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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991011011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899101101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899101101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-11
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Augenblicklich wird aller Orten auf Anregung der Kaiserin gesammelt, um den Opfern der schweren Naturereignisse in Süddeutschland Hilfe zu bringen; im vorigen Sommer richtete ein Wirbelwind in Köln und Um gegend große Verwüstungen an, indem er ganze Häuser und Fabriken niederwarf und zahlreiche Obdach- und Arbeitslose schuf. Vor drei Jahren wurde in der Provinz Posen durch Tromben Tausende Hektare Wald völlig zerstört. Diese Bei spiele ließen sich aus den letzten Jahren leicht vervielfachen, namentlich wenn man die großen Ueberschwkmmungen in Schlesien und Sachsen berücksichtigt. Immer aber war das Unwetter local begrenzt, und wenn auch Staat und die private Wohlthätigkeit mitunter umfassend eingriffen — sobald die Schäden nothdürftig beseitig waren, war das öffenliche Interesse für Unwetter- und Ueberschwemmungs- gefahr wieder erloschen. In kleineren Kreisen ist jedoch durch die häufige Wiederholung solcher Naturereignisse der Gedanke rege geworden, die Abhilfe nicht immer der öffentlichen und privaten Wohlthätigkeit zu überlassen, sondern auch hier zur Selbsthilfe zu greifen und einen Weg zu finden, der die regel mäßige und sofortige Entschädigung für das erlittene Unglück gewährleistet. Der Gedanke einer Versicherung gegen Unwetter schäden ist in einem Puncte schon seit längerer Zeit durchgeführt, nämlich in der Hagelversick)«rung; schwerer als Hagelschäden ater wirken Sturm- und Ueberschwemmungsschäden, gegen die es heute noch keine Versicherung giebt. Eine solche Versicherung zu schaffen, sind verschiedene Verbände eifrig bemüht, und auch die großen Feuerversicherungsgesellschaften, sowie das preußische Ministerium des Innern haben sich bereits mit der Frage be schäftigt. Der Verband deutscher Privat-Feuerversicherungs- Gesellschafien hat in einem 1898 vom Minister des Innern eingeforderten Berichte mit Rücksicht auf im großen im Wege sichenden Schwierigkiten und den Mangel einer statistischen Grundlage eine ablehnende Haltung eingenommen; der Verein der Industriellen des Regierungsbezirks Köln hat dagegen, unter Zustimmung von 20 Handelskammern, nachdrücklich die Noth- wendigkeit einer Unwetterversicherung betont und den Minister um eine wohlwollende Prüfung der Frage und Schaffung der statistischen Grundlagen angegangen. Nachdem die Angelegenheit zu Anfang dieses Jahres auf diesem Puncte angelangt war, hat auch der Deutsche Haft pflicht-Schutzverband sich der Sache angenommen und eine Versicherung gegen Sturm- und Elementarschäden an be weglichen und unbeweglichen Sachen im Anschluß an bestehende Versicherungen als wünschenswert anerkannt. Auch er hält den Gedanken aber erst dann für ausführbar, wenn durch statistische Untersuchungen über den Umfang und die Art des Risicos greif bare Unterlagen geschaffen sind. Der Verband, dessen Vor sitzender der nationalliberale Abgeordnete Commerzienrath Möller und dessen Geschäftsführer der nationalliberale Ab geordnete Professor van der Borght ist, hat zu der Frage eine ausführliche Denkschrift ausgearbeitet, die im neuesten Hefte der Mittheilungen des Deutschen Haftpflicht-Schuhverbandes veröffentlicht wird und eine klare Uebersicht über den gegen wärtigen Stand der Frage, die großen vorhandenen Schwierig leiten und die Möglichkeit ihrer Ueberwindung gewährt. Die Nothwendigkeit einer Versicherung wird nicht so sehr durch die ganz großen Schäden begründet, die überall Antheil finden und eifolgreich an Wohlthätigkeitssinn und Staatshilfe zu appelliren gestatten, als gerade durch weniger erschütternde und öffentliches Aufsehen erregende Fälle, die naturgemäß viel häufiger sind und viele wirthschaftlich« Existenzen alljährlich arg gefährden oder völlig vernichten, ohne daß ihnen Hilfe käme. Als un zweckmäßig betrachtet der Haftpflichtschutzverband die Gründung von Versicherungsanstalten, die sich ausschließlich der Versicherung von Elementarschäden widmen. Für sie dürfte ein hinreichend großes Arbeitsfeld nicht zu erwarten sein. In wirtschaftlicher Weise läßt sich die Elementarversicherung nur durchführen, wenn sic an b e st e h e n d e leistungsfähige und capitalkräftige Organe angegliedert wird und nicht für sich allein den ganzen kost spieligen Verwaltungsapparat erfordert. Am meisten empfiehlt sich die Anlehnung an die Feuerversicherungen, wenn diese sich nach Beschaffung der nöthigen statistischen Grundlagen durch die Regierung entschließen wollten, ihren ablehnenden Standpunkt aufzugeben. Industrielle Verbände und Handelskammern haben die Frage inzwischen weiter verfolgt. Am 1. März d. I. wurde ein Ausschuß vom Centralverband deutscher Industrieller und dem Deutschen Handelstag gegründet, der den Begriff der Un wetterversicherung dahin festsetzte, daß er Sturmschäden und die damit verbundenen Wolkenbruchschäden umfassen soll, und beschloß, die Reichs- und Landesregierungen um die An fertigung einer Statistik über Umvetterschäden anzugehen. Die Abneigung der bestehenden Versicherungsgesellschaften konnte bisher nicht überwunden werden; die Kölnische Unfallversiche- rungs-Actiengesellschaft hat jedoch bereits einen allgemeinen Plan der Versicherungsbedingungen für die Sturmschäden-Ver- sicherung aufgestellt, der dem Gedanken Rechnung trägt, die Ver sicherung an bestehende Organe anzulehnen und das Risico auf ganz breite Schultern zu Vertheilen. . Parlament und Negierung in Frankreich. Deni gegenwärtigen Ministerium in Frankreich ist ohne Zweifel geglückt, was mehreren anderen Ministerien vorher nicht l^eschieden war: eine gewisse Beruhigung im Lande herbei zuführen. Dadurch verdient es den Dank aller einsichtigen Franzosen, die den Patriotismus über Parteiauffassungen und auch über eigene kleine Vortheile zu stellen wissen. Wenn aber der Präsident der französischen Republik kürzlich gesagt hat: „Ich habe das Vertrauen, daß die erwählten Körperschaften ihr moralisches Ansehen gebrauchen werden, damit die heftigen Streitigkeiten und die beklagenswertem Kämpfe aufhören", so hat er sehr mit Unrecht die französischen Deputirten in die Zahl der Einsichtigen und uneigennützigen Patrioten mit einbegriffen. Wenn eine leid liche Beruhigung der Gemüther und «in erträgliches Heraus kommen aus den thurmhohen Schwierigkeiten gelungen ist, so war dieser Erfolg nur dem Umstande zu verdanken, daß da-, Mini sterium klug und energisch genug war, möglichst schnell nach seinem Amtsantritte die parlamentarischen Körperschaften in die Ferien zu schicken, sonst wäre das Ministerium in sehr kurzer Frist zu Falle gekommen. Ist aber das gegenwärtige Ministerium dadurch, daß der Hauptanstoß des Aergernisses während der parlamentarischen Ferienzeit beseitigt worden ist, davor gesichert, bald nach dem Wiederzusammentrittc der Kammern gestürzt zu werden? Keineswegs.. In Frankreich kann sich ein Ministerium noch so viel Verdienste um das Land erwerben, es wird immer von den Beutepolitikern im Parlamente befehdet werden, die selbst auf dem Ministersessel Platz nehmen möchten. An diesen Politikern fehlt eS nicht in den verschiedenen politischen Parteilagern, und so kann sich eines Tages eine vollkommen« heterogene Mehrheit zusammenfinden, die durch die Ablehnung irgend eines von dem Ministerium gebilligten oder geforderten Votums die Demission des Cabinets herbeiführt. Droht diese äußere Gefahr jedem französischen Ministerium, so befindet sich dieses Ministerium auch aus inneren Gründen in einer heiklen Situation. Noch nie befand sich in Frankreich wohl ein Mini sterium am Ruder, das aus derartig verschiedenen Elementen zu sammengesetzt gewesen wäre, wie das gegenwärtige. Diese Männer konnten wohl zusammen arbeiten, um einen bestimmten Zweck zu erreichen, aber nachdem der Zweck einmal erreicht ist, müssen die Gegensätze zwischen ihnen desto schärfer hervortreten. Auf die Dauer ist es ganz unmöglich, daß die beiden sociali- stischen Minister mit dem Kriegsminister Gallifet Zusammen wirken, nicht nur wegen der Vergangenheit des „Henkers der Commune", sondern auch darum, weil Gallifet naturgemäß Ver treter des Militarismus ist, den Baudin und Millerand als ihren Todfeind betrachten. Schon d«r bekannte Tagesbefehl Gallifet's an die französische Armee, in dem er den „Zwischenfall" für erledigt erklärte, hat im socicrlistischen Lager sehr verstimmt; auch sein Wunsch, die compromittirten Generale nach Möglichkeit zu schonen, um nicht neue Erregungen im Heere herbeizuführen, verdrießt die radikalen Kreise auf daS Aeußerste. Entweder Gallifet oder die socialistischen Minister werden also „aus geschifft" werden müssen, und selbst wenn sich dies ohne den Zu sammenbruch des Gesammtministeriums ermöglichen ließe, wäre die Homogenität des Ministeriums noch lange nicht erzielt. Ein homogenes Ministerium ist aber dringend nöthig, damit endlich auch wieder einmal in Frankreich parlamentarisch ge arbeitet werden kann. Ueber den Kämpfen der letzten Jahre ist die nüchterne, gesetzgeberische Arbeit vollkommen vernach lässigt worden. Man hat es nicht einmal fertig bekommen, das Budget rechtzeitig unter Dach zu bringen, und man mußte des halb immer wieder mit „provisorischen Zwölfteln" wirthschaften; von einer ernsthaften Thätigkeit auf dem Gebiete der Social politik, der Finanz- und Handelspolitik und der engeren gesetz geberischen (juristischen) Arbeit war natürlich gar nicht die Rede. Nur wenn Ministerium und Parlament zusammen arbeiten, um das Land vorwärts zu bringen, wird die Existenz der dritten französischen Republik als gesichert angesehen werden können. Diese nüchterne Arbeit ist sehr viel wichtiger, als die gelegentliche Aburteilung von royalistischen Verschwörern durch den Staatsgerichtshof. Mit der Unschädlichmachung der D6- roulöde und Genossen wird nichts Positives erreicht, und man kann die Gefahr für die Republikaner dann abwenden, wenn man der Unzufriedenheit über die Leistungsfähigkeit des republi kanischen Regimes den Boden entzieht. Wird also das wegen seiner Dishomogenität arbeitsunfähige Ministerium Waldeck-Rousseau gestürzt, so brauchte dies an sich durchaus noch nicht als ein Unglück für Frankreich angesehen zu werden. Freilich wird aber das Ministerium nicht aus patriotischen Gründen gestürzt werden, sondern nur aus den eigensüchtigen Motiven der parlamentarischen Jntriguanten. Und deshalb ist noch lange nicht gesagt, daß, wenn das gegen wärtige Ministerium seine Laufbahn beendet sieht, ein wirkliches Arbeitsministerium an seine Stelle treten wird. Deutsches Reich. Berlin, 10. Oktober. (Kleine und große Maß regeln in derOstmark.) Es verlautet, „von maßgebender Seite" sei dem neuen Oberpräsidenten der Provinz Posen nab-gelrgt worden, seinen Einfluß auf die Nachgeordneten Behörden dabin geltend zu machen, daß alle kleinlichen Maßregeln, über die in den letzten Jahren mit Recht geklagt worden sei, unterbleiben. Wir wissen sehr Wohl, daß ein Theil der von den Behörden der Provinz Posen in den letzten Jahren beliebten Maßnahmen als „kleinlich" ver schrien worden ist, natürlich vorwiegend von der polnischen, der klerikalen und der radikalen Presse. Dazu gehören bei spielsweise die Bestimmungen über Firmenschilder, Apotheken, über die Umtanfung früher polnischer Ortsnamen in deutsche, über die Bestrafung von Zeugen und sonstigen vor Gericht auftretenben Personen, die fälschlich angeben, der deutschen Sprache nickt mächtig zu sein. ES ist ein be liebtes Mittel, eine Einrichtung als kleinlich zu bezeichnen, um sie dadurch zu diScreditiren, ja sogar verächtlich zu macken. Wenn man aber näher hinsieht, sind derartige Maßnahmen durchaus nicht kleinlich, sondern entsprechen der Nothwendigkeit, Uebelstände zu beseitigen. Greifen wir beispielsweise einmal die Mittel heraus, die angewandt werden, um polnische Fanatiker zu verhindern, lediglich zur Verhöhnung des Gerichts die Kcnntniß der deutschen Sprache abzustreiten. Wer an Gerichtssitzungen in der Ostmark tbeilgenommen hat, weiß, wie ermüdend die doppelsprachigen Verhandlungen sind; eS leiden aber nicht nur die Richter darunter, sondern auch das Publicum. Denn da eine doppel- sprackige Verhandlung auch nahezu doppelt so lange dauert, wie eine Verhandlung nur in deutscher Sprache, so können natürlich in jeder Sitzung nur beträchtlich weniger Sachen erledigt werden, als in den Provinzen, in denen nur deutsch verbandelt zu werden braucht. Die Folge davon ist natürlich eine Ver langsamung des Proccßganges zum Nachtbeile des Publikums. Diesen Uebelstand muß man natürlich auf das Maß des Noth- wendkgen einschränkcn und deshalb muß scharf darauf geachtet werden» daß die Dienste des Dolmetschers nur dann in An spruch genommen werden, wenn ein Zeuge oder eine Partei thatsächlick der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Es handelt sich also nicht nm kleinliche Mittel, sondern höchstens um kleine. Folgerichtig müßte derjenige, der den kleinen Mitteln abhold ist, große Mittel Vorschlägen, beispielsweise, daß den Polen auheimgegebcn würde, binnen lO oder 20 Jahren der deutschen Sprache mächtig zu sein, und daß dann Prvcesse deutscher Unterthemen in der Ostmark nur noch in deutscher Sprache verhandelt würden. Vom nationalen Standpunkte aus ließe sich gewiß gegen die Anwendung solcher energischer Mittel nichts einwenden; es ist aber nicht zu bestreiten, daß sie von den davon betroffenen als eine große Härte empfunden werden würden. ES soll deshalb gar nickt verlangt werden, daß die Germanisirung mit derRücksichtslosizkeit betrieben werde, mit der die Polen, wenn sie an der Macht wären, die Slawisirung betreiben würden. Wenn man aber von großen Mitteln absieht und die kleinen Mittel auch aufgeben will, dann möchten wir Wohl wissen, wie man sich eigentlich die Germanisirung denkt. Wir haben die Hoffnung, daß die Regierung das Verfahren, das sie Herrn von Bitter für die Verwaltung der Provinz Posen vorschreiben wird oder bereits vorgeschrieben hat, sich ihrerseits nicht von der „Germania" vorschrciben läßt. Herrn von Bitter aber mochten wir zurufen: „Landgraf, werte hart". Da der vorige Land graf Herr von Wilamowitz etwas gar zu weich gewesen ist, so ist es doppelt erwünscht, daß Herr von Bitter seine Auf gabe nicht darin sieht, aus Comuveuz gegen die Polen auf die kleinen Mittel zu verzichten, sondern vielmehr darin, Vie Sache des Deutschthums in jeder Weise zu fördern. Berlin, 10- Ociober. (Zur Charakteristik des ÄischofsvonKetteler.) Als durch den ersten Band der von O. Pfülf verfaßten Biographie des Bischofs von Ket: eler 'bekannt geworden war, dieser streitbare Vor kämpfer des Ultramontanismus habe sich die Tonsur behufs Erlangung einer F a in i l i c n p f r ü n d e ertheilen lassen, suchie Vie „Germania" den peinlichen Vorfall auf jede Weise zu ver schleiern und zu beschönigen. Das Berliner Centrumsblatt muß jetzt den Schmerz erleben, daß es von wissenschaftlicher katholischer Seite in dem gedachten Puncte voll kommen desavouirt wird. Die „Literarisch« Rundschau für das katholische Deutschland" schreib! nämlich in einer Besprechung der genannten Ketteler- Biographie u. A. das Nachstehende: „Ketteler lrat 1838 nach dem Kölner Ereigniß aus dem Staatsoerwaltungsoienst. dem er als Referendar zwei Jahre angehört haue. Vorher (1836) hatte er sich, um «ine Familienpfründe erhalten zu können, sie Tonsur ertheilen lassen (S. 46). An diese bisher unbekannte Thaisache 'hat sich eine Zeitungspolemik geknüpft, in welcher u. A. auf Grund amtlicher Acienstücke festgestellt wird, daß Ketteler 1836 keine Familienpfründe erhalten habe, daß vielmehr eine solche Verleihung erst 1849 erfolgt sei. Demgegenüber bleibt aber die Ertheilung der Tonsur am 30- Juni 1836 bestehen, und wenn Ketteler selbst 1841 dem Bischof Reisach von Eichstätt erzählt, daß rr „schon in früherer Zeit wegen einer Prübende die Tonsur erhalten" habe (S. 92), so ist jene Thatsache und das Molio zur Annahme der Tonsur wohl hinlänglich sicher gesttlli. Man braucht sich auch nicht zu entrüsten, weder auf dieser noch auf jener Seite; denn die An nahme der Tonsur wegen kirchlicher Benefizien von Seiten Solcher, welche nichl Vie Absicht haben, Priester zu werden, k a m früher nicht selten vor." — So anerkennenswert es ist, wenn die kaiholische „Lnerarische Rundschau" gegenüber den Vertuschungsversuchen der „Germania" das sehr unschöne Motiv zur Annahme der Tonsur eingesteht, so unklug und verfehlt ist ihr Versuch, Bischof von Ketteler Vieserhalb durch den Hinweis zu entlasten, Vergleichen sei früher „nicht selten" vorgekommen. Nack der katholischen Satzung ist die Tonsur (wir folgen dem katho lischen „Kirchenlexikon") „das Zeichen der Buße und W e l t e n t s a g u n g, das Abbild der Dornenkrone Christi . . . Aus den bei Ertheilung der Tonsur vom Bischof und Tonsuranden gesprochenen Wollen: 1>ominn8 pars Imerocli- tntis mvuo «t vulici-i mvi: tu v8, giii rv8titn<?8 lmerv- cütukem meum milii (Ps. 15, 5) geht hervor, daß die Kirche die Tonsur an sieht als das Zeichen des Verzichtes auf die Welt, des Ueberirittes in den be sonderen Dienst Gottes und der Hoffnung auf entsprechenden Lohn hierfür." — Es springt in die Augen, daß Herr von Ketteler «inen religiösen Brauch der katholischen Kirche zur Farce machte, indem er das äußere Zeichen des Verzichtes auf die Welt als Mittel zum Erwerbe weltlicher Güter be nutzte. Die „Literar- Rundschau für das katholische Deutschland" versickert, das Verfahren Ketteler'- sei „früher nicht selten" ge wesen; es drängt sich unwillkürlich die Frage auf, wie es jetzt in diesem Stücke bestellt ist, resp. inwieweit Vie Bischöfe in die wahre Feuilleton. „Nauja." Russisch« Skizze von F. Roßmäßler. »Nachdruck vrrboltN. Mehrfach l)atte ich während meines langen Lebens in Ruß land den Wortscherz gehört, daß „stih, tschai und tschin" (Saucrkohlsuppe, The« und Rang) des Russen wichtigste Lebens bedürfnisse seien, wag« jedoch zu behaupten, daß dieses Kleeblatt ein mehrblättriges sein müßt«, um dieser Bedeutung zu ent sprechen, ohne damit die großeVorliebederRusftnfür„stschi,tschai und tschin" bestreiten zu wollen. Wäre der Wortlaut nicht so verschieden, dann möchte ich durch Hinzufügung d«s, wenn auch nicht einsilbigen, doch kurzen Wörtchens „banja" daS dreiblättrige zu einem virrblättrigen Kleeblatt gestalten. Ein solches wird ja allgemein als Symbol des Glückes betrachtet, und „stschi, tschai, tschin und banja" könnt« dann schon für den Russen als solch«s gelten, denn „banja" ist in Wirklichkeit ein unentbehr liches Lebcnsbedürfniß des ganzen Volkes, in allen seinen Schichten; die Entziehung der Befriedigung desselben wäre für einen Russen fast als ein Unglück zu bezeichnen, wenigstens würde sie ihm sicher ein« schwer fühlbar« Lücke in seinem Leben sein. Eine Ucbersetzung des inhaltschweren Wörtchens in daS Deutsche ist nicht thunlich, denn das Wort „Bad", mit welchem wir einen Raum bezeichnen, in dem wir uns bad«n, wär« nicht richtig, und ein anderes besitzt die deutsch« Sprach« für diesen Begriff nicht. Schon eine vergleichende Betrachtung der Worte „kupatsja" (bad«n) und „banja" belehrt un«, daß da« Letztere nicht von dem ersteren abgeleitet ist, wie das deutsche Wort „Bad" von „baden". Um zu baden, g«ht der Russe in ein „kupaluja" — ini der „banja" sucht er etwas Anderes, uns Fremdes, er geht in die „banja" um zu „paritsja" (sich zu dämpfen). Wenn wir das russische Wort unbedingt übersetzen wollen, dann müssen wir uns schon zu der Umschreibung „rus sisches Dampfbad" bequemen. Bei den in Rußland lebenden Deutschen hat sich „Badstube" eingebürgert. Wollen wir uns einen Begriff von der Einrichtung einer „banja" und der in derselben gebräuchlichen Art des Badens machen, und besuchen wir zu diesem Zwecke ein russisches Dampf bad, wie solche in jeder größeren Stadt Deutschlands an zutreffen sind, so werden wir unseren Zweck verfthlen und zu ganz irrtümlichen Rückschlüssen auf dir „banja" Rußlands gelangen. Aus diesem Grunde ersuch« ich den freundlichen Leser, sich meiner Führung onzuvertvauen und mit mir den Besuch einer „torgo- waja banja" (öffentliche Badstube, wörtlich übersetzt „Handels badstube") zu wag«n, wie solche in jeder russischen Stadt in einer der enormen Nachfrage entsprechenden Anzahl vorhanden sind. Außer den öffentlich«» Badstuben besitzen viele Häuser, in kleineren Städten fast jedes bessere Haus, ihr« eigenen; in keinem, auch noch so ärmsten Dorfe, fehlt sie. Dem entsprechend sind Größe, Bauart und innere Einrichtung die denkbar ver schiedensten; von der winzigen, in einem Blockhäuschen befind lichen Dorfbadstube, bis zur prachtvollen Alhambrabadstub« Moskaus, deren Bau die Summe von zwei Millionen Rubel verschlungen hat, giebt e« unzählige Uebergangsstufen. Alle, die einfachste nicht weniger al« die mit allem Luxus ausg«stattete dienen «incm Zwecke, der Reinlichkeit und Erhaltung der Ge sundheit, und bieten dem Ausländer viel Nachahmenswertes namentlich für di« unbemittelt«« Llasse der Bevölkerung. Gar nicht unbegründet erscheint «s mir, den regelmäßigen und viel fachen Gebrauch des Dampfbades, den fast lein Russe versäumt, mit als Ursache der widerstandsfähigen Gesundheit und Lang lebigkeit dieses Volkes anzunehmen. Als typisch«, volksthümlich« Gestalt einer „banja" ist eine Haus-Badstub« die geeignetste, deren Bau, in einfacher Aus führung, in Folgendem besteht. Ein meist aus Balken auf geführtes und im Hofe isolirt stehendes Häuschen wird durch eine Scheidewand in zwei Räume eingetheilt, von denen der kleinere mit einer Außenthür versehen, durch eine Jnncnkchür mit dem größeren in Verbindung steht. Die Scheidewand ist außer der Thür noch durch einen großen Ofen unterbrochen, der in seiner Gestalt einem Backofen gleicht. Dieser Ofen dient zwei Zwecken, nämlich dem der Heizung und der äußerst einfachen und praktischen Dampferzeugung. Seine Construction ist folgende. Die fllr Holzfeucrung bestimmte Heizung ist von einem über ihr befindliclM geräumigen Hohlraume durch ein gitterartig durch brochenes Gewölbe getrennt; d«r Hohlraum selbst ist mit großen Flußsteinen, gußeisernen Kugeln und dergleichen angefüllt. Die hermetisch verschließbare Heizthür« befindet sich im Vorzimmer, welches zugleich An- und AuSkleideraum ist, eine andere, größere, gewöhnliche eiserne Thür an der Stirnwand des Hohlraumes, von der Seite der eigentlicken Badestube aus. Außerdem heizt der Ofen noch einen offenen Wasserkessel. Das Inventar der Bad stube besteht in mehreren Holzpritschen, die in zwei Etagen über einander an den Wändrn angebracht sind, und zahlreichen großen und kleinen Wassergefäßen, flachen Schaaken u. s. w. Sobald der Ofen ausgehrizt ist, d. h. wenn die Füllung des Hohlraumes in ihren untersten Schichten dunkel glühend und das Brennholz auf reine Kohlen abgebrannt ist, wird die her metisch verschlirßbar« Heizthür zugeschraubt und der Schornst«in durch doppelte Schiebervorrichtungen geschlossen. Durch m«br maliges Eingießen heißen Wassers auf die glühende Füllung des Hohlraumes entsteigen demselben gewaltsame große Dampf massen, die bald die ganze Badstube anfüllen, — alle Vor bereitungen sind getroffen — „banja gotowa!" (die Badftube ist fertig). Daß diese ursprüngliche, volksthümlich« Dampferzeugung in den großen öffentlich«» Badstub-n der Städte, deren Besuch ein fast ununterbrochener genannt werden kann, denen, namentlich Sonnabends, 2aus«nde Badelustiger zuströmen, nicht mehr ge handhabt, sondern mit Hilfe großer Dampfkessel und Leitungs rohre bewerkstelligt wird, »«darf wohl keiner Erwähnung. Die öffentlich«» Bavstudrn sind, um «ine ununterbrochrn« Benutzung derselben beiden Geschlechtern zu «rmöglich«», in zwei Abteilungen angelegt, von denen die ein« von Männern, di« andere von Frauen benutzt und ebenso bedient wird. Jede dieser Abtt)«ilungen ist wieder in zwei Classen eingetheilt, nämlich in das gemeinschaftliche, „norodnaja" (Volks-), und da» „dwo räniftaja" (adlige s?j Bad). Außerdem befind«» sich noch in jeder Anstalt eine Anzahl sogenannter „Nummern", Einzelbäder, die wiederum, je nach einfacher oder luxuriöser Ausstattung, in verschiedene Preisklassen zerfallen. Der gewöhnlich« Pr«is für Benutzung des gemeinschaftlich«» Doltsbatxs beträgt pro Kopf 6 Kopeken (1 Kp. gleich H), für das adlige 10 Kopeken. Für einen Ungewöhnten ist die Procedur, der er seinen Körper während eines ganz«» Bades aussetzt, eine anstrengende und nichl immer schmerzlose, für den Russen aber eine wohtthätige. Wir wollen aber Alles über uns ergeh«» lassen, um auch Alles kennen zu lernen und an uns selbst die angenehmen Wirkung«» zu er Proben. Nachdem wir an d«r Lass« «ine Bad«kart« genommen haben,
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