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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991010018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899101001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899101001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
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Novelle zu einem Gesetz, nämlich der Neichsgewerbeordnung von 1869, feiern könne. 25 großentheils sehr wichtige Abänderungen in 30 Jahren — das beweist, wie sehr das deutsche Gewerberecht mit den An forderungen der wirthschaftlichen und socialen Entwickelung in Einklang zu halten versucht wurde, wie schwer es aber schließlich lvird, sich auf diesem nach wie vor im Fluß befindlichen Gebiete der Gesetzgebung auszukennen. Thatsächlich ist die Gewerbe ordnung das am meisten abgeänderte und ergänzte deutsche Gesetz, welches wir haben. Fehlt es ja auch nicht an Stimmen, welche meinen, daß wir an einer Ueberproduction der Gesetzgebung leiden: auf socialpolitischem Gebiet ist das Tempo in den letzten Jahren thatsächlich schon gemäßigt worden. Jedenfalls ist es bei der großen Bedeutung und dem stetig wachsenden Gebiete des deutschen Gewerberechts von Werth, eine kurze, populäre Uebersicht und Einführung, neben den großen Commentarrn von Landmann u.s.w., zu haben. Eine solche praktische Darstellung nach Materien, nicht zu schematisch in Paragraphen u. s. w. eingetheilt, hat jetzt in dankcnswerther Weise Regierungsrath Wengler, Vor sitzender der Schiedsgerichte für die Unfall-, Jnvaliditäts- und Altersversicherung zu Leipzig, im Auftrag des „Verlags der Handelsakademie Leipzig" (vr. L. Hubert!) veröffentlicht (120 Seiten, Preis geb. 2,75 <?/(). Nach der Rcichsverfassung unterliegen die Bestimmungen über den Gewerbebetrieb einschließlich des Versicherungswesens der Beaufsichtigung und der Gesetzgebung des Reichs. Die erste Ge werbeordnung vom 21. Juni 1869, welche zunächst für den nord deutschen Bund erlassen wurde, ist nach der Gründung des deut schen Reichs alsbald in den süddeutschen Staaten eingeführt worden und 1889 auch in Elsaß-Lothringen in Kraft getreten. Am 1. Juli 1883 erhielt die Gewerbeordnung in Folge der in zwischen erfolgten vielseitigen Abänderungen eine Neuredaction, durch das Arbeiterschutzgesetz vom 1. Juni 1891, welches besonders einen Maximalarbeitstag für weibliche und jugendliche Arbeiter einfllhrte, ferner durch das namentlich die Abschnitte über den Hausirhandel betreffende Reichsgesetz vom 6. August 1896 und das Gesetz über die Organisation des Handwerks vom 26. Juli 1897, welches zur Zeit noch in der Durckssührung begriffen ist, hat die Gewerbeordnung weiter sehr einschneidende Umgestal tungen erfahren. Auch die Einführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuch und zum Handelsgesetzbuch sind auf die Gewerbe ordnung nicht ohne Einfluß geblieben. Die deutsche Gewerbeordnung geht von dem Princip der Ge- werbefrciheit aus; grundsätzlich' wurden mit ihr die bisher in deutschen Ländern bestandenen Beschränkungen in der Befugniß zur Ausübung eines Gewerbetriebes aufgehoben. Gehören an sich schon die Land- und Forstwirthschaft, der Garten- und Weinbau, die persönlichen Dienstleistungen höherer Art, sowie der Hof-, Staats-, Gemeinde-, Kirchen- und so weiter Dienst nicht zum Gewerbe, so hat die Gewerbeordnung die Fischerei, das Unter richtswesen, die