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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.10.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991003025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899100302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899100302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-03
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Die „Deutsche Tageszeitung" setzt sich in den Stand, an dem „Kesseltreiben" — dies der eigene Ausdruck dieses Blattes, gebraucht an einem Tage, wo eS Herrn v. Miguel wahrscheinlich „traute" — jeden Augenblick wieder theilzunehmen. Sie wundert sich angeblich über die in der Presse laut gewordene Verwunderung, „daß conservative und agrarische Blätter einem bloßen Gerücht, daß Minister von Miquel Anreger der Beamtenmaßregelungen gewesen sei, so viel Glauben beigelegt hätten", und bemerkt dann: „Dem gegenüber muß nochmals hervorgehoben werden, daß es sich nicht um ein bloßeS Gerücht handelte, sondern um die posi tive Mittheilung eines Mannes, der unterrichtet sein mußte. Wir sind nicht berufen und halten uns auch nicht für verpflichtet, mehr zu sagen. Da nach gewissen Anzeichen die Krisis noch nicht beendet zu sein scheint, wird vielleicht später eine solche Verpflichtung cintreten." Eines Manne», der unterrichtet sein „mußte". Recht unterrichtet selbstverständlich, also ist eS wahr, waS er berichtet hat, also bat die „D. Tagesztg." ihre Leser mit der Unwahr heit bedient, al» sie die Erzählung von Miquel dem „Anreger der Beamtenmaßregelungen" zurückwieS. So spricht die Logik, tkatsächlich liegt es aber Wohl so, daß daS Blatt heute sagt, „was nickt ist." Es wird den Tag, wo die von ihm erwähnte „Ver pflichtung" erwächst, niemals für gekommen erachten. Ueber die Beweggründe der Bnndesleitung, sich mit der „Kreuz zeitung", die die Erzählung von einer Intrigue aufrecht er hält, in Widerspruch zu setzen, braucht man sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Es genügt die Feststellung der Thatsache, daß das agrarische Blatt die Waffenlieferungen für die Freisinnigen und die Klerikalen wieder ausnimint. Und Herr v. Miquel, den diese beiden Parteien bekämpfen, ist Alles eher als ein Feind der Landwirthschaft. Die Berliner Bnndesleitung charakterisirt sich wieder einmal und wird dafür die An erkennung der „Germania" ernten, deren Freunde die Miquelhetzc unverändert fortsctzen. Sie wollen den Minister aber keineswegs „stürzen". „I)r. Lieber", so lassen sie schreiben, „weiß so genau wie irgend Jemand, daß versuchte Ministerstürzerci von Seiten des Eentrums auf den allerwenigsten Erfolg rechnen darf, ja mit entgegengesetzter Wirkung rechnen muß. Der Hinweis darauf, daß das Ccntrum an so etwas seine Freude haben würde, hat in unserem politischen Leben überall noch Kraft genug, um das Gegentheil zu bewirken." Wenn Herr Lieber das schon geglaubt hat, als er seine Mainzer Rede hielt, so muß er von dem beißen Wunsche nach Befestigung der Stellung des Herrn v. Miquel geleitet gewesen sein. Er dürfte aber erst seitdem die Er fahrung gemacht haben, daß daö (Zentrum „noch nicht überall" Alles wagen darf. Darum läßt sich Herr Lieber nachträglich scheinbar andere Beweggründe unterschieben: „Nicht nm Herrn v. Miquel zu stürzen, sondern um die Thatsachen scstzustellen und die Parteigenossen zur Wachsamkeit und Kampf bereitschaft zu mahnen, wird von unserer (der klerikalen) Seite daS Verhalten deS Ministers v. Miquel gekennzeichnet." Thatsachen aber hat vr. Lieber in Mainz gegen den Minister nicht vorgebracht und die Centrumspresse weiß auch mit nichts Anderem aufzuwarten, als mit der — den Thatsachen widerstreitenden — Behauptung, Herr v. Miquel habe anfänglich getrachtet, die Canalvorlage umzubringen. Da nun gut die Hälfte der Centrumsgetreuen dem Canal gleichgiltig oder ablehnend gegenübersteht, so wird der immer wiederholte Hinweis auf diese angebliche Unthat des Finanz minister» nicht auf die „Parteigenossen", sondern auf die Stelle berechnet sein, wo Minister auch ohne directe» Zuthun deS Herrn Lieber gestürzt werden können. Da» Centrum hält nämlich dafür — ob mit Recht, wissen wir nicht —, daß der Canalvorlage noch immer nicht geringere Bedeutung als dem Arbeitswilligengesetz beigelegt werde. Zu diesem Gesetzentwurf liegt eine neue Auslassung deS Centrum» vor. Nachdem sie den Conservativen viel Unangenehmes gesagt, bemerkt die „Correspondenz für CentrumSblätter": „Wenn wegen der Ablehnung der Zuchthausvorlage zu Neu wahlen geschritten werden sollte, so ist erst recht eine Scharsmacher- Mehrheit ausgeschlossen. Ebensowenig würde eine Auflösung wegen abgelehnter Militär- oder Marineforderungrn, für welche die Osficiösen mit der Versicherung, Geld sei genug da, Stimmung zu machen suchen, eine Carlellmehrheit bringe», die das Eentrum matt setzen könnte. Was aber dann? Auch die Möglichkeit ist aus geschlossen, daß man durch Annahme der Zuchthausvorlage auS den durch die Canalvorlage geschaffenen Schwierigkeiten herauskommen könne. Mögen die Nationalliberalen mehr und mehr etnschwenken, das Centrum kann seinen bisherigen Standpunkt nicht aufgeben, was auch über seine veränderte Haltung gesagt werden mag, und darum muß die Vorlage fallen." Wir theilen diese Kundgebung mit, weil sie sür die Be- urtheilung der „Lage" nicht ohne Werth ist. Kürzlich haben wir darauf bingewiesen, daß den Liberalen der bayerischen Abgeordnetenkammer, nach dem in diese eine klerikale Mehrheit eingezogen ist, die Auf gabe zusällt, „wirklich und unzweideutig" liberal zu bandeln. Gelegenheit dazu bietet ihnen ein Vorfall, der weit über die Grenzen Bayerns berechtigtes Aufsehen und tiefe Empörung erregt. Vor den Schranken des Schwurgerichts in Straubing stand am 29. und 30. v. Mts. der katholische Pfarrer Moosauer von Pocking wegen Anstiftung zum Meineide und sechs Sittlichkeitsverbrechen. Die Verhandlungen, die ein geradezu scheußliche» Bild sittlicher Verworfenheit enthüllten und in deren Verlaufe der Staatsanwalt den 69 jährigen Angeklagten einen moralischen Brunnen vergifter nannte, der ganze Generationen ruinirt, den Beichtstuhl, die Kanzel, die Schule, seine heilige Mission in schändlicher Weise zur Fröhnung seiner Gelüste unter dem Mantel ärztlicher Behandlung und seelsorgerischer Thatigkeit mißbraucht habe, endeten mit der Verurtheilung de- An geklagten zu 10 Jahren Zuchthaus und lO Jahren Ehrverlust. Damit aber darf die Sache nicht abgeschlossen sein; sie ge hört ihrer Begleiterscheinungen Haber vor die Abgeord netenkammer, in der der Regierung klar gemacht werden muß, was sie zu thun hat, nicht nur um gut zu machen, Wa der Verurtheilte 25 Jahre lang in seiner Gemeinde bat an richten können, sondern auch um die Wiederkehr ähnlicher Vorgänge zu verhüten. Mit Recht führen die „Münch. N. Nachr." auS: „Es liegt un» auch vollständig ferne, auS einem solchen Fall Schlüsse auf die moralische Qualität des bayerischen KleruS im Allgemeinen zu ziehen, der viele hochachtbare und hochgebildete Priester in seinen Reihen hat. Wir betonen dies hier ausdrücklich, weil erfahrungsgemäß schon di« objektive Mittheilung eine» solchen Falles der ultramontanrn Presse, dir bisher dieStraubingerVerhandlung nahezu vollständig unter schlug, stets Anlaß girbt, über Religionsfeiiidlichkeit und Aehnliches zu faseln, anstatt offen und ehrlich zu bekennen, daß sich hier eine Pestbeule gezeigt hat, die rasch und dauernd zum Heil der Kirche selbst entfernt werden muß. Viel bedeutsamer als die Verbrechen dieses Geistlichen selbst sind die Begleiterscheinungen, die der Proceß vor aller Welt aufgedeckt hat. Denn sie geben in ihrer Zusammenstellung ein Culturbild aus der bayerischen Provinz, bei dessen Betrachtung nicht nur unsere leitenden Staatsmänner und Politiker, sondern auch die höchsten kirchlichen Behörden einiges Unbehagen empsinden müßten. Der Proceß hat als Folge eines unangebrachten Solidaritätsgefühles ein geradezu sträfliches Ver- tuschungssystem der Amtscollegen des verbrecherischen Geist- lichen an den Tag gefördert. Auch die Thatsache, daß das Ordinariat schon vor 25 Jahren dem Priester die „ärztliche Praxis verbot, scheint darauf schließen zu lassen, daß man wohl wußte, mit wem man es zu thun hatte. Abhilfe erfolgte aber keine. In anderen Gesellschastsschichten pflegt man solche Aussätzige einfach von sich zu stoßen und dem Strafrichter zu überlassen. Daß dies nicht schon längst geschah, ist das Eine, was zu scharfer Kritik heraus- fordert. Ein weiteres tiesbetrübendes Bild ist die geradezu er schreckende moralische Verkommenheit und Bornirtheit vieler Gemeindemitglieder der Pfarrei Pocking. In welch' finsterer geistiger Knechtschaft, in welchem mvstijchen Banne müssen Liese Leute stehen, die Jahrzehnte lang sich eine solche Ver- worfenheit, Unsittlichkeit und einen solchen Mißbrauch der heiligsten Gewalt gefallen lassen? Gab es denn in der Gemeinde keine auto- ritative Persönlichkeit, die an die maßgebende kirchliche und staatliche Stelle appellirte und die Dinge, die in Aller Mund waren, laut und vernehmlich vorbrachte? Einige Muthige, die es wogen wollten, wurden allerdings materiell ruinirt und geächtet und konnten so die Anderen abschrecken. Das Alles läßt sich eine Gemeinde in einem geordneten Staatswesen am Ende des 19. Jahrhunderts bieten! Wie muß es, so fragt man sich, mit der religiösen Erziehung solcher Leute aussehen, die selbst die wider natürlichsten Echandthaten ihres geistlichen Oberhirten so gelassen hinnehmen, di« in dem Wahnwitz befangen sind, daß der geistliche Stand des Priesters sogar über Verbrechen hinweghelfen und Meineide ungeschehen machen könne? Man hat selten in einem Schwurgerichtssaal ein so widerwärtiges Bild gesehen, wie jene Mutter, die gegen ihre leibliche Tochter die schändlichsten Dinge aussagte, um den Pfarrer zu retten. Ein Stück aus der schlimmsten Zeit des Mittelalters rollte sich da vor uns auf. Stet» wird von klerikaler Seit« geleugnet, Laß die Priester irgend welchen Zwang auf ihre Gemeinde- Angehörigen ausüben. Bei Erbschleicherei-Processen, man denke nur an Len Traunsteiner Fall und die Debatten über die Amorti sationsgesetze in der Kammer, da lehnt man mit Entrüstung irgend welche Einflußnahme auf sterbende Testirende ab, und bei Len Wahlen heißt es erst recht, die Leute handeln nur auS eigener Ueberzeugung. Der Pockinger Fall hat aufS Neue be» wiesen, unter welchem harten Druck und Bann deS Kleri- kalismnS die Leute noch stehen. Oder sollte Pocking wirklich eine Ausnahme bilden? Das glaube, wer will. ES ist wahrschein, lich, dafür sprechen auch zahlreiche sonstige Anzeichen, typisch für weitere Thetl» Altbayernr. Schon im Interesse einer wahr hast religiösen Erziehung und deS Ansehens des ganzen geistlichen Standes wie der Kirche wäre es gelegen, wenn die kirchlichen Oberen Hand in Hand mit den staatlichen Behörden einmal mit kräftiger Hand eingreisen würden. Der Straubinger Proceß hat vor Allem Largethan, wie nothwendig es ist, die religiöse Erziehung strenger unter die Oberaufsicht des Staates zu nehmen." In England hat eine Anzahl hervorragender Personen ein „Nationales Memorial gegen den drohenden Krieg in Südafrika" unterzeichnet und sie fordern zu massen haftem Anschlüsse an dasselbe auf. Das Memorial lautet: Während wir, die Unterzeichneten, entschlossen sind, alle fried lichen Mittel anzuwenden, um gleiche Rechte und volle Gerechtigkeit unseren Landsleuten in Transvaal zu sichern, sind wir doch der Meinung, daß die noch>orha»denen Unterschiede zwischen dem, waS unsere Regierung verlangt und was die Boeren bewilligt haben, nicht genügen, um Südafrika in einen Krieg zu stürzen. Wir erheben unseren feierlichen Protest gegen einen Appell an das Schwert, um unsere Differenzen mit Transvaal zu regeln, ehe der von der Haager Conferrnz bestätigte Grundsatz schiedsgericht lichen Verfahrens probirt und als unwirksam befunden worden ist. Viel Erfolg wird das „Memorial" nicht haben, denn die Negierung will den Krieg und die öffentliche Meinung ist zum überwiegend größten Theil auf ihrer Seite. In Trans vaal dagegen scheint man noch immer die Hand zum Frieden bieten zu wollen, sei eS auch nur, um der Welt beweisen zu können, daß man Alles versucht habe, um den Krieg abzn- wenden. Man meldet unS: * Kapstadt, 2. Lctobcr. („Reuter's Bureau.") Gegenüber dem Gerücht, daß die Boeren drohen, sich britischen Gebiet» zu bemächtigen, bemerken die „South Asrican News", sie hörten aus bester Quelle, daß die Boeren nichts Derartige» thun werden. Den Leitern der Südafrikanischen Republik verbiete ihr religiöses Gefühl, die Schrecken des Krieges und seine Zufallsentscheidung vor zeitig herbeizuführen, so lange noch irgend ein anderer Weg offen bleibt. — Dasselbe Blatt meldet, Hofmeyr habe sich der englischen Regierung zur Verfügung gestellt zur Förderung jede» billigen Vorschlags, der ein Element zur Lösung der Krisi» enthalte. Hiernach sind dir Nachrichten auS englischer Quelle, welche de» Boeren die Absicht zuschreiben, binnen vierund zwanzig Stunden die Offensive zu ergreifen, mit Vorsicht aufzunehmen, wenn auch die Rüstungen mit großer Energie fortgesetzt werden. Hierüber liegt un- folgende Nachricht vor: * London, 3. Octover. (Telegramm.) Die „Time»" melden aus Johannesburg vom 1. October: Obwohl in Johannesburg größere Ruhe herrscht als am Freitag, wird die Lage doch ernster. Eine sehr große Anzahl von Eisenbahnzügen, sowohl von Johannes burg, wie von Pretoria, gingen mit Waffen, Pferden und Munition an die Grenze von Natal ab. Eine Streitmacht von mehreren Tausenden muß dort versammelt sein. ES ist bemerkenSwerlh, daß die Artillerieabtheilung eine Anzahl Kanonen großen Kaliber» mit sich genommen hat. Weitere Contingente von Burgher» wurden heute abgeschickt. Wie die Londoner Blätter melden, soll unter dem Vorsitz der Königin am Sonnabend in Osborne Castle eine Sitzung deS Privy Council stattfinden, in der wahrscheinlich die Ein berufung deS Parlaments auf den 17. October beschlossen werden würde. — Ueber die Haltung Por tugals im Transvaalstreit schreibt man un- au» Fenilletsn. — — Äuf freien Lahnen. 2f Roman von Rudolf von Gottschall. Nachdruck »ertotm. Er warf die Bücher ärgerlich auf den Tisch und schloß ein Seitenschränkchen auf. 'Ganz anders wirkte dies Zeichen auf ihn ein. Da stand «in schöngebundenes Bändchen neben dem andern, die Frucht seiner Ersparnisse; er hatte Tage lang gehungert, um sich einen solchen Dichter für diesen kleinen Hausschatz zu erwerben und ihn zierlich einbinden zu lasten. Denn nicht im Pappband, wie das traurige Handwerkszeug für die Schule, sollten diese großen Geister erscheinen. Und oben, in einem verschlossenen Fach, bas er öffnete, da lagen Manuscripte selbstverfaßter Schriften, 'Gedichte, Commentare über einzelne Dichter und Ihre Werke, Sammlungen und Aphorismen von fremden uwd eigenen Sprüchen und Ansichten! Das war er selbst, das war sein anderes, seinbesseresJch, herausgeschält aus dem schäbigen Rock des Dorf schullehrers. In deutschen Aufsätzen 'hatte er schon auf dem Seminar geglänzt. Da war er der Beste, anerkannt von allen Lehrern, die sich oft darüber wunderten, wo Barthel den Most holte. 'Das 'war mehr, als die Weisheit des Unterrichtsplanes zu bieten vermochte, und man sprach sogar von angeborenem 'Genie, natürlich mit Achselzucken; denn was sollte später ein wohl bestallter Lehrer damit anfangen? Timotheus nahm die Feder zur Hand; dort unter den Parnassien war ihm mancher neue Gedanke gekommen, und das blonde Gelock seiner Alice hatte ihn gestreift, wir der Flügelschlag der Muse. Eben wollte er einen Spruch in Wersen auf das Papier werfen, al» seine Schwester Eulalie bei ihm eintrat, die gerne Wit ihm ein Wiertelstündchen zu plaudern pflegte. Es war fast ein körperloses Wesen, diese kleine Schwester, die bei ihrer Kleinheit und Magerkeit nicht einmal etwas Zier liches hatte, allerdings auch nichts Zwerghaftes, denn sie war ge rade gewachsen und hielt sich auch wie ein Lineal, aber das ganze Figürchen war so recht wie -um Uebersehrn geschaffen; man wußte wohl, daß die Natur etwa» Weibliches hatte heworbringen wollen, doch sie war beim ersten Anlauf stehen geblieben. Langgedehnte 'GesichtSzüge, eine nicht scharf hervortretende, aber langgestreckte Nase, die nicht recht zu wissen schien, wo sie «in Ende nehmen sollt«, «in paar nüchterne glanzlose Augen, die aber gelegentlich die Dinge doch scharf zu fiziren verstanden, — das waren die besonderen Merkmal«, welche die Eulalia zu «inem aparten Menschencxomplar machten. Sie setzte sich ans Fenster in einen ausgepolsterten Großvater lehnstuhl, welchen der Schullehrer seinem Sohn überlassen hatte. Das kleine Wesen drohte auf dem eingesessenen Sitz zwischen den hohen Lehnen zu verschwinden. „Ko» oti«r ^röre", sagte sie, „was macht Vas blondlockige Fräulein mit den dunklen Augen, des 'Gutsverwalters holdseliges Töchterlein? Denn daß Du Dich nach ihrem Befinden erkundigt hast oder gar mit ihr spazieren gegangen bist, wahrscheinlich auf den Pfaden durch die Haselbüsche, wo's Niemand sieht — das ist mir doch ganz zweifellos." „Spotte nicht", versetzte Timotheus, „wir sind unglücklich genug. Der Alte hat uns überrascht — uns hat ganz andere Pläne, — was soll ^daraus werden?" „Hoffentlich nichts! Müssen denn die Menschen blindlings in ihr Unglück rennen? Diese fatale Verliebtheit, oder Liebe, wie man'» nennen will, ist an sich schon eine Art Blutver giftung, bei der besonders das Gehirn Schaden leidet — und kommt es erst zur Ehe, dann ist der Jammer fertig. Man muß keine Illusionen haben, oster krere — dann ist man glücklich! Sich mich an — ich verachte diese gemeinen Hinterlisten der Natur, womit sie uns für ihre Zwecke dienstbar machen will. Ich lasse mir nichts vorgaukeln — doch man macht mir den Hof." „'Wer denn in aller Welt!" versetzte Timotheus ungläubig. „Nun erst gestern wieder der Baron auf dem Schlosse", ver setze Eulalia, sich im Lehnstuhl etwas in die Höhe richtend. „Meine Freundin, die Baronin, hätte allen Grund eifersüchtig zu werden, wenn sie nicht wüßte, daß das Alles an mir herunter gleitet, wie der Regen an einem Makintosh." „Du bist freilich Lehrerin, nicht» als Lehrerin, aber noch immer ohne Stellung." „iJch kann warten, ich habe gute Zeugnisse und da ich hier auf dem Schlosse heimisch bin, so würde ich mich wo ander» schwerlich so wohl fühlen. Und Lehrerin — Du weißt doch, daß ich noch höher strebe. Dank der gütigen Unterstützung der Baronin habe ich ja auch da-Mädchengymnasium besucht und die Abiturientenprüfung gemacht — doch dann steht man vis-L-vi, cks rien und wird mit Mühe zum Besuch der Collegien zuge lassen. Vielleicht erlange ich noch den Doktorhut, jetzt aber muß ich zufrieden sein, wenn ich irgendwo al» Lehrerin ein Unterkomnren finde; ich darf die Freigebigkeit meiner Freundin Elara nicht länger ausbeuten." „Sie hat freilich viel an Dir gethan. Ihr seid ja ein Herz und eine Seele!" „Ich bilde mir ein, daß auch ich mir ein wenig Verdienst um sie erworben; ich habe sie mit meinem schlichten Verstand von manchem thörichten Streich zurückgehalten. Sie ist mit ihrem 'Gatten nicht sehr zufrieden und hat allen Grund dazu; doch wer einmal in solch einer unglücklichen Ehe drin sitzt, der bleibt besser, wo er ist, sonst kommt er nur sehr zerschunden wieder heraus; denn er muß sich durch sehr enge Luftlöcher hindurchquetschen. Der Baron ist ein Don Juan!" „'Gewiß, wenn er sogar Dir den Hof macht." „Sogar mir?" „Ich meine einer so tiefgelehrten Dame, die in einem Doctor- hut das höchste 'Glück der Erd« sieht! Doch » propos! Da Du mit der Baronin so eng befreundet bist, so könntest Du einmal auf dem Schlosse ein paar Worte zu meinen Gunsten sprechen." „Zu Deinen Gunsten?" „Ja, wegen der Alice! Der Vater ist doch herrschaftlicher Beamter; weh Bros ich esse, deß Lied ich singe, und da könnte ihm die Baronin wohl den Kopf etwas zurechtsetzen, daß er nicht seine Tochter an einen Mann verkuppelt, den sie nicht liebt, son dern daß er ihre Liebe zu mir duldet und gelegentlich, wenn's so weit ist, segnet, obschon dieser schielende Rothkopf mehr zum Fluchen als zum Segnen geschaffen ist." „Das wird nicht geschehen", versetzte Eulalia mit dem Nach druck, womit sie irgend «inem Schulmädchen eine ungehörige Bitte abzuschlagen pflegte. „Du bist recht ungefällig und unliebenswllrdig!" „Darauf kommt es nicht an bei ernsten Dingen; man muß schroff und streng sein können, wenn es Anderen zum Heile gereicht. Aus zweierlei Gründen kann ich Deinen Wunsch nicht erfüllen." „'Das klingt ja recht lehrhaft, wie die Diiposition zu einer Prüfung-akbeit." „Einmal, weil ich selbst Deine Liebe zu Alice nicht billige. Das Mädchen hat kein Vermögen und Du auch nicht. Wollt Ihr zusammen hungern? Meinetwegen magst Du lieben, wie Du willst, ich habe Nachsicht mit den Thorheiten der Menschen und es ist schließlich ganz gleichgiltig, welche Puppe man sich zurechtmacht, um sein Herz daran zu hängen. Da Du aber ihres Vaters Genehmigung haben willst und also an die Ehe denkst, da wird die Sache ernst und ich verwende mich nicht für solche tollhäuSlerische Projecte." „Du könntest einmal weniger verständig sein, oder so viel Verstand besitzen, um einzusehen, daß Andere ander» denken und fühlen wie Du, und daß man aus Menschen- und Bruderliebe darauf Rücksicht nehmen soll. — Nun, und da» zweite?" „Das betrifft meine Freundin; die Baronin. Sie hat zur Ehestifterin nicht das geringste Talent; sie verabscheut die Ehe, nach den trostlosen Erfahrungen, die sie selbst gemacht, und würde keinen Finger regen, um eine Andere in dies Gefängmß hinein- zuwinken. Wäre ich daher auch eine gefügigere und mitleidigere Schwester, so würde meine Fürsprache gar nichts helfen. Clara ist gut, seelensgut, aber unerbittlich ablehnend, wenn es sich um derartige Dinge handelt!" Es trat «ine kleine Pause ein, die Geschwister blickten ver drossen vor sich hin, Timotheus trommelte an die Fensterscheiben. „Ist der Vater zu.Hause?" „Er hat wieder sein Zimmer verdunkelt und ist mit seiner Laterna Magica beschäftigt — es ist unheimlich. Er gefällt mir gar nicht; denn es ist eine Art von Geisterseherei. Immer muß die Zauberlaterne das Bild des alten verstorbenen Barons an die Wand werfen und dann — ich hab' ihn mehrmals be lauscht — sprach er mit ihm, als wenn er aus dem Jenseits zurückgekommen wäre. Ich fürchte, Vater wird noch geisteskrank werden." „O nein, er prügelt seine Schuljungen immer noch ganz zur rechten Zeit, wenn sie Prügel verdient haben, uns weiß mit den zehn Geboten und dem Katechismus aufs Beste Bescheid. Er hat nur seine merkwürdigen Anwandlungen; er liest allerlei spiritistische Schriften; warum er gerade den alten Baron nach einem Bilde, das er sorgfältig aufbewahrt, an die Wand zauben — darüber giebt er keine Auskunft. Laß ihm seine Liebhabereien! Nach dem Tode der Mutter hat er ja nichts Anderes mehr und es ist besser, er malt den alten Baron an die Wand als den Teufel." „Dazu wird's auch noch kommen, wenn's so fort geht! Ich habe in einem Schube seines Schreibtisches, den er offen stehen ließ, eine ganze Bibliothek von Schriften entdeckt, die von den Geistern und Dämonen, von den Medien, von den wirksamen Be schwörungen handeln, von den Seelenleibern die von den erd schweren und zur Erde gewordenen Körpern sich zart, leicht, flug fähig loslösen. Wer so viel krauses Zeug verschlingt, der muß bald a» geistigen Vcrdauungsbeschwerden leiden." „Gehen wir einmal herunter und klopfen wir an die Thür, damit die Geister reißausnehmen!" Timotheus und Eulalia störten bald darauf den Vater in seinem Geheimcultus; sie mußten lange Zeit warten, »he er öffnete. Es war wieder hell und licht im Zimmer, die Fenster standen offen und nur da» weiße Tuch an der Wand und der Apparat auf dem Tische erinnerten noch an des Vater» Lieb habereien, wie sie Timotheus beschönigend zu nennen pflegte. ES war ein sehr große» Zimmer; an der einen Seitenwand
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