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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990620028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899062002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899062002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-20
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Reklamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) 50^, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40/H. ' Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifsernjah nach höherem Laris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuag 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen find stets an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag vo» F. Polz in Leipzig 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. Juni. Nach den VerbandlungSgegenstanden gezählt, muß der Inhalt der gestrigen Sitzung des Reichstags als ein äußerst reicher bezeichnet werden. Zu dem vorher auf daS Programm gesetzten deutsch-englischen Handelsprovisorium mit dem bedeutungsvollen Anträge v. Hehl und dem die Gemüther von Freund wie Gegner erregenden Arbeits schutzgesetze besorgte ein Abgeordneter dem Hause noch eine, wenn der Ausdruck erlaubt ist, Extranummer, indem er die Samoa-Politik der Negierung be rührte und dadurch den Staatssekretär deö Auswärtigen zum Reden brachte. Einen sonderlichen Gewinn vermögen wir in dieser Einschaltung nicht zu erblicken. Herr v. Bülow äußerte sich über den Standpunkt Deutschlands in dem Insel streit im Wesentlichen genau so, wie bei der Beantwortung der Samoa-Interpellation. Ofsiciell etwas Neues war aller dings die Anerkennung der Entschädigungsansprüche der an Eigenthum und persönlicher Freiheit gekränkten Deutschen und die Versicherung, daß sich die Regierung nach dieser Richtung einer Aufgabe — das Wort „Pflicht" wurde vermieden — „vollkommen bewußt" sei. OssiciöS war aber schon vorher die Erhebung von Entschädigungsansprüchen gemeldet worden, freilich zu dem offenbaren Hauptzweck, zur Geduld zu mahnen. Auf diese Notbwendigkeit, vorerst zu warten, legte gestern auch Herr v. Bülow einen starken Accent und cs muß dahingestellt bleiben, ob man seiner Absicht, zu be schwichtigen, seine ganze Erklärung nicht ausschließlich zu verdanken hat. Einstweilen wird sich die deutsche Presse be scheiden müssen, aber auch nur einstweilen. Es darf nicht vergessen werden, daß die Forderung nach Schadlos haltung der Reichsangehörigen in Samoa die Folge eines Druckes der öffentlichen Meinung Deutschlands und nicht das Werk der Initiative seiner Regierung ist, und es kann sich als nothwendig Herausstellen, in Bezug auf das Tempo ebenso stimulirend einzuwirken, wie es hin sichtlich der Sache selbst geschehen mußte. Herr v. Bülow erntete übrigens gestern einigen Beifall, der vielleicht stärker gewesen wäre, wenn das HauS, d. h. die nicht allzu zahlreich anwesenden Abgeordneten, nicht von Spannung auf die erste Lesung des Arbeitsschutz gesetzeS beherrscht gewesen wäre. Der Reichskanzler, diesmal frei sprechend, eröff nete die Reibe der Redner, ihm folgte Graf Posa- dowSky. Die Wortführer der Negierung hatten vorerst insofern keine übermäßig schwierige Aufgabe, als man nicht behaupten kann, die Begründung der Vorlage und die Denk schrift dazu hätten ihnen nichts zu sagen übrig gelassen. Es darf auch unbedenklich gesagt werden, daß der Neichsstaats- sekretär des Innern ein eindrucksvolleres Bild von den Ab sichten der Gesetzesvorlage entrollte, als die beigebrachten Druck sachen: man ist frei von allen Hintergedanken gegen die Eoalitionsfreiheit und will diese gerade durch die Vor lage schützen. Daß Letzteres nöthig, trat klar hervor. Graf Posadowsky hob mit geschickter Hand auö der der Vorlage zu Theil gewordenen socialdemokratischen Kritik einen Satz heraus, der den principiell terroristischen Stand punkt der Socialdemokratie außer allen Zweifel stellt. In einer Berliner Versammlung hatte nämlich ein social demokratischer Neichstagsabgeordneter gesagt: „In der Denkschrift wird besonders betont, daß cs eine Pflicht des Staates sei, die Arbeitswilligen als würdige Stützen des Staates zu schützen. Also die Schlaf mutzen, diese Dummen, die noch nicht zur Erkenntniß ihrer Lage gekommen sind, sind würdige Stützen des Staates! Einen Schuft kann man nur als eine» Schuft ansehen!" Die socialdemokratische Fraction begleitete dieses Citat mit einem „Sehr richtig", es ist also gar nicht mehr darüber zu streiten, daß die Socialdemokratie sich zu dem Grundsätze be kennt, daß der Arbeitswillige da, wo sie, die Socialdemokratie, Arbeitsenthaltung proclamirt, rechtlos sei und daS von Rechts wegen. Dieses Zugeständniß liegt auch in dem Urtheile des Herrn Bebel, des einzigen gestern zu Worte gekommenen Abgeordneten, daß die Vorlage ein „Ausnahmegesetz gegen die Socialdemokratie" sei. Es wird damit der Terrorismus auf dem Gebiete der Arbeit als eine Eigenthümlichkeit der Socialdemokratie reclamirt. Dagegen ist nickt das Mindeste einzuwenden. Nur daß selbstverständlich der Ausdruck „Aus nahmegesetz" durchaus unzutreffend ist. Die Vorlage schafft gemeines Recht, sie bedroht Jeden, wer er sei, für gewisse Handlungen mit gewissen Strafen. Zweifelt Herr Bebel nicht daran, daß jene Handlungen nur von Social demokraten begangen werden und deshalb diese Strafen nur Socialdemokraten treffen können, so ist das eine thatsächliche Feststellung; ein Ausnahmegesetz aber liegt nicht vor, denn die Strafen treffen die Schuldigen als solche und nickt als Socialdemokraten. Wie es Brauch, fehlte in der Rede Bebel's auch die Behauptung nicht, die Vorlage sei der Socialdemokratie sehr angenehm, sie sei ein Gesetz zu ihrer „Förderung". Gegen die Auf richtigkeit dieser Versicherung spricht u. A. das erregte, bis zur Ungezogenheit gesteigerte Gebühren, das die socialdemokratischen Abgeordneten gestern während der Ausführungen LeS Reichskanzlers und des Grafen Posadowsky an den Tag legten. Herr Bebel gab übrigens im weiteren Verlaufe der Rede seine Logik preis und bezeichnete die Vorlage als ein gegen die gejammte Arbeiter schaft gerichtetes Gesetz. In wie weit sie in dem einem oder dem anderen Puncte als solches — wider Willen der Verfasser des Entwurfs — wirken kann, muß der Gegenstand der Prüfung sein. Fürst Hohenlohe selbst hat — und darauf ist großes Gewicht zu legen — sich daraus beschränkt, einer grundsätzlichen Bekämpfung der Vorlage durch bürgerliche Parteien sein Verständniß zu versagen. Dem Grundsätze der Vorlage, der Bekämpfung des Zwanges zum Nichtarbeiten, widerstrebt außer dem Freisinn keine bürgerliche Partei. Die Frage ist, ob die Vorlage erstens den Grundsatz überhaupt verwirklicht, und zweitens, ob sie dies thut, ohne den Grundsatz des frei willigen Abstehcns von der Arbeit zu verletzen. Was Graf Posadowsky zur Empfehlung der einzelnen Bestimmungen des Entwurfs vorbrachte, stand nicht auf der Höhe seiner all gemeinen Darlegungen. Die Berathung wird heute fort gesetzt und wird die ganze Sitzung ausfüllen, so daß die erhoffte dritte Lesung des Handelsabkommens mit England vor Mittwoch selbst dann nicht erfolgen könnte, wenn die Commission, der der Antrag Heyl überwiesen ist, bis dahin zu einem Beschlüsse gelangt sein sollte. Vorläufig sträubt sich die Regierung noch gegen die ihr durch den Antrag gebotene Erleichterung ihrer Position gegenüber einer differentiellen Behandlung deutscher Erzeugnisse durch engliscke Colonien. Dringt sie durch, und das ist aus dem Grunde wahrscheinlich, weil England jetzt einen definitiven Vertragsentwurf angekündizt hat, so wird der Antrag Heyl und die mit ihm in innerem Zusammenhang stehende, gleichfalls mitgethcilte Resolution Kanitz dennoch den Beginn einer Aera bezeichnen, in der einer schwankenden und noch dazu Politik und Handelspolitik nicht scharf auseinander haltenden Negierung daS Begehen handels politischer Fehler sehr erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht ist. Diese Wendung würde auch nicht an einem Widerspruche deS CenlrumS scheitern. Für die Beurtheilung der Frage, welchen Werth die Er werbung der Karolinen-, Marianen- und Palau-Inseln durch das Reich hat, ist es nickt ohne Interesse, die Ansicht der bekannten englischen Wochenschrift „Saturday Review" zu hören. Dieses Blatt schreibt unter ergötzlichen Ausfällen auf Deutschland als Colonialmacht wörtlich das Nachstehende: „Bisher sind eigentlich Wenige unsererseits in die Versuchung gekommen, es mit Deutschland als einem Colonialreich ernst zu nehmen, aber die Ausbreitung dieser Generation und immer zunehmende Beweise für überseeischen Ehrgeiz lassen für das nächste Jahrhundert Nebenbuhlerschaften, vielleicht auch Conflicte vermuthen. Der Ernst der Sache liegt in der Thatsache, daß deutsche Colonien immer mit offenem Cynismus (!) erworben werden, als Mittel zu einem kommerziellen oder strategischen Zweck. Als solche sind sie natürlich nützlicher und weniger lästig als die, die en ^ros, ununterschiedlich, genommen wurden. Im „Vaterland" wird nun noch lebhaft darüber debattirt, ob die eben von Spanien gekauften Inseln ihren Preis werth sind, aber wir wissen darüber schon genug durch das Urtheil des Fürsten Bismarck, der auf Gefühl sicherlich keinen Werth legte. — Was uns anbetrifft, so bekennen wir offen, daß uns das erneute Fußfassen Deutsch lands im Stillen Ocean, dessen dereinstige Beherrschung für uns von Wichtigkeit ist, mit einiger Besorgniß erfüllt. Es ist auch ein betrübender Gedanke, daß wir zu dem Aufgebot hätten aufgesordcrt sein können, wären wir weniger freundlich gegen die Vereinigten Staaten, weniger unfreundlich gegen Spanien gewesen." In diesem Urtheil ist die Andeutung über den strategischen Werth der Karolinen rc. ebenso bemcrkenswerth, wie der Hin weis auf die Absicht des Fürsten Bismarck, die Karolinen zu erwerben. Eine „Lumperei" hat er sie in der Reichstagssitzung vom 12. Januar allerdings genannt, aber nur im Hinblick auf die Möglichkeit eines Krieges mit Spanien. Auch heute noch würde eS sich nicht verlohnen, um der Südsee-Jnseln willen einen Krieg zu führen, denn es Ware, wie Fürst Bismarck damals sagte, doch immer eine sehr kostspielige Sache, und unser Handel würde sehr darunter leiden. Ob aber heute Fürst Bismarck in Anbetracht der veränderten Verhältnisse nicht den Kaufpreis von 16 Mill. Mark eine „Lumperei" nennen würde, daS ist „eine Wohl aufzuwerfende Frage". , Die französische Ministerkrisc bewegt sich thatsächlich im Zirkel, und cs ist fraglich, ob bei den Bemühungen des Prä sidenten Loubet und seiner Erkorenen überhaupt noch etwas berauskommen wird. Auch Waldeck-Rousseau hat seinen Scharfsinn und seine Ueberredungskunst vergeblich aufgewandt. Man meldet uns: * Paris, 20. Juni. (Telegramm.) Waldeck-Rousseau theilte dem Präsidenten Loubet gestern Abend mit, daß er den Auf trag der Cabinetsbildung leider ablehnen müsse, weil er nicht mit allen seiner Collegen, deren Mitwirkung er erbeten habe, eine Einigung habe erzielen können. * Paris, 20. Juni. (Telegramm.) Infolge des Miß erfolgs Waldeck.Rousseau's wird die Lage für sehr ernst angesehen. * Pari«, 20. Juni. (Telegramm.) Wie verlautet, lehnte Krantz das Portefeuille des Krieges ab, weil er gewisse Maßregeln nicht billigen könne, die Waldeck-Rousseau für hervorragend wichtig betrachte, namentlich das strenge Ein schreiten gegen die Generale und Obersten, die die jüngst von den Blättern veröffentlichte Tagesordnung verfaßt haben. Poin - cars nnd Guillain machten die Annahme des Portefeuilles davon abhängig, daß Krantz daS Portefeuille des Krieges annehme. Man glaubt, Präsident Loubet werde sich morgen früh mit einigen poli- tischen Personen über die Lage besprechen und am Nachmittag die Persönlichkeit empfangen, der er den Auftrag zur Cabinetsbildung anbieten wird. Man glaubt, dies werde PoincarS sein. Poincarö, dessen Versuch, das Cabinet zu bilden, schon einmal gescheitert ist! Hat Frankreich außer ihm keine Hand mehr, die gewillt oder fähig ist, das Schiff wieder flott zu machen? Wäre dem so, dann müßte man allerdings die Lage als sehr ernst ansehen, denn dann wäre die Zeit für einen Mann der Thal gekommen, der der morschen Republik nur den letzten Stoß zu versetzen brauchte. Je länger die Krise dauert, um so deutlicher tritt eS zu Tage, daß es der immer schärfer werdende Zwiespalt zwischen der republikanischen Civilgewalt und zwischen der offen oder versteckt royalistischen Militärgewalt ist, welcher keine Combination von Ministern zu Stande kommen läßt, die in Uebereinstimmung mit einander zu regieren vermöchten. In dem einen Lager stehen die um Mercier, die Nationalisten, Antisemiten, Militärparteiler, die Klerikalen und die Imperialisten, in dem andern die auf richtigen Freunde der Republik, die Dreyfus zwar die Frei heit gönnen, aber von der Sühnung der begangenen Rechts frevel nichts wissen wollen. Für sie spricht der „Figaro" und das „Journal deS D6bats". Im dritten Lager ver einigen sich die entschlossenen Revisionisten mit dem Wahl spruch: „küat lux, xereut wuuckiw!" oder wie die socialistischen Organe sich ausdrücken: „DaS Zuchtbaus für Mercier und Genossen, mag daraus werden, waS will!" Präsident Loubet ist bis jetzt zwischen den beiden letzten Lagern unentschlossen hin- und hergeschwankt, daS erste Mal für die Be- rubigungspolitiker, das zweite Mal für die radikalen Aufklärungspolitiker sich entscheidend. Wird er nun wieder zu den Ersteren zurückkehren? DaS ist doch kaum denkbar. Dann aber bleibt ihm schwerlich ein anderer Weg als zu den nach rechts Concentrirten unter Möline, d. b- zu den unaufrichtigen Republikanern,dienichtmitderRepublikstehen und fallen wollen. Daß Meline und seine bis zu den Generalstäblern Fühlung haltende Gruppe, wenn sie auch im Augenblicke nur wenig hervortreten, thatsächlich die Regie schon jetzt führen, ist aus folgenden, uns kurz vor Schluß der Redaction zugehenden Nachrichten herauszulesen: * Pari«, 20. Juni. (Telegramm.) Die meisten Blätter schreiben das Scheitern der Versuche Waldeck-Rousseau's zur Cabinetsbildung dem Einfluß Msline's zu. Die socialen und radikalen Organe erklären das Vorgehen Msline's für Berrath an der republikanischen Sache. — Der „Siäcle" sagt, MSI ine, der Loubet nicht verzeihen könne, daß er Präsident der Republik geworden sei, wolle die Bildung des CabinetS um jeden Preis verhindern. Er habe sich mit allen Jenen verbunden, die den Sturz der p arlamentarischen Republik anstreben, weil er dadurch hoffe, Loubet zum Rücktritt zu bringen. Msline irre ober, wenn Feuilletsn. Die Schwiegertochter. üs Novelle von Hedda v. Schmid. Nachdruck vrrdoten. „Ein Glas Wein für die gnädige Frau", wandte sich Wolf gang an Jette, welche im Begriff stand, sich zu entfernen. Die Haushälterin hatte den Wein, der zum täglichen Tisch gebrauch benutzt ward, unter ihrem Verschluß, das wußte Jctte; es kam ihr nur schwer an, sich an Mamsell Caroline, Frau Jutta's Faktotum, zu wenden. Mamsell Caroline, welche noch, trotzdem sie die Dreißig längst überschritten, stark darauf rechnete, sich zu verehelichen, hatte ein Auge auf den stattlichen Grooßfeld'schenComptoirdienerChristian, der bis dahin ein Anbeter Jetten's gewesen, geworfen, und be gann dadurch, daß sie ihn heimlich mit allerhand Leckerbissen fütterte, ihre Netze nach ihm auszustellen. Christian gerieth in Folge dessen in einen seelischen Zwiespalt. Auf der einen Seite winkten ihm Jugend und Anmuth, auf der andern lockte ein nicht zu verachtendes Sparkassenbuch. Er ver suchte zwar, so diplomatisch als möglich seinen beiden Aus erkorenen gegenüber auszutreten, konnte jedoch nicht verhindern, daß letztere in licherloher Feindschaft zu einander entbrannten. Widerwillig begab sich Jette, um Wolfgang's Auftrag nach zukommen, in das Souterrain, wo sie, in Mamsell Caroline's Zimmer tretend, allsogleich Herrn Christian wahrnahm, der auf dem kleinen, mit buntem Kattun überzogenen Sopha saß und behaglich eine Cigarre von zweifelhafter Güte rauchte. Ihm zur Seite saß, mit einer Handarbeit beschäftigt, Mam sell Caroline. Jette ward es beim Anblick dieses friedlichen Bildes roth und grün vor den Augen. Den Gruß ihres ungetreuen Anbeters ignorirend, platzte sie heraus: „Sie sollen eine Flasche Wein herausgeben, Mamsell Caroline." „So—o? Auf wessen Befehl denn?" fragte die über Jette's unerwartetes Hereinschneien nicht wenig erboste Haushälterin. „Auf Befehl des Herrn, der bei meiner gnädigen Frau ist", erwiderte Jette kurz. „So —wer ist denn das?" „Ich weiß nicht — ein Doktor oder ein Verwandter, die Frau nennt ihn Du." „Was kommt denn der bei nachtschlafender Zeit ins Haus?" „Andere Leute haben ja auch Besuch", versetzte Jette an züglich. „Ist denn Jemand krank bei Ihnen?" erkundigte sich, um doch etwas zu sagen, Christian theilnehmend. ,Klch, nein, die Lena hat sich blos Alles ausgedacht, die dumme Gans", entgegnete Jette ärgerlich, „nun, bekomme ich den Wein, oder nicht?" „Mir hat Niemand etwas zu befehlen, als meine eigene 'Herrschaft", versetzte Mamsell Caroline würdevoll. Jette's Blick hatte unterdessen im kleinen Zimmer Umschau gehalten. Auf einem Nebentischchen entdeckte sie eine Platte mit allerhand guten, kalten Sachen, überragt von einer bereits ent korkten Flasche Portwein. „Da haben wir ja, was ich brauche", rief Jette und griff in triumphirendem, schadenfrohem Bewußtsein, den wankel- müthigen Christian um einen guten Schluck zu bringen, nach der Flasche und einem der beiden Gläser. „Jette, was unterstehen Sie sich", zeterte Mamsell Caroline; doch ihre energische Nebenbuhlerin war mit ihrem Raub« bereits zur THUre hinaus. „Das klag ich der alten gnädigen Frau", lamentirte Caroline; „Sie sollen aber doch nicht leer ausgehen, Christian, im Buffet steht noch eine halbe Flasch« Samos, den Portwein hatte ich schon früher für Sie aufgehoben." Benita erholte sich schnell von ihrem Schwächeanfall, der starke Wein übte seine belebende Wirkung, und nach einer verplauderten halben Stunde konnte Wolfgang sich beruhigt verabschieden. Mit einem Herzen voller Dank gegen Gott, -der ihr Kind so gnädig vor einer ernstlichen Erkrankung- behütet, suchte Benita ihr Lager auf. Sie schlief schon längst, als der Wagen, welcher ihre Schwiegereltern heimbracht«, vor das Portal des Hauses rollte. Siebentes Capitel. „Mama!" rief Günther im Tone höchster Entrüstung. Es war am folgenden Morgen, und Günther, mit dem Frühzuge von der an der Bahnlinie belegenen Fabrik heimgekehrt, hatte kaum Zeit gefunden, Benita zu begrüßen und von ihr flüchtig die Details des gestrigen Abends zu erfahren, als der Diener erschien, mit der Botschaft: „Die alte gnädige Frau lasse den Herrn sofort bitten." Als Günther bei seiner Mutter eingetreten, hatte er an dem GesichtSausdruck derselben gleich gemerkt, daß sie ihn um einer wichtigen Angelegenheit willen zu sprechen gewünscht. Und dann hatte sie ihm Eröffnungen gemacht, die ihn auf das Höchste auf gebracht. Daß seine Mutter Benita nicht liebte, das wußte er ja längst, die Schwiegertochter war ihr stets ein Dorn im Auge; aber daß sie sich von ihrer Abneigung so weit hinreißen ließ, Benita bei ihm zu verdächtigen, daß sie Eugenie's boshaften Einflüsterungen williges Gehör geliehen, und sogar der Haus hälterin gestattet, Bemerkungen über seine Frau zu machen, das ging denn doch schließlich zu weit. Und wie mit einem Schlage ward Günther sich dessen be wußt, daß er selbst, in indirekter Weise zwar, die Schuld an diesen unerquicklichen Vorgängen trug. Er hätte Benita seiner Mutter gegenüber gleich eine andere Stellung geben müssen, gleich zu Anfang ihrer Ehe, vor allen Dingen nicht darein willigen dürfen, daß seine Frau in einer der artigen Abhängigkeit unter das Dach seines Elternhauses ge zogen. Aber nun sollt« Alles anders werden, das gelobte er sich in den peinlichen Augenblicken, in denen ihm seine Mutter als An klägerin seiner Frau gegenüber stand. Dann hatte er versucht, ihr durch seinen empörten Ausruf das Wort abzuschneiden. Allein Frau Jutta ließ sich nicht beirren, sondern fuhr fort: „Ich habe natürlich den Schein zu wahren gewußt, Benita's räthselhaftes Ausbleiben bei Onkel Leopold mit Kopfweh entschuldigt, obzwar ich sie gesund und munter in der Gesellschaft eines alten Verehrers wußte." „Ja, am Krankenbette Deines Enkels, zu dem sie ihr alter treuer Spielkamerad, der Arzt ist, und den sie zufällig im Theater getroffen, begleitet." „Krankenbett?" fragte Frau Jutta ungläubig, „gestern war Niemand im Hause krank — sonst hätte mir Caroline doch ein Wort davon berichtet, als sie mir erzählte, Deine Frau, oder der fremde Herr, der letztere um Mitternacht besucht, habe nach Wein zu ihr gesandt. Mein Haus, das Haus Deiner Eltern, Günther, ist kein Gasthaus, und wenn Benita sich so schamlos —" „Genug, Mama", unterbrach Günther in festem ruhigen Ton die Erregte, „genug, ich lasse meine Frau von Niemandem be leidigen, auch nicht von meiner Mutter. Vieles habe ich, hat sie Dir zu Gefallen ertragen, nie sind wir Dir Rücksicht und Ehr erbietung schuldig geblieben. Von Anfang an bi^ Du Benita feindselig entgegengetreten, von Niemand Anderem hätte ich das erduldet — aber — Du bist meine Mutter, das sagte ich mir stets und schwieg deshalb zu Vielem. Doch ich sehe, daß in den jetzt eingetretenen Verhältnissen «in weiteres Zusammenleben im bisherigen Sinne unhaltbar ist. In einem Haufe, in dem meine Frau von Dir, von der die Liebe einer Mutter zu beanspruchen, sie berechtigt ist, offen verdächtigt wird, wo sie vor den Jntriguen einer koketten Weltdame, einer Eugenie Benken, nicht sicher ist, wo selbst schmutziger Dienstbotenklatsch an sie herantritt, darf sie nicht länger bleiben. Ich bin jetzt Benita die Genugthuung schuldig, ihr, nach dem, was vorgefallen, ein eigenes Heim zu bieten. Ich glaube unwandelbar an meine Frau, die rein und schuldlos ist, und hättest Du mehr Herz für sie, mehr Interesse für das Kind, welches sie mir geschenkt, so müßte Dir schon längst klar geworden sein, wie nichtig die Beweise sind, welche anscheinend eben gegen Benita sprechen." Und ohne ein Wort der Erwiderung von Seiten seiner Mutter abzuwarten, verließ Günther das Zimmer. Als er Benita das, was vorgefallen, mitgetheilt, weinte die junge Frau schmerzlich. „Ich bin D«in Unglück, Günther", klagte sie; „hättest Tu Deiner Mutter eine andere Schwiegertochter ins Haus gebracht, wäre Dir der heutige Auftritt mit ihr erspart geblieben." „Sprich nicht so, Benita, Dich trifft nicht der geringste Vor wurf, Du bist schuldlos an Allem, und Du, Du allein bist das Glück und der Inhalt meines Lebens." „Und Du hast keinen Augenblick, nach dem, was Du über mich vernommen, an mir gezweifelt. Du glaubst an mich?" „Wie an mich selbst." „Dank Dir, Günther, diese Worte wiegen die Kränkung auf, welche Deine Mutter mir zugefügt." „Meine Mutter soll Dir Abbitte leisten." „Nein — das wirst Du nicht von ihr verlangen, sie ist eine alt« Frau und sehr stolz — sie wird sich niemals vor mir, der verhaßten Schwiegertochter, demüthigen. Treibe die Dinge nicht auf die Spitz«, Günther, die Verhältnisse sind so wie so schon schwer genug. Ueber Eugenie's schmähliche Verleumdung setze ich mich hinweg; sie kann es mir nun einmal nicht vergeben, daß Du mich ihr vorgezogen, deshalb hat sie so an mir gehandelt. Gottlob, es ist ihr nicht gelungen, Zwietracht zwischen uns zu säen." — Noch in derselben Stunde hatte Günther eine ernste Unter redung mit seinem Vater. Die Folg« derselben war, daß, ehe zwei Wochen verstrichen, noch vor dem heiligen Abend, Günther und Benita ein eigenes kleines Heim bezogen. Hier war nun zwar Alles viel einfacher, als im Hause der Eltern: kein auf wartender Diener, keine Equipage zur Verfügung, denn Günther hatte sich von seinem Vater eine bestimmte Summe als Besoldung für seine Thätigkeit im Comptoir erbeten, die zwar dem jungen Paare eine sorgenfreie Existenz sicherte, allein zu Luxusausgaben nicht reichte. Günther und Benita wollten sparsam sein, womöglich all-
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