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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990616026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899061602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899061602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-16
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Ne Morgeu-AuSgabe «scheint um '/,7 Uhr, di« Abend-An-gab« Wochentag« um b Uhr. Nr-actio« »ud Lrpe-itio«: Jn-aant««affe 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh S bi« Mend« 7 Uhr. Filiale«: vtt» «em«'» Eorti«. (Alfred Hahn), UniversitütSstraße 3 (Paulinum). Lo«i« Lösche. Latharinenstr. 14. Part, und König-Platz 7. VezugS-PreiS In d« chauptrxpedittou od« den im Stadt, bemrk nutz den Vororte» errichteten Lu«. -abestellen abgeholt: vierteljährlich ^l4L0, oei zweimaliger täglich« Zustellung in« Hau« b.SO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich- vierteliährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsrndusg in« Suöland: monatlich 7.b0. Abend-Ausgabe. MpMer TagMM Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes un- Nolizei-Amtes -er Lta-1 Leipzig. AnzeigeN'Prei- die 6 gespaltene Petttzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (-ge spalten) 50^, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Aunahmeschlaß für Anzeigen: Abeud-AuSgabe: vormittag« 10 Uhr. Morge».Ausgabe: Nachmittag« «Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Ox-edition zu richten. Druck und Verlag von E. Pol- tu Leipzig 392. Freitag den 16. Juni 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leip-ig, 16. Zuni. (loatrum viotor! Der Mittellandkanal wird gewährt, e« muß aber erst vor dem Centrumsaltar gekniet und auf ihm ein Opfer niedergelegt werden. Es werden vielleicht auch mehrere Opfer werden. Wie gemeldet, haben die Kleri kalen noch eine Commissionssitzung für sich erlangt, nach dem von der Commission schon Alles beralhen und geklärt war, waS die Sache forderte. Die Canalfreunde hatten dem zustimmen müssen bei Vermeidung der angcdrohteu Stimmenenthaltung des CentruniS, die eS bewirkt hätte, daß die gestrige Plenarabstimmung deö preußischen Ab geordnetenhauses die erste und letzte in dieser An gelegenheit geworden wäre. Daß das Centrum mit seinem überraschenden Schritte beabsichtigte, was es zu wollen erklärte, glaubt kein Mensch, wenn auch die Canal enthusiasten so thun werden, als ob sie es glaubten. Gewiß wird die Pattei noch etwas für Schlesien und vielleicht sogar für andere Gegenden herauszuschlagen suchen, aber die gestrige Abstimmung, deren ziffermäßigeS Ergcbniß die CeiitrumS- führer so ziemlich vorauSsehen konnten und das sie dennoch herbeigeführt haben, war den CompcnsationSforderungen nicht günstig. Die Mehrheit von 240 Stimmen für den Canal gegen 160 ablehnende drückt auf den Conipcnsationsinarkt, und die Vertreter nichtklerikaler Wahlkreise, die meinen, nach der nun erfolgten Wiederaufhebung deö Ladenschlusses werde auch für sie etwas abfallen, gehen einer herben Enttäuschung entgegen. DaS Centrum hat das Manöver für sich, nur für sich gemacht, und es war schon vor der gestrigen Sitzung kein Geheimniß, daß es vor allen Dingen durch Zugeständnisse, die mit dem Canal nichts zu schaffen haben, erkauft sein will. Was auf dem Gebiete der Verwaltung verlangt und gewährt wird, braucht man nie zu erfahren, und ob die Jesuiten gefordert werden, steht dahin. Jedenfalls muß das Gemeindewahlrecht aus dem Hause so hervorgehcn, wie die Ultramontanen eS wünschen. Sie waren mit dem Verlaufe der ersten Lesung dieses Gesetzes nicht zufrieden und wollen sich sichern. Ihre Ankündigung: „Zuerst für nnS die rheinischen Städte, dann für Euch den Canal" ist gestern glänzende Wahr heit geworden. Man erzählt sich weiter — nnd die Angabe hat Nicht-Unwahrscheinliches — eine Nebenabsicht deö CentrumS sei eS, den Parteigenossen in Bayern, wo Landtags wahlen bevorstehen, einen Dienst zu erweisen. Man weiß, daß die die dortige CentrumSparlei bedrängenden Bauernbündler in der Bevölkerung, wenigstens in der des südlichen Bayerns, eine tiefe Abneigung gegen Canäle überhaupt zu erzeugen verstanden haben. Zu diesem Einschlag in dem klerikalen Gewebe paßt eö, daß der Frhr. v. Hcereman auf die Frage von College», ob man nun eine Badereise 'ris- kiren könne, geantwortet hat: „Unbesorgt zwei", und daß die erste der erneuerten Commissionssitzungen erst auf den 23. Juni angesetzt ist. Die bayerischen Wahlen werden erst nach etwa fünf Wochen beendet sein und danach wird man noch eine Anstandspause für nölhig halten. Es ist überhaupt keineswegs sicher und uns sogar sehr zweifelhaft, daß der Canalbau vor dem nächsten Winter endgiltig beschlossen werde. Vielleicht wird man den Landtag wie den Reichstag nur ver tagen, um die CommissionSarbeiten für den Canal zu retten. Kommen wird der Canal, das verrieth schon der Ton der gestern verlesenen Regierungserklärung und daS ihr voraus- geschickte, obschon nicht gerade packende Plaidoyer des Fürsten Hohenlohe. Es war Alles auf den FractionSbe- schluß der ausschlaggebenden Centruinspartei zugeschnitten. DaS Centrum darf auS dem bekannten Gedichte Wolfgang Müller's von Königswinter citiren: „Euch traut' ich mit gutem Fug, Ihr Bauern seid nicht schwierig." Die Allüren und die Energie', die die Regierung in den letzten Tagen zur Schau trug, waren Allüren. Für die Regierung ist dieser Verlauf, das Gebot, noch eine gute Weile vor den CentrumSgemächern zu antichambriren, eine viel härtere Niederlage, als es die Ablehnung deS Canals gewesen wäre. Aber sie thut wie College Schmock, sie „schluckt's 'runter". Sie theilt übrigens ihr Schicksal mit den Canalenthusiasten, die auch nicht daS Gefühl haben werden, als ob sich gestern auf ihre Häupter ein Sieges kranz gesenkt hätte. Sie werden sich aus der Ver legenheit zu helfen suchen, indem sie über die „umge fallenen Landräthe" spotten. Aber die preußische Beamten schaft braucht sich des Tages nicht zu schämen. Wir zähl ten in der Abstimmungsliste 21 politische Beamte, die mit Nein votirten, und unter denen, die für die Zurückverweisung an die Commission, also nach Lage der Dinge für den Canal gestimmt haben, ist unseres Wissens kein Einziger, der sich für seine Person gerade gegen das Project erklärt hätte. Uebrigens schwanken die Angaben über die Abstimmung der Beamten. Nach dem Einen sollen 20, nach dem Andern 28 mit Ja gestimmt haben, auch unsere Ziffer der Oppositio nellen macht keinen Anspruch auf Zuverlässigkeit. Sechs Beamte, darunter Freiherr v. Huene, fehlten. Im Ganzen rechnet man, daß bei vollbesetztem Hanse sich eine Mehrheit von 177 für den Canal ergeben hätte, also eine etwas geringere, als die gestern vorhanden gewesene. Doch schwebt diese Schätzung in der Luft; eS sollen auch Gegner für die Zurückverweisung an die Commission gestimmt haben, WaS aber nicht recht glaublich ist. Wie dem immer sei: Der neue CurS bekommt sein „großes Werk", aber er bezahlt auch vom Capital der Autorität die Hälfte der Kosten; die andere Hälfte trägt der Liberalismus. Nun die preußische Canalangelegenheit eine vorläufige Entscheidung gefunden, wird das ArbcitLschntzgesetz auf einige Tage wieder mehr in den Vordergrund treten. Die unerwartet rasche Abfertigung deS erstgenannten Gegenstandes im