01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.06.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990616011
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899061601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-16
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Reklamen unter dem Redaktionsstrich spalten) 50^, vor den Familiennachrichte« (L gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem PrriS- verzeickmiß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Sxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung X 60.—, mit Postbeförderung 70.— Annahmeschluß für Änzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 83. Jahrgang. Das Gesandtschastsrecht der Einzelstaaten. Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Bremen und Rußland hat die in manchen Kreisen vergessene Thatsache in Erinnerung gebracht, daß die deutschen Einzel staaten das GesanstschaftSrecht besitzen. Die heutige Verfassung des Reiches unterscheidet sich in diesem Punkte von oem Entwürfe aus dem Jahre 1849. Der Entwurf einer Reichsoerfassung vom 28. März 1849 bestimmte im Abschnitt II, Artikel 1, Folgendes: „Die Reichsgcwalt ausschließlich übt dem Auslande gegenüber die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands und der einzelnen deutschen Staaten aus. Die Reichsgewalt stellt die Reichsgesandten und die Consuln an; sie führt den diplomatischen Verkehr, schließt die Bündnisse und Verträge mit dem 'Auslande, namentlich auch die Handels- und SchifffcrhrtSoerträge, sowie auch die AuslieferungSverträge ab; sie ordnet alle völkerrechtlichen Maßregeln an. Die einzelnen deutschen Regierungen 'haben n i ch t das Recht, ständige Gesandt schaften zu empfangen oder solche zu halten. Auch dürfen die selben keine besonderen Consuln halten. Die Consuln fremder Staaten erhalten ihr Exequatur von der Reichsgewalt . . Eine solche Bestimmung enthält die heutige Reichsversassung nicht. Das Gesandtschaftsrecht der Einzelstaaten muß daher nach allgemeinen Grundsätzen als fortbestehend betrachtet werden und ist außerdem ausdrücklich anerkannt worden. Die Einzel staaten haben nicht nur das Recht, ihre bestehenden Gesandt schaften beizNbehalten, sondern sie können auch neue errichten. Den einzelstaatlichen Gesandtschaften liegt die Vertretung der Sonderinteresien des Einzelstaates ob, seines Oberhauptes und seiner Staatsangehörigen. In diesem beschränkten Kreise üben sie ähnliche Functionen wie die Reichsgesandtschaften aus; da gegen dürfen sie sich nie ohne besonderen Auftrag in die Reichs angelegenheiten mischen; lediglich auf die besonderen Angelegen heiten ihres Einzekstaates sind sie beschränkt. Die Reichsgewalt aber ist, wie Herrn. Schulze in seinem „Preußischen Staats recht", R. von 'M ohl in seinem „Staatsrccht" nachweisen, be fugt, das Gesandtschaftswesen der Einzelstaaten in der Richtung zu überwachen, Laß es der auswärtigen Politik des Reiches nicht hinderlich in den Weg tritt, sich derselben vielmshr in allen eigentlichen politischen Fragen anpaßt. Die Einzelstaaten haben natürlich auch das passive Gesandtschaftsrecht. Doch erstrecken sich die Vorrechte der bei ihnen 'beglaubigten Gesandten nur auf das Gebiet des betreffenden Einzelstaates. Sind diese Gesandten nicht zugleich beim Reiche 'beglaubigt, so können sie vor Allem die Exterritorialität nur im Gebiete des Einzelstaates beanspruchen, bei dem sie beglaubigt sind. Der Vollständigkeit halber sei die auf dem Schlußprototoll des Versailler Vertrages vom 23. No vember 1870 beruhende Bestimmung erwähnt, daß die baye rischen Gesandten zur Vertretung des Reichsgesandten berufen sind, wenn Letzterer verhindert ist; es bedarf dabei aber immer eines besonderen Auftrages des Kaisers. Soviel über den gegenwärtigen verfassungsmäßigen Zustand im Punkte des Gefandtschaftsrechtes. Den Verzicht auf letzteres oen Einzelstaaten wegen der Differenz zwischen Bremen und Rußland nahezulegen, dazu fehlt es an triftigen Gründen. Ein Berliner Blatt, das den Verzicht empfiehlt, räumt ein, daß die ehedem gehegte Befürchtung, die cinzelstaatlichen Gesandtschaften im Auslande könnten für die Reichspolitik unbequem werden, sich nicht erfüllt hat. Wenn dasselbe Blatt meint, es widerspreche der natürlichen nationalen Empfindung, daß das Ausland bei Streitigkeiten mit deutschen Behörden sich an eine andere Stelle wenden dürfe, als an das Berliner Auswärtige Amt, so wird man dem inPreußen beipslichten, wo man auf das Gesandt schaftsrecht zu Gunsten des Reiches verzichtet hat; in Bayern, Sachsen n. s. w. wird man nicht über all dieser Meinung fein, sondern den diplomatischen Ver kehr zwischen dem Auslande und der einzelstaatlichen Regierung ganz natürlich finden. Wenn dasselbe Berliner Blatt ferner auch die kleinste Differenz zwischen einem Einzelstaat und dem Auslande deshalb lediglich vom Berliner Auswärtigen Amt vertreten sehen Will, weil doch das Reich eingreisen müßte, falls die Sache eine ernste Wendung nähme, so ist dem aus praktischen Gründen zu widersprechen. Denn einmal würde das Berliner Auswärtige Amt durch die Befassung mit derartigen 'Streitig keiten ohne zwingende Nothwendigkeit eine neue Belastung er fahren, sodann aber würde die Leitung der auswärtigen Politik dem Berliner Auswärtigen Amte zum Mindesten nicht erleichtert wevoen, wenn alle Streitigkeiten von ihm erledigt werden müßten. Das Hauptbedenken aber gegen die Beseitigung des Gesandt- schaftsrechts der Einzelstaaten beruht auf der Thatsache, daß letztere, wenigstens die Regierungen, immer noch Werth auf jenes Recht legen. Und das ist begreiflich. Die fremden Gesandten begleichen gar manche Differenz zwischen ihren Schutzbefohlenen und den Behörden, erhöhen das Ansehen der Regierung, bei der sie beglaubigt sind, und bringen Geld ins Land; die eigenen Gesandten im Auslande können auf ähnliche Weise Differenzen rasch begleichen und machen eine Schule durch, die durch keine andere zu ersetzen ist. Glaubt man eine solche entbehren zu können und hält man die Aufwendungen für solche Gesandtschaften für zu hoch, so lehrt das Beispiel Württembergs, das seine Gesandtschaften in Wien und VeterSburg fallen gelassen hat, daß man deshalb noch nicht auf die Vortbeile zu verzichten braucht, welche mit dem Fortbestehen der österreichischen und der russischen Gesandtschaften in den be treffenden Staaten verbunden sind. Man überlasse es daher ruhig den Einzelregierungen und ihren parlamentarischen Körper schaften, dem Beispiele Württembergs zu folgen oder nicht, und halte sich gegenwärtig, daß Für st Bismarck an dem be stehenden Zustande keinen Anstoß genommen hat. Es war in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 12. September 1866, als Bismarck grundsätzlich zur Sache sich äußerte. Er hat damals dem Abg. Schulze, der tadelte, daß in den Attributen der Bundes- centralgewalt nur von Consularvertretung, nicht von diplo matischer Vertretung die Rede sei, geantwortet: „Ich glaube, meine Herren, Sie überschätzen die Bedeutung der Diplomatie, wenn Sie diese Forderung aussprechen. Ich erinnere daran, daß in den Jahren 1848—1849 die beste, günstigste Zeit mit Ver handlungen der Regierungen gerade über diesen Punkt verloren ging; die Regierungen, welche ihre diplomatischen Vertretungen aufgeben sollten, legten geratde auf dieses Ehrenrecht ein unver- hältnißmäßiges Gewicht; ich sage unverhältnißmäßig, denn wenn die Stellung eines Territorialfürsten im Bunde der Art ist, daß das Ausland sich da'bei interestirt, so würde Heine Klausel ihn hindern können, einen Officier, einen Freund, einen Geschäfts mann, einen Kaufmann in einer fremden Residenz wohnen zu haben, mit dem er correspondirt, oder politische Agenten in_un- scheinbarem Gewände bei sich zu empfangen. Ist aber die Stel lung des betreffenden Fürsten nicht von der politischen Be deutung, daß sich das Ausland um ihn bewirbt, dann mag er immer Botschafter ernennen, das thut nichts zur Sache, seine eigenen Hände werden diesen kostspieligen Luxus beseitigen. In solchen Dingen nur ein Haar mehr zu finden, als man haben muß, als man zur Basis künftiger praktischer Entwickelung nöthig braucht, halte ich immer für einen Fehler, der sich straft." Deutsche und französische Kriegsschiffe in Kopenhagen. Man schreibt uns aus Kopenhagen: In diesen Tagen ankern zwei deutsche und zwei französische Kriegsschiffe auf der Kopenhagener Rhede. Montag trafen, von Helsingör kommend, das französische Cadettenschulschiff „Iphigenie" und einAviso ein und am Dienstag liefen, in directer Fahrt von Kiel, die beiden deutschen Panzerschiffe „ Frithjof " und „Odin" ein. Das französische Schiff ist ein aus dem Jahre 1881 stammendes, mit voller Segeltakelage versehenes Fahrzeug, welches außer 15 Officieren und 78 Aspiranten eine Besatzung von 340 Mann an Bord hat, während die beiden deutschen Schiffe 1891 bezw. 1894 ganz aus Stahl erbaut und vollständig moderne Küstenvertheidigungsfahrzeuge sind; an Besatzung führt jedes derselben 276 Mann. Das Zu sammentreffen der deutschen und französischen Kriegsschiffe in Kopenhagen giebt natürlich Veranlassung zu mancherlei Com binationen. Daß die dänische Presse dem Eintreffen der fran zösischen Fahrzeuge große Artikel widmet, kann bei der Sym pathie Dänemarks für französisches Wesen weiter nicht Wunder nehmen. In amtlichen Kreisen spielt sich der Flottenbesuch für beide Parteien gleichmäßig ab. Am Dienstag gab der französifche Botschafter Margerin den französischen Officieren ein Essen, an welchem der Marineminister Ravn mit höheren dänischen Seeofficieren kheilnahm. Am Mittwoch giebt der deutsche Ge sandte den deutschen Officieren ein Essen, zu dem ebenfalls der dänische Marineminister erscheinen wird und am Donnerstag sind die deutschen und die französischen Seeofficiere gemeinsam vom Marineminister eingeladen worden. Wer in der Ent sendung der beiden deutschen Panzerschiffe nach Kopenhagen aus Anlaß des französischen Besuches eine politische Bedeutung, sei sie groß oder klein, erblickt, für den mag auch die Thatsache inter essant sein, daß Kopenhagen nicht Zwischenstation, sondern Ziel war. Beide Schiffe gingen von Kiel direct nach Kopenhagen und kehren dann sofort zurück, „Odin" nach Kiel, „Frithjof' nach Wilhelmshaven, während die französischen Schiffe nach Stockholm weiter gehen. Deutsches Reich. /?. Berlin, 15. Juni. (Die Socialdemokratie und die Colonialpolitik.) Die Aeußerungen des Abgeordneten Schippel über das Heerwesen und die Colonialpolitik haben natürlich in einem Tbeile der socialdemokratischen Partei arg verschnupft, ganz besonders bei der Herrn Schippet zwar landsmannschaftlich nabestehenden, parteitaktisch aber sehr fernstehenden „Sächsischen Arbeiterzeitung." Dieses Blatt hat Herrn Schippel feierlich zu einer Erklärung auf gefordert, die dieser denn auch abgegeben bat. Cr bat damit aber nur Oel ins Feuer gegossen, denn über die Colonial politik hat er gar nichts gesagt, und bezüglich des Heer wesens hat er zugegeben, daß er darüber anders denke, als die „Sächsische Arbeiterzeitung". lieber diese Er klärung aufs Höchste aufgebracht, wirft das Blatt Herrn Schippel absichtliche Verschleierung seiner wirk lichen Meinung vor. Unter Anderem sagt es: „Wir rechnen die Colonialpolitik, wenigstens was man im deutschen Reiche darunter versteht, jedenfalls nicht zu den höheren Gütern. Und beharrt die Partei bei ihrer bisherigen Taktik, so darf sie sich auch nie zu der Befürwortung und Verherrlichung einer Politik verstehen, die nur den transocea Nischen Ausbeuterinteressen des Großkapitals förder lich ist." Von besonderem Interesse nnd der Widerlegung Werth ist der Schlußsatz. Durch eine lebhafte überseeische Politik wird der deutsche Exporthandel und damit auch die deutsche Industrie überhaupt gefördert. Daß die Beförderung der Industrie nicht nur den Unternehmern, sondern auch dcu Arbeitern nützlich ist, baben die Sccialdemokraten bei dem Kampfe um die Handelsverträge selbst zugegeben. Ucbrigens ist auch statistisch unwiderleglich feslgestellt, daß mit dem Gedeihen der Industrie auch eine Steigerung der Löbne ver bunden ist. Dieser Besserung der wirtbschastlichen Lage der Arbeiter hat ja auch die Socialdemokratie zum guten Theil ihre wohlgefülltcn (Lassen zu verdanken. Wenn also die socialdemokratischen Führer und die Parteiprcssc zum größten Theil — denn der Abgeordnete Schippel ist einstweilen nur ein weißer Rabe — Gegner jeder überseeischen Politik sind, so sind sie es nicht um der Interessen der Arbeiter willen, sondern nur, weil es eben zu ihrem Berufe gehört, unter allen Umständen gegen die Regierung und die besitzenden Classen zu Hetzen. Immerhin ist es von Interesse, zu beobachten, wie das unleugbar gestiegene Interesse des Volks für eine überseeisch; Politik die Parteidoctrinen über den Haufen zu rennen beginnt. Wie letzthin die „Vossische Feuilleton. Berchtesgaden. Eine Skizze zum diesjährigen Sommerbesuche der Kaiserin. Von Alois B e r g l. Nachdruck «erboten. Schon im Anfänge unseres Jahrhunderts, als die Reize der Alpenwclt in weiteren Kreisen noch unbekannt waren oder wenig gewürdigt wurden, genoß das Berchetsgadener „Landl", von dem seine Bewohner wohl ehedem sagten, es sei ebenso breit wie hoch, um seiner Schönheit willen einen großen Ruf, und König Max hatte den Flecken Berchtesgaden bereits zu seinem Lieblings aufenthalte erkoren. Heute passiren etwa 30 000 Fremde Jahr für Jahr den Ort, und der Wohlstand, den sie in das lachende Thal zwischen den wilden Bergen tragen, prägt sich in der be haglichen, wohlgepflegten, ja vornehmen äußeren Erscheinung Berchtesgadens aus, dessen Billen und Pensionen es zum Glück verschmäht haben, sich den städtischen Hotels anzuähneln und an dem freundlichen und gefälligen Typus des Schweizerhauses sesthielten, der nicht am wenigsten eben durch Berchtesgaden in der ganzen Welt bekannt und beliebt geworden ist. Ein langer, mäßig breiter Streifen hell erglänzender, hübscher Häuser, zwischen Wiesengrün gebettet, von Baumkronen begleitet, über ragt von zwei schlanken Spitzthürmen und einem plumperen Thurme, — das ist Berchtesgaden; und wenn man, was die Mensckencultur hier schuf, als anmuthig rühmen kann, so ist doch das höchste Lob, das ihr zu spenden ist, das, daß sie sich der Natur willig anschmiegt und ihre Erscheinung nicht stört. .Denn was die Natur für Berchtesgaden gethan hat, das hat sie in den bayrischen Alpen für keine zweite Stätte übrig gehabt, und der schönstgelegene Ort unseres deutschen Alpenlandes ist Berchtes gaden mit Recht genannt worden. Welche Gegensätze, welche Fülle von Schönheit vereinigt sich hier auf engstem Raume! Da ist erst das anmuthige Thal selbst, frisch und mild, eine einzige zusammenhängende Wiese, durchzogen von Reihen des hier charak teristischen Bergahorns. Ringsherum aber starrt die mächtigste Gebirgswelt, hier nicht in Ketten oder firstähnlichen Kämmen angeordnet, sondern in mächtigen Felsmassiven ohne aus gesprochene Längsrichtung, deren regellose kastenartige Lagerung den wilden Eindruck noch erhöht. Aber die schlanke und in ihrer Form großartige Doppelpyramide des Wahmann schaut, durch ihre bestimmte Gestalt beherrschend, über diese Riesenwelt hin weg und giebt bas Wahrzeichen des ganzen Thales ah, ob nun die Gipfel in fast blendender Gluth unter den sengenden Strah len der Sonne leuchten, ob die Abendröthe sie in eine schier un faßbare Farbenpoesie kleidet, ob finstere Wetterwolken sie um fliegen und sie fast schreckhaft düster erscheinen lassen. Es ist natürlich, daß die Volksphantasie sich mit diesem imponirenden Be'-ge viel beschäftigt; es heißt, daß sich auf seinen Gipfel ein Menschenpaar vor der Fluth gerettet habe, und der Name des Alten, der ursprünglich Wassermann gelautet zu haben scheint, mag auf Ueberlieferungen ähnlichen Inhalts deuten. Don dem gemüthlichen Verhältnisse der Berchtesgadener aber zu ihrem Bergkönig zeugt es, daß sie ihn im Laufe der Jahrhunderte zum Gatten und Vater gemacht haben, und den niedrigeren Gipfel, sowie gewisse nächstgelegene Höhen als die Watzmannfrau und die Watzmanntinder getauft haben, — Kinder, die sich übrigens, von der einsamen Höhe des Berges gesehen, als recht ausgewachsen und dem Alten an Höhe nahezu gleich präsentiren. Der steil emporragende Berg hat lange in dem Rufe der Unüberwindlichkeit gestanden, bis er in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts oft bestiegen wurde und sich schließ lich als ein ziemlich leicht zu nehmender Berg erwies. Doch auch wir haben uns von dem unwiderstehlichen Zauber des Watzmann verleiten lassen, von ihm zu erzählen, und lassen nun unsere Blicke wieder vom Thale frei umher schweifen. Bis zu 1500 und 1600 Meter hoch bedecken dunkle Wälder die Hänge, dann beginnt der nackte Felsj, eine todte pflanzenleere Steinwüste, die (einen schönen Ausdruck Bühler's zu gebrauchen) wie ein Riesenaltar Gottes hoch hinauf ins Wolkenreich ragt. Da weicht die menschliche Wohnung, da Hausen die Gemse und das Murmel thier, da liegt, wenn nicht immer, so doch den größten Theil des Jahres der Schnee. Und dahinter immer wieder noch neue Kuppen und Gipfel, immer wildere Zacken und Wände, bis der Blick sich in der Eiseinöde der Uebergossenen Alp verliert. Doch die Natur, hier in ihrer köstlichsten Gebe- und Künstler laune, hat dafür geborgt, daß dem Schrecklich-Gewaltigen das Liebliche die Waagschale halte. Der Königssee — der König der deutschen Seen! Wenn das kaum hörbar gleitende Boot um den Falkenstein biegt und nun der ganze See „gleich einem breiten Strom aus blauer Fern« kommend, von ungeheuren Felsen eingeengt" vor unfern Augen liegt, eine stille, jaspisfarbene Fluth, in der sich die Riesenwände mit ihrem trotzigen Grau und dunklen Grün bewegungslos spiegeln, wenn die wilden Felsen näher und näher kommen, des Watzmanns königliches Haupt auftaucht, Bild auf Bild wie in einem Wandelpanorama sich stets überraschender, stets groß artiger entrollt, wenn aus dem blauen Aether, der wie ein zweiter See über der Fluth zu liegen scheint,, die liebliche Oase von Sanct Bartholomä aufsteigt und den Nachen das majestätische Schwei gen der Alpennatur wie mit einem tiefen Traume umspinnt, den kaum ab und zu ein leiser Ruf der Fergen oder das Klatschen der Ruder den Schlaf des Sees unterbricht, — wer dann nicht überwältigt vor Gottes Wundern anbetet, der verdiente nicht, an diese Stätte geführt zu werden! In solchem heiligen Schwei gen denken wir dann der furchbaren Stürme, die den See von Zeit zu Zeit Heimsuchen und seine Wogen mit unbeschreiblicher Gewalt gegen die steilen Wände schmettern, daß sie schäumend in der Höhe zerstäuben. Das Standbild, das die besorgten Schiffer auf der kleinen Insel Christlieger ihrem Schutzpatrone, dem heiligen Nepomuk, errichtet haben«, und das Kreuz an der Felswand zur Erinnerung an das dereinst hier gestrandeke Wall fahrerschiff, sprechen davon, daß auch der Königssee seine Ge schichte hat. Und nicht nur seine — verhältnißmäßig kleine — Menschen gischichte, sondern vor Allem auch eine Geschichte des gewaltigen Wirkens der Naturmächte. Am 3. und 4. Januar des Jahres 1117 soll es geschehen sein, daß zwischen der Kammerwand und der Walchhllttenwand ein ungeheurer Bergsturz erfolgte, der den Königssee hier abschnitt und den schmalen Isthmus bildete, der heute die Salletalp heißt, eine wilde Trümmerstätte, über die zwischen fast senkrecht abfallenden Wänden der Besucher schreitet, voll von einem beengenden Gefühle des Staunens, vor der Er wartung von Erstaunlichem. Und doch wird jede Erwartung übertroffen, wenn er in dem Naturcirkus des Obersees steht, der nach Penck's Bemerkung an Großartigkeit den berühmten von Oo in den Pyrenäen übertrifft. Hier herrscht das Großartige, nichts Liebliches, nichts Gefälliges unterbricht das gewaltige Bild, dessen Todesstille der wilde Schrei eines hungrigen Geiers und das ferne geisterhafte Rauschen des Röthfalles nur noch stärker zum Bewußtsein bringen. Doch kehren wir aus der ungeheuren, auf die Dauer fast be drückenden Gebirgseinsamkeit wieder in das freundliche Thal zurück, um einen Blick auf seine Bewohner zu werfen. Wer hätte nicht seinen Blick mit Vergnügen auf den treuherzigen Gesichtern, den kernigen Gestalten der Berchtesgadener ruhen lassen? Schon im Anfänge des Jahrhunderts hat der Chevalier de Bray sie als einfach^ arbeitsam und gastfrei gerühmt; und wenn auch in physi scher Hinsicht eine Auffrischung der Bevölkerung durch Ein wanderung aus anderen Theilen der Alpen (wie sie in früheren Zeiten gelegentlich stattfand) vielleicht nicht unerwünscht wäre, so darf man doch den Charakter der Berchtesgadener unbedenklich mit warmem Lobe bedenken. Sie sind zuverlässig, gutmüthig, munter, bescheiden, aber von ruhigem Selbstbewußtsein, ehrlich, fleißig und mit einem natürlichen Sinne für Humor begabt, den man bei den arbeitsamen Frauen des Landes ebenso wie bei den Männern trifft. Mit dem allzu neugierig fragenden Fremden ein wenig den Schalk zu spielen, macht ihnen Freude. Daß der ungeheure Fremdenverkehr die Bescheidenheit und Ehr lichkeit der Berchtesgadener nicht erschüttert hak, bildet die beste Probe für ihren Charakter. Dieser Fremdenverkehr hat neue Gewerbe ins Land gebracht; vordem gab's hier nur Aelpler und Holzknechte, Bergknappen und Holzschnitzer. Die Holzschnitzerei, zu der Ahorn und Linde, Zirbelkiefer, Tanne, Fichte und Lärche hauptsächlich das Material liefern, ist hier ein uraltes Haupt gewerbe, und die Berchtesgadener Holzarbeiten sind einmal Welt handels-Artikel gewesen, obwohl ein starres Kastenwesen bis in unser Jahrhundert hinein die Entwickelung des Gewerbes hinderte. Denn das Handwerk war streng eingetheilt in Große Schachtelmacher, Rössel- und Feinschnitzerey Büchsendreher, Muldenmacher, Holzschuhmacher u. s. w., und der Sohn mußte nicht allein dem Berufe des Vaters folgen, sondern auch seine Be schränkung darin theilen. Einen schweren Stoß erhielt die Berchtesgadener Holzschnitzerei durch die Auswanderung der Lutheraner, die auch hier wie im nahen Salzburg, in den Jahren 1732—34 um ihres Glaubens willen die Heimath verließen. Sie wandten sich nach Ostpreußen, nach Bamberg und Nürnberg, und besonders am letzteren Orte begründeten die kunstgeübten Berchtes gadener, von der Obrigkeit eifrig unterstützt, eine Concurrenz, die sich bald fühlbar machte. Erst in neuester Zeit hat sich die Berchtesgadener Kunstschniherei unter eifriger Förderung des bayrischen Staates wieder gehoben und eine sehenswerthe kleine Ausstellung am Orte legt von ihren Leistungen rühmliches Zeug- niß ab. Ist es hier der Wald, der seinen Kindern eine bequeme Ge legenheit zum Erwerbe bietet, so bilden den zweiten Reichthum des Landes seine Salzlager. Sie haben es schon in alten Zeiten zu einem begehrten Besitze gemacht, um den viel gestritten worden ist, und sie sind noch heute so bedeutend, daß durch die in Berchtes gaden gewonnene Soole vier Salinen im Betriebe gehalten werden, die durch eine 80 Kilometer lange Röhrenleitung (ein großartiges Wert des vorigen Jahrhunderts) untereinander ver bunden sind. Ja, man darf im gewissen Sinne sagen, daß das Salz überhaupt erst die Cultur in diesen entlegenen Bergwinke! gezogen habe. Denn als die ersten Augustinerbrüder in das damals wilde, unfruchtbare, von dichten Wäldern bedeckte und von schweren Unwettern heimgesuchte Land geschickt wurden, da mochten sie hier nicht aushalten und verlangten nach dem wirth- lichen Baumburg und dem fischreichen Raitenbuch zurück. Die Begründung des Stiftes hat überhaupt eine eigenartige Ge schichte. Zur Zeit Kaiser Heinrich's V. hatte Irmengard, die Erbtochter Kuno von Rott's, die Gattin Gebhard von Sulzbach's, gelobt, hier eine Kirche zu bauen. Aber sie starb über dem Ge lübde hin, und hinterließ es ihrer Tochter Adelheid. Die aber vergaß es in ihrem reichbewegten Leben. Denn sie entwich dem Vater und heirathete trotz seines Fluches den heißgeliebten Mark wart von Hohenstein; aber sie sah ihn und einen zweiten Gemahl ins Grab sinken. Den dritten aber, Berengar von Sulzbach, ließ sie auf ihrem Todtenbette im Beisein von zwölf untadeligen Rittern schwören, daß er das versprochene Kloster in jenem un heimlichen Gaue „Perthersgaden" bauen werde. Welche Schwierigkeiten dies Berengar machte, wurde bereits angedeutet; endlich aber, im Jahre 1120, siedelten sich ein Dutzend Augustiner unter dem energischen Probste Eberwein hier an; der Wald be gann sich zu lichten, die Einöde zu beleben, und bald lehnte sich auch ein Frauentlösterlein schwesterlich an das Stift der Männer. Aber erst als das Salzlager mehr und mehr ausgebeutet ward, nahm Berchtesgadens Entwickelung einen schnelleren Gang, und hätten die Pröbste Stift und Land nicht in schwere Schulden gestürzt, sie hätten es hier gar gut haben können. Uebrigens ge lang es dem Stifte, die kritische Zeit zu überwinden, und seit dem 15. Jahrhundert führten die gefürsteten Pröbste als reichs unmittelbare Herren sammt den Chorherren allen hier ein be hagliches Dasein, bis das Fürstenthum als eine Frucht der napoleonischen Zeit der bayrischen Krone zufiel. Noch erzählt von den alten geistlichen Tagen außer dem zur Zopfzeit erbauten Chorherrenstiste, der jetzigen Residenz, vor Allem die theilweisc anscheinend bis ins 11. Jahrhundert zurückreichende Stiftskirche nlit dem berühmten romanischen Kreuzgangc, dessen Grabmäler die Erinnerung an längst geschiedene adelige Chorherren wach er- hält, die hier in ihren weißen Gewändern wandelten, bis sie neben ihren BrÜdirn die Ruhestatt fanden. Das letzte in der langen Reihe von Gräbern zeigt auch den Namen des letzten Chor- berrn von Berchtesgaden, eines 1836 verstorbenen Grafen Wicka. So spricht hier im Dämmer des ehrwürdigen Gotteshauses die Vergangenheit; draußen aber verkünden die frischen Stimmen jubelnder Kinder, die Hellen Gewänder lustwandelnder Curgäste von einer neuen lebendigen Zeit, und über Allem thront die ewige Bergeswelt, und der majestätische Watzmann blickt gleich unbeweglich auf das moderne Reisegewühl, wie einst auf den wilden Urwald und di« wrißen Kuttenträger.
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