advokatorische und Notariatspraxis, den Betrieb der Auswanderungs- und Versichcrungsunternehmer, der Eisen bahnen u. s. w. besonders von ihrem Geltungsbereiche aus geschlossen. Bekannt sind die Bestrebungen der Aerzte, ganz aus der Gewerbeordnung herauszukommen. Die Gewerbeordnung unterscheidet zwischen stehendem Gewerbebetrieb und Gewerbe betrieb im Umherziehen, sowie Marktverkehr. Wer den selbst ständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes anfängt, muß der Gemeindebehörde des Ortes, wo dies geschieht, gleichzeitig Anzeige davon machen. Gewerbliche Anlagen, welche durch die örtliche Lage oder die Beschaffentheit der Betriebsstätte für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke oder für das Publi cum überhaupt erheblich« Nachtheile, Gefahren oder Belästi gungen herbeiführen können, bedürfen einer besonderen Genehmi gung. Die Ausübung einiger Gewerbe kann von einer Appro bation oder Concession abhängig gemacht werden (Aerzte, Apo theker, Seeschiffer, Schauspielunternehmer u. s. w.); andere Ge werbebetriebe können untersagt werden, wenn 2hatsach«n vor liegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Betreff des Gewerbebetriebs darthun, so Tanzunterricht, Trödelhandel, Loosehandel u. s. w. Den Landesregierungen sind einzelne Beschränkungen überlassen, sie können u. A. bestimmen, daß das gesammte Schank- und Gastwirthschaftsgewerbe und der Kleinhandel mit Branntwein und Spiritus in Ortschaften mit weniger als 15 000 Einwohnern überhaupt, in Ortschaften von mehr als dieser Einwohnerzahl durch Ortsstatut vom Nach weise eines vorhandenen Bedürfnisses abhängig gemacht wird. Den allgemeinen B ef ähi gun g sna ch we i s, wie er in Oesterreich eingeführt und auch bei uns eine langjährige Forde rung der „Zünftler" ist, perphorresciren mit Recht die verbündeten deutschen Regierungen nach wie vor. Das ist bei Schaffung des neuen Handwerkergesetzes, welches, uns die „fakultativen Zwangsinnungen" brachte, klar ausgesprochen worden. Für den Gewerbebetrieb im Umherziehen ist ein von der höheren Verwaltungsbehörde zu ertheilender Wandergewerbe schein nothwendig, bestimmte Gegenstände oder Personen sind von diesem Gewerbebetrieb ausgeschlossen bez. können davon.Lus- geschlossen werden u. s. w. Der Besuch der Messen, Jahr oder Wochenmärkte, sowie der Kauf und Verkauf auf denselben steht einem Jeden mit gleichen Befugnissen frei, also den aus wärtigen Marktbesuchern ohne Wandergewerbeschein. Für ge wisse Handwerkerwaaren brauchen nach Ortsgewohnheit aus wärtige Verkäufer auf Wochcnmärkten nicht zugelassen werden. Vorstehend ist nur ein kurzer Abriß der Grundbestimmungen aus dem deutschen Gewerberecht gegeben. Stark in dasselbe ein greifen wird das neue Handwerkergcsetz vom 26. Juni 1897, welches bisher noch nicht völlig durchgeführt ist. Wie das Arberter- schutzgesetz von 1891, bedeutet es zweifellos in unserer von den manchesterlichen Doctrinen des luisser tniro luisser aller stark zurückgekommenen Zeit eine Einschränkung der früheren „libe ralen", dem Einzelwillen große Freiheit lassenden Grundsätze. Ein weiterer sehr bedeutsamer Schritt nach der staatlichen Rege lung und Neglementirung ist mit der Bäckereiverordnung von 1896 gethan; es ist damit anerkannt, daß der Bundcsrath auf Grund des 8 120 der Gewerbeordnung schließlich für jedes Ge werbe den sogenannten „sanitären" Maximalarbeitstag einführen kann. In unseren Tagen dreht sich das größte Interesse um die in der Gewerbeordnung gewährte Koalitionsfreiheit, die bekannten 88 152 und 153. Das sogenannte „Zuchthaus gesetz" soll einen besseren Schutz der Arbeitswilligen gegen Terrorismus schaffen, als bisher 8 153 der Gewerbeordnung bietet. Die Reform ist in Gestalt eines besonderen Gesetzes dem Reichstag eingebracht, würde aber mit Aufhebung des 8 163 abermals eine hochwichtige Aenderung der Reichsgewerbeordnung bedeuten. Werden die Engländer in Transvaal siegen? Die in Amsterdam erscheinend« „Drutsche Wochenschrift in den Niederlanden" veröffentlicht folgenden interessanten Privatbrief: Pretoria, den 2. September 1899. Die Anfrage wegen meiner Ansicht über die Zustände in Südafrika will ich durch folgende Betrachtung erledigen, die ich aus meiner Vertrautheit mit Land und Leuten während eines zehnjährigen Aufenthaltes geschöpft. Laut Nachrichten aus Hol land beunruhigt man sich daselbst mehr als hier zu Lande. Es scheint, daß man in Europa allgemein glaubt, dir Boeren seien dem mächtigen Albion nicht gewachsen und sie müßten in Bälde die Niederlage erleiden. Das träfe sicher zu, wenn die Boerenrepubliken in Europa lägen, aber unser Land liegt mitten in Afrika, die Grenzen sind Hunderte von Wegstunden von der englischen Operationsbasis entfernt, und von da bis zu unserem Centralpunct Pretoria besteht ein Abstand von mindestens noch 60 Stunden. Pretoria ist gegenwärtig eine Feste, die selbst in Europa Respect einflößen würde. Bis an die Grenzen kann der Feind sich der Bahn bedienen, aber innerhalb derselben ist sie natürlich in der Macht der Boeren, während die Hauptpuncte gut vertheidigt werden können. Sind die Engländer genöthigt, ihren Train durch Ochsen und Mlultbiere mitzufühvn, dann werden sie zu ihrem Schaden erfahren, was dies heißm wHl. Man muß diese Art drei Trans portes hier kennen, um sich einigen Begriff davon machen zu rönnen, und muß ferner in Betracht zieh«n, daß für die Jnva- sionstruppen auch nicht das Geringste an Nahrungsmitteln und sonst Benöthigtem zu finden ist, denn Alles muß von dem Train selbst mitgeführt werden; nur um diesen zu decken, ist schon eine respectable Heeresmacht von Nöthen. Die eigentlichen Gefechts truppen müssen hauptsächlich aus berittenen Mannschaften be stehen, die genug zu thun haben werden, um die Infanterie gegen die Guerilla-Banden der Boeren zu beschützen. Und dann das Ueberschreiten von Pässen und tiefliegenden Flüßchen! Um nicht unter das Feuer der feindlichen Boeren zu kommen, wird jeweils die Aufstellung der Artillerie sich als nothwendig erweisen, um di« Berghöhen, von denen hier fast jeder Bach ein geschlossen ist, unter Feuer zu nehmen. Man kann sich so weit vorstellen, wie beschwerlich und zeitraubend dies Alles sein muß. In England scheint auch die Idee vorzuherrschen, oaß der Sommer (von October bis April) die passendste Zeit für den Feldzug sei. Ter Hauptgrund für diese Anschauung scheint darin gesucht werden zu müssen, daß alsdann hier die Regen zeit cintritt und darum Wasser vollauf vorhanden ist, während der Winter als trocken bekannt ist. Doch machen sie gerade dabei d«n denkbar größten Schnitzer! Unsere Flüsse werden Sommers und Winters von Quellen gespeist, die stets eine gleich mäßige Quantität Wasser abführen. Mehr Wasser wäre nicht nur überflüssig, sondern würde selbst das Ueberschreiten der Flüsse und Bäche hindern. In Folge der eigenthümlich«n Boden formation bleibt Wasser niemals in Deichen und Pfützen zurück, sondern ergießt sich in die nächstliegenden Bäche, successive Flüßchen und Flüsse bildend. Doch in Folge des hier fallenden Tropen regens wachsen diese Bäche in unglaublich kurzer Zeit häufig zu wilden Gebirgsströmen an, in ihrer Wildheit jeder Menschen gewalt spottend. Die stärksten Nothbrücken werden weggerissen. Die armen englischen Soldaten, in solchem Klima und Land strich marschirewd, werden hier etwas erleben; es ist deshalb auch kein Wunder, daß sie im Feldzug 1880/81 total demoralisirt wurden. Um Pretoria zu erreichen, haben sie im günstigsten Falle einen Monat nöthig. Der Train muß nothwendig so überladen sein, daß vom Mitfahren keine Rede sein kann. Die mit Sack und Pack marschirenden verwöhnten englischen Soldaten werden Ge höriges zu leisten haben bei einer Hitze von 130 bis 140 Grad Fahrenheit, unaufhörlich beunruhigt durch Boeren-Schwärme. Die Zeit wird lehren, was daraus werden mag. Man setze den für die Engländer günstigen Fall, daß sie in die Nähe von Pretoria gelangen; dann wird ein geringer Theil der Boeren die Festung zu besetzen haben, aber sich doch so viel wie möglich noch außen bewegen, denn die Boeren einzuschließen, ist bei ihrer Kriegstaktik völlig undenkbar. Pretoria wird dann zur nätürlichen Festung, gedeckt durch vier Forts modernster Construction und ausgerüstet mit dem allerbesten Festungsgeschütz von Creuzot, Kaliber bis 26 und 28 Centimeier, eine Entfernung von 11j englische Meilen bestreichend. Gegen solches Feuer ist jedes Feldgeschütz ohnmächtig, zudem beunruhigen die Boeren in Schwärmen d«n Feind und w«rden trachten, di.' Zufuhr abzu schneiden. Pretoria selbst ist ausgiebig verproviantirt sowohl mit Mund vorrath wie Munition, während letztere auch noch über das ganze Land verbreitet ist. Ein« Armee auf eine solche Entfernung und unter den geschilderten Umständen von der Küste zu ver- proviantiren, gehört zu den Wundern; hauptsächlich darum, weil die ganze englische Linie durch Truppen zu decken ist. Wird durch irgend einen Zufall die Zufuhr abgeschnitten, dann ist die Armee verloren, und dies gehört nicht zu den Unmöglichkeiten in einem Gebiet von der ungefähren Größe Deutschlands mit einer leicht beweglich«n, ausgezeichnet berittenen und treffsicheren Boeren- truppe, die zwar in der Hauptsache Guerillagefechte zu liefern Ein Dichterleben. Zum 50. Todestage v. Edgar Poe. Nachdruck verboten. Es ist an einem kalten Februartage (19.) des Jahres 1809. Unwirsch fährt der Wintersturm durch die Straßen und Gassen Bostons, treibt den Schnee von den Dächern und peitscht ibn schadenfroh den eilenden Passanten ins Gesicht. An den Häusern streicht er wüthend entlang, rüttelt an den Fenstern und Thürcn, und erzwingt sich Einlaß durch die kleinsten Fugen und Risse. Unbarmherzig vertreibt er die wenige Wärme aus dem kleinen, dürftig ausgestartetcn Gemach, in dem ein junger Mann rastlos auf- und niederwandelt. Er achtet nicht der zunehmenden Kälte, sieht nicht, daß das Feuer im Kamin dem Erlöschen nahe ist und auf frische Nahrung harrt. Er hört nicht das klagende Kinderstimmchen, das leise weinend bald nach Brod, bald nach der Mutter verlangt. Gequält von den drückendsten Sorgen und von oer Herzensangst um das geliebte Weib schreitet er wie geistesabwesend auf und ab. Nur wenn das Weinen d«s Kindes z.l laut und dringlich wird, erwacht er auS seiner Versunkenheit, nimmt es auf den Arm, und redet ihm so lang« zärtlich und liebkosend zu, bis die Thränen in den großen, dunklen Kinder augen verstechen. — Bange lauschend bleibt er an der Thür des Nebenzimmers stehen, wenn ein lang gezogener Schmerzensschrei an sein Ohr klingt. Schon eine halb« Stunde währt die Qual, ihm scheint eS eine Ewigkeit. Endlich werd«n die SchmerzenStöne schwächer und seltener und ersterben zuletzt in einem liefen Seufzer. Leises Klopfen an der Thür erschreckt den Lauscher. Die Pflegefrau ist's, die mit leiser Stimme bittet: „Noch eine Decke, mein Herr, aber schnell." „Eine Decke?" wiederholt der Mann und blickt rathlos im Zimmer umh«r, dabei fällt sein Blick auf ein Garderobe-Bündel, das in einer Ecke liegt. Hastig reißt er eS auseinander, nimmt das erste Beste, was ihm in die Hände kommt und reicht es durch die Thür. Verwundert blickt die Frau auf den mit Goldflittern verzierten Purpursamm«t und umhüllt damit das Wäschebünd«! auf ihren Arm. Dann winkt sie dem Vater, d«r noch zögernd auf der Schwelle steht. — Auf den Zehen schleicht er heran ans Lager und haucht einen Kuß auf die Stirn der Frau, die bleich, mit geschlossenen Augen im Bett ruht. Sie schlägt den Blick zu ihm auf. „Mein David" flüstert sie mit matter Stimme. „Mein« Elisabeth" ringt es sich au- seiner Brust. Er kann vor Bewegung nicht weiter sprech«», doch eine Welt voll Schmerz und unendlicher Liebe liegt in den zwei Worten. — Die Wärterin legt ihm das Kind in die Arme und sagt dabei nicht ohne Ge- nugthuung: „Ein Knabe, Herr." „Ein Knabe", spricht der Vater mit Stolz und Freude, und hält mit rührender Unbeholfenheit das Kind der Mutter hin. Die Wärterin hat indessen den Vorhang am Fenster ein wenig bei Seite geschoben und bringt nun das Aelteste herbei, um ihm das neue Brüderchen zu zeigen. Beglückt schauen beide Eltern auf ihre Sprößlinge. Im selben Augenblicke huscht durchs Fenster ein Strahl der eb«n aus den Wolken brechenden Winter sonne und umspielt liebkosend das in Purpurflittern gehüllte Komödiantenkind. „Die Sonne!" ruft die Wärterin erschrocken und verhängt eiligst das Fenster wieder. Nicht die Sonne allein war's, die das ärmliche Stübchen aui Sccunden so strahlend erhellte und einen goldigen Schimmer zurückließ. Die Göttin Poesie war's, die unsichtbar herein schwebte und dem neuen Erdenbürger Edgar Allan Po« ihren Weihetuß gab, ihren Weihekuß und — Schmerzenskuß. Denn sie kam allein, ihre Schwestern, das Glück und der Ruhm, wagten sich nicht mit herein in die Stätte der Noth und Sorge. — Sie Beide, Glück und Ruhm, flohen ihn auch sein ganzes Leben lang. Zeigten sie sich ihm wohl oft auch, so zerflossen sie, wenn er die Hand nach ihnen ausstreckte, wie ein Schemen, und nichts war sein, als herbe Enttäuschung, harter Kampf und bittere Noth, sein ganzes Leben durch. — Schon im dritten Lebensjahre verlor er beide Eltern, die siL al» arme Schauspieler kümmerlich durch's Leben schlugen. Ein reicher Verwandter nahm Edgar Allan Po« zu sich an Kinoesstatt. Die verkrhrte Erziehung, die ihm im üppigen Hause des Groß kaufmanns zu Theil wurde, legte den ersten Grundstein zu des Dichters verfehltem Leben. Die Pflegeeltern paradirten in Ge sellschaft mit dem ungewöhnlich begabten Kinde, erfüllten mit gewissenloser Nachgiebigkeit jeden seiner Wünsch« und ließen ganz und gar jene liebevolle Strenge fehlen, die vernünftige Elternliebe anwendet, um die bösen Eigenschaften im Keime zu ersticken. Der einzige Segen dieser Erziehung war der Be» such guter Schulen, den Allan durch seines Pflegevaters Mittel genießen konnte. Vom 7. bis 12. Lebensjahre besuchte er die Manor House-School zu Stoke Newington bei London. Hier wurde neben einem gründlichen Wissensfond wohl auch der erste Zug zu dem Düsteren, Romantischen, Geheimnißvollen in ibn gelegt, der den Hauptreiz seiner späteren literarischen Erzeugnisse bildet. Das alte, halbverfallen« Gebäude war der Gegenstand unzähliger Sagen und grausiger Gespenstergeschichten, die sich die Schüler unter einander erzählten, und die unseren Allan so mik Phantasien erfüllten, daß er, 1821 nach Hause zurückgekehrt, nichts that, als Verse zu schmieden und sich in kle nen Er zählungen zu versuchen. — Unverstanden von seiner Umgebung, wandte sich der träumerische Knabe immer mehr von den Seinen und übertrug seine ganze Liebe auf die Thierwelt. Eine kleine Zucht der verschiedensten Exemplare war sein größtes Ver gnügen. Auch als er später auf das Gymnasium zu Richmond kam, nahm er seine vierfüßigen Freunde mit, die sich jetzt ade: mit der griechischen und lateinischen Sprache, vor Allem mit Horaz in die Lieb« ihres jungen Gebieters theilen mußten. Mir fast unnatürlicher Scheu zog sich Allan von den Menschen zurück Diel Schuld daran hatten seine Mitschüler, die eS ihn empfinden ließen, daß er von ärmlicher Herkunft war, und daß seine ganze Existenz von der Großmut!) seines Pflegevaters abhing. Eine Frau war es, die den ersten lichten Strahl der Freundschaft und mütterlichen Liebe in das verwaiste Herz des Knabe» ,enlte, — wie es denn überhaupt die Frauen waren, die in sein späteres Leben Licht und Sonne brachten. — Die Mutter seines Schul kameraden Stannard war es, die beim ersten Begegnen durch einige liebevolle freundliche Worte die Zuneigung des ver schlossenen Allan gewann. Ihr vertraute er fortan alle seine großen und kleinen Leiden, und ihr früher Tod war der erste große Schmerz in des Dichters jungem Leben. Nachts schlich er auf den Friedhof, um an ihrem Grabe sich auszuweinen, und wenn der Sturm recht schaurig heulte und den Regen ihm ins Gesicht peitschte, fühlte er sich wohl in seinem Schmerze. Wir sehen auch hier wieder einen Beweis, daß das Schauerliche, Un heimliche, Grauenvolle in Poe's Erzählungen seinem innersten Wesen entsprang. Dieser seiner mütterlichen Freundin widmete er das Gedicht „an Hel«ne". Ich lasse es hier in der Englert- schen Uebersetzung folgen: Ich sah Dich einmal — einmal nur — vor Jahren: Ich darf nicht sagen, wann — doch ist's nicht lange. 'S war Julimitternacht; und von dem Vollmond, Der, aufwärts strebend wie Dein eignes Herz, Auf raschem Pfade durch den Himmel zog, Fiel sanft rin silberseidenrr Flor von Licht Mit Schwüle, Ruh' und Schlummer auf das Antlitz Von tausend Rosen eines Zaubergartens, Wo auf den Zehen nur die Winde schleichen — Auf das erhob'ne Antlitz dieser Rosen, Die in verzücktem Tod die duft'gen Seelen Zum Dank« für das Liebcslicht verströmten — Auf das erhob'ne Antlitz dieser Rosen, Die lächelnd starben, tiefentzückt durch Dich Und durch den Zauber Deiner Gcgemvart, Ich sah Dich, ganz in Weiß gekleidet, lehnen An einem veilck-rnübersäten Hügel, Jndeß der Mondschein sich herniedersenkte Auf das erhob'ne Angesicht der Rosen Und auf Dein eig'neS — ach! in Leid erhoben! War's nicht das Schicksal — dessen Nam' auch Leid ist —> Das mich in dieser Julimitternacht Vor jener Gartenthüre weilen hieß, Den Duft zu athmen der entschlaf'nen Rosen? In tiefem Schlummer lag die schnöde Welt. Kein Fußtritt war vernehmbar. Wir nur wachten. Nur Du und ich allein; — O Gott! O Himmel! Wie pocht mein Herz bei diesen beiden Worten! — Nur Tu und ich allein. Ich stand — ich schaut« — Sieh, da verschwanden plötzlich alle Dinge. (Erinn're Dich, der Garten war verzaubert!) DeS Mondes lichter Perlenschein erlosch; Die moos'gen Hügel und die Schlangenpsade, Der Bäume seufzend Laub, die frohen Blumen, Ich sah sie nimmer; selbst der Rosen Duft Starb in den Armen d«r entzückten Lüfte. Nichts blieb — nur Du — nur weniger als Du' In Deiner Augen Lichtglanz — nur die Seele In Deinen himmelwärts erhob'nen Augen. Ich sah nur sie — sie waren meine Welt. Ich sah nur sie — sah stundenlang nur sie, — Nur sie bis zu des Mondes Untergange. Welch' stürmisch wild« Herzgeschichten waren Auf jenen lichten Sphären eingeschrieben! Welch' düst'res Weh und doch welch' kühnes Hoffen! Welch' ruhiges und heit'res Meer von Stolz! Welch' muthig hoher Sinn und doch weich' tiefe, Welch' unergründlich tiefe Liebesfülle! Doch endlich sank di« holde Luna nieder, Im West sich bettend, in Gewitterwolken: Und durch der Zweig« Grabesdunkel schlichst Du, Ein Geist, hinweg. Nur Deine Augen blieben. Sie wich«n nicht — sie sind noch nie gewichen. Ihr Licht geleitete in jener Nacht Auf stillem Pfad mich heim und hat seitdem Mich nie — wie meine Hoffnungen — verlassen. Sie folgen mir — sie leiten mich durch Leben, Sie dienen mir — und doch bin ich ihr Sklave. Ihr Amt ist, zu entzünden und zu leuchten, Mein Dienst, in ihrem Lichtglanz mich zu schirmen Zu reinigen durch ihr elektrisch Feuer. Zu heiligen durch ihr elysisch Feuer. Sie füllen m«in« Seele mit der Schönheit — Die Hoffnung ist — und weilen hoch am Himmel — Die Sterne, die ich auf den Knien verehre Im trüben, stillen Wachen meiner Nacht. Doch selbst im mittagshellen Glanz de« Tage- Seh' ich sie noch, zwei klare Venussterne, Sanft funkelnd, ni« erlöschend vor der Sonne. 1826 von der Charlottesviller Universität Spielschuldenhalb': relegirt, unternahm er im selben Jahre eine Eeuropareise und kehrte erst nach 18 Monaten zurück. Nie hat Poe über diese Zeie etwas verlauten lassen und gab dadurch seinem späteren unehr liehen Biographen Griswold willkommenen Anhalt zu allerhand verleumderischen Nachreden. 1829 in seines Pflegevaters HauS zurückgekehrt, entzweite er sich mit diesem und verließ ihn G Groll und Trotz. Als im gleichen Jahre der erste Band seine: Gedichte erschien und einen ganz hübschen Erfolg erzielte, stieg unserem Dichter derselbe so zu Kopf, daß er sich keiner Disci; mehr beugen wollte und wegen Ungehorsam wurde er gezwungen, die Militärakademie zu West Point, aus die sein Pflegevater seine letzte Hoffnung gesetzt hatte, zu verlassen. — Ein zweiter Band Gedichte erschien 1830. Noch einmal kehrte Edgar Allan ins väterliche Haus zurück. Es sollte daS letzte Mal sein. Se n heftiges, aufbrausendes Wesen und jugendlich« Selbstüber schätzung gaben bald wieder Anlaß zu neuem Zank und Streit mit seinem Stiefvater. Tie Stiefmutter, die bisher die Beiden
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