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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.10.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991010021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899101002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899101002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
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Größere Schriften laut unserem PreiS- vrrzrichniß. Tabellarischer und Ziffernjaß nach höherem Tarif. E?tra-Beilagen (gefalzt), nur mit « Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Margeu-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzl» 517. Dienstag den 10. October 1899. 83. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. October. ES kann nicht überraschen, daß dem Rücktritte des Frei herrn v. Zedlitz von seinem Amt als Präsident der See handlung in der Presse große politische Bedeutung deigelegt wird. Die publicistische Canaloppositiou des Mannes schien durch seinen öffentlich erklärten Verzicht auf weitere journalistische Tbäligkeit — wenigstens au der „Post" — gesühnt und — war es ohne Zweijel in den Augen deS Herrn von Miguel. Ob auch nach der Auffassung des Fürsten Hohenlohe, weiß man nicht; jedenfalls aber ist eS der Monarch gewesen, dem die Ab legung des Gelübdes künftiger publicistischer Enthaltsamkeit nicht ausreichend erschien, um die außerparlamentarische Mit wirkung des Herrn v. Zedlitz bei der Verwerfung der Eanal- vorlage vergeben und vergessen zu machen. Insoscrn ist die Pensionirung ein politisch nicht unwichtiger Act. Die Frage ist,ob er als die Ergänzung der älteren MaßregelungSaction, oder als das erste Glied einer Kelle neuer Entschließungen anzusehen ist, und diese Frage legt man sich thcils in Berlin ernstlich vor, theils beantwortet man sie von vornherein nach dem Parleistandpuncte, in diesem Falle nach dem Standpunkte, den mau zu der Fortdauer der Miuisterlhätigkeil des Herrn v. Miquel einnimml. Die Gegner des Ministers, die überwiegen, stellen die Entlassung des Herrn v. Zedlitz aus dem hohen Amte, in das er erst während seiner Tbeilnahme an der Bekämpfung des Canals befördert worden ist, als eine folgenschwangereAiederlage des Vicepräsidenten des Slaatsministcriumü hin,zn ivelchemZwcck sie die Natur deS bisherigen Verhältnisses zwischen rem Minister und dem bis vor Sturzen, als vortragender Rath im Ministerium für öffentliche Arbeiten snugirenden Beamten als ein höchst intimes, als ein solches von politischen Kampfgenossen schildern. DaS ist eine arge Uebertreibung. Herr v. Zedlitz, ein überaus gewandter und auch ein tüchtiger Mann, ist von Herrn v. Miquel von der früheren Regierung zu Dienstleistungen, in denen er er probt war,-sozusagen übernommen worden, eine eigentliche politische Nummer ist er nie gewesen, und wenn ihn das Schicksal nicht erreicht hätte, würde er sich wohl auch einem Nachfolger des Herrn v. Miquel als schätzenSwcrlhe Hilfskraft erwiesen haben. Bei alledem kann natürlich Niemand behaupten, daß der, sagen wir: über den Willen des Finanz ministers hinaus erfolgten Entlassung nicht eine größere Be deutung für dieses Mitglied der Regierung wie auch als Symptom für die gegenüber den caualgegnerischen Couserva- tiven herrschende Stimmung zukomme. Aber eine Noth- wendigkeit, ans der jüngsten Maßregel auf weitere- gegen die Conservativen Gerichtetes zu schließen, ist nicht ersichtlich. Die nachträgliche Entlassung des Herrn v. Zedlitz kann im Gegentheil sogar als eine Art von Genugtbunng für die Beamten im Abgeordnelenhause angesehen werden, die, ob wohl sie gegen den Canal nur gestimmt batten, zur Dis position gestellt wurden, während der durch eine — nach allgemeiner Dienstauffassung — nicht völlig einwandfreie Be kämpfung des WasserstraßenprojectcS hervorragende Prä sident der Seebandlung administrativ unbehelligt ge blieben war. Die unterschiedliche Behandlung war in conservativen Kreisen Gegenstand gereizter Erörterung gewesen, in der dem Umstande, daß Herr v. Zedlitz formell nicht zu der Kategorie von Beamten zählte, die man als politische ansieht, nur wenig Gewicht beigelegt wurde. Nun, man I muß abwarten. Das will selbst die „Germania" thun. I Dieses Blatt sieht zwar Herrn v. Miquel in „deö j Freiherrn von Zedlitz Glück und Ende" so stark verwickelt, daß auch das Verbleiben deS Ministers im Amte „nahezu als unmöglich, als eine politische Abnormität erscheinen muß", aber die „Germania" will deshalb doch nicht prophezeien: „Herr v. Miquel ist ein kluger Mann und er will sich halten. Ader die Consequenz der Tbatsachen erweist sich doch in der Regel stärker als der Wille selbst des klügsten Staatsmannes. Die Entlassung des Fürsten BiSmarck ist in dieser Beziehung ein lehrreicher geschichtlicher Vorgang, um nicht zu sagen ein geschichtliches Vorbild." Das ist sehr deutlich gesprochen. Aber dem Organ des Herrn vr. Lieber stebt da- Urheberrecht an dem Hinweise aus die bei der Entlassung des ersten Kanzlers gezeigte Festigkeit nicht zu, die „Germania" folgt den Spuren der „Nationalztg", die vor einigen Tagen durch eine anfeuernde Erinnerung an die Ent scheidung vom 28. März 1890 manchen altmodischen National liberalen in Erstaunen gesetzt hak. Aber daS Erstaunen ist es gerade, was man sich gegenüber den heutigen parteipolitischen Vorgängen in Preußen abgewöhnen muß; die freisinnigen Blätter in ihrer Mehrheit opfern der Erwartung, von dem durch den Sturz Miquel'S auch in Preußen zur Regierung gelangten Centrum — dupirt zu werden, fogar das noch vor kurzem mit großer Hartnäckigkeit verlheidigte Portal für den Friedhof der Märzgefallenen, in welcher An gelegenheit die mittlere Verwaltungsgerichtsinstanz zufällig eben jetzt eine den freisinnigen Wünschen ungünstige Ent scheidung gefällt hat. Auf Samoa ist die Lage durchaus nicht so friedlich, wie eS nach den Berichten der „Hoben Commission" scheinen konnte. Ein dem „Hannov. Cour." zur Verfügung gestellter, vom 8. September datirter Bries eines LandSmanneS in Apia lauter sehr wenig erbaulich. Es heißt darin: „Die große Commission hat uns einfach hier im Sumpfe stecken lassen. Die Entwaffnung der Samoaner (etwa 300 alte, unbrauchbare Gewehre) ist eine Farce. Die Einsetzung einer vorläufigen Regierung der drei Consuln ist werthlos und den Samoanern lächerlich. Die Schwachheit der Regierung ist geradezu herausfordernd. Die beiden Könige der Malietoapartei, Tann und Vicekönig Tamasese, sitzen jetzt nach mehr als zwei Monaten noch immer in Apia, obwohl die Commission angeordnet hatte, daß sie sich mit ihren Anhängern in die Heimath begeben sollten. Schwäch liche, energielose Proklamationen der ConsulatSregierung haben nichts an der Sachlage geändert. Die beiden genannten Könige geberden sich nach wie vor als Samoa-Regierung. Die Langmuth der alten Tanupartei mit Mataafa an der Spitze ist nach allen Versprechungen der Commission auf die härteste Probe gestellt. Heute z. B. sind in Apia über '.200 Anhänger der Ma lietoapartei versammelt, um EcgebenheitSbezeugungen