Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990624024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899062402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899062402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-24
- Monat1899-06
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Di« Morgtn-Ausgabe erscheint um V,7 Uhr. di« Abend-AuSgabe Wochentag» um v Uhr. Nedaction und Lkpedition: AohanniSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochea geöffnet von srüh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Llt» klemm's So.tim. (Alfred Hahn). Universitätsstraße 3 (Paulinum^. Laut» Lösche, Latharinenstr. 14, Part, und KömgSplatz 7. BezuKS-Preis tu der tzanptexpedttton oder de» t» Stadt» hezirk und de» Vororten errichteten AuS- aabestelle» abgeholt: vierteljährlich^ 4. SO, kei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» ^l 5.b0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich- viertehährlich ^l 6.—. Direkte tägliche Kreuzdandiendung iu» Ausland: monatlich 7.SO. Abend-Ausgabe. UchMcrIaMaü Anzeiger. Alntsöl'atk des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes «nd Nolizei-Aintes der Ltadt Leipzig. NnzeigeU'Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen oater demRedactionSstrich (»ge spalten) 50^, vor Len Familiennachrichkea (6 gespalten) 40/^. Srößere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Laris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbefördrruug 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Druck und Verlag vou E. Bolz in Leipzig. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. 317. Sonnabend den 24. Juni 1899. S3. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. Juni. Unmittelbar vor derVertagung des Rei chstagS ist seinen Mitgliedern noch der Bericht zugegangen, den die zur Be ratung der GewerbeordnnngSnovclle eingesetzte C o in inissio n erstattet hat. Das Studium dieses Berichts ist für die Reichs boten eine Ferienarbeit, deren Erledigung hoffentlich dazu bei trägt, im Plenum den Hauptdiffcrenzpunct zu beseitigen, der zwischen der Negierung und der Mehrheit der Commission bestehen geblieben ist. Die Commission hat bekanntlich einen neuen ß 139o eingefügt, nach dem von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens Berkaufsstellen für den geschäft lichen Verkehr geschlossen sein müssen. Die An nahme erfolgte gegen den heftigen Widerspruch der Regierungs vertreter. Ein Versuch, für Tabaksläden eine Ausnahme zu erreichen, wurde gegen zwei Stimmen abgelehnt. Von den Regierungsvertretern wurde gegen den allgemeinen ein heitlichen Ladenschluß angeführt, daß man sich zu einer solchen, in die Erwerbstbätigkcit eines ganzen Berufsstandes tief ein schneidenden Maßregel jedenfalls erst entschließen dürfe, wenn man der Zustimmung der Ladeninhaber in größerem Um fange sicher sein könne, als eS bisher der Fall sei. Für die Verhältnisse auf dem platten Lande, in dünn bevölkerten Gegenden, in Gebirgen passe überhaupt der ganze Gedanke des obligatorischen Ladenschlusses nicht, und endlich werde auch die Thatsache nicht außer Betracht bleiben können, daß die Mehrzahl der Ladenbesitzcr überhaupt keine Handlungs gehilfen und Lehrlinge beschäftige. ES handle sich bei diesem Theile der Ladeninhaber daher um eine gesetzliche Bestimmung, der sie sich wahrscheinlich nur unwillig fügen würden. Mit dem Hinweise auf das Ausland seien die Bedenken gegen den einheitlichen obliga torischen Ladenschluß nicht zu widerlegen. In der Colonie Victoria habe der t'aetorios ancl 8Üop8 not von 1890 aller dings den Ladenschluß um 7 Uhr Abends eingeführt, allein dieses Gesetz könne nicht als vorbildlich angesehen werden, da es nicht nur zahlreiche Ausnahmen, und zwar gerade für diejenigen Geschäftszweige zulasse, in denen die Arbeits zeit erfahrungsgemäß am längsten sei, z. B. für Tabak-, Cigarren» und Lebensmittelgeschäfte, sondern außerdem noch der Mehrheit der betheiligten Ladcninbaber der übrigen Branchen das Recht gebe, weitere Ausnahmen zu verlangen. Alle diese Erwägungen sprächen dafür, baß man zunächst abwarte, welche Erfahrungen man mit dem von der Zustimmung der Mehrheit der betheiligten Ladeninhaber abhängigen Ladenschlüsse der Vorlage machen werde. — Die Commission hat ferner drei Resolutionen angenommen: 1) Die verbündeten Negierungen zu ersuchen, die Ausdehnung der Arbeiterschutzbestimmungen auf die Haus industrie durch Erlaß entsprechender Verordnungen oder durch Vorlegung eines entsprechenden Gesetzentwurfes mehr als bisher zur Durchführung zu bringen. 2) Tie verbündeten Regierungen zu ersuchen, Erhebungen durch Vie Commission für Arbeilerstatistik über die Arbeitszeit der Gehilfen, Gehilfinnen, Lehrlinge und Arbeiter in Contoren und solchen kaufmännischen Betrieben, die nicht mit offenen Verkaufsstellen verbunden sind, und für das-in den Verkehrs gewerben beschäftigte Hilfspersonal anzustellen. 3) Die ver bündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstage thunlichst bald einen Gesetzentwurf vorzulegen, der bezüglich der Ge hilfen der Rechtsanwälte, Notare und Gerichts vollzieher über die Arbeitszeit, die Kündigungsfristen, die Sonntagsruhe, die berufliche AuS- und Fortbildung die gleichen oder ähnliche Schutzvorschriften Vorsicht, wie sie das Handelsgesetzbuch und die Gewerbeordnung hinsichtlich der Handelsangestellten enthält. — Endlich sei aus dem Berichte hervorgehoben, daß in der Commission die Regierungsvertreter die Zusicherung gegeben haben, daß Erhebungen über die Nevisionsbedürftigkeit der Sonntagsruh-Besti mm ungen in die Wege geleitet werden sollen und daß nach deren Ab schluß dem Reichstage ein entsprechender Gesetzentwurf zu gehen werde. Allen Denen, welche eS nicht begreifen können oder wollen, daß die Zukunft TcutschlaudS ganz wesentlich mit auf dem Wasser liegt, sei die Lectüre eines Artikels der „Londoner Morningpost" empfohlen, der, von dem Gesichtspunkte ausgehend, daß der Handel der Flotte folgt, ausführt, daß eine starke Kriegsflotte und ein blühender überseeischer Handelsverkehr untrennbar zusammengehören. Für einsichtige Politiker bedarf es ja nicht des besonderen Nachweises, daß der Ocean die vornehmste Weltverkehrsstraße ist und daß nur diejenigen Na tionen ihren Platz im Wettbewerb um den Weltmarkt nachhaltig und mit Erfolg behaupten können, welche eine leistungsfähige Handelsmarine besitzen. Soll aber die Handelsmarine ihrer ge waltigen Verkehrs- und wirthsckaftspolitischen Aufgabe im vollen Umfange gerecht werden, so kann sie deS Rückhalts einer tüchtigen Kriegsflotte nicht entrathen, denn es ist doch selbst verständlich, daß der Handel nur derjenigen Flagge folgt, die ihm gegebenen Falls kraftvollen Schutz angedeihen zu lassen vermag. Eine Kriegsflagge, die, wenn es zur Ent scheidung kommt, niedergeholt werden muß, hat für den Handel keine Anziehungskraft. In diesem Sinne schreibt das genannte Londoner Blatt: „Als die britische Flagge daS Sinnbild einer Politik furchtloser Aufrechterhaltung britischen Rechts war, befuhr der britische Kauf fahrer jedes Meer, besuchte jeden Hafenplatz und trieb sein Geschäft an allen Küsten. Während aber Englisch die Handelssprache jedes afrikanischen und chinesischen Seehafens wurde, kamen der heimischen Regierung Zweifel wegen der Bedeutung und des Ruhmes der Flagge, und sie vergaß beinahe den mit Unterhaltung einer Kriegsflotte verbundenen Zweck. Während dieser Jahre des Zweifels wurden andere Flaggen in Gegenden entfaltet, wohin der Handel seinen Weg zuerst unter britischen Farben gefunden hatte. Seitdem hat sich in der Volks stimmung zum Glück ein heilsamer Umschwung vollzogen und es wird nicht lange mehr dauern, bis nach dem Willen Großbritanniens die britische Flagge wiederum die Kraft und den Entschluß deS britischen Volkes zur Vertheidigung seiner Kaufsahrtei und seiner Handelsunternehmungen in jedem Meere und an jeder Küste ver körpern wird." In Vorstehendem haben wir das unumwundene Bekenntniß zu einer Anschauung, der England seine Weltmachtstellung verdankt und deren fanatische Bekämpfung durch einzelne Parteien in Deutschland dem staatsmännischen Scharf und Weitblicke dieser Parteien gerade nicht sehr zur Em pfehlung gereicht. Um so weniger können sich Alle, denen die Zukunft deS Vaterlandes ehrlich am Herzen liegt, der Ver pflichtung entziehen, mit allen Kräften für die Verbreitung gesunderer Anschauungen in engeren und weiteren Kreisen eintreten, damit Deutschland die Frist nicht ungenützt ver streichen läßt, die ihm zur Erringung einer seinen wirth- schaftlichen und commerziellen LebenSintereffen entsprechenden Stellung unter den Weltmächten noch vergönnt ist. Ueber die Arbeiten der Samoa Commission liegen Meldungen vor, die allerdings aus englischen Duellen stammen, aber der Wirklichkeit nahe zu kommen scheinen. Mit besonderer Befriedigung werden sie in Deutschland Niemanden erfüllen, und auch auf Samoa selbst haben die Entscheidungen der FriedenScommission manches Kopfschütteln hervorgerufen. ES wird der „Frkf. Ztg." darüber berichtet: * London, 23. Juni. Den „Times" (welche einen Special- Correspondenten nach Samoa gesandt hat) wird aus Apia vom 13. Juni gemeldet: „Zwar hat die Commission beträchtlichen Erfolg gehabt, denn die Inseln sind äußerlich friedlich, doch kann man nicht sagen, daß der Ausblick auf die unmittelbare Zukunft ganz zufriedenstellend ist. Um Einstimmigkeit zu sichern, haben die Commissare Compromißpolitik bis zu einer gefähr- lichen Ausdehnung getrieben. Das Resultat ist, daß viele Be schlüsse einander widersprechen und allen Parteien mißfallen. Tie einzige wirklich befriedigende Errungenschaft ist die Entwaffnung und Zerstreuung der eingeborenen Freiwilligen, die Abdankung des Königs Tanu Malietoa und die gleichzeitige Abschaffung des Königthums durch die Commission. Dies verringert die Spannung sehr, allein eine Proclamation der Commissare vom 10. Juni, welche die Entscheidung deS Oberrichters (in Betreff der Königswahl) als giltig und bindend annimmt, den Oberrichter sein Amt noch weiter ausüben läßt und die drei Consuln, mit vr. Solf als Nathgebcr, als provisorische Negierung einsetzt, wird von Weißen wie Eingeborenen in gleicher Weise scharf kritisirt. Auf allen Seiten, auch auf Seiten der Com missare, erkennt man an, daß die dreifache Herrschaft un erträglich ist, doch es sei sehr zweifelhaft, ob eine einstimmige Erklärung darüber zu erreichen ist. Tie Berliner Acte hemme jede Bewegung. Dies werde man deutlich sehen, wenn Zeit ge- kommen sei, um die Resultate der Mission zufammrnzufaffrn. - - Wir können uns auch von der Abschaffung deS Königthums nicht gerade viel versprechen. An Stelle deS Königs soll ein Gouverneur, natürlich ein Weißer, treten, dem ein aus drei Delegirten der Mächte rekrutirter gesetzgebender Rath zur Seite stehen soll. Diese drei Delegirten, welche DepartementS- chefs werden, dürften dasselbe thun, was die drei Consuln bisher gethan haben, nämlich gegen einander intriguiren. Auch wird man nach der Absetzung deS Königs den Häuptlingen in ihren Districten weitgehende Rechte lassen müssen, und eS ist daher nicht wahrscheinlich, daß nun die Kämpfe der Häuptlinge untereinander auf hören werden. Diese wären nur dadurch zu verhindern, daß man dem Gouverneur eine Streitmacht zur Verfügung stellt, welche stark genug wäre, die Rivalen zum Ruhebalten zu zwingen. DaS aber würde mehr kosten, als die sämmt- lichen Inseln Werth sind. Viel hängt dann von der Persön lichkeit des Gouverneurs ab und davon, wie weit seine Voll machten gehen. Auch die Stelle des Municipal-Präsidenten soll abqeschafft und anstatt dessen ein Bürgermeister mit einem Stadtrath ernannt werden. Der Unterschied ist nicht sehr groß, nur daß der Gouverneur auch gegen die Beschlüsse der Municipalverwaltung daS Vetorecht erhält. Sehr auf fallend ist und wird auch auf Samoa als auffallend angesehen, daß die Entscheidung des Oberrichters Chambers' gegen Mataafa zu Recht bestehen soll. Nach Artikel 3 Abschnitt 6 der Samoa-Acte soll bei Streitfragen über die rechtmäßige Königswahl der Oberrichter von Samoa schriftlich entscheiden in Uebereinstimmung mit den Vor schriften dieser Acte und dem Gesetz und den Gewohnheiten von Samoa, sofern diese nicht im Widerspruch zu diesen Vorschriften stehen. Die Vertragsmächte werden eine solche Entscheidung anerkennen und an ihr festhalten. Nun ver stieß aber die Entscheidung ChamberS' offenbar gegen Gesetz und Gewohnheiten von Samoa, nach welchen Derjenige König ist, der die Mehrheit der Bevölkerung für sich hat, was andererseits in keiner Weise mit der Vorschrift der Samoa-Acte in Widerspruch steht. Allerdings ist durch die Compromißbestimmung, daß das Königthum überhaupt abgeschafft werden soll, auch verhindert worden, daß Tanu, der Günstling der Engländer und Amerikaner, König bleibt, aber Deutschland ist doch principiell inS Unrecht gesetzt. Den drei Regierungen bleibt die Ent scheidung über die Vorschläge der Commission. Wir hoffen, daß die entscheidende Stelle in Berlin nicht ohne Weiteres ihr Ja und Amen giebt, nur um die leidige Sache auS der Welt zu sckaffen. Ruhe wird doch nicht eher werden, als bis der unglücklichen Dreiherrschast ein Ende gemacht ist. Eigen- thümlich berührt cs, daß der Oberlichter CbamberS in Apia verbleiben soll. Wird er, der so viel Unheil gestiftet, nicht abberufen, so ist darin ein Act der Unfreundlichkeil der beiden anderen Vertragsmächte Deutschland gegenüber gegeben. Wie vorauSzuseben war, findet daS neue sranzöfischc Ministerium Waldeck-Rousseau in den Parteien der Deputirten- kammer nicht den breiten und sicheren Boden, der ihm eine längere Lebensdauer verbürgen könnte. Die gemäßigten Republikaner sind gegen daS Cabinet eingenommen, weil in ibm daS radikale Element vorwiegt, die Socialisten sind zur Hälfte abgeschwcnkt, weil neben ihrem Parteigenossen Mille rand der „Socialistentödter" Gallifet sitzt, und die Natio nalisten, Antisemiten, Monarchisten und Klerikalen standen von vornherein in Opposition gegen die Combination Waldeck- Rousseau. Würde das Ministerium heute vor die Kammer treten, so wäre sein Sturz wahrscheinlich. Man spricht deshalb nicht umsonst von der bevorstehenden Vertagung der Kammer bis nach Beendigung deS DreyfuS- ProcesseS. In der That kommt eö nicht auf die Zu sammensetzung deS CabinetS an, daS freilich ein buntes Bild gewährt — gemäßigt republikanisch sind Waldeck-Rousseau, der Finanzminister Cailleux und der Kriegsminister Gallifet, die übrigen sind bekannte Radikale, der Handelsminister Millerand ist Socialist und der Bautenminister Baudin socialistisch an gehauchter Radikaler —, sondern darauf, daß alle seine Mit glieder darin einig sind, unter Zurückstellung deS Partei- standpunctes die den Bestand der Republik gefährdende „Affaire" zn liguidiren und wieder Ordnung und Ruhe zu schaffen, soweit dies noch möglich ist. Aber mit Erfüllung dieser Aufgabe wird daS Cabinet Rousseau seine Thaten gethan haben und, wie gesagt, ohne Vertagung des Parlaments wird cS schwerlich zum Ziele gelangen. DaS Einzige, waS die gemäßigten Republikaner und einzelne Gruppen der Rechten beschwichtigen könnte, wäre ein maßvolles, nachsichtiges Vorgehen gegen die Generäle, welche durch anti revisionistische Tagesbefehle oder durch ihr sonstiges Verhalten nach dieser Richtung hin sich DiSciplinwidrigkeiten haben zu Schulden kommen lassen. Gallifet scheint, wie wir gestern schon andeuteten, einen großen Rache feldzug — auch gegen Pellieur, Boisdeffre, Mercier :c. — nicht im Sinne zu haben. Im gestrigen Ministerratbe kündigte er nur die Versetzung der Generale und Ofsi- F»»»rlletsn. Ä Die weiße Nelke. Roman von Isidore Kaulbach. NaLkviick verböte». Meta sah vor sich nieder; man konnte erkennen, wie stark ihre innere Erregung war. So stand sie einen Augenblick, ohne zu antworten. Kurze Zeit ließ Hagenberg sie gewähren, dann wurve er^un- geduldig. „Wir warten auf Sie, Fräulein Henzen. Wenn Sie sich einzelner Aeußerungen oder Worte aus diesem Gespräch er innern, dann theilen Sie es mir mit. Es ist Ihre Pflicht. Was können Sie mir sagen?" „Nein — einzelner Aeußerungen erinnere ich mich nicht", gab Meta jetzt langsam zur Antwort. „Genaues konnte ich nicht verstehen." „Sie scheinen mir vorhin etwas leichtsinnig in den Tag hineingesprochen zu haben. Sie sagten doch, es sei eine leiden schaftliche Unterredung gewesen?" „Das war es auch. Sie sprachen Beide schnell und hastig. Das Wort „Liebe" habe ich auch gehört." „Wer sprach es aus, der Maler oder die Schauspielerin?" Meta zauderte wieder. Sic blickte zu Claasen hinüber und der Ausdruck ihres Gesichtes wurde weich. Dann aber schaute sie auf die Ermordete nieder und ein finsterer Groll drückte sich in ihren Zügen aus. „Ich glaubt, daß Beide von Liebe gesprochen haben", sagte sic kurz und hart. „Ist daS Alles? Wissen Sie nichts Genaueres anzugeben?" „Nein, weiter nichts." „Nun, besinnen Sie sich; vielleicht fällt Ihnen später noch etwas «in. Ich werde auf die Sache zurückkommen. Sahen Sir an jenem Tage Fräulein Goladtka das Atelier verlassen?" »Ja, sie ging in großer Erregung an mir vorüber, ohne mich zu bemerken; ich stand in der Ecke dort im Schatten." „Haben Sie Fräulein Goladtka noch einmal nach diesem Tage bei Herrn Elaasen getroffen?" „Nein." „Bestätigen Sie die Aussagen Fräulein Henzen's?" fragte Hagenberg den Maler. Richard lächelte bitter. „Niemand kann wissen, welcher Art der Inhalt der Unterredung zwischen mir und Fräulein Goladtka gewesen ist; und ich werde ihn nicht verrathen." Ein schneidendes Auflachen unterbrach mit einem Male die Pause, die nach den letzten Worten des Malers eingetreten war; es machte auf die Anwesenden einen um so unheimlicheren Ein druck, als die Nähe der stillen Leiche ohnehin das Gemüth eines Jeden mit leisem Schauder erfüllte. Mit gerunzelter Stirn blickte Hagenberg auf. Es war Friedrich Henzen, der das eigenthümliche Lachen aus gestoßen hatte. Jetzt stand xr wieder mit unbeweglichem Gesicht an der Wand. „Wollen Sie mir erklären", fragte Hagenberg streng, „wes halb Sie lachten?" „Herr Untersuchungsrichter", erwiderte Henzen ruhig und ge messen, „Mancher geht so durch's Leben hin, ohne viel zu reden und ohne daß die Menschen sich um ihn kümmern. Und doch weiß er Vieles, wovon Niemand eine Ahnung hat. Wenn ich sprechen wollte — was würde das hohe Gericht wohl für Stoff zum Nachdenken bekommen! Aber es giebt Dinge, die es nicht be straft und die doch strafbarer sind, als manchmal ein . . „Kommen Sie zur Sache!" gebot Hagenberg. „Was sollte das Lachen? Haben Sie gegen Herrn Claasen eine Anklage zu richten?" Es war gut, daß Richard Claasen die Augen gesenkt hatte und den Blick nicht sah, den Henzen ihm zuwarf. Es lag ein solcher Haß darin, daß man sich fürchten mußte vor der Rache dieses Mannes. Hagenberg aber bemerkte den Blick. Gespannt wartete er auf Henzen's Antwort. „Ich habe kein Recht zu einer Anklage, ich bin «in einfacher Mann. Es schadet ja nichts, wenn Menschen unseres Schlages getreten werden wie elendes Gewürm. Ich lachte nur, weil der Herr sagte, er hätte in keiner Beziehung zu der Ermordeten ge standen." „Lassen Sie die Andeutungen, geben Sie klare und bestimmte Thatsachen an, insofern Sie davon unterrichtet sind", befahl der Untersuchungsrichter. „Meine Tochter wird Ihnen bessere Auskunft geben können", sagte Henzen immer mit derselben unentwegten Gelassenheit. „Schmerz und Bitterkeit werden die Wahrheit ihrer Aussagen bekräftigen." „Vater!" rief Meta leidenschaftlich; ein flammender Blick ihrer dunklen Augen gebot ihm Schweigen. „Wissen Sie sonst noch etwas über die Beziehungen Herrn Claasen's zu der Ermordeten, Fräulein Henzen? Ich ersuche Sie um bestimmte Aussagen." In Meta's Seele rang ein heftiger Widerstreit der Gefühle. Man sah es ihr an, daß zwei Gewalten in ihr um die Herrschaft kämpften: Haß und Liebe. „Nein", sagte sie endlich kurz und schroff. „Ihr Vater hat mich an Sie gewiesen, strafen Sie ihn nicht Lügen." „Er denkt an eine Sache, die mich und ihn allein angeht. Hiermit hat sie nichts zu schaffen." Hagenberg drang noch eine Zeit lang in sie, doch blieb Alles vergeblich; enttäuscht wandte er sich zuletzt zu dem Rechtsanwalt Glaubitz. „Um wie viel Uhr kamen Sie gestern Abend hierher, Herr Rechtsanwalt?" „Kurz vor zehn, Herr Untersuchungsrichter. Ich fand Herrn Claasen fassungslos vor der Leiche und war selbst wie vom Schlage gerührt." „Wer öffnete Ihnen die Entröethür?" „Ich ging, wie ich öfter zu thun pflege, um das Haus herum und trat durch die Verandathür ein, die Herr Claasen selbst mir öffnete." „Was wollten Sie bei Herrn Claasen?" „Ihn zu einem Spaziergang abholen. Ich habe das öfter nach Vollendung meiner Arbeiten gethan, und der Abend war schön." „Haben Sie Fräulein Goladtka schon sonst Abends bei Herrn Claasen getroffen?" „Nein." „Kannten Sie die Dame näher?" „Nur von der Bühne." „Ueber ihre sonstigen Verhältnisse ist Ihnen nichts bekannt?" „Nein." „Ich hoffe", wandte sich Hagenberg nach einer Pause wieder an Richard Claasen, „daß Sie sich jetzt genügend gefaßt haben, um mir bestimmte Antworten geben zu können. Bisher spricht Vielerlei gegen Sie, nur Weniges, Nebensächliches zu Ihrer Ent lastung. Es kommt darauf an, daß Sie sich rechtfertigen können. Sie verweigerten mir die Antwort auf meine Frage, wo Sie Fräulein Goladtka kennen gelernt haben. Also muß doch irgend etwas in Ihren gegenseitigen Beziehungen sein, das Sie nicht gern berühren. Wie lange kannten Sie die Schauspielerin?" ,-Seit längerer Zeit." „Wo lebte sie, bevor sie hierher nach Berlin kam? Meines Wissens ist sie erst seit zwei Jahren am Lessingtheater engagirt gewesen." „Das weiß ich nicht." Hagenberg beherrschte mühsam den in ihm aufstcigenden Zorn. „Durch Ihr hartnäckiges Verschweigen aller Thatsachen kom men wir nie zum Ziel", sagte er ärgerlich. „Wollen Sie mir gefälligst angeben, seit wann Sie selbst hier in Berlin wohnen?" „Seit fünf Jahren etwa." „Wo lebten Sie vordem?" „Mein früherer Wohnort kommt nicht in Frage, Herr Unter suchungsrichter." „Ich ersuche Sie, ihn zu nennen", gebot Hagenberg scharf. „Ich habe bestimmte Gründe, Ihnen die Auskunft über meine näheren Angelegenheiten zu verweigern. Seien Sie fest versichert — wenn es sein muß, kann ich es mit heiligem Eide beschwören — daß mein Vorleben nichts mit dem furchtbar erschütternden Morde zu thun hat." „Sie verweigern also auch die Aussagen über Ihre Heimath, Ihre Eltern, über Alles, was Ihre Familie betrifft." „Ich bin fest entschlossen, meine Verhältnisse nicht zu offen baren." Hagenberg räusperte sich, als wollte er eine zornige Entgeg nung unterdrücken. „Es ist gut", bemerkte er hart, „so tragen Sie die Folgen dieses merkwürdigen Entschlusses; aber seien Sie versichert, daß Jedermann weiß: Es birgt sich gewöhnlich eine Schuld oder ein Flecken auf der Ehre hinter dem Vorhang, den man nicht lüften will." — „Oder ein Unrecht gegen Unschuldige", brach es jetzt er bittert von Richard's Lippen, „das Niemand aufklären kann." „Ich werde jetzt das Verhör über die Thatsachen des gestrigen Abends fortsetzen, da es mir nicht zu gelingen scheint, Ihre geheimnißvollen Verhältnisse ans Licht zu ziehen. Doch wieder hole ich Ihnen: Ihr Verhalten vermehrt den Verdacht, der sich gegen Sie richtet." „Ich muß es tragen", sagte Richard mit verzweifelter Re signation. Hagenberg nahm die weiße Nelke aus dem Wasserglase. „Trug die Ermordete diese Blume?" fragte er Richard. „Nein, man fand sie am Boden neben der Leiche." „Der Schutzmann Scheffer sah sie zuerst und hob sie auf", meldete der Criminalcommissar Meyer. „Es ist ein sehr seltenes Exemplar", meinte Hagenberg; „viel leicht hat die Dame die Nelke vor ihrem Tode getragen, und sie ist zu Boden gefallen, als der Mord geschah. Voraussichtlich ist der ruchlosen That ein Kampf vorausgegangen. Wissen Sie, Frau
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite