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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.10.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189910150
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18991015
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18991015
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-15
- Monat1899-10
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.10.1899
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderuug 70.—. —-o-o— Annahmeschluß für Anzeigen- Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen - Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richte«. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. 528. Tonntag den 15. October 1899. 93. Jahrgang. Aus der Woche. Bon der Krisi» in Preußen ist eS glücklicher Weise stiller geworden, ohne daß sie sich völlig abgestumpft zu haben scheint. Die „Kreuzztg." hat sich über die ihr nicht genebmen warnenden Bemerkungen der „Leipziger Ztg." ausgelassen, dabei aber ganz vergessen, daß der konservative LanteSverein für bas Königreich Sachsen nach diesem Blatte den in Preußen herausbesckwvrenen Kamps sehr deutlich als einen solchen zwischen Industrie und Lanbwirthschaft gekennzeichnet hat. DaS preußische Parteiorgan will hier in Sachsen glauben machen, in der Canalfrage handele es sich keineswegs- um einen Gegensatz der agrarischen und der industriellen Interessen. Bevor eS dieses Wagniß unternahm, hätte eS einmal bie aus dem Bunde der Landwirthe an den canal freundlichen Abg. v. Tiedemann gerichteten Briefe ansehen sollen. Der UltramontaniSmuS, die Radfahrer, die Angelsachsen legen Beschlag auf das 20. Jahrhundert, als daS Säculum, das das „ihre" sein werde. Kein Wunder, daß die revo lutionäre Socialbemokratie, die Partei, die auch vor her überhaupt nur Wechsel auf die Zukunft gezogen hat, ihren Credit aus die gleiche Versicherung zu befestigen sucht. Inwieweit ihr der Verlaus des Parteitags in Hannover dabei zu Statten kommen könnte,'darüber geben bie von der bürgerlichen Presse in löblicher Opulenz veröffentlichten Berichte Aufschlüsse, die wohl allen Führern der Partei, den einzigen Lieb knecht vielleicht ausgenommen, Zweifel daran erregen, ob man anno 2000 auf ein focialdeniokratischeS Jahrhundert zurück blicken werde. Man darf so wenig wie in irgend einem Augenblicke seit dem Beginn der siebziger Jahre die Gefahr der socialrevolutionären Propaganda gering achten, aber mehr als je ist eS heute klar, daß eine unerhörte, augenblendrnde Reklame daS Beste zu der Bedeutung der Socialbemokratie beitragen muß, und die Neclame ist eben doch kein« dauernde Grundlage. Diesmal hat man, den längst überholten Barnum zum kläglichen Stümper stempelnd, den Parteitag mit der Behauptung eingeläutet, hinter der Socialdemokratie ständen 13 Millionen Deutlche. DaS wurde auf die ReichStagewahlergebnisse basirt. Der Schätzung ist mit guter Rechnung schon entgegengetreten worden. ES kann aber die Schätzung auch acceptirt werden, nur muß man sich und die Socialbemokratie daran erinnern, daß bei dem PlebiScit vom 8. Mai 1870 sür Napoleon III. und die Fort- dauer seines Regiments 7^2 Millionen Stimmen abgegeben wurden, dagegen nur 1>/, Millionen. Der Reichthum an Mitteln des Terrorismus ist bei der deutschen Socialdemo kratie größer, als er beim zweiten Kaiserreich gewesen. Das socialdemokratische Sedan steht noch im weiten Felde, in der Gestalt einer „Mauserung" in eine Reformpartei wird eS überhaupt nie erscheinen; aber selbst wenn jene Schätzung richtig wäre, dürfte und müßte man heute mehr alS je mit einem conservaliven ReichStagsabgeordneten sagen: „Ich bekämpfe bie Socialbemokratie, aber ,ch fürchte sie nicht". Die Programmdebatlen in Hannover haben bie Fürchterlichkeit der Partei jedenfalls nicht erhöht, wenigstens für Diejenigen nicht, die an die endliche Niederlage der Lüge glauben. Die Unwahrhafligkeit der socialrevolutionären Propaganda, der Arbeiierbetrug, der ein Vierteljahrhundert hindurch getrieben wurde, ist auf diesem Parteitage noch weil Heller und greller in die Augen gesprungen, als an dem Tage, da die Socialbemokratie das BethörungS- miltel des ehernen Lohngesetzes aus ihrem Arsenal Fsitilletsn. Wenn man confus ist. Humoreske vonPaulBliß (Berlin). Nachdruck «krtotrn. Herr Lehmann klingelte nervös und rief nach seiner Wirthin. „Frau Walter! Frau Walter! Wo stecken Sie denn nur?" Endlich kam die dicke Frau airgepustet. „Mein Himmel! Sie werden mir noch die Klingelschnur aLreißen! Was soll ich denn nun schon wieder?" Liebste, beste Frau Walter, ich kann ja keinen reinen Kragen mehr finden!" rief der Zimmerherr, der halb angekleidet um her lief. „Nanu! Wie ist denn das möglich? Ich habe Ihnen doch erst gestern dir neue Plattwäsche gebracht." Suchend ging die Hausfrau im Zimmer herum, wo Alles bunt durcheinander geworfen war. „Na, hier sieht's ja wieder mal nett aus! Als ob die Mlden hier gehaust hätten! Wie können Sie denn nur Alles so durch einander wühlen, Herr Lehmann!" „Herr Gott, ich hatte eben Eile Man «wartet mich im Club. Heute ist ja der große Herrenabend." „Na, wenn schon! Deshalb brauchen Sie hier doch noch nicht so zu Hausen! — Da hab' ich ja 'ne Stunde zu kramen, bis ich da wieder Ordnung 'rein kriege." „Liebe Frau Walter, halten Sie mir nur jetzt keine große Pauke, sondern schaffen Sie mir lieber «inen reinen Kragen." „Sehr gut! Ich soll wissen, wo Sie Ihre Kragen hingelcgt haben!" Wllthend durchsuchte die gut« Frau alle Kasten und Schubfächer» aber die Kragen fand sie nicht; plötzlich — wie von einer höheren Eingebung geleitet — kehrte sie auch den Korb mit der schmutzigen Wäsch« um, und sieh« da, unter den abgelegten Hemden und so weiter lagen, fein säuberlich eingewickelt, die viel gesuchten reinen Kragen. „Na, da hört doch aber Alles auf!" rief voll Entrüstung die Wirthin. „Sie werden ja von Tag zu Tag konfuser! Wirft die reinen Kragen in den Wäschekorb — hat man dafür Worte!" Herr Lehmann aber ließ sie ruhig weiter schelten, nahm seinen Kragen, beendet« seine Toilette und rief endlich: „Adieu, Frau Walter! Morgen früh lassen Sie mich gefälligst aus- Wafen." warf. Den Mittelpunkt der socialdemokratischen Lebre und Agitation bildete der ZukunslSstaat, die Verwandlung Aller in Besitzende durch die Vergesellschaftung alles Privat- eigentbumS. Daß diese Verwandlung die LebenSverhältnissc der Masse verbessern werde und baß sie möglich, bald möglich sei, Liese unablässig verbreitete Flunkerei bat Millionen dem Vaterlande, der bestehenden Ordnung ent fremdet und sie zu Socialdemokiaten gemacht. Der ZukunflsstaatSgedanke beruh'e auf der ZusammenbrucdStheorie, und diese Theorie ist in Hannover mit Spott und Hohn auf den Kehrichthaufen geworfen worden. Bebel ließ eS sich gefallen, baß KautSky ibn, wie auch Engels, gegen ben Bor wurf, den „Kladderadatsch" und damit den Zukunftsstaat prophezeit zu haben, als gegen einen Vorwurf des „Idiotis mus" vertheidigte. DaS nützte zwar nichts; Auer wies die Echtheit der Unterschrift Bebel'S auf dem zuerst auf 1889 ausgestellten und später bis 1899 „prolongirten" ZukunftSstaals- wechjet nach, aber Auer sowohl, wie David waren aufrichtig genug, etwas Anderes als Idiotismus — was, sagten sie allerdings wohlweislich nicht — als den Boden der Bcbcl'- scben Verheißungen anzunehmen. Bebel hatte eben selbst nicht geglaubt, nur verbeißen, und was er in Hannover gegen Bernstein für die Fähigkeit des Proletariats, den ZukunslS staat irgend einmal herzuslellen, für bie Möglichkeit der Expropriation, vor Allem aber behufs Galvanisirung der VerelendungStheoric vorbrachle, das lief Alles aus die Beschwörung hinaus: „Weicht nicht Weiler zurück im Programm; wir brauchen die Begeisterung, die Opferwillig keit, und diese so unentbehrlichen Tugenden der Massen geben zum Teufel, wenn wir unsere Anhänger aus dem Reiche der Phantasie zur Wirklichkeit, zum Streben nach langsamer, stetiger Verbesserung der Lage der Arbeiter auf dem Boden des Bestehenden zurückfübren." Frohme, Auer, Vollmar jedoch blieben gänzlich ungerührt, sie hielten zu den neuen „Jungen". David und Wollmann und namentlich Auer be kannten sich als höchst bedingte Anhänger der Parteidogmen: „Ich bin ein begeisterter Anhänger der Marx-Engels'schen Lehre, soweit sie mein Verstand aufzunehmen ver mocht hat." Also diese grundlegende Lehre geht einem der ersten Führer der Partei nicht ganz „in de» Kopf". Die Ab stimmung über Bernstein entsprach der Erörterung. Man resolvirte, daß kein Grund vorliege, bie „Grundsätze und Grund forderungen der Partei" zu ändern. Diese Resolution wurde mit 216 gegen 21 Stimmen angenommen; sie war von Bebel eingebracht und von ihm wie in der Hauptsache von KautSky, dem erbittertsten Gegner Bernstein'-, befürwortet worden, Bernstein aber hatte sich, wie Auer unter stücmischer Heiterkeit mittheilen konnte, auch für den Beschluß erklärt. Hieraus und aus dem Umstande, daß nur 21 von 237 Delegirten gegen die Resolution stimmten, läßt sich entnehmen, daß der Beschluß in dem bestehenden Streite gar nichts bedeutet. Bernstein wird fort fahren, die Verelendungslehre als Schwindel, die Umwand lung deS bestehenden Staates in eine socialistische Gesellschaft als Unmöglichkeit und als auch nicht wünschenSwerth zu be zeichnen, und er wird doch Mitglied der Socialbemokratie bleiben, wie KautSky. Mit der Duldung der Fortdauer dieses Zustandes machen sich die Orthodoxen einer neuen Un wahrhastigkeit schuldig. Sie erklären, auf dem Boden des Partei- Programms zu stehen, mit dem Bernstein'S Lehren unvereinbar sind, und sie handeln im Uebrigen wie Opportunisten. Hat doch Bebel sogar und zwar gleich, nachdem er gesagt: „Wir thun gegen die Vervummungsbestrebungen zu wenig", „So, so, die Nacht soll wieder durchgebummrlt w«rden — das ist schon ein nettes Leben!" A-er Herr Lehmann hörte nichts m«hr, denn er war bereits auf der Trcppe. Alsbald machte sich die Wirthin kopfschüttelnd daran, in dem Zimmer Ordnung zu schaffen, so gut es in aller Eile gehen wollte. Kaum aber war ein« Minute vergangen, als die Thür ausgrrissen wurde und Herr Lehmann wieder ins Zimmer stürzte. Frau Walter bekam einen heillosen Schreck. „Was ist denn nun schon wieder los?" fragte sie zitternd. Herr Lehmann war ganz außer sich. . „Denken Sie doch, das hätte ich ja beinahe vergessen: Heute kann ich ja gar nicht zum Herrenabend gehen! Heut« ist ja das große Souper beim Regierungsrath, und meinem Chef darf -ich doch keine Entschuldigung schicken!" Die Wirthin schüttelte nur von Neuem den Kopf, was sollte sie auch zu solcher Zerstreutheit sagen! „Also, beste Frau Walter, nun empfehlen Sie sich gefälligst, damit ich Toilette machen kann." Jetzt sah sie ihn fragend an: „Toilette wollen Sie machen?" „Na, selbstverskkindlich! Zu einem solchen Souper kann ich doch nur im Frack gehen." Frau Walter lachte hell auf. „Sie sind doch wirklich der geborene Confustonsrath, Herr Lehmann! Wissen Si« denn gar nicht mehr, daß Sie Ihren Frack versetzt haben?" „Donneiüw«tt«r!" — Nun war er consternirt. — Was nun anfangen? — „Schaffen Sie Rath, liebste, beste Frau! Ich muß einen Frack haben, denn daS Souper darf ich nicht versäumen! Das würde mir mein Chef furchtbar krumm nehmen!" „Kunststück! Jetzt soll ich Rath schaffen! Meinen Sie etwa, daß ich einen Frack hätte?" „Wir müssen meinen auslösen!" „Jetzt — um acht Uhr? Das Leihhaus ist lange geschlossen." „Teufel, Teufel, was mach' ich denn blos!? Hin muß ich unter allen Umständen!" Händeringend lief er im Zimmer umher. Da hatte Frau Walter Erbarmen. „Warten Sie mal, ich werde mal zu meinem Schwager 'rüber gehen, der ist Kellner und hat Ihre Figur — vielleicht borgt mir der einen." „Sie sind ein Engel, Frau Walter . . ." „Na, na, ereifern Sie sich nicht zu früh! Erst haben und dann lachen!" Damit ging sie hinaus. Inzwischen machte er sich daran, die übrigen Toilettengegen ständ« herau-zusuchen. Natürlich war er wieder so nervös und mit einem nichts Principielles besagenden Vorbehalte die Bildung einer ultramontanen bayerischen Kammermehr- brit Lurch socialdemokratischc Hilfe gebilligt. Aber als Opportunisten zeigen sich auch die Auer und Frohme, indem sie Bernstein schonen, der Antimarxist ist, während sie den Marxismus als Eklektiker benutzen. Es ist nur ein Unterschied deS GraLcS zwischen KautSky und Auer, und diese Gewißheit schreibt dem Büiger- lhum auch künftig die Stellung gegenüber der Sccialdemo- kratie vor. Unbeachtet soll unv darf aber die durch Bern stein hervorgerufene Bewegung nicht bleiben. Denn auch Auer und Vollmar sind nicht die letzten Glieder der Nück- entwickelungSkelte. Und wenn auch die GrunLumwandlung innerbaib der Socialdemokratie ausgeschlossen erscheint, die Socialbemokratie ist auch nicht das — Letzte. Deutsches Reich. --- Berlin, 14. October. (Militärische und bürger liche Gerichtsbarkeit.) In dem Spielerprocesse ist ein Zwischenfall vorgckommen, der wobl wenig Beachtung gefunden bat, aber für die Rechtspflege von großer Bedeutung ist. DaS Gericht batte von dem General- commando des GardecorpS Auskunft darüber verlangt, auS welchen Gründen der Angeklagte von Kröcker seinerzeit auS dem activen Dienste ausgeschieden wäre. DaS General- commando hat diesem Ersuchen nicht stattgegeben mit der Motivirung, daß eS Anstand nehme müßte, aus den Personalacten deS Gardecorps Mittbeilungen zu machen. In diesem Falle, wo die Freisprechung auch deS Angeklagten von Kröcher nach dem Gange der Verbandlung so gut wie gewiß ist, wäre die amtliche Auskunft des GeneralcommandoS praktisch kaum iuBetracht gekommen. Wenn aberdieSachezweifel- baft gewesen wäre, so wäre eS im Interesse der Sache selbst, wie auch in dem persönlichen Interesse deS Angeklagten gewesen, eine ofsicielle Angabe über die Gründe, die zum Austritte deS Angeklagten auS dem activen Dienste führten, zu erkalten. Die Weigerung geht indessen weit über die Be deutung der vorliegende« Sache selbst hinaus. Sie ist nämlich wiederum ein Beweis dafür, daß die militärische Rechtshilfe nicht selten versagt, wenn sie von der bürgerlichen Justiz in Anspruch genommen wird; umgekehrt pflegt die bürgerliche Justiz Requisitionen der Militärbebörden auf das Promteste zu entsprechen. Damit entspricht sie zugleich auch dem StaatSzwccke, denn dieser kann nur dann erfüllt werden, wenn die bestehenden Behörden sich gegenseitig nachdrücklichst unter- slüyen. Kommen bie Militärbebörden Wünschen der bürgerlichen Justiz nicht nach, so leidet darunter nickt nur die Rechtspflege, sondern auch daS Ansehen der bürgerlichen Justiz. Es versteht sich von selbst, daß die Militärbehörde dann einem Ersuchen der bürgerlichen Justiz nicht wird stattgeben können, wenn etwa die Erfüllung des Ersuchens die Preisgabe militärischer Geheimnisse zur Folge haben würde. Davon aber kann keine Rede sein, wenn auS den Personalacten eines Leutnants mit- zutheilen ist, aus welchen Gründen er auS dem activen Dienste ausgetreten ist. * Berlin, 14. October. (Eine Lücke der Gesetz gebung.) Die „Hamb. Nachr." hatten eS kürzlich als eine Lücke in unserer Gesetzgebung bezeichnet, daß der frühere socialdemokratische ReickStagS-Abgeordnete Schmidt, nach dem er von der Magdeburger Strafkammer wegen Maje- stälSbeleidigung zu 3 Jahren Gefängniß und Ver lust des NeichStagSmandatS verurtheilt worden sei, so confus, daß er Alles durcheinander warf, so daß die Srube nach wenigen Minuten wieder einem Trödelladen glich. Endlich gelangte er auch zum Schrank, um die Frackhos« heraus zu nehmen. Er sucht« und sucht«, aber die Hose war nicht -da. Was war d«nn das nun wieder? Er setzt« sich hin und grübelte nach, wo er die Hose wohl gelassen Haben könnte, aber umsonst, er besann sich auf nichts. Dann begann er von Neuem alle Ecken und Kasten durch zuwühlen, aber Aves war umsonst, di« Hose fand sich nicht. Plötzlich aber besann er sich doch — er hatte sie gestern Nach- mitag einem Freunde geborgt! — Also schnell dahin und dem Freunde das kostbare Stück wieder abgejagt. In der nächsten Minute war er bereits unterwegs. Und «r hatte auch Glück. Der Freund war nicht daheim. D'rum nahm er schnell entschlossen seine Hose an sich, sagt« der Wirthin des Freundes den nöthigen Bescheid und rannte sporn streichs seiner Wohnung zu. Inzwischen war auch Frau Walter schon zurück. Sie hatte wirklich einen Frack bekommen und hob ihn freudig hoch. „Ne, ne, lassen Sie man. Mr so was bin ich jar nicht!" sagte 'sie und lehnte seine Umarmung ab. „Also nicht»! Na, dann werd' ich Ihnen ein Stück Baum kuchen von der Gesellschaft mitbring«n!" Da die ordnungsliebend« Wirthin ihm beim Toilettemachen ntcht gut helfen konnte, so war er nun auf sich allein angewiesen, und die Folge davon war, daß der Raum innerhalb fünf Minuten «inem Lager glich, in dem Bandalen gehaust hatten. So nach und nach fand er denn doch Alles zusammen, was er brauchte, bis er nach ein«r qualvollen Biertelsbunde endlich so weit fertig war. daß er nur noch den Frack anzuziehen brauchte. Er schlüpft« hinein und war sehr «rstaunt, daß er ihm so gut paßte, als ob er für ihn gemacht wär«. Als «r daraufhin das elegant« Kleidungsstück aber ein wenig näher besah, da glaubte er seinen Augen nicht zu trauen, denn er erkannte seinen.eigenen Frack, den er vor einigen Monaten versetzt hatte. Sofort tief er Frau Walter herein und theilte ihr die Neuigkeit mit. „Das ist wohl wieder einer Ihrer bekannten Jrrthümer", meinte Richelnd die Wirthin, „wie sollte denn mein Schwager wohl zu Ihrem Frack komm«n?" „DaS frage ich Sie! Denn «s ist kein Jrrthum von mir. ich kenne meinen Frack ganz genau!" rief er jetzt aufgeregt. Nun wurde auch Frgu Walt«r aufgeregt. „Sie glauben doch nicht etwa, daß mein Schwager —?" sofort, also vor Verbüßung seiner Strafe socialdemokratischer seits wieder als Candivat ausgestellt werden könne. Tie genannte Zeitung sübrte aus, es habe unmöglich die Absicht deS Gesetzgebers gewesen sein können, für Jemanden, der be- strafl worden sei und dem als ein Tbeil dieser Strafe die auS öffentlichen Wahlen hervorgegangeneu Reckte aberkannt worden wären, ein Superarbitrium der Wähler zuzulassen, so daß diese ibn ohne Weiteres wieder wählen und damit den Ur- tbeilSspruch in dieser Hinsicht annulliren könnten. Sollte eS überhaupt einen Sinn haben, dem Verurtheilten bei be stimmten Delicten die Reckte zu entziehen, die er auS öffent lichen Wahlen erlangt habe, so müsse sich die Wirkung deS UrtheilS mindestens doch auf so lange erstrecken, bis die ihm zuerkannte Freiheitsstrafe verbüßt sei. Darüber aber fehle es gegenwärtig an ausreichenden gesetzlichen Bestimmungen. Dem gegenüber wurde von anderer Seite behauptet, daß eS an solchen Bestimmungen nicht fehle, denn im tz 3 deS Wahl gesetzes für den Reickstag heiße es: „Bon derBerechtigung zum Wählen sind ausgeschlossen Perjonen, denen in Folge rechtskräftigen Erkenntnisses der Voll genuß der staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist, für die Zeit der Entziehung, sofern sie nicht in diese Rechte wieder eingesetzt sind. Ist der Bollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte wegen politischer Vergehen entzogen, so tritt die Berechtigung zum Wählen wieder ein, sobald die außerdem erkannte Strafe vollstreckt oder durch Begnadigung erlassen ist." Und Z 4 dieses Gesetzes laute: „Wählbar zum Abgeordneten ist im ganzen BnndeSgebiete jeder Norddeutsche, welcher daS 25. Lebensjahr zurückgelegt und einem zum Bunde gehörigen Staat seit mindesten- einem Jahre anaehört hat, sofern er nicht durch die Bestimmungen i» dem 8 3 von der Berechtigung zum Wählen ausgeschlossen ist." Wer aber nickt wählen dürfe, sei auch nicht wählbar, und da Sckmidl nicht wahlberechtigt sei, so könne er auch nicht gewählt werden. Dazu bemerken nun die „Hamb. Nachr.": Allerdings ist eS richtig, daß, wer nicht wählen darf, auch nicht wählbar ist; aber da» ist für den vorliegenden Fall bedeutungslos, denn Schmidt hat durch die Berurtheilung sein actlveS Wahl recht nicht verloren. Dies ruht nur während der Verbüßung seiner Strafe quoack exosrcitiuw, nicht quoaä jus. Wenn eS wäh rend seiner Strafzeit zu einer Neuwahl käme, würde er allerdings nicht mitwählen können, aber nicht wegen rechtlicher, sondern that- sächlicher Unfähigkeit dazu, d. h. weil er hinter Schloß und Riegel sitzt. Die in der obigen Zuschrift ungezogene Bestimmung des Wahl- gesetzes, welche Diejenigen von dem activen Wahlrecht ausschließt, die nicht im Vollbesitz ihrer staatsbürgerlichen Rechte sind, kann auf ihn keine Anwendung finden, weil man ihm wohl seine Freiheit und sein Mandat aberkannt hat, nicht ober seine staatsbürgerlichen Rechte; folglich ist er im Bollbesitz derselben. Nicht im Vollbesitz dieser Rechte ist lediglich Derjenige, dem die bürgerlichen Ehrenrechte durch rechtskräftiges Urtheil abgesprochen sind. Daß die fragliche Bestimmung deS Wahlgesetzes nicht ander- ausgelegt werden kann, ergiebt sich aus dem Strafgesetzbuch«. Dasselbe macht in seinem 8 34 Ziffer 4 die Unfähigkeit „in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen, zu wählen oder gewählt zu werden, oder andere politische Rechte auSzuüben" ausdrücklich von der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte abhängig und enthält an keiner anderen Stelle eine Be ¬ stimmung, welche die Beschränkung dieser politischen Rechte auch „Nichts glaube ich! Eins nur weiß ich bestimmt: Das ist mein versetzter Frack!" „Halt!" rief da die Wirthin, „suchen Sie 'mal Ihren Pfand schein vor, vielleicht klärt sich's dadurch auf." Nach -langem Suchen fand man das Papier, und da stellte es sich denn heraus, daß der Frack nicht beim königlichen Leih haus, sondern bei einem Trödler in der Nähe versetz: und daß der Termin der Einlösung schon längst abgelaufen war. Frau Walter lachte und sagte: „Das haben Sie wieder von Ihrer Vergeßlichkeit. Denn jetzt ist ja Alles klar: der Trödler hat Ihren Frack verkauft und mecn Schwager, der sein Kunde ist, hat ihn somit redlich erworben." Herr Lehmann konnte jetzt nicht mehr widersprechen; betrübt sah er feinen Frack an und sagte: „So müssen wir Zw«i uns wiederseh'n!" Da schlug die Uhr Neun. „Na, jetzt ist es aber di« höchst« Zeit, daß Sie zu Ihrem Souper kommen", rief Frau Walter. „Haben Sie denn noch weid zu gehen?" Und wieder war Herr Lehmann in Verlegenheit. „Ja so, wo wohnt der Alt« doch gleich?" ächzte er, „wo habe ich denn nur die Einladungskarte gelassen?" Von Neuem wurde das Zimmer durchsucht, bis man endlich die Karte fand. Di« Wirthin nahm sie und las. Plötzlich bekam die gute Frau einen wahren Lachkrampf. „Was ist denn los?" schrie er entsetzt. Sie aber, Thränen lachend, «n!g«gnete: „Sie sind doch, weiß Gott, der konfuseste Mensch, den ich kenne!" „Na, was haben Sie denn nur?" „Das Souper ist ja erst heute über acht Tage !" „Nicht möglich!?" „Hier, bitt«, lesen Sie doch selber . . , , . Mittwoch, den 18- October! . . . ." Und er las und sah ein, daß seine gut« Mithin wieder 'mak Recht hatte. „Also war die ganze Hetzjagd umsonst!" „Da soll doch . . . .!" Aber rasch sand er seinen Humor wieder und sagte: „Na, dann ist ja eigentlich Alles gut, denn nun kann ich doch noch zu unserm fidelen Hererna'bend gehen!" Sprach's, zog schnell den Frack wieder aus, schlüpfte in den gewöhnlichen Rock und ging dann seelenvergniigt in den Club,— nicht ohne -zuvor in der Zerstreutheit doch noch nach der Straße zu laufen, in der sein Chef wohnte.
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