zu machen und Geld für Tanu und Tamasese zu bringen. Die Consuln-Re- gierung, die an dem alten Fehler „zwei gegen einen" (den deutschen) leidet, sieht gleichgiltig zu. Der Executivbeamte, der Präsident vr. Sols, scheint auch nicht durchgreisen zu können, und so treiben wir mit vollen Segeln neuen Unruhen entgegen. Wollte doch ein entschlossener Schritt der deutschen Negierung dielen unerträg lichen Verhältnissen, die deu Handel und Wandel in Samoa gänzlich niederdrücken, ein baldiges Ende bereiten I In dem „Samoa Weckly Herold" vom 2. September finden sich „Amendements" zuin Berliner Vertrage. Ob sie von der Commission stammen, ist nicht bekannt. Jedenfalls ist eS der alte Vertrag, mit Ausnahme der Abschaffung des KönigthumS und Einsetzung eines internationalen Administrators. Wo bleibt aber die in dec Petition der hiesigen Deutschen an den Reichstag verlangte wirkliche Gleichberechtigung? Wo bleiben deutsche Sprache, deutsches Recht, deutsches Geld und deutschsprechende Beamte? Kein Wort davon I — Wir sehen den nächsten Zeiten mit großer Besorgniß entgegen Die Tanuapartei (neun Zehntel Samoas) wird sich nicht mehr lange so zurücksetzc» lassen. Die Malietoa- Partei mit den dahinter stehenden englischen Ansiedlern und Missionaren treibt zu neuen Unruhen. Pessimisten stellen den Ausbruch von offenen Feindseligkeiten in baldige Aussicht. Ruhig Lenkende Leute meinen, daß es nicht vor December oder Januar, wo keine Kriegsschiffe hier sein können oder mögen, dazu kommt. Jedenfalls sieht die Zukunft trübe aus. Zur Zeit sind der „Cormoran" und zwei englische Kriegsschiffe, „Pylades" und „Torch", hier. Sie könnten die frechen unbotmäßigen Malietoa- leute sofort aus Apia entfernen, aber auch hier scheint ein gemein same» Handeln an dem englischen Widerstande zu scheitern." Hier werden also die Meldungen von einer Verschlechte rung ter Lage auf Samoa in schlimmster Weise bestätigt. Der „Hann. Conr." bemerkt dazu sehr richtig: Es ist immer die alte Geschichte: alle „Reformen" des Berliner Vertrages müssen unzureichendes Flickwerk bleiben, so lange die unglückselige Dreiherrsckaft nicht beseitigt und die einzige vernunftgemäße Lösung herbeigcfnhrt ist — daS deutsche Prolectorat. — UnS selbst geht von hochgeschätzter Seite auS Apia eine Mittheilung zu, deren Inhalt sich zwar auf eine bereits einige Monate zurück liegende Thatsache bezieht, die wir aber bringen zu sollen glauben, weil sie für die englische Neigung zu Ent stellungen und Verdächtigungen gegen Deutsche charakteristisch ist: Ein kleiner Zwischenfall während der jüngsten Unruhen, der den in Samoa ansässigen Reichsangehörigen von Bülow betrifft, ist in Meldungen auS englischer Quelle entstellt dargestellt worden. Man hat behauptet, Herr von Bülow, ein früherer deutscher Lificier, sei mit 400 Mataafaleuten im Begriff gewesen, unter Mitnahme von Waffen und Munition einen Zug nach Sawaii zu unternehmen. Der Zug sei aber vereitelt und Herr v. Bülow an Bord eines deutschen Kriegsschiffes in Gewahrsam gebracht worden. Diese Angaben sind unzutreffend. Die Sache verhält sich vielmehr wie folgt: Gegen Herrn v. Bülow war durch Herrn Chamber- rin Verfahren wegen Mißachtung des Obergerichts in Samoa eingrleitet worden. Seitdem zeigten sich öfters englische Kriegs- schiffe in unmittelbarer Nähe der Besitzung des Herrn v. Bülow, Matautu an der Nordküsle von Sawaii. Unser Landsmann suhlte sich durch diese wiederholten ungebetenen Besuche in seiner Freiheit bedroht. Er zog eS vor, Matautu zu verlassen und sich nach der Hanptinsel Upolu zu begeben. Ohne Massen und Munition und, abgesehen von einigen Trägern, ohne Begleitung begab er sich nach der Ostspitze von Sawaii. Tort traf er mit einer Schaar von Mataafaleuten (ungefähr 600 Köpfe stark) zu sammen, die im Begriff waren, nach Upolu überzusetzen, um sich Mataafa zur Verfügung zu stellen. Herr von Bülow be- nutzte die Gelegenheit zur Ueberfahrt, trennte sich aber von den Mataafaleuten, sobald er auf der Insel Upolu in seiner Pflanzung Mulisanua angelangt war. Vou dort aus richtete er ein Schreiben an den deutschen Consul, in welchem er seine Abreise von Sawaii anzeigte und als Grund angab, er müßte besorgen, daß man ihn seiner Freiheit berauben wolle. Generalkonsul Rose schiffte sich nach Empfang diese- Schreibens an Bord S. M. S. „Falke" ein und holte mit dem deutschen Kriegsschiff Herrn von Bülow auf seiner Pflanzung ab. Einige Tage darauf begab sich Herr von Bülow nach Tonga. Wir möchten betonen, daß diese Mitthcilung weder Herrn von Bülow selbst, noch einer ihm nabestehenden Persönlichkeit entstammt, sondern uns von einer völlig objectiven, über jeden Zweifel erhabenen Seite zugeht. Der Schiedsspruch deS französischen Minister präsidenten Waldeck-Rousseau im Crcuzoter Streik, dessen wir schon kurz Erwähnung thaten, vertheilt sich in der Hauptsache auf vier Fragen, von denen die erste die am 2. Juni eingegangenen Abmachungen über die Erhöhung der Lohnsätze von 15 bis 25 CtS. betrifft; das Schiedsamt er klärt sich außer Stande, die Rechnungen nach Lieser Richtung bin zu prüfen, bält sich vielmehr an die Versicherung der Firma, diese Abmachungen erfüllen zu wollen. Da die Firma Schneider <L Co. nie etwas Anderes beabsichtigt bat, kann ihr diese Darlegung nur angenehm sein. Ebenso selbst verständlich erscheint das Verbot, sich an die Gewcrk- vereinSfreiheit und die Arbeiter sür ihre Handlungen außerhalb der Werkstätten verantwortlich zu machen; die Firma bat schon vorher erklärt, keinen Unterschieb zwischen Gewerkvcreinlern und Nichtgewerkvereinlern zu machen; auch Hal sie im Allgemeinen diejenigen, welche seit drei Monaten durch Anschläge und Zeitungsartikel den Haß gegen sie schürten, unbehelligt gelassen. In der zweiten Frage, welche die An erkennung deö berufsmäßigen Gewerkvereins be trifft, scheint die Firma einen entschiedenen Sieg errungen zu haben. Walbeck-Rousseau gesteht den Arbeitern zwar bas unver äußerliche Recht zu, sich zu Gewerkvereinen zusammenzutbun; er selbst hat im Jahre 1884 dazu beigctrazen, den Gewerkvercinen gesetzliche Anerkennung zu verschaffen. Der Gewerkverein darf also mit den Arbeitern sich zur Besserung ihrer Lohn sätze zusammenthun. Der Arbeitgeber indessen braucht sich die gewaltsame Aufvrängung des Gewerk- Vereins als Vermittlers zwischen ihm und den Arbeitern nicht gefallen zu lassen, ebensowenig wie er die Arbeiter verpflichten kann, bei Streitigkeiten sich an einen Gewerkverein zu wenden. Tie Vermittelung der Gewerkvereine ist also nur zulässig, wenn beide Theile im Voraus sich dazu verstehen. Tie dritte Frage hängt mit der zweiten zusammen; sie betrifft die Ernennung von Arbeiterverlretern, die befugt sind, etwaige Klagen an höherer Stelle anhängig zu machen. Die Firma Halle eine ähnliche Maßregel schon inS Auge gefaßt, nur sträubte sie sich gegen die Heranziehung der Gcwerkvereine bei diesen Ernennungen. Der Schiedsspruch beschränkt daher die Zahl dieser Vertreter aus je einen für jede ArbeitSgattung; sie können aller zwei Monate mit der Leitung der Firma be- ratben. Von einer doppelten Vertretung der Gewerkverrinler und der Nichtgewerkvereinler ist also nicht mehr die Rede. Die vierte Frage war schon Lurch die Versicherung der Firma er ledigt, daß sie Niemanden wegen deö Ausstandes und der dabei in Betracht kommenden Handlungen ausschlicßen werde. So viel über den Urtheilsspruch. Im Gauzen und Großen muß man zugestehen, daß die Arbeiter, wenn sie den Ausstand begonnen, um ihrem Gewerkvercin den Status einer krieg führenden Macht zu verschaffen, diesen Zweck verfehlt haben; FeniHetsn. Auf freien Lahnen. 8s Roman von Rudolf von Gottschall. Nachtnuk verboten. Ein Mann kam ihr entgegen, dessen lebhafte Gestikulationen sie schon von ferne bemerkte. Er fuhr mit seinem Stocke auf und nieder, dann schwenkte er ihn über seinem Kopfe, dann hieb er damit am Wegerande in die blauen Scabiosen und Cichorien hinein, welche hier blühten: das blumenfrcundliche Mädchen kannte genau den Standort aller dieser Kinder der Flora in der Umgebung des Dorfes — und das Schlachtfeld, wo diese Blumen reichen lagen; nur mit einem mitleidigen Gefühl würde sie daran vorüber gehen. Der Mann, der ihr «ntgegenkam, war der alte Schullehrer, des Timotheus Bater. Sie kannte ihn wohl, es war auch ihr Lehrer gewesen, doch sie hatte ihn nachher nur selten gesehen und war ihm aus dem Wege gegangen, seitdem sie mit dem Sohne vertrauter geworden, sie hatte keine Anhänglichkeit an ihn, im Gegentheil, der künftige Schwiegervater erschien ihr als «in dunkler Punct ihres erträumten Glückes. „Ah, Fräulein Alice", sagte Nepomuk Blomer mit wohl wollendem Lächeln, „ich freue mich, Sie einmal wiederzusehen! Ja, ja, aus dem kleinen Schulmädchen ist eine sehr schlanke, hübsche Dame geworden. Und wie blühend Sie aussöhen! Sie erlauben mir, daß ich Sie ins Dorf zurückbegleite?" „Gewiß! Sie lieben solche einsamen Spaziergänge?" „Sie glauben nicht, wie herrlich der Verkehr ist mit den Un sichtbaren, doch jedes werktägliche Geräusch verscheucht sie — im stillen Heiligthum des Waldes muß man sic aufsuchen. Sie mögen lachen, Fräulein, — aber diese Waldgeister sind nicht blos Traumgestalten der Dichter — sie leben wirklich. Die Dichter haben nur bessere Augen als wir Anderen — ich selbst habe oft den Elfenreigentanz im Mondschein gesehen hier auf den Wald wiesen, und in einer Sturm:snacht das über die Wipfel brausende Heer der wilden Jagd, schnaubende Ross«, langhaarige Hexen, vom Blitz erhellt, und eine Meute grimmer Hunde! Und warum sollen wir blos eine Seele haben und die ganze andere Welt nichts sein, als ein Reich seelenloser Stoffe? Auch unsere Seelen können wir nicht sehen, ebenso wenig die anderen! Glauben Sie denn nicht, daß diese unsere Erde eine Seele hat? Die finden wir freilich nicht, auch wenn wir bis zu ihren Eingeweiden her untersteigen — aber ist's denn etwas anderes mit unserem eigenen Leibe? Wer kann denn da eine Seele herausgraben? Und wir kennen doch nur den Leib der Erde, diesen ungestümen, durch das Weltall kreisenden Körper. Freilich ist dies Ungethüm an Ketien gelegt, die es an andere Gestirne fesseln. Doch wenn wir auch seinen Donnergang durch die Sphären nicht hören, so schwitzt doch seine Seele gleichsam aus allen seinen Poren. Der Odem, den der Wald aushaucht, ist rin Theil von ihr. Und zweifeln Sie. daß jede dieser Blumen hier eine Seele hat, keine aufdringliche Seele, doch eine stille, der zartesten Regung fähig?" „Dann wundert es mich nur, Herr Blomer", versetzte Alice lächelnd, „daß Sic so mörderisch mit diesen Blumenseelcn um gehen. Denn ich habe selbst gesehen, wie Sie die Kinder der Flora vorhin schonungslos geköpft haben." „Das war Unrecht", sagte Blomer, „doch wer ist immer Herr über seine Affecte? Und dann, Du lieber Gott, dem Grade nach sind's doch sehr untergeordnete Seelen und in der Welt wird auch mit den anderen wenig Federlesens gemacht. In einer Schlacht werden einige Tausend Seelen in die Lüfte geblasen, zuni Zeitvertreib möchte ich sagen; denn die ganze Politik ist Zeitvertreib. Das aber glauben Sie ja nicht, daß sie da mit den Pulvcrwölkchrn verflattern. Ueber dem ganzen, noch dampfenden Leichenfeld mit zertrümmerten Kanonen, zappelnden Pferden, verstümmelten Körpern — da schweben die mit dem Aethcrleib bekleideten Seelen, die keinem irdischen Commando mehr ge horchen, dem Himmel zu. Die Verlustliste der Erde wird zu gleich zu einer Gewinnliste der höheren Geisterstufe, die den Leib mit allem anderen schweren Gepäck hier unten zurückgelaffen hat." Alice hatte zwar immer von der Ueberspanntheit des alten Schullehrers gehört doch sie hatte ihn selbst nie von diesen Dingen sprechen hören, und diese Enthüllungen aus der unsicht baren Welt erregten ihren Antheil. „Da muß wohl dicht über der Erde in einer der untersten Luftschichten eine Art von Garderobenzimmer für die Seelen sein, wo diese sich umkleiden für ein anderes Stück, wenn dies hier abgespielt ist?" Sie erschrak fast über diese Aeußerung, die ihre geheim ge haltenen Beziehungen zur Bühne verrathen könnte. Doch Blomer hörte nur den Spott einer Ungläubigen heraus. „Ihr sollt nicht sitzen, wo di« Spötter sitzen! Und diese sitzen auf den untersten Bänken, mein Fräulein! Wer höher hinauf kommt, verlernt den Spott, denn er sieht, daß die Welt zu groß ist für unsere kleine Weisheit." Die zurechtgewiesen« Schülerin ging schweigend neben ihrem früheren Lehrer, der nach einer längeren Pause sich räuspernd, wieder begann: „Wie ich höre, werden Sie sich bald verloben, Fräulein Alice! Ich wünsche Glück dazu—ein tüchtiger, jungerMann, wie mirJhr Herr Vater sagte, der darüber sehr glücklich ist. Ein verein samtes Frauenzimmer ist heutzutage übel daran und vielen Ge fahren ausgesetzt." „Ich weiß nichts von einer Verlobung", sagte Alice. „Dies wundert mich, denn wie mir Herr Bärmann sagte, muß sie nahe bevorstehend sein. Es ist auch Zeit, denn aus der Liebelei mit meinem Timotheus kann doch nichts werden." „Herr Blomer —" „Ich weiß davon, meine Kinder haben darüber geplaudert, Eulalia selbst hat mir sehr verständliche Andeutungen gemach'. Der Junge hat noch keine Stelle, weiß Gott, wann er eine erhält. Er bemüht sich auch gar nicht darum, er ist überhaupt auf Ab wege gcrathcn und bildet sich ein, als Dichter oder Schriftsteller eine Rolle spielen zu können,Da würde er noch mehr am Hunger tuche nagen müssen mit einer Familie, als wenn er in einem kleinen Dorfe den Baculus schwänge. Er ist jetzt in der Groß stadt, das ließ er sich nicht nehmen, obschon ich ihm vorher den Kopf zurecht gesetzt habe; er will seine Gedichte veröffentlichen und Beziehungen anzuknüpfen suchen. Thorheit! Bei den Re- dactionen will man akademisch gebildete Leute, die anderen bringen's nicht über die Pfennigfuchserei hinaus. Er soll Lehrer bleiben in kleinen Verhältnissen, aber ohne des Lebens Noth, die eine Familie mit sich bringt." „Doch auch Sie, Herr Blomer, haben eine Familie be gründet." „Wie schwer habe ich kämpfen müssen! Mein« Frau war aber eine schlichte Dörflerin, im Hühnerstall und Kuhstall so zu Hause, wie ich in meiner Schule; über den Dorfanger ging ihr Wünschen nicht hinaus. Sie aber sind ein städtisch Fräulein, das allerlei gelehrten Krimskrams im Kopfe hat, und sich auch um die Mode kümmert, lieber Gott; meine Frau wußte gar nicht, was Mode ist." „So wäre ich Ihnen als Schwiegertochter nicht willkommen?" „Es wäre ein Glück, das den Ruin mit sich brächt« — ein Glück — Sie sind ein hübsches Mädchen, Fräulein Alice, und wenn mich weltlicher Stolz bethört«, so würde ich mich freuen, in meiner Familie einen solchen Schmetterling ringcfangen zu haben. Doch Sie werden sich zeitlebens an der Nadel krümmen müssen, das wäre «in dauerndes Elend für Sie und den Timotheus und auch für mich. Und mit Ihrem Vater würde ick mich entzweien und Feindschaft unter den wenigen respectablrn Leuten auf einem Dorfe — das heiß! so viel, wie Händel Tag für Tag, und dann verbitterte Einsamkeit. Und was winkt Ihnen zunächst? Eine jener Brautschaften, wie man sie in Kirche und Schule kennt, eine Brautschaft von endloser Dauer, mit zehrender Sehnsucht, und zuletzt mit drückender Langeweile. Und ein: Brautschaft kann nicht auf Dauer berechnet sein, so wenig, Wi rme Frühlingsblüthe. Und wenn man im überheizten Zimmer Blüthen Hervorrufen will, so hat man nur Kopfschmerzen davon. Darum, Fräulein Alice, verloben Sie sich bald, recht bald, aber da, wo die Heirath auf di- Verlobung folgt, wie die Zwei auf dir Eins im raschesten Tempo! Damit geben Sie meinen Sohn frei. Sonst zerstören Sie ihm sein Lebensglück." Alice wurde nachdenklich —si- hatte kinJvhanniskrautamWeg- gepflückt, nicht auf die goldenen Blüthendoldcn blickte sie, sondern auf die Blätter, die sie gegen das Licht hielt, wie sie als Kind oft gethan — da waren sie durchsichtig, durchlöchert, wie ihre schönen Zukunft-Hoffnungen. „Der Timotheus muß zunächst irgendwo ganz in der Stille leben; irgend ein kleines Schulamt findet sich schon für ihn und sei's eine Stelle im entlegensten Dorfe, um welche sich Niemand bewirbt. Dort, in der Einsamkeit, wird er auch neu: Weg: wandeln lernrn — tröstlich ist der Verkehr mit den Ueber- irdischen, und wenn er den Schlüssel dazu findet, wird auch die Mutter kommen, um ihn zu trösten. Infamer Bengel —" Diese Anrede bezog sich nicht auf den Timotheus, sondern auf einen rothhaarigen Jungen, der im Schloßpark, wohin sie jetzt ge langt waren, einige Rosensträucher -geplündert hatte. Fast vergaß der Magister, sich von Alice zu verabschieden, indem er mit hochgeschwungenem Stock dem Buben nachlief und hin.ec ihm in den Büschen verschwand. Als Alice in der Jnspectorswohnung angekommen war, warf sie sich aufs Sopha in dumpfem Hinbrüten. So viel war an diesem Vormittag auf sie «ingestiirmt und Alles feindlich ihren Wünschen. Wie, wenn Timotheus durch sie ins Unglück ge- riethe, wenn sie selbst von diesen unseligen Theaterverhältnisscn, wie sie Herr Letory ihr geschildert, aufgeriebcn würde? Sollte sic die Waffen strecken, den Frieden mit dem Vater suchen in duldendem Gehorsam und so auch ihrem Geliebten den Frieden im väterlichen Haus« sichern? Da ließ sich rin reitender Bote vom Vater aus Dalldorf melden; es würden noch mehrere junge Landwirthe heute Abend zu Gaste kommen, ließ er ihr sagen, sie möchte sich darauf einrichten. Es sah Alles nach einer förmlichen Hinrichtung aus. Alice betrieb die Vorbereitungen mit krampfhafter Hast. Wie ein irrer Geist fuhr sie in Küche, Weinkeller und Milchkeller umher, im
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