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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990627029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899062702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899062702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-27
- Monat1899-06
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Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernsay uach höherem Tarif. Extre»-Beilage« (gefalzt), nur mtt der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördcrung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Aimahmeschluß fir Äuzeizen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgr u-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Ex-editioti zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig, 322. Dienstag den 27. Juni 1899. S3. Jahrgang, Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. Juni. Im Frühjahr erregte die öffentliche Meinung ein aus höchst geringfügigem Anlaß hervorgegangenes Duell, das zu Coblenz zwischen einem Leutnant Döring und einem Studenten Namens Klövekorn zum Aus trag gekommen war. Der Streit begann auf einem Tanzboden eines OrteS in der Nabe von Coblenz, er artete zu Thätlichkeiten aus, und das Crgebniß war eine Forderung auf Pistolen dis zur Kampfunfähigkeit. Das Ende war, daß der Student erschossen wurde. Erörtert wurde damals, ob auch die Bestimmungen bei diesem Handel beobachtet worden seien, die am 1. Januar 1897 vom Kaiser erlassen worden sind, um dem Duellunfug zu steuern. Da dies seiner Zeit in Zweifel gezogen worden ist und außerdem noch andere falsche Mittheilungen über den Lorgang verbreitet worden sind, so hat sich jetzt da» Generalkommando des VIII. Corps in Coblenz veranlaßt gesehen, eine Darstellung de« Her gänge« zu veröffentlichen, die sich absoluter Objectivität be fleißigt, wie sich schon daraus erzieht, daß sie sich in allen wesentlichen Punkten mit den Mittbeilungen deckt, die An fang April von dem Bater des gefallenen Studenten ver öffentlicht worden sind. Die Absicht des Generalkommandos geht dabm, zu erweisen, daß bei dem Vorgänge nicht nur der kaiserlichen Ordre gemäß, sondern auch vollständig „correct" verfahren worden sei. Wir können trotzdem von der Ansicht nicht abgehen, die wir damals geäußert haben, daß e» sich vor dem öffentlichen RechtSgefühl nicht recht fertigen läßt, wenn man solche Streitigkeiten und die Ver nichtung eines jungen Menschenleben«, da« mit schweren Ver pflichtungen gegen Familie und Staat belastet ist, auf die gleiche Waagschale legen wollte. Außerdem aber sind auch in der Darstellung des Generalkommandos noch einige neue Punkte, die nicht ohne Einspruch passircn können. Die Dar stellung des Hergangs beginnt damit, daß der Leutnant sich „in Civil" auf den Tanzboden nach GülS bei Coblenz be geben habe. Er hatte dort mit einem jungen Mädchen ge tanzt und diesem die Verpflichtung abgenommen, als cs den Tanz wegen Müdigkeit abbrach, auch nicht mit dem Studenten zu tanzen. Und nun geht die Darstellung des General kommando- weiter: Nach einer Auseinandersetzung mit dem jungen Mädchen ging der Student Kl. zu dem Leutnant D., stellte sich ihm vor und bat ihn, herauszukommen. Draußen fragt« Kl. den D., wie er zu dieser Aeußerung dem Mädchen gegenüber käme. Leutnant D. — etwa» animirt und erregt durch die Haltung Kl.'s mit verschränkten Armen ihm gegenüber — fragte zurück, wie er dazu käme, ihn in dieser Weise zu stellen. Kl. wiederholte seine Frage mehrmals in ruhiger Weise, erhielt aber ähnliche Antworten wie zuvor vom Leutnant D. mit dem Zusatze, er wisse wohl nicht, wen er vor sich habe, und es sei eine Unverschämtheit oder Frechheit, ihn so zur Rede zu stellen. Hierauf versetzte Kl. dem D. eine Ohrfeige. Dieser stürzte sich nun aus Kl. und hieb mit dem Ausdruck „Rüpel, Lump, Feigling" auf ihn ein. Di« Ringenden wurden alsdann von Da zwischentretenden getrennt. DaS Bezeichnende hieran ist, daß der Ofstcier eS nach seiner Auffassung nicht für erlaubt oder seinem Stande an gemessen hielt, in dem Kleide seines Berufes ein Local zu besuchen, trotzdem aber in der Auseinandersetzung, in der er sich nicht so benahm, wie das bürgerliche Gewand es beanspruchen muß, sich auf den Ofsicier binauSspiclte. Nach der Mittheilung des Generalkommandos heißt eS weiter, daß der „Unparteiische" nach dreimaligem Kugelwcchsel den Kampf ausheben konnte. DaS ist aber nicht geschehen; im Grgentheil, das Generalkommando erzählt weiter: Nach dem dritten Kugelwechjel meldeten die Sekundanten des Kl. an, daß sie nach dem nächsten (also vierten) Kugelwechsel einen Sühneversuch Vorschlägen würden. Dieser Sühneversuch wurde von der Partei des Lt. D. abgelehnt. Beim fünften Kugelwechsel erhielt KI. den tödtlichen Schuß in den Unterleib. Und nun heißt eS zum Schluß: „Ein Ausgleich nach einer so schweren thätlichen Beleidigung, wie die hier vorliegende, war ausgeschlossen; eine Sühne konnte nur unter schweren Bedingungen eintreten. Diese Bedingungen sind jedoch ganz allein vom Leutnant Döring, als dem einzig Zuständigen, gestellt worden. Der Ehren rath konnte mit Rücksicht auf die Schwere der Beleidigung gegen dieselben nichts einwcnden; eine weitere Einmischung kam ibm nicht zu." Hier hört die Sache auf, für uns ver ständlich zu sein. Ein Ofsicier provocirt „in Civil" Thät lichkeiten, spielt sich dann auf den schießenden Leutnant hinaus und — ist der „einzig Zuständige", der zuletzt darüber ver fügt, bis zu welchem Ende die Streitigkeit führen soll, die er zu einem wesentlichen Theil auf die Spitze getrieben bat. Mag daher der Vorgang „correct" nach dem sogenannten Ebrencodex sich abgewickelt haben und dabei buchstaben mäßig die Ordre des Kaisers beachtet worden sein —, mit dem Geiste der kaiserlichen Ordre können wir solche Vorgänge nicht in Einklang bringen. Und dieser Geist der kaiserlichen Ordre kommt in bestimmtester Form in der Einleitung zum Ausdruck, in der der Kaiser sagt: „Der Ofsicier muß cs als Unreckt erkennen, die Ebre eines Anderen anzutasten. Hat er hiergegen in Uebereilung oder Erregung gefehlt, so handelt er ritterlich, wenn er an feinem Unrecht nicht festbält, sondern zum gütlichen Ausgleiche die Hand bietet/ Wer hiergegen als Ofsicier verstößt unter so erschwerenden Umständen, wie im vorliegenden Fall, darf — die principiellc Seite der Duellsrage für sich gelassen — vor allen Dingen nicht da« Verfügungsrecht über die „Bedingungen" behalten. Die „Deutsche Tageszeitung" warnt davor, auS dem österreichisch-ungarischen Ausgleiche, nach dem die bestehenden Handelsverträge höchstens bis 1907 verlängert werden dürfen, den Schluß zu ziehen, daß Deutschland etwa geneigt sein könnte, Len bestehenden, mit dem Jahre 1903 ablaufenden Handelsvertrag mit Oesterreich - Ungarn bis 1907 zu ver längern. Sie weist darauf hin, daß nicht nur die Land- wirlbschaft, sondern auch die deutsche Exportinduslrie den gegen wärtigen Vertrag als ungünstig ansehc. Mit dieser erfreulichen Fürsorge auch für die Interessen von Handel und Industrie steht cs einigermaßen im Gegensätze, daß die „Deutsche Tagesztg." am Schlüsse ihres Artikels sagt: „Mit Ende 1903 wirb entweder ein neuer Zollvertrag mit höheren Zoll sätzen für nach Deutschland eingehendeS Ge treide in Kraft treten, oder an Stelle eines ZollvcrtrageS der autonome Zolltarif." Wenn sich also nur höhere Getreide zölle herauSdrücken lassen, so mögen nach der „Deutschen Tagesztg." im Ucbrigen die Nachtbeile des gegenwärtigen Vertrages für die Industrie ruhig bestehen bleiben. Von einer Neigung, die Interessen von Landwirthschaft und Industrie in gleich energischer Weise wahrzunehmen, ist also nicht die Rede. Im Ucbrigen aber wird man mit der „Deutschen Tagesztg." darin übereinstimmen können, daß da« im Jahre 1903 etwa noch bestehende unsichere Verhältniß zwischen Oesterreich nnd Ungarn für Deutschland keine Veranlassung sein kann, den gegenwärtig bestehenden Handelsvertrag einfach über das Jahr 1903 hinaus zu verlängern. Wenn Oesterreich und Ungarn sich nickt mit einander einigen können, so ist nicht abzusehen, weshalb Deutschland darunter leiden soll. Gestern hat sich das Ministerium Waldeck-Rousseau der Kammer vorgestellt und der Ministerpräsident hat da« Programm desselben entwickelt. Sein Debüt war Nichtsein Ende, denn die Kammer hat die Erklärung der Negierung gebilligt. Aber welch ein Vertrauensvotum! Für das Ministerium stimmten 263, gegen dasselbe 237 Abgeordnete, das ist also eine Mehrheit von ganzen 26 Stimmen. Da nicht weniger als 84 Abgeordnete sich der Stimme enthielten, kann jeder Tag den Sturz der Regierung bringen. Nur 23 Stimmen retteten da« Cabinet vor der Vo- tirung der einfachen Tagesordnung, LaS heißt vor der Miß trauenskundgebung der Dcputirtenkammer. Ein anderes Resultat war freilich kaum zu erwarten, obwohl Waldeck- Rousseau die tiefsten Verbeugungen vor der Armee machte und sehr deutlich zu versieben gab, daß er mit seinen Ministercollegen gar nicht daran denke, die compromittirten Spitzen derselben zu verfolgen, sondern daß man, wenn Maßregeln gegen sie nolhwendig sein sollten, maß voll sein würde, um so maßvoller, je höher die Be treffenden stünden. Das war doch verständlich genug. Und trotzdem versagte das Gros der gemäßigten Republikaner, das doch wahrhaftig alle Ursache gebabt Kälte, mit der Haltung der Regierung zufrieden zu sein! Die Erklärung ist einfach darin zu suchen, daß rin Theil derselben unter Meline schon kaum mehr im republikanischen Lager steht, ein anderer größerer Theil aber, der daS rothe Gespenst der socialen Republik noch mehr als die Reaktion fürchtet, es Rousseau nicht ver zeihen kann, daß er der äußersten Linken zwei Portefeuilles über lassen und daS radikale Element überhaupt vorwiegend bei der Cabinetsbildung bedackt hat. Daß die socialistische Gruppe sich gestern theilen würde, wußte man schon vorher, nicht aber, daß ihre Vertreter in der Kammer so scharf gegen Waldeck - Rousseau und besonders gegen den „Würgengel" Gallifet losgehen würden. ES ist zu be fürchten, daß diese Rabiaten die Vernünftigeren noch mit sich fortreißen, und dann ist der Sturz des CabinetS erst recht sicher. Allerdings hat der Senat sich mit großer Mehrheit für das Cabinet ausgesprochen, aber abgesehen da von, daß von den 300 Senatoren 88 nicht abstimmten, ist der Senat nicht der ausschlaggebende Faktor. Man darf kaum erwarten, daß die Regierung den Spruch des Renner Kriegsgerichts noch erlebt, zumal da demselben schon jetzt mit tumultuösen Kundgebungen präludirt wird. Ueber die in Versailles vorgekommenen Ausschreitungen gegen die Juden berichteten wir bereit« — sechs junge Leute, welche den Pförtner des israelitischen Tempels übersielen, werden gerichtlich verfolgt werden —, beute meidet un« der Telegraph über eine Demonstration von DreyfuSfreunden das Folgende: * Brest, 27. Juni. (Tel.) Die Anhänger der Revision wollten gestern Abend in einem außerhalb der Stadt gelegenen Saal eine Versammlung abhalten. Da der Besitzer des Saales dessen Hergabe verweigerte, versuchten etwa 300 bis 400 Personen in die Stadt zurückzukehren, um dort Kundgebungen zu veranstalten. Die Polizei sperrte das Stadtthor ab. Die Theil- nehmer an der Kundgebung zogen darauf unter den Rnfen: „Es lebe die Freibeirl Es lebe Dreyfusl" an den Quais ent lang und gelangten durch «in andere» Tbor in di» Stadt. Tie Polizei zerstreute die Menge und nahm einige Verhaftungen vor. Wa« die nächsten Tage bringen werden, ist ungewiß, ebenso ungewiß wie da« Schicksal de« CabinetS, um das es sich nicht mehr allein handelt. Auffallend zurückhaltend waren in der gestrigen Kammersitzung die Gegner des CabinetS Rousseau: MSline, die Antisemiten, die Nationalisten, die Klerikalen und die Monarchisten. Keiner ergriff das Wort. Halten sie die Zeit für Thaten gekommen - Der erste Act de« Drama« „Rrbeiterfperre" in Dänemark hat, wie den „Hamb. Nackr." aus Kopenhagen geschrieben wirb, mit dem einstimmigen Erkenntniß de« gemeinsamen Aus schusses geschlossen, nach welchem von den 9 eingereickten Klagen der Arbeiter 2 al» unberechtigt abgewiesen wurden, während der Ausschuß in den übrigen Klagesachen für Recht erkannte, daß die Arbeitersperre keiner strafbaren Rechts verletzung gleichkomme, wenn auch die verhängte Sperre den seiner Zeit getroffenen Vereinbarungen widerstrebe und nicht mit den Voraussetzungen in Einklang zu bringen sei, von denen die Arbeiter bei Feststellung dieser Vereinbarungen ein Recht gebabt haben könnten, auszugehen. In diesen etwas auf Schrauben gestellten Worten, mit denen weder die Arbeitgeber, poch die Arbeiter ganz zufrieden sind, liegt doch für erstere die Anerkennung, daß dieselben sich keiner Beeinträchtigung rechtlicher Befugnisse schuldig gemacht baden, während den Arbeitern gleichzeitig ein formelle« Recht zur Klage eingeräumt wird. Nur schade, daß die« salomonische Urtheil der Rechtskraft entbcbrt und überhaupt nur insoweit für den weiteren Gang der Sache von Bedeutung ist, als dasselbe bei dem Versuche eines nachträglichen Vergleichsverfahrens auf die streitenden Parteien einen Einfluß wirb auSüben können. Da das erwäbntr Erkenntniß keine Rechtskraft bat, so ist ein nachträglicher Vergleich über den Gegenstand dc« Streites zulässig, und damit beginnt also der zweite Act, hoffentlich der Schlußact, diese« Schauspiels. Bei diesem Versuche eines Ausgleichs wird der Ausschuß als Einigungsamt fungiren. Der Verein der Arbeitgeber bat in Anlaß de« eben gefällten Urtheils über Aufhören oder Nicht- Aufhoren der Arbeitersperre bislang keine Entscheidung ge troffen nnd die Arbeitgeber haben darüber wie auch über das Verhalten während der bevorstehenden Vermittelungs versuche einer auf morgen zusammenherufenen General versammlung da- Recht der Entscheidung vorbebalten. Die Arbeiter dagegen haben sich beeilt, die Vorschläge iu Betreff des zu constituirenden Einigungsamtes, dessen Zusammensetzung und Verfahrungsweise zu acceptiren. DaS auswärtige Amt in Kopenhagen warnt in einer Be kanntmachung dänische arbeitslose Handwerker davor, nach Deutschland zu reisen, so lange die Arbeitssperre dauert, da einem Berichte des dänischen Generalkonsulat« in Berlin zufolge diese Arbeiter nur in den wenigsten Fällen in Deutsch land werden Arbeit finden können. Einen sehr bezeichnenden Commentar zu den beständigen Vorwürfen der panslavistischen Blätter gegen die Atntänder und deren angeblichen „Haß" gegen Rußland bildet in vielfacher Hinsicht der folgende, in verschiedenen finlän- dischen Blättern veröffentlichte Aufruf zu Gunsten der von i der gegenwärtigen Hunger-noth heimgesuchten russischen I Gouvernements: „Schon feit Monaten sind Gerüchte zu unS gedrungen von der I entfetzlichen Noth und dem Elend, da« in mehreren Gouvernement» um» ^«irilleton. sj Die weiße Nelke. Roman von I s i d o r e K a u l b a ch. StaLtruck verboten. „Ich habe ihm selbst zu diesem Bilde Modell gestanden", sagte Meta. „Ach, wenn ich das hätte ahnen können! Sie! Sie und Hur Claasen verlobt?" Sie wischte hastig ihre Thronen ab. „Ihnen, Fräulein Seydel, Ihnen hält' ich seine Liebe gegönnt! Für Sie möcht' ich Sonne, Mond und Sterne haben! O, wenn ich es doch früher gewußt hätte! Mer was kann ihn dazu be wogen haben, Fräulein -Goladtka zu malen? Was sollte diese leidenschaftliche Auseinandersetzung? Was bedeutete es, daß die Schauspielerin todt in seinem Zimmer gefunden wurde — Abends spät; und er — er selbst war verstört, mit Blut bedeckt und wie ein Abwesender, als man ihn verhörte. Warum, warum das Alles?" Die Worte stürzten förmlich von den Lippen des Mädchens. Auf Elisabeth's Frage nach dem Abend des Mordes und dem Verhör am folgenden Morgen schilderte Meta mit der ihr eigenen Lebendigkeit Alles, wie es sich zugetragen hatte. Nur ein Mädchen von der Seelenstärke Elisabeth's konnte mit Kiffer scheinbaren Gelassenheit solche Thatsachen anhören, von denen jede einzelne ihr eine Qual bereiten mußte. „Kannte Herr Glaubitz Fräulein Goladtka nicht?" fragte Elisabeth. „Herr Glaubitz sagte, daß er die Ermordete nur von der Bühne her kenne; über ihre näheren Verhältnisse wußte er nichts. Wollen Sie das verhängnißvolle Zimmer einmal sehen? Frau Freytag hat gewiß nichts dagegen, wenn ich es Ihnen zeige." „Führen Sie mich hin", bat Elisabeth. „Der Wunsch, das Zimmer zu sehen, hat mich hierher kommen lassen. Hat da» Ge richt es wieder freigegeben?" -Ja", sagte Meta, indem sie mit Fräusiin Seydel die Treppen hinunter ging. Unten fanden sie di« Thür zum Corridor und zu dcm.ver- hängnißvollen Zimmer weit geöffnet, und als sie über die Schwelle traten, botnerkten sie darin Frau Freytag und Ricke in lebhafter Unterhaltung. Meta klopfte an. „Dürfen wir «intreten? Fräulein Seydel möchte gern einmal daS Zimmer ansehen, wo das Verbrechen geschah. Sie kennt Herrn Elaasen und nimmt Antheil an seinem Schicksal." „Treten Sie nur näher; Guten Morgen, liebes Fräulein Seydel — denken Sie, was Rieke und ich soeben , nein, was uns eben auffällt " Die lebhafte kleine Frau konnte vor Erregung keinen zusammenhängenden Satz bilden und zog Elisabeth an beiden Händen in das Zimmer. Elisabeth sah Frau Freytag fragend an. Welch' ein Orkan von Empfindungen durchbrauste ihr Gemüth! Hier war sein Zimmer! Jeder Gegenstand, jedes Möbel schien von ihm zu ihr zu reden! Hier hatte er gelebt, hier ihrer gedacht, und dann war das Furchtbare hier geschehen! Die Standhaftigkeit drohte zum ersten Male das starke Mädchen zu verlassen. Frau Freytag sah an dem feuchtschimmernden Glanz ihres Auges, daß der Anblick des Raumes sie heftig ergriff. Doch schob sie diese Er schütterung nur der Erinnerung an das hier geschehene furchtbare Verbrechen zu. „Nicht wahr, mein liebes Fraulein Seydel, es ist grauen haft? Ach, und wer hätte das von dem guten Herrn Claasen denken können Na ja, man lernt nie aus im Leben. Nun stellen Sie sich vor — als ich mit Rieke hier im Atelier «in wenig Ordnung machen will — was denken Sie, was wir gefunden haben? Oder vielmehr — nicht gefunden — das ist ja gerade das Wunderbare, daß wir es nicht gefunden haben. Mein Gott, ich bin noch ganz verwirrt! Also hören Sie zu: wie wir hier nebenan im Atelier Ordnung machen, da frage ich Rieke: „Ja, wo ist denn der Schmuck hingekommen?" Und Rieke sieht sich um und schreit auf und sagt: „Herrgott — der Schmuck ist weg!" Wir suchen und suchen, aber der Schmuck ist verschwunden." „Was für ein Schmuck?" fragten Meta und Elisabeth wi« aus einem Munde. »Ja — ganz recht, das müssen Sie erst wissen. Herr Claasen hat das Fräulein Goladtka nämlich mit einem prachtvollen Schmuck um den Hals gemalt — Sie können ihn sehen auf dem Bilde hier nebenan. Meist schloß ihn Herr Claasen weg, aber zuwe-ilen vergaß er es auch, und dann blieb der Schmuck im Atelier auf dem Tische liegen. Es war eine dreireihige, lange Goldkette mit grünen Steinen darin — und nun denken Sie sich, daß uns einfällt, Rieke und mir, daß wir den Schmuck noch am Nachmitag vor dem Morde wieder im Atelier haben liegen sehen, auf dem kleinen runden Tische neben der Staffelei. Rieke hat ihn am Nachmittag da gesehen, und wie ich um sechs Uhr weg ging, als Herr Claasen schon fort war, da war er auch noch da. Ich freute mich noch darüber, wie die Steine funkelten." „Am Tage, als das Verhör hier stattfand, und wir Alle den Kopf verloren hatten vor Aufregung, da dachten wir natürlich nicht an den Schmuck, der hier gelegen hatte. Aber heute, beim Aufräumen, La fällt es mir ein; wir höben das ganze Atelier und dieses Zimmer durchsucht nach dem Schmuck und nichts ge funden. Ist das nicht seltsam?" Eine heiße Welle schlug in Meta's Wangen. „Wenn der Schmuck gestohlen ist, dann hat der Dieb Fräulein Goladtka ermordet, daran ist kein Zweifel!" rief sie aus. Im pulsiv und jedem raschen Gefühl nachgebend, zog sie sofort einen neuen Schluß. Elisabeth vermochte nicht gleich zu sprechen. Am liebsten hätte sie laut hinausgejubelt über die unerwartete Nachricht. Hier leuchtete ein erster Rettungsstrahl für den Geliebten. Was Meta soeben ausgesprochen hatte, das erfüllte auch ihre Seele mit freu diger Hoffnung: der Dieb des Schmuckes mußte nothwendig auch der Mörder der Schauspielerin sein. Aber sie wollte Frau Frey tag ihre Erregung nicht verrathen, sie bezwang sich mit Gewalt und sagte so ruhig als möglich: ,Leigen Sie das jedenfalls gleich dem Gericht an. Würden Sie es eventuell beschwören können, den Schmuck um sechs Uhr noch gesehen zu haben?" „Mit heiligem Eide." „Und Sie?" wandt« sie sich an die Magd. „Ick habe ihm liegen sehen als ick reinmachte an dem nämlichen Nachmittag. Jroßer Jott! Am Ende komme ick noch selber vor's Jericht, weil sie jlauben, ick hätt' ihn jestohlen. Frau Freytag, dann ist die Spree mein nächster Weg." „Unsinn, Rieke, sei nur sachlich, wenn sie Dich ausfragen." Auf Elisabeth'» Bitt« betraten die vier Frauen nun da» Atelier und betrachtet«» in stummer Ergriffenheit da» Bild der Ermordeten. Aus ihrem weißen Halse blitzte der Schmuck, wi« Frau Freytag ihn beschrieben hatte, von Meist«rhand gemalt. Tief in die <Äel« prägten Elisabeth und Meta sein Abbild, von dieser Stunde an gewiß, ihn wiederzuerkennen, wenn er ihnen je vor Augen kommen sollte. Während Frau Freytag und Rieke noch «inmal ein nutzlose» Suchen begannen, ging Elisabeth mit Meta in da» andere Zim mer zurück und musterte den Raum von Neuem, der ihr um des Geliebten willen so theuer war. Trotz der frischen Hoffnung in ihrer Brust drohte die Wchmuth sie oft zu überwältigen. „Sehen Sie", erklärte Meta, al» sie an dem Sessel standen, vor dem die Leiche der Schauspielerin gelegen hatte, „dort lag fic — ganz in Weiß gekleidet, so blond und schön, daß Einen der Jammer erfaßte, wenn man sie ansah; und hier fand der Recht», anwalt Glaubitz den Dolch, mit dem sie erstochen ist; und dort lag die große weiße Nelke, di« Allen auffiek, weil man noch keine derartige Blum« gesehen hatte. Ei ist ja schrecklich, daß Herrn Claasen der Dolch gehört!" Elisabeth nickte stumm; sie wollte ihre Hoffnung nicht vor den Frauen nebenan aussprechen. Meta nahm ihre wortlose Be jahung für einen Ausdruck des Schmerzes und rief lebhafi: „Fräulein Seydel, trösten Sie sich; es ist noch nicht Alles verloren; ich will thun, was Sie wollen; ich will bei dem Hauptverhör, wo ich als Zeugin vorge laden werde, nichts mehr auSsagen, was zu seinen Ungunsten sprechen kann um Ihretwillen, Fräulein Seydel!" „Und glauben Sie auch an seine Schuld?" fragte Elisabeth, sie ernst und forschend anblickend. Verwirrt irrten Meta's Augen im Zimmer umher, ihre Fin ger schlangen sich krampfhaft ineinander; sie schien mit einem heftigen Widerstreit ihrer Gefühle zu ringen. „O, Fräulein Seydel!" ries sie endlich aus, „ich habe ihn gehaßt, glühend gehaßt, weil ich dachte, er hätte der Schauspielerin seine Liebe geschenkt; ich weiß nicht, weshalb mich der Gedanke wahnsinnig machte; und als sie ermordet war, da wußte ich in meiner sinnlosen Leidenschaft nicht mehr, was ich that. Nur Rachoverlangen erfüllte mich, und deshalb bohrte sich in mir der Gedanke fest: er ist schuldig an dem Verbrechen! Vergehen Sie es mir, Fräulein Seydel! Jetzt, da ich die Wahrheit darüber weiß, wen «r liebt, will ich an seine Unschuld zu glauben ver suchen. Was kann ich für Sie thun, Fräulein Seydel?" „Nichts für mich — All«» für ihn", gab Elisabeth zur Ant wort. „Hören Sie mich an", fügte sie leiser hinzu, so daß di« Beiden im Nebenzimmer sie nicht verstehen konnten, „wir sind nur zwei schwache Mädchen, die nicht» von der Juristerei und Ihren Spitzfindigkeiten verstehen. Aber trotzdem wollen wir für ihn zu wirken suchen, nicht wahr? Für ihn, den wir Beide lieben — ja, Meta, Sie lieben ihn auch, ich fühle und sehe es, und Sie brauchen sich dessen nicht zu schämen. Nein, weinen Sie nicht, wir.müssen di« Augen off«n behalten, um Alle» zu sehen, Alle» zu erforschen, wa» zum Bewei» von Richard'« Unschuld werden könnte. Da Sie so gut und großmiuhig waren, Meta, mir zu sagen, daß Sie mir seine Lieb« gönnen, so brauchen Tie ihn ja nun auch nicht mehr eu Haffen. Im G«genth«il — Tie können mit mir zusammen arbeiten, suchen, umheffpähen — gerade hier im Hause ist vielleicht noch irgend eine Spur — um unferm ge meinsamen Ziele zu dienen. Es ist ein kühnes Unternehmen, und ich weiß nicht, ob e» uns gelingen wird, meinen Verlobten zu retten, den die Herren Juristen so gern verdammen möchten.
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