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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991016013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899101601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899101601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-16
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Hey, die slawischen Siedelungen in Sachsen, hat Borna folgende Namen im Laufe de: Jahrhunderte gehabt: 1240 Burne, 1275 Burnis, 1297, 1327, 1417, 1409 Borne, 1475, 1526 Born, 1476 Bornne. In älteren Schriften wird es Bornov, Bornow, Bornaw geschrieben, man nahm an, daß es von Born (Brunnen) abgeleitet sei, Borna würde also Brunnenstadt bedeuten. Dem ist aber nach Hcy's Annahme nicht so, es ist vielmehr von dem serbischen Worte borna — Lehmheim abgeleitet; diese Ableitung würde insofern zutreffend sein, als die Umgebung Bornas reich an Lchmlagern ist. So wechselnd die Schreibweise des Ortes war, ebenso wechsel voll Warrn die Geschicke der Stadt, von welchen sie im Laufe der Zeit getroffen wurde- Zu welchem Zeitpuncte die Gründung der Stadt erfolgte, läßt sich heute nicht mehr er weisen; eins aber ist mit Sicherheit anzunehmen und das ist Das, daß unterm 28. Januar 1228 Heinrich der Erlauchte eine Urkunde zu Borna ausstrllte, damit tritt Borna urkundlich in die G.schichte ein. Don nun ab werden Truchsessen von Borna verschiedene Male als Zeugen bei Ausstellung von Urkunden genannt. Unter den politischen Wirren, die zu Ende des drei zehnten Jahrhunderts Deutschland verheerten, hatte auch Borna mit zu leiden. Einiger Län'dertheile wegen geriethen 1281 Albrecht II. (der Entartete) una seine Sohne Friedrich und Diez- mann in heftigen Streit. Während dieses Krieges nahm Diez- mann den nördlichen Theil des Plcißner'landes in Besitz, dazu gehörte auch Borna. Der deutsche Kaiser, Adolf von Nassau,-be trachtete aber das Pleißnerland als Reichsland, 1292 erschien er mit einem mächtigen Heere und unterwarf sich das Pleißnerland, um es sofort wieder zum Theil an den König von Böhmen zu verpfänden. Diesem Gebähren widersetzten sich die Brüder Friedrich undDiezmann; um diese Beiden zu demüthigen, erschien Adolf von Nassau 1294 mit einem Haufen roher Söldner und eroberte Thüringen und das Osterland. Borna erlag am 7. Deoember 1294, an diesem Tage ward es erstürmt und nieder gebrannt. Nach diesem Siege zog sich Adolf über den Rhein zurück, er übertrug den Oberbefehl übe: das Heer seinem Onkel, Philipp von Nassau, der den Auftrag hatte, die markgräflichen Lande vollends zu erobern und die beiden fürstlichen Brüder zu vertreiben. Friedrich und Diezmann rüsteten ihr Heer, und im Jahr« 1295 kam es bei Borna zur Schlacht, in welcher 2000 Schwaben erschlagen wurden, 200 aber kamen in die Gefangen *) Quellen: Chronik der Stadt Borna von Robert Wolf ram; das Rathsarchiv zu Borna (bis 1600) von I)r. Adolf Wenck; Berichte der Handels- und Gewerbekammer zu Chemnitz, Adreßbuch der Stadt Borna; Haushaltpläne der Stadt Borna, Mittheilungen des K- S. Statist. Bureaus. schäft. Friedrich und Diezmann blieben Sieger. Der geschlagene Feind bat um drei Tage Waffenstillstand, damit er seine Tobten begraben könne. Nach Ablauf derselben kam es abermals zum Kampfe, die Kaiserlichen unterlagen und mußten sich auf Alten burg zurückziehen. Friedrich, der den Oberbefehl hatte, zog, mit reicher Beute beladen, in Borna ein und ward freundlich aus genommen- Philipp von Nassau sandte sogleich über den Verlauf des Kampfes Nachricht an Adolf von Nassau, der ihm unter Georg von Oettingcn zur Fortsetzung des Kampfes schleunigst Hilfe sandte. Sogleich ward Borna wieder belagert, dieses leistete heftigen Widerstand und konnte nicht genommen werden; erst als 1296 Adolf von Nassau selbst vor Borna ankam, mußte cs sich ihm nach längerer Belagerung ergeben. Durch sein herrschsllchtiges Gebühren schaffte sich Adolf von Nassau viele Gegner, die zuletzt seine Absetzung bewirkten. Um sich zu behaupten, eilte er an den Rhein, vorher aber ernannte er Heinrich von Nassau zum Statthalter im Meißner- und Öfter lande- Kaum hatte Adolf das Pleißnerland verlassen, so griffen Friedrich und Diezmann abermals zu den Waffen. Zwischen Oschatz und Döbeln gelang es ihnen, den Statthalter Heinrich gefangen zu nehmen. Er erkaufte sein: Freiheit nur dadurch, daß er Lichtewalde, Dübeln, Geithain und B o rna an Vie beiden fürstlichen Brüder zurückgab. üldolf's Nachfolger, Albrecht von Habsburg, war ebenfalls ein Feind der Wettiner, er suchte sie zu vernichten. Mit einem Söldnerheere drang er zu Ende des Jahres 1306 im Öfter lande ein. Muthvoll stellten sich Friedrich und Diezmann dem neuen Gegner entgegen. Am 31- Mai 1307 kam es zwischen den Kaiserlichen und den Wettinern bei Lucka zur Schlacht, der Sieg neigte sich nach hartem Kampfe auf die Seite der Wettiner. Durch diesen Sieg ward das Fortbestehen des Hauses Wettin als deutsches Fürstenhaus begründet. Ende des Jahres starb Diez mann, er wurde angeblich auf Anstiften des Grafen Philipp von Nassau in der Thomaskirch: zu Leipzig ermordet. Friedrich war nun alleiniger Erbe der wettmischen Lande. Bevor er sich aber Herr derselben nennen konnte, mußte er noch den Rest des kaiser lichen Heeres vernichten, das unter dem Grafen Philipp von Nassau Wieder in feine Lande biüdrang. Bei Borna fiel der ent scheidende Schlag. Als Friedrich im Kampfe den Grafen von Nassau bemerkt«, ließ er sich ein frisches Pferd und eine neue Lanze geben, er jagte dem Philipp entgegen und rief: „Das ist der Bösewicht, durch welches Derrälherei mein armer Bruder hat sterben müssen; was gilt's, er soll von mir bezahlt werden!" Zwischen Beiden entspann sich ein kurzer, aber heftiger Kampf, Friedrich stach den Philipp vom Pferde und tMiete ihn hierauf mit dem Schwerte. Von nun ab blieb Borna, abgesehen von einigen Verpfändungen bei dem Hause Wettin. Durch den Einfall der Hussiten hatte auch Borna schwer zu leiden; 1430 erschienen dies«, sie plünderten und ver wüsteten die Stadt und brannten sie darnach nieder. Zwei Jahre darauf kamen die Unholde wieder vor Borna an. Die armen Einwohner, die sich kaum von der ersten Verwüstung etwas erholt hatten, erlitten wiederum schwere Verluste und Bedrückungen. Der Verfall der Stadt war so groß, daß erst 1438 mit dem Auf bau des Raihhauses wieder begonnen werden konnte. I Noch schlimmer erging es der Stadt während des Bruder- 'kriegcs. 1450 hatte Kurfürst Friedrich der Sanftmüthige Borna an den Bischof von Naumbürg verpfändet. Dieser Ver- i Pfändung widersetzte sich der Bruder des Kurfürsten, der Herzog ! Wilhelm von Weimar, er kam, um Borna zu belagern. Als die > Bürger diese Gefahr nahen sahen, sandten sie zu ihm und ver sprachen ihm 300 Gulden, wenn er die Stadt verschone. Herzog Wilhelm forderte zwar 400, begnügte sich aber mit 300 Gulden und gab den Abgesandten eine Fahne, die die Stadt vor fernerer Bedrückung schützen sollte. Leider war aber dem nicht so. Nach drei Monaten erschien das Heer Wilhclm's vor Borna und lagerte sich bei Görnitz. Unter den Truppen des Herzogs waren viele böhmische Söldner, die mit größter Grausamkeit wütheten. Nach dem das Schloß vor Borna cingeäschert war, kamen die böhmi schen Söldner auch der Stadt näher uns forderten von ihr 1200 Gulden. Nach längerer Verhandlung und nachdem die Weiber dem Schreiber im Geheimen 20 Gulden versprochen hatten, ward die Forderung auf 700 Gulden ermäßigt- Als nun die Bürger diese Summe zu Braunsdorf zahlen wollten, hatte sich Herzog Wilhelm mit den Hussiten vereint, er überfiel das ahnungslose Städtlein Borna und ließ es Lis auf vier kleine Häuser nieder- Lrcnnen. Don diesem schweren Schlage erholte sich Borna nur nach und nach; um 1522 zählte man 127 Hausbesitzer. Die kirchlichen und die Schulverhältniss« können zu Anfang des 16. Jahrhunderts nicht bester Art gewesen sein, denn 1517 ver klagte der Rath die Bürgerschaft, den Abt zu Pegau und seine Klerisei bei demLandesfürftrn. Sie beschwerten sich darüber, „daß der Pfarrer das Schulmeisteramt von drm Caplan Koch ver walten lasse, dieser aber sein Amt schlecht abwarte und die Schule vernachlässig«, daß das Schulhaus nichl im baulichen Wesen er halten werde, daß der Pfarrer die täglichen und wöchentlichen Messen nicht halte" u. s. w- Durch diese gröbliche Vernach lässigung des geistlichen Amtes war der Boden für die Nefor ma t i o n gu: vorbereitet. Als daher von Wittenberg Luther's markige Worte von der wahren Freiheit eines Christenmenschen erklangen, da fanden diese in den Herzen vieler Bürger Bornas freudigen Widerhall und willige Aufnahme; so ist es denn auch erklärlich, daß bereits 1518 Borna in Wolfgang Fusius seinen ersten evangelischen Prediger erhielt. Luther weilte oft und gern in Borna und Umgebung, sein Landgut Zöllsdorf war nur 2 Stunden von Borna entfernt. Der Ritter gutsbesitzer von Einsiedel in Prießnitz bat ihn, er möge einmal in Prießnitz predigen, wozu Luther gern bereit war. Als aber der Gottesdienst beginnen sollte, war die Kirche überfüllt, und aus dem Friedhof hatten sich noch viele Hörer versammelt. Da bestieg Luther die Kirchhofslind« und predigte von dieser herab. Diese Linde wird jetzt noch in Ehren gehalten. Während der Wurzener Fladenkrieq und der Schmalkaldische Krieg Borna in kaum nennenstverth«: Weise berührten, brachte der Dreißigjährige Krieg schweres Unheil über die Stadt. Am 28. und 29. August, am 6. und 7. September 1631 plün derten die Kaiserlichen Borna und brannten 6 Häuser nieder. 1632 kamen Wallenstein's Schaaren nach Borna und plünderten «s rein aus. Das Iah: 1633 brachte für die Stadt bald kaiserliche, 527. Montag den 16. October 1899. 93. Jahrgang. bald schwedische Truppent'heile. Die kaiserlichen Soldaten er brachen die Sacristei und nahmen, was ihnen gefiel. In den Mauern wüthelc Feuer und Krankheit, Vie Bewohner flohen oder starben, 1634 standen bereits 34 Häuser leer und Vie Vorstadt war wie ausgestorben, ledig und verwüstet. Für die Schönbergische Compagnie zu Roß mußten zur Verpflegung 1489 Thaler 15 Gr. aufgewendet werden. Mit größter Rücksichtslosigkeit und Roh heit schaltete die Soldateska in Borna. „Die Soldaten schossen in der Skadt mit Kugeln, feuerten selbst in das Rathhaus hinein, erbrachen die Bierkeller, hüteten ihre Pferde in den Gärten und auf den Wiesen, öffneten die Scheunen, entwendeten das Heu, mißhandelten die Einwohner und bezahlten nicht, was sie verzehr: hatten." Die Verpsleggeldcr, die die Stadt 1635 aufzubringen hatte, betrugen 1810 Gulden 18 Groschen. Gleiche Lasten brachte auch das Jahr 1636. Für das „Kaiserlich Volck zu Pferd" waren täglich durch die Stadt und Amt Borna zu liefern: 2200 Pfund Brod, 10 Faß Bier, 6 Rinder, 6 Kälber. 6 Schöpse, 6 Schock Eier, 30 Hühner, ein« Anzahl Fische und 80 Kannen Wein. 1637 erpreßte der Bannersche Oberst Guin 3086 Thaler 9 Gr. 3 Pf. Contribut'ion, außerdem waren noch aufzubringen: das Mehl zu 20 000 Pfund Brod und 20 Faß Bier oder für jedes Foß 7 Thaler. Durch diese fortgesetzten Bedrückungen trat in Borna große Noth ein. „1639, da der Scheffel Korn 7 und mehrere Thaler gegolten, hat der Hunger viele Leute dermaßen gedrückt, daß sie dem Caviller, wie er todte Aeßer ausgefübret. nachgelaufen und Fleisch von ihm gebeten haben. Viele kochten dazumal Gras und aßen es." Trotz dieser allgemeinen Noth mußte Borna doch 1754 Thaler Kontribution aufbringen. Im Laufe des unheilvollen Krieaes verfiel die Stadt mehr und mehr, von 100 Häusern Warrn nur-noch 20 bewohnt; Handel und Wandel lagen ganz darnieder. 1643 mußte Borna 25 Arbeiter und 50 Schubkarren nach Leipzig zum Festungsbau senden, jeden Sonntag mußten die Arbeiter durch andere abgelöft werden. Zur Verpflegung der schwedischen Truppen mußten 1643—1644 3108 Thaler 22 Gr. lOtz Pf. aufgebracht werden, 1649 noch 3204 Thlr. Im Juni 1650 verließen endlich dir letzten Sckweden Sachsen, und am 22. Juli dieses Jahres konnte man endlich in Ruhe da- Dank- und Friedensfest feiern. Unter den Lasten des N o r d i s ch e n K r i e q e s hatte Borna gar nicht zu leiden, obwohl auch die Schweden die Stadt be* rührten. Die Befreiung von den Kriegslasten kam daher, daß 1698 Kursürst Friedrich August I., der Starke, Borna nebst Amt für 333 333 Thaler an Herzog Friedrich II. von Sachsen« Gotha verpfändet hatte. Schlimme: eraing es der Stadt in den S ch l e s i s ch e n u n d im Siebenjährigen Kriege. Nach der Schlacht bei Kesselsdorf, den 15. December 1745, überflutbeten di? vreußi- schen Truppen Sachsen. Da das Am! Borna die preußischerseits vorgeschriebenen Lieferungen nicht schnell genug ausführte, so wurde der Bürgermeister durch Husaren nach Leipzig abgesührt, Borna mußte Schanzarbeiter nach Leivzia senden, 2000 Thaler Kontribution zahlen und an Naturalien 96 Scheffel Hafer, 96 Centner Heu und ach' Schock Stroh liefern. Bedeutend größer wurden die Bedrückungen während des unheilvollen Siebenjährigen Krieges. Waren die Ein- FsrrLlSeton. Ein Wunder. Novellette von Emma Merk München). Nachdruck verbot«». So elend wie jetzt war's ihm doch in seinem ganzen Leben noch nicht gegangen. Er halte ein Gefühl, als müsse er sich auf den nächsten Kilo meterstein nieversetzen und flennen wie ein Kind. Todtmüde, hungrig und in dem Sack feiner fadenscheinigen Hose keinen Pfennig! Nichts — nichts mehr! Allein auf der Landstraße in der fremden, einsamen Gegend! Gewiß noch meilenweit von der Stadt entfernt, in der er Arbeit finden konnte! Diese verdammte Erbschaft, die ihn genarrt hatte! Ein armer Teufel, der sich von seinem zwölften Jahr an sein Brod verdienen mußte, und der von der Hand in den Mund lebte, das war er ja immer gewesen. Aber als Tapezierergeselle hatte er doch sein Auskommen gehabt. Muß da in der Zeitung stehen, im Oesterreichischen drüben, in einem Dorfe in Kärnten, sei ein Bauer Namrns Steingadner gestorben und die Verwandten sollten sich melden. Nun ja, — Steingadner hieß er doch, und daß sein Vater aus Kärnten ge wesen, das wußte er auch. Da denkt einer doch, es könnte ihm auch einmal! ein Glück in den Schoß fallen. Einem Brief traute er nicht. Lieber die paar Sparpfennige hergenommen und selber hingefahren. Ja, ja, der Hof wär' wohl schon gewesen. Und ein Geschwisterkind von seinem Großvater selig war der alte Steingadner auch. Aber — prost Mahlzeit! Er muß sich doch den Mund abwischen von der Erbschaft und wieder Heimtrollen. Von Amerika herüber ist ein Bruder des Bauern gekommen, ein steinalter Kerl, den man längst für todt gehalten . Der hat ein Dutzend Enkelkinder, die sich in den fetten Braten teilen. Wenn er in Salzburg nur wenigstens hätte in Arbeit bleiben können! Aber so «in Pech! Da wird er auch noch krank und muß im Spital liegen in der fremden Stadt. S«ine paar Groschen gehen drauf. Die silbern« Uhr hat er verkaufen müssen. Wie er herauskommt, ist es Herbst, die Fremden sind fort. Der Tapezierer hat nichts zu thun, er braucht keinen Gesellen mehr. Zu einem Eisenbahnbillet reicht das Geld nicht. Aber nach München muß er, will er, um jeden Preis! Sein braver Meister Hurtersberger nimmt ihn ja gern wieder. Aber e» ist ein weiter Weg zu Fuß. weiter, als er gemeint. Er hat auch keine Kraft in dm Knochen von der dummen Krankheit her. Jwmer noch sind die Berge hoch und nahe. Er steht von dem Stein auf und bückt sich nieder. „Zehn Kilometer noch bis Rosenheim!" ES geht nicht mehr. Er kann ja nicht mehr vorwärts. Und in Rosenheim? Was dann? Kein Mensch kennt ihn da. Nicht l einmal ein Heulager geben sie ihm umsonst in der fremden I Stadt. In Arbeit nimmt ihn Niemand, matt und elend, wie I er ist. Soll er betteln? Er stellt sich vor, wie er auf dem Bahnhof die Hand aus streckt und ein paar Worte murmelt: „Ein armer Handwerks bursch!" — Wie ihn der Gendarm anredet! — Wie sie ihn in das Schubcoupö schieben. — Nein! Nein! — Die Schande will er nicht erleben! — Lieber — lieber sich aufhängen an dem nächsten Baum. Er rennt eine Strecke weit, wie im Entsetzen fliehend vor seinen eigenen Gedanken, vor dem düsteren Entschluß. Wie im Fieber ist's ihm wieder. Als streckte sich hinter ihm eine Hand nach ihm aus und packte ihn, zerrte ihn fort in den Wald hinein, in ein dunkles Versteck! Als fühlte er schon den drosselnden Strick um seinen Hals. Er ringt förmlich nach Luft in der furchtbaren Angst beklemmung; er wehrt sich mit letzter Lebenskraft gegen diese Stimme, vi« ihm wie von außen her zuzuraunen scheint: „Mach ein End'! Es wird ja doch nichts mehr mit Dir!" Keuchend kommt er an die Waldlichtung, an das freie Feld, wo er wieder hcrausblicken kann — wo er den großen, weiten, blauen Himmel über sich sieht. Es wird ihm unwillkürlich leichter, als wäre die Gefahr hinter ihm. An einem schmalen Wiesenpfad steht ein Wegzeiger: „Nach Mariensee." Da unten glitzert eine stille Fläche, und an dem User steht in einem wohlgepflegten Garten ein weißes Haus mit hellgrünen Läden; keine Baucrnwchnung, eine Villa. Behagen, Frieden, Heiterkeit scheinen von dem reizenden Besitz auszu strahlen. Es ist nicht Neid, was sich in ihm regt. Dazu ist er zu schlaff, zu niedergeschlagen und müde. Nur ein dumpfes Staunen, daß da unten, so nah und doch wie in einer fernen Welt, Menschen leben, denrn es so gut geht, die sich in d«r Laube an den rothgedeckten Tisch fetzen können, für di« eine M«nge Früchte an den Bäumen hängen, für die wohl in der Küche ge braten und gesotten wird, denn ein Rauchwölkchen steigt aus dem Kamin in die blaue Luft empor. Er ist erschöpft auf dem Rasen hing«sunken zwischen rothblühender Erika, im Schatten einer Eick^, an der schon leuchtend gelbe Blätter hängen, und wie er so verwundert in diese fremde Wett hineinblinzelt, die ihm wie ein Paradies erscheint, fallen ihm die Augen zu, und er vergißt seinen Hunger und sein« Hilflosigkeit in einem tiefen Schlaf. Dir Sonne ist so gut gelaunt an diesem Herbsttag! Sie gießt Schönheit und wundersamen Farbenreiz über alle Ecken und Winkel, schüttet solchen Goldregen durch die Zweige der Eiche, verklärt die Landschaft mit solcher Lichtfülle und Klarheit, daß in ihrem Zauberglanz auch der arme, blasse Mensch, der lang- hingestreckt zwischen den Erikabüscheln schlummert, zu einer hübschen Staffage wird. Fest und tief hat er geschlafen, wohl ein« Stunde lang. Und al- ihn endlich die kühlere Abendluft weckt, muß er sich lange besinnen, bis ihm das traurige Bewußtsein seines Jchs zurück kehrt. Ern bischen Kraft meint er wieder zu haben. Vielleicht kann er sich doch noch ins nächste Dorf schleppen und um ein Glas Milch, um ein Quartier im Stall bitten. Freilich — morgen wird es dann sein wie heute! — Ein Aufschub ist's nur. Wie er seinen verwaschenen Filzhut zur Hand nimmt, den er neben sich gelegt, da klappert's drinnen! Träumt er denn? Das klingt ja wie Geld — Münzen! Erschrocken schaut er sich um! Will ihn Jemand narren? — Kein Mensch weit und breit. Nun wagt er's erst zuzugreifen, die Augen aufzumachen. Un heimlich riefelt's ihm über den Rücken. Wahrhaftig! Ein Mark stück und ein Thaler! Er sitzt noch immer mit offenem Mund und großen Augen und starrt die zwei Münzen an, Märchen fallen ihm ein, die ihm vor zwanzig Jahren seine Mutter er zählte. So etwas kann's doch gar nicht geben, — so ein Wunder! Und dann mit einem Male packt ihn die Sorge, es könnten ihm diese zwei Silberstücke wieder entrissen werden. Er versteht mm, was sie ihm bedeuten: Warme Suppe, ein Stück Fleisch — Leben! Leben! Er kann wieder ausschreiten. Seine Finger drücken sich in der Hosentasche fest um die zwei Münzen; die Berührung giebt ihm Kraft und Muth. Ordentlich athemlos kommt er in das nächste WirthShaus und verlangt zitternd zu essen. Um jedem Mißtrauen vorzubeugen, legt er gleich das blanke Markstück auf den Tisch. „No, dem hat's g'schmeckt, Wirthin", sagt die Kellnerin in der Küche. „Wie der mich an'gschaut hat, wie ich ihm die Knödel suppen hing'stellt hab'. Ja g'wiß ist's wahr — ich hätt' fast weinen müssen." Erst, vor der dampfenden Schüssel hatte er an die Wirklich keit des Erlebten geglaubt * * * Im nächsten Frühjahr werden in einer eleganten Wohnung in der Leopoldstraße nach der Osterstöberei die Vorhänge und PortiSren wieder aufgemacht. Der Tapezierer HurterSberger hat einen Gesellen geschickt. Die junge Frau, die zum ersten Mal mit luftigem Eifer dieses große Reinmachen in ihrem schönen Heim überwacht hat, war mit tUm Arbeiter zufrieden gewesen und flüstert ihrem Mann, der sehr froh ist, diese häuslich« Un ruhe überstanden zu haben, mit ihrem erhitzten, hübschen Köpfchen zu: „Sollen wir den Tapezierer nicht gleich für die Villa be stellen, Schah?" „Sie können Herrn Hurtersberger sagen", wendet sie sich an tun Gesellen, da ihr Mann zustimmend nickt, „daß wir Sie im Mai für ein paar Tage in Mariens«« brauchen, auf unserer Villa!" Dem Arbeiter fliegt «ine rasche Röth« inS Gesicht. „Manen see!" wiederholt er ganz erregt. „DaS ist das weiße Hau» mit den grünen Läden, da» so schön still und einsam am See liegt, gerat»' wie g'malt, so lieb und heimlich —" Die jungen Leute sahen ihn verwundert an. „Waren Sie einmal dort?" „Nur in der Näh', gnädige Frau. Aber ich hab' da ein Wunder erlebt, daL ich mein Lebtag nicht vergess'. Auf der Wanderschaft bin ich g'wesen — und wie's einem halt manchmal geht — so bettelarm und verhungert, daß ich mir überlegt hab', ob ich mich nicht an dem nächsten Baum aufhängen soll. Grad' da bei dem Wegzriger nach Mariens« bin ich vor lauter Elend eing'schlafen, und wie ich aufwach, liegen vier Mart in meinem Hut." Die junge Frau macht unwillkürlich eine Bewegung der Ueberraschung. Lächelnd sieht sie zu ihrem Mann auf, der ihr leise die Hand drückt. „So, so, vier Mark?" fragt dieser den Arbeiter schmunzelnd. „Ja, wie sie in den Hut hineingekommen sind, das weiß ich heut' noch nicht. Ich weiß nur, daß sie mir das Leben gerett' hab'n. Wer nie Hunger g'habt hat, der kann's ja nicht begreifen, was es heißt: sich wieder satt essen. Für ein Eisenbahnbillet von Rosenheim nach München hat's auch noch gereicht, — no, und nachher hab' ich gleich wieder Arbeit 'kriegt. Aber mich überläuft's heut' noch ganz h«iß, wenn ich von Mariensee reden hör'! Da muß Einer doch an ein Wunder glauben, wenn so eine plötzliche Hilft ihm rein vom Himmel 'runterfallt." Die junge Frau hat ihre lachenden Augen gesenkt und schaut nachdenklich vor sich hin. Der wonnige Herbstnachmittag! Wie sie in ihrem Flitterwochen-Uebermuth Arm in Arm in den Wald gelaufen waren und wie sie in ihrer Glücksflllle die Lust an- gcwandelt hatte, dem Handwerksburschen, der so malerisch unter der Eich« lag, ein Markstück in den Hut zu werfen. Es war so spaßhaft gewesen, auch ihren Fritz Herumzukriegen. „Was, Du ziehst ihm nichts? Schäm' Dich, Du Geizhals!" — „Aber ich hab' ja kein Kleingeld, nur einen Thaler!" — „Was liegt daran, und denk' nur, was der für überraschte Augen machen wird, wenn er aufwacht!" — „Er läuft in das nächste Wirthshaus und vertrinkt das Geld!" — „Ach, laß ihn doch! Er soll auch lustig sein! Die ganze Wett soll lustig sein! Lustig, glücklich, wie wir!" Wie sie dann fortgeschlichen waren, wie die ausgelassenen Kinder! Wir sie ihren Fritz abgrküßt hatte, weil er ihren Willen gethan! Uebermuth! Laune! Ein Zufall! Und diese vier Mark hatten einem ordentlichen Menschen das Leben gerettet! Ihn vom Hunger befreit, vom wirklichen Hunger, den sie nie em- pfundrn, den sie sich kaum vorzustellen vermochte. Sie war ein junges Glückskind, das im Leben dahintänzelte wie von einem Fest zum andern. Ihr schauderte mit einem Male vor diesem Geld, daS für andere eine so furchtbar ernste Be deutung hatte — wenn Leben und Sterben an einer so winzigen Summ« hing —, vor diesem Geld, das ihr so achtlos, so spielend durch di« Finger glitt.
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