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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.06.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990617014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899061701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899061701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-17
- Monat1899-06
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Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 g* spalten) vor den Familiennachrichtra (6 gespalten) 40/ij. Gröbere Schriften laut unserem Preis» verzrichniß. Tabellarischer und Ziffern!«- nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit bei Morgen«Ausgabe, ohne Postbeförderang 60.—, mit Postbeförderung Al 70.—. Annahmeschtoß für Anzeigen: Ab end «Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morge n-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annohmestellea j« rin« halb, Stunde früher. Anzeigen sind stet« an di« Expetzitioa zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 03. Jahrgang, - Das Invalidenverficherungsgesetz. Das JnvalidenversickerungSgesetz, dak am Donnerstag vom Reichstage in dritter Lesung fast einstimmig angenommen worden ist — dagegen stimmten nur die Welfen und die drei deutschconservativen Abgeordneten Graf Kanitz, v. Dewitz und v. Staudy —, bringt die Fürsorge für die handarbeitenden Klassen um ein ganz erhebliches Stück vorwärts. Aeußerlich tritt dies schon darin in Erscheinung, daß die freisinnige Volks- partei und auch die Socialdemokraten, die bisher jedes Arbeiter versicherungs- und Arbeiterschubgesetz abgelehnt, für diese Vor lage gestimmt haben, mit der Begründung, daß sie den Arbeitern erhebliche Vortheile bringe. Wir begnügen uns, diese unfreiwillig der Regierung und den bürgerlichen Socialpolitikern gemachte Anerkennung zu constatiren, ohne weiter darauf einzugehen, daß dieses Argument noch weit mehr für die grundlegenden und bestehenden BersicherungSgesetze gilt, die schon letzt den Arbeitern tagaus tagein eine Million Mark zuführen. In Kürze seien die Veränderungen zusammengefaßt, die das neue Gesetz bringt. An zwei Enden ist die bessernde Hand an gelegt worden: In den C e n t r a l e n der Versicherungsanstalten durch die neue Theilung der Einzel-Anstaltsvermögen in ein Gemeinvermögen und Sondervermögen. Durch das Gemein vermögen wird Vorsorge dafür getroffen, daß alle Anstalten, ohne in finanzielle Schwierigkeiten zu gerathen, wirklich den Anforderungen gerecht werden können, die unabhängig von ört lichen oder gewerblichen Sondcrverhältnissen an die Arbeiter versicherung gegen Alter und Invalidität gleichmäßig gestellt werden müssen, und das Sondervermögen der Versicherungs anstalten bleibt immer groß genug, um wie bisher zu social- hygieinischen Zwecken, wie zur Errichtung von Heilanstalten für Lungenkranke u. s. w., reichliche Mittel aufzuwenden. Weiter ist durch die Einführung von Rentenanstalten Vorsorge getroffen, die Wirkung der Versicherungs gesetzgebung, wo e« bisher noch nicht der Fall war. dem Arbeiter unmittelbar zur Erkenntniß zu bringen und ihm die Erlangung der Rente thunlichst zu er leichtern. Diese Einrichtung ist völlig neu und von dem Staats sekretär des Innern, Grafen v. ^osadowsky, mit besonderer Wärme vertreten worden. Nach den Beschlüssen des Reichstages sind diese Rentenstellen freilich nur fakultativ. Wenn sie sich in der Praxis bewähren, dann liegt es in der Natur der Dinge, daß sie allgemein zur Einführung gelangen. Die Durchberathung der Vorlage ist wesentlich dadurch gefördert worden, daß die Regierung sich mit diesen Erfolgen zufrieden gegeben hat. Was nun zunächst die Specialbestimmungen des neuen Jnvalidengesetzes anlangt, so ist unter An derem hervorzuheben, daß die freiwillige Ver sicherung bis zu einem Einkommen von 3000 ausgedehnt wird. Bis zum 40. Lebensjahre kann mit dieser freiwilligen Versicherung begonnen werden. Sodann wird durch das neue Gesetz zu den bisher bestehenden vier Lohnclassen eine fünfte hinzugefügt für rin Jahresarbeitseinkommen über 1150 Dementsprechend sind auch fünf verschiedene Grund beträge der Renten normirt, und zwar belaufen sich in der «lasse I II III IV V die Grundbeträge auf 60 70 80 90 100 die Steigerungssätze für die Beitragswoche auf 3 6 8 10 12 H Dazu kommt dann noch der Reichszuschuß. Damit sind Vie Invalidenrenten erheblich erhöht und ebenso wird auch die Altersrente aufgebeffert. Die Leistungen der Anstalten sind auf 60, 90. ILO, 160 und 180 für die fünf Claffen festgesetzt. Der Reichszuschuß beträgt je 60 für jede «lasse. Zugleich sind die Wartezeiten für den Bezug der Renten erheblich vermindert worden und die Carrenzzeit voll dem Beginn der Erkrankung bis zum 'Bezüge der Invalidenrente, die bisher ein Jahr betrug, auf 26 Wochen herabgesetzt. Die gesetzliche Unter- stützungspflicht der Krankenkassen beträgt bisher 13 Wochen. In Aussicht genommen ist, diese Verpflichtung auf ein halbes Jahr auszudehnen, so daß an die Verpflichtungen der Kranken- cassen die der Invalidenversicherung sich unmittelbar anschließen. Auch das Gesetz selbst trifft noch weitere Bestimmungen, die es den Versicherungsanstalten ermöglichen, Behandlung und Krankenpflege von Versicherten selbst in die Hand zu nehmen, um sie so lang« als möglich arbeitsfähig zu erhalten. Noch eine ganze Reihe von Bestimmungen wären zu nennen, die wesentliche Wohlthaten für die Versicherten bringen. Dazu gehört die Uebertragung der Invalidität-- und Altersversicherungen an die Seeberufsgenossenschaft mit der Verpflichtung, eine Wittwen- und Waisenversichcrung einzurichten. Ferner sind Bestimmungen getroffen, wonach die Rente an die Familie übergeht, sobald der Rentenberechtigte mit dem Strafgesetz- buch in Eonflict kommt und auf sein Einkommen und Ver mögen zurückgegriffen werden müßte. Es war ein bemerkenswerther Vorgang, der hoffentlich in der parlamentarischen Praxis nicht vereinzelt bleiben wird, daß sich im entscheidenden Moment vor der dritten Lesung die Mit glieder aller bürgerlichen Parteien mit der Regierung auf eine Formulirung vereinigten, um dieses Werk zum Abschluß zu bringen, das nun den Reichstag seit fast drei Jahren beschäftigt und ein beredtes Zeugniß dafür ablegt, wie lebendig die be stehende Gesellschaftsordnung die Verpflichtung empfindet, auf dem Wege praktischer socialer Arbeit nicht still zu stehen, sondern rüstig vorwärts zu schreiten. Ein besonderes Verdienst des gegenwärtigen Leiters deS Reichsamts des Innern, Staats sekretärs Grafen v. Posadowsky, bleibt es, durch rechtzeitiges Entgegenkommen in kritischen Momenten dieses wichtige Gesetz an den zahlreichen Klippen vorübergesteuert zu haben. Herr v. Miquel über die Canalfrage. Dir „Braunschw. Reuest. Nachr." wollen erfahren haben, daß der preußische Finanzminister vr. v. Miquel kurz vor der Verhandlung de« preußischen Abgeordneten hauses über die Mittellandcanal - Vorlage einem ihn über die Aussichten der Vorlage und die Pläne der Regie rung befragenden Freunde gegenüber einige interessante Aeußerungen gethan habe. Herr v. Miquel habe u. A. bemerkt: Die Sitzungen de» Kronrath« sind für die Außenwelt eben so geheim wie die des StantSniinisteriums. Soll da» Geheimnih durchbrochen werden, so bedarf kS hierzu der Genehmigung de« König«. Die Vermuthiing, daß sich- tm Kronrath auch um dl« Lanalvorlage gehandelt hat, liegt natürlich nahe. Auf die Anfrage, ob auf Annahme der Vorlage zu rechnen sei, habe Herr v. Miquel erwidert: Prophezeiungen sind in solchen Fällen immer mißlich. Im all gemeinen LandeSinteress« wünsche und hoffe ich auf Annahme der Vorlage, weil der Bau de- Mittellandkanals nothwendig und unvermeidlich ist. Offen gestanden, die Gegnerschaft der Landwirthjchaft verstehe ich nicht. Ich kann es begreifen, wenn einzelne Landwirthe des Westens den «anal nicht wünschen, weil sie die Ueberschwemmung mit landwirthschaftlichen Produkten des Osten» und Preisdruck befürchten. Die Gegnerschaft des Ostens verstehe ich aber nicht. Die Herren mühten doch einsehen, daß sie keinen Schaden, sondern nur Vortheil haben. Auch wir wollen durch den Canal die consumkräftigen Bezirk« des Westen« dem landwirthschaftlichen Osten näher bringen. Auf den Einwand, die Landwirthschaft fürchte, daß der Canal ein EinfallSthor für landwirthschaftliche Producte des Auslandes sein werde, sie wolle Flußregulirungen, aber nicht Canäle, babe Miquel erklärt, daß dies eia ganz unhalt barer Standpunkt sei: Ganz abgesehen davon, daß wir jährlich 40 Millionen für unsere Flüsse ausgeben, übersieht man, daß gerade die Flüsse Einfall-thore sind. Wir wollen endlich einen regeren Güteraustausch im Inland«. Hierzu ist der Canal das beste Mittel. Die Landwirthe des Ostens sehen dies längst ein. Erst vor einer halben Stunde war ein Abgeordneter Westpreußens hier, ein bekannter Agrarier, der mir gestand, daß Westpreußen vom Canal nur Vor theile haben könne. Auf die Aeußerung, daß in landwirthschaftlichen Kreisen eine gewisse Erbitterung gegen Herrn von Miquel herrsche, habe dieser geantwortet: Das weiß ich wohl, ich muß es über mich ergehen lassen. Ich kann nur erklären, daß ich »ach wie vor eS für die vornehmste Pflicht de- Staates halte, für die Landwirthschaft zu sorgen. Dir Regierung würde aber die Vorlage nicht eingebracht haben, wenn sie auch nur die leiseste Befürchtung haben könnte, daß die Landwirthschaft davon Schaden hat. Ich habe deshalb die Sache zuerst mit den Conservativen machen wollen, mich damit jedoch dem Verdachte der geheimen Gegnerschaft zum Canal anSgesetzt. Auf die Bemerkung, man dürfe dann Wohl annehmen, daß der Kronrath für den Fall der Ablehnung der Vorlage die Auflösung des Abgeordnetenhauses beschlossen habe, habe der Minister erklärt: Der Kronrath ist eine geschlossene Burg, aus dem nichts nach außen dringt. Die Auffassung des Kaisers über die Bedeutung des Canals läßt wohl daraus schließen, daß eine Auflösung dann unvermeidlich sein würde. Und als er darauf die Erwiderung gehört, in konservative» Kreisen scheine man die Auflösung nicht zu fürchten, vielfach sogar zu wünschen, habe der Minister die Unterhaltung mit den Worten geschlossen: „Dann unterschätzen die Herren die Macht, di« für den Canal eintritt und di« bereit ist, der Landwirthschaft b«t der Revision der Handelsverträge einen Getrridezoll von ü bezw. 6 ./L zu gewähren. Die Landwirthschaft spielt mit dem Feuer, wenn st« die Machtfactoren von sich stößt, die sie bei den neuen Handelsverträgen gebraucht." Man darf gespannt darauf sein, ob die „Berl. Pol. Nachr.* den Verfasser dieses Berichtes schleunigst demcntircn, oder oö Herr v. Miquel erst die Wirkung deS Bericht» abwartcn will, bevor er erklären läßt, er pflege sich so bestimmt nicht anSzudrücken, wie er sich über die Frage der Anflösung aus gedrückt haben solle. Deutsches Reich. * Berlin, 16. Juni. (Die Humanität der Social demokratie.) Aus Hannover wird der „Allg. Ztg." unter dem 13. d. M. geschrieben: Gestern Abend wurde im Ballhof hier eine von 2000 Personen besuchte Protestversammlung gegen die „Zuchthaus vorlage" abgehalten. In dem Referat Les socialdemokratischen Redners wurde erwähnt, Polizrislrafen träfen im Allgemeinen 3'/, Procent der Bevölkerung, dagegen 80 Pcocent der Studentenschaft. Ueberhaupt kämen iin Staate der Gottes furcht und frommen Sitte sonderbare Dinge vor, da- bewiese der Gesetzentwurf zum Schutz? de- gewerblichen Arbeltsverhäl^ nisses. Nach Schluß der Rede empfahl der Vorsitzende eintz Resolution zur Annahme, welche sich gegen die Vorlage aus sprach. Vor der Abstimmung richtete der Vorsitzende an die Versammlung dir Frage, ob Jemand zu der Resolution das Wort nehmen wolle. Da meldete sich der Candidat der Theologie Tilemann au« Ostsriesland, welcher sich vorüber gehend in Hannover aushält, und sagte: „Student bin ich gewesen, bestraft bin ich nicht. Der Apostel Poulu- sagt: Fürchtet Gott, ehret den König." Darüber entstand eine solche Bewegung, daß der Vorsitzende dem stürmischen Widerspruch begegnen mußte und sagte: „Wenn der Herr auch nicht unsere Ansicht hat, so ist er doch Gast, und wir müssen ihm Achtung zollen". Die durch diese Worte etwas beschwichtigte Erregung wuchs auf der Straße wieder an und schien sich allmählich zu ver lieren. Sieben Leute aber folgten dem Candidaten bis nahe an seine vor der Stadt gelegene Wohnung. Plötzlich bei einer Bie gung des Weges schlug einer von den Sieben den waffenlosen Theologen mit einem Handstecken dermaßen über den Kops, daß er bewußtlos am Boden liegen blieb. Eine dauernde Er schütterung der GehörSnerven wird die Folg« seines Auftrrtrn« sein. E» ist höchst bezeichnend, bemerkt hierzu die genannte Zeitung, daß gerade am Schluß einer Versammlung, die den Sadeker's Vorfahr. Eine Ausgrabung von Eugen Reichel (Berlin). Nachdruck vrrboleti. Wie das Reisen ein Sport der neueren Zeit geworden ist, so glaubt man Wohl auch, daß die Reisehandbücher, di« Bädeker, Berlepsch, Meyer u. a. m., ein Product neuerer Zeiten seien, so recht ein Product des neunzehnten Jahrhunderts. Aber dem ist nicht so; und auch der große „Bädeker" hat einen Vater gehabt, der, wenn er auch vielleicht nicht unmittelbar auf den be rühmten Sohn eingewrrkt hat, doch als sein Vorgänger an gesehen werden muß. Schon zu Anfang des siebzehnten Jahr hunderts gab cs für gelehrte Leute verschiedene kleine Reise handbücher in lateinischer Sprache; aber gleichwie Luther zu der Einsicht kam, daß dem ungelehrten deutschen Manne eine deutsche Bibel in die Hand gegeben werden müßt«, so sagte sich eines Tages der um di« Mitte de» siebzehnten Jahrhunderts wohlbeleumdet« Geograph Martin Zeiller: „Wenn der Deutsche auf Reisen geht, so soll er auch rin deutsches Buch zum Reiseberather und Reisegefährten haben" — setzte sich hin und schrieb anno 1660 den „klcius ^ollates oder getreuen ReiSgefert", «der schon im nächsten Jahre „In Verlag Georg Vildeisens zu Ulm" erschien. Das Buch ist natürlich, schon weil «S in seiner Art wirklich ein erste» in Deutschland war, sehr interessant; und so wird e» auch heutige Leser tntereffiren, «in Weniges davon zu erfahren. Da» Ganze trägt noch einen sehr bescheidenen Charakter; man merkt eS dem Buche an, daß «S nickst für einen Massen verkauf berechnet war; di« Deutschen standen eben damals noch nicht unter dem Zeichen de» Verkehr»; da» Reisen war ein theures und anstrengende» Vergnügen, und nur besonder» un ruhig« oder begüterte Leut« könnt«» sich du» Vergnügen gönnen. So wirkt gleich die vorgedruckte Kart« von Deutschland wegen ihrer Winzigkeit nahezu komisch; die ganze Karte ist sechs Zoll breit und drei Zoll hoch und bietet auf dieser kleinen Fläche manche Euriosa. Da weist der Rhein nur vier Sritenflüsse auf; am Main verzeichnet Herr Zeiller nur vier Städte, als deren eine noch obrnein Nürnberg figurirt, und den Thüring-r Wald deutet eine kindliche Pappelallee cm. Entsprechend dieser grandiosen Einfachheit sind auch die Angaben im Buche selbst. E» meldet Zeiller z. B. von Berlin, das damals doch schon ein« ganz ansehnliche Residenzstadt war: .Die» ist dl» churfürst- lich Brandenburgische Hofstadt und das Haupt der Mark Brandenburg, an der Spree gelegen; und ist doppelt, deren einer Theil eigentlich Berlin, der eine aber Cöln an der Spree genannt wird, in welchem auch der Dom »der Stiftskirchen, und da» churfürstliche Schloß sammt den zugehörigen Gebäuden, der Schloßkirchen, Lanzley, Apotheken, llHarstall, Rüstkammer und dergleichen zu besichtigen." Ein Fremder, der mit diesem Weg weiser nach der „churfürstlich Brandenburgischen Hoftstadt" kam, war da gewiß ebenso klug, als wenn er keinen „Zeiller" in der Hand gehabt hätte. Interessanter als die „Beschreibung" der einzelnen Siädie und Landschaften wird uns Nachgeborenen das „unvorgreisliche Bedenken des Verfassers, wie die Reisen wol und nützlich an geordnet und verrichtet werden mögen", bleiben. Da heißt es in den „Vorbereitungen zur Reise" ganz ähnlich wie in unseren modernen Rrisebüchern: „Wer reisen will, muß eines guten, starten 'Leibes, auch nicht zu alt, noch zu jung sein. Er erhole sich zuvor guten Raths bei Anverwandten, besonders aber bei Denen, welche die gleiche Reise schon früher gemacht haben, lese fleißig di« Geschichte des Volkes, zu dem er sich be geben will, und studire die Landkarte (natürlich nicht die deS „Rcisgeferten"!). Er übe sich durch tägliche Spaziergänge in die Nachbarschaft, damit er, wenn er zu Fuß wandern muß, nicht aus dem Wege erlieg« oder Blasen an den Füßen bekomme." Ferner wird gerathen, die Schwimm- und Kochkunst zu er lernen, auf daß, wenn man „in eine schlechte Herberge kommt und deS Kochens unerfahrene Leute antrifft, man sich durch übel zugerichtet« Speisen nicht «ine Krankheit an den Hals esse". Des Weiteren wird empfohlen, ein „geschmeidiges Hand büchlein" mitzunehmen, in welches angesehene Landsleute Em pfehlungen eingetragen haben, die dann in der Fremde von Nutzen sein können; doH wird empfohlen, darauf zu achten, daß nicht unsaubere Dinge m das Stammbuch geschrieben oder gar gezeichnet werden. Was das „Fahrniß" (Gepäck) anbetrifft, so wird gerathen, in einem „wohlverschlossenen RelStrühleln, Rantzen, Felleisen oder VelliS" nur da- Nöthigste mitzunehmen, da zu viel Gepäck hinderlich sei und „Räuber anlocke". Wenn man nun aber liest, was zu diesem „Nötigsten" gehörte, so bekommt man einigen Respect vor der Leistungsfähigkeit mittelalterlicher Wanderer. Da sind zunächst nöthig: ein Gebet- und Gesangbuch, das Hand büchlein, «in Schreibbüchlein, «in Reisetagebuch, ein „historisches, lustiges oder andere» zu seinem Vorhaben nützliches Traktätlein", etliche Dogen weißes Papier, einig« Frdern, Dintenfaß mit Dinte, Streusand, Feuerzeug, Nadel und Zwirn, auch „Klöblein und Schllößlein, etwa an einer übelverwahrten Thür eines Zimmers anzumachen". Des Weiteren Kleider, die, wenn irgend möglich, nach der in dem zu bereisenden Lande herrschenden Move angefertigt sein sollen; ein Regenmantel und ein breiter Hut, Kappen, Nasrnfutter und 1l«berstrümpfe mit Knöpfen. F«rn«r werden empfohlen: drei oder vier „saubere 'Leib- oder Unterhemden", ebensoviele „Überschläge oder Krägen", ein Oberhemd, etliche „Schnänh- und 'Handtiichlein", zwei „Haupt tücher", etliche Paar Ober- und Unterstkümpfe, Socken, Schlaf hosen, Schlafhouben, Handschuhe, zwei Paar Schuhe und ein Paar Pantoffeln. Kein Reisender soll ferner ohne einen starken Stecken wider die Hunde, auch nicht ohne Waffen auiziehen; desgleichen wird gerathen, mitzunehmen, „ein Perspectiv, item Augenbrillen wider dm Staub, «men Spiegel, Kreide, Räucher- und Wachskerzen, ein Petschaft, ein Messer sammt Gäblein, einen Stiehl (Kamm), einen Eßlöffel, ein Ohrlöfflein, ein Zahnstörer, ein Kompaß und Sonnenweiser, ein „in Moß (Messing) gefaßtes Sandührlein" und einen Quadranten. Aber das ist Alles noch nicht genug. Zum „Nötigsten" für den Reisenden gehört ferner etwas Gewürz, Oel, Hirsch- unschlitt, Wachs, Zucker, eingemachte Sachen und zu guterletzt Pillen und „etliche Arzeneien wider das Schmißen aus der Nasen, Durchfluß und Stopfung des Leibes, Blasen an den Füßen, die Pest, Gift, böse Lüste, Kopfweh, Bräune, Schlangen una Skorpionen, Hundbiß, wider Läuse, 'Schrunden und andere Zustände mehr" — kurzum, eine ganze „kleine Feldapotheke". Denen, die etwas drausgehen lassen können und zu Wagen oder zu Schiffe reisen, wird empfohlen, einen Bettsack und einen Schlafpelz mitzunehmen; ferner sollen sie sich oerproviantiren mit Speise und Trank, als da sind „gebratenes Fleisch, Schinken, Brod, Käse, Butter, Knoblauch und etwas gebrannter Wein". Vom Mitnehmen von Dienern wird abgerathen, weil sie sonst so viel kosten wie der Herr selbst und man in den WirthS- häusern häufig Leute findet, die Einem zur Hand sein können. Am Besten aber ist es, wenn man sich die Kleider selbst reinigt. Auch ein „Paßport" (Paß) soll nicht vergessen werden, und ein Beglaubigungsschein, daß man aus einem seuchenfreien Orte herkommt. Die Hauptsache bleibt natürlich der „Zehrpfennig", der in Gold mitgenommen werden soll, und zwar in solchen Sorten, wie sie in dem Lande, das man bereisen will, üblich sind. Etwas Kleingeld soll man für den täglichen Bedarf mit sich führen, das große Geld aber „in dem Triihrlein, im Beutel, Büchlein, Wachs, auSgehöhltem Stecken, In den Schuhen, Hosen, WammS oder sonst oufbewahren". — Bevor man ab reist, soll man sich ferner mit Gott versöhnen, seine Schulden bezahlen, Testament machen und sonst all' seine Sachen wohl bestellen, von allen Verwandten, Wohlthätern und Freunden Urlaub nehmen und sich von ihnen in'S Gebet einschließen lassen. Auch wird empfohlen, vor der Abreise noch «In „AVschicdS- getanzlein" anzustellen. So viel von den, wie man sieht, sehr umständlichen Reise- Vorbereitungen. Nun folgt die Anweisung über da» Verhalten auf der Reise. Nebst den täglichen Gebeten wird empfohlen, mäßig zu leben und die Hauptmahlzeiten d«S Abends rinzunehmen. Gewarnt wird vor den Nachtreisen, wegen der „Irrwische und Nachtlicht- lein", desgleichen vor dem Uebernachten im Walde wegen der „wilden Thier«, Räuber und Gespenster". Gegen Frost und Erkältungen werden di« verschiedensten Mittel aus der „Feld apotheke" angegeben, uck^ gebeten wird, keine Kirschen, Aepfel, Trauben oder dergleichen Früchte aus den Gärten, an denen man vorüberkommt, zu pflücken. An Sonn- und Feiertagen soll man „still liegen". Bei der Wahl von Reisegefährten soll man vorsichtig sein und empfohlen wird bei gemeinsamen Reisen die gemeinsame Cafle mit einem vertrauenswürdigen Verwalter. Es folgen Verhaltungsmaßregeln für den Fall, daß man von Bären oder Wölfen verfolgt wird, oder daß man vornehmen Personen begegnet. „Insbesondere aber gebührt cs siu,, jroen Begegnenden freundlich zu grüßen und ihm Glück zu wünschen, daß man vor Jedem den Hut recht abziehe und ihn nicht nue anriihre, als ob man Spatzen oder Anderes darunter hätte." Bettlern soll man wohlthun, sich aber vor „starken Bettlern wohl in Acht nehmen". Bei Schwierigkeiten an den Stadtthoren wird gerathen, der Wache etwas in die Hand zu drücken. In den Wirthshäusern soll man sich den Wirthbleuten „gebührend er zeigen", am Abend seine Sachen fleißig verwahren oder sie den WirthSleuten übergeben. Vor Allem soll man auf ein sau'beres Bett halten, die Thür der Schlafkammer „wohl in Acht nehmen" und eine Bank oder einen Tisch davor sehen; auch soll man nicht vergessen, Degen und Feuerzeug neben das Bett zu legen. Was schließlich in „Besichtigung der Länder und Oerter zu beobachten" ist, beläuft sich etwa auf das Folgende: man soll sich einen erfahrenen Führer nehmen, die höchsten THUrme be steigen, um den Ort von außen und innen herumgehen, und Alles wohl in Acht nehmen; man soll sich berichten lassen, in welchem Land« man sei, wie es früher genannt worden, wie groß es sei und dergleichen mehr. Man soll nach der Zahl der im Lande gelegenen Städte, Klöster, aber auch „nach dem verbreitetsten Un geziefer", nach der Zahl der Brunnen, nach der geographischen Länge und Breite und dergleichen mehr fragen. Auch nach den im Lande lebenden Künstlern, Fechtmeistern, Roßbereitern uno anderen Kulturträgern soll man forschen und sich von Allem eingehend unterrichten. . < . > Wieder heimgekehrt, soll man von seinen Reiseerlebnissen nicht viele und große Worte machen; dagegen soll man mit den in der Fremde gewonnenen Freunden in Briefverkehr bleiben und Alles, was man in der Fremde erlebt, mit den Erlebnissen Anderer vergleichen. Schließlich wird dann dem lieben Christen der Rath gegeben, dafür zu sorgen, daß er „bald zu einem Amte und guten Heirath befördert werde, daß er seinen Stand und Beruf mit aufrichtigem Wandel und guten Tugenden wohl verwalte, also daß er <di« 'Unkosten, Mühe und Gefahr und Andere», so er an seine Reise gewandt »nd ausgestanden, Gott zu Ehren, dem Vaterlandc, sich und den Seinigen zum Besten wohl anlege". Einen wie trefflichen Führer in die Vergangenheit bietet un» dieser alte „Zeiller" — wie klar tritt un» aus den Naivi täten de» Reiseführer» jene Zeit vor Augen, in der man von den Bequemlichkeiten unsere» Zeitalter» noch nichts ahnte, in der auch das Reisen «in Kampf mit dem Leben Ivar und gewiß viele Reisende den Weg zur Heimath nicht mehr zurückfanden, weil sie unterwegs verunglückt oder ermordet worden waren. Manche« allerdings paßt auch noch für unsere Zeit; und wer seinen „Bädeker" genau kennt, wird wohl in dem Wenigen, was ich hier angeführt habe, manchen Anklang an Bekanntes gefunden haben — bis auf die Rathschläge wegen dek Geldes und den Hirschtalg gegen da» Wundwerden der Füße.
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