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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.06.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990615019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899061501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899061501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-15
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Man wirft Dupuy vor, daß er lawirt habe und weder von den Revisionisten noch von den Antirevisionisten sich als Vorspann habe brauchen lassen, daß er nur halbe, zwei deutige Maßregeln ergriffen. Aber wie hätte ein StaatSmaun, dessen oberste Aufgabe e» sein mußte, die Republik vor Schaden zu bewahren, ander» als vorsichtig, bedächtig, zur Beruhigung mahnend handeln können! Er stand inmitten der von recht» und link» ihn umbrandenden, höher und höher gehenden Leidenschaften. Er hatte nach anfänglichem, sehr begreiflichem Schwanken sich ent schlossen, die Revision des DreyfuSprocesseS entschieden zu Ende zu führen, — und eS ist viel geschehen: Dreyfus kehrt nach Frankreich zurück, gegen Picquart ist das Verfahren ein gestellt, Paty de Clam sitzt hinter eisernen Gardinen — aber er hatte auch dem Uebereifer der „Lichtfreunde" zu wehren, der der Sache Dreyfu»' nur schaden konnte. Sich entaegeuzustemmen hatte er dem Ansturm der fortgeschrittenen Radikalen und Socialisten, welche die Drey- fuSsache nur als Vorwand auf ihre Fahne geschrieben hatten, um der plebiscitären, socialistischen Republik, mit anderen Worten der Anarchie zum Siege zu verhelfen und das Heer in seiner Gesammlheit zu diScreditiren. Wachsam galt eS auf der anderen Seite wieder gegenüber gewissen leitenden Kreisen derselben Armee zu sein, die jetzt noch auf ein Pro- nunciamiento mit Hilfe des KlerikaliSmuS zu Gunsten einer Militärdiktatur oder der Neuaufrichtung der Monarchie au- sind. Wer in so kritischen Tagen mit so vielen Gegnern tagtäglich gleichzeitig zu kämpfen hat, kann nicht auf den einen allein loSstürren, wenn nicht die andern ihn hinterrücks anfallen und zu Boden strecken sollen. Man verargt eS Dupuy vor Allem, daß «v ben bekannten Gesetzentwurf eingebracht hat. welcher der Criminalkammer de» EassationsbofeS die DreyfuSsache abnahm, um sie dem gesammten CafsationShofs zu überweisen. Wir haben s. Zt. selbst unseren juristischen Bedenken einem solchen Gesetz nä doo gegenüber Ausdruck gegeben, allein der Gang der Dinge hat doch gezeigt, daß Dupuy richtig calculirt hatte. Mit derselben Einstimmigkeit, mit welcher die Criminalkammer die Revision beschlossen haben würde, bat der gesammte Cassationshof sie beschlossen. Aber jenem Beschluß hätte man Parteilichkeit und Vor eingenommenheit vorwerfen können, er würde der öffentlichen Meinung nicht imponirt, sie nicht beruhigt und die „Affäre" nicht aus der Welt geschafft haben; nun der höchste Gerichtshof Frankreichs in seiner Gesammtheil gesprochen hat, muß Zeder sich fügen und der Wahrheit die Ehre geben, wenn er nicht ein Thor oder ein Verbrecher ist. Stets batte Dupuy das Ziel im Auge, Frankreich Ruhe und Frieden wiederzugeben, auS diesem Bestreben ist auch die Einbringung jenes Gesetz entwurf» zu erklären. Der zweite nicht minder unberechtigte Vorwurf, den man gegen Dupuy erhebt, ist der, daß er gegen die compromittirten Generale nicht scharf genug eingeschritten sei. Nun, unter seinem Vorsitz bat doch der Ministerrath beschlossen, den am meisten bloßgestellten General Mercier unter Anklage zu stellen. Wenn er die Kammer dabei um ihr Einverständniß fragte, so war das bei einer Action von schwerstwiegender Bedeutung, bei einer Action, die möglicherweise einen militärischen Coup provocirte, nur klug, denn er verschaffte ibr so die Sanktion deS Volkes. Und die Kammer, welche da» Vorgehen de» MinisterratheS billigte, ging in der Vorsicht sogar so weit, daß sie die Aufnahme der Unter suchung gegen Mercier bis nach dem Spruch des Kriegs gerichts von Rennes verschob, um ja allen Schein zu ver meiden, als wolle sie das Kriegsgericht beeinflussen. Also hierin war die Kammer mit Dupuy, der, zwischen lauter Raketenkisten gestellt, mit dem Lichte besonnen hantirte, voll ständig einverstanden, ebenso wie sie es war bei der Ueber» tragung der „Affaire" auf den gesammten CassationShof. Und jetzt? Der Widerspruch ist kaum zu verstehen: jetzt stürzt dieselbe Kammer ein Ministerium um derselben Schritte willen, die eS mit ihm gemeinsam gethan hat. Es ist dies nicht anders zu erklären, als auS einer eminenten Verschärfung der Gegensätze. Auf der einen Seite richtet die radical-socialistische Linke sich siegesgewiß empor und hält ihre Zeit für gekommen, aus der anderen concentrirt man sich wieder mehr nach Rechts aus Furcht vor dem Umsturz. Dupuy konnte weder mit Rechts noch mit Links sich ausschließlich liiren, und so mußte er — isolirt — fallen. Wendet man ein, auch die gemäßigten Republikaner hätten Dupuy im Stich gelassen, weil er sich als Polizeityrann entpuppt, und weist man darauf hin, daß der Antrag, über welchen er stürzte, eine entschiedenere Ver- theidigung der republikanischen Einrichtungen von der Regierung verlangte, so ist dem zu erwidern, daß die Formulirung deS Antrags eine sehr zweideutige und daß da ganze Mißtrauensvotum überhaupt nur ein Vorwand für alle Gegner Dupuy's war, ihn zu Falle zu bringen. Im Uebrigen sieben wir vollständig aus der principiellen Grundlage unseres Berliner Mitarbeiters, welcher uns zur Sache schreibt: Wer sich daran gewöhnt hat, die gesammte innere Ent wickelung Frankreichs lediglich vom Standpunkte der Dreyfus- angelegenheit aus zu betrachten, wird den Sturz deS Ministerpräsidenten Dupuy freudig begrüßen, wer aber daran denkt, daß dieser Staat von 40 Millionen Einwohnern denn doch ganz andere Interessen hat und daß seine Geschicke aus die politische Lage ganz Europas den größten Einfluß aus üben können, wird die nun entstandene Situation mit Sorge betrachten müssen. Denn diese Situation zeigt wiederum, daß Frankreich mehr und mehr Gefahr läuft, der Scylla t>cx Revolution oder der CharybdiS deS Staatsstreich- anheimzufallen. Zn Frankreich haben seit einem halben Jahrhundert ab wechselnd drei Faktoren den maßgebenden Einfluß gehabt: Die vom CapitalismuS und den akademischen Ständen gebildete Bourgeoisie, das vom Militäradel, der Geistlichkeit und Glücksrittern aller Art gestützte Zmperatorenthum und der auf den unteren Ständen basirende Radikalismus. Zeder dieser drei Faktoren hat die beiden anderen gegen sich. Dir Bourgeoisie ist in Frankreich auf die Dauer nicht regierungs fähig, weil sie dem Verlangen des Volkes nach Ruhm und Glanz nicht geuügen kann; sie ist jetzt weniger regierungsfähig als jemals, weil sie durch die un glückliche Dreysusaffaire vollständig gespalten ist. Der Radikalismus, dem es im Augenblicke geglückt ist, den ihm verhaßten Dupuy zu stürzen, mag zunächst zur Führung der Geschäfte berufen sein, aber aus die Dauer kann er sich nicht halten. DaS hat die Geschichte des Cabinets Bourgeois, des bedeutendsten radikalen Cabinets des letzten Jahrzehnts, dargethan. Dieses Ministerium, das vom No vember 1895 bis Ende April 1896 amtirte, bemühte sich wohl, die verrostete Gesetzgebungsmaschine wieder in Gang zu bringen und insbesondere in socialpolitischer Hinsicht Fort schritte zu machen, aber gerade darüber kam es zu Falle. Denn sofort verbündete sich die in ihren materiellen Inter essen gefährdete Bourgeoisie mit den konservativen Parteien und brachte so das radikale Ministerium zu Falle, wodurch naturgemäß die Bedeutung der konservativen Parteien ge steigert wurde. So ist auch diesmal der Sieg deS Radcialismus nur die Vorbereitung einer Förderung der imperialistischen Be strebungen. Nach der Revolution von 1848 warf sich das vor dem Radikalismus zitternde Bürgerthum erst der militärische» Diktatur Cavaignac'S und später dem aben teuerlichen Imperialismus Napoleon'S in die Arme. Heute sind weite Kreise des BürgerthumS (die um Meline und Ribot) nahe daran, sich in derselben Weise dem ersten besten Prätendenten in die Arme zu werfen, und je mehr die Radi kalen ihren augenblicklichen Sieg ausnützen werden, desto weitere Kreise des BürgerthumS werden der Sache der Re publik untreu werden. Daran aber, daß die Radikalen be müht sein werden, ihren Sieg auszunützen, kann man nicht zweifeln, wenn auch die an die Spitze der Regierung treten den Männer selbst einer Uebertreibung des Radikalismus ab geneigt sein mögen. Indem aber die radikalen Führer in den letzten Wochen die Volksmassen aufriefen, haben sie der Ochlokratie die Wege geebnet. Darum wird auch nach dem Sturze Dupuy's an eine baldige Herstellung der inneren Ruhe nicht zu denken sein. Deutsches Reich. s. Berlin, 14. Juni. (Die Polen in den akade mischen Berufen.) Bei dem Jubiläum des polnischen Studienbeförderungsvereins wurde triumphirend hervor gehoben, daß vor einem Menschenalter nur 4 polnische Aerzte in Wcstpreußen gewesen wären, gegenwärtig aber über 70. Hingegen wurde darüber Klage geführt, daß viel weniger Polen als Leiter und Lehrer an höheren Anstalten und als Richter wirkten, als früher. Dieser Unterschied ist sehr leicht zu erklären. Wer in ben Ostprovinzen längere Zeit geleht hat, weiß, mit welchem Eifer die polnischen Gutsbesitzer und noch mehr die polnischen Geistlichen bemüht sind, jungen polnischen Aerzten Praxis zu verschaffen. Uns ist eia Fall bekannt, wo ein nahezu fauler und nebenbei herzlich unbedeutender junger polnischer Arzt sofort nach seiner Niederlassung eine bedeutende Praxis bekam, weil der polnische Geistliche deS brtr. OrteS mit Hochdruck für ihn arbeitete. <^o ist es denn kein Wunder, wenn die solcher- ütaßen gc,o derten jungen polnischen Aerzte sich überall da niederlassen, wo das Rassenverhältniß der Bevölkerung die Aussicht zu gewähren scheint, dem deutschen Collegen Ab bruch zu thun. Auf der andern Seite haben die polnischen Agitationen des letzten Jahrzehntes der Regierung die Augen darüber geöffnet, daß eS sich nicht empfehle, höhere Beamten stellungen in den Provinzen Posen und Westpreußen mit Polen zu besetzen, weil diese polnischen Beamten in ihrer Stellung kein Hinderniß sehen, sich mit den unzufriedenen polnischen Elementen in Verbindung zu setzen. Dieses Vorgehen der Regierung wird aber ganz besonders gerechtfertigt durch die bei dem erwähnten Jubiläum offen dargethane Thatsache, daß bei den „freien" gelehrten Berufen (Aerzte, Rechtsanwälte) das polnische Element andauernd im Wachsen begriffen ist. Hiergegen kann die Regierung angesichts der Freizügigkeit der Aerzte und Rechtsanwälte nichts thun; so muß sie denn ein Gegengewicht schaffen, indem sie die höheren Beamten stellen mit Deutschen besetzt. * Berlin, 14. Juni. (Die Wablbeeinflussungen in der Provinz Hannover.) Die „Nationalliberale Corr." schreibt: „Zu den berechtigten Beschwerden der National liberalen über die fortgesetzten Attaken seitens politischer Beamten der königl. preußischen Staatsregierung, wie sie in Hannover von Wahl zu Wahl in den letzten Jahren zu constatiren waren, haben die konservativen Organe, deren Geschäfte von solchen Landräthen besorgt werden, sich auS- geschwiegen; und das war das Beste, was sie angesichts der unleugbaren Thatsachen thun konnten. Umsomehr fühlt die freiconservative „Post", die bisher solche Mißbräuche, wofern sie nur gegen die Nationalliberalrn gingen, beschönigt hat, sich verpflichtet, auch diesmal den Conservativen in ihrer Bedrängniß zu Hilfe zu kommen. Mit einer rührenden Naivität wird folgende Geschichte erzählt: „Ein Wahlcuriosum hat der Verdruß der nationalliberalen Presse über den Verlust des ostfriesischen Mandates zu Tage gefördert. In dem Eifer, den conservativen Wahlsieg al» da» Ergebniß behörd licher Wahlbeeinflussungen hinzustellen, ist auch behauptet worden, daß schon in den Protesten gegen die Wahl von 1898 von erheblichen Wahlberinflussungrn die Red« sei. Die Thatsache ist richtig, wie uns von zuverlässiger Seite mitgetheilt wird. Aber diese Wahlproteste, welche, wie die» ja naturgemäß ist, von den damal» unterlegenen Conservativen arr-gingen, enthalten zwar sehr lebhafte Be» schwerden über Wahlbeeinflussungen, aber über Wahlbeeinflus- sungen von städtischen Beamten zu Gunsten deS national liberalen Candidaten. ES war daher nicht besonder» glücklich, gerade auf die Vorgänge bei der letzten Wahl und die dadurch her vorgerufenen Wahlproteste jetzt zur Erklärung des Mißerfolge» der Nationalliberalen Bezug zu nehmen." Die Beschwerden der Nationalliberalen über die Wahlvor gänge im Jahre 1898, die auf diese Weise wegeScamotirt werden sollen, sind niedergelegt in zwei Eingaben, die dem Reichstag am 10. December 1898 und am 23. Januar 1899 unterbreitet worden sind; und in diesen Eingaben sind unter Berufung auf Zeugen der Wahlbeeinflussung direct mit Namensnennung angeklagt: der Regierungspräsident v. Estorfs in Aurich und die Landräthe v. Frese zu Emden — der zugleich Wahl- commissar war —, Graf v. Wedel zu Leer und vr. Kriege zu Weener. Zn der Eingabe vom 23. Januar 1899 war unter Ziffer Nr. 2 sogar wörtlich behauptet: „Der Rechtsanwalt vr. Grüne selb in Weener hat in Be gleitung de» Landrath» vr. Kriege in Weener zwei Tage vor der Stichwahl den Zimmermeister van Geön» in Ditzummerverlaat be sucht und denselben angeworben, um Stimmen auf den Grafen Knyphausen für 30 Pfg. zu kaufen: GeönS hat dann auch am Tage der Stichwahl vor der Thür de» Wahllokals von Ditzummerverlaat Nährend der ganzen Verhandlung gestanden und Stimmzettel auf Snyphausea verkauft, d. h. mit 30 Pfg. an Wähler verabfolgt. Beweis: Zeugniß der ^u^u««» Pers»»«« uuL deS Arbeiters Peter Siebrandt in Ditzummerverlaat." Aus der Eingabe vom 10. December vor. Zr». lassen sich eine ganze Reihe von Fällen vorführen, in denen Landräthe auf Mehrer und Amtsvorsteher eingewirkt haben. Wir haben bisher davon abgesehen, diese Einzelheiten zu veröffentlichen, weil infolge des vorzeitigen Hinscheidens deS nationallibcralen Abgeordneten Frantzius diese Beschwerden nicht mehr zur Verhandlung in der WahlprüfungScommission gekommen sind, würden aber auch diese zur öffentlichen Kenntniß bringen müssen, wenn die unredliche Taktik in der „Post" fortgesetzt werden sollte." * Berlin, 14. Juni. (Die Kiste des vr. Earl PeterS.) Unter oem Titel „Mißbrauch der Amts gewalt" hat bekanntlich Ser frühere Neichscommissar Vr. Earl Peters im Zanuar 2. I. eine Broschüre ver öffentlicht, worin er SaS gegen ihn staNgehabte Discivlinar- verfahren beleuchtet. Er erwähnt darin, daß er vom J-chre 1894 an in Berlin unter einer sehr gehässigen polizeilichen Beobachtung zu leiden gehübt und sich in der Atmosphäre der Tausch-Lecker!- Liitzow-Periode befunden habe. Um dieser Spionage zu ent gehen, sei er schließlich nach England übrrgesiedelt. Nun sei eine unheimliche Ueberwachung seiner Eorrespondenz e'mgetreten. Viel« seiner Briefe seien verschwunden, andere hätten unverkenn bar die Spuren getragen, daß sie eröffnet worden waren. Schließlich habe er sich der Deckadressen bedienen müssen. Im December 1896 sei ihm eine Kiste mit Arten gestohlen worden, di« er zu seiner Vertheidigung brauchte. Die Kiste sei von Berlin an ihn abgesandt, eingeschrieben und versichert wor ben, habe sich also im Gewahrsam der deutschen Post befunden. Veidliche Umstürzler. Nachdruck verdat»»». In dem Verlage von F. Fontane L Co. in Berlin erschienen neuerdings zwei Romane, die, wenngleich von reichtalentirten Verfasserinnen herrührend, von Helene Böhlau und Ilse Frapan, doch in künstlerischer Beziehung ziemlich werthlo» sind, dagegen durch ihre, in beiden Werken gleiche Tendenz be- m«rkrn»w«rth werden. AuS denselben geht mit erschreckender Deutlichkeit hervor, daß di« Umsturz-Ideen unserer radikalen Frauenrechtlerinnen, al» welche sich auch die oben genannten Gchriftstellevrnnen offenbaren, sich inS Maßlose versteigen und Alles zu vernichten gewillt sind, waS uns so lange als er- strebenSwerth und heilig galt. Jh" Wünsche «inen sich denen der Socialdvmotratk; wie diese möchte auch Ilse Frapan dir Familie au» der Welt schaffen. In ihrem Romane „Wir Frauen haben kein Vaterland" schmäht ste dieselbe nach Kräften; glücklich, gut und tapfer sind nur die Unver- heiratheten. „Wir unverheirathete Frauen, freie Menschen sind wirk Wir dürfen die Hände regen für AndereI Oh, auf un» muß man rechnen, auf die künftigen Heere von Amazonen de» Gstfir» und der Begeisterung, der Kunst, der Menschenliebe! Wir haben Zett! Richt ewig dir Kette am Fuß, die sich Familie nennt, nicht ewig die Augen gerichtet auf da» Heim und seine Tyrannei!" Und noch ein Hieb gegen die FE ist«: „Zn den Familien wird nach wie vor Zwang, Druck, Heuchelei, Autoritätsglauben, Bequemlichkeit und Plattheit zu finden sein — dir Ruthe und der Schlafrock! Unter khnen aber (den UnverhriratheSrn) wird freie» Wort und freie Liebe, froh« Kraft, Wahrheit und Muth eine Stätte finden." Also eine Apo theose de» Melffungferkhum» — könnten wir mit bösem Witz sagen, wenn die Sach« nicht allzu ernst wäre. In ihrem Buche behandelt di« Frapan die Geschichte Siner jungen Dame» di» wider den Willen ihre» Vater, doch prcuniär von ihrer Stiefmutter unterstützt, nach Zürich gegangen ist, um dort zu studiren. Der Vater kommt aber dahinter, daß und von wem sie Geldsendungen erhält, und inhibirt dieselben. Gleich zeitig fordert er die Tochter auf, zu ihm zurückzutehren, und Alles solle vergessen sein, ihr Trotz und ihr Ungehorsam. Sie alber würde sich für feige und charakterlos halten, wenn sie dem Wunsche des DaterS nachkäme. „Aber, Papa, begreifst Du denn nicht, daß ich ein freier Mensch bin, daß ich selbst über mein Leben bestimmen muß." Sie wendet sich nun mit einer Bitte um Unterstützung an ihre Vaterstadt Hamburg. Damit spielt Ilse Frapan dann ihren Trumpf aus. DaS Ersuchen der Bittstellerin wird abgewiesen — da sieht man's, wir Frauen haben kein Vater land! Nun denn — ihre Menschenrechte läßt sich die Heldin nicht rauben, will der Vater nicht nachgeben, der Staat sie nicht unterstützen, dann geht ste zu den Rechtlosen, den Heimathlosen, den Vaterlandslosen, dann wird ste Fabrikarbeiterin. Dieser Schluß erinnert lebhaft an den alten Scherz: „Geschieht meinem Vater ganz recht, daß ich mir Re Hände erfriere, warum kauft er mir keine Handschuhe." Bisher wurde die Forderung aufgestellt, daß die Frauen zum öffentlichen Erwerbsleben zugelassen werden sollen, um sich vor Noth schützen zu können. Ilse Frapan sagt, damit sei gar nichts geschehen. „Wenn wir nichts weiter erreichen, al» daß wir für unser eigenes Futter sorgen können, dann wären wir taube Blllthen. Nein, dies Bestreben ist nur der Anfang. Der Zweck ist, di« Hände frei zu bekommen, um der Menschheit dienen zu können mit allen Kräften." Damit ist ja der Sache ein ganz hübsches Mäntelchen umgehängt. Was sich die Verfasserin bet ben schönklingenden Worten: „der Menschheit bienen", bei „der Culturarbeit der Frauen" denkt, darüber läßt sie den Leser im Unklaren, wie auch darüber, was nun die weiblichen Unverinählten plötzlich zu so auserlesenen Menschen von Ilse Frapan'» Gnaden machen wild? DK Gym- nastalbildung? — demnach wäre diese nur von fördernder Wir kung auf Frauen, denn die Männer, von denen doch sehr viele da» Gymnasium besucht häben, sind trotzdem in den Augen dieser Art Schriftstellerinnen ausnahmslos inferiore Geschöpfe. Minder gefährlich als bas Frapanssche Buch, aber auf den selben Ton gestimmt, ist der Roman „Halbthier" von Helene Böhlau. Minder gefährlich nennen wir ihn, weil seine allzu überschwängliche Darstellung die Wirkung des Leit motivs abschwächt. Von dem Wortschwall, mit dem die sonst so geschickte Schriftstellerin diesmal zu Werke geht, hier nur einige Proben: „Ein Thier, da» gejagt wurde, wie da» Weib, dem wüchse irgend etwas, ein Horn, ein Gfftzahn — dem Weibe wuchs nicht». ES wurde zahm und zahmer (na, na. Anin. b. Red.), das HauSthier im vollsten Sinne." An anderer Stelle heißt es: „Sie gehörte zu denen (den Frauen), die tkf unter dem Begriff Mensch sichen, zu den Körpern ohne Geisteskraft, die be schimpft, mißachtet, ohne Menschenwürde leben." Wie wird unseren verehrten Leserinnen dabei, wenn sie hören, was sie für arme, bedauernSwerthe Geschöpfe, rocto Halbthkre, sind? Vielleicht haben sie das noch gar nicht gewußt, sondern sich ganz wohl in ihrer Haut gefühlt. So ganz ernst ist eS der Verfasserin ja auch nicht mit ihren stark gepfefferten Ausdrücken. Sie will damit nur di« Galle ihres weiblichen Publikums er regen, um dasselbe gefügiger zu machen für ihren Aufruf an die Frauen: „Ich beschwöre euch, thut etwa» Königliches, etwas Freies! Nichts Althergebrachtes! Nicht» Kluges, nichts Ver nünftiges, laßt die That der Frau wie eine lang verschüttete Quelle rücksichtslos hervorsprudeln. Thut etwas, das davon zeugt, daß ihr den großen Willen babt, den weltüberwindenden Willen. Breitet eure großen Flügel aus wie Glucken. Bereitet dem jungen starken Weib «in Nest. Sin eigene» Nest mitten in der horten frechen Welt. Ohne daß ein Funke von Verachtung in eurem BUck auffteigt, laßt in unangetasteter Reinheit dar junge Weib ein Kind ihr eigen nennen dürfen. Gebt ihnen Arbeit, bei der ihnen die Seele weit wird, und ein Kind, da» ihnen das Herz froh macht. Breitet eure großen Flügel aus wie Glucken und laßt ihnen nichts gescheh«n. — Weshalb dem jungen Weib nicht rin Nest, worin eS werden kann, wie es will? AuS diesem Nest wird eine neue starke Menschheit kommen, allen zum Trotz, die ein« Menschheit von Sclaven und Hausthieren wollen." Mit anderen, nüchternen und klaren Worten: Schafft die Ehrbarkeit aus der Welt, hebt die Dirne auf den Thron und setzt ihr Re Krone auf. DK sittsame Frau aber verlacht und b«- schimpft, ein Pereat der Ehe, der Familie — ein Iubelruf der freien Liebe! Das ist die Tendenz de» Frapan'schen Buches mit seinen Sympathie-Kundgebungen für die „Gefallenen" und ist der Kernpunkt deS Böhlau'schen Phrcsengeklingels. Frau al Raschid Bey, geb. Böhlau geht nur noch einen Schritt weiter als ihre Collegin von der Feder, diese bleibt im Lager der Social demokraten, die Böhlau aber geht tapfer mit den Anarchisten mit: sie feuert zur Gesetzlosigkeit, zur Gewaltsamkeit an. Ihr« Heldin ist ein ganz junges Ding, das sich erst in di« Bilder eines Malers und dann in diesen selbst verliebt. Sie giebt ihm das auch deutlich zu verstehen, wodurch sie in seinen Lugen etwas Dirnenhaftes erhält. In Folge dessen wagt er, sie zu bitten, daß sie ihm zu einem Bilde sitzen möge. Sie erfüllt seinen Wunsch, aber ganz anders, als er sich das gedacht: sie erscheint vollständig nackt vor ihm. Natürlich steigt sie dadurch nicht in des Malers Achtung. — Frau Böhlau ist aber der Meinung, daß ihre Heldin eine zur Bewunderung herauSforderndr Jdealerscheinung ist. Darauf hin ist das Buch ausgearbeitet und dementsprechend auch der Schluß motivirt: Die gekränkt« Schöne schießt den Mal« über den Haufen, weil er sie, ihrem Thun entsprechend, nach wie vor für schamlos und leichtfertig halt. Wollte die Verfaffrrin nun Alle, die gleicher Meinung wie der Maler sind, todtschießen lassen, würde sie ein grausiges Blutbad anrichten. Aber ihr Roman ist ja nur Zukunftsmusik — wir danken ihr, daß ste uns damit bekannt macht. Ihre ÄesinnungSgenossinnen, die al» Wander- Apostel für die Frauenbewegung Propaganda machen, tragen doch noch immer Scheu, ihre letzten Ziele zu «nthüllen. Zlse Frapan und Helene Böhlau sind offenherziger, st« sagen gerade heraus, wa» wir von dem zukünftigen Frauenregiment zu erwarten haben: Befreiung von den Ketten der Famili«, von denen der Schamhaftigkeit und de» Pflichtgefühl«, die alle uns doch nur zu Sclaven machten. Di« Zukunftsfrauen «rst schaffen di« Fniheit und die Glückseligkeit in „die Welt dumpfer, dummer, matter Seelen, Halbthierseelen!" Daß au» den Halbthieren dann vielleicht Ganzthiere werden, ist rin sehr nahiliegendrr Gedanke. Aber der kommt den „AmazoiKn de» Geiste»" «ben nicht. In ihrer Sucht, daS Bestehende umzustürzrn, den Mann zu ver nichten, das Weib zur Alleinherrsckerin über Leben und Tod zu machen scheinen sie da» Denken überhaupt ganz zu vergessen. Und daß selbst so kluge Frauen, wie die Frapan und dk Böhlau in Wirklichkeit sind, sich der gleichen Vergeßlichkeit schuldig machen, beweist, wie ansteckend jene Umsturzsucht ist. M. U h s r.
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