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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189910084
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18991008
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18991008
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- S. 7772-7779 fehlen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-08
- Monat1899-10
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1899
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffern saß nach höherem Tarif. Nrtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mlt Postbrsörderung 70.—. Ännahmeschlnß fnr Anzeigen' Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag» 4Uhr Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von ik. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. 513. Sonntag den 8. October 1899. Aus -er Woche. Noch steht die endgiltige Entscheidung au», ob da» Jahr der Haager Friedensconfcrenz mit einem Kriege enden wird, der für den angreifenden Theil kein Kampf um Dasein oder Ebre sein würde. Die Sympathien der Welt stehen auf der Seite der Boeren, und selbst ein Blatt wie die „Freis. Ztg." bezeugt dies, obwohl der andere Tbeil — England ist. „Je tapferer die Boeren sich der englischen Großmacht gegenüber erwehren", so meint Herr Richter, „um so mehr werden diese Sympathien wachsen. Zunächst wird in diesem Kriege das größere Maß von Kriegsbereit schaft und die bessere Waffe entscheiden. Aus den schließ lichen Ausgang des Krieges, der sich möglicher Weil« langsam Hinsicht, kann aber auch das Urtheil der öffent- ljchen Meinung in der gebildeten W:lt nicht ohne Einfluß bleiben." Im letzten Satze liegt vielleicht eine Uebcrichätzung der öffentlichen Meinung gegenüber kriegerischen Verwickelungen zwischen fremden Staaten, aber cs ist mit Ge- nuglbuung zu verzeichnen, daß fick in Deutschland auch die Demokratie von der herrschenden Ausfassung der Transvaal frage nicht auSschließt. „Herrschende" natürlich nicht im ossicicllen Sinne genommen. Die deutsche Regierung steht — drüben und der Alldeutsche Verband hat sich denn auch in lebter Stunde an dir Königin von Holland wegen der Boeren gewandt. Es liegt uns fern, in diesem Augen blick an die neueste afrikanische Politik Deutschlands zu rühren, aber die Frage ist wohl erlaubt, ob es uöthig ist, daß deutsche Blätter, die in der auswärtigen Politik den Winken der Obrigkeit gehorchen, sich in tiefsinnigen Spekulationen darüber ergehen, ob nicht vielleicht Rußland oder Frankreich im Laufe des Krieges Anlaß finken könnte oder müßte, irgendwie gegen England zu interveniren, in denen von Deutschland aber keine Rede ist. Es erinnert dies lebhaft an die deutschen politischen Naisonnements aus der Zeit des Bundestages, bei denen Deutschland auch für die Deutschen nicht cxistirte, wenn sie Weltsragcn discutirlen, die Deutsch land zunächst berührten. Dafür waren es eben die Zeiten des Bundestages; post Bismarck thäte man besser, ganz zu schweigen, wenn man die Wahrnehmung deutscher Interessen durch Deutschland nicht fordern oder empfehlen darf. Politisch und wirtbschafllich, daran ist nicht zu rütteln, ist Deutschland diejenige Macht, die durch die Etablirung des englischen Regiments oder des unbeschränkten britischen Einflusses im Transvaal am stärksten in Mitleidenschaft gezogen würde. Tie jüngste Zeit war überreich an Eongressen und Vereins versammlungen. Die Presse bat solchen Veranstaltungen gegenüber in der Regel ihre Pflicht erfüllt, wenn sie über sie so ausführlich berichtet, als eS die Umstände erlauben. Erörterungen, jedoch in beschränktem Maße, haben die Ver handlungen des Vereins für Socialpolitik und des nationalsocialen Vertretertages nach sich gezogen, zu nächst in einer Richtung, die den Widerspruch herauSsordert. Wir nennen die Professoren Schmoller und Brentano weder im Allgemeinen noch im Hinblick auf ihre jüngsten social politischen Auseinandersetzungen gern zusammen, aber wenn, wie geschehen, das Recht der beiden Herren, ihre Ansichten öffent lich zu bekunden, unter Hinweis aus ihre Lebrereigenschajt in Zweifel gezogen wird,so darf dies in Bezug auf Herrn Brentano ebensowenig hingenommen werden, wie hinsicbtliä» seines bei aller Festigkeit maßvollen Amtsgenossen. Es ist nicht einzusehen, warum die Herren v. Stumm und Beumer ihre Meinung ungeschminkter sollten berauSsagen dürfen, als Universitätslehrer, die ihren Schülern sogar die Vermittelung dessen, was sie — z. Z. — für Wahrheit halten, schuldig sind und als socialpolitische Parleimänner erst reckt nicht in ihrer Redefreiheit benachtbeiligt werden können. Parteimann aber ist der eine wie der andere und man kann das sehr wohl — und mit allen für die objektive Betrachtung verbun denen Hindernissen — sein, ohne eine Partei neben oder bintcr sich zu haben; eine Lehrmeinung tbut's auch. Herr- Prof. Brentano ist sogar ein extremer Parteimann, der in Göttingen nickt davor zurückgeschreckt ist, das Neckt der N ick torganisation der Arbeiter zu leugnen, und in der Form durchweg die Lebhaftigkeit verrieth, die Herrn Schmoller in Breslau nur bei der Erwähnung einer klein gewordenen Gruppe von Socialpolitikern anwanlelte. Es ging aber unseres Erachtens aus den Ausführungen Schmvller's nickt mit der den Forderungen der Gerechtigkeit entsprechenden Deutlichkeit hervor, daß die Richtung des Herrn v. Stumm nur noch schwach vertreten ist, und es war beinahe ver wunderlich, von dem Socialhistoriker nicht betont zu höre», daß daS Bestehen einer nickt social - reaktionären, aber, wenn man will, ultrasocial-conservativen Gruppe an gesichts der Entwickelung des socialen Lebens in Dentschland die natürlichste Erscheinung von der Welt ist. Die Zahl der Hcrbstversammlungen wird sich in dieser Woche um eine vermehren. In Hannover beginnt morgen der Parteitag der Socialdemokraten. Der wurde früher daS „Arbeiterparlament" genannt. In neuerer Zeit scheint diese grotesk-anmaßliche Bezeichnung aus der social demokratischen Presse verschwunden. Es hat sich — und nicht am wenigsten anläßlich der Erörterung von Organisationsfragen, der EinigungSämter u. s. w. durch praktische Politiker — zu klar derauSgestellt, daß die socialdemokratischen Arbeiter in der deutschen Arbeiterschaft eine Minderbeit bilden. Selbst das be kannte gegen das Dresdner Oberlandcsgericht zugefpitzle Urtheil einer Berliner Strafkammer, in dem die Socialdemokratie „die Arbeiterpartei" genannt wird, hat an dieser Erkenntniß nichts zu ändern vermocht. Es ist auch die Wahrnehmung zu machen, daß die bürgerliche Presse dem diesjährigen Parteitage, obwohl Bcrnstein's Theorien dort abgeurthcilt werden sollen, im Allgemeinen weniger Anticipation geschenkt hat, als den älteren Zusammenkünften dieser Art. Das dürste gut sein, vielleicht findet man in nickt zu ferner Zeit, daß für die Socialdemokratie etwas zu viel Reclame gemacht worden ist. Das Urtbeil im Berliner Spielerproceß siebt noch auS, aber nach seinem bisherigen Verlauf ist es erlaubt, schon jetzt einige Bemerkungen daran zu knüpfen, und sogar notk- weudig, Venn nach der Freilassnng der Angeklagten beeilt fick die demokratische Presse, aus dem „Fall" zu retten, was zu retten ist, und Sorge zu tragen» daß das Endresultat mit der bisherigen Ausbeutung nickt gar zu scharf contraslire. Es ist dies aber barte Arbeit, denn wenn man den drei An geklagten auch Leichtsinn nickt absprechen kann, ein „ab stoßendes Sittenbild" bietet >br Verhalten nicht dar, noch weniger werfen die Unsitten, die der Proceß „enthüllt" bat, aus die Lebenskreise der Angeklagten ein Licht, das irgend einen andern Gesellschaftskreis zu dem beliebten „Herrgott, ich danke Dir, daß ich nickt bin wie diese da", berechtigen würde. Es wurde gespielt, es wurden gewisse Dinge im Gespräch und Wohl auch im Leben frivol behandelt, aber Laß die Angeklagten „Tagediebe" seien und die Arbeit nickt kennten, ist nicht erwiesen worden und vielmehr für einen der jungen Leute das gerade Gegentbeil. Der Verkehr mit den Wolff und Kornblum ist gewiß sebr tatelnswertb, aber dafür, daß die Angeklagten und ihre StandeSgcnossen wußten, mit wem sie es zu thun hatten, sind Anhaltspunkte nickt gezeigt worden. Daß nicht „gewerbs mäßig" von den Angeklagten gespielt wurde, darf vor Fällung des Unheils natürlich nicht ausgesprochen werden und über die Anstrengung dieses ProccsieS an sich wird erst später die Verwunderung auszndrücken sein. Einst weilen sei bemerkt, daß jene Anklage an den Proceß Kotze und an den Proccß Tausch erinnert, letzteres nicht etwa nur deshalb, weil wieder das „Berliner Tageblatt" mit einem Gingold-Stärk, der diesmal vr. Kornblum heißt, mit dem Falle zu schaffen hat. J> struirt war der Proccß, der drei „Jeuratten" ackt Monate der Freiheit veraubte, gelinde gesagt, miserabel, womit nickt angedeutet werden soll, daß der von dem PolizeicommiffariuS v Manteuffel gezeigte Eifer in einem wobltbn enden Gegensätze Zu der sonstigen Be handlung der Sache erscheine. Englischer Schwindel in Samoa. Ncichkruck auch mit QuNleuangabe verboten. 'lV. X. Api a, 7. September 1809. Es wird den Lesern aus früheren Berichten erinnerlich sein, daß der erste Verwaltungsbeamte unserer letztvergangenen samoa nischen Regierung, Präsident Dr. Raffel, welcher noch wäh- nnd der letzten Kriegswirren Samoa verließ, bereits längere Zeit vor Ausbruch derselben den drei Vertragsregierungen seine Resignation eingcreicht hatte, und daß diese von den Regierungen angenommen worden war. Die Veranlassung zu diesem Schritt des Präsidenten ist aber wenig bekannt geworden. Nunmehr in die Oeffenllichkeit kommende sensationelle Enthüllungen be weisen zur Genüge, wie gerechtfertigt der Entschluß des llr. Raffel war, aber ebenso, wie unrecht die Vertrags regierungen handelten, daß sie dem Vorfall, welcher die Unhalt- barkeit der hiesigen Verhältnisse, sowie die Ungeeignetheit des damaligen Oberrichters Ehambers zu diesem wichtigen Posten tlar bewies, nicht sofort mehr Gewicht beimaßen. Es hanveltc sich um ein commercielles Abkommen sehr specu- lativer Art, welches ein in Apia zugereister Jndustrieritter mit Hilfe eines neuseeländischen Advocaten mit dem damaligßn König Malietoa Laupepa, und zwar der Letztere im Namen der samoanischen Regierung, aber hinter dem Rücken des für alle wichtigen Abmachungen mit Weißen verantwort lichen ersten Executivbeamten, zur damaligen Zeit Or. Raffel, abgeschlossen hatte. In diesem Abkommen wurde dem zugereisten Unternehmer das Recht gegeben, die Korallender den Hafen von Apia bildenden Riffe nach Bedarf auf die Dauer von 40 Jahren auszubrechen und zwecks eines industriellen Unternehmen» zu exportiren. Nicht nur hatte Malietoa kein Recht, dieses Ab kommen zu treffen und die Korallenbänke zu veräußern, sondern durch theilweise Zerstörung der Riffe würde mit der Zeit die Sicherheit des Hafens, sowie des ganzen Strandes von Apia in Gefahr gebracht worden sein. Wegen der Herausgabe diese» von Malietoa Laupepa gezeichneten Abkommens kam es zu einem Rechtsstreit zwischen Präsidenten Raffel und dem neuseeländi schen Advocaten Goravor dem Obergericht, inwelchemder Oberlichter Chambers zu Gunsten des Advo kat e n e n t sch i e d. vr. Raffel erachtete es der Ehre eines Be amten in so verantwortlicher Stellung wie die seinige, wider sprechend, die Verantwortlichkeit für eine Regierung weiter zu tragen, unter der solche Unregelmäßigkeiten von weittragender Wichtigkeit und Gefahr hinter seinem Rücken vor sich gehen und auch noch die Zustimmung des obersten Richters finden konnten. Heute sehen, wir, daß diese angeblich von der samoanischen Regierung ertheilte Concession die Grundlage und der Ausgangs- punct zu einem fast beispiellosen Schwindelunternehmen geboten hat, welchem trotz seiner für Jeden in die Augen fallenden Unzu- Fides. Novellette von Leo Berthold. r.aLtruck verboten. „ Ich kann mich noch immer nicht von dem Briefe trennen. .. der Abend ist vergangen, die Nacht ist da, ich höre das Pochen meines Herzens . . . Ruhe, Ruhe, predige ich mir selbst und lache über mich, wie ich jetzt ruhig sein soll . , . Wann habe ich sie doch zuerst gesehen? Eine Welt von Schicksalen lieg: zwischen heute und jenem Moment, Jähre voll Kamps und Arbeit sind seitdem vergangen... Die Gegenwart versinkt, Traumbilder steigen auf — ich bin auf dem Ball bei dem reichen Großkaufmann Peter van Hoeffen, eingeführt durch Justizrath Heine, meinen väterlichen Freund; ich sehe die junge schöne Tochter, die seit dem Tode der Mutter die Honneurs macht . . . Die Finanzwelt ist dort, Stern« der Kunst und Wissenschaft leuchten . . - Musik ertönt ... ich habe die schlanke Gestalt im weißseidenen Gewände im Arm, ich wage mich, mich wieder zu nähern, ich, der unbedeutende Assessor Arno Erichsen, sie ist umschwärmt von eleganten Officieren, von der erlesenen jounosso ckorös der freien Reichsstadt. Nach dem Tanze wird gesungen. Die reizende Tochter des Hauses beginnt. Welch' schöne, tiefe Altstimme durchtönl den Saal. Die große Bettel arie der Fides ist-'s — aus dem Propheten. „O gebt, o gebt! Errettet einen Armen, Eröffnet ihm des Himmels Schooß. Mit einer Mutter habt Erbarmen, Sie fleht für ihres Sohnes Loos . . ." Ich stand ganz fern, fast unter Palmen verborgen . . . starrte sie an und sog den inbrünstigen Gesang mit Andacht «in . . . Tics Mädchen war mein Schicksal, ich fühlte es. Es hatte sich ein Kreis um die Sängerin gebildet, man bat sie um Wiederholung der Arie . . . „Und wenn Sie unseren Wunsch erfüllen, Gnädigste", prahlt« ein Börsenüaron, „so soll Ihr Ruf nicht ungehört verhallen, wir haben heute schon große Summen für die verunglückten Gruben arbeiter gesammelt, hier lassen wir dann noch aufs Neue eine Liste herumgehen . . . Also bitte, dies Notenblatt. . . hier mein Name . . . fünfhundert Mark ... die Anderen folgen . . ." Das schöne Mädchen begann die Bettelarie von Neuem. Still war's, nur bas leis« Rascheln der improvisirten Liste, dir von Hand zu Hand ging, war vernehmbar . . . „O gebt, o gebt!" Wie von Thrän-en umflort klang die wehmukhSvoll« Bitte und weckte -mächtigen Widerhall . . . Längst, als die Töne verklungen waren, stand ich noch sinnrnd, träumend in meiner einsamen Ecke ... da plötzlich da» Rauschen eines seidenen Gewandes, ich blicke nuf, Fides steht vor mir, sie hält mir das Notenblatt hin, den Crayon, ich verbeuge mich, stottere etwas . . . schon sehe ich ihr in dir strahlrndrn Augen, halte «inen Augenblick die weiße, kühle Hand ... da ist sie wieder verschwunden, ich starre aus das Blatt, da» ich in meiner Ver legenheit festgehalten, aber ich sehe nicht die großen Zahlen, die da notirt sind, les« nicht hie hochtönenden Namen ... nur einer fällt mir ins Auge, und von'dem einen kann ich die Blicke nicht wenden. . . Rosita dan Hoeffen — Wie ein« Zauberformel bannt es meinen Blick, in steilen Buch staben, in kräftiger Unterschrift . . - Damals sah ich sie zum ersten Male, damals, als noch Glanz und Glück das geliebt« Mädchen umgab, als es verehrt und ge feiert wurde von Jung und Alt, von Groß und Klein ... an gebetet, umschwärmt! Wer von Allen war noch da, oder wer kam, als das ver heerende Unheil herambrauste und das anscheinend so fest ge fügte Handelshaus Peter van Hoeffen erschütterte und zum Fall brachte! Die längst im Stillen morschen Pfähl« ließen sich nicht mehr stützen. Was menschenmöglich war, hatt mein alter Justizrath Heine versucht, vergeblich war's. Der Sturm, der über den Ocean gekommen war, peitscht« das stolze Gebäude nieder, begrub Vertrauen und Ehrenhaftigkeit, Rücksicht und Dankbarkeit, sti«ß den g-edemüthigten Großkauf- mann ins selbstgegrabene Grab. Als der Orkan ausgerast hatte und man unter den Trümmern suchte, waS übrig geblieben — da fand man ein gebrochenes, un glückliches Kind, das einsam und verlassen war, höchstens be leidigendem Mitleid ausgesetzt. „Di« Tochter des Speculanten", hieß es. „Das verzogene Töchterchen des Betrügers." Wie mir das Blut kochte, wie mir di« Hand bebt«, wenn ich es hörte! Zum ersten Male sah ich sie dann in unserer Kanzlei wieder. Justizrath Hejne war ihre einzige Stütze, in unbegrenzt«m Ver trauen blickte sie zu ihm auf. Das weiße, traurige Gesichtchen bildete einen schmerzlichen Contrast zu d«r vom Glück verklärten, schönen Erscheinung jenes Abends. Ich bog m-ich tief auf meine Acten nieder. Niemand durfte ahnen, waS in mir vorging. Geschäftliche» mußte besprochen werden. Fragliche Eingänge kreuzten sich mit Forderungen, die noch geltend gemacht wurden. „Entsagung der Erbschaft — Derzichtleistung auf jede, auf ihr Theil fallend« möglich« Vergünstigung." Dazu gab fie ruhig ihre Einwilligung. Der Justizrath la» ihr den Wortlaut der Urkunde vor. Ernst, fast feierlich, nahm sie di« Feder, ergriff sie das Papier. Da stand's nachher in denselben steilen, großen Buchstaben wie damals: „Rosita van Hoeffen." Welcher Contrast! Sie las in meinen- Blicken. „Ich fühle Ihre Teilnahme, Herr Assessor", sagte sie mit zuckendem Munde. „Ich danke Ihnen. Es ist ja Alles. Alles zu ertragen, nur sein Verlust nicht — ach, daß er so trostlos in den Tod gegangen!" Sie wehrte den stürzenden Thränen nicht . . » endlich faßte sie sich .. . „Nun geht'- an die Arbeit." Wie ein Hoffnungsstrahl durchleuchtete «» ihre Worte. Diese Hand halten, die Thränen trocknen, daS arm«, heiß geliebte Mädchin trösten, lieben dürfen . . , Warum hatte ich meine Arbeitslust noch nicht in Thaten um- etzen können, warum mußt« ich noch jedes Gefühl in mir ver- chließen? Stumm mußte ich vorerst bleiben, nur von fern« durfte ich ihr Geschick verfolgen. An die Arbeit ging es, wie sie es sich vorgenommen hatt«. Tüchtig lernen, unbeirrt arbeiten, das war die Losung für lange Zeit. Aber mir eisernem Fleiß, jeder ablenkenden Versuchung wider- tehend, durch die treue Freundschaft des alten Heine in den Stand gesetzt, zu stuidiren, hatie sie doch schneller, als geglaubt, ihr Ziel erreicht. „Sittah van Hoff." Das war ihr Künstlername geworden, der Name, der bald guten Klang bekam, auf den man aufmerksam wurde. In meiner Erinnerungsmappe liegt die heimisch« Zeitung, welche ihr erstes Gastspiel als Fides in ihrer Vaterstadt ver kündigte. Ich durfte sie damals empfangen, zu Heine's geleiten, durfte trauliche Stunden bei ihr verleben, mit ihr musiciren. Welch' herrlich« Zeit das war. Dazu die Spannung in der Stadt, in den betreffenden Kreisen. Bei der Ausführung begrüßt sie ein volles Haus. Jubelnder Beifall begleitet ihre Leistung. Im Zwischenact li,ß sie mich in die Garderobe bitten. Der Hoftheater-Jntendant erschien aus der Residenz, um sie zu hören, er wollte noch am selben Abend einen längeren Contract mit ihr abschließen. „Lesen Sie, lieber Doctor Erichsen", sagte sie, „und rath«n Sie mir, ich will nichts allein entscheiden." Ich las sorgsam das Schriftstück durch. Die Bedingungen waren glänzend. Es gab nur eine Einschränkung durch einen wichtigen Paragraphen, der sie verpflichteie, sich während der zwei Jahre des Contractes nicht zu verheirathen. Ich athmete schwer- Um meine Gedanken zu ordnen, mein wild pochendes Herz zu beruhigen, las ich ihr Repertoire durch ... die leidenschaftliche Acuzena, die wilde, dämonische Ortrud, der liederreiche Orpheus, sie erstanden mir in der Erinnerung, es wußte Niemand, wie häufig ich Nächte durchfahren war, um sie zu hören ... — dumpre Musik. . . und dann. . . Rufen. Klatschen, brausender Jubel ... ich erhob mich schnell, im Theaterbureau wollte sie mich erwarten . . . Dort le'hnke sie in freudiger Erregung in einem Sessel. Ihr hohes Ziel war erreicht, ein glänzendes Loos ihr ge sichert. Und doch, welch' fragender Blick, als unsere Augen sich be gegneten, welche Spannung in den Zügen! Ich mußte mich beherrschen, um nicht vor ihr niederzuknien und zu sagen: „Rosi, ich liebe Dich unaussprechlich, verzichte auf den Ruhm, ich will streben, Dich glücklich zu machen." Ahnte sie, was in mir vorging? Sie nestekte wortlos und nervös an der Schnur, die ihre Kutte hielt. Da trat der Intendant herein. „Nun, m«in« Gnädigste, wi« steht's, haben Sie unter schrieben?" Noch einmal sah sie zu mir hin, der ich, das Papier in der Hand, stumm vor ihr stand. Dann erhob sie sich hastig, schlug den faltigen Aevmel zurück, athmete schwer, nahm die Fsoer und schrieb schnell ihren Namen unter die zwei Bogen. Den einen gab sic dem Intendanten, der ihn, zufrieden lächelnd, betrachtete, den anderen erhielt ich zur Aufbewahrung. „Sittah van Hoff." Darunter das Datum des Tages. Ueber ein Jahr waren wir getrennt. Der Tod des lieben Justizraths führte uns brieflich inniger zu einander. Ich war sein Vertreter gewesen, wurde in vielen Dingen sein Nachfolger, endlich war meine Existenz gesichert. Nach einer Zeit angestrengter Arbeit durste ich an kurze Er holung denken. Mit sehnsüchtiger Erwartung fuhr ich in die Welt, zurrst in die Residenz, — mein erster Blick galt den Theater-Nach richten. Welch' sonderbarer, glücklicher Zufall! Wieder der Prophet, und sie — meine Rosita — die Fide». Wie hatte ich denn nur das Leben ohne sie so lange aus halten könnrn . . . jetzt, wo sie erscheint, ist's mir unbegreiflich, nun vernehme ich di« geliebte Stimme, ich beuge mich vor. . . . sie erkennt mich, sie stockt ... «in Heller Glanz durchleuchtet die Züge .... sie liebt mich ... sie liebt mich, Gott, ich danke Dir! Ja, sie liebt mich, in stiller Stunde lasse ich daS Bekenntniß ihrer Liebe wi« ein Gnadengeschenk des Himmels über mich er gehen, längst, vom ersten Abend an, als wir uns getroffen, — erst, an jenem verhängnißvollen Abend, als ich sie den Contract unterschreiben ließ, fing ihr Zweifeln an. Jetzt war die Kunst ihr Alles geworden, jetzt wollte sie die selbe nicht aufgeben, selbst wenn sie mein Weib würde — ich willigte in Alles, die Ferien waren vor der Thüre. bald standen w:r vor dem Manne, der unser Glück weihte . . . „Mein Fräulein, unterschreiben Si«, bitte." Diesmal zittert die liebe Hand doch und nicht mehr so kühn stehen die Wort« da: „Rosita Erichsen, geborene dan Hoeffen." Mein! Mein! Für Zeit und Ewigkrit! Jetzt ist sie auf Gastspiel. Zum ersten Mal, seitdem das Derhältniß zum Hof theater giiilich gelöst. Die Trennung ist schwer, aber ich muß mr-n Wort halten. Ich fand sie verändert in der letzten Zeit. Oft war es, al» wollte sich ein besonderes Wort, wie ein Gestündniß ihrer Seele entringen, dann wieder war sie in Träumerei versunken, auch ihre Nachrichten waren spärlich, fast nur Karten mit dem großen, steilen R unterzeichnet, das ich so liebe ... Da ... heute, plötzlich ... vor einigen Stunden jener Brief, d«n ick immer wieder lese, in dem es st«ht, daß sic in die Kaiserloge befehlen, daß ihr «in Engagement angeboten sei — — „aber ich nehme es nicht an", schrieb sie, „laß mich Dir «in B.lenniniß machen: mehr als je gehör« ich jetzt zu Dir, kommen des Glück zu erwarten und zu pflegen ... es soll mich für allen Nuom entschädigen. Bals siehst Du wieder Deine Rosi." Das -st die Botschaft, die mich verwirrt«, mkr die Nachtruhe raublt, mir die Vergangenhrit erstehen ließ . . . nun ist d«r Morgen da, die ersten Sonnenstrahlen huschen in mein Zimm«r. Uns nun? — Ich lege die Feder fort, dann schnür« ich m«in Ranzel, um di« seligste Fährt meines Leben» anzutreten — nun holc ich mir mein Weib, m«in« Fide»!
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