preußischen 'Abgeordnetenhaus,: erlaubt die frühere An setzung der ersten Lesung deS Gesetzes im Reichstage. Hier will, wie eS heißt, das Centrum seinen Standpunct sofort „präcisiren". Das wird eS natürlich nicht; sein Redner kann aber mit der Versicherung beginnen, daß die Zeitungsnachricht, nacb der die Partei gegen die CommissionSberathung zu stimmen beschlossen haben solle, nicht der Wahrheit entspricht. Auch über die Absichten der nationalliberalen Partei sind unrichtige Meldungen verbreitet worden. Sie steht, wie wir heute erfahren, keines wegs dem Schutze gegen Coalitionszwang ablehnend gegen über, sie hält aber die Erweiterung des ß 153 der Ge werbeordnung für den mit Erfolg gangbaren und weniger gefährlichen Weg. Gegen ein besonderes Gesetz und dessen Berathung in einer Commission scheint vor allen Dingen die Erinnerung an die Umsturzvorlage und die mit ihr ver knüpften Bemühungen, den Ultramontaniömus zum Ge winnenden zu machen, zu sprechen. Die Ausfassung, daß die Arbeiterschutzvorlage für solche Tendenzen keinen Boden biete, ist nichtJedermannsAnsicht,und in derThat haben auch schon klerikale Blätter die „Religion" als daS einzige Mittel bezeichnet, durch das Schwierigkeiten im Verhältnis; von Arbeitern und Arbeitgebern behoben werden können. Man weiß, was daS zu bedeuten hat. Uebrigens scheint die Regierung mit der bisher vom Centrum gekennzeichneten Stellungnahme nicht unzufrieden zu sein und ihm möglichstes Entgegenkommen zeigen zu wollen; wenigstens schreibt die ministerielle „Berl. Correspondenz": „Unklar ist freilich bis auf Weiteres noch die Stellung des CentrumS, dessen Presse bisher sich vorherrschend auf eine abfällige Kritik der Einzelheiten der Vorlage beschränkt hat. Je länger je mehr ist aber in dieser Presse das Streben nach Auffindung einigender Puncte hcrvorgetreten. In dieser Richtung kann vom Standpuncte der verbündeten Negierungen aus namentlich der Artikel im gestrigen Morgenblatte der „Germania" mit Befriedigung verzeichnet werden, in welchem genau und zutreffend dargelegt ist, inwie fern die geltende Gesetzgebung zur Behinderung eines unstatt haften Coalitionszwangs völlig unzureichend ist. Dieses Werth volle Zugeständniß wird dadurch nicht hinfällig, daß an die Zustimmung zu dem Entwurf, wie er jetzt vorliegt, die Bedingung der gleich zeitigen Gewährung erweiterter Coalitions rechte geknüpft wird. Zu solchen Forderungen vermögen die verbündeten Negierungen selbst verständlich nicht früher Stellung zu nehmen, als bis diese Wünsche in einem fest formulirten parlamentarischen Anträge vorliegen. Als ebenso selbstverständlich aber kann eS gelten, daß die verbündeten Regierungen jeden gesetzgeberischen Vorschlag in Erwägung ziehen werde», durch welchen der Sinn und Geist des Entwurfs nicht völlig umgeändert oder gar zerstört wird, und daß sie also auch nimmer mehr solche Einschaltungen in das Gesetz gutheißen werden, durch welche die usurpirte Machtstellung der Socialdemokratie, der auf einem bedeutungsvollen Gebiete zu begegnen die Vorlage be stimmt ist, vqn Neuem gestärkt werden könnte." Folgende Zeilen auS dem Briefe eines Engländers Namens Lloyd OSbourne an den Herausgeber der Zeitschrift „Tbe Academy", London, 3. Juni 1899, S. 613b, dessen Uebersetzung uns Herr Professor vr. Caspar Rens Gregory in Leipzig freundlichst zur Verfügung stellt, sind von Belang für die Beurtheilung der Lage auf Samoa: „Angesichts der allgemeinen Verwirrung des Publicums in Bezug auf die Wirren auf Samoa darf eS Sie interessiren, zu wissen, daß meine Sympathien und die von Frau Stevenson (der Wittwe des berühmten Schriftstellers) vollständig auf Seiten der Deutschen sind. Die britischen und amerikanischen Beamten versuchten, einen siebzehnjährigen protestantischen Studenten der Theologie dem Samoaner Volke anfzuzwingen, von denen 90 vom Hundert für Stevenson's alten Freund Mataafa zuerst wählten und dann kämpften. Ter „Krieg" ist auf der anglo-amerikanischen Seite durch eine unerklärliche Rücksichtslosigkeit und Brutalität ausgezeichnet worden, die, wenn die richtige Zeit gekommen ist, außerordentlich viel Aufklärung bcnöthigen wird durch die Marine-Ofsiciere und andere dabei betheiligte Beamte. Gegen alle Erwartung änderten die Samoaner Las, was zuerst als einfaches „Negerschicßen" („HUgor-pottm«") angesehen wurde, in einen für weiße Leute viel ernsteren und tödtlichcn Zeitvertreib. Die Deutschen waren von Anfang bis Ende die An- walte des Friedens un- der Versöhnung, und, wenn die Sache nach Herrn General-Consul Rose gegangen wäre, so hätte kein Mensch das Leben verloren, noch wäre Eigenthum im Werthe eines Dollars zerstört worden." Dieses Zeugniß eines Engländers läßt an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig und erweckt die Hoffnung, daß auch andere auf Samoa in gleichem Sinne vor der Commission aussagen werden. Wer aber macht die Todten wieder lebendig und stellt das zerstörte Eigenthum wieder her? Ueber den österreichisch ungarischen Ausgleich herrscht in Transleithanien bei allen Parteien, auch bei der Opposition eitel Freude, in Cisleithanien vielfach Mißmuth und Be- kümmerniß. Ungarn ist es gelungen, auS dem Ausgleich Capital für seine nationale Selbstständigkeit zu schlagen, Oesterreich muß nicht nur den Bruch mit Ungarn, sondern auch un berechenbare volkSwirthschaftliche Einbuße befürchten. Der Gesetzentwurf bestimmt ausdrücklich, daß beide Regierungen über das der jetzigen bloßen Zollvereinbarung ein Ende machende Zollbllndniß spätestens im Jahre 1901 in Ver handlung treten und daß eine sehr ernste Rückwirkung auf die Handelsverträge fühlbar wird, wenn daS Bündniß bis zum Jahre 1903 nicht vereinbart ist. Ungarn hat die Freiheit, zuzustimmen oder auch nicht; es kann seine Bedingungen stellen, daS Zollbündniß principiell ablehnen, sich offen zur Politik der Trennung bekennen. In den einfachsten Worten gesagt: Längstens in vier Jahren kommt ein neuer Ausgleich. Wie soll die Verhandlung über daS Zoll» bündniß, das wirthschaftliche Fundament der Monarchie, anders genannt werden? Das ist ein Ausgleich, eine voll ständige Erneuerung der Kämpfe und Krampfe, die jetzt das Reich erschüttern und die schon in vier Jahren mit gleicher Heftigkeit sich erneuern können. Allerdings würde die Zollgemeinschaft bis zum Jahre 1907 fortdauern, wenn sich die beiden Negierungen bis zum Jahre 1903 über ein Zollbünd niß nicht einigen sollten. Dieser vierjährige Schwebezustand wäre jedoch mit unerträglichen Nachtheilen für Oesterreich und die Monarchie verknüpft. Die Handelsverträge, die im Jahre 1903 ablaufen, dürfen in diesem Falle nur bis zum Jahre 1907 verlängert werden. Werden, so fragten wir gestern schon, die großen Staaten, wie insbesondere Deutschland, sich entschließen, die höchsten wirthschaftlichen Interessen in Europa den Ge fahren eines vierjährigen Provisoriums auSzusetzen, den Verkehr in Unsicherheit zu bringen, der Industrie den festen Boden dauernder Verhältnisse zu entziehen, weil die öster reichische Monarchie sich über ein Zollbündniß nicht ver ständigen kann? DaS ist sehr unwahrscheinlich. Wenn eine Verlängerung oder Erneuerung der Handelsverträge auf vier Jahre nicht zu erreichen ist, beginnt Ende 1903 ein vertrags loser Zustand, und dann tritt der autonome Tarif in Kraft mit seinen hohen Sätzen gegen die Einfuhr fremder Maaren, und dann ist der Ausbruch eines Zollkrieges an sämmtlichen Grenzen der Monarchie kaum zu vermeiden. Die wirth- schaftlicke Feindseligkeit der großen Industrieländer könnten weder Oesterreich nock Ungarn aushalten. Wenn die Furcht vor dieser drohenden Krise die Verständigung über daS Zoll bündniß nicht erzwingen sollte, müßte gerade in Oesterreich ein Nothruf nach sofortiger Trennung sich erheben. Oester reich wäre nämlich in einer viel ungünstigeren Lage, weil seine Export-Industrie von den gewaltsamsten Stoßen der fremden Zollpolitik getroffen würde, während der größte Theil der ungarischen Ausfuhr an landwirthschaftlichen Producten bis zum Ende des Jahres 1907 durch die Zollgeineinschaft gegen jede Störung des Absatzes in Cis leithanien geschützt bliebe. Ungarn kann Liese bedenk- Feuilleton. Die Schwiegertochter. Lj Novelle von Hedda v. Schmid. Nachdruck verboten. Doch jedesmal Verursachte es Günther einen inneren Kampf, wenn es wieder einmal galt, den kleinlichen Vorurtheilen Frau Jutta's, die sie, trotz aller geistigen Ueberlegenheit, dennoch nicht verleugnen konnte, Rechnung zu tragen. Diesmal sollte Gunther da« Scheitern eines Lieblingswunsches seiner Frau veranlassen. Er seufzte auf bei dem Gedanken. Er fühlte sich frei von Kasten geist, er hätte Benita gern die Freude gegönnt, ihre Kunst, der sie ihm zu Liebe untreu geworden, vor einem größeren kunst sinnigen Publicum auszuüben. Auch wußte er Benita frei von Eitelkeit; es war nicht letztere, welche sie veranlaßt, der Ver anstalterin der Wohlthätigkeitsvorstellung, Frau v. Elsroth, einer sehr mildthätigen Dame, ihre Zusage zu ihrer Mitwirkung zu ertheilen. Und nun sollte er ihr die Freude zerstören. Da trat sie ein — das Licht der von einem gelbseidencn Schirm verhüllten Pharuslampe, welche in der Nähe der Thüre stand, warf einen Hellen Schein über die graziöse Frauengestalt, die über das Parquet zu ihrem Manne heranglitt. Benita streifte eilfertig dm langen dänischen Handschuh über die Linke, während sie, sich leicht auf den Fußspitzen erhebend, Günther ihre Lippen zum Kuß bot. „Verzeih', ich ließ Dich warten — aber ich konnte nicht anders, ich mußte hinein zu Siegfried, um ihn noch einmal zu betrachten, er ist so reizend, wenn er so süß schlummert. Und ich mußte ihn noch einmal küssen und bringe Dir nun den Kuß von seinen Lippen. Sind wir nicht glücklich, Günther, solch' einen Pracht jungen zu besitzen? Du weißt gar nicht, wie ich ihn liebe — nein, daS kann sich «in Mann nicht vorstellen, wie «ine Mutter ihr Kind liebt — und wenn ich denke, dieser kleine Bursche da, der jetzt so unbeholfen auf meinen Schooß klettert und rührend ist in seiner kindlichen Hilflosigkeit, wenn ich denke, er, mein kleiner Friedel, wächst mir bald über den Kopf und geht dann hin und verliebt sich in ein Paar lachende Mädchenaugen und die sind dann seine Welt und sein Glück und das arme Mutterherz muß sich mit den Brosamen, welche vom Ueberfluß für dasselbe übrig bleiben, zufrieden geben — Günther, wenn ich manchmal daran denke, dann werde ich furchtbar traurig." ,Benita, wünschtest Du, daß meine Liebe zu Weiner Mutter heftiger und inniger wäre, als zu Dir?" „Nein — nein", rief sie, fast angstvoll seinen Arm um klammernd. „Und doch kann eine Frau nicht verlangen, daß ihr Mann, aus Liebe zu ihr, die Bande, welche ihn an seine Mutter knüpfen, lockere. Du hast mir oft gesagt, Benita, daß man erst dann, wenn man selbst Mutter geworden, verstehen könne, wie viel für ihr Kind zu thun eine Mutter im Stande sei. Und wie nun, wenn dieses Kind, sobald es kein Kind mehr ist, alle Pflichten der Dankbarkeit vergäße und die Hand, die sein: ersten schwankenden Schritte behütet, zurückstieße, im stolzen Bewußtsein eigener Kraft? Du zitterst jetzt schon, Benita, in thörichter Furcht bei dem Gedanken, Dein Sohn könne dereinst eine andere Frau mehr lieben als Dich. Und er wird einst lieben, denn das Naturgesetz erfordert es so, aber er braucht deshalb die Liebe zu Dir nicht aus seinem Herzen zu bannen. Gattenliebe, Elternliebe und Kindes liebe sind ja total verschiedene Begriffe, wenn sie auch gleich mächtig sind, sie lassen sich dennoch nicht miteinander vergleichen. Du hast mir ost im Stillen gezürnt, ich weiß es, wenn ich auf Kosten Deiner Wünsche und Deiner Einsicht meiner Mutter nach gegeben, aber dann habe ich stets gedacht: diese alte Frau, die jetzt ein kleines Opfer von mir verlangt, sie hat mich mit Schmerzen geboren, sie hat manche süße Stunde des Schlafes und der Er holung mir geopfert, sie hat an meinem Bettchen gewacht, wenn ich krank und fiebernd dagelcgen, sic hat für mich gebetet und alles Glück der Erde auf mein Haupt herabgefleht, und nie bin ich im Stande, ihr voll meine Dankesschuld abzutragen. Und Du weißt es, Benita, trotzdem daß ich Dir oft als «in allzu füg samer Sohn dünken mag, Du weißt, wenn es gilt, für etwas einzustehen, wovon mein Lebensglück und das Deine abhängt, dann trete ich auch meiner Mutter anders gegenüber, da ver- theidigc ich meine Mannesrechte, und bin nicht nur der dankbare Sohn, der seiner Mutter keinen Widerspruch bieten mag." Benita hat ihr Haupt an GUnther's Brust geborgen. „Du bist gut — gut", murmelt sie, „auch darin, daß Du mit kind lichem Sinn Deine Mutter ehrst, liegt Deine Güte und Größe. Und daß Du trotzdem ein ganzer Mann bist, daran habe ich nie gezweifelt; Du hast mich, trotz des Widerstandes der Deinen, zu Deiner Frau gemacht, mich, die mittellose Waise, die Komödiantin, die ich auch jetzt noch in den Augen Bieler bin." „Du bist meine Frau", sagte Günther, sich hoch aufrichtend, „und nun komm, mein Liebling, der Wagen, den Papa benutzt, ist noch nicht zurückgekehrt; komm, ich habe Dir noch etwas zu sagen, ehe wir aufbrechen." Er führte Benita zu einem kleinen Eckdivan, wo er sie neben sich niederzog, und hier im Dämmerlicht der sanft aus der anderen Ecke des Salons herüberstrahlenden Lampe bat er seine Frau, ihrem Wunsche, im Concert mitzuwirken, zu entsagen. Benita, an seine Schulter geschmiegt, hörte ihn, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen, ruhig an, dann sagte sie: „Ich habe cs geahnt, daß Deine Mutter dagegen sein würde, ich werde Frau v. Elsroth morgen früh abschreiben." „Ich danke Dir, Benita." Günther zog ihre noch unbehand schuhte Rechte warm und zärtlich an seine Lippen. „Ich glaube", sprach Benita leise, „daß ich gestraft dafür bin, daß ich jetzt schon so egoistisch in Betreff Siegfried's denke. Ich meine doch, wenn er mir einst eine Schwiegertochter zuführte, ich würde sie liebevoll an mein Herz nehmen um — seinetwillen." „Du wirst das Herz meiner Mutter noch gewinnen, Benita." Die junge Frau schüttelte traurig mit dem Kopf: „Nie mals — Günther, ich täusche mich nicht." Drittes Capitel. Das Coupö, welches die jungen Gatten zu dem Empfangs abend ihrer Cousine führte, rollte pfeilgeschwind durch die Straßen der alten Stadt R. Das Haus, in welchem Frau Eugenie — wie Alle behaupteten — so anmuthig die Honneurs machte, lag ziemlich weit entfernt von dem der Grooßfelds. ES war in diesem Winter noch kein Schnee gefallen, aber die Erde war hart gefroren, der breite Strom, an dessen Ufern sich die Stadt erhebt, mit einer dünnen Eisschicht bedeckt. In den Haupt verkehrsstraßen waren trotz der vorgerückten Abendstunde die Magazin- noch nicht geschloffen, zum Theil hatten letztere bereits ihre Weihnachtsausstcllungrn eröffnet. Eine breite Lichtgarbe fluthete durch die Fenster des Coupös, wenn dasselbe an solch' strahlenden, festlich beleuchteten Spiegelscheiben, hinter denen sich eine Auswahl blitzender, prunkender, oft kostbarer Dinge befand, vorüberrollte. Der Lichtschein glitt dann auch über Benita's fein geschnittenes Gesichtchen, das, wie Günther sich jedesmal durch «inen Seitenblick überzeugte, so ernst dreinschaute. Er wußte, Benita mußte jetzt mit sich selbst fertig werden, er kannte ihren liebenswürdigen Charakter, der nie nachtragend war, aber man mußte ihr Zeit lassen, ihre Stimmung — und daß dieselbe eben keine freudige war, wunderte ihn nicht — zu be kämpfen. So hielt er schweigend ihre Hand in der seinen, und als er sie, vor dem Benken'schen Hause angelangt, aus dem Wagen hob, da lächelte sie ihn bereits wieder aus Hellen, sonnigen Augen an und flüsterte ihm zu: „Es lohnt sich nicht, Günther, daß ich mich Kleinigkeiten halber kränke, ich habe ja alle Ursache, Gott zu danken. Bin ich nicht eine glückliche Frau? Habe ich nicht Dich und Friedel?" „Du bist die beste, klügste und reizendste Frau, Benita." Benkens bewohnten das Hochparterre eines stattlichen Hauses. Die Wohnung hatte Frau Eugenie ganz nach ihrem Geschmack eingerichtet. Im Vorzimmer, welches Günther und seine Frau nun betraten, zog sich längs den Wänden ein rother Plüschdivan hin, zwei sehr hohe Pfeilerspiegel befanden sich einander gegen über, der Fußboden war mit einem schwellenden Teppich bedeckt, einige Gasflammen überstrahlten das Ganze. Ein Diener in dunkler Livree nahm den Gästen die winterlichen Hüllen ab. Benita trat vor den Spiegel, um ihr dunkles, zu kleidsamer Frisur emporgekämmtes Haar ein wenig zu glätten. Günther's Blick ruhte voll Liebe und Zärtlichkeit auf der fast mädchenhaft zarten Erscheinung. Benita's Toilette war stets sorgfältig gewählt, das Lichtgrau, welches sie heute trug, kleidete sie vortrefflich, in ihrem Haar blitzte ein Schmetterling aus Brillanten, eine Hochzeitsgabe ihres Schwiegervaters. Benita und Günther gehörten zu den letzten Ankömmlingen; eine lebhaft conversirende Gesellschaft wogte seit einiger Zeit in den prunkvoll ausgestatteten Empfangsräumen. Schwere moosgrüne Damastvorhänge und Portieren wallten an Fenstern und Thüren hernieder; cs war überhaupt ein geschmackvolles Chaos von Plüsch und Goldstickereien und Phantasiemöbeln, welches sich in den drei aneinanderstoßenden Salons breit machte. Alles war höchst modern und durchaus chic. Der Mode den schuldigen Tribut zu entrichten, darin gipfelte Frau Eugenie's Bestreben. Man sollte ihre Einrichtung, ihre kostbaren Toiletten, die liebenswürdige Art, mit welcher sie ihre Gäste empfing, bewundern. Mein Gott — wozu verlohnt es sich denn sonst zu leben, wenn nicht dazu, um bewundert und beneidet zu werden? Di- Hälfte des Jahres pflegte Eugenie gewöhnlich auf Reisen und in fashionablen Bädern zu verbringen, zuweilen verlebte sie auch einige Sommerwochen in ihrer Villa am baltischen Strande. Sie dürstete ewig nach Abwechselung, ihr ganzes Dasein füllte die Jagd nach Vergnügungen und gesellschaftlichen Triumphen aus. Sie hatte ohne Liebe geheirathet — Denken hatte ihr eine glänzende Lebensstellung geboten, und da Günther, der einzige Mann, der Eindruck auf sie gemacht, ihr verloren war, so war es ihr gleichgiltig gewesen, wem sie sich zu eigen gegeben, ihr war es nur darum zu thun, ein glänzendes Leben zu führen. Das
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