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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.06.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990623016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899062301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899062301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-23
- Monat1899-06
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Molizei-Änttes der Ltadt Leipzig. NnzeigenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 ge spalten) b0»j, vor den Familiennachrichtra (6 gespalten) 40/^. Größere Schristen laut unserem Prels- verzrichnib. Tabellarischer und Ziffern!»» nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morge n»Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde srüher- Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck oud Verlag von L. Polz io Leipzig- 314. Freitag den 23. Juni 1899. 83. Jahrgang. Organisation des Arbeitsnachweises. V Das Problem einer richtigen, unserer Zeit entsprechenden Organisirung der Arbeitsvermittelung ist in letzter Zeit von ver schiedenen Seiten erörtert worden. Auch für Leipzig bildete die Errichtung des nunmehr ins Leben getretenen paritätischen Arbeitsnachweises den Verhändlungsgegenstand der in Betracht kommenden Jnteressentengruppen. Für weite Kreise ist es wohl von Interesse, mit dem Inhalte eines preisgekrönten Schrift- chens*), „Ueber die beste Organisation des Ar beitsnachweises zur Förderung des socialen Friedens" von Hermann Eckert in Freiburg in Baden, bekannt zu werden. Die mit dem ersten Preise ausgezeichnete Schrift ist geleitet von dem Bestreben, den viel bestrittenen Gegenstand in ruhige, dcn gewerblichen Frieden weniger störende Bahnen zu bringen. Dem Preisrichter-Collegium gehörten nur Namen von social politischem Gewichte an; wir nennen u. A. die bekannten Parla mentarier Frhr. v. Hehl, Vr. Hitze, Bock, vr. Paasche, Com- merzienrath Rösicke, dann den Vorsitzenden des Verbandes deutscher Arbeitsnachweise, vr. Freund, zu denen sich mehrere Großindustrielle und Arbeitervertreter gesellten. Hermann Eckert ist an die ihm gestellte Aufgabe als Praktiker herangetreten und als solcher beurtheilt er auch die vorhandenen Einrichtungen zum Zwecke der Arbeitsvermittelung; solche sind entweder überlebt („Umschau") oder hinfällig ge worden mit den sie tragenden Anstalten (Zunftherbergen, Ge- scllenverbindungen) oder einseitigen Interessen dienstbar (Arbeitsnachweise der Unternehmer und der Fachvereine), oder an sich ungenügend (die der freien Herbergen), oder zu sehr Gegenstand eigennütziger Ausbeutung (private Stellenvermitte lung). Die einseitigen Nachweise der Arbeitgeber, wie diejenigen der Arbeitnehmer waren namentlich der Grund häufiger Streitigkeiten, herbeigeführt durch das gegenseitige Mißtrauen und die Machtbestrebungen der einen oder anderen Interessenten gruppe. Nachdem er weiterhin die gemeinnützigen und städtischen Ar beitsnachweise einer Besprechung unterzogen und insbesondere dargethan hat, daß letztere eine ruhige und sachliche, Arbeitgebern wie Arbeitnehmern gerecht werdende Handhabung des Arbeits nachweises verbürgen, macht Eckert auf Grund seiner Erfah rungen den Vorschlag, allerorts gemeinnützige oder kommunale Arbeitsnachweise zu er richten und an diese die Arbeitsvermittelung aller Berufeanzugliedern. Für besonders stark ver tretene Berufe oder zusammengehörige Berufszweige wird die Errichtung von ^lnterabthrilungen (Kammern) vorgeschlagen. Sehr eingehend werden die Vortheile, die die Verwirklichung dieses Gedankens auf wirthschaftlichem und socialem Gebiete zur Folge haben würde, geschildert, wobei allerdings Voraussetzung ist, daß Arbeitgebern und Arbeitnehmern (unter dem Vorsitze eines Unparteiischen) gleichmäßiger Einfluß auf die Geschäfts führung des Arbeitsnachweises eingeräumt wird. Diese gediegene Schrift gewinnt erhöhten Werth durch den Anhang, worin Herr Eckert seine Beobachtungen und Erfahrungen aus der Praxis darlegt. Hier spricht er auch von der Nutzbarmachung des Arbeitsnach weises fürdieLandbevölkerung, indem er an einer Stelle u. A. ausführt: „Der gedeihlichen Entwickelung einer Arbeitsnachweis-Anstalt wird es förderlich sein, das Arbeitsfeld nicht zu eng zu begrenzen und etwa nur allein auf eine Stadt zu beschränken, vielmehr deren Thätigkeitsbereich auf Stadt und Land auszudehnen. Hierdurch wird die Möglichkeit geschaffen, die Dermittelungs- tbätigteit viel intensiver zu gestalten, indem die Auswahl unter denStellen sowohl, als auch unter den Arbeitsuchenden viel größer wird und damit leichter eine zweckentsprechende Zuweisung er- *) Eckert, Hermann, Verwalter der städt. ArbeitSnachweis-An» statt in Freiburg i. B. Ueber die beste Organisation des Arbeits» nachweises. Selbstverlag de- Verfasser-. folgen kann, was von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Erfüllung von Wünschen innerhalb der einzelnen Berufs zweige ist. Jene räumliche Ausdehnung des Arbeitsfeldes einer Arbeitsnachweis-Anstalt kommt aber auch den Wünschen der Landbevölkerung nach Versorgung mit Arbeitskräften entgegen. Denn dadurch, daß die Arbeitsangebote und die Nachfragen eines erweiterten Geschäftskreises in der Anstalt zusammenströmen, wird es leichter möglich, einen regelrechten Ausgleich zu be wirken und kann thunlichst dem ungesunden Zuge der Arbeiter vom Lande nach den gro ßen Städten entgegengearbeitet werden. Unter dieser Calamität leidet ja heute die Landwirthschaft des Südens wie diejenige des Nordens unseres deutschen Vaterlandes; nicht minder aber werden durch jenes Abströmen auch die gewerblichen und Hand werkerkreise auf dem Lande in Mitleidenschaft gezogen. Indem nun aber auch das Land in das Arbeitsgebiet einer Arbeits nachweis-Anstalt einbezogen wird, vermag diese wenigstens einigermaßen dem Arbeitermangel auf dem Lande entgegen zuwirken. Hierbei hat die Anstalt besonders darauf zu achten, daß die vom Lande her der Stadt zuströmenden Arbeiter wieder dorthin zurückverwiesen werden. Bei der freilich stets wachsenden Abneigung gegen die Annahme ländlicher Arbeit und Bevor zugung der Beschäftigung in der Stadt, dürfen die Schwierig keiten einer Vermittelung in obigem Sinne die Verwaltung nicht entmuthigen." Eckert befürwortet, daß die Arbeitsnachweise ihre Thätigkeit auch auf die Stellenvermittelung für weibliche Dienst boten ausdehnen, und wünscht, hieran anschließend, besondere Mägdeherbergen einzurichten, wie dies zur Hebung der Sittlichkeit in einigen badischen Städten bereits erfolgreich ge schehen ist. Die Mittheilungen, die endlich über die Organisation und den Geschäftsgang bei der Freiburger Arbeitsnachweis-Anstalt gemacht werden, sind außerordentlich interessant für alle Die jenigen, die mit der Einrichtung oder Verwaltung von Arbeits nachweisen zu thun haben. Wir können nicht im Einzelnen hierauf eingehen, möchten aber allen Interessenten das Schrift- chen, aus welchem reiche Belehrung zu schöpfen ist, zum Studium empfehlen. Im klebrigen wollen wir nur noch darauf Hinweisen, daß die statistischen Aufzeichnungen, die man nach Eckert's An sicht eifrig pflegen solst von außerordentlicher Wichtigkeit für die Feststellung des Umfanges der Arbeitslosigkeit sind. In Würdigung der großen Dortheile, welche die paritätischen gemeinnützigen Arbeitsnachweise haben, erfreuen sich dieselben schon seit Jahren namentlich in Süddeutschland der staatlichen Fürsorge und Unterstützung. Auch der deutsche Reichstag hat vor Kurzem dese Materie sehr eingehend behandelt, und es besteht nach Aeußerung eines Commissionsmitgliedes alle Hoffnung, „daß aus den Berathungen der Commission Vorschläge heraus kommen, auf die alle Parteien, welche dem Grundgedanken zu- gcthan sind, sich vereinigen werden". * Die Eckert'sche Preisschrift kommt gerade jetzt zu gelegener Zeit und wir können nur wünschen, daß sie in weitere Kreise dringen und überall eine versöhnende Gesinnung wecken, sowie die Erkenntniß verbreiten möge, daß es bei gutem Willen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer möglich ist, in Sachen des Ar beitsnachweises gemeinsam friedliche Bahnen zu gehen. Wird auf diese Weise der Frieden zwischen Unternehmern und Ar beitern gefördert, so wird dies dem Wohle des gesammten Volkes zu Gute kommen! Deutsches Reich. Berlin, 22. Juni. Eine parlamentarische Enquete über den s o c i a l d e m o k r a t i s ch e n Terrorismus wird von der „Germania" in Vorschlag ge bracht. Dieser Vorschlag ist wohl in Erwägung zu ziehen. Das abfällige Urtheil über den Gesetzentwurf zum Schutz desge werblichen Arbeitsverhältnisses ist zu einem wesentlichen Theile bestimmt worden durch die Beschaffenheit der Denkschrift, die dem Gesetzentwürfe beigegeben ist. Die an ihr geübte scharfe Kritik aber beruht auf dem Umstande, daß Polizei und Staatsanwalt allein das Material für sie geliefert haben. Wäre der Nachweis des von socialdemokratischer Seite ge übten Coalitionszwanges mittels einer parlamentarischen En quete erbracht worden, so würden die Aussichten auf ein positives gesetzgeberisches Ergebniß des von der Regierung mit der „Zucht hausvorlage" unternommenen Schrittes günstiger sein, als sie jetzt sind. Eine andere Wirkung bestände darin, daß der Social demokratie die Möglichkeit für eine agitatorische Ausbeutung der „Zuchthausvorlage" beträchtlich beschnitten wäre. Schon.die sauer-süße Miene, mit welcher der „Vorwärts" den Vorschlag der „Germania" acceptirt, zeigt deutlich, wie unwillkommen der Socialdemokratie eine solche parlamentarische Enquete wäre. Bekanntlich wird in England, wenn irgend ein Mißstand sich öffentlich fühlbar macht, entweder von der Regierung «ine Untersuchungsbehörde ernannt oder es wird aus den Mitgliedern beider Häuser des Parlaments ein Ausschuß gewählt, dem die Durchführung einer Enquete obliegt. Eine Behörde wird gewöhnlich beauftragt, wenn es sich um vor aussichtlich lange dauernde Untersuchungen handelt, da ein parla mentarischer Ausschuß mit dem Aufhören der Session gleichfalls endet. In Deutschland scheint auf den ersten Blick die Com mission für Arbeiter statt st ik das geeignete Organ für die Veranstaltung der in Rede stehenden Enquete zu sein. Nach dem am 1. April 1892 aufgestellten, 1894 abgeänderten Regulativ jedoch ist die Commission für Arbeiterstatistik zur Mit wirkung bei solchen statistischen Erhebungen bestimmt, die zur Vorbereitung und Ausführung des Titels VII der Gewerbe ordnung erforderlich werden. Da Z 153 der Gewerbeordnung unter Titel X der Gewerbeordnung fällt, der von den Straf bestimmungen handelt, so würde vermuthlich Widerspruch er hoben werden, wenn die Eommission für Arbeiterstatiftik eine Enquete über den Coalitionszwang vornehmen wollte. Man wird daher eine besondere parlamentarische Enquete über den Coalitionszwang veranstalten müssen, wenn man den Nachweis des socialdemokratischen Terrorismus nicht den Behörden allein überlassen will. Daß es sich nicht empfiehlt, lediglich durch Staatsbeamte eine derartige Untersuchung durchzuführen, hat man eben jetzt wieder erkannt. Die verbündeten Regierungen freilich sind in Deutschland wenig geneigt, bei Enqueten andere Factoren als Behörden oder Beamte mitwirken zu lassen; mit Ausnahme des Jahres 1878, in dem die Enqueten über die Tabakindustrie, die Eisen-, Baumwoll- und Leinen industrie stattfanden, wurden nur Behörden oder Beamte mit der Ausführung der Enqueten betraut. Entschlösse man sich in Bezug auf den socialdemokratischen Terrorismus zu einem anderen Ver fahren, so könnten die Folgen nur heilsam sein. /?. Berlin, 22. Juni. (Die Klerikalen in Frankreich und in Deutschland.) Die „Köln.-VolkSztg." befaßt sich bekümmert mit der renitenten Haltung eine- Theiles — und zwar ist dies der überwiegende Theil — der Klerikalen in Frankreich in derDreyfuS-Angelegenheit. Dieser größere Flügel der klerikalen Partei steht nämlich nicht nur auf dem Standpuncte der Antirevisionisten, sondern er bildet geradezu das Rückgrat dieser Gruppe. Dadurch ist im katholischen Lager in Frankreich eine böse Spaltung entstanden, Vie dem Papste schwere Sorge macht. Der Papst ist wiederholt, baldoffen, bald mehr ver steckt, für eine dem Hauptmann Dreyfus günstige Haltung der französischen Katholiken eingetreten und hat kürzlich in diesem Sinne und im Sinne der Einigung der entzweiten katholischen Gruppen eine neue Mahnung an die Katholiken Frank reichs gerichtet. Diese Mahnung hat nicht den mindesten Erfolg gehabt; die „Köln. Volks - Zig." muß selbst zugeslehen: „Der Pavst mag Rathschläge geben, er mag warnen, die Leidenschaftlichkeit de- Vorunheils m der Dreyfuösache hält die Spaltung unter den Katholiken Frankreichs aufrecht." Mag man nun auch in der DreyfuS- Angelegenbeit fachlich ganz entgegengesetzter Ansicht sein, wie die Mehrheit der französischen Klerikalen: immerhin wird man vom nichtklerikalen Standpuncte aus zugeben müssen, daß die Selbstständigkeit dieser Männer auch dem Vatikan gegenüber anerkennenswerth ist. Ihre Meinung mag richtig oder falsch sein, sie haben sie sich nun einmal gebildet, und nun lassen sie sich auch von Rom nicht dreinsprcchcn, weil sie der Ansicht sind, daß über französische Angelegenheiten nur die Franzosen zu befinden haben. Und insofern wird man zugeben müssen, daß die französischen Klerikalen, die, bevor sie sich eine Meinung bilden, nicht „nach Fulda und Rom blicken", bessere Patrioten sind, als ihre deutschen Gesinnungsgenossen. Denn wenn es auch wohl in diesem speciellen Falle für die Gerechtigkeit und für Frankreich selbst besser wäre, wenn sie dem Rath« des Papstes folgten, so wird doch im Allgemeinen ein Land besser dabei fahren, wenn die großen Parteien sich selbst ihre Meinung bilden, als wenn sie sich ihre Meinung von jenseits der Berge sousfliren lassen. Wenn es sich in Frankreich um eine Militärvorlage handelt, oder wenn Handelsverträge zur Berathung stehen, werden sich die dortigen Klerikalen sicherlich nicht die Parole von Nom geben lassen, wie es die deutschen Ultramontanen 1887, als sie sich in der Heeresvorlage der Abstimmung enthielten, und 1894, als sie in ihrer Mehrheit für den russischen Handelsvertrag stimmten, gethan haben. Ob diese Haltung an sich nützlich war oder nicht, darauf kommt eS hier nicht an: daß eine große deutsche Partei — im Gegensätze zu den französischen Gesinnungsgenossen — ihre Weisheit aus Rom bezieht, das ist daS Jammervolle. 6. H. Berlin, 22. Juni. (Privattelegramm.) Ta der Vorstand des deutschen Arbeitgeberbundes im Baugewerbe ein Rundschreiben an alle Baugewerbe treibenden erlassen hat, worin diese aufgefordert werden, keine aus Berlin kommenden Maurer zu beschäftigen, so betonten heute in einer Massenversammlung -er Maurer die Führer, daß man den Einigungsversuchen nicht zuviel Optimismus enlgegenbringen dürfe; vielleicht beginne der Kampf erst in voller Schärfe. — Erzherzog Karl Stefan, der in Begleitung seiner Gemahlin Erzherzogin Maria Theresia und seiner zwei Töchter Erzherzoginnen Eleonora und Renata, einige Tage in Berlin zugebracht hat, reist morgen nach Saybusch zurück. Heute hat der Erzherzog dem österreichisch-ungarischen Bot schafter von Szögyeny einen Besuch gemacht. — Ein Massen« uöflug aller polnischen Vereine Berlins sinket am 16. Juli d. I. statt. Der Ertrag ist zur Unterstützung des sogenannten Pvlcn-AshlS und res polnischen Bildungsvereins „Osrviatu" („Aufklärung") be stimmt. Die Zahl der polnischen Organisationen in Berlin ist, abgesehen von den drei polnisch-socialistischeu Vereinen, auf 26 gestiegen. Die jüngsten Vereinigungen sind ein polnischer Hilfsverein und ein polnischer Lotterieverein. — Beendet ist der Streik der Berliner Stein setzer, nachdem die Innung die von den Arbeitnehmern aufgestellten Forderungen bewilligt bat. — In die Gehlsen'sche Angelegenheit, über welche die Voruntersuchungen noch lange nicht obgejchlossen sind, ist nunmehr auch ein Rechtsanwalt H. aus Köln in recht unliebsamer Weise verwickelt worden. Gehlsen erging sich im Sommer v. I. in heftigen Ausfällen gegen die Leitung des Charlottenburger Credit- vereins, weil dieser die Interessen der kleinen Sparer dadurch vernachlässigt haben sollte, daß bas Bankinstitut mit einer auf das Grundstück des Theater- des Westens an der Kantstraße (Gebr. Sehring) eingetragenen, zwar hypothekarisch gesickerten, sonst aber dubiosen Millionenforderung festgelegt wäre. Diese schweren Anschuldigungen hatten eine Masjenkündigung von Depositen bei dem Creditverein zur unmittelbaren Folge, und eS hätte wenig gefehlt, so hätte derselbe innerhalb vierzehn Tagen vor Lein Zusammenbruch gestanden, wenn es der Bankleitung nicht noch gelungen wäre, ihre stürmisch die Einlagen zurückfordernden Kunden zufrieden zu stellen und den Nachweis zu erbringen, daß Gehlfen'S doloscn Angriffen jede Unterlage fehle. Vierzehn Tage lang hatten diese ganz Charlottenvurg in Spannung gehalten. Nun war der gute Ruf derBank wieder hergeslellt und Gehlsen sah sich genöthigt, seine Vorwürfe zurückzunrhmrn. Jener Vorgang hatte aber Geistlichkeit und Adel in Frankreich.*) Nachdruck verboten. Die französische Geistlichkeit bildet eine ganze Armee, die unter dem Commando von 90 bischöflichen Generalen steht. Vor hundert Jahren war der französische Bischof gewöhnlich ein vornehmer und reicher Adeliger, mit großen Einkünften, die er mit freigebiger Hand in Paris und Versailles auf verschiedene weltliche Vergnügungen verwendete. Das ist jetzt ganz anders geworden. Der jetzig« Bischof ist sowohl nach seiner Investitur als nach seiner Beschäftigung, ja sogar nach seinen positiven und negativen Eigenschaften ein B e a m t e r. Er ist vom Staats oberhaupt eingesetzt, genau so, wi« z. B. der Präfect, und sein« Ernennung hängt davon ab, daß die Curie officiell mit oer Re gierung übereinstimmt. Da nun aber diese Mächte nicht di« gleichen, sondern eher die entgegengesetzten Ansichten über die For derungen haben, die an den Candidaten auf einen Bischofssitz zu stellen sind, so kommt dem Erwählten die recht schwere Aufgabe zu, in seiner Thätigkeit Ding« zu versöbnen, die unversöhnlich sind. Da- kann natürlich nicht Hur Kräftigung der moralischen Autorität der französischen Bischöfe beitragen, und zwar um so weniger, al» sie in ihren Handlungen nur noch einen Schein von Selbstständigkeit haben. In unmittelbarer Abhängigkeit von den Bischöfen stehen 40000 Geistliche, die den weltlichen Klerus bilden. Dies« Armee «rzänzt sich fast ausschließlich au» den arbeitenden Elasten der Gesellschaft, und die Zahl der Pirsonen, di« sich dem geistlichen ' Stand« widmen wollen, nimmt von Jahr zu Jahr rasch ob. Der G!a:rb» wird im Volt« imm«r schwächer, und der Ehrgeiz der sorgenden Familienvater sucht nach einem anderen Wirkung»- lrei» für di« Söhne. In früherer Zeit rechnete jeder reiche Bauer darauf, sein«» Sohn Ä» Landg«iftlichen zu sehen; — jetzt denkt *) Nach Vicomte Bremer äs dkontmoravä: l.a 8ocitt- kravyatoa «mwwporüirw. Part-, 18SS. «r an die Stellung eines Beamten oder Lehrers — um so mehr, als der Beruf des Geistlichen nicht einmal mehr vom Militärdienst befreit. In den geistlichen Stand treten jetzt fast ausschließlich die Kinder der ärmsten Bauern, und ihm treu «bleiben nur die jenigen von ihnen, die ihre Erziehung in geschlossenen Seminaren erhalten haben, fern von dem Einflüsse der Welt, der gar häufig solche jungen Leute nöthigt, ihren ursprünglichen Beruf zu ändern. Da» Leden eines Landgcistlichen ist bedauernswerth, aber auch achtenswerth. Ersten» ist er nahe daran, zu verhungern, denn sein JahreSgrhalt beträgt im Ganzen nur 1200 Francs; zweiten» lebt er in vollständiger Vereinsamung und Abgeschlossen heit. In früheren Jahren war der Geistliche (cur5) der erste Mann im Dorfe und hatte «inen großen Einfluß auf seine Ge meinde; jetzt hat sich diese Lage vollständig verändert: in der bau fällig«» Kirche, in die die Männer nicht mrhr kommen, liest er gutherzig die Messe nur für einige alte Weiber. Die französischen Bauern empfinden schon keine religiösen Bedürfnisse mehr, sie haben die Bedeutung der religiösen Gebräuche vergessen. Der Geistliche ist für sie Nichts weiter als ein specieller Beamter, an de» sie sich nur in gewissen Fällen wenden, einfach aus Gewohn heit; ja, auch diese Gewohnheit wird von Jahr zu Jahr schwächer, weil die einflußreichen Vertreter der Dorfgemeinde — der Maire, der Lehrer, die Gemeinderäthe — das Beispiel geben, sich den religiösen Fragen gegenüber liberal zu verhalten. Mit den Unannehmlichkeiten seiner Lage zu kämpfen, hat der Landgeistliche keine Möglichkeit: er hat kein Geld, Bücher zu kaufen, und keine Lust, sie zu lesen. Materiell nicht sicher gestellt und ohne moralische Autorität, fühlt er sich fortwährend unter dem DamokleS-Schwert der Unzufriedenheit des Bischofs und der Abneigung der Ge meinde, verliert in Folge dessen da» Vertrauen zu seinen Kräften und wird zu einem bloßen Handwerker. In großen Städten, besonders in Pari», beobachtet man eine andere Erscheinung. Hier sucht sich der Geistlich« am häufigsten sozusagen seiner Gemeinde zu afsimiliren, besucht die weltlichen Salon», spricht über neue Romane oder Zeitungsartikel, sucht da» Publicum zu seiner Kirche heranzuziehen, ein Publicum, daS nicht so sehr au» Gläubigen al» au» müßigen Dilettanten besteht, die doch irgendwo ihre Zeit verbringen müssen, und zur Heran ziehung dieses Publicum» steht man nicht an, Vocal- und Jn- strumentalconcerte zu veranstalten, unter Theilnahme von Künstlern, die gerade in Mode stehen. Für den Geistlichen in der Stadt ist da» Leben freilich unvergleichlich leichter al» für den Dorfgeistlichen, aber „Scelenhirten" kann man in gleicher Weise weder den einen noch den andern nennen. Wo» die Mönchsorden und Congregationen betrifft, so gab «S in Frankreich 1789 60 000 Personen, die dieser Kategorie des geistlichen Standes angehörten, jetzt ist aber diese Zahl bis zu 158 000 gestiegen, wovon gegen 128 000 auf Frauen kommen. Be kanntlich beschränkt sich die Thätigseit dieser religiösen Corpo- rationen fast ausschließlich auf Werke der Barmherzigkeit und der WohlthLtigkeit. Nach Betrachtung des Personalbestandes der französischen Geistlichkeit gehen wir zu den Fragen über die Motive und die Mittel ihre» EinwirkenS auf die Gesellschaft. Das Motiv ist natürlich der Glaube; was aber die Mittel her Thätigkeit betrifft, so sind sie sehr mannigfaltig, und eine genaue Bestimmung der selben läßt sick nicht geben. An erster «Liesse steht die Erziehung. Trotz der Gesetze, die den Kreis der religiösen Erziehung be schränken, bildet doch die Menge der Lernenden in Schulen, die von der Geistlichkeit unterhalten werden, nicht weniger als ein Drittel aller Elementarschulen. Ferner wirkt die Geistlichkeit auf Leute, di« da» religiöse Gefühl noch nicht verloren haben, durch die kirchlichen Ceremonien und die Sacramente, besonders aber durch die Beichte ein. Endlich wirkt sie noch auf weitere Kreise durch die Predigt, obgleich diese in unserer Zeit, trotz aller Be mühungen kluger und talentvoller Prediger, sie „auf der Höhr der Zeit" zu halten, immer weniger Zuhörer heranzieht. Durch die antireligiöse Richtung der Leiter der dritten Re publik einerseits und andererseits durch den Radikalismus der Vertreter des Ulkramontanismus sind zwischen der Demokratie und dem Katholicismus in Frankreich Schranken gezogen worden, die sich nicht übirbrücken lassen und gegenseitig hochgradiges Mißtrauen und Unzufriedenheit erregen. Niemals war die Geist lichkeit, der Katholicismus und daS ChtistenthuM überhaupt in Frankreich so wenig populär, wie in den letzten 2S Jahren, und niemals erlangte diese Unpopularität einen so scharfen Ausdruck in der Gesetzgebung und in den Sitten des Landes. Man kann gegenwärtig in Frankreich nicht mehr als zehn Millionen gläubige Katholiken rechnen, ja sogar diese Zahl, die nur dcn vierten Theil der Gesammtbevölierung des Landes aus macht, erscheint noch zu hoch. Diese zehn Millionen kann man in zwei Gruppen theilen: die erste, nicht zahlreiche, besteht aus eifrig gläubigen Leuten, von denen die einen wirklich nach dem hohen Ideale des Christenthums leben, die andern aber, nur zu äußeren Kundgebungen des Glaubens fähig, sich damit begnügen, die Cere monien zu verrichten und abgeschmackte, süßlich-mystische Bücher zu lesen. Die zweite, unvergleichlich größere Gruppe besteht «aus Leuten, die nur aus Gewohnheit, aus Routine glauben, in Wirk lichkeit aber religiösen Fragen gegenüber vollständig gleichgiltig sind. Sie gehen in die Kirche, aber nur um sich dort zu lang weilen; sie beichten vor dem Tode, fragen aber ihr ganzes Leben lang nicht nach Gott. Es liegt auf der Hand, daß die Geistlich keit auf die Unterstützung seitens einer solchen Heerde durch aus keine Hoffnungen sehen darf. Von der anderen Seite steht diesen verhältnißmäßig wenigen activ-religiösen Leuten und den zahlreicheren, aber für die Kirche nutzlosen passiv Gläubigen «ine fortwährend wachsende Armee von Gegnern der Religion überhaupt und des Katholicismus ins besondere gegenüber — eine Armee, die alle Elasten der Gesell schaft umfaßt, angefangen von den hervorragenden politischen Führern und Gelehrten bis herab zu den kleinen Bourgeois und den Arbeitern, die schon den SociattlmuS gekostet haben. Der Kampf mit dieser Armee wird immer schwieriger und gefähr licher. Um mit einiger Hoffnung auf Erfolg zu wirken, müßte sich die katholische Kirche In Frankreich von ihren bisherigen Maximen lossagen. Ihre Diener müßten aufhören, „Beamte" zu sein, sie müßten sich in uneigennützige und sich selbst verleugnende Missionare verwandeln und beginnen, überall hin da- Licht einer wahrhaft christlichen Liebe und Barmherzigkeit zu tragen. Dies allein könnte ihnen helfen, die Herzen der Menschen zu über- winden. Weil diese immer und überall der Liebe und der Barm herzigkeit am Meisten bedürfen. Zur Charakteristik der gegenwärtigen gesellschaftlichen Bi»
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