zum Vorschein. Brausend setzte das Orchester ein. Jubelnd fielen die Stimmen im Gleichklang ein. „Gieße, Athene, gieße, Athene", sangen sie mit solcher Gewalt, daß der Kalk von der Decke fiel und man gleich sehen konnte, was Athene gießen werde. Dann traten die Künstler, zwei Herren und eine Dame, aufs Podium und verneigten sich in den Saal. „Wer ist der bartlose Herr?" fragte Köhler seinen Nachbar, den Provisor aus der Elephantenapotheke. „Kennen Sie den nicht?" antwortete der schalkhaft. „Sehen Sie ihn doch genau an!" Köhler konnte nichts Hervorragendes bemerken und sagte daS seinem Nachbar. „Aber kennen Sie denn unseren berühmten K. nicht, denselben, mit dem Sie in „Lohengrin" auftraten?" Köhler glaubte in die Erde sinken zu müssen. — Sein „Ah!" klang so gedehnt, daß ihn der Provisor mitleidig ansah. »Fehlt Ihnen was?" fragte er. „Ich habe auf einmal entsetzliche» Zahnweh", stöhnte der Referendar, der nur den einen Gedanken fassen konnte: „Fort, ehe es zu spät ist." „Wenn die Pause beginnt, hole ich Ihnen ein Mittel", tröstete der Ahnungslose ihn. Endlich verhallte der letzte Geigenton, die Posaunenbläser wischten die nasse Stirn, und auf dem Podium entstand ein lebhaftes Durcheinander. „Jetzt oder ni«", dachte unser Referendar. Schon wollte er enteilen, da fühlte er sich am Rockzipfel fest gehalten. Zornig sah er sich um. „Verzeihen Sie, Herr Referendar", hörte er die freundliche Stimme des jovialen Direktors sagen, der mit dem Künstler vor ihm stand. „Hier bringe ich Ihnen unseren Meister, der Ihre Bekanntschaft er neuern möchte." „Habe ich Sie wirklich schon einmal gesehen und mit Ihnen gespielt?" begann -B. zweifelnd. „Ich kann mich selbst jetzt, wo ich Sie vor mir sehe, nicht besinnen!" „So erlauben Sie, daß ich Ihrem Gedächtniß zu Hilfe komme", entgegnete, als er sah, daß er nicht entrinnen könne, schnell gefaßt der Referendar. „Sie sangen im „Lohengrin": „Seid mir gegrüßt, Ihr Edlen von Brabant". Und sehen Sie, einer von diesen Edlen, der war ich." Sprach's und verschwand. Mit offenem Munde sah ihm der Künstler nach. „Das ist ein Tausendsassa", sagte er dann, in lautes Ge lächter ausbrechend. „Holen -Sie mir den Herrn her, den muß ich näher kennen lernen." Köhler aber kam nicht mehr. Er blieb ein paar Tage un sichtbar und erzählte dann Jedem, der es hören wollte, wie leid es ihm gethan, gerade zur Zeit der Anwesenheit seine» großen Freundes behindert gewesen zu sein.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder