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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.10.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991011023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899101102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899101102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-11
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BezugS'PreiS I» der Hauvtexpedition oder de« t» Stadt bezirk und de« Vororten errichtete« Au»- «abestellea ab geholt: vierteljährlich >14.50, »ei zweimaliger täglicher Zustellung int hauS >l 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich' vierteljährlich >l L.—. Directe tägliche Krruzvandiendung i»< Ausland: monatlich >l 1.50. Die Morgen-AuSgabe erscheint u« '/,? Uhr. bi« Abend-Ausgabe Wochentag- «m 5 Uhr. Nedaclion und Erpeditio«: JohanntSgaffe 8. HteExpeditio» ist Wochentags unuuterbroche» geöffnet von früh 8 bis Abend- ? Uhr. Filialen: vtt» Klemm'- So.tim. (Alfred Hahn), Universitätsslraße 3 (Paulinum^, Lo»is Lösche, Lathariuenstr. 14. Part, und KöntgSplatz 7. 51S. Abend-Ausgabe. KiMerIagMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Mittwoch den 11. October 1899. Anzeigeu'Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklame« unter dem Redaction-strich (4g«» spalten) 50xj, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichnib. Tabellarischer und Zifferusaß nach höherem Darts. Extra-Beilage« (gefalzt), nur mit d« Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderung >l 60.—, mit Postbeförderung >l 70.—. Ilunahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Marge «-Ausgabe: Nachmittag- - Uhr. Lei den Filialen und Annahmestelle« je ei» halbe Stunde früher. Anreise« sind stets an die Erpeditie» zu richten. Druck und Verlag von E. Volz tu Letpzi» 93. Jahrgang. Das Ultimatum Transvaals. Endlich sind die Würfel in Südafrika gefallen! Endlich hat die Transvaalregierung sich zu dem Ultimatum an England entschlossen, zu tem sie mindestens schon vor acht Tagen berechtigt, ja dem Land gegenüber verpflichtet war. Möglich, wahrscheinlich sogar, wenn England nicht ander wärts schwere Berwickelungen entstehen, daß der nun unver meidliche Kampf mit dem Untergang der beiden Boeren- republiken endet. Allein ihr Schicksal war auch beschlossen und besiegelt, wenn sie nickt kämpften — dann erst recht. Den Versuch einer letzten Entscheidung auf dem Felde der Ehre müssen die Boeren machen, sie würden sonst ihrer ganzen Vergangenheit untreu werden und aller der NubmcS- titel verlustig gehen, die sie sich in Jahrhunderte langen Kämpfen errungen haben. Die entscheidende Meldung lautet: * Loudon, 10. October. („Rcnter's Bureau") Chamber lain empfing heute eine Depesche von Milner, in der dieser ihm den Empfang einer Depesche Les britischen Agenten in Pretoria mittheilt. Diese Depesche Les britischen Agenten besagt, daß er von dem Staatssekretär Reitz eine Note erhalten habe, in der die Regierung von Transvaal verlangt: 1) daß alle zwischen England und Transvaal schwebenden streitigen Angelegenheiten durch Schiedsspruch oder auf andere freundschaftliche, zwischen England und Transvaal zu vereinbarende Weise geregelt werden, 2) daß die englischen Truppen sofort von den Grenzen Trans vaals zurückgezogen werden, 3) daß alle englische» Ver- stärkungstrnppc», die seit dem 1. Juni 18Si) in Süd afrika ««gekommen sind, in einem angemessenen, zwi schen England nnd Transvaal näher zu bestimmenden Zeitraum wieder ans Südafrika zurückgezogen werden, während Transvaal seinerseits sich verpflichtet, sich jeden Angriffs auf irgend eine englische Besitzung während der einzuleitenden neuen Unterhandlungen zu enthalten. Wird diese Bedingung angenommen, so wird auch die Regierung von Transvaal bereit sein, die bewaffneten Boeren von den Grenzen zurückzu ziehen; 4) wird verlangt, das; die englischen Truppen, die auf dem Meere unterwegs sind, an keiner Stelle in Süd afrika gelandet werden. Die Regierung von Transvaal fordert dringend von der englische» Regierung eine sofortige zn- stimmende Antwort bezüglich der obigen vier Puncte, und zwar soll sie ihre Antwort nicht später, als Mittwoch, den 11. Oktober, Nm 5 Ubr Abends geben. Die Re- gierung von Transvaal möchte noch hinzusügen, daß sie für den unerwarteten Fall, daß sie innerhalb der fest- gesetzten Frist keine zufriedenstellende Antwort erhalten sollte, sich zu ihrem große» Bedauern ge zwungen sehen wird, die Handlungsweise der englische» Negierung als eine sormcllc Kriegserklärung anzu- seben, und sich für die weiteren Folgen nicht für verantwortlich halten wird; daß sie ferner auch, falls neue Truppenbewegungen nach Len Grenzen von Transvaal innerhalb der festgesetzten Frist statt- finden sollten, genöthigt sein wird, diese Truppen, bewegungen als eine formelle Kriegserklärung an- zufehen. Bis heute Abend also wird die englische Negierung sich entscheiden oder vielmehr mit ihrer längst beschlossenen Ent scheidung formell herauSrücken müssen. Daß das neuerdings angeborene Schiedsgericht oder daß die Wiederaufnahme güt licher Verhandlungen jetzt nicht mehr acceptirt werden kann, liegt auf der Hand. Wie uns auS London telegraphirt wird, erfahren die „Times", die Antwjorjt Großbritanniens auf daS Ultimatum der Südafrikanischen Republik werde lediglich das Bedauern darüber auödrücken, daß Präsident Krüger einen ernsten Schritt gethan habe, nnd ferner besagen, daß die britische Negierung zur Zeit dem Präsidenten Krüger nichts weiter mit zu- theilen habe. Die heutigen Londoner Morzenblätter bezeichnen daö Ultimatum als anmaßend und sogar als unverschämt, da eS Großbritannien dictire, wieviel Truppen eS in seinen eigenen Eolonien haben solle, nnd die letzte H öffn nn g auf Frieden zerstöre. Die „Times" führen auS, daß das Ultimatum, selbst wenn eS von der mächtigsten Weltmacht an Großbritannien gerichtet worden wäre, sofort zum Kriege hätte führen müssen. Die Führer Transvaals hätten daS letzte Wort Großbritanniens nicht abgewartet, die Folgen würden aus sie fallen. Sie hätten Großbritannien den Krieg erklärt und müßten dafür büßen. Daß die englische Presse so reden werde, war aufs Wort vorauSzuseben. Eindruck wird ihre perfide Heuchelei aber nirgends machen. Jedermann weiß ja, daß die Boeren sich in der Nothwehr befinden und daß es Selbstmord gewesen wäre, zu warten, bis England fertig gerüstet dagcstanden hätte. Nicht Transvaal bat den Krieg erklärt, sondern England, daS mit herausfordernden Noten und mit der Ansammlung, von Streitkräften an der Grenze der Republik noch während die Verhandlungen schwebten begonnen bat. Darüber giebt cs keine Frage. Vor dem Richtcrstuhle der öffentlichen Meinung der gesammten gesitteten Welt, sowie vor dem Forum der Geschichte steht England als der frivole Friedensbrecher und Vergewaltiger des Völkerrechts, der Boer der südafrikanischen Republiken als der heldenmüthige und todeömuthige Verlheidiger seiner ungerechter Weise angegrif fenen Freibeit! Vielleicht falle» morgen schon dir ersten Schüsse. Den „South Africän News" ist ein- Drahtnack- richt auS Pretoria zngegangen, in der «S beißt, Gen erat Joubert habe die verschiedenen Lager der Boeren angewiesen, sich für den sofortigen Vormarsch bereit' zu halten. Die Boeren des Oranje-FreistaatS sollen zwei große Lager haben, jedes 8000 Mann umfassend, da- eine zwanzig Kilometer von HarriSsmitb, an der Grenze deS Basutolande-, das andere bei der Albertina-Station. Em Theil der Artillerie befindet sich bereits an der Grenze von Transvaal. Wie der „Frkf. Ztg." au- Amsterdam berichtet wird, bat der Dordter Bürger van Zanten an den Vorstand der Niederländisch-südafrikanischen Vereinigung in Amsterdam eine Eingabe gerichtet, um eine Bewegung zur Errichtung eines großen Asyls in Transvaal für die Waisen der im Felde Gefallenen ins Leben zu rufen. In seiner Aufforderung heißt es unter Anderem: Wenn wir für die Waisen sorgen, wird nicht nur ein auf- blühendes Geschlecht gerettet auS einem Volksstamme, der nicht zu Grunde gehen darf, auch dem Vater, der fern von den Seinen aus dem Schlachtfelde seinen letzten Alhem aushaucht, wird eine De- ruhigung gegeben. Dies wollen, dies können, dies müssen die Niederlande thun. Es ist darum mein Gedanke, in Transvaal ein großes Ashl mit damit verbundenem Capital zu errichten, »in Ast>l unter Staatsaufsicht, und ich rechne dabei auch auf die Mit- Wirkung des Auslandes. DaS soll ein monumentales Geschenk jein, ein Zeichen von den Banden des Blutes, die zwischen Trans vaal und den Niederlande» bestehe». Für sein Zustandekommen sollen in jeder Stadt, in jedem Torfe Commissionen errichtet werde», Arni und Reich soll dazu beitragen. Findet mein Bor- schlag allgemeine Zustimmung, dann liefern die Niederlande den Beweis, daß sie in Hilssbereitwilligkeit und liebevoller Wohl- lhätigkeit vorangehe». Selbst Ihre Majestäten die Königinnen werden kein Bedenken tragen, dieses Werk zu unterstütze», und durch ihren Einfluß auch im Ausland für diese schöne Sache Anhang gewinnen. Das niederländische Blatt „De HuiSvrouw" empfiehlt die Wahl eines Comiläs von Frauen, um geeignetes Per sonal für den VerpflcgungSdienst, sowie Lebensmittel nach Südafrika zu senken. Man hat zwar gehört, so bemerkl das Blatt, daß das „Rothe Kreuz" Verbandstoffe nnd anderes Material abgeschickk hat, aber nicht, daß Pflegerinnen nach Südafrika gesandt wurden, und an geschulten Kranken pflegern wird dort Mangel herrschen, sobald der Krieg aus bricht. Die wenigen Pfleger, die in Transvaal vorhanden sind, werden der Ausgabe nickt gewachsen sein. Jedenfalls würden jung: Aerzte und Krankenpfleger aus den Nieder landen sich bereitwillig dieser Aufgabe unterziehen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1l. October. Das zweifellos nicht freiwillig eingereichte Entlassungs gesuch deS Frhrn. v. Zedlitz scheint die preußischen Agrar- conscrvative» zu der Einsicht gebracht zu baden, daß sie ein gewagtes Spiel spielen, wenn sie den Fürsten Hobenlohe als den eigentlichen Urheber der Beamtenmaßregelungen be kämpfen. Sie stellen daher — vorläufig wenigstens — ihre Angriffe gegen den Ministerpräsidenten ein und richten ihre Pfeile gegen das Centrum, dem sie vorwersen, daß es ganz allein die Canalvorlage zu Falle gebracht habe, weil es dir von ihm aogestrebten Concessionen auf dem Gebiete der Gemeindewahlrechts-Reform nicht habe erreichen könnest. Wörtlich schreibt die „Kreuzztg.": „ES war ein offenes Geheimniß, daß der Antrag, den Freiherr v. Heereman „im einstimmigen Auftrage feiner Freunde" bei der verunglückte» zweiten Canallesung am 15. Juni einbrachte und der die Zurückverweisung deS Entwurfs in die Commission herbeisührtr, den Zweck hatte, dem Centrum Zeit zu lassen, um politische Compensationen auf dem Gebiete der Gemeindewahlrrchtsreform zu erlangen. Die Regierung ging — da sonst die Vorlage unbedingt ab- gelehnt worden wäre — aus diesen Ausweg ein; sie ließ sich eben von der CentrumSleitung, die ihre Fraction geschloffen hinter sich zu haben glaubte — oder vorgab, täuschen. Wäre aber damals die Entscheidung nach dem Wunsche der Conjervativen herbeigesührt worden, so lägen heute die Dinge in jeder Beziehung besser. Wir gehen nicht so weit, der Centrumsleitung die Absicht, „die Sache so zu arrangiren, daß sie schief gehen müßte", zuzu schreiben; allein eS wird nicht geleugnet werden können, Laß Centrum wie Nationalliberale das Möglichste gethan haben, um die Sache unheilbar zu verwirren." Ob eS gelingt, durch solche Darlegungen den Unmuth der maßgebenden Stelle auf daS Centrum abzulenken, muß einst weilen dahingestellt bleiben. Tie Centrumsleitung selbst hat augenscheinlich das Bedürfniß, den Eindruck, den die Mainzer Rede des Herrn I)r. Lieber auf die Conservativen hat macken müssen, etwas zu verwischen und einen Vorschlag zu einem mocln8 vivoucki zu machen. Unter der Ueberschrift „Centrum und conservative Partei" veröffentlicht daher die „Centrums- correspondenz" einen Artikel, dem wir folgende Sätze ent nehmen: „Bei den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhause hat daS Centrum durch Wort und That den Leitsatz bekundet: die Con servativen dürfen nicht die Mehrheit für sich allein haben, aber sie müssen so stark bleiben, daß sie mitunS zusammen eine christliche Schulgesetz.Mehrheit bilden können! Das ist auch heute noch unser Sinnen und Trachten gegenüber der Nachbarpartei. Sie soll stark sein, aber sie soll nicht alleinherrschend sein und nicht das gefährliche Bewußtsein der „ U n e n tb e h r l i ch ke i t" erlangen! Deshalb kann kein vernünftiger Conservativer uns einen Vorwurf machen. Tenn keine einzige Partei, die noch selbst lebensfähig ist, kann wünschen, daß eine andere die Alleinherrschaft erlange und zum lieber muth erzogen werde. Herr v. Miquel hat aber in der That das ohnehin schon stark entwickelte Selbst- bewußtjein der Conservativen durch das Gerede von der „Unent behrlichkeit" und das Nachlaufen bis in di« Redaction der „ Kreuzzt g." hinein gar zu sehr gehegt und gepflegt... Auf Kosten des Centrums sollten die Conservativen „unentbehrlich" gemacht werden. Diese Jntrigue gegen das Centrum veranlaßte schließlich die offene Aussprache des Abg. vr. Lieber zu Mainz. Hat vr. Lieber nicht das volle Recht, sich gegen solche Machenschaften zu wenden, die das Ceiitrum um sein bischen Einfluß im Reiche bringen wollen? Wenn den Conservativen ihr Vorrang im Abgeordnetenhause lieb ist, sollen sie uns auch die entsprechende Stellung im Reichstage lassen. Wir er- kennen die Gleichberechtigung der beiden Parteien auf richtig an. Wir vermissen aber dieselbe Anerkennung von conser- vativer Seite." Der bemerkenSwertbe Vorschlag, der in dieser Ausführung steckt, geht also dahin, Laß die Conservativen dem Centrum im Reichstage die Herrschaft sichern sollen, wofür das Cen trum im preußischen Abgeordnetenhaus« den Conservativen die ihnen zur Mehrheit noch fehlenden Stimmen zur Ver- fügung stellen will. Die Regierung, so meint daS Centrumöorgan augenscheinlich, wird dann schon thun müssen, was die „gleichberechtigten" Verbündeten wollen, oder aber vom Platze zu weichen haben. Der Antwort der „Kreuzztg." auf diesen Vorschlag zur Güte darf man mit Spannung ent gegensetzen. Lautet sie entgegenkommend, so wird sich Herr v. Miquel bald neuen Angriffen auch von agrarconservativer Seite ausgesetzt sehen. Der erste Verhandlungstag deS focialdcmokratischen Parteitages hat auf dieGerechtigkeitsliebe, dicConse- quenz, die Principientreue und den Internatio nalismus unserer Socialdemokratie ein Helles Licht ge worfen. Die socialdemokratische Gerechtigkeitsliebe beleuchtete „Genosse" Ledebour-DreSden durch einen An trag, „in Zukunft alle aus Arbeitsconflicten oder der politischen Betbätigung des Proletariats erwachsenden Ber- urlbeilnngen auf die Liste der Classenopfer zu setzen." „Alle Verurtheilungen", so führte „Genosse" Ledebour nach Feuilleton. — Auf freien Lahnen. Sf Roman von Rudolf von Gottschall. Nachdruck verbot«!. Als sie zurückgekommen, war die Stimmung in der Herren laube noch lebhafter, lärmender geworden. Sic ging zunächst ins Haus, um nach dem Abendtisch zu sehen, sie fand Alles in Ord nung; die Dienstboten hatten ihre Schuldigkeit gethan. Wieder trat sie in den Garten, und als sie in einem umbuschten Gang spazieren ging, gesellte sich plötzlich Elias von Bitterbach zu ihr. Das schmucke Herrchen, das sogar Lackstiefeln trug und ein Paar rosenrothe Glacehandschuhe in der einen Hand zerknüllte, ging unverfroren auf ein galantes Abenteuer aus. Von der Brautbewerbung des jungen Trams wußte er nichts; so vertraut stand er nicht mit dem Sohne des Verwalters, auf den er geringschätzig herabsah; auch war es mit der Verlobung ja auf «ine Ueberraschung abgesehen. Elias hatte «ine Rose im Vorübergehen gepflückt und reicht« sic Alicen mit einer galanten Verbeugung. „Ich hab« von ferne den gelben Falter unter den Rosen be merkl und ich mußte ihm nachgehen. Das Kleid steht Ihnen reizend, Fräulein Alice. — Sie sind wie die Dings da, die Flora, nur ist diese nicht so zugeknöpft." „Haben Sie mir etwas zu sagen, Herr von Bitterbach?" „Viel, recht viel! O, mit Ihnen zu plaudern, hier im Blumenverstcck — wie schön! Sie plaudern ja auch mit Herrn Trams, und von Bitterbach hätte doch wohl ein größeres Anrecht auf Ihre Gunst!" „Weder der Eine, noch der Andere!" „In den schönen, minniglichen Zeiten war es der Ritter Pflicht und Recht, um schöne Damen zu freien — und wir, di: Söhn« alter Geschlechter, müssen in die Fußstapfen unserer Väter treten. In Ihren Kreisen, mein Fräulein, kennt man solche ritterliche Sitte nicht. Da gab es Liebeshöfe, welche die Fragen der Minne lösten; da gab es keine engherzigen Vorurtheile; die Küsse waren keine auf eine ehelich« Zukunft ausgestellten Wechsel, es war ein« freie, am Liebeshofe cursirende Münze." „Gott sei Dank, daß wir nicht mehr in so ungebundener Zeit leben." „Sie wird unter uns lebendig, wenn wir's nur wollen. Ein Kuß — es ist die Poesie des Augenblicks, gleichsam eine Moment aufnahme des höchsten Glückes." „Stecken Sie nur Ihren Photographiekastcn ein, Herr von Bitterbach." „Das geht nicht so rasch, wenn man ein so reizendes Object vor Augen hat. Im Ernst, Fräulein Bärmann, einen Kuß in Ehren kann Niemand wehren. Wäre ich ein Ritter, ich würde um diese Dame werben, für sie kämpfen, und dann den Preis in einem Kusse empfangen. Doch heutigen Tages giebt es nirgends offene Schranken und die Küsse sind Geschenke freier Gunst, oder sie werden im Pfänderspiel verschleudert. Darf ich hoffen, daß Sic mich nicht spröde zurückweisen? Nehmen Sie an, der Plumpsack wäre herumgegangen!" „Sie verdienten, daß er recht lange bei Ihnen verweilte und tüchtig auf Ihrem Rücken herumtanzte", sagte Alice, indem sie ihre Hände aus der Umklammerung losriß, womit Elias seinen Raub fesbzuhalten suchte, und das federleichte Bürschchen mit ihrer ganzen Jugendkraft von sich stieß. Elias taumelte in einen Roscnbusch hinein, sie aber verließ als Siegerin das Schlachtfeld. So viel Rohheit war an diesem Abend auf sie eingedrungen; diese ganze Umgebung widerte sie an. Der Sumpf ländlicher Unsitte schien die Luft zu verpesten; nicht schlimmer konnte es aussehen in den verrufenen Regionen der Großstadt und des Theaterlebens. Sollte sie ihren Vater zu Hilf« rufen? Er würde vielleicht über den Spaß gelacht und d«m jungen Adligen einen Bückling gemacht haben. Herr Tram- hätt« sie gewiß ritterlich- vertheidigt, «s wäre zu einem lärmenden Krakkhl gekommen; abr sie wollte ihm diese Ehre nicht anthun, welche thörichte Hoffnungen bei ihm erweckt hätte. Da gab «S nur «ine Rettung — die Flucht aus diesen unwürdigen Ver hältnissen, und ihr schwankendes, zagendes Herz befestigte sich immer mehr in dem entscheidenden Entschluß. Nüch aber war die Luft schwül und Schlimmeres stand bevor. Der Abendttsch war zurecht gemacht — der Vater verlangt«, daß sie den Vorsitz führe. Er hatte aufmerksam dafür ge sorgt, daß «ine Vase mit den duftigsten Blumenkindern vor ihrem Gedecke stand. Ihr zur Rechten saß Hugo Trams, halb be rauscht, halb verzückt von so holder Näh«; seine Augen hatten ein«n feuchten verschwommenen Schimmer, seine Fußspitzen suchten unter dem Tisch eine leichte Berührung mit denen de- geliebten Mädchens, doch vergeblich — Alice war für ihn unnahbar von Kopf zu Fuß. Gegenüber dem Sohn saß der alte Trams, und auch er blickte bisweilen auf s«im Nachbarin mit so vielsagendem Ausdruck, wie seine behaglichen fetten Züge irgend erlaubten. Weiterhin, zwischen zwei WirthschaftSinspec- toren, saß Elias von Bitterbach, welcher finstere Rachegedanken nährte, kein Wort mit seinen Nachbarn sprach, sondern nur böse Blicke auf Alice hinübersandte. Das Gespräch begann mit den Getreidepreisen; ging dann über auf den Bund der Landwirthe, der in dem redegewandten Bitterbach einen Haupt vertreter hatte. Bei diesem Gesprächsthema brach er sein Schweigen, indem er über den Tisch hinüber einige zündende Worte warf, die zugleich sein« eigene Bedeutung ins Licht setzten; er rühmt« den Antrag Kanitz und schimpfte auf die Ritter vom Fabrikschornstein. Die Nachbarn zur Rechten und zur Linken drückten ihm gerührt di« Hand; er nahm diese Aner kennung huldvoll entgegen und versank dann wieder in dumpfes Schweigen. Hugo erschöpfte sich inzwischen in Liebenswürdigkeiten geg«n Alice; eS waren offene und versteckte Liebeserklärungen, welche hageldicht niederregneten. „Aber Herr Trams", sagte sie; „Sie gehen zu verschwenderisch zu Werke. Sie behalten ja gar nichts übrig, wenn wir uns im Leben einmal wieder begegnen sollten." „Wieder begegnen?" rief Trams aus, „aber Fräulein Alice, wie seltsam Sie Ihre Ausdrücke wählen! Das klingt so fremd, so zaghaft; nun, ich hoffe, binnen Kurzem werden Sie einen passenderen Ausdruck finden." Und dabei sah er den alten Bärmann fragend und «rmuthigend an. Bärmann schielt« nach rechts und links hinüber, er faßte offenbar einen schweren Entschluß. Der jetzt mit einem Ritter gut« behaftete junge Trams erschien ihm so unwiderstehlich, das Glück seiner Tochter durch diesen liebenswürdigen Jüngling so gesichert, daß «r vor einem Gewaltact nicht zurückscheute, durch d«n er seine Tochter mehr oder weniger zu diesem Glücke zu zwingen hoffte. Wenn das Pferd über den Graben setzen soll, muß man ihm die Sporen in die Seite drücken. Freilich, er war kein Redner und wenn ihm nicht der Affcct zu Hilf« kam, da rang«n sich die Worte sehr mühselig von seinen Lippen los. Und jetzt war er auch um di« Einkleidung verlegen; ihn störten die Blicke seiner Tochter, die gespannt und unruhig auf ihm ruhten — lag doch in ihren Zügen «in unheimlicher Trotz; doch er hatte sich Muth getrunken, es mußte geschehen. Er erhob sich — und «s trat sogleich allgemeine Stille «in; man fühlte das Gewicht des kommenden Augenblicks, Venn Bärmaitn stand nicht in dem Rufe, ein Redner zu sein, und er trat bei allenderartigen Anlässen immer in den Schatten. Daß «r sich jetzt hervorwagte, war für die Unkundigen eine Ueberraschung, für die Kundigen die Ankündigung einer entscheidenden That. Er stand zunächst da wie ein aufgerufener Schüler, der sein Pensum »ich: weiß — offenbar war er damit beschäftigt, seine Gedanken zu ordnen und irgend eine Satzbildung dafür aufzufinden. „Meine Herren" sagte er dann, „ich heiße Sie zunächst alle bei mir willkommen in meinem bescheidenen Haushalt und hoffe, daß Küche und Keller, besonders aber der Keller, auf den ich einigen Werth lege, Ihnen Genüge thun." Ein Murmeln allgemeiner Zustimmung und beifälliges Kopf nicken ermuthigte den Redner. „Ich bin erfreut, ich bin gerührt, unter meinen Gästen einen jungen Mann zu sehen, der meinem Hause näher zu treten wünscht. Das weiß ich zu schätzen, eS ist eine Ehre für mich — und was meine Tochter betrifft — ja um meine Tochter handelt es sich dabei. Ein Rittergut ist schon gekauft — und auch meine Tochter ist nah: daran — bitte erheben Sie Ihre Gläser." Da sprang Alice von ihrem Platze auf, Zornesröihe be deckte ihre Wangen. „Halt ein, Vater! Setzen Sie die Gläser wieder auf den Tisch, meine Herren! Ich danke Ihnen für Ihren guten Willen, falls Sie auf mein Wohl trinken wollten. Doch von einer Verlobung kann nicht di: Rede sein; denn wenn auch der Bräutigam da ist, so fehlt doch die Braut — und sie wird diesem Bräutigam immer fehlen!" Und mit einer höflichen Verbeugung sich empfehlend, ver ließ Alice das Zimmer. Bärmann war so erregt, daß das Glas in seinen Händen schwankte und der Wein auf das Tischtuch spritzte. Hugo Trams war aufgesprungen, als wollte er Alice cinholen und sie zurückbringen; doch er besann sich eines Besseren, trat ans Fenster, riß es weit auf und suchte in der frischen Luft Ab kühlung für die Gluth, welche der Wein, der Zorn und die Scham ihm in's Gesicht gejagt. Trams, der Vater, legte beschwichtigend seinen Arm auf die Schultern seines Freundes Bärmann, um ihn über den Undank seines Kintxs zu trösten. Die anderen Herren konnten eine ':ise Schadenfreude nicht unterdrücken; denn wenn einem Skerblichen etwas gegen den Strich geht, irgend ein stolzer Plan mißglückt, empfinden die Anderen stets eine stille Grnugthuung — das stimmt zwar nicht mit der christlichen Nächstenliebe überein, aber doch mit den angeborenen Jnstincten ver ganzen Rasse, welche den Erdkreis bevölkert. Nur Bitterbach schlug mit der Faust auf den Tisch. „Famoses Mädchen!" rief er. Sie hatte den Trams so glänzend abgetrumpft, daß er darüber fast sein Aben-
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