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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.06.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990630029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899063002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899063002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Ausgabe beschädigt, Textverlust
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-30
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Die Morgen-AuSgad« «rschekü «» Uhr, hi» N^d-En-ll^ »» - Ur. Nr-«tio» »ck Lrpe-itio«: -»»»««M'ffe 8. Die Expeditto« ist Wochentag- «uuuterbroche» v« früh S »l» Blbach» 7 Uhr, Filiale»; Dtt» Me»«'» E«rtt». (Alfre» H«H») UxiversttitSstrab« 8 (Panltuumt. L««i» Lüsche, RrchrriMsstr» hArt» mch K-xg-platz 7 Abend-Ausgabe. UeixMr.TagMM Anzeiger. AWsUatt -es Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rattzes und Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. 3W. Freitag den 30. Juni 1899 Anzetgen'Prei- die 6 gespaltene Petitzeile LV Psg. - Reklamen n»t« dem Redaction-stckch (4ao- spalten) SO>4, vor den Familteauachrichtr, (6 gespalten) 40-4« Größere Schriften laut «rserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer «ad Ziffernsaft nach höherem Tarif. E?tra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbefördrruug 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Auuahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde frnher. El «zeigen sind stet» an dir Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Volz in Leipzig 93. Jahrgang. Politische Tagesjrr. *»zig, 30. Juni. Ein Scandal, um den un» di verwöhnten Sen- satiouSsüchtigen Frankreichs beneiden kn, wird aus den: Reichstage gemeldet: der PrSstdenteser Körperschaft hat soeben bitter» Spott über sich hrn lassen müssen, weil der amtliche stenoaraphi Bericht über die ReichStagSsttzuug vom 21. Juni il :S sagen ließ, was er Nicht gesägt hatte. Auf > «erkung deS von ihm wegen der Erwähnung ynhäusener Rede unterbrochenen Abg. Roes icke, Rede habe in: „ReichSanzeiger" gestanden, sollte f Ballestrem be kanntlich erwidert haben: „Dann it etwas Anderes, vorausgesetzt, daß eS der ach« Theil des Blatte» war, daun können Sie siemgemeffener Weise erwähnen". Den vorstehend gesperrt:ckten Zwischensatz hatte Niemand gehört, der Präsident n ihn also nachträg lich in da» Stenogramm eingeschoben i. So dachte man, so mußte man denken. Nun aber t Graf Ballestrem folgende Erklärung: „Der gedruckte stenographische B über die 98. Sitzung de- Reichstage» am 21. Juni d. Hält auf Seite 2725c Zeile 6 al- von mir gesagt folgende i: „Vorausgesetzt, daß e» der amtliche Theil d»attrs war". Diese Wort« habe ich nicht gespr och :ch später in den steno- graphischen Bericht weder sellneingesetzt, noch deren Hinzufügung direct oüdirect veranlaßt. Dieselben sind ohne mein Wiunbefugter Weise im Bureau deS Reich-tageizugefiigt worden; von der Hinzufügung erhielt ich enntniß, nachdem der stenographisch« Bericht bereits xt und vertheilt war. Berlin, den 29. Juni 1899. Derbent des Reichstage-: Graf von Ballestrem." Also, der unerhörte Vorgang eirilschung eines amt lich«» Bsricht»! Wenn ein Abgeor, und sei er Präsi dent, eine Von ihm gethaue Aeußerudert, so handelt er gemäß eiuem v:elle:cht mißbräuchlnstandencn, aber in: Allgemeinen anerkannten Reckte. JellS würde ein solches Verhalten nicht einer moralischenirtheilung begegnen, denn die Correctur wird das ausn, was der Redner sagen wollte. In dem vorlen Falle hat ein Dritter ohne Vorwissen deS !rS die Aenderung vorgenommen, es liegt also grobe Fälschung vor. Wer nun ist der Urheber? Wallestrem stellt fest, daß die nicht gesprochenen Worte ureau des Reichs tag- eingeschaltet worden sind. Jrreau; ob auch durch da» Bureau? Die „Freis. Ztg." r cs sei „kaum anzu nehmen, daß das Bureau des Reis oder das Steno graphische Bureau diese willkürlichderung selbstständig vorgenommen, ohne fremde Eickung". Das Blatt geht da mit seinem Zweifel unseres lens nicht weit genug. Wir halten es auch für auSgesch daß ein leitender Beamter deS Bureaus sich einem - von außen gefügt und eine dermaßen pflichtwidrige Hng begangen habe, wir sind vielmehr überzeugt, daß üellecluelle Du Paty du Clam sich eines untergeordneteny bedient habe. Die Sache muß aufgeklärt und der Lsland muß bekannt gegeben werden. Daran hat nicht >ie öffentliche Moral und der Reichstag, daran hat auchtegierung ein Inter esse, deren von Herrn Brefeld tragener Auffassung die Fälschung sich wenigstens nähere Aufklärung und die Feuillon. si Die weiße:e. Roman von Isidorulbach. § Nachdruck vnbolcn. „Ehe ich Ihnen den Zweck meipsuches erkläre", fuhr Elisabeth liebenswürdig fort, „müfie mir ein wenig von Ihrem Leben erzählen; Sic können enken, daß ich Antheil daran nehme; ich habe nie vergefsaß Sie meines lieben Bruders Freund waren." „Danke, danke", fiel August Flutchnell ins Wort, „jeder noch so dünne Faden, der von deckt in das Jetzt hinein reicht, ist von Werth für mich. Vonem Leben wollen Sie hören?" Er schlug mit der Hand durch di. „Das kann ich Ihnen in aller Kürze verführen. Also erstewcht vor dem Trümmer haufen meiner Carriere nach Amertzweitcns: dortige Irr fahrten und Abenteuer des August. Drittens: Rückkehr in solide Verhältnisse und Aufbau eineien Zukunftsstaates aus den der Vergangenheit entnommenerhrUngen. Das ist mein ganzer Roman. Verzeihen Sie, dazs offen sage, gnädiges Fräulein, von allen Ereignissen, dH in meiner Laufbahn öfter zu überraschen pflegten, hat wns so in Erstaunen ge setzt, wie Ihr Besuch heute. Habewielleicht auch vor, durch irgend etwas Außergewöhnliches dcieins Einerlei zu unter brechen? Mein äußerer und innerer h steht Ihnen in seinem ganzen Umfang zu Diensten." „Ich danke Ihnen herzlich", ven Elisabeth warm; „ach, die Sache, in der ich Ihre Hilfe be.chen möchte, ist schwerer al» Sie denken." „Schwer?" fragte August Flugläubiz. „Schwer ist nicht», was man nicht selbst schtmmt. Ich habe das an mir erfahren. Schwer war damalBallast, mit dem ich ins Examen stieg. Ach was, August,e ich, wirf' ihn ab, den ganzen Plunder! That's — und e mich ein — leicht wie em Vogel. Die Sache an sich dieselbe. Nehmen Sie die Ihrige leicht." „Wenn Sie sie mir erleichtern n, Herr Fluth, wüßte ich nicht, wie ich Ihnen jemals danker. Vor allen Dingen will ich Ihnen mein Anliegen erzählen Während sie sprach, schrieb siöust Fluth die wichtigsten Kumte in sein Notizbuch. Wäre tckh nicht von ihrer S"rge Sühne dürfen auch nicht bis zum Wiederzusammentritte des Reichstage-, der erst im November stattfinbrl, auf sich warten kaffen. Die oberste ReichSbehörde wird von dem Gerechtigkeits gefühle, daS sie bei der Affäre Tausch in die Oeffentlichkeit getrieben hat, hoffentlich auch in diesen: Falle nicht im Stiche gelassen werden. Ob, wie allerdings schwer zu bezweifeln, die ganz ungeheuerliche Handlung einen politischen Hinter grund hat, wird sich ermessen taffen, wenn man den An stifter kennt. Je mehr sich daS Cent rum im Reiche als Herr fühlt, je größerer Rücksichten es sich von Seiten der preußischen Regierung zu erfreuen hat und je wahrscheinlicher eS in der Rhein provin; durch die Gemeindewahlrechtsreform zu noch höheren: Einflüsse gelangt, mit um so größerer Be- sorgniß muß man den bayerische» LanVtagSwahlcu entgegensetzen, die gar leicht dem Centrum die längst ersehnte Mehrheit in der Abgeordnetenkammer bringen können. Einmal nämlich herrscht der wütheudste Hader in derjenigen Partei, die allein dem Centrum in den rein katholischen Wahlkreisen Abbruch thun könnte, im bayerischen Bauern Kunde. In mehreren Wahlkreisen candidiren An bänger deS BündlerfübrerS Kleitner gegen Anhänger deS Führers Wieland, und der Doctor Sigl hat nicht so ganz Unrecht, wenn er mit seinem bekannten grimmigen Humor in seinem „Vaterland" schreibt: „Um dem Ceutrum den Sieg zu erleichtern, werden die Wieländler selbst verständlich ebenso auf ihrer Candidatur bestehen, wie die Klcitnermannen, damit man beiden Theilen nicht nachsagen kann, eS wäre beim Bauernbunde einmal nicht dumm hergegangen. DaS Centrun: hat natürlich seine belle Freude an dem Durcheinander im Bunde. ES scheint, daß vr. Kleitner uud Wielano nur allein gewählt werden wollen." Bei dieser Zerfahrenheit innerhalb deS Bauern bundes ist eS wohl möglich, daß das Centrum einige ihm von den Bündlern früher entrissene Kreise wieder zurück gewinnt. Schon bei der letzten Reichstagsersatzwahl, wo in einem bis dahin von den Bündlern vertretenen Wahlkreise der CentrumSmann siegte, hat sich gezeigt, daß die blind- lerischc Bewegung ihren Höhepunkt jedenfalls überschritten hat. Zum Zweiten herrscht in: Lager der Liberalen nicht überall volle Einmüthigkeit und KampfeSfreudigkeit. Schuld daran trägt der linksliberale Flügel, der durch sein Mundstück, den „Fränkischen Courier", im vergangenen Winter erklären ließ, eS sei doch noch recht fraglich, ob in Zukunft für die Frei sinnigen ein Zusammengehen mit den Nationalliberalen bei den Landtagswahlen erwünscht sei. Zum Dritten herrscht gegenwärtig beim Centrum angesichts per parlamentarischen Erfolge der Partei im Reichstage eine gehobene Stimmung, die sich auch in Bayern bemerkbar macht. So sprach bei einer Wahlversammlung in: Kreise Deggendorf der Benedictinerabt l)r. Mergel begeistert über das deutsche und daS bayerische Centrun:. „Mit Stolz könne der deutsche Katholik auf die große, herrliche Partei blicken." In Bayern .ist man also in den dortigen CentrumSkreisen anscheinend zur Zeit von den Separationsgelüsten abgekommen, und diese Einmüthigkeit der gesammten Centrumspartei kann natürlich der Siegeszuversicht der bayerischen Centrumsleute nur zugute kommen. Man muß nur bedenken, daß ein großer Erfolg der CentrumSpartei bei den bayerischen Landtagswahlen für ganz Deutschland von einer gewissen Bedeutung sein könnte. Der Prinz-Regent Luitpold befindet sich in den: hohen Alter von 78 Jahren, und es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß der Thronerbe Prinz Ludwig während völlig durchdrungen gewesen, so würde der wechselnde Ausdruck in dem Gesichte des Mannes sie belustigt haben. Als sie geendet hatte, sprang er auf und ging, die Hände in den Taschen, ein paar Mal im Zimmer hin und her. Dann blieb er vor Elisabeth stehen. „Also", sagte er, „die Dinge liegen so: Eine Schauspielerin wird ermordet im Zimmer eines Malers. Der Maler wird durch Blutflecken, Dolch u. s. w. verdächtigt und gefangen gesetzt. Seine Braut bezweifelt — ohne vorliegende Beweise — seine Schuld. Sie kommt zu August Fluth, dessen Scharfsinn den wahren Mör der erspähen soll. Also, gnädiges Fräulein, August Fluth wird den Schuldigen zu finden suchen. Wie ich von Ihnen erfahren habe, liegt auch hier wieder die Hauptsache in der Vergangen heit. Merkwürdig! Durchforschen Sie die Schicksale der sämmt- lichen Erdenbewohner, und Sie werden finden, daß jegliches Pech nicht aus der Gegenwart, sondern schon in der Vergangenheit für sie angerührt worden ist. Das ist mein« Erfahrung. Die Ver gangenheit Ihres Verlobten ist mir wichtiger, als seine jetzige Schandthat, — ich meine — Pardon — die Schandthat, die er begangen haben soll." „Haben Sie denn einige Hoffnung, daß der wahre Mörder entdeckt werden kann?" „Wenn er — Herr Claasen — es nicht ist, — zuversichtlich. Das kann ich bald erfahren. Ich habe drüben manchen Spitz buben entlarvt. Aber immer frage ich: „Mensch, wie war Dein Vorleben?" — und es glückte jedes Mal. Wissen Sie, ob in Leipzig oder sonst irgendwo Verwandte von Herrn Claasen leben, die seine Vergangenheit noch genauer kennen?" „Nein", sagte Elisabeth. „Und können Sie mir sagen, mit wem er hier verkehrt hat? Wissen Sie, der Umgang des Menschen ist auch gravirend für ihn." „Außer dem Rechtsanwalt Glaubitz weiß ich Niemand, der ihn näher kennt. Doch das erfahren Sie vielleicht bei seiner Haus- wirthin, Frau Freytag." „Schön. Ist die mörderische Wohnung schon wieder ver- miethet?" „Nein, das glaube ich nicht." „Um so besser. Ich würde mich nicht fürchten, einmal darin zu Hausen." „Wie, Sie wollten? " „Mich dort ein Weilchen häuslich niederlassen. Vielleicht schicke ich auch einen meiner Beamten hinein. Ich muß überall wie ein Spürhund aufpassen." deS Bestehens deS demnächst zu wählenden Landtages zur Regierung kommt. ES ist bekannt, daß die Klerikalen den Prinzen Ludwig als einen Gesinnungsgenossen ansprechen; mit welchem Rechte, wird sich dereinst zu zeigen haben. Immerhin ist aber die Gefahr eines klerikalen Regiments in erhöhtem Maße zu besorgen, wenn der Thronfolger bei seinem Regierungsantritte eine Volksvertretung vorsinde^, in der der KlerikaliSmuS das Scepter schwingt. Daß es nicht bedeutungslos sein würde, wenn der zweitgrößte deutsche Bundesstaat in ultramontanem Sinne regiert würde, ergiebt sich von selbst. ES ist deshalb die ganz besondere Pflicht der bayerischen Liberalen, bei den Landtagswahlen alle Kräfte anzuspannen, un: die Hoffnungen, denen sich die Ultramontanen offen hingeben, zu vereiteln. Sie mögen daran denken, daß sie diesmal nicht nur für sich und für -ihr eigenes Land, sondern in: Interesse deS ganzen Reichs ihre Pflicht zu thun haben. Nach den letzten aus Brüssel vorliegenden, an anderer Stelle wiederzegebenen Meldungen zu urtheilen, hat sich die Lage in Belgien plötzlich ernster gestaltet, als man dies hätte erwarten sollen. Denn Arbeiterdcmonstrationen gehören in Belgien und speciell in der Hauptstadt Brüssel nicht gerade zu den Seltenheiten, pflegen aber ziemlich harmlos zu verlaufen. Diesmal scheint man sich nicht mit einer bloßen Demon stration begnügen, sondern wirklich zu Gewaltmitteln greifen zu wollen, um das klerikale Ministerium zur Zurücksetzung der Wahlgcsetzvorlage zu veranlassen. Denn diese ist eS allein, gegen die sich der Unwille nicht nur der Socialdemokratie, sondern auch eines großen TheileS deS BürgerthumS in Belgien richtet. Eine Reform deS belgischen Wahlgesetzes war von den: Könige selbst in Anregung gebracht worden, um eine dem Stimmenverhältniß der verschiedenen Parteien besser entsprechende Zusammen setzung deS Parlaments herbeizuführen, da daS gegenwärtige Gesetz durch daS sogenannte Mehrstimmeurecht d:e Klerikalen allzusehr begünstigt. DaS klerikale Ministerium hat sich nun d-r Aufgabe, das Wahlgesetz zu reformiren, in einer sehr ei>w'. rtigen Weise entledigt. In allen denjenigen Be zirken, welchen die Klerikalen die Mehrheit besitzen — und das ist etwa die Hälfte des Landes —, wurde der jetzige Zustand unverändert gelassen; überall da aber, wo die Opposition bei den letzten Wahlen die Mehrheit errungen hat, wurde die Verhältnißwahl oder die Minderheits vertretung in Aussicht genommen, nach welcher jede Partei, die es mindestens auf den sechsten Theil aller abge gebenen Stimmen gebracht hat, einen Kammersitz zuge sprochen erhalten soll. Durch eine solche „Reform" würden die Klerikalen, welche gegenwärtig von den 152 Sitzen in den Nepräsentantenkammern 105 innehaben, etwa 10 Sitze ver lieren, sich dafür aber die übrigen 95 Mandate, also die Mehrheit, für absehbare Zeit sichern. Diese „Wahlreform" ist offenbar verfassungswidrig, denn sie schafft, und zwar ledig lich im Interesse des KlerikaliSmuS, zweierlei Wähler in Belgien; nämlich die „MebrheitS"-Wähler in den klerikalen und die „Verhältnis"-Wähler in den liberalen und socialistischen Wahlkreisen. Es ist daher begreiflich, daß sämmtliche Oppositionsparteien, von den Liberalen bis zu den katholischen Demokraten, der Vorlage den Krieg erklärt haben. König Leopold hat bekanntlich den gemäßigt-klerikalen ehemaligen Ministerpräsidenten Beernaert vom Haag nach Brüssel berufen. Möglich, daß er diesen: die Bildung eines gemäßigten Cabinets anvertrauen will. Beernaert würde dann die Aufgabe zufallen, die Gemüther Elisabeth erhob sich, um zu gehen. „Wünschen Sie sonst noch irgend etwas von mir zu erfahren?" „Heute nicht. Ich lasse es Sie wissen, wenn ich irgend eine Spur gefunden habe; ebenso bitte ich Sie um Nachricht, wenn Sie Wichtiges erfahren." Sie wechselten noch einige Worte miteinander, die die früheren Beziehungen August Fluth's zu Elisabeih's Familie betrafen. Dann verließ sie ihn, muthiger, als sie gekommen war. Als August Fluth sich wieder allein in seinem Zimmer befand, ging ihm die Sache Richard Claasen's ernstlich im Kopfe herum. Die Vergangenheit", überlegte er, „spricht gegen ihn; sollte er aber doch unschuldig sein, so ist es nur wieder seine Ver gangenheit, in der der Schlüssel zu seiner Unschuld verborgen liegt. Gehe hin, August Fluth, — suche diesen Schlüssel!" * * * In dem mit schwerem Dunst und Tabaksqualm erfüllten Kellrrlocal, genannt ,-Der hinkende Kater", ging es lärmend und ausgelassen zu. Die Luft war so dick, daß die beiden von der rauchigen Decke niederhängenden Gasflammen wie durch einen Nebelschleier umflort waren. Die auf dem langen Tische stehenden Flaschen mit Branntwein waren fast zur Hälfte von Denen ge leert, die im Kreise herum saßen und vor Gelächter und Geschrei oft ihre eigenen Worte nicht verstehen konnten. Es waren Män ner von rohem Aussehen; frivole, sinnliche Mädchen mit ge- schminktenGesichternundinauffallenderKleidung; fastAlleswaren Persönlichkeiten aus den tiefsten Schichten der Weltstadt, solche, vie sich vor dem Auge des Gesetzes zu verbergen hatten. Der „Apostel" befand sich unter dieser ausgelassenen Schaar und war einer der Wildesten. Ein Platz neben ihm war noch frei, und es schien, als sei dieser für Jemand bestimmt, den er erwartete. Sein bartloses Gesicht mit den weichen Zügen, das blonde, lockige Haar gaben ihm freilich auf den ersten Blick etwas Besonderes, das ihn von dem gewöhnlichen Aeußeren der klebrigen unterschied: aber dir Ausdruck in diesen Zügen war fast noch abstoßender als der der anderen Gesichter, denn eine versteckte Rohheit lag in jeder Miene dieses Mannes. Er sprach dem Branntwein fleißig zu, der ihm schon die Zunge, mehr als sonst, gelöst hatte, und in seinen Hellen Augen schimmerte ein feuchter Glanz. Von Zeit zu Zeit sah er erwartungsvoll nach der Thür. Er begann be reits ungeduldig zu werden, denn er schlug endlich mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser klirrten und die Dirnen airf- schrieen, während die Männer einen unwilligen Fluch aus stießen. „Apostel, Du bist doch der allerabgefeimteste Kerl unter uns. zu beruhigen und die jetzige Wahlgesetzvorlage durch eine wirkliche Reformvorlage zu ersetzen. Die englische Presse OstasienS hatte eS sich während des letzten Jahres besonders angelegen sein lassen, Gerüchte über die angebliche Spannung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zu verbreiten, und damit augenscheinlich beabsichtigt und leider auch erreicht, bei den Amerikanern Stimmung gegen Deutschland zu machen. Zu diesen: Zwecke wurde wiederholt die Nachricht aufgewärmt, daß zwischen den Deutschen und den Filipinos ein lebhafter Waffenhandel bestehe. Die „North China Daily News" schrieben sogar, wie die „Berl. N. N." in Er innerung bringen, am 6. März: „In gut unterrichteten Kreisen verlautete am letzte» Sonnabend, daß sich die Beziehungen zwischen den Amerikanern und den Deutsche« in Manila sehr zugespitzt hätten. ES wird erzählt, daß die ameri kanischen Behörden verdächtige Momente ermittelt habe«, die auf das Bestehen eines Waffenhandels zwischen den Deut- schen und den Filipino» schließen lassen, daß sogar «in Schiff, mit deutschen Gewehren beladen, die für die Aufständischen bestimmt waren, abgesangen worden ist uud daß der amerikauische Admiral darauf einen sehr energischen persönlichen Protest an den deutschen Admiral gerichtet und seinen Einspruch durch Androhung offener Feindseligkeiten noch bekräftigt hat." Tags darauf bemerkte die „Shanghai China Gäzette" dazu: „Geschäftige Gerüchte von gespannten Beziehungen zwischen deutschen uud amerikanischen Behörden wegen der Filipino- und eines angeblichen Handels mit deutschen Waffe», die an die Eingeborenen jener Inseln verkauft sein solle», sind imUmlaof. Wir glauben nicht, daß an diesen Nachrichten viel Wahre- ist, La Aguinaldo sein Kriegsmaterial nicht Von den Deutschen erhält, das- selbe vielmehr, so seltsam e- erscheinen mag, znm größten Theil auS dieser Gegend Chinas und sogar auS Nanking stammt. ES ist eine bekannt« Thatsache, daß Shanghai selbst einige sehr gute Waffenlieferungen abgeschlossen Hal »,rck Last Hongkong, daS für die amerikanische Schwestercolonle so viel Sympathie zur Schau trägt, sich auch nicht «ine Gelegenheit entgehe» läßt, wenn es daraus ankommt, einen Vortheil auS den Amerikanern oder deren früheren malayischen Bundesgenossen zu ziehen." Durch einen inzwischen vor dem amerikanischen General- consul in Shanghai anhängig gewordenen Proceß ist nun mehr die Thatsache bekannt geworden, daß an den fraglichen Waffenlieferungen eine amerikanische Firma, Louis Spitzel L Comp., betheiligt gewesen ist. Nach dem Referate der „North China Daily News" über die Verhandlungen hat diese Firma durch ihren Theilhaber, den amerikanischen Staatsangehörigen W. F. Sylvester, im August ver gangenen Jabres bei der chinesischen Zollbehörde in Kanton die Erlaubniß nachgesucht, 500 Mauser-Gewehre und 500 000 Patronen, die ihr auf englischen Dampfern von Hongkong zugegangen waren, nach Singapore ver schiffen zu dürfen. Un: einem Waffenschmuggel nach den Philippinen vorzubeugen, hat die Zollbehörde in Kanton diese Erlaubniß nur gegen Ausstellung einer Urkunde er- theilt, welcher in Sylvester sich und seine Firma zur Zahlung von 15 000 TaelS an den Zollcommissär für den Fall ver pflichtete, vaß er Waffen und Munition nicht nach Singa pore schaffen und ihre Ankunft an diesem Platze nicht durch Vorlegung einer Bescheinigung des dortigen ameri- obwohl man es Deinem Milchgesicht« nicht ansieht", redete ihn sein Nachbar an, nachdem er ihm zuerst einen Seitenstoß versetzt hatte. Dieser Nachbar war ein dicker Mensch mit einem stets grinsenden Gesichte und einer Nase wie eine dunkelrothe Rübe. „Mach', daß Du sortkommst, Mensch, — Du hast das Zeug zu einem Galgenstrick, schade, daß Dich die Spürhunde von Poli zisten noch nicht aufgestöbert haben! Du könntest ihnen mit Deiner Nase in die verborgensten Spelunken leuchten. Von mir scher Dich weg, wenn Du sie behalten willst!" Der Dicke lachte laut und die Uedrigen stimmten ein. Ohne sich irre machen zu lassen, fuhr er fort: „DaS wäre ein Spaß, wenn sie Dich ertappten, Apostel, noch ehe Deine Dulcinea die feine Kette gekriegt hätte, die Du gestern Abend dem Halunken abgeschwindelt hast. Donnerwetter — so'n Erzschwindler! Ein solches Stück für'n Sündengeld von lumpigen paar Mark . . Der „Apostel" wollte ihm eben mit einer Grobheit das Wort abschneiden, als die Thür sich öffnete und Diejenige erschien, die er erwartet hatte. Mit einem wüsten Gejohle wurde die weib liche Gestalt empfangen, die jetzt die steinernen Stufen in den Keller hinunterschritt. Es war Meta Henzen, in einen langen, weiten Mantel gehüllt, dessen Kapuze sie über den Kopf gezogen hatte, so daß sie Niemand erkennen konnte. Sie hatte mit einem unbeschreiblichen Widerwillen zu kämpfen gehabt, bis der Ent schluß, diese Kneipe zu betreten, zur That geworden war. Sie betrachtete diesen schweren Gang als eine Sühne für das Unrecht, das sie Richard zugefügt hatte, denn sie konnte den Gedanken nicht los werden, daß sie seine Gefangennahme größtentheils ver schuldet hatte durch ihre wahnsinnige Leidenschaft, die sic ver blendete — damals, als die Eifersucht wie ein Feuer in ihrem Herzen brannte. Gutmachen, sühnen, namentlich Fräulein Seydel ihre Treue beweisen, — das war jetzt die Triebfeder ihrer Hand lungen, obwohl sie das Schreckliche erfahren hatte, daß Richard Claasen den ihr verhaßten Namen Bruns trug. Bei dem Lärm, der sie umtoste, als sie den qualmigen Raum betrat, mußte sie alle Kraft zusammennehmen, um nicht sofort wieder umzukehren, so groß war der Ekel, der in ihr cufstieg. Die Hitze zwang sie, ihre Kapuze fallen zu lassen, doch den Mantel legte sie nicht ab. Der „Apostel" wollte den Arm um ihre Taille schlingen, doch sie entwand sich ihm mit einer Geberde des Abscheues und zog deg Mantel fester zusammen. Dieses gab den Anderen Anlaß zu: Belustigung; die Dirnen schrieen ihr lachend entgegen, daß sie die Sprödigkeit nur aufgeben sostte, nachdem sie einmal hier im Netz gefangen sei. „Sieh mal gn, Apostel, hast Du es also
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