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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.10.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991007021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899100702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899100702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-07
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Miquel nab« stehenden Seite als nur theilweise zutreffend bezeichnet, denn Herr v. LucanuS habe zwar dem preußischen Finanzminister im Auftrage des Kaisers einen Besuch abgestattet, aber dieser Besuch habe nicht den Zweck gehabt, einen Bericht über den »Fall Zedlitz" einzufordern, sondern den Zweck, Erkundigungen über die Ursache der agrarcouservativen Miquelhetze einzu- zieben. Wörtlich hieß es in jener Darlegung: „Herr v. Lucanus hatte Nominten verlassen, unmittelbar nach- dem die auffallenden und inzwischen zuriickgenommenen Angriff« gegen Len Minister v. Miquel in der „Kreuzzeitung" und in der „Deutschen Tageszeitung" erschienen und dort bekannt geworden waren. Das war am vorigen Mittwoch (27. Septeinber). Die Vermutbung liegt deshalb nahe und dürfte zutreffen, daß er nach Berlin zurückgekchrt war, um sich an erster Stelle über die Ursache und die Bedeutung dieser merkwürdigen Artikel zu unterrichten, und daß er zu diesem Zweck den Minister von Miquel besucht hat. Vom Minister von Miquel einen Bericht über den „Fall Zedlitz" ein- zusordern, lag für Len Kaiser schon deshalb keine Veranlassung vor, als, wie glaubwürdig verlautet, ein solcher Bericht bereits un aufgefordert erstattet war. Darin konnte zugleich mitgetheilt werden, daß Freiherr v. Zedlitz aus Verlangen des Staats- Ministeriums seine Mitarbeiterschaft an der „Post" bereit- aufgegeben hatte. Mit diesem schnellen und durch- greifenden Vorgehen waren die Zettelungen wirksam durchkreuzt, die ohne Frage von beachtenswerther und starker Seite unternommen waren, um den Minister v. Miquel zu stürzen, und mit denen aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Enthüllung LeS „Vorwärts" in engster Verbindung gestanden hat". Heute wird uns nun von derselben Seite, von der das obenerwähnte Telegramm herrübrte, berichtet: Ter Präsident der Scehandlung Freiherr v. Zedlitz-Neu- kirch hat um seine Entlassung nachgesucht und wird zu Anfang des kommenden Jahres penjionirt werden. Hieraus wird man Wohl schließen dürfen, daß der Chef des Geheimen Civilcabinetö, als er am vorigen Freitag Herrn v. Miquel im Auftrage des Kaisers besuchte, auch über den „Fall Zedlitz" sich weiter orientirt hat und daß infolge dieser weiteren Orientirung Herr v. Zedlitz aufgefordert worden ist, bei seinem nolhgedrungcnen Verzichte auf die lohnende Mit arbeiterschaft an der „Post" nickt stehen zu bleiben, sondern auch sein Amt niederznlezen. Ob Herr v. Miquel, der den „Fall" abgetkan zu haben glaubte, von dem zweifellos nicht freiwilligen Nücktrittsgesucke des Herrn v. Zedlitz sehr erbaut ist, wagen wir nickt zu entscheiden; jedenfalls beweist dieses Gesuch den agrarcouservativen Canalgegnern, daß das scharfe Vorgehen gegen die Beamten, die in Wort und That dem Canalprojecte der Regierung die schärfste Opposition gemacht und Herrn v. Miquel in den Verbackt gebracht halten, er begünstige im Stillen diese Opposition, von den Ministern an höchster Stelle nicht besonders befür-1 «ortet zu werden brauchte. Haben nun die Erkundigungen I des Herrn v. LucanuS über den Fall Zedlitz eine so auf- > fällige Wirkung gehabt, so muß man sich darauf gefaßt machen, daß auch seine übrigen Erkundigungen überraschende Folgen haben werden. Die „Miquelhetze" ist ja inzwischen wieder eingestellt worden, aber es wäre seltsam, wenn Herr v. Lucanus von Herrn v. Miquel nicht wenigstens An deutungen über den oder die vermuthlichen Urheberder Hetze erbeten hätte und diesen Andeutungen nicht auf den Grund gegangen wäre. Dir „Kreuzztg." hat über den großen Unbekannten, der sie auf den Leim geführt, um einer von ultramontaner Seite gesponnenen Jntrigue zu dienen, erst dieser Tage wieder gesagt: „Von einer Persönlichkeit, deren bona kiäos über jeden Zweifel erhaben ist, deren Namen der Oeffentlichkeit mit- zutheilen aber kein Interesse vorliegt, hatten wir die Ansicht äußern gehört, daß nicht, wie man bisher angenommen hatte, der Reichskanzler Fürst Hohenlohe, sondern der Bicepräsident des Staatsministeriums vr. v. Miquel zur Zuspitzung deS Gegensatzes zwischen Len Coiiservativen und der Staatsregierung beigetragen habe; insbesondere sei Herr v. Miquel auch anDder Maßregelung der Beamten stark bethriligt gewesen. Da, wie gesagt, diese Mit theilungen uns von zuverlässiger Seite gemacht wurden, glaubten wir, sie unseren Lesern nicht vorenthalten zu dürfen." ES wäre seltsam, wenn der Kaiser die „zuverlässige" Persönlichkeit, „deren doua Säe8 über jeden Zweifel erhaben ist", nicht näher kennen zu lernen und ihren Zettelungen nickt durch ein ebenso „durckgreifendes Vorgehen" wie im Falle Zedlitz ein Ende zu machen suchen sollte. Die HumauitätSreclamc, die der UltramontantsmuS zu politischen Wahlzwecken macht, hat unbestritten große Er folge aufzuweisen. Das ist auch auf der soben tagenden General-Versammlung des brandenburgischen HauptvereinS des evangelischen Bundes an erkannt worden. Es wurde dort aber auch hervorgehoben, daß die klerikale Methode mehr eine propagatorische als eine christliche und humane sei. Prof. vr. Zimmer be merkte mit vollem Rechte, daß die vermeintliche Ueberlegen- heit der katholischen Pflegesckwestern eine Täuschung sei, hervorgerufen durch die Gewohnheit der katholischen Kirche, ihre besten Pflegeschwestern in gemischte oder Protestantische Gegenden zu schicken und darüber lieber katholische Gemeinden zu vernachlässigen. Zufällig ist in diesem Augenblick eine Probe auf daS Exempel römischer LiebeS- thätigkeit zu macken, und zwar ist es ein Bischof, dem man daS Material verdankt. Der Bischof Turinar von Nancy bat nämlich über die Zustände im dortigen Kloster „zum guten Hirten" folgenden Bericht nach Nom gehen lassen: „Im Kloster zum guten Hirten zu Nancy giebt man Len Waisen mädchen bei ihrem Austritt aus der Anstalt nichts, selbst nachdem sie Lurch fünf-, zehn- oder zwanzigjährige Arbeit dem Orden viel Geld eingebracht haben. Man setzt sie auf die Straße, ohne selbst sich um «ine Stelle für sie zu bemühen. Diese jungen Mädchen, Ganz- oder Halbwaisen, sind allen Gefahren und Verführungen ausgesetzt. Sechzig sind dieses Jahr ohne Mittel entlassen worden mit Ausnahme zweier oder dreier, denen auf mein ausdrückliche» Verwendru ein wenig Geld gegeben wurde, damit die Schwestern sagen können, nicht Alle seien ohne jegliche Mittel weggeschickt worden. Nicht um die Liebe zu den Seelen handelt es sich hier, sondern um Sittlichkeit und Gerechtigkeit, denn das Geld zu den Kloslerbauten ist meistens durch die Arbeit dieser Waisenmädchen erworben worden; hier liegen mit Rücksicht aus den säst verhängnißvollen Untergang der Waisen himmelschreiende Verbrechen vor. Die Nonnen verfolgen keinen andern Zweck als den, nur Geld zu machen. In- dem sie den elternlosen Mädchen den Austritt erschweren dadurch, daß sie ihnen nichts mttgeben, können sie dieselben jähre- lang ausbeuten und auf ihre Handfertigkeit und Leistung speculiren. Unter den Stickarbeiten giebt es Betttücher und Leibwäsche von solchem Luxus, so kostbar und künstlich, daß, nach Aussage ehrbarer Frauen, die ich zu Rathe zog, sie nur für eine gewisse Frauenwelt (oourtisanes) bestimmt sein können. Eine ehrbare Frau, selbst die reichste, eleganteste und westlichste, bedient sich solcher Betttücher und Hemden nicht. Gerade diese Arbeiten, entgegnete die Vorsteherin auf eine Bemerkung, bringen uns das meist« Geld ein. Ein großer Theil der Mädchen muß täglich über die gesetzlichen Stunden hinaus arbeiten; beim Besuch der staatlichen Aussichtscommission verichwindcn sofort alle Kinder unter 12 Jahren aus den Arbeits zimmern. Wegen angeblich prejsirender Arbeit geben die älteren Mädchen noch einen Theil der täglichen Erholungszeit preis auf Grund von Versprechen, die aber nicht gehalten werden. Ich bin geneigt, zu glauben", führt der Bischof fort, „daß diese Zustände in größerem oder kleinerem Maße in vielen Häusern dieser Con« gregation, vielleicht in allen herrschen; denn machte Las Schwestern haus in Ranzig eine Ausnahme, so würden die Mutter Provinzialin und die Generalvorsteherin entrüstet und ohne «ine Reclamation ab- zuwartrn, mit allen Mitteln die Ranziger Anstalt zur Ordnung gerufen haben. Sind sie taub gegen alle Vorstellungen, so billigen sie die hiesigen Zustände." Dieses Schreiben ging also nach Rom, wo zur Zeit be kanntlich der „große sociale Papst" Leo XIII. die Kirche regiert. Die Antwort war ein Befehl an den Bischof, zu schweigen. Unsere deutschen klerikalen Zeitungen haben selbstverständlich das Schweigen keinen Augenblick gebrochen. Für sie, die angeblichen Pächter des echten socialen Gedankens, existirt der sociale Scandal von Nancy so wenig wie ver religiös-sittliche von Straubing. Die „Germania" hat von den verrückten Dingen, die in dem obcrpsälzischen Dorf ein Menschenalter hindurch ein Priester verübt, noch keine Notiz genommen, wirb cs auch künftig nickt. Wir begreifen dieses Toblschweigen und beißen es willkommen, denn ihm kann nur das Bewußtsein zu Grunde liegen, daß solche Vorgänge, wie die in Straubing enthüllten des symptomatischen Charakters nicht entbehren. Auswürflinge giebt es überall, überall weiß man das und eines vereinzelten schändlichen Mitgliedes, wenn es sich in der Thal als solches in irgend einem Kreise erwiesen hat, hat sich der Kreis nicht zu schämen; der insgeheim von einem Einzelnen aufgehäufte sittliche Schmutz reicht nicht an die Fußsohlen der in Unwissenheit gehaltenen getäuschten Genoffen. Wenn die ultramontanen Blätter über den Straubinger Fall einen Schleier breiten, so werden sie wohl befürchten, ibr Lesepublicum könnte durch die dort aufgedeckten moralischen Unlhaten an ähnliche Dinge erinnert werden. In Testerrelch beginnt man nach dem im heutigen Morgen blatte mitgetheilten Beschluß des ExeculivaussckusseS der Parlamentsmehrheit erleichtert auszuathmen. Die Rechte will — und da der Beschluß einhellig gefaßt wurde, sind auch die Jungtsckecken eingeschlossen — den Verband der Mehrheit aufreckterhalten und den Sprachenstreit endgiltiz regeln helfen. Dieser Beschluß entbält eine ziemlich deutliche Antwort auf die Frage, ob die Aufhebung der Sprachen verordnungen mit der Obstruktion von ver reckten Seite werde beantwortet werben. Das war e- ja, was während Les ganzen Kampfes gegen die Sprachenverortnunzen wie ein keines Beweises bedürftiges Axiom der Forderung der Deutschen entgegengeslelll wurde, was angeblich die Ministerien Babrni, Gautsch und Thun verhinderte, Lieser von allen Dreien als gerecht anerkannten Forderung zu willfahren, und es würde auch für daS Ministerium Clary eine gefährliche Klippe bilden, an der seine ganze Mission scheitern könnte, wenn eS wirklich, wie immer prophezeit wurde, die deutsche Obstruction gegen die der Majorität oder doch gegen die tschechische eintauschcn müßte. Der Beschluß LeS Executiv- comilös klärt aber darüber auf, daß diese Klippe nicht zu fürchten ist. Daß die Rechte als solche, daS heißt, daß sämmtliche Parteien, aus denen die Majorität sich zu- sammcnsetzt, nicht gesonnen sind, das Ministerium mit Obstruction zu bekämpfen, das geht nicht bloS daraus hervor, daß der die Verhaltungsliuie der Rechten feststellende Beschluß kein Wort von Obstruction enthält, das ist auch positiv in der Erklärung enthalten, daß die Rechte eine endgiliige Beilegung des Sprachcnstreites anstrebe. Durch Obstruction kann überhaupt keine Beilegung des Sprachenstreites, geschweige eine endgiltige herbeigeführt werden, das leuchtet von selbst ein. Des Weiteren ist die endgiltige Beilegung des SprachenslreiteS, welche der Beschluß als Ziel aufstellt, nur durch ein Gesetz zu erreichen im Gegensätze zu dem bis her festgehaltenen VerordnungSweze, und damit ist mit aller Deutlichkeit gesagt, daß die Neckte der Aufhebung der Ver ordnungen sich nicht mehr widersetzt und die Durch setzung ihrer Auffassung von sprachlicher Gleichberechtigung nickt mehr durch Verordnungen, sondern auf dem Boden der Gesetzgebung anstreben will. So ist wenigstens so viel erreicht, daß das Ministerium Clary nicht gleich bei seinem ersten Auftreten niedergeritten wird. Es wird die Sprachen verordnungen aufheben und auch sein übriges Pensum voraus sichtlich ungestört erledigen können. Dann freilick, wenn das jetzige Uebergangsminisleriuin durch ein den McbrheitSverhält- uissen entsprechendes Cabinet ersetzt sein wird und das Sprachengesetz ans der Tagesordnung siebt, werden die Gegensätze wieder scharf aufeinanderplatzen und der Tanz von Neuem beginnen. Aengstlick und unsicher flattert die Friedenstaube noch zwischen England und Transvaal bin und her, aber das Oelblatt will ihr Niemand mehr abnebmcn. ES sind auch nur mehr die Führer der liberalen Partei in England, welche noch immer zu vermitteln suchen. Die Rede Campbell Bannerman'S, des Vorkämpfers der Liberalen im Unterhaus?, haben wir schon mitgetbeilt. Kein Geringerer als John Morley secnndirt ihm, indem er gleichfalls die beiden Gegner beschwört, nochmals den Weg der Verhandlungen zu betreten. Die uns vorliegende Meldung lautet: * Loudon, 6. Lctober. Auf einer im Interesse der Erhaltung Les Friedens einberufenen Volksversammlung in Carnarvon hielt John Morley eine Rede, in der er auf die Mäßigung und auf die annehmbaren Aeußerungen des Herzogs von Devonshire hiuwieS und darlcgte, Laß Großbritannien keinen Wunsch hege, an Feuilleton. Auf freien Lahnen. 6f Roman von Rudolf von Gottschalk. Nachdruck veriotea. Da war ihm jede Störung unwillkommen, am unwill kommensten der Besuch, der jetzt unangemeldet in den Garten trat; denn der Mann war ihm mißliebig und ein seltener Gast, weil auch er an dem maxister looi keinen Gefallen fand. Es war der Inspektor Bärmann; der Schullehrer begrüßte ihn mit einer Höflichkeit, in welcher etwas Herablassendes lag; er fühlte sich dem Gast überlegen, denn wenn auch dieser als die recht« Hand des Barons im ganzen Dorfe geachtet und gefürchtet war und hoch zu Pferde wie ein Generalissimus seine Arbeiter zu commandiren pflegte, so blieb er doch immer ein Privatbeamter und konnte sich mit dem Schullehrer und -Cantor Blomer nicht in eine Linie stellen, da dieser zugleich Staatsbeamter und Kirchettbeamter war. Bärmann hegt« im Stillen die gleich« Geringschätzung für den Dorfschullehrer, und so war die Be grüßung der Beiden nicht allzu freundlich. Als der Inspektor neben Blomer Platz genommen, ließ er seine Blicke im Garten umhcrschweifen und diese Umschau er weckte bei ihm alsbald ein feindseliges Gefühl. Er hatte nicht allzu weit von der Laube die Bienenstöcke bemerkt, die einen Stolz des Lehrers bildeten — denn allgemein anerkannt war er al» vortrefflicher Bienenzüchter — und das erweckte den Neid de»- Jnspectors, der mit seinen Stöcken in letzter Zeit fortwährend Unglück hatte. „Sie kommen doch wohl nicht, sich über meine Jungen zu be klagen", versetzte Nepomuk. „Das auch, das auch", sagte d«r Inspektor, „man hat ja fort währendes Aergerniß mit den Bengeln, sie tummeln sich auf den Parkwiesen, sie brechen Stöcke in den Gebüschen los; neulich haben sie sich auf den Blumenrabatten dicht am Schloß herum gejagt. Sie müssen strenger sein, Herr Blomer." „Das hat mein« vorgesetzte Behörde noch me von mir ver langt; sie weiß, daß ich unnachsichtlich strafe." „Immer noch zu rücksichtsvoll, HerrBlomer, glauben Sie mir! Ohne die Prügelstrafe kommt die Menschheit nicht vorwärts, aber recht empfindlich muß sie sein, keine blos angedeutete Züchti gung. Das muß nachwirken Tage lang, man muß die Sünder mit Striemen tätowiren. Es giebt gar keine andere Erziehung. Das Gedächtniß ist schwach und die guten Lehren werden ver spottet und auf den Kopf gestellt. Ja, ja, die Welt ist sehr verderbt, und wir müssen den Nachwuchs beim Kopfe nehmen und gehörig herumzausen, bis er Ordre parirt, doch dei meinem Besuch handelt es sich um etwas Anderes, allerdings auch um den Nach wuchs, um Ihren Sohn nämlich." „Nun, der wird doch nicht Ihr« Felder oder Ihren Park ver wüstet haben." „Schlimmer, schlimmer, Herr Blomer! Er hat das Herz meiner Tochter gestohlen — und das brauche ich jetzt sehr nöthig; eS ist ein Capital, das ich anlegen will." „Timotheus ist ein so ernster, stiller Mensch." „Das gerade sind die gefährlichsten." „Er hat leine Ader von ein«m Don Juan! Nein, lieber In spektor, in einem solchen Falle sind di« Mädchen immer dir Schuldigen; di« Evastöchter können das verwünschte Kokettiren nicht lassen." „Ach, wenn es sich blos darum handelte, dann würde ich dafür sorgen, daß meine Tochter mit einem Anderen kokettirte." „Das läßt sich doch nicht commandiren, das geht doch nicht wie „Augen rechts, Augen links" beim Militär." „Hören Sie mich, Herr Blomer! Ihr Sohn hat gewiß große Vorzüge, ich höre davon, ich kenne ihn nicht genau genug, dergleichen bleibt lange im Dunkeln, an seinen Fortschritten im Lehrerberuf wird man es wohl merken. Doch diese Fortschritte sind im Ganzen sehr langsam, und auch das letzt« erreichbare Ziel ist kein glänzendes — mit einem Wort, Ihr Sohn ist kein Mann für mein« Tochter." „Nun, die Trauben hängen doch nicht allzu hoch." „Meine Tochter ist ein anderes Leben gewöhnt — in einem solchen in ein Dorf eingeklebten Schulhaus kann sie nicht ihr Nest bauen." „Nun, sie ist doch kein Schloßfräulein." „Doch ich habe gesellschaftliche Beziehungen — angesehene Leute kommen zu mir in» HauS, ich habe einen guten Weinkeller." „DaS ist doch keine Mitgift für Ihr Kind?" „Eine kleine Mitgift hat sie selbst, doch darauf kommt'» ja nicht an. Sie ist hübsch und hat andere Bewerber als einen jungen Seminaristen mit seinen kläglichen Aussichten. Und gerade jetzt... ich wünsche nicht, daß sie ihr LebenSglück ver scherzt. Herr Hugo Tram» bewirbt sich bei mir um ihre Hand. Sie kennen ja die Trams, und d«r Vater, der dick« Herr von drüben, ist sehr vermögend, er will dem Sohne ein Gut kaufen. Der Sohn, ein feiner, gebildeter, junger Mann — und dar Allerweltsmädel hat sich Ihren Timotheus in den Kopf gesetzt, der dem Anderen doch nicht die Schuhriemen lösen kann — ich meine nur, was die Stellung und Geltung in der Welt betrifft. Genie mag er ja haben, doch das ist Privatvergnügen, das ist etwas Brodloses, das kommt gar nicht in Betracht." „Doch ich weiß nicht, Herr Bärmann, was ich in dieser Sache thun soll, ich kann doch nicht Ihrer Tochter den Kopf zurecht setzen. Sie scheinen Ihre pädagogischen Fähigkeiten bei ihr nicht genug benutzt zu haben. Sie erläuterten mir vorhin eine so sieg reiche Theorie, womit man die ganze Menschheit vorwärts bringen soll. Die hätte doch wohl auch ihrer Tochter zugute kommen können; eindringliche Strafen müßten ihr doch Respect vor dem Vater beibringen." „Davon ist nicht die Rede, doch ich verlange von Ihnen, daß Sie mit Ihrem Sohne sprechen und ihm vorhalten sollen, wie verbrecherisch es von ihm ist, ein Mädchen um sein Lebensglück zu betrügen. Er weiß am besten, daß er ihr jetzt nichts bieten kann, und auf lange Zeit hinaus nichts, was sich der Mühe lohnte, seinen Namen zu führen." „Ich werd's erwägen, Herr Nachbar. Recht ist mir der ganze Handel nicht; doch ich habe bisher davon nur läuten hören. Ich will der Sache auf den Grund gehen. Doch vergessen Sie nicht, es giebt geheimnißvolle Beziehungen, wie im Geisterreiche, Seelenvenvandrschasten, unwiderstehliche Mächte, wogegen wir nicht ankämpfen können." „Ach Lari fari", meinte Bärmann verdrießlich, „bleiben wir nur hier auf Erden, wo der Hans, wenn er nicht die Grete bekommen kann, di« Martha nimmt. Ihr Sohn wird schon ein Mädchen finden, das für ein Schulhaus geeignet ist. Meine Alice wäre es nicht, auch wenn ich sie nicht anderweitig vergeben hätte." „Mir wäre eS auch lieber, wenn 'Timotheus nicht ein blut armes Mädchen nähme." „Blutarm?" sagte Bärmann, „Alice hat ein kleines Ver mögen!" „Etwas Nadelgeld", meint« der Schullehrer, „doch mein Sohn hat Geist und wer Geist hat, der hat Bedürfnisse, die über den täglichen Lebensunterhalt hinausgehen, und er wird noch ein Mädchen finden, bas Geist und Geld hat. Geist, um seinen Werth zu schätzen, Geld, um seinem Geist freien Spielraum zu verschaffen. Eine schlichte JnspectorStochter —" „Ich biete sie ja nicht an", sagte Bärmann aufbrausend, „ich schlage nicht vor. Sie brauchen um ihren Preis nicht zu mäkeln." „Ich will schon dagegen reden, wen-n's nur nicht Vor bestimmung ist! Es giebt eine Vorbestimmung, Herr Bär mann; es giebt Geister, welche Liebende zusammenführen, Geister, welche der Erde nahe sind." „Ein Heirathsbureau in den Lüften." „Dagegen anzukämpfen wäre Vermessenheit, doch wenn es sich blos um eine Liebelei handelt —" „Dann sind wir einig, Herr Blomer — und es ist gut so! Auch Sie haben Ihren Nutzen davon, es kann Ihnen manches Deputat vom Schloß zukommen, Kartoffeln und Eier, und uni Martini eine Gans, auch Warst und Schinken am Schlachtfest! Nun, wir verstehen uns — leben Sie wohl." Bärmann schied mit einem Händedruck, den der Lehrer nur zög»rnd erwiderte. Kaum hatte dieser den Garten verlassen, als der Rechtsanwalt Runzel aus der Großstadt cinfuhr, er wurve sofort in die große Stube geführt, die Fenster zugemacht, die Thüren abgeschlossen; doch Eulalia hatte durch das Küchenfenstcr seine Ankunft bemerkt, rasch einen Strohhut aufgesetzt und war dann auf das Schloß hinaufgcflogen; sie kam mit der Baronin zurück, die sie in ihr Kämmerlein führte. Uns als der Rechtsanwalt sich nach längerer Berathung mit dem Pater zur Abfahrt rüstete, da rief sie ihn zu sich, die Baronin wünsche mit ihm zu sprechen; er war davon überrascht, er wußte, daß auf dem Schlosse Siebeneck ein anderer College in Rechtsfragen seinen Rath «rtheilte. „Sie wünschen, meine Damen?" — „Wir sind in einem Labyrinth, Sie kennen alle geheimen Gänge und Schleichwege." „O nein", versetzte der Justizrath mit ablehnender Kälte, „durch diese zwäng' ich mich nicht hindurch, das ist nicht meine Sache." „Das verlang' ich auch nicht von Ihnen", versetzte die Baronin, uüd Eulalia setzte hinzu: „Nein, nein, -meine Freundin und ich, wir lieben den geraden Wag, aber wir brauchen doch «inen Wegweiser." „Dazu sind solche hölzernen Leute, wie ich, gut genug", sagte der Justizrath mit leichtem Zucken um seine Mundwinkel, es war seine Art, humoristisch zu sein; er sckwnte sich selbst nicht und erwarb sich damit das Recht, auch andere Leute und die ganze Welt nicht zu schonen. „Ich wünschte, daß all« Männer au» solchem Holz geschnitzt, so tüchtig und nützlich wärm", sagte die Baronin mit der gesell schaftlichen Gewandtheit ihrer Kreise, „ich habe Vertrauen zu Ihnen. So hören Sie mich freundlich an. Ich habe in die Ehe ein recht beträchtliche» Vermögen eingebracht — welche Rechte hat mein Mann darauf?" „Das Recht der Nutznießung und Verwaltung —'
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