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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991020010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899102001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899102001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-20
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Aber wo lagen die Triebfedern zu den an dem steier märkischen Cilli verübten Gewaltthaten, von der von dem letzten Coalitionsministerium in die Hand genommenen Slowenisirung des städtischen Gymnasiums bis zu der von dem Kollegen ves Herrn von Juchs im Präsidium des Abgeordneten hauses geleiteten tumuliuarischen Wallfahrt der tschechischen Städte nach Cilli? Von welcher Seit« gingen die Provokationen aus, die zu den Unruhen in dem kärntnerischen Klagenfurt führten? Was hat bei den Unruhen in dem böhmischen Gradniz die ärgsten Erregungen hervorgerufen? Was die Gemüther in Bozen, Innsbruck u. s. w. am tiefsten erregt? Wir beschränken unS heute auf einige wenige Beispiel« für die Natur des gewaltigen geistigen Gegensatzes, in welchem ein paar Tausend Uebertritt« mehr ober weniger zu einer der pro testantischen Kirchen nur ein sehr untergeordnetes Moment be sagen. Nur Mei Punkte seien noch besonders hervorgehoben. Vor uns liegt der (aