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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991002011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899100201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899100201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-02
- Monat1899-10
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Größere Schriften laut unserem Preis« verzrichuih. Tabellarischer und ZissernsaU nach höherem Tarif. Extra»vetlagen (gefalzt), nur mit de» Morgen «Ausgabe, ohne Poslbesörderun- SV.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abead-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richte«. Druck ond Verlag von S. Polz in Leipz^ «z? 5stl. Montag dm 2. October 1899. 93. IllhlMUF- Amtlicher Theil. Versteigerung. Am Dienstag, den 3. Octoder 18VN, Vorm. 10 Uhr, sollen P»oiucnaScnitras;c IN, I. 1 Coulisjenlijch, 1 Schreibtisch, 2 Schränke, 1 Eisschrank, Federbetten, Stühle, 3 Büsten, 1 gr. Flagge, 2 Schmetter« lingSsanimlungen, 1 Käfersammlung, sowie 150 Flaschen div. Weine össentlich gegen sofortige Baarzahlung versteigert werden. I-Uesvvti«, Localrichter. Die städtische Bangcwcrkcnschule zu Roßwein beginnt daS Wintersemester 1899 1900 Montag, dcn 9. Oktober, Vormittags 8 Uhr. Anmeldungen zum erstmaligen bez. wiederholten Eintritte haben baldigst bei der Direktion zu erfolgen, durch welche auch Prospekte der Anstalt unentgeltlich zu erlangen sind. Auch ertheilt der unter zeichnete Stadtrath jede gewünschte Auskunft. Roßwein, den 25. September 1899. Der Stadtrath. Bürgermeister Rüder. Herrn Oberbürgermeister vr. Tröndlin zum Gruß. Nachdem vorgestern Herr Oberbürgermeister Geh. Rath Dr. Georgi aus seinem Amte geschieden ist, wird heute der bisherige zweite Bürgermeister unserer Stadt, Herr Justiz rath Or. Bruno Tröndlin, der am 12. Mai d. I. in gemeinschaftlicher Sitzung des NatbeS und der Stadtver ordneten zu seinem Nachfolger gewählt worben ist, durch dcn Kreisbanptmann Herrn von Ebrcnstein feierlich in sein Amt eingewiesen werden. Wir rufen dem neuen Oberhaupte unserer Stadt einen herzlichen, aufrichtigen WillkommenS- gniß zu! Bon all den tüchtigen Berathern und Helfern, die unser aus dem Amte geschiedener Lbcrbürgcru'.cist:: gehabt hat, bat ihm I)r. Tröndlin am längsten und treuesten zur Seite gestanden. Während deS ganzen Biertcljahrhunterts, auf das 1)r. Georgi zurüctblickt, ist Or. Tröndlin, man kann sagen, fein steter Begleiter gewesen. Nachdem er bereits 1870 in das Stadtverordnelencollegium als Ersatzmann berufen, 1871 als wirkliches Mitglied eingetreten, 1872 zum Vorsitzenden deS Verfassungsausschusses gewählt worden war, wurde er am 14. Oktober 1874 — also fast genau vor 25 Jahren — nachdem vr. Georgi als Vicebürgermeister in das Naths- collegium übergetreten war, an dessen Stelle zum Vorsteher des Stadtverordnetencollegiums gewählt. Als dann nach Koch's Tode vr. Georgi in das Amt deS ersten Bürger meisters ausrückte, wurde vr. Tröndlin am 18. October 1876 wiederum zu seinem Nachfolger in dem Amte des zweiten Bürgermeisters gewählt und am 28. October 1876 in dieses Amt eingewiesen. Am 8. März 1882 erfolgte seine Wieder wahl aus Lebenszeit, und heute soll er nun seinem Vorgänger auch in das Amt des Oberbürgermeisters nachfolgen. Von einem Manne, der diese Laufbahn durchmessen hat, noch besonders versichern zu wollen, daß er jetzt das berufene Oberhaupt dieser Stahl sei, wäre wohl das Ueberflüssigste von der Welt. Die Worte, mit denen ihn vr. Georgi vor 23 Jahren in das RathScollegium aufnahm: „Seien Sie überzeugt, daß ich mit freudigen Hoffnungen unserer gemein samen Arbeit entgegensetze. Die Aufgaben, die Ihrer warten, brauche ich Ihnen nicht zu nennen, Sie kennen sie auS eigener Erfahrung, und die ich als die meinen bezeichnet habe, sind auch die Ihrigen. Sie bringen eine rüstige geistige Kraft, eine in einer umfänglichen Tbätigkeit geschulte geschäftliche Erfahrung, eine warme Begeisterung für die hohen und idealen Ziele Ihres Amte-, ein inniges Verständniß für den Geist und die Vorzüge unserer Stadt, eine kräftige Gesundbeit in Ihr neues Amt mit. So dürfen Sie und wir mit frohen Hoffnungen der Zukunft entgegensetzen" — sie haben natür lich beute zum Theil eine noch weit größere, zum Theil er freulicher Weise wenigstens noch dieselbe Geltung wie damals. Zu den schwierigsten Aufgaben, die einem geistvollen, kenntniß« reichen, von Arbeitslust erfüllten und zu leitender Stellung befähigten Manne gestellt werden können, gehört die, eine lange Reihe von Jahren und zwar die besten Jahre seines Lebens „der Zweite" zu sein. Sie erfordert unausgesetzte Rücksicht, sie kann selbst Duldung und Entsagung erfordern, die beste Kraft kann unter Umständen dabei verkümmern, der beste Wille erlahmen, die beste Laune verdorben werden. Daß sich unser neuer Oberbürgermeister dieser Aufgabe vollständig gewachsen gezeigt hat, stellt ihm und feinem bis herigen College» ein wahrhaft glänzendes und für unsere Stabt hocherfreuliches Zeugniß aus. In einträchtigster Collegialität baden Beide die lange Zeit hindurch nebeneinander gewirkt. Nie ist auch nur eine Spur von Reibung oder Verstimmung zu bemerken gewesen. Frisch und elastisch trotz seiner 64 Jahre ist vr. Tröndlin aus seiner langen, schwierigen „Zweiten* stellung" hervorgegangen. Er hat sich nicht nur seine körper« liche Rüstigkeit, sondern auch seine Geistesfrische und sein glückliches Temperament bewahrt. ES hat auch nicht den Anschein, als ob er sich über die weißen Zettel, die bei seiner Wahl abgegeben worden sind, weiße Haare wollte wachsen lassen. Es läge auch wahrlich kein Grund dazu vor. War doch auch vr. Georgi, dessen Verdienste jetzt rück haltslos anerkannt und begeistert gefeiert worden sind, bei seiner Wiederwahl am 1. März 1882 mit einer stattlichen Anzahl weißer Zettel beehrt worden! So hoffen wir, daß vr. Tröndlin den Oberbürgermeisterstuhl gutes MutheS be steigen werde. Wir hoffen eS, und wir bitten ihn darum. Es wäre eine große Täuschung, wenn man meinen wollte, daß aus den bewegten, inbaltrerchen Abschnitt in der Ent wickelungsgeschichte unserer Stadt, der in diesen Tagen zu Ende gegangen ist, eine stillere, leerere Zeit folgen werde. An Auf- gaben, Wünschen, Forderungen für die Zukunft fehlt es nicht. Zu den unvermeidlichen, die wir heute hier nicht aufzählen wollen, werden bald genug unerwartete treten. An Still stand ist nicht zu denken. Meistern wir nicht die Zeit und waS sie bringt, so meistert sie unt. 8« werden also an die Arbeitskraft unsere- StadtoberhauptrS auch in Zukunft ganz sicherlich keine geringeren Anforderungen gestellt werden als bisher. Aber wir hegen die feste Zuversicht, daß sich vr. Tröndlin auch ihnen gewachsen zeigen wird. Wir glauben uns nicht zu irren, wenn wir qnnehmen, daß auch er den einen oder anderen „Ehrgeiz* bat. Zu den Zweigen der städtischen Verwaltung, di» bisher unter seiner besonderen Leitung und Fürsorge gestanden Haden, gehören daS Finanzwesen, da» Forst« und Oekonomiewesen, das Iohannishospital und daS IacobSho-pjtal, daS Leihhaus und die Sparcasse, Pie TbomaSschule und die Gewerbeschule und die milven Stiftungen. Aber auch in vielen anderen wichtigen Verwaltuiigszweigen ist er stet« gemeinschaftlich mit Vr. Georgi ttzätig gewesen. Da der Personenwechsel an leitender Stelle selbstverständlich manche Verschiebungen in der bisherigen Geschäftsvertheilung de- Rathe» mit sich bringen wird, so haben wir einen Wunsch, vr. Tröndlin ist in Kunst dingen rin Mann von feinem Urtheil und Geschmack. Darum wünschen wir, daß er namentlich auch den städtischen .Kuustiuslituten, den Museen, dem Theater und dem Musik wesen seine Fürsorge zuwenden möchte. Soviel"Tft 'rsrchk sicher, daß jeder Zweig der städtischen Verwaltung sich gern und freudig unter die besondere Obhut vr. Tröndlin'S be geben oder unter ihr verbleiben würde. Aber zwei Schultern können und sollen nicht Alles tragen, und eS »st auch ein Verdienst, einen großen Arbeitsumkreio richtig einzutheilen und überall dcn rechten Mann hinzustellen. Unser gesammteS RathScollegium — vor Allem auck unser neu gewählter Bürgermeister, Herr vr. Dittrich, der heute ebenfalls in sein neues Amt eiugcwiesen werden soll und dem wir volles Vertrauen entgegenbringen — und tie ganze große Schaar der städtischen Beamten, sie werden fest und treu zu unserm neuen Stadtvberbaupte stehen, vr. Tröndlin genießt die allgemeinste Liebe. Er verdankt sie seiner echten, unverfälschten Freundlichkeit und Herzlichkeit, die gleich weit entfernt ist von Unnahbarkeit wie von Herab lassung. Er ist jeder wohlgemeinten, verständigen Anregung zugänglich und erhebt nicht den Anspruch, daß Alles von ihm auSgetze oder auszugehen scheine. Daher wird man auch von allen Seiten wetteifernd bemüht sein, zu thun, waS ihm die Last seines Amtes erleichtern, zu meiden, waS sie ihm erschweren könnte. Möge denn seine Amtsführung eine lange, ersprießliche und reich gesegnete sein! Siebenter Internationaler Geographen- Longreß. V. Berlin, 30. September. Am gestrigen Nachmittage wurde unter Leitung von Prof. Nansen in Gruppe die Polar« forschung weiter behandelt unter Mittheilnng der meteorologischen Resultate der Iram-Exvedition durch Prof. vr. H. Mohn (Christiania). Hierauf gelangten noch verschiedene Capitel der Landdurchsorschung zur Behandlung Lurch Borträge von Sir John Murray (Edinburg) „Die Perthrilung der auimalischen TiefieedepolS" von Prof. Ungvar Nielsen (Chiisiiania), „M'tlheilung über die Landung der Expedition Borchgrevink-Newnes am Kap Adam und die ersten Tag« ihres Aufenthalt- daselbst, von Ni. Henryk Arktow-ki (London) über die oceanographischen und meleoro« logischen Resultate der belgischen antarktiichen Expedition, von M. Jules von Schokalsky (Petersburg) „Die Resultate der letzten geo graphischen Arbeiten russischer Otficier« in dem arktischen Lcean und in Sibirien", von Arthur C. Jachon (Seattle, Washington) Bor- schlag für einen Plan zu einer Nordpolarexpedition und M. Eug. Pa hart (London) Wiedergabe seine- Planes zur gleichzeitigen und gleichen Erforschung dec Polarregionen. In der Sitzung der Gruppe L wurden Maßnahmen besprochen zur Einführung gleichmäßiger Maßeinheiten und Methoden unter Vorsitz von Geh. Regierungsrath Prof. H. Wegner (Göttingen). Nach kurzer Morivirung gelängen folgende zwei Antti,;e von Herrn Jul. v- Schokalsky zur Annahme: 1) Es ist wiinschcnswertb: a. daß die Veröffentlichung neuer geographiicher Werke begleitet sei von einer Angabe der Reisen, der Art der Aufnahmen, der benutzten Leuilletsn. Hochwasser. Skizze von H. W a l d e m a r (Zittau). Nachdruck verboten. „Offen gestanden, Hella, ich begreife Dich nicht —" Die Anzeredete lächelte spöttisch und meinte, während sie einen eben erhaltenen Brief ruhig zusammenlegte: „Ich weiß schon, Agnes, was Du sagen willst. In meinem Alter, wenn man Die Dreißig längst überschritten, hat man kein Recht wählerisch zu fein. Ich stimme Dir ja vollständig zu für Jene, die überhaupt helraihen wollen. Ich aber —" „Unsinn, Hella, es eignet sich Niemans besser zur Ehe als Du!" rief Frau von Ulle lebhaft. „Du hast eine gute Meinung von mir, Agnes, denn meine Fehler, die Du mir ofi vorgehalten, als da sind Eigensinn, Zähig keit, zu große Selbstständigkeit, machen für mich eine Ehe un möglich!" „Aber Landrath Karstens wäre solch' prächtiger Mann. Er hätte verdient —" „Genug, Agnes, es thut mir leid, ihm ein« Enttäuschung zu bereiten; ich bin nicht die Frau für ihn, sch heirathe überhaupt nicht." „Jawohl,'Keiner ist gut genug in Deinen Augen, weil Du an den Abenteurer denkst, der —" Sie verstummte vor dem stolzen hoheitsvollen Blick, der sie aus Hella's grauen Augen traf und machte sich mit ihrer Hand arbeit zu schaffen, um ihre Verlegenheit zu verbergen. Hella war an's Fenster getreten. Ein tief schmerzlicher Aus druck lag auf ihrem feinen Gesicht und ein Seufzer entfloh ihren Lippen. Sollte sie denn nie Ruhe finden? Immer wieder gab es unbarmherzige Menschen, d'ie die Wunde, die sich nie schloß, ge waltsam wieder aufriffen! Abenteurer hatte sie ihn genannt — ach, wie das weh rhat, izugrben zu müssen, daß Agnes nicht Un recht hatte, denn abenteuerlich war es ja, daß er alle Brücken hinter sich albgebrochen und in die Welt hinausgezogen, als Hella's Eltern ihm die Hand der Tochter verweigerten, aben teuerlich war es. daß er auf das väterliche Gut verzichtete, um nicht in ihre Nähe kommen zu müssen, daß er vorzog, sich selbst seinen Unterhält zu verdienen, trotz des Vermögens, das er sein nennen konnte. Ja, abenteuerlich war es — für Andere. Sie selbst konnte ihm nur zu gut nachfühle-n, was er empfunden hatte, als er seine Wünsche und Hoffnungen zu Grabe tragen mußte. Hatte sie nicht selbst daran gedacht, den sicheren Hafen zu ver lassen, um unterzutauchen ins Meer des Lebens? Ihr war jedoch die Ausführung ihrer Pläne unmöglich, denn man hätte ihr Ver schwinden in unliebsame Verbindung gebracht mit dem seinigen. So blieb sie, und als gehorsame Tochter fügte sie sich und ertrug es, daß man über ihn den Stab brach und ihn gleichsam aus den Gedanken ausPteß, weil er längere Zeit in den Banden einer Tänzerin gelegen und ähr Unsummen geopfert hatte. Dadurch war er in den Augen von Hella's strengdenkendem Vater ein für alle Mal gerichtet. Es nützte auch nichts, daß er bereute und durch ein tadelloses Leben gut zu machen suchte — daS Vertrauen fehlte, und deshalb konnte er trotz aller Liebe sein Glück nicht er langen . . . Und Hella Wartensiein lebte in den engen Kreisen weiter; doch ihr Geist begleitete den Geliebten in unbekannte Fernen, ihr Herz konnte sich nicht loslösen von ihm, den es mit allen Fasern der Liebe umfaßt hielt! — Ihre Schwestern heiratheten, die Eltern starben, sie selbst blieb einsam zurück, dem Versprechen nach kommend,, das sie den Eltern gegeben, das heimathliche Gut zu verwalten und nie zu veräußern. Zwölf Jahre waren vergangen, seit sie mit dem Glücke abge schlossen. Wie eine fremde Blume hob sie sich mit ihrem blassen, durchgeistigten Gesicht, dessen Blick in fremden Welten zu weilen schien, ab von ihrer Umg-.bung. Manche begehrliche Hand streckte sich nach ihr und ihrem Reichthum aus, manches Herz entbrannte in heißer Liebe zu ihr und hoffte, in dem so kalt scheinenden Mäochen Gegenliebe zu erwecken — aber umsonst. Hella Warten- st«in blieb allein, es regte sich in ihr nichts, was nach Eheglück verlangte. Und so gewöhnte man sich daran, dies wie zum Glück geschaffene Mädchen ihre eigenen Wege gehen zu sehen, man suchte ihre Nähe, erfreute sich an ihrem Geiste und war froh, ihrer Freundschaft gewiß zu sein. Um so mehr erregte es sie, daß Landrath Karstens die Grenze überschritten, die sie um sich gezogen. Sie schätzte ihn zu hoch, als daß es ihr gleichgiltig gewesen wäre, ihn als Freund zu ver lieren, und doch konnte sie ihm keine andere Antwort geben auf seine Werbung als ein „Nein" . . . Regungslos stand die Gutsherrin und schaute durch das Fenster in den unaufhörlich herniederströmenden Regen, sah die grauschwarzen Wolken so drohend am Himmel hängen, hörte den Sturm, der die alten Bäume des Parkes neigte und schüttelte, daß die welken Blätter flogen, der den Regen gegen die Fenster peitschte und sie undurchsichtig machte! Sich aufraffend, meinte sie: „Wenn der Regen doch endlich nachlassen wollte, ich fürchte sehr, daß der Damm, der den Fluß nach unserer Seite abgrenzt, der gewaltigen Strömung des Wassers nicht Stand halten wird." „Du siehst Gespenster, Hella", «rwiderte Frau von Ulle auf stehend und zu der Schwester tretend. „Allerdings sieht es trost los aus draußen, aber so lange ich zurückdenken kann, hat der Damm noch immer gehalten." „Und könnte doch einmal nachgeben, Agnes. Ich werde die Angst nicht los, seit ich heute früh die heranstürzenden Wasser massen gesehen. Und Du weißt, der Flgh macht gerade ober halb unsere» Dorfes eine so scharfe Biegung, daß die Gefahr um so größer ist. Bricht der Damm an dieser Stelle, so ist daS Dorf verloren." „Wie magst Du Dir nur so viel Sorgen machen, Hella —" „Das verstehst Du nicht, Agnes, mir sind die armen Leute dort unten, die so redlich ihre Felder bearbeiten und das Mög lichste daraus zu gewinnen suchen, wie meine Familie, meine Kinder. Sie vor Schaden zu bewahren, erachte ich als meine größte Pflicht." „Gewiß, aber dafür ist Dein Inspektor da —", meinte die junge Frau leichtherzig und kehrte zu ihrer Arbeit zurück. „Recht ärgerlich, dieser Regen, ich hatte die Absicht, zur Stadt zu fahren —" „Um Dich zu amüsiren, während hier vielleicht Mancher um feine Existenz, um sein Leben ringt", rief Hella bitter. „Ich halte es nicht aus hier in dieser Ungewißheit. Verzeihe, wenn ick Dich allein lasse, aber ich muß hinunter ins Dorf, nach- zUsehen —" „Du bist von Sinnen, Hella, in diesem Wetter — Du holst Dir den Tod!" Hella lachte bitter auf. „Der Tod? Er kommt nicht dann, wenn man ihn herbei- ivünscht!" Im nächsten Augenblick war sie verschwunden. „Hella!" schrie Frau von Ulle. „Hella, geb' wenigstens nicht allein — sie hört natürlich nicht! Was die sich in den Kopf gesetzt hat — Unsinn, Gefahr, der Damm ist wie von Eisen, Vater hat's immer gesagt —" Sie trat wieder ans Fenster. „Freilich, seit Tagen regnet's schon, und gestern war der Fluß bedenklich angeschwollen, aber deshalb gleich Gespenster sehen — Wahrhasiig, da ist sie draußen — Hella!" rief sie noch einmal, das Fenster öffnend. Der Sturm trieb ihr den Regen ins Ge sicht und riß ihr den Fensterflügel aus dec Hand, als freue ec sich, heulend und fauchend in das Zimmer dringen zu können. Hella Wartenstein drehte sich nicht um, es war überhaupt zweifelhaft, ob sie den Ruf der Schwester gehört- Gegen den Wind ankämpfend, in ihrem wasserdichten Mantel, kam sie nur mit Mühe vorwärts. Der Regen fiel so dicht, daß sie kaum zwei Schritte weit sehen konnte. Als sie die schützenden Bäume des Parkes erreicht hatte, blieb sie, Athem schöpfend, stehen. In demselben Augenblick bog ein Mann um die Ecke, halb laufend, halb vom Sturm vorwärts geschoben. — Auch er wollte rasten. Die Gutsherrin erblickend, stieß er einen Schrei aus: „Gnäidges Fräulein, der Damm — an — der Eck« —!* „Was ist's mit. ihm?" fragte Hella mit aussetzendem Herzschlag. „Er zeigt Risse, er bröckelt —" » „Herr des Himmels, Schöller, so heißt's arbeiten, stopfen. — Wer ist dort?" „Das halbe Dorf —" „So eilen Sie auf den Hof und holen Sie Hilfe und alle Körbe und Säcke, die verfügbar sind — Sand giebt's genug draußen. — Eilen Sie, Schöller, ich werde dort sein!" „Gnädiges Fräulein, die Gefahr ist zu groß für Sie —" Hella wehrte ab- „Keine unnützen Worte, die Zeit drängt!" Weitereilend, hört« sie bald durch das Heulen des Sturmes das tosende Geräusch des Vorwärtsstürmenden Wassers. Sie lief so rasch, als es Wind und Regen nur gestatteten, und dennoch schien der Weg kein Ende zu nehmen. Endlich lichtete sich zu ihrer Linken der Park — nun wußte sie, daß sie die Flußecke bald erreichen mußte. . . . Der Regen ließ etwas nach, selbst der Sturm setzte aus, als wolle er ihr die Möglichkeit verschaffen, das Bild der kommenden Verwüstung voll in sich aufzu nehmen. . . . Sie kam näher. — Ein Menschenknäuel ver sperrte ihr den Weg, wich aber nach und nach zurück, als man sie erkannte. . . . UnD dann erblickten ihre Augen das fast un absehbare Wasser, das. zischend, sich überstürzend, Bäume und Steine mit sich führend, sich heranwälzte und so unbarmherzig gegen die gefährdete Stelle anprallte, als wolle eS sich dort um jeden Preis einen Ausweg aus der Enge suchen. „Warum versucht Ihr nicht, di« Riffe zu stopfen?" rief sie vorwurfsvoll, als sie die Untätigkeit der Leute wahrnahm. Mit einer an Stumpfsinn grenzenden Gleichgiltigkeit zuckten die Männer die Achseln. „Wozu? Wir sind ja doch verloren- Alles hin, es nützt nichts, sich äbzuschinden —* Hella's Aug-e blitzte zornig. „So gebt her, ich will Euch zeigen, was man vermag! Die Flinte inS Korn werfen, ehe Ursache dazu vorhanden, ist Feig heit! Ihr wollt Männer sein und schreckt vor der Mühe zurück, Euer Eigentum Euch zu erhalten? Her mit der Schaufel!", gebot sie dem Zunächststehenden, ^weicht zurück, Ihr Männer, Euer Fuß könnte naß werden. Euer Leben gefährdet sein —!" Mit wenigen Schritten erreichte sie txn Damm und klettert« die Böschung hinan, der Wind zerrte ihr« Kleider hin und her. und der erneut niederfallende Regen peitschte ihr das unbedeckte Gesicht. Sie beachtrte es nicht. In ihr loderte Heller Zorn und Verachtung vor diesen Menschen, di, ergeben zuschauten, wie das Wasser sein Vernichiungswerk fortsetzte, und keine Hand rührten, um es auszuhalten. — Nun stand sie oben. . . . Aber auch ihr sank der Muth, als sie die klaffenden Risse bemerkte, als sie sah, wie jeder Anprall der Wogen ein Theil Erde mitriß .... Es war ihr, als wanke bereits oec Bosen unter ihr. . . Den Dörflern den Rücken kehreno, richieie sie ihren nun auch verzweifelnden Blick nach oben uns dann auf das jenseitige Ufer des Flusses Auch dort war man zur Abwehr bereit, wie es schien, ja, dort arbeitete man kräftig, sie hörte die Schläge und das Knirschen des Sandes bis herüber trotz des Rauschens, das bie Wasser verursachten- Warum waren gerade ihre Lerne so felge? — Ein Schrei, halb Schreck, halb Triumph, riß sie aus ihrem monotonen Sinnen — drüben — Herr Gott, der Damm — ihr gegenüber — sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen — ein mächtiges Loch, durch das die entfesselten Wasser nun ihren Ausweg suchten . . . Gurgelnd, sich überstürzend, geschwätzig, im Eifer rechts und links große Lücken reißend, so brachen Vie Wellen sich Bahn und ergossen sich in mächtigem Strome über das hinter dem Damm liegende breite Wiesengclänbe . . . Hella Wartenstein stand wie erstarrt, gestützt auf die Schaufel, di« sich in die Erbe gebohrt. Sie stand und sah mit schreckhaft erweiterten Augen das Verhängniß — dort drüben — war ja sein, des Abenteurers, Eigenthum — es war vernichtet, ver wüstet, und ihr Dorf, ein Gefühl der Erleichterung beschlich si- doch. war gerettet. . . Nun konnte die Flußbiegung befestigt werden, nun — „Sie haben drüben den Damm durchzebrochen, um uns zu helfen —" „DaS war der tolle Bünthal, der den Befehl gegeben, ich h'ab'S gesehen —" „Dem schadet's nicht, er ist reich genug —" Wie aus weiter Ferne schlugen solche Bemerkungen der vorher so stumpfsinnig dretnschauenden, nun vor Freude strahlend: Menge an Hella's Ohr- Es dauerte lange, ehe sie deren Siu r vollständig faßte und noch einmal den Blick hinüberrichrete. Der Regen hatte fast zugleich aufgehört, auch der Sturm schien nachgelassen zu haben, nachdem dem Element fein Recht gc' worden. Und so erblickte sie drüben, nahe an der Durchbruchs stelle, eine Gestalt, die zu sehen, sie am wenigsten erwartet hätte- Man hatte sie erkannt. — Schwenkte der Mann da drüben nicht den Hut ihr entgegen? — Ihre Knie zitterten . . . All' das Leid der vergangenen zwölf Jahre schwemmten die Wasser hinweg, fort, tveit fort, es fiel von ihr ab wie ein verbrauchtes Kleid, und ei blieb nichts in ihr zurück als di, heiße Liebe ihrer Jugend, die Liebe, die einst hosfte, mit ihm glücklich zu werden, di« sich eins mit ihm wußte- Noch immer winkte er herüber, und nun konnte auch Hella sich nicht mehr beherrschen, sie hob die Hand und grüßte wieder, während ihr Auge hell erstrahlte und ihr Mund verheißungsvoll lächelte . . . Als hätten di« sie Umstehenden darauf gewartet, brachen sie Alle in ein ohrenbetäubendes Hurrah aus. das dem Mann' galt, der unbedinklich sein eigen Land geopfert, um das Dorf der Geliebten zn retten . . , Fünf Minuten später standen sich die Beiden gegenüber am diesseitigen Ausgangspunkt de< kleinen Brücke, die über dcn Fluß führte. Keines sprach ein Wort, nur Hand ruht« in Hand, Auac wurzelte in Auge. WaS der Druck der Händ« vereint, was der trese, heiß« Blick verhieß, daS verstanden nur diese Beiden, die sich jahrelang nach einander gesehnt, und die nun endlick unter den tosenden Fluthen der Wasser den Weg zu «inand« g,funden.
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