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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990628021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899062802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899062802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-28
- Monat1899-06
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Größere Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. öxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbefürderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab rud-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzetgen sind stets an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzitz, 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leiprig, 28. Juni. Das preußische Abgeordnetenhaus bat in zwei Sitzungen die zweiteLesungdeS AuSführungsgesetzeszum Bürger lichen Gesetzbuch«! erledigt. Cs hat sich also, nach einer sehr gründ lichen, vom Justizminister warm anerkannten Arbeit seiner Commission, die wünschenSwerthe und sogar nothwendige Be schränkung auferlegt. DaS Plenum griff ernstlich nur einen Streitpunkt auf, diesen allerdings beinahe mit Leidenschaft lichkeit. Es handelt sich um die Mündelsicherheit der Pfandbriefe der Hypothekenbanken, die derRegierungs- entwurf verweigerte, die Commission beschloß und das Plenum gestern verwarf, letzteres allerdings nur mit der kleinen Mehrheit von 159 gegen 127 Stimmen und anscheinend mit dem Borbehalle der Minderheit, in dritter Lesung mit un geminderter Energie eine Lösung in ihrem Sinne zu versuchen. Dies Bemühen wäre jedoch aussichtslos, denn die Minister v. Miquel und Schönstedt ließen keinen Zweifel bestehen, daß die preußische Regierung der Mündelsicherheit von Schuldscheinen privater Gesellschaften nicht zustimmen wird. Der Landwirthschaftsminister zeigte sich am ersten Tage etwas weniger entschlossen, gestern stellte sich aber, nachdem der Minister von seinem College» v. Miquel mit schneidendem Hohne zu einer klaren Stellungnahme aufgerusen worden war, berauS, daß Frhr. v. Hammerstein sich wieder einmal ver sprochen hatte. Er hatte TagS vorher von einer absoluten Sicherheit der Hypothekenbanken, für die die Negierung eine Garantie nicht gewähren könne, gesprochen. Gestern coinmen- tirte er sich wörtlich dahin: „Das Wort „absolut" ist selbst verständlich relativ gemeint." DaS Gelächter kann man sich vorstellen. Die preußische Regierung also acceplirt die Mündelsicherheit nicht. Auf den Hinweis, daß andere Bundes staaten die Pfandbriefe ihrer Hypothekenbanken zur Anlage von Mündelgeldern zulassen, erwidert sie, daß das nickt die einzige Verschiedenheit in Deutschland sei und sein werde, daß die Mündelsicherheit in anderen Staaten etwas Hergebrachtes sei und die Hypothekenbanken in Städten Mitteldeutschlands andere Aufgaben hätten als in Preußen. Diese letztere Unterscheidung ist zutreffend. In Preußen versorgen die Landschaften den Bodencredit, im Süden giebt eö LandschaflScassen nicht oder so gut wie gar nicht. In der vorwiegenden Beleihung städtischer Grundstücke will aber die preußische Regierung nicht die sichere Unterlage er blicken, die die Pfandbriefe der Landschaften besitzen sollen. Zu Gunsten der Landschaften hebt sie hervor, daß diese einen eng umschriebenen Wirkungskreis haben, von öffentlichen Be amten geleitet werden, mit Privilegien ausgestattet und durch die Solidarhaft aller Betheiligten geveckt sind. Ob die Re gierung auf die Sicherung der landschaftlichen Pfandbriefe gegen eine Concurrenz der städtischen gar keinen Werth legt, steht dahin. Jedenfalls ist für die Parteien im Abgeordneten hause dieses Moment das für die Stellungnahme be stimmende. Die Conservativen machen kein Hehl aus ihrer Befürchtung, die Hypothekenbriefe würden vor den landschaftlichen bevorzugt werden, also den landwirthschaft- lichen Credit vertheuern, und auf der andern Seite bezeichnet man die Verweigerung der Mündrlsicherheit als das TodeS- urtheil für die preußischen Hypothekenbanken. So schlimm wird es nun nicht werden. Die Bemerkung des Abgeordneten v. d. Borght, der Kampf um die Mündelsicherheit sei zu einem „Kampfe zwischen Feudalismus und modernem Bürger- thum" geworden, war etwas zu — heroisch. Die Gereiztheit der Freunde der Gleichstellung der Hypothekenbriefe mit den landschaftlichen Briefen ist aber sehr erklärlich. Es ist nämlich vor einiger Zeit eine Broschüre erschienen, die sich als eine Untersuchung über die preußischen Hypotheken banken giebt, in der Thal aber ein Pamphlet gegen diese Institute ist. Diese Schrift wird auf eine amtliche Be stellung zurückgeführt. Wahr ist, daß der Verfasser durch den Justizminister, der eine wissenschaftliche Arbeit zu unter stützen glaubte, Ma^rjal erkalten hatte. Herr Schönstedt hat aber gestern die Publikation in der unzwei deutigsten Weise mißbilligt. Andere Ressortö haben vielleicht kein so gutes Gewissen; genug, die Debatte gestaltete sich zum guten Theile zu einer Niederlage der Broschüre. Die Hypothekenbanken bekamen auch von der Regierung das beste Zeugniß ausgestellt, aber ab gesehen von ihrer schon erwähnten rechtlichen Verschiedenheit ihrer Pfandbriefe von den landschaftlichen und der stärkeren Beweglichkeit des WertheS städtischer Grundstücke, stellte man die Bedürfnißfrage in den Vordergrund. In Preußen, so hieß es, ständen für 20 Milliarden mündelsichere Papiere zur Verfügung und das genüge. Weil ein Be- dürfniß fehlt, glaubte Herr v. Miquel den Interessen der Staats- und Gemeindeanleihen, deren Cours auch die Mündelsicherheit der Hypothekenpfandbriefe beeinflußt würde, stark betonen zu dürfen. Also ein zweites Moment des Wettbewerbes. Anerkannt muß werden, daß die preußischen Hypothekenbanken bisher ohne Mündelsicherbeit florirt haben und kein Grund ersichtlich ist, warum sie nicht auch in Zu kunft blühen sollten. Es war eine wvhl aufzuwersende Frage des Justizministers, ob die Prophezeiung des Untergangs für den Fall de» Verweigerung der Mündelsicherheit im Interesse dieser Institute gelegen sei. Der Reichstagspräsident Graf Bnllcstrcm befindet sich auf dem Rückzüge. Bekanntlich hatte der Präsident den Abg. Roesicke-Dessau ersucht, „Aeußerungen des Monarchen, die unS nicht beglaubigt zugegangen sind, nicht in den Bereich seiner Ausführungen zu ziehen". Ais Roesicke darauf erwiverte, daß die von ihm angezogene Bielefelder Rede des Kaisers im „Reichsanzeiger" gestanden habe, erklärte der Präsident: „Dann ist dies etwas Anderes; dann können Sie sie in angemessener Weise erwähnen." Im amtlichen steno graphischen Berichte ist zwischen diese beiden Sätze aber der weitere Satz eingeschoben: „Vorausgesetzt, daß es der amtliche Theil des Blattes war." Diese Einschränkung hat kein Mensch gehört. Da aber von im Reichstage gefallenen Aeußerungen neben dem Grundsätze: „tjuock non ost in actis, non ost in munilo, der weitere gilt: Öuoä est in actis, cst in inunäo, so — hat der Präsident die Unterscheidung zwischen dem amtlichen und vcm nichtamtlichen Theile gemacht. Punctum. Er wird jedoch nicht weit damit kommen. Im amtlichen Theile des „NeickS- anzeigerS" werden Reden des Kaisers zum Unterschiede von Erlassen und sonstigen schriftlichen Kundgebungen so gut wie gar nickt mitgctheilt. Die von dem Präsidenten gemachte Einschränkung sucht also den früheren, nicht normal gewesenen, nun aber unhaltbaren Zustand zurückzuzwingen. Dies kann auö oft erwähnten Gründen nicht gelingen. Möglich ist nur, daß der Präsident anti- I monarchische Redner insofern privilegirt, als giftige Anspie llungen gegen den Kaiser gemacht werden können. Bleibt z dem gegenüber das freimülhige Manneswort verboten, so wird den Schaden von der — Correctur des Grafen Ballestrem das monarchische Gefühl zu tragen haben. In der Montagssitzung der Haager FriedcnSconferen; stand in der ersten Commission der russischeAbrüstungs- Vorschlag zur Verhandlung. Die über denselben gehaltene Rede des Obersten von Schwarzboff darf nack einem Telegramm der „Franks. Ztg." als eine runde Absage Deutschlands in der Abrüstungsfrage betrachtet werden. Schwarzboff bekämpfte die Argumente des Obersten Jilinsly und des Generals Poortugael, denen er Uebertreibung vorwarf, und legte besondersauf die unüberwindlichen Schwierig keiten einer Durchführung des russischen Antrags Nachdruck. „Daily News" melden, die Rede Schwarzhoff's habe eine halbe Stunde gedauert und habe einen starken Eindruck ge macht. Er habe mit überwältigender Offenheit gesprochen und seine Rede werde für bewundernswerth gehalten. Der Oberst führte aus, daß eine Rebuction des Friedens bestandes gar nicht mit einer entsprechenden Reduktion der Wehrkraft identisch sei; der Friedensbestand könne stationär bleiben und die Wehrkraft eines Landes könne dock wachsen. Die Länge der mili tärischen Dienstzeit, der Dienst durch einen Ersatzmann, die Eisenbahnen, die Schnelligkeit der Mobilmachung und die ökono mischen Bedingungen — das alles seien Factoren, welche die militä rische Stärke eines Landes ausmachen. Wenn man nur einen Theil des Problems berausgreife und behaupte, daß durch Reduktion des Friedensbestandes allein die Wehrkraft jedes Landes allgemein und in gleicher Weise vermindert werde, so könne das einem Laien Wohl plausibel erscheinen, dem militärischen Sachverständigen aber erscheine das als eine so offenbare Absurdität, daß er sich wundern müsse, wie mau einen solchen Vorschlag überhaupt im Ernste habe Vorbringen können. Die Russen bezeichneten Sibirien als eine Colonie, aber im Falle eines europäischen Krieges werde Rußland jedes sibirische Regiment per Eisenbahn nach Europa bringen. Schwarzhoff's Ausspruch, Deutschland sei nicht ruinirt, im Gegentheile sein Reichthum, seine Zufriedenheit und seine Lebenshaltung wücksen täglich, hätten einen gewaltigen Eindruck gemacht. Diese Rede sei die größte Sensation der bisherigen Con- ferenz gewesen. „Was werden nun die armen Russen sagen", habe sich Jeder gedacht, nachdem Schwarzboff gesprochen batte. Die Antwort des russischen Obersten Gilinski auf Schwarzhoff's Rede sei sehr matt gewesen. Gegen Sckwarzboff's Stimme und die des schweizerischen Vertreters, der die Fortsetzung der Debatte wünschte, wurde (wie wir schon berichteten) die Ueberweisung der Anträge an die beiten Subcoinmissioucn beschlossen; diese ernannten zwei Prüfungsausschüsse, die sich für Las Landheer aus den technischen Bevollmächtigten der Großstaateu und einiger Kleinstaaten, für die Marine aus den Herren Bille, Soltyk, Corragioui d'Orelli und Scheine zusammensetzen. Nach dem Haager „Dagblad", in dem die Ansicht des Herrn Stead, der bekanntlich wiederholt mit dem Zaren über die Conferenz gesprochen, zum Ausdruck kommt, erwartet man einen den russischen Vorschlägen im Princip zustimmenden Bericht dieser Ausschüsse, der aber den Großstaaten empfehlen werde, sich erst unter einander über den Stillstand der Rüstungen zu verständigen. Gegen die neuen Bestcurrunge- und Finanzpläne, aus denen der spanische Finanzminister Villaverde Len Staatshaushalt und den Sanirungßplan für die auswärtige Schuld aufgebaut hat, laufen in erster Linie die Handels kammern Sturm. Diese Körperschaften hatten im vorigen Jahre in Saragossa den „ersten spanischen Handelstag" ab gehalten und darin ein sehr ausgedehntes Programm zur Reform aller Zweige der Staatsverwaltung, des Sleuer- und Zollwesens, der Verwerthung der Laudcsnaturschätze, der Handels- und Colonialpolitik, deS Militärwesens u. s. w. ausgestellt. Der leitende Geist der Verhandlungen war der Präsident der Handelskammer zu Saragossa, Paraiso, der inzwischen den Vorsitz des in Madrid eingesetzten ständigen Handelsausschusses übernommen hat. Für den vor jährigen Congreß hatte auch der jetzige Ministerpräsident Silvela ein sehr großes Interesse gezeigt, ebenso hatte der jetzige Kriegsminister Polavieja mit Paraiso lange Be sprechungen gehabt und sich in ziemlich bestimmter Weise verpflichtet, das Programm des Handelstages zu unterstützen. Seitdem aber Silvela und Polavieja Minister geworden, haben sie Paraiso sehr wenig beachtet, und das von Villaverde ausgearbeitete Finanzprogramm bat dieForderunzcn des Handelstages fast gar nicht berücksichtigt. Darüber ist nun der Sprecher der Handelskammern in höchstem Maße er bittert, und Namens des ständigen Ausschusses hat er sämmtliche 36 Handelskammern aufgefordert, scharfe Protestkundgebungen gegen die Anträge Les Finanzministers zu veranstalten. Dieser Mahnung ist man denn auch sofort nachgekommen, und aus allen Theilen deS Landes treffen in Madrid lange Telegramme ein, welche die Finanzpläne der Regierung als völlig unannehmbar bezeichnen. Hauptsächlich erklärt man die neuen, dem Handel, der Industrie (mit Ausnahme der einflußreichen Minengesell schaften) und der Landwirthschaft auserlegten Steuern als unerschwinglich, während auf der anderen Seite alle vom Handelstage geforderten Verminderungen der Verwaltungs kosten und die Verbesserungen in der Ausnutzung der Staats ländereien, Bergwerke und Monopole keinerlei Berücksichtigung gesunden hätten. Der Handelskammer-Ausschuß hat daher empfohlen, nöthigenfallS durch eine allgemeine Steuer verweigerung des HandelSstandeS den Rücktritt des Finanzminislers Villaverde zu erzwingen. In China ist die Fr em den Hetze, speciell die Lentscheu- hctze, 'wieder einmal an der Tagesordnung. Als Probe des ToncS, in dem die Chinesen über Deutschland zu sprechen wagen, seien aus einem Artikel der chinesischen „Allge meinen Zeitung", der die bezeichnende Ueberschrift trägt: „China muß zuallererst gegen Deutschland zum Kriege rüsten", folgende Auszüge mitgetheilt: „China ist heutigen Tags auf dem Punkte angelangt, daß es in Stücke gehen wird, wie ein irdener Topf; es schwebt in derselben Gefahr (sc. zu zerbrechen) wie Eier, die man übereinander häuft. Alle, die über diese traurigen Verhältnisse sich erregen, behaupten, Kriegführen bringe Verderben, Nichtkriegführen aber auch. Nach meiner Ansicht jedoch sollte man den Krieg auf alle Fälle erkläre», was auch immer der Ausgang sei! Krieg überhaupt ist die einzige Rettung vor dem Untergang; Krieg mit Deutschland aber ist die einzige Rettung vor Schmach und Schande! Daß die Auftheilung Chinas jetzt so rapide Fortschritte macht, daran ist nur Deutschland schuld i durch seine jüngste Besetzung von Jchao. Ihm macht es nichts aus, I der Urheber allen Unheils genannt zu werden; Gewalt geht lihm vor Recht. So schlimm wie die Deutschen äst keiner von F-itilletsn. sj Die weiße Nelke. Roman von Isidore Kaulbach. Nachdruck verboten. „Was soll der ewige Haber über Dein verfehltes Geschick!" führ Meta auf., „Ich habe Dir nicht im Wege gestanden. Warum mußtest Du Leipzig verlassen, um nach Berlin zu ziehen, ohne sichere Aussicht auf Stellung dort?" „Leute m«in«s Schlages bringen es.zu etwas in der Weltstadt Berlin — deshalb zog ich hierher. Was konnte ich dafür, daß die Krankheit mich ergriff in dem Kellerloch, wo wir hausten? Es bleibt ein ewiger Schandfleck in meinem Leben, daß ich mich habe zum Zeitungsträger erniedrigen müssen, Mr um uns an ständig durchzubringen, — das warf mich um " „Freue Dich, wenn das der einzige Schandfleck auf Deiner Ehre war", rief Meta zornglühend aus, „Deine Sucht, in der We-lt etwas Besonderes zu erreichen, eine Rolle zu spielen, hat Dich rückwärts getrieben, anstatt voran. Und wenn ich Tür zur Last gefallen bin, fo fange, bis ich erwachsen war, so habe ich später mein redliches Theil Arbeit gethan, die uns ernährt hat, bis Fräulein Seydel sich unserer -annahm. Ich wäre, auch lieber etwas Anderes geworden, als Modell für die Maler — das kannst Du glauben. Felde redliche Arbeit wäre mir lieber ge wesen, aber was half's? Was hätte mir mein Sträuben ge nützt, als damals der Freund Claasen's, der mich bei Frau Freytag sah, zuerst auf den Gedanken kam, mich als Modell zu verwenden. Du — Du warft ja froh, daß endlich Verdienst für mich in Aussicht stand — gleichviel wodurch." „Ja, und nun hab' ich das davon", entgegnete Henzen mit ausbrechender Bitterkeit, „daß Dir Dich in diesen Claasen ver gafft hast. Seitdem der an Untersuchungshaft sitzt, bist Du, als ob der Wahnsinn in Dich gefahren wäre. Was geht Dich dieser Mensch an? Du —Du hättest Grund genug, ihn auf'S Schaffst zu wünschen, weil er Dich betrogen hat." „Das hat er nicht gethan", widersprach Meta heftig. „Wenn Du Dir einbikdetest, er würde mich heirathen, so ist das nicht feine- Schüld; Du selbst hast Dich durch diesen Glauben be trogen. Dein Ehrgeiz wäre befriedigt gewesen, mich als Gattin eines Makrs zu sehen." Henzen lachte höhnisch auf. „Du drehst ja auf einmal die Fahne nach riner ganz anderen Windrichtung. Noch vorgestern warst Du voller Empörung über sein schändliches Verbrechen, und jetzt. . ." „Ich weiß jetzt, daß er unschuldig ist", sagte Meta. „Unschuldig? Wer hat Dir das gesagt?" „Das ist mein Geheimnis;. Und — Vater — das schwöre ich Dir bei Gott, wenn Du irgend etwas zu seinen Ungunsten sagen oder thun solltest — ich könnte mich an Dir versündigen!" „Du sollst Vater und Mutter ehren — hast Du das ver gessen?" sprach der Alte mit unsicherer Stimme. Doch in Be zug auf Richard Claasen sagte er kein Wort mehr. Meta erklärte ihm mit Bestimmtheit, daß sie Alles aufbieten wollt«, Claasen zu retten. Und als es völlig dunkel geworden war, theitte sie ihrem Vater mit, daß sie einen wichtigen Gang zu machen hab«. Sie bereitete das Abendbrod für ihn und stellte ihm Alles zurecht. Sie selbst aß stehend einige Bissen und machte sich dann auf den Weg. Ms sie gegangen war, starrte ihr Vater wie gebannt auf die Thür, die sich hinter ihr geschlossen hatte. Wie eine Larve siel jetzt, da er allein war, die Unbeweglichkeit von seinen Zügen ab, und ein Ausdruck von Pein, Wuth und Angst ließ sein hageres Gesicht unheimlich erscheinen. „Ihr Ehrgeiz wird sie zu Grunde richten — wie mich der meinige", nmrmAte er; „o Gott, Gott, wenn ich es ungeschehen machen könnte! Ob sie es weiß — Alles weiß? Es wird mich doch noch tödten, doch noch — Ha, ha —" lachte er schrill auf, .^Friedrich, Du wolltest ja immer gern, daß die Welt von Dir reden sollte — ja, damals — damals. Jetzt wär's besser, Niemand wüßte von Dir!" Und mit einem dumpfen Aufstöhnen ließ er den grauen Kopf auf die Arme niederfallen. Indessen schritt Meta einer Haltestelle der Ringbahn zu, wo der bald herankommende Wagen sie aufnahm und fortführte. Die Fahrt verging ihr schneller, als sie geglaubt hatte; -denn in dem Wunsche, ihr Ziel so rasch als möglich zu erreichen, mischt« sich immer wieder der eine Gedanke, der sie während der letzten Tage beherrscht hatte und sie auch jetzt wieder gegen alles Andere unempfindlich machte. Claasen befreien, den Verdacht von ihm nehmen, mit dem sie ihn hatte belasten helfen, — das war es, was in ihrer leidenschaftlichen Seele zu einem kühnen, ge waltigen Verlangen geworden war. Sie hatte keinen bestimmten Plan, sie wußte nicht, wie sie ins Werk setzen sollte, was sie sich vorgenommen hatte; über der Drang zu einer großen, befreien den That war so stark in ihr, daß sie meinte, der Weg dazu müsse sich ihr aufthun, wenn sie die Mauern des Gefängnisses llur erst erblickte. So verließ sie mit einem gewissen freudigen Gefühl den Wagen, als der Conducteur ihre Haltestelle an der Invaliden straße ausrief. Hastig ging sie nun wieder vorwärts durch den auffallend warmen Abend, dessen Sternenhimmel sich allmählich hinter einem dunstigen Schleier verbarg. Bald stand sie vor der dunklen Mauermasse des Gefängnisses von Moabit und begann vor dem mächtigen Kerker auf- und abzuschreiten. Dabei spähte sie mit gespannten, geschärften Sinnen umher, ob nicht irgendwo sich die Möglichkeit zeigte, ihren Befreiungsplan zu bestimmter Gestalt zu formen. Aber ihre Blicke schienen abz-ugleiten an diesen hohen, finsteren, glatten Mauern, und die starken Eisen gitter schienen ihren Wünschen ein gebieterisches „Halt" zuzu rufen. Sie war nun an die Stelle zurückgelangt, von der sie ausge- gangen war, und blieb hier stehen, während ein tiefer Seufzer den Schmerz über die Vereitelung ihrer phantastischen Hoffnun gen verrieth. Nein, aus diesen festen Mauern gab es keinen ge waltsamen Weg in die Freiheit; dort schmachtete der Mann, den sie liebte, dem sie furchtbares Unrecht zugefügt hatte, uno weder mit List, noch mit Gewalt vermochte sie ihm zu helfen! Das Gefühl ihrer Schuld, der Gedanke an Alles, was ge schehen war, erschütterte sie im Verein mit dem Scheitern ihrer Hoffnungen so stark, daß sie die Hände vor das Gesicht schlug und in Thränen ausbrach. Eine Weile hatte sie sich ihrem Schmerze hingegcben, als sie jäh zusammenfuhr. Eine Hand hatte sich ihr auf die Schulter gelegt, und eine heisere Stimme flüstert« nahe ihrem Ohr: „Na, was weinen Sie, mein schönes Kind?" klang die Frage zu ihr her. Sie wandte sich rasch um und blickte in ein Gesicht, das sie nur halb erkannte, weil es von dem Lichte der nächsten Laterne abgekehrt und zu ihr gerichtet war. Sie selbst aber kam so in den Hellen Lichtschein, und bevor sie zu antwort«» oder ihrerseits eine Frage thun konnte, stieß der Mann, der vor ihr stand, einen leisen Ruf der Ueberraschung aus, und sagte: „Der Henker soll mich holen,' wenn das nicht die spröde Meta ist." Er war ihr gleich bekannt erschienen, jetzt wußte sie auch, wer er war. Sie hatte ihn zuweilen in den Ateliers der Maler ge troffen, denen sie Modell stand; er hatte den gleichen Beruf wie sie, und führte in seinen Kreisen den Namen „der Apostel", weil er einen Johanneskopf mit langen blonden Haar«n besaß, dim freilich der Ausdruck der Heiligkeit schon stark abhanden gekom men war. Wie er in Wahrheit hieß, hatte Meta nie gehört. Ihr hatte er eine aufdringliche Zuneigung gewidmet, der sie mit kühler Zurückhaltung begegnet war; und so hatte er ihr d«n Titel verliehen, mit dem er sie auch in diesem Augenblick be grüßt«. „Ich bin Meta Henzen — was soll's?" „O, nichts Besonderes, nur meine ich, daß man sich nicht vor die Mauern eines solchen Gebäudes hinstellt und heult, wenn man keinen Grund dazu hat. Ich komme hier oft vorüber — ich wohne nicht weit — und pflege dabei meine Betrachtungen anzustellcn. Auf den ersten Blick sehe ich es den Leuten an, ob sie in Beziehung stehen zu den Mauern da — ob sie selber ein- mal dahinter gesessen haben, oder ob sie fürchten, einmal hinein zukommen, oder ob sie was Liebes haben, Las da drinnen sitzt." Unwillkürlich zuckte Meta bei diesen Worten zusammen, und mit scharfem Blick bemerkte er ihre Bewegung sogleich. „Aha", sagte er, „so steht's also? Nicht immer so spröde, wie gegen gewisse Leine? Ja, ja, es ist bitter, so draußen stehen und nicht hinein können! Das heißt: hinein — das ist nicht so schwer, aber wieder heraus, damit steht es faul! Die Meisten wenigstens sind zu dumm dazu!" „Wieso die Meisten?" sie fragte es rasch, Alles um sich her vergessend. „Giebt es auch welche, die von dort zu entfliehen wissen?" Ein schlaues Lächeln ging über sein Gesicht, ohne daß sie es bemerkte. „O, freilich giebt es die. Man liest ja zuweilen davon, — wicht oft freilich, — aber es kommt doch vor. Wenn man die Kniffe kennt und einen Freund hat, der draußen hilft, da läßt sich viel machen. Ja, ja, wenn die spröde Meta sich zu weilen unter ihren Collegen sehen ließe, die doch auch keinen anderen Beruf haben, als sie selbst, da könnte sie allerlei er- fahren. Da sind Burschen darunter, die Manches durchgc-macht haben und die erzählen könnten, wenn sie nur wollten! Auch davon, wie man aus solchen Mauern und Gittern herauskommt, ohne daß der Herr Schließer gnädigst die Thüren öffnet. Ich habe das Fräulein ja schon ein paar Mal eingeladen, mit uns zu kommen, wenn wir Abends zusammen sind, und ich meine —" „Ganz recht, ich weiß; wie hieß doch die Kneipe, wo Sie ver kehren?" „„Zum hinkenden Kater"; wollen Sie einmal kommen?" „Es ist möglich — vielleicht. Sind die Leute, von denen Sie gesprochen haben, jeden Abend dort?" „Ein paar wohl immer. Am lustigsten ist es am Sonna-b«nd, da wird gesungen und gelacht und getanzt —" „Ich will nicht tanzen uno lachen. Ich frage nur, ob die Leute da sind, von denen Sie gesprochen haben, die mir rachen könnten — ack, Sie wissen ja, was Sie gesagt haben." „Die werden dort sein", entgegnete er schnell, „natürlich werden sie dort sein. Ich mache Sie mit ihnen bekannt, ver- lassen Sie sich nur auf mich. .Die Sache wird schon gehen.
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