02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990613021
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-13
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Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuag 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 286. Dienstag den 13. Juni 1899. 93. Jahrgang, Sturz des Ministeriums Dupuy. —<>. DaS Ministerium Dupuy ist gefallen — das ist s die neueste Sensation auS Paris. Eine Note der officiellen „Agence Havas" vom gestrigen Datum besagt: Heute Nachmittag 3»/, Uhr, nach Schluß der Deputirtenkammer, überreichte Ministerpräsident Dupuy in Begleitung seiner Collegen dem Präsidenten der Republik die gemein schaftliche Demission des CabinetS. Der Präsident nahm die Demission an und ersuchte die Minister, die Geschäfte bis zur Ernennung ihrer Nachfolger weiter zu führen. AuS unserem im Morgenblatt abgedruckten Kammer bericht geht hervor, daß der äußere Anlaß zur Katastrophe in der Unzufriedenheit der Socialisten und der socialistisch ge färbten Radikalen mit der entschiedenen Haltung der Polizei am Sonntag beim Grand Prix war. Des Weiteren wird unS gemeldet: * Paris» 12. Juni. Die Zusammenkunft des Präsidenten Loubet mit den abgehenden Ministern hatte einen sehr Herz- lichen Charakter. Loubet dankte ihnen anfS Wärmste für die ihm geleistete Unterstützung und fügte hinzu, daß er ihnen das beste Andenken bewahren werde. Die Zusammenkunft machte auf den Ministerpräsidenten Dupuy und seine Collegen den besten Eindruck. — In den Wandelgängen der Kammer werden als eventuelle Mitglieder des neuen CabinetS Poincarrö und Waldeck-Rousseau, sowie die bisherigen Minister Del ca ssö, Krantz, Delombre und Guillain genannt. Man spricht auch von deLanessä«, Doumergue» m s.w. Man ist ullgemein der Ansicht daß eS schwierig sei, sich von demkünftigen Ministerium «ine Vorstellung zu machen, da das bisherige Cabinet nicht über eine principielle Frage gefallen sei, welche es ermögliche, ein neue» Ministerium mit einer scharf ausgesprochenen Richtung zu bilden. * Paris, 12. Juni. Die Mehrheit, durch die das Cabinet Dupuy heute gestürzt worden ist, bestand auS den extremen Radikalen, den Socialisten, der fortschrittlichen Gruppe Jsamberts, dem Barthou'schen Flügel der Progressisten und einem Theile der Nationalisten. Die 173 Deputirte», die das Cabinet unterstützt haben, gehören größentheilS dem gemäßigten Flügel der radikalen Partei an. * Parts, 13. Juni. (Telegramm.) Die Socialisten und socialistischen Radikalen tadeln die widerspruchsvolleHaltung deS CabinetS Dupuy in der DreyfuS-Angelegrnheit. Die gemäßigten Republikaner erhoffen die Rückkehr MSline's. Die Conservativen, die Antisemiten und Nationalisten haben gegen Dupuy in der Hoffnung auf einen ihnen wohlwollend gegenüberstehenden Nachfolger gestimmt. Man spricht von einem Cabinet Brisson. — Gelegentlich einer Soiree beim Handels- Minister Delombre sprach sich eine Anzahl Deputirter dahin aus, daß die Abwickelung der DreyfuS-Nngelegenheit viel zum Falle des Ministeriums beigetragen habe. So seien sämmtliche Socio- listen und viele Radikale der Ansicht gewesen, Dupuy habe nicht weit genug gehen wollen; sie verlangten, daß man auch die Generale Boisdeffre und Mercier zur Verantwortung ziehe. Nach dieser letzten Meldung, einem Communiquö der „Agence HavaS" ist es nicht zweifelhaft, daß der Grund des gestrigen Ministersturzes nicht in den Vorgängen in LongchampS, sondern in der durch die Drey- fuS-Affäre geschaffenen tiefgehenden Zerfahrenheit ver Lage zu suchen ist. Alles, bis auf die Garde Dupuy'S, die gemäßigten Radikalen, läßt die Regierung im Stich, weil Alles mit ihr unzufrieden ist. Nun Wohl, hätte das Ministe rium Dupuy sich unfähig gezeigt, so mochte es fallen. Da» wäre eine Episode ohne jegliche Bedeutung gewesen. Allein eS hat gut und völlig correct regiert, und daß eS trotzdem weichen mußte, das ist das Be denkliche. Es wollte und mußte über den Parteien stehen, wollte der Wahrheit und der Gerechtigkeit zum Siege verhelfen, aber dabei doch vermitteln, versöhnen und beruhigen, um das Schiff der Republik über die hochgebenden Wogen hinweg endlich in steten und sicheren CurS zu bringen. Beim Verlassen des Sitzungssaales der Kammer wandte sich Ministerprä sident Dupuy an eine Gruppe von Deputaten mit den Worten: „Wir räumen das Feld Glück licheren, aber nicht Tapfereren!" Er konnte daS mit Recht von sich sagen, denn er hat eine feste Hand gezeigt, sowohl den Feinden der bürgerlichen Republik auf der Rechten, wie auch der Linken gegenüber. So hat er eS mit Beiden verdorben. Jene zeterten, daß er zu radikal vorgehe, die Armee preisgebe und Generale und Richter maßregele, die im Gericktssaale Demonstrationen gegen den Präsidenten der Republik veranstalteten, bezw. duldeten, und das GroS der gemäßigten Republikaner schloß sich geängstigt ihnen an und ruft nun wieder nach Möline, dem Manne nach dem Herzen der Rechten. Diese, die Schwärmer für eine plebiScitäre socialistische Republik, dagegen bezichtigten das Cabinet des Verraths der republikanischen Principien, weil eS lavire, unsicher schwanke, nicht schroff genug gegen die kompromittieren Generale vorgehe und nicht tabula rasa mache, — wobei es nicht zu verwundern braucht, daß diese Befürworter eines rücksichtslosen Zufassens der Staatsgewalt Mordio über die „brutale Polizeifaust" schreien, die am Sonntag auch radikalen Excedenten sich fühlbar machte. ES scheiden sich die Geister allmählich immer mehr und darüber hat die gestrige Kammersitzunz willkommenes Licht verbreitet. Auf der einen Seite concentriren sich, wenn daS Communiqnä der „Agence Havas" die Situation richtig beurtheilt, die gemäßigten Republikaner und die Militär partei mit ihren Hinterleuten, auf der anderen die Apostel des ZuknnftSslaateS und die ihrem Bann verfallenen extrem radikalen Gruppen. Der gemäßigte Radikalismus, der im Augenblick für Frankreich die gegebene Negierungs form ist, wird zwischen beiden Steinen zermalmt. Die „große republikanische Revanche", welche der Grand Prix am Sonntag für Autenil angeblich genommen hat, schwindet in Nichts zusammen dem gestrigen Kammer votum gegenüber, welches von Neuem gezeigt hat, daß auf das Gros der gemäßigten Republikaner absolut kein Verlaß ist. Man mußte nach seiner Haltung während der letzten Acte deS Dreyfus-DramaS der Meinung zuneigen, daß eS Dupuy auf dem einmal beschrittenen und, konsequent bis zu Ende gegangen, zum Ziele führenden Wege treue Gefolgschaft leisten werde; daS ist nicht geschehen, und insofern ist der gestrige Tag immerhin eine Ueberraschuna. Die Lage beginnt sich zuzuspitzen und der Entscheidung zu zudrängen. Vielleicht fällt sie schon während der Bildung des neuen CabinetS, eines fast unmöglichen Kunststücks, da ge mäßigte Republikaner, Nationalisten, Radikale und Socialisten in gleicher Weise am Sturze Dupuy'S betheiligt waren, also auch in gleicher Weise berücksichtigt werben müssen. Ob der Regierungswechsel auf die Abwickelung der Dreyfus-An- gelegenheit von nachteiligem Einfluß sein wird, muß sich erst zeigen. Ueber den Berg ist sie noch nicht, denn zwischen heute und morgen kann in Frankreich viel geschehen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. Juni. Trotz mancher höchst unnützen Erörterung hat der Reichstag gestern zwei wichtige Gesetze in zweiter Lesuug und ein drittes, vie Gebührenordnung für den Nord-Ostsee-Canal, in Schlußberathung erledigt. Das kam daher, daß das Hypothekenbankgesetz in Bausch und Bogen angenommen wurde. Das Centrum bat zwar diese Form der Abfertigung an die Bedingung geknüpft, daß in dritter Lesung Aendcrungen für zulässig erachtet würden, cs wird aber kaum dazu kommen. Der Nachtragsetat, ein Sammelsurium, nahm geraume Zeit in Anspruch, nachdem die Angelegenheit der Gebrüder Den Hardt in der mehrfach gemeldeten Weise geordnet war, hoffentlich endgiltig. Bei der Nachtragöforderung für daS Reichsamt des Innern erfuhr man, daß in Sachen der Abänderung der Bäckereiverordnung, die bekanntlich selbst von Herrn Hitze, dem Socialpolitiker des Centrums, nicht perhorreöcirt wird, der BundeSrath sich noch im Stande der Unschlüssigkeit befindet. Hierauf wurde viel Zeit und Athen: verschwendet, weil der Graf Posadowöky sich nicht damit begnügte, die socialdcmokratische Beschwerde über die Nichtanwesenheit von Negierungsvertretern bei dem Congreß der Bauhandwerker erstens mit GcschästSüber- häufung, zweitens mit der republikanischen Ausschmückung des Versammlungslokals des gekränkten Congresses zu erklären, sondern es auch für uölhig erachtete, die rothe Fahne und sonstige socialdcmokratische Embleme alte Ladenhüter zu nennen. Das gab eine lange Auseinander setzung mit dem Socialdemokraten Stadthagen, der es sich nicht nehmen ließ, die Charakterisirung so gering eingeschätzter Dinge als ein impociimentum nicht ganz folgerichtig zu finden. Nach unserem Eindruck sprachen beide Redner zum Fenster hinaus, der Socialdemokrat nach unten, der Staatssekretär ganz nach oben. Glücklicher war Graf PosadowSky, als er sein Bedauern und seine Verwunderung darüber aussprach, daß der „Vorwärts" eklektisch mit der Veröffentlichung von ihm „auf den Schreibtisch fliegenden" Aktenstücken verfährt und demgemäß ein Rund schreiben des Reichskanzlers an die Landesregierungen un veröffentlicht gelassen hat, in dem der Wunsch ausgesprochen war, die Staatsbehörden möchten sich nach den Ursachen und Umständen von Streiks nicht nur bei den Gewerbeinspcctorcn, sondern auch bei vertrauenswürdigen Arbeitern erkundigen. Die Berathung deS Capitels „TheuerungSzulage für Unterbeamte der Post- und Telegraphenverwaltung" ergab, daß die Negierung noch selbst keine klare Vorstellung von den Grundsätzen hat, nach denen die Zulagen vertheilt werden sollen. DaS ist nicht so sehr verwunderlich. Wahrscheinlich wird man hier, wie in so vielen Fällen, erst durch Versuche daö annähernd Richtige herausfinden. Deshalb ist eS verständlich, daß die Regierung die Anregung, die Wohnorte der Postbeamten gleich von vornherein in TheuerungSclasscn einzutheilen, zurückmies. Die FricdcnSconfcrenz im Haag hat bereits eine Reihe negativer Ergebnisse gezeitigt. Darüber aber soll man sich nicht grämen, denn zu den negativen Ergebnissen gehört auch die erfreuliche und für nicht Wenige überraschende Erscheinung, I daß während dieses schon nach Wochen zählenden Beisammen- ! seins noch zu keinem ernstlichen Zerwürfniß gewisser Staaten I oder Staalengruppen der Keim gelegt worden ist. Ein großer Theil der außerdeutschen, namentlich der „angelsächsischen" Presse hat daran kein Verdienst. Man bemüht sich redlich, mittels Druckerschwärze auf Papier aus Anlaß der Friedenskonferenz den Samen des Unfriedens in daS Erdreich zu senke», und Deutschland ist eS nach wie vor, daS vor allen anderen Staaten als das Hinderniß für die Verwirk lichung der Ideale des Herrn Stead und der Frau Bertha von Suttner der Mit- und Nachwelt denuncirt wird. Das kann nicht Wunder nehmen. Denn als am 24. August des vorigen JahreS — eS war, waS gut im Gedächtniß zu behalten nicht schaden kann, nach dem Ableben des Fürsten Bismarck — der mit den Aeußerlichkeiten einer diplomatischen Note umgebene Leitartikel des Grafen Murawjew bekannt wurde, sagten sich in beiden Hemisphären Zahllose, dies sei ein Schlag und zwar ein gegen Deutschland gerichteter Schlag. In der langen Zeit, die zwischen der Anregung der Friedenskonferenz und ihrem Zusammentritte verfloß, hat sich dieser Jrrthum über die Intentionen deS Zaren Nikolaus und seines ersten Ministers in den Gehirnen befestigt und man kann billigerweise nicht verlangen, daß der erste Eindruck, der ja gewöhnlich der stärkste ist, sich nach und wegen ein paar Conserenzberathungen verwischen sollte. Das um so weniger, als die Mißdeutung der Absichten des russischen Kaisers sich mit einem Lieb lingsgedanken von hundert Millionen Bewohnern unseres nun einmal nicht deutschfreundlichen und wahrscheinlich niemals deutschfreundlich werdenden Planeten deckt. Die Gelassenheit aber, mit der die heimische Presse die „Friedens"»Anfein dungen Deutschlands zu betrachten sich alsbald gewöhnt hat, scheint in den Ncgierungskreisen nicht allgemein getheilt zu werden. Es läßt sich nicht feststellen, ob diese minder phlegmatische Auf fassung begründet ist in dem außer Zweifel stehenden Um stande, daß ein Auswärtiges Amt einen weiteren Rundblick gestattet, als eine Nedactionsstube, oder ob die eine oder die andere Berliner Stelle gegen internationalen Zeitungs tadel empfindlicher ist, als sonst staatsmännische Herren sind und als eS sich mit einem ruhigen diplomatischen Betriebe verträgt. Dem sei, wie ihm wolle, jedenfalls hat der VertreterDeutschlands im HaagAuftrag gehabt, an der ten denziösen Berich terstattung überdieConferenzAnstoßzu nehmen und die vollst ändige Bekanntgabe der Sitzungs protokolle zu verlangen. Er ist damit, wie gestern gemeldet wurde, in der Minderheit geblieben und es wird „wenigstens vorläufig bei der bisherigen auszugsweisen Veröffentlichung sein Bewenden haben." Wahrscheinlich auf die Dauer, und daS deutsche Reich wird sich damit absinden müssen und können. Von einem zweiten „Echec" Deutschlands verlautet nur gerücht weise. Unsere Vertreter sollen gegen den angenommenen belgischen Antrag, betr. die Behandlung von Kriegs gefangenen, unter Hinweis auf die 1870/71 gemachten Beobachtungen vergebens Widerspruch erhoben haben. Ist dies richtig, so kann das Verhalten Deutschlands nur gebilligt werden. Was Herr Beernaert, der Vertreter eines Landes ohne jegliche Kriegserfahrung, durchsetzte, war zum Theil von der deutschen Kriegsleitung im letzten Kriege beobachteter Brauch und gegen eine völkerrechtliche Natificirung dessen, was Deutschland aus freien Stücken getban, hegt die deutsche Negierung gewiß keine sachlichen Bedenken. Aber der deutsch-französische Krieg hat auch gezeigt, wie ohnmächtig selbst der Sieger gegen die Verletzung von Kriezsrecht und civilisirten Kriegögewohnbeiten ist. Die deutschen Kriegs gefangenen wurden von französischen Behörden — die Liebens würdigkeiten der nicht in Schranken gehaltenen Bevölkerung mögen Feuilleton. Außer Diensten. 27s Roman von Ernst Wichert. Nachdruck vcrbct n. „Auch gegen mich. Aber nicht nur gegen mich. Mehr noch für mich, hoffe ich." Sie ließ sich von der Herzogin aufrichten und setzte sich wieder ihr gegenüber. „Ich war nahe daran, zu straucheln — die Versuchung war groß — aber ich strauchelte nicht. Diese Briefe beweisen, daß ich nicht in verächtlichem Ginne die Geliebte des Fürsten war, daß ich eine Herzogin hätte werden können und die Ehre ausschlug. Eine große Thorheit vielleicht. Ich war sehr jung und sehr gewissenhaft, Hoheit. Ich achtete die Rechte einer Frau, die mir Gutes ge- than hatte und di« mir vertraute. ES kann auch sein, ich liebte den Herzog nicht, wie rr's erwarten durfte, und ich bildete mir ein, daß ich ihm da volle Wahrheit schuldig sei. Die Scheidung erfolgte nicht — und um dem Herzog jede Hoffnung zu nehmen und mich vor meiner eigenen Schwäche zu sichern, reichte ich bald nach der Aussprache dem Freiherrn von Jttenborn die Hand. Ich glaube, ich sagte dem Herzog, daß ich diesen Mann — liebe. Und ich liebte ihn auch." Die Herzogin war sichtlich sehr beunruhigt. „Ich müßte Ihnen also noch danken" — sagte sie leise und wohl nicht ganz überzeugt. „Ich war berechtigt, anzunehmen, der Herzog hätte Sie verheirathet und — nicht aufgegeben. Wenige Jahre später erschienen Sie ja wieder bei Hof. Der Herzog ernannte Sie zur Hofmeisterin, und der Frechen von Jttenborn wurde nach und nach allmächtiger Minister." Eine tiefe Röthe übergoß Wangen und Stirn der Freifrau, ihre Augen blitzten wie aus finsterm Wettergewölk. „Ich muß Euer Hoheit überlassen, au» diesen unzweifelhaften Thatsachen die Schlüsse zu ziehen, die Sie für richtig befinden", antwortete sie stolz. „Beweise für meine Versicherung, daß ich nie Ihr Frauenrecht kränkte, habe ich nicht. Aber es ist wahr: ich konnte die Hofluft auf die Dauer nicht entbehren, Mann und Kinder entschädigten mich in der Einsamkeit nicht, mein unseliger Ehr geiz verlangte nach persönlicher Auszeichnung, ich wußte mich in deS alternden Herzogs Gunst, erprobte bald meine Macht über ihn, lenkte ihn völlig nach meinen Wünschen. Ich wußte, daß ich Eurer Hoheit Eifersucht erregte, und meinte doch, kein Mitleid haben zu sollen. Es war mir, als ob ich Ihnen ein großes Opfer gebracht hätte und nun dafür daS Leid anthun dürfte, Ihnen die Herrschaft zu entreißen. Das mag unver zeihlich sein, aber — so wahr Gott lebt! — ein Mehreres haben Eure Hoheit nicht zu verzeihen. Und das ist mein letztes Wort." Die Herzogin schien betroffen. Ihre Lippen zuckten wie zur Abwehr von Thränen, ihre Augen hefteten sich auf den Teppich zu ihren Füßen. Dann nahm sie die Briefe zusammen, umwickelte sie von Neuem mit den Bändern und reichte sie Frau von Jttenborn hin. „Ich verzeihe Ihnen, was sie unverzeihlich nennen", flüsterte sie bewegt, „und ich will glauben, daß Gott Ihnen nichts anderes zu verzeihen haben wird. Vernichten Sie diese Briefe, von deren Existenz nur noch mein Sohn und die Gräfin Zehlendorf wissen. Sie werden schweigen." „Ich nehme sie", antwortete Frau von Jttenborn feierlich, „um sie — in meines Mannes Hände zu legen, dem ich schweres Unrecht abzubitten habe. Ich bin ihm jetzt volle Aufklärung schuldig, weshalb er gefallen ist." Vom Musiksaal her wurden schleichende Schritte vernehmbar. „Kommen Sie nur, liebe Gräfin", bat die Herzogin, sich er hebend, „wir sind fertig. — Ah, die jungen Damen! Was für liebliche Erscheinungen! Es freut mich, Sie zu sehen. Arm gard — nicht wahr? Und Irmgard. Ganz der Vater — den langen Bart abgerechnet." Die beiden Fräulein knixten bis zur Erde und küßten ihr die Hand. „Ich freue mich. Eure Hoheit so heiter zu finden", zischelte die Gräfin Zehlendorf. „Ich hoffe, Ursache zu haben", antwortete die hohe Frau lächelnd. „Mer Hoheit haben mein Gebäck ganz verschmäht", klagte Comtesse Hertha. „Wir holen das Versäumte nach", beruhigte sie die Herzogin. „Ich bitte, liebe Gräfin, lieber Gunzenstein — wir haben noch eine weite Fahrt vor uns." Sie wandte sich zu den Damen des Hauses. „Wissen Sie denn schon, daß der Graf verlobt ist? Mit unserer lieben Lolo. Es ist halb und halb mein Werk. Stoßen wir auf das Wohl des Brautpaares an!" Es geschah. Der Kammerjunkcr blickte etwas verlegen, als die jungen Fräulein sich ihm näherten. Sie ließen aber ihre Gläser recht hell an das seine anklingen. „Ich bin froh, liebe Freundin", säuselte die Gräfin Frau Iduna zu, „daß Hoheit auf eine Entscheidung gedrungen hat. Es gab schon viel dummes Gerede." „Verheirathen Sie nur den jungen Herzog bakd, Excellenz", rieth Frau von Jttenborn ein wenig anzüglich, „und mit einer sehr schönen und liebenswürdigen Prinzessin." „Es ist schon eine Partie ganz nach Wunsch in Aussicht", versicherte die spitznasige kleine Dame. Nachdem die Hofcquipage abgefahren war, eilte Iduna zu ihrem Mann. Sie umarmte und küßte ihn, was ihn verwundern mußte. „Nun?" fragte er. „Die Herzogin war ja hier. Ganz erstaunlich! Wollte sie Dich wieder an den Hof entführen?" „Nein", entgegnete sic, leicht mit der schönen Hand seine Wange streichend. „Aber sie hat dafür gesorgt, daß ich jetzt gern hier bleibe." „Wie das? Wie das? Kann sie Wunder thun?" „Nimm's ganz ernst", bat sie. „Ich kenne jetzt den Grund Deiner Entlassung." „Ah -!" „Ich verschulde sie, i ch." Er sah sie verwundert an. „Werde nur erst gesund", sagte sie, „so sollst Du Alles erfahren. Ich hoffe auf Deine Vergebung." „Iduna -!" Achtzehntes Eapitel. Als eines Abends in der nächsten Woche Randolf Vater und Sohn in den Wald gingen, bemerkten sie an einem Reisighaufen oberhalb der Försterei einen Menschen, der da in verdächtiger Weise etwas zu suchen schien. Er war dabei so eifrig, daß er die Annäherung der beiden Männer nicht wahrnahm, die aller dings von seinem Rücken her erfolgte. Eben griff er mit der Hand in den Reisig und holte einen langen Gegenstand heraus, als ihn der Alte ins Genick faßte und ihn mit einem kräftigen Ruck hcrumwarf. „Was thust Du da, Kerl?" rief er. „Ach nichts, Herr Förster", stotterte der erschrockene Mensch, indem er sich wieder auf die Berne zu bringen suchte. Dec Förster sah ihm ins Gesicht. „Seht einmal, der schwarze Huber!" sagte er. „Und was hat er da in der Hand? Ein Gewehr. Nimm ihm das mal gleich ab, Ottomar." „ES ist nicht geladen", versicherte Huber. „Sic können sich überzeugen. Ich habe nichts Böses im Sinne gehabt, wahr haftig nicht, Herr Förster." „Aber es sollte doch geladen werden. Habt Ihr Euch den feisten R«hbock schon ausgesucht, den Ihr schießen wolltet? He?" höhnte Randolf. „Ich habe gar keine Munition bei mir, wahrhaftig nicht", antwortete der Schwarze, „untersuchen Sie mich bis auf die Haut." „Das Gewehr wird confiscirt. Verstanden?" „Ich habe aber gar nicht schießen wollen, wahrhaftig nicht." ,Es gehört Euch doch?" „Ja, es gehört mir. Aber ich hab's nicht in den Wald ge bracht und wollt's nur abholen." „Das soll Euch wohl auch Einer glauben? Kommt mit in die Försterei, wir wollen gleich ein Protokoll aufnehmen. Vor wärts!" Er stieß Huber vor sich her. „Mer ich sag doch die Wahr heit, Herr Förster", winselte der. „Wie kommt denn Euer Gewehr da in den Reisizhaufen?" sagte Randolf auf dem Wege. „Es hat's da Einer versteckt." „Wer?" „Der, dem ich es geliehen habe." „Wer war das?" Nun schwieg Huber eine Weile. Dann sagte er: „Ich will Alles offen heraussagen, Herr Förü.-r; es kann ihm ja doch nichts mehr schaden, er ist ja läng': üaer alle Berge." Der Alte wurde aufmerksam. „Wer war's also?" „Der Becker, Herr Förster." „Dec nach Amerika gegangen sein soll?" mischte sich Otto mar ein. „Ja, er Hai wollen nach Amerika gehen, das stimmt, und weg ist er jedenfalls. Bevor er ging, sagte er, er müsse noch einmal in den Wald, er hätt da noch was zu thun, das nun keinen Auf schub haben könnt. Und weil ihm der Herr Förster doch sein Gewehr kürzlich abgenommen hatte, bat er mich, ich möcht ihm meines diesmal leihen. Das hab ich denn auch gethan." „Obgleich Ihr wußtet, daß er auf Wilddieberei ausginge." „Ich hab mir dabei nichts Arges gedacht, Herr Förster. Er hat auch wirklich gar kein Wild nach Hause gebracht, wahrhaftig nicht. Aber das Gewehr auch nicht. Und er hat mir auf meine Fragen gesagt, er hätt's nicht weit von der Försterei abgeschossen gehabt und dann in einem Rcisighaufen ziemlich nahebei versteckt, weil er fürchtete, daß man ihm nachkäme. Er hat mir den Haufen gut bezeichnet und gerathen, ich möcht mir das Gewehr gelegentlich abholen, aber nicht zu rasch. Ich möcht erst darüber etwas Gras wachsen lassen. Und am anderen Morgen ist er dann ausgcrückt." „Am anderen Morgen!" rief Ottomar. „Än dem Tage, vor dem ich im Dorfe war — Ihr erinnert Euch doch?" „Es kann wohl so sein." „Am Abend vorher hatte der Freiherr den Schuß in die Schulter bekommen." Huber wurde verlegen. „Es kann wohl so sein." Ottomar drang auf ihn ein. „Kerl! und Du hast mir von alledem nichts gesagt? Becker hat den Freiherrn geschossen und Du bist sein Mitschuldiger!"
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