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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990614023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899061402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899061402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-14
- Monat1899-06
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. die LbenL-Au-gabe Wochentag» um 5 Uhr. Nedaction und Erpr-Mo«: Johanni»,affe 8. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Filialen: lvtt» Klemm's Eovtim. (Alfred Hahn). Universitätsstraße 3 (Paulinum). Laut» Lösche, Katharinenstr. 14, part. und KöntgSplatz 7. Vezug-^pretS in der Hauptrxpeditiou oder den t» Stadt bezirk und den Bororten errichteten Ao»- gabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich- vierteljährlich ^l S.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendiurg in» Au-laud: monatlich 7.50. Abend-Ansgabe. KipMtl" Tastblaü Anzeiger. NmlsVlatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Nalizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Nnzeigerr-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Neclamen unter dem RedactionSstrich (4ge- spalten) 50^, vor den Familiennachrichtea (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsah nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ahne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgra - Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von T. Volz in Leipzig 298. Mittwoch den 14. Juni 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. Juni. Im Reichstage hatte vorgestern bekanntlich das Centrum der Cnbloc-Annahme des Hypothekenbankgesetzes in zweiter Lesung nur unter der Bedingung zugestimmt, daß in dritter Lesung Aenderungen für zulässig erachtet würden. Zu solchen ist eS aber, wie vorauSzusehen war, gestern nicht gekommen. Man begnügte sich damit, weitschweifig darzulegen, was eigentlich an dem Gesetze auSzusetzen sei, entschloß sich aber dann abermals zur Enbloc-Annahme. Auch der Gesetzentwurf über die weitere Berwendung von Mitteln des R e i ch S i n v a l i d e n s o n d S für unterstützungsbedürftige Veteranen und zur Erhöhung der Bezüge von Wittwen und Waisen der im Kriege gefallenen oder infolge des Krieges gestorbenen Militärpersonen wurde in dritter Lesung erledigt. Die darauf folgende dritte Be ratung des JnvalidenversicherungsgesetzcS kam nicht über die GeneraldiScussion hinaus, diese aber war insofern von Bedeutung, als sie die Annahme der Vorlage in nahezu sichere Aussicht stellte. Erkannten doch selbst die social demokratischen Redner an, daß das Gesetz eine Verbesse rung bedeute, und stellten die Zustimmung ihrer Fraktion in Aussicht. Ob, wie man hofft, die dritte Beratung schon beute zu Ende geführt werden kann, ist allerdings noch fraglich, da eine Menge von Abänderungöanträgen vorliegt. Mit Rücksicht auf die am Donnerstag im preußischen Ab geordnetenhause beginnende zweite Lesung der Canal vorlage sollen für diesen Taz nur kleinere Vorlagen auf die Tagesordnung des Reichstags gesetzt werden, am Freitag soll die Sitzung ganz auSfallcn und am Sonnabend die erste Lesung der Vorlage zum Schutze des Arbeits verhältnisses begonnen werden — wenn man sich nicht in letzter Stunde noch eines Anderen und Besseren besinnt. Selbst die gutconservative „Schief. Ztg." sieht mit schweren Bedenken dem Experimente entgegen, unmittelbar vor der Vertagung in einem in einer Art permanenter Ferienstimmung befindlichen Hause eine so wichtige Vorlage „anzuschnciden": „Ob die ReichstagSmitgliedcr inzwischen überhaupt noch einmal in beschlußfähiger Zahl versammelt sein werden, ist fraglich-, sehr unwahrscheinlich ist jedenfalls, daß diese Zahl noch in einer Verhandlung, in welcher eine materielle Beschlußfassung aus geschlossen ist, vorhanden sein wird. Alsdann haben die Socialdemokraten den Reichstag in der Gewalt; sie können eine oder einige Brandreden halten und darauf ver möge ihrer 56 Stimmen die Verhandlung abbrechen lassen, ehe noch eine Zurückweisung von anderer Seite möglich gewesen ist. Nehmen wir z. B. folgenden Verlauf: Der Reichskanzler oder Graf Posadowsky eröffnet die Debatte mit einer Darlegung der Gründe, welche die Verbündeten Regierungen zur Einbringung de» Gesetzes bestimmt haben. Nach ihm besteigt Herr Bebel die Tribüne, „vernichtet" die Vorlage, verflucht die „prositgierige Bourgeoisie" und verkündet den unausbleiblichen „Sieg der Gerechtigkeit". Ungeheurer Beifall der „Genossen". Dazwischen ruft Herr Singer: „Zur Geschäftsordnung! Ich beantrage die Vertagung und zugleich die namentliche Abstimmung über diesen Antrag." Der Antrag auf namentliche Abstimmung ist von mehr als 50 Mitgliedern unterstützt, der Geschäftsordnung ist genügt, die namentliche Abstimmung findet statt; sie ergiebt die Beschluß unfähigkeit und damit den Schluß derSitzunq. DerPräfident kann nicht hoffen, in den nächsten Tagen ein beschlußfähiges Haus versammelt zu sehen; so bleibt ihm nur übrig, auS eigener Machtvollkommenheit die nächste Sitzung auf den 14. November anzuberaumen; denn eine Vertagung durch kaiserliche Verordnung auf mehr als 30 Tage bedarf der Zustim mung des Reichstages und diese würde nicht mehr zu beschaffen sein. Die Socialdcmokratie würde auf diese Weise mit einem Triumphe aus der Debatte hervorgcheu, die Stellung der bürger lichen Parteien aber vollständig im Ungewissen bleiben und die socialpolitische Verwirrung im Lande eine höchst bedauerliche Steige rung erfahren." Wenn das conservative Blatt am Schlüsse seiner War nung die Hoffnung ansspricht, die „staatserhaltenden Parteien" würden in der betreffenden Sitzung vollzählig auf dem Platze sein, so widerspricht es sich selbst, denn es hat im Vorstehenden anerkannt, daß die Erfüllung dieser Hoffnung „sehr unwahr scheinlich" sei. Und wird das Unwahrscheinliche zur That- sache und verläuft die Debatte so oder auch nur ähnlich, wie die „Schles. Ztg." es für möglich hält, so wird eö auch nicht viel nützen, wenn die Negierung den Rath des BlattcS be folgt und die „durch ihr Zögern verschuldete Beeinträchtigung ihres Vorgehens" durch eine klare und feste Sprache wieder gut zu machen sucht. — Dem preußischen Abgeordnetenhaus! wird heute von den „Berl. Polit. Nachr." eindringlich zugeredet, den Beschlüssen des Herrenhauses über die (sharfrcitagS- vorlage ja nicht beizutreten, sondern diese in der von der Commission dieses Hauses vorgeschlagenen Fassung anzu nehmen. Diese Mahnung wird folgendermaßen begründet: „Die Charfreitagsvorlage, welche zunächst das Herrenhaus be- schästigt hat und in nächster Zeit das Abgeordnetenhaus be- schäftigen dürfte, ist vornehmlich durch das Vorgehen der Sociyldemokraten von Elberfeld-Barmen gegen die Heiligung des ^harfreHags vetnn ta gl. ' Sn-de- zweckte die Regelung der Frage nach dem in Preußen be- trcffs der Feiertage allgemein angenommenen Grundsätze, daß im Gesetz lediglich bestimmt wird, welche Tage als allgemeine Fest- tage anzusehen sind, in welcher Weise der Schutz dieser Feiertage durchgesührt werden soll, aber der Regelung durch Polizei- Verordnung überlassen bleibt. Auf diese Weise tritt als un mittelbare Wirkung der Erklärung eines Tages zum Fest- tage allein die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über die Festtage rc. ein. Der Schutz des Feiertags ist dagegen durch be- sondere den Verhältnissen des Ortes entsprechende Polizeiverord nung zu sichern. Auch für den Charfreitag war eine ver schiedene Regelung dieses Schutzes Vorbehalten, je nachdem es sich um ganz oder überwiegend evangelische oder katholische Gemeinden oder um solche von confessionell gleicher Mischung handelt. Mit diesem Inhalt der Regierungsvorlage steht der Commissionsbcschlub deS Herrenhauses in völliger Ueberein- stlimnung; er bestimmt mit ausdrücklichen Gesetzesworten nichts Anderes, als was der Negierungsentwurf implieits bezweckte. Zn- gleich wird erreicht, daß in überwiegend katholischen Ge meinden, in denen sich nur eine kleinere evangelische Diaspora- Gemeinde befindet, um die Gotteshäuser ein befriedeter Be zirk geschaffen wird, in dem jede öffentlich bemerkbare oder geräuschvolle Arbeit zu unterlassen ist. Die auf Antrag des Grafen Pfeil von dem Herrenhause beschlossene Aenderung des Com- mijsiousvorschlages ist nicht allein aus formalen Gründen un haltbar, sondern geht, indem sie will, daß auch in über wiegend katholischen Orten jede bemerkbare oder geräusch volle Arbeit verboten werden soll, über das Bedürfniß und über die von der Staatsregierung verfolgte Absicht in unzulässiger Weise hinaus. Man darf erwarten, daß die Erkeuntniß dieser Lage der Sache im weiteren Verlaufe der gesetzgeberischen Verhandlungen ihre praktischen Consequenzen ziehen wird." Wenn man bedenkt, daß im weitaus größten Theile der preußischen Monarchie längst zu Recht besteht, waS die „Berl. Polit. Nachr." als „unzulässig" für den kleineren Theil bezeichnen, so würde man die Mahnung dieses Organes nicht begreifen, wenn man nicht ferner bedächte, daß die „B.P.N." dem preußischen Finanzministcr vr. v. Miquel nahe stehen, daß dieser die Aufgabe hat, die Mittellandcanal-Vorlage durchzudrücken, daß die Annahme dieser Vorlage wesentlich vom Cent rum abhängt und daß die Presse dieser Partei die Canalfrage mit der Charfreitagöfrage in innige Ver bindung gebracht hat. Früher sprach sich diese Presse häufig sehr abfällig gegen „Compromiqneleien" ans; aber: „Märchen spricht, eS war einmal." Wie daS Thun'fche Regiment durch seine Förderung des Kleriko-SlawiSmus ungewollt die deutsch nationale und die Los von Rom-Bewegung gefördert hat, so sinnt cs jetzt auf UntcrdrückungSmaßregeln gegen diese vollauf berechtigte Be- thätigung deutschen Sinnes. Namentlich die Presse, eine der ^ich-.'gstpn Trägcxüw^n. ienez Regungen, bildet den bitter gehaßten Gegenstand von behördlichen Maßregelungen, so eben hat sich der Zorn der Staatsanwaltschaft wieder gegen K. H. Wolf'S „Ostdeutsche Rundschau" entladen, und zwar in Gestalt mehrfacher Beschlagnahmen auS verschiedenen Gründen, worüber die „Tägl. Nundsch." aus Wien folgenden Drahtbericht vom Dienstag erhält: „Die gestrige Ausgabe der „Ostdeutschen Rundschau" wurde wegen Mitthcilungen über die Uebertrittsbewegung mit Beschlag belegt. Auch die heutige Ausgabe wurde unterdrückt, und zwar wegen einer ganzen Reihe von Fällen. DaS Blatt besprach wiederholt Fälle von Briefverletzung und zog dabei die Urthcile von Nechtsgelehrten über die Verletzung des Briefgeheimnisses heran; auch diese Urtheile wurden mit in die Beschlagnahme einbezogcn. Außerdem wurden in der selben Nummer noch beschlagnahmt Mittheilungcn über die Verlags buchhandlung von Wiemann in Barmen und eine auf die JrrsinnS-Erklärung der Prinzessin Luise von Coburg bezüg. liche Bemerkung." Daß dem Blatte auS dieser fortgesetzten Beschlagnahme zunächst ein empfindlicher Schaden erwächst, ist ja sicher. Nur fragt eS sich, wem ein längeres Leben beschicken ist, der slawisch-klerikalen Herrschaft oder aber der deutsch-nationalen Gesinnung in Oesterreich. Ueber Staat und Kirche in Italien schreibt die „Kirchliche Correspondenz": Der italienische Staat dringt auf bürger liche Eheschließung und erklärt eine blos kirchliche Ehe schließung für ungiltig, dagegen behauptet die römische Kirche, daß nur sie allein die gütige Ehe schließen kann, und handelt auch darnach. Daraus sind viele Uebel entstanden, unerfahrene Mädchen gehen nur eine kirchliche Ehe ein und halten dann diese für gütig; nach einiger Zeit werden sie verlassen und sind hilflos, denn diese kirchliche Ehe hat keine staatliche Giltigkeit. Man kann leicht ermessen, WaS für eine Ver wüstung der Sitten aus diesen Zuständen entspringt. Aber die römische Kirche hält an ihren Grundsätzen fest; der italienische Senat will nun dem ein Ende machen und nächstens Gesetze vorlegen, wonach die Unterlassung der bürgerlichen Eheschließung vor der kirchlichen strafbar sein soll. Die Vornahme der kirchlichen Eheschließung vor der bürger lichen wird durch Geldstrafen von den Ehegatten und den amtirenden Geistlichen gebüßt; wiederholt der letztere sein ungesetzliches Verfahren, so wird er mit Gefängniß be straft. Wittwen von Beamten, welche sich nur kirchlich haben trauen lassen, gehen der Pension verlustig. — Ebenso wird dem italienischen StaatSrath demnächst eine könig liche Verordnung vorgelegt werden über den Widerruf des Placet und das Exequatur. Ein unwürdiger oder widerspenstiger Priester wird zunächst durch den General- procurator (Staatsanwalt) ermahnt; im Rückfall wird sein Gehalt vom Staate gesperrt und, wenn das noch nicht genügt, widerruft man das Placet oder Exequatur, doch soll zu diesem Mittel nur im äußersten Falle gegriffen werden, wenn nämlich der Priester in sittlicher oder politischer Be ziehung ein schlechtes Verhalten zeigt oder wenn er deö italienischen Priesterrechtes verlustig ist. — Möchte die italienische Negierung, die mit diesen Gesetzen und Verfügungen sicher i» «in großes Wespennest greift^ auch fest greifen: Im englischen Unterhaus« erklärte gestern Chamber lain, daß ein Blaubuch, welches die Antwort der britischen Regierung auf die Petition der TranSvaal-UitlandcrS ent halte, auf den Tisch deö Hauses niedergelegt sei. Die Negierung warte noch auf Depeschen des Gouverneurs der Capcolonie mit vollständigen Berichten über die Conferenz, bevor sie ihm weitere Weisungen sende. Im weiteren Verlaufe der Verhandlung führte Chamberlain aus, er habe keine Nachricht davon, daß die Regierung von Transvaal kürzlich Waffen und Munition unter die Boeren in Natal habe vertheilen lassen und somit die eigenen Untcrthanen Englands gegen England bewaffnet habe. Labouchere stellte sodann die Frage, ob Chamber lain die Mitthcilung gesehen habe, daß Gouverneur Milner das Verlangen des Präsidenten Krüger nach einem SchiedS- Feuilleton. Äußer Diensten. L8j Roman von Ernst Wichert. Nachdruck vcrbct >. Rüttger zog die Mütze. ,-Gratulire! Aber nun komm doch ins Haus, damit wir das große Ereigniß feierlichst begießen." ,)Kann nicht — muß nach Horseln — wollte Dir nur vor der Zeitung Nachricht geben." „Zehn Minuten wirst Du doch . . ." „Auch nicht eine." „So warte, ich bringe die Flasche an den Wagen." „Bemühe Dich nicht. Ich trinke mit Dir kein Glas mehr, bevor. . . Ja, deshalb kam ich eigentlich. Du — ich kündige Dir echt ritterlich Fehde an." „Na? Was heißt das?" ,)Daß ich darauf aus bin, Dir etwas wegzunehmen — wenn ich es bekommen kann. Sich Dich vor!" Mas für Wegelagerei hast Du denn im Sinn?" „Es handelt sich um ein schönes Fräulein . . ." „Armgard?" schrie Rüttger ihn an. „Die kann ich Dir doch nicht wegnehmen; Du hast sie ja gar nicht." „Ja, aber. . ." Rüttger sprang auf den Wagen. „Kutscher, fahr zu! Ich begleite Dich noch ein Stück Weges." Als er wieder absprang, schienen sie sich verständigt zu haben. Wenigstens schüttelten sie einander die Hände, und Rüttger rief dem Freund« nach: „Gut Glück! Nun zeige mal, daß Du ein Teufelskerl bist, HanS!" j 'In Horseln war große Freude über den Sieg. Noch im Laufe des Tages liefen Briefe ein, die das vollständige Ergebniß der Zählung mittheilten. Jungenheim hatte ein Mehr von weit über tausend Stimmen. „Nun wird der Herr Reichstagsabgeordnete wohl gleich nach Berlin auSrücken?" fragte der Freiherr. „Wollt Ihr mich loS sein?" „O — o oh!" „Dann gönn' ich mir in Horseln noch eine Woche Erholung nach allen diesen Strapazen. Sie waren nicht gering." Und nun erholte er sich wirklich, schrieb nur die nothwendigsten Briefe und war immer zu haben, wenn die Fräulein Kegel und Reif spielen, oder fahren, reiten und spazieren gehen wollten. Comiesse 'Hertha nahm er das Roman-Manuscript ab, obgleich an der Abschrift noch mehrere Bogen fehlten. „Für den Seher brauchen Sie sich kein« Mühe weiter zu geben", sagte er, „und Ihr einziger Richter vor der Veröffentlichung bm ich. Ich acceptire den Roman für das Feuilleton der Berliner Tages zeitung, deren Miteigenthümer ich ja jetzt bin. Ueber das Honorar werden wir uns einigen." Irmgard hatte längst den Schmollwinkel langweilig ge funden nnd dem garstigen Doctor wieder ihr wahres Gefühl ge zeigt. Sie waren gute Freunde, nur mit dem Rückhalt, daß über gewisse Dinge gar nicht gesprochen wurde. Sie sollten nach ihrem Wunsche todtgeschwiegen werden. Eines Morgens sah er sie von seinem Fenster aus allein im Garten. Er eilte sogleich hinab und forderte sie zu einem Spazier gang in den Park auf. „Ich habe Ihnen nothwendig etwas zu sagen", lockte er. Sie blickte rasch auf und ebenso rasch wieder zur Erde. „Kann das nicht hier geschehen?" „Besser dort." Eine leichte Röthe huschte über ihre Wangen. „Nun denn . . ." Sie folgte ihm. Sie.gingen schweigend an dem Teich vorüber und den Bach aufwärts, der jetzt nach einigen schweren Regengüssen mehr Wasser hatte und weiter oben zwischen den Steinblöcken ganz munter sprudelte. Der Sonnenschein war gedämpft durch den herbstlichen Nebel, der die Luft erfüllte und die Ferne bläulich färbte. Die Bäume hatten schon viel welkes Laub, und auf den moosigen Steinen lagen feuchte gelbe und braune Blätter. „Da ist der Stein, von dem Sie damals nicht herunterspringen woll ten, ohne daß ich mich abwandte", sagte er. „Ja, das ist er", bestätigte sie, indem sie etwas scheu dahin blickte. „Wollen wir einmal zusammen hinaufspringen?" „Aber wozu?" rief sie wie erschreckt. Er hielt ihr die Hand hin. „Damit Sie sich des Doctoe Junge recht erinnern. Er ist's, der Ihnen etwas zu sagen hat." Sie zögerte ein Weilchen. Dann schlug sie doch kichernd ein. „Aber das ist heute nicht so leicht. Das Wasser . . ." „Eins — zwei — drei!" commandirte er und schwang sich mit der leichten Gestalt hinüber. Da standen sie nun dicht nebeneinander auf der Platte mitten im Bach, der sic mit murmelnden Wellen umschäumte. Hans hielt die kleine Hand fest und drückte sie sanft. „Ohne mich können Sie nun nicht herunter." „O doch! Aber Sie werden ja nicht . . ." „Irmgard —! Der Doctor Hans Junge von damals ist jetzt Reichstagsabgeordneter und Besitzer einer großen Zeitung in Berlin." „So? Ich denke, der Freiherr von Jungenheim." „Nein, der Doctor Junge, der Journalist. Er hat sich's er kämpft." Sie zog an ihrer Hand. „Darauf kann er ja stolz sein." „Er möchte sich aber noch mehr erkämpfen — viel mehr." Irmgard blinzelte schelmisch und zugleich verlegen. „Was denn zum Beispiel?" „Eine Frau." „Ah -!" „Möchten Sie für ihn, wie Sie ihn kennen, ein gutes Wort einlegen?" Sie beoachte sich einen Augenblick. „Bei wem denn?" „Das ist schwer zu sagen, Ich denke, zunächst bei Armgard." Sie wurde kreidebleich. „Bei Armgard?" „Ja, sie hat nun die Macht, zu binden und zu lösen. Sie haben mir durch meinen Freund Rüttger etwas mittheilen lassen —" „Ach, das war dummes Zeug", fiel die Blonde mit Heftig keit ein. Er lächelte. „Wenn mein Freund es aber nun ganz ernst nimmt?" „So thöricht ist er nicht!" rief sie, und wurde dabei wieder feuerroth. „Und jedenfalls weiß er längst —" „Was weiß er, Irmgard?" „Daß ich ihn nicht mag — das; er nie . . ." Die Thränen stürzten ihr aus den Augen. „Ach Gott, was habe ich da gethan? Helfen Sie mir, sagen Sie ihm —" „Daß Sie ihn freigeben?" „Aber gewiß. Es war ja nur, weil ich — weil ich —" „Weil Sie einen gewissen Doctor Junge recht ärgern wollten. Getroffen?" Sie deckte die Hände über die Augen. „Ich kann's ja gar nicht eingestehen." > „Es kommt doch auf den Grund an", meinte er. „Ich wüßte Einen, der den Doctor sehr zur Verzeihung geneigt machen könnte." „Ach, sprechen Sie nur gar nicht weiter davon", bat Irm gard, die blauen Augen zu ihm aufschlagend und gleich wieder senkend. „Ich weiß, ich handelte recht kindisch und rede mich nun mit jedem Worte nur noch tiefer hinein." „Den Grund also wollen Sic nicht nennen?" scharmützelle er weiter. „Aber ich hatte ja gar keinen, von dem ich selbst etwas wüßte. Man fühlt das so." Er faßte wieder ihre Hand und zog die Stirn kraus, indem er sich ein wenig bückte, um einen Blick abzufangen. „Ja, das ist nun doch eine schlimme Sache", sagte er. „Glauben Sie nicht, daß Blanden Sie beim Wort nehmen wird?" „Bei welchem Wort?" fragte sie weinerlich. „Ich habe ihm doch keins gegeben, außer daß ich ihm gesagt habe, er könnte zum Papa gehen, was mich doch nicht band, und daß ich ihm ver boten habe, sich um mich zu kümmern, was er ja auch ganz ehr lich gehalten hat. Man hätte weit eher glauben können, daß er Armgard. . ." Sie stockte plötzlich; es kam ihr offenbar ein erleuchteter Gedanke, denn sie sah mit erstaunt lachendem Gesicht zu Jungenh-im auf. „Acb, deshalb meinten Sie wohl, daß ich bei Armgard ... Ja, ja, sie gefällt ihm sehr, ich hab's ganz ohne Eifersucht bemerkt, und bei ihr hat er, glaube «ich... Aber in solche Angelegenheiten mische ich mich gar nicht. Sagen Sie ihm nur, meinetwegen könne er thun und lassen, was er wolle." „So!" sagte Jungenheim. „Rüttger hat also gar keine Hoffnung." „Auch nicht die allergeringste." Sie sah sich nach dem Wege um und suchte sich loszumachen. „Aber nun wollen wir doch wieder —" „.Halt" rief er. „Jetzt komme ich an die Reihe. Wenn ich mich nun wirklich recht geärgert hätte, Irmgard?" „Haben Sie?" fragte sie schalkhaft. „Darüber nämlich, daß ich nicht auch Rittergutsbesitzer war oder so etwas, womit man bei Excellenz von Jttenborn anklopfen kann, um die Hand seiner Tochter zu erbitten. Der arme Journalist durfte so waghalsig nicht sein." Er wurde sehr ernst. Und es schien ihm auch nicht ehrenwerth, noch mehr seine Neigung zu erkennen zu geben, als er merkte, daß sie doch schon errathen war. So viel Vernunft mußte er für sich und das liebe Fräulein haben, dem nicht leichtsinnig ein schweres Herzeleid angethan werden durfte. Heute hatte er besseren Muth. Und so bekennt er Irmgard, daß er sie liebt — Nun ließ sie sich aber nicht länger halten, machte sich mit einem Ruck die Hand frei, sprang leichtfüßig vom Stein über die Wasserrinne und eilte den Weg abwärts dem Parke zu. Er ihr nach. Sie fing an zu laufen; er holte sie aber bald ein und legte den Arm um sie. „Warum wollen Sie mich nicht freundlich anhören, Irmgard?" fragte er. „So ganz zuwider kann ich Ihnen doch nicht geworden sein, daß ich Sie beleidige, wenn ich Ihnen gestehe —" „Ach, das ist's auch nicht", fiel sie ein. „Aber wenn man auf so etwas Antwort geben soll — und weiß nicht einmal recht, ob Der Stein, auf dem man steht, fest liegt . . Er mußte hell auflachen, und sie lachte nun mit. Sie gingen ein Dutzend Schritte, immer vergnügter lachend, wobei er sie um faßt hielt und sie sich gar nicht dagegen wehrte. Plötzlich blieb sie stehen und sagte: „Sie meinen es wohl gar nicht einmal ernst, Herr Doctor? Bei Ihnen kann man das nie wissen. Dann hätte ich mich ganz umsonst geängstigt." „Oho!" rief er. „Bin ich so Einer, der mit heiligen Dingen Scherz treibt? Allen Grund haben Sie wirklich, sich zu ängstigen, Irmgard. Denn wenn Sie mir gut sind, wie ich hoffe, ist'S für Sie eine gar bedenkliche Sache. Das weiß ich leider nur zu gut. Zu den Menschen, die bisher für Sie eigentlich nur in Betracht kamen, gehöre ich auch jetzt nicht. Ich bin kein Officier, kein Hofjunker, kein Staatswürdenträqer, kein Rittergutsbesitzer, nicht einmal, ein Millionär. Das Nestchen Freiherrttchkeit klebt mir sehr lose an und nützt mir in meinem Berufe wenig. Es fragt sich in der That noch immer, ob Sie Frau Doctor Junge werden wollen, Irmgard. Darauf haben Sie zu antworten. Das „Ja" fordert hohen 'Muth. Aber ich vertraue, daß Sie ihn haben,
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