Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991003014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899100301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899100301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-03
- Monat1899-10
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis kn der Hauptexpedttion oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich ^44.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich 6.—. Direkt« tägliche Kreuzbandsendung tut Ausland: monatlich 7ch0. Di« Morgen-Ausgab« erscheint um '/.? Uhr. dir Avrnd-Au-gab« Wochentag» um 5 Uhr, Ne-action und Lrvedition: JohanntSgafle 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen grössuet vou früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: kttv Klcnim's Sortim. (Alfred Hahn). Universitätsstrab« 3 (Paulinmn), Louis Lösche. kathariorvstr. 14. pari, und Nöntg-platz 7. Morgen-Ausgabe. WpMcr TagMaü Anzeiger. ÄRtsökatt des Aömgüchen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Notizei-Amtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter demRedactionSstrich (4a» spalten) 50/4, vor den Familirnnachrichtra (6 gespalten) 40/4- Gröbere Schriften laut unserem PrrlS- verzrtchnitz. Tabellarischer und Zifsernsa» nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de, Morgen»Au-gabe, ohne Postbeförderung ^l 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgtu-AuSgabe: Nachmittag» 4UHL Bei den Filialen und Annahmestellen je eia» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck uud Verlag vou E. Polz ia Leivt^ 5«3. Der bevorstehende Krieg zwischen England und Transvaal. Nachdruck »ertöten. Wenn man die Chancen eines Krieges zwischen dem großen, reichen England und dem kleinen, früheren Vasallenstaate Trans vaal in Erwägung zieht, muß man sich zuerst über die topo graphische Lage ganz Süd-Afrikas klar sein. Di« Capcolonie ist ein Hochplateau, stetig bis zum Oranje-Freistaat aufsteigend, in dem ein lvriteres Plateau — die große Karoo — sich erhebt, durch das heute Wohl die Eisenbahn geht, das aber eine öde, wasserlose Wüste ist, durch die es absolut unmöglich wäre, größere Heeresmassen vorzuschieben. Bahnen selbst sind ja leicht ge sprengt, Bahnverbindungen schnell unterbrochen. Nach Nordwest ist die Capcolonie begrenzt von den Drakens bergen, im südlichen Theile Kathlamba benannt, di« nach dem Basutoland hin «ine natürliche Grenze bilden. Der Oranjefluß bildet nach Süden zu die einzige genügende Sicherheit für den Oranje-Freistaat. Basutoland liegt vollständig in der Mitte zwischen der Capcolonie, Natal und dem Freistaat«. Von seinen circa 330 000 wilden Bewohnern, von denen ge wiß 40 000 junge Helden, mit Flinten bewaffnet, inS Feld ge stellt werden können, auf schnellfüßigen Gebirgsponie», ist mehr ein Einfall nach Natal oder der Capcolonie zu fürchten, als nach dem Freistaate. Ende der sechziger Jahre, nach einer Decadenz- periode, wo Theile Basutolands wieder in Kanibalismus zurück verfallen waren, wurde es vom Freistaate besiegt, worauf es sich unter englischen Schutz stellte. Seitdem fanden mehrere schwere Kämpfe mit den Truppen der Capcolonie statt. Bloemfontein, die Hauptstadt des Freistaats, ist durch ein starkes Fort gegen einen Einfall der kriegerischen Basutos ge schützt, und nicht wenig ist das Land auf seine gute Artillerie unter Capitän Albrecht stolz, der Feldwebel in Berlin auf der Kriegsschule war. In der sogenannten Hauptstadt von Basuto land, Maseru, wo der britische Resident seinen Wohnsitz hat, halten sich vielleicht 100 Europäer auf; mit Händlern und Truppen zusammen beträgt die Zahl der weißen Einwohner kaum 500. Im Nordwesten Natals nun liegt Znluland, im Südwesten zwischen Capcolonie und Natal Griqualand East und Pondo Land. Im Zululand haben seiner Zeit die schweren Kämpfe unter Cetewayo stattgefunden, in denen, wie bekannt, Prinz Louis Napoleon sein trauriges Ende gefunden hat. Obschon das Land nie vollkommen besiegt wurde, bildet es jetzt eine Provinz der englischen Kroncolonie Natal und ist für Truppen nicht zu gänglich. Demnach bleibt für den Einmarsch englischer Truppen, die, wie alle Nachrichten zeigen, nach Durban, dem Hafen von Natal, zur Landung verschifft werden, nur der schmale Land zipfel New Castle, zwischen Drakensbergen und Buffalo River übrig. Dort sind auch die in der englisch-afrikanischen Geschichte rühmlos bekannten Hügel Amajuba und Laings Nek, wo General SirG. Colley im Jahre 1831 mit ca. 1100 Mann in der Morgen dämmerung von den die Hügel stürmenden nur ca. 150 Boers bis auf wenige Flüchtlinge niedergemacht wurden. Von Natal nach Transvaal fallen hier die Berge von 2000 Dienstag dm bis auf ca. 1200 Meter. Auf der englischen Seite fanden hier Truppenansammlungen statt, auf der Seite Transvaals liegen die Boeren mit Kanonen, wohlverproviantirt und mit Munition versehen, im verschanzten Lager und halten treue Wacht. Dort schlängelt sich die Johannesburg-Heidelberg-Standerton-Dur- ban-Eisenbahn durch die Berge, mit den Stationen Volksrust auf der Boersseite; Charlestowrr aus der englischen liegt friedlich und unbefchiitzt außerhalb der Berge. Unseres Erachtens ist die Hauptfrage für den Krieg, ob der Freistaat sich neutral verhält oder Schulter an Schulter an der Seite des Bruder staates in den Krieg zieht. Wir glauben, der Freistaat wird ein« bewaffnete Neutralität einnehmen, die aus Rücksicht für die Boerenbevölkerung Süd-AfrikaS unter englischer Herrschaft nicht gebrochen werden kann. Das heißt, England würde, im Falle eines offenen Bruches und Angriffes auf den Freistaat, sofort auch die gesammte Boerenbevölkerung der Capcolonie und Natals gegen sich und daher Unfrieden im eigenen Land« und den Feind im Rücken haben. England also kann nicht durch den Freistaat marschirrn und muß Transvaal von der Westseite angreifen. Nun kann der Freistaat trotz seiner bewaffneten Neutralität doch ca. 15 000 seiner mit Transvaal-Flinten versehenen Burghers den bereits im Felde stehenden ca. 35 000 Transvaalern im Alter von 18 bis 55 Jahren unofficiell zur Hilfe senden. Diese sind alle zu Pferde, wohlbewaffnet und Scharfschützen. Wir können die von so vielen Zeitungen vertretene Ansicht, daß der Boer die Initiative ergreifen werde, nicht theilen. Das ginge gegen seinen Charakter. Er kann warten, so lange seine Pferde Weidegras finden und er selbst noch seine Pfeife mit Boertabak zu füllen und ein Stück geräuchertes Rindfleisch, Biltong genannt, in seiner Tasche zu führen vermag. Seine Ge wohnheit ist, hinter den Felsen versteckt im Hinterhalte zu liegen, während er gewohnt ist, seinen Hut neben sich als Zielscheibe für den Feind zu legen. Ihm dagegen bieten die weißen Helme der englischen Rooibaatjes (Rothröcke) ein treffliches Ziel, an das er mehr gewohnt ist, als der englische Soldat, der in der klaren afrikanischen Atmosphäre die Distanz unterschätzt. Es wäre möglich, daß größere Streifcorps, nicht autorisirte Truppen körper, nach der Ostgrenze von Griqualand West, dem Dia- mantendistricte Kimberley zögen und vielleicht durch Demo- lirung der Minen ihr Müthchen an ihrem alten Freunde Rhodes kühlten. Strategisch wird der Kimberleystrich durch Freistaat truppen und durch verschantzte Boerlager an den Grenzen von British Bechuanaland im Schach gehalten. Im Osten liegt Swazieland, uneinnehmbare Felsenfestungen der im vorigen Jahre von den Boers gezüchtigten Swazies unter dem jungen König Bunu, der in steter Angst schwebt, seinen Thron zu ver lieren. In diesem Jahre waren Swazieindunas (Truppen regulärer Regimenter) im Feldzuge gegen den König Mpefu im nördlich gelegenen Magatoland als Bundesgenossen verwandt worden. Von Rhodesia aus sind diese Landstrich« wieder un einnehmbar und für Europäer fast unzugänglich. Nach Osten, nach der Delagoabay hin, ist Transvaal also noch offen. Dort kann England keine Truppen landen, sonst hätte es das schon längst versucht. Die Insel gegenüber der Einfahrt des Hafens ist eine deutsche befestigte Kohlenstation. 3. October 1899. Das Gerücht von der Uebernahme des HafenS Lourengo Marques durch England ist uns so oft aufgetischt worden, daß es nun schon zur Mythe geworden ist. Wenn wirklich ein englisches Kanonenboot dort landet, hat es durch elende, sumpfige Gegend bei Komatipoort, durch Morast«, in gefährlicher Fiebergegend seine Mannschaften zu bewegen, denn die Bahn tverden ihnen die Boers nicht stehen lassen, wenn e» einmal so weit kommt. Zum Ueberfluß liegt dort ein stark befestigtes Boerencommando. Nun bleibt noch der alte Weg von Doctor Jameson übrig, die Todesstraße von Pitsani, Mafeking, Malmani nach Pretoria. Von dort oben (Rhodesia und British Bechuanaland), wo kaum 2000 irreguläre Truppen liegen, die immer noch ihre eigenen Kaffernaufstände zu fürchttn haben, können Truppenmassen lebend bis auf die befestigte Felsgegend in d«r Nähe von Krügersdorp eindring«n, obgleich sie unterwegs von streifenden Boercorps arg belästigt werden können. Dort aber ist cS vorbei, wie Ende des Jahres 1895. Damals waren überall auf dieser Straße Proviantlager, und doch kam die todesmuthige Schaar von 700 Mann in Eilritten in elender Verfassung vor die Boerenflinten. D« Boerrn lagen in den steinernen Gehöfen und hinter den Felsen der verlassenen Queen- Goldmine, von wo sie meilenweit den Weg beherrschen können. Wo England überall auf Feinde stoßen dürste, di« Boeren dagegen Freunde sogar in der Africanderbevölkcrung d«r eng lischen Colonien finden würden, hat Transvaal nur einen Theil der Bevölkerung Johannesburgs zu fürchten. Dort steht ein Fort, seit drei Jahren errichtet, wohl weniger zum Schutze der Stadt, als gegen die Verrätherei derselben. Dort kann «ine Macht von circa 2000 berittenen und Fuß polizisten, Söhnen des Landes, und vorzüglich geschulte Artillerie die ganze Gegend beherrschen. Sie sind auf Monate hinaus verproviantirt und haben Wasser in der Festung. Johannesburg, wenn die Bahnen gesprengt sind, die Wasser leitung abgeschnitten, auf einem Wüstenplateau von 6000 Fuß Höhe, ist nach wenigen Tagen einer HungerSnoth und dem Elende preisgegeben. Wenn die Boeren in einigen Treffen besiegt sind, wird sich nicht dann ihre Rache zuerst an di« Minen, den Zankapfel, den Hauptgrund ihres Elendes, eine» ausgezwungenen Krieges, wenden?? Das Fort, im Norden Johannesburgs gelegen, mit den stark befestigten neuen Gefängnissen im Innern, ist befehligt vom Obersten Schiel, in Deutschland als Artillerist ausgebildet, seit Jahren im Dienste der Republik, Oberleutnant Sarel Elofs, einem Enlel des Präsidenten Krüger, mit zwei deutschen Unter- officieren als Unterleutnants, und unterstützt von einem schneidigen preußischen Artillerieofficier, Herrn von W Die Straße von Potschefstroom nach Pretoria, wo die Eng länder schon einmal beim Passiven des VaalflusseS bis auf den letzten Mann niedergemacht wurden, circa 400 Mann stark, ist ausgeschlossen, da nach unserer Annahme Truppenbewegungen durch den Oranjefreistaat nicht stattfinden werden. Auf die Schwierigkeit der Proviantirung großer Truppen massen sind wir in diesem Artikel gar nicht näher eingegangen. Pretoria selbst, wo der Verrath sich schleunigst bei Beginn 93. Jahrgang. des Krieges vor dem glühenden Patriotismus zurückziehen wird, ist durch sechs starke Hügelforts vorzüglich verproviantirt, mit neuen Kanonen und guter, reichlicher Munition versehen. Die vorzüglich bedienten Festungsgeschütze, unter Leitung europäischer Officiere, bestreichen und schützen die Gegend bis KrügrrSdorp und Johannesburg. Von den Forts wird regel mäßig bis zum Johannesburger Fort Heliographirt. Wenn nach langen, heißen Kämpfen England im Lande ist, muß der Hauptkampf zwischen Pretoria und Johannesburg ent brennen. Wenn nach heldenmuthigem Kampfe die gute Sache nicht mehr zu retten ist, wenn ein Krieg, der gegen Religion, Moral und Recht geführt ist, durch Niederlage des Schwächeren ge wonnen sein wird, waS wird England finden? Wird die Welt es den Boeren verargen, wenn sie ein verwüstetes Land zürllck- lassen? Wird die Welt erstaunen, wenn England statt'deS Zank apfels, deS reichen Districtes der Goldminen, nur rauchende Trümmer vorfindet? H. H. O. Deutsches Reich. Berlin, 2. October. Als „Pfadfinder für den Welthandel" hat Fürst Hohenlohe die Geographen gelegentlich deS im Reichskanzlerpalais veranstalteten Fest mahls zu Ehren deS internationalen Geographen - congresses begrüßt nnd darauf hingewiesen, wie gerade Deutschland dieser Pfadfinder bedarf und wie es bei seinem steigenden Antheil am Welthandel aus die geographische Wissenschaft angewiesen ist. In der That besteht zwischen der geographischen Forschung, die fremde Länder erschließt, und dem Welthandel, der ihr aus den neu erschlossenen Wegen auf dein Fuße folgt, ein enger natür licher Zusammenhang und eine re^e Wechselwirkung, und das Volk, das daS lebhafteste Interesse für geographische Forschungen bat und die tüchtigsten Forscher ackSzusenden vermag, bat auch stet» einen hervorragenden Atttbeil an den wirthschafklichen Be ziehungen zwischen den Völkern'und Erdtheilen gehabt. Es ist kein Zufall, daß einer der berühmtesten nnd kühnsten geographischen Forscher unserer Tage dem kleinen und politisch wenig bedeutenden Norwegen entstammt, demselben Norwegen, dessen Handelsflotte in ihrer Leistungsfähigkeit unmittelbar neben der französischen steht. Nur von der britischen, deutschen und nordanierikanischeu Handelsflotte wird sie erheblich über troffen und dürfte sogar die französische, die sie jetzt fast erreicht bat, bei gleichbleibender Entwickelung in beiden Staaten binnen Kurzem ein gules Stück hinter sich zurück lassen. Mit Genugthuung muß es uns Deutsche an gesichts jener engen Beziehungen zwischen geographischer Forschung uud Antbeil am WelthandelSverkchr erfüllen, daß die deutsche Wissenschaft auf dem in Berlin ver sammelten internationalen Geographcncongreß durch Männer vertreten ist, die hinter den ersten Vertretern der anderen Großstaaten nicht zurückstcben; um nur die gegen wärtig am meisten genannten Namen zu erwähnen, genügt eS, auf Professor Chun, den Leiter der großen Valdivia- Expedition nach der Südsee, und Professor Erich vou Dry- galsky, den Organisator der für 1901 bevorstehenden Lvnilletsn. Wunderkinder. Von Ernst Vogel. Nachdruck verboten. Unsere Bewunderung und unser Mitleid zugleich erregen und verdienen die sogenannten Wunderkinder. Wir belegen mit diesem Namen Kinder, die sich durch «ine besondere Frühreife entweder des Körpers oder des Geistes auszeichnen; in beiden Fällen handelt es sich fast immer um «inen krankhaften Zustand, welcher zu einem frühzeitigen Siechthum und Ende führt. Im besten Falle sehen wir solche Kinder in späteren Jahre hinter ihren Altersgenossen Zurückbleiben, der vorzeitig überanstrengte Geist erschlafft und verkümmert, der so gewaltig aufgeschossene Körper stockt plötzlich in seiner Entwickelung und will sich nicht weiter entfalten. Andererseits finden wir auch unter unseren großen künstlerischen Genies nicht wenige, die schon al» Kinder außer- ordenEche geistige Anlagen an den Tag legten und, bei im Ganzen normaler Erziehung, ihre Fähigkeiten normal ent wickelten und bis an ihr Ende di« W«lt mit Bewunderung er füllten. Wir sag«n: „bei im Ganzen normaler Erziehung", denn wie sich nicht leugnen läßt, trägt bei den sogenannten Wunder kindern an deren späterer körperlicher oder geistiger Verkümme rung oft der Umstand die Hauptschuld, daß die verblendeten oder geldhungrigen Eltern und Erzieher den abnormen Zustand des Wunderkindes pflegen und befördern, statt ihn zu bekämpfen; der kleine, frühreife Geist wird im höchsten Grade überanstrengt, so daß daS Gehirn, da- in seiner Entwickelung noch lange nicht für die Masse der ihm zugemukheten Kenntnisse reis ist, über reizt wird und seine Elasticität verkiekt- Noch schlimmer ver fahren habsüchtig« Eltern und Erzieher oftmals mit den armen Geschöpfen, welchen da» Schicksal im zarten Alter ein« unge wöhnliche Leibesfülle oder Stärke verliehen hat. Der arme kleine Körper wird geradezu einer Mastcur unterworfen, damit er die jenigen Eigenschaften bewahr«, welche den gewissenlosen Pflegern eine mühelose, auf die Neugier und Sensationslust der Menge berechnete Existenz sichern. Wunderkinder, deren Abnormität sich in einer besonderen Zwerghaftigkeit der Erscheinung offenbart, werden dagegen durch schlechte Ernährung, Alkohol und ander« Mittel möglichst im Wachsthum zurückgehalten. In der Regel vollzieht sich bei Wunderkindern die vorzeitige GeifdeSentwickekung auf Kosten der körperlichen und umgekehrt. Wunderkinder, die sich durch ein« frühe Körperentwickelung auSz«ichn«n, halben wir fast bei jedem Vogelschießen, auf jedem Jahrmarkt u. s. w. Gelegenheit zu betrachten. Seltener präsen- tiren sich schon Wunderkinder mit früh entwickelten geistigen Fähigkeiten; in den letzten Jahren erregten besonder» «in klein«! Rechenkünstler und ein musikalischer Wunderknabe berechtigt«! Aufsehen. Ueberhaupt begegnen wir unter den Wunderkindern den Rechenkünstlern und musikalischen G«nieS weitaus am I häufigsten. Manche unserer berühmten Comrponisten und j Virtuosen sind der Elaste drr Wunderkinder zuzuzählen, ohne daß sie zum Glück durch spätere Verkümmerung zu Grunde gingen- Mozart (geboren 27. Januar 1756, gestorben 5. December 1791) bekundete schon im 4. Jahre seine außerordentliche musikalische Befähigung. Im Alter von 6 Jahren entzückte «r auf einer Kunstreise, die sein Vater mit ihm und der ebenfalls talentirten elfjährigen Schwester Nannerl nach München und Wien unter nahm, die Höft und vornehme Welt der genannt«» Kunststädte durch sein vollendetes Clävierspiel. Erstaunlich schnell lernte der kaum siebenjährige Knabe Violine und Orgel spielen; während einer zweiten Kunstreise (1763 bis 1766) durch Süddeutschland, Frankreich, England, Holland und die Schweiz rief er die Be wunderung aller Hörer nicht allein durch sein vorzügliches Spiel, sondern auch durch die Reife und Schönheit seiner eigenen Com- positionen hervor. Da» größt« Bravourstück lieferte der Knabe Mozart aber in Rom, indem er ein große» Tonwerk, da» nur allein im Vatikan zur Aufführung gelangte, nach dem Anhören zu Hause aus dem Gedächtniß ni«berschrieb. Ludwig van Beethoven (geboren 17. December 1770, gestorben 26. März 1827) spielt«, elf Jahre alt, mit Staunen erregender Fertigkeit Bach's „wohltemperirtis Clavrer", 48 der aller schwersten Fugen mit ebenso viel Präludien dazu. Anton Rubin stein (geboren 1829) gab im Alter von «rst acht Jahren sein erstes Concerk in Moskau und erregte ungeheures Aussehen. Auch in Paris, wohin er, 10 Jahr« alt, mit seinem Lehrer reifte, erntete sein Spiel allgemeine Bewunderung; Franz LiSzt, der große Virtuose, nahm den genialen Wundrrknaben nach beendigtem Vor trag aus den Arm, küßte ihn und Vies begeistert: „Da» wird der Erbe meine» Spiels!" Die Frühreife mancher Dichter und Denker ist Sbensall» ge eignet, unser Erstaunen zu erregen. Goethe fühlt« schon al» sechs jähriger Knabe bei der Nachricht über da» Erdbeben in Lissabon religiöse Zweifel in sich, die Schilderungen der ungeheuren Ver wüstung und der schreckliche Tod von 60 000 Menschen er schütterten seinen Glauben an die Güt« der Vorsehung. Jean Jaques Rousseau la» bereits im Alter von sechs Jahren Romane, g«schicht- liche Werke und Claffrker, oft las er mit seinem Vater ganze Nächte hindurch, erst wenn gegen Morgen die Schwalben zwitscherten, erhob sich der Vater und sagte beschämt zu dem eifrig studirenden Kinde: „Laß un» zu Bette gehen, ich bin noch mehr Kind las Du." Melanchthon bezog im Alter von 12 Jahren di« Universität (1509), im Alter von 14 Jahren erlangte er durch eine Prüfung den ersten Gelehrt«ngrad, in demselben Jahr« wurde er Hauslehrer, mit 15 Jahren wäre er Magister geworden, wenn dir Professoren nicht wegen seiner Jugend und seine» kindlich«» Aus sehens von der Verleihung der Würde noch Abstand genommen hätten. Mit 21 Jahren «rhielt der junge Gelehrte einen Ruf al» Professor nach Wittenberg. In allen diesen Fällen schloß sich an die vorzeitige Reife ein« normale Entwickelung an. Dies war bei den beiden Wunder ¬ kindern, die wir nun kennen lernen werden, nicht der Fall. Beide gehören zu der oben geschilderten Art, bei der sich der Geist nur auf Kosten des Körpers in abnormer Weise entwickelt. Wir haben in ihnen zugleich die beiden berühmtesten Wunder kinder vor uns, welche die Geschichte kennt. Das sogenannte fränkische Wunderkind, Namens Bavatiers, wurde am 19. Januar 1721 zu Schwabuch in Franken geboren. Das Kind lernte schon im dritten Jahre lesen, im fünften sprach es drei Sprachen, im achten las es die Bibel in der Ursprache. Nun ging es an das Studium der Mathematik und Rechtskund«, aber der Körper hielt dem Geist« nicht länger Stand, das Antlitz des Wunderkindes nahm ein greisenhastes Aussehen an, das be- dauernÄverlh« Geschöpf, auf das man so große Hoffnungen ge setzt hatte, starb im 20. Jahre seines Lebens. Noch erschütternder ist das Schicksal de» Lübecker Wunder kindes, des kleinen Christian Henrich Heineken, daS zufällig in demselben Jahre wie das fränkische (6. Februar 1721) geboren ist. Sein Vater Var der Maber Paul Heineken zu Lübeck. Ein schle sischer Edelmann, txr im Hause wohnte, zeigt« eine» Tage» dem damals zehn Monat« alten Knäbchen die den Ofen verzierenden Figuren. Er bemerkt« nämlich, daß da» Kind unverwandt auf diese hinsah, und nannte ihm mehr scherzweise die Namen. Da» Kind hörte aufmerksam gu, und al» die Amme, Sophie Hilde brandt, «» am nächstem Dag«, um es zu unterhalten, fragte: „Wo ist di« Katz«? Wo da» Mäuschen? Wo der Thurm?, da tippt« der Säugling mit seinen kl«in«n Fingern auf die ent- prechenden Btlder. Natürlich rief dieser Vorgang groß«» Er- taunrn hervor, man fing an, sich mehr mit dem Kleinen zu be- chäftigen, und d«r erwähnt« Edelmann begann ihn zu unter richten. Ueberraschend schnell lernte d«r kleine Heineken sprechen. Kaum «in Jahr alt, wußt« er die sämmtÄchen in d«n fünf Büchern Mosis «nthaltenen Erzählungen und einige Vers«. Vier Wochen späkr kannte «r die übrigen Geschichten de» alten Testa ments und nach weiteren vier Wochen auch die de» neuen Testa ment». Dabei zeigt« der erst vierzehn Monate alte Knirp» eine unglaublich! Wißbegierde. Von jedem Gegenstände, den er sah, wollt« er Namen, Herkunft und Zweck wissen. Man konnte seinen Wissensdurst kaum befriedigen. Sobald «r die biblische Geschichte inne hatte, kam die Weltgeschichte dran, ferner die Geschichte von Dänemark, di« Anfänge der Rechtswissenschaft, Geographie u. s. w. Dabei lernte der Knabe noch wöchentlich 150 lateinische Vokabeln, deren er bald 8000 beherrschte. Nach dem das Kind, Pas von seiner Amme auch Plattdeutsch erlernt«, in der Kirche den Todtentanz gesehen hatte, wollte es auch über da» Menschengerippe unterrichtet sein und ruhte nicht, bis man ihm all« Theil« desselben ausführlich beschrieben hatte. Schon einmal am Anfang« des dritten Lebensjahre» erkrankt« der Wunderknab« so gefährlich, daß er zwei Monate darnietxrlag, jetzt, im Aster von nahezu drei Jahren, lag er wieder mehrere Wochen auf dem Krankenbett. Bei einer so übermäßigen An strengung des Geistes konnte das ja nicht anders sein, um so weniger, al» der Kleine jede andere Nahrung als die Milch seiner Amme verschmäht«. Leider bestärkt« man, statt den regen Geist zurückzuhalten, ihn noch in seiner Lernbegierde, so daß er, kaum genesen, wieder ans Studiren ging. Er lernt« deutsch und lateinisch lesen, die Familie der europäischen Kaiser uno Fürsten, den Lübecker Katechismus, ferner 200 Gesang'buch-- lieder nebst Melodien, 80 Psalmen und ganze Capital aus der Bibel. Auch trieb er während dieser Zeit eifrig Kirchen- und deutsche, schwedische, französische, englisch«, polnische Ge schichte u. s. w., er rechnet« geläufig, sagte das Einmaleins vor- und rückwärts her, krnte mehr als 1000 lateinische Redens arten u. s. w. Zum dritten Mal« befiel ihn im Mai 1724 eine schwer« Krankheit, sein Lehrer rieth deshalb nach seiner Genesung zu einer Erholungsreise, und Mar auch noch zu einer Seereise, hauptsächlich, um seinen Schüler der Welt zu präsentiren. Der klein« Christian wählte selbst Kopenhagen. Die See krankheit macht« ihm nicht viel aus, er tröstete sich und seine Mutter damit, daß Gott überall sei. In der großen Stadt über häufte man den kleinen Wundermann mit Besuchen, auch L:r König Friedrich IV. verlangt« ihn zu sehen, halbkrank brack.e man den Kleinen zur Audienz. "Ungeachtet seines Zustandes b:- antiwortetr er all« an ihn gerichtet« Fragen, das Examen wa r aber so lange ausgedehnt, daß er zuletzt ermüdete und nach Hau e verlangt«. Der König war in höchstem Grad« erstaunt. Bei Schluß der Audienz verabschiedet« sich, wie Franz Otto in seine Darstellung de» Leben» berühmter Kinder mittheist, der 3Mhria' Knab« mit den Worten: „Sine, ich bin der allerhöchsten Gna. nicht würdig, die Sie mir erzeigt haben. So lange der giimmen^ Docht m«ine» schwachen Leben» noch dauern wird, will ich Gru bitten, daß «r Euerer königlichen Majestät glo-rwürdiges Sceptt segnen wolle in Ewigkeit.." Nach Lübeck zurückgekehrt. lerni' er in vier Wochen Schreiben; di« sich hättfende Zahl der Besuch:: und di« immer n«uen Anstrengungen hatten jedoch «ine neu' Erkrankung zur Folge, von der das wunderbare kleine Wesen nicht wieder genesen sollte. Noch wenige Wochen vor seinem Tode versuchte man den nunmehr vierjährigen Knaben zu ent wöhnen. er gewöhnte sich auch an di« neue Kost. Kuhmilch m Weißbrod, doch essen und kauen lernte er nicht und hat er n ' gelernt. Immer schwächer werdend, fühlte er die Näh: de. Todes; als man am Abend vor seinem End« seine schwachen Bein« mit wohlriechenden Kräutern beräucherte, äußerte er: „J r, vitrr na-ttr» knmus!" („Unser Leben iss Rauch".) Zu seiner Amme sagt« er beim Einschlafen: „Opto tibi dsntnm giriertem'! IVanquiU» nox!" („Ich wünsche Dir süße Ruhe! Gut- Nacht!") Nachdem er noch die letzten Vers« d«» Liede» „Wenn m«m Stündlein kommen ist" gebetet, verschied er Morgen» halb 4 Uhr am 27. Juni 1725 mit den Wort«n: „O, Herr Je'u nimm meinen Geist auf!" Sein Akter betrug bei seinem Tode erst vier Jahre und fünf Monate. Sein Leichnam blieb 14 Tage ausgestellt, da Tausende von Menschen herbeieilten, um den todten Wunderknaben zu betrachten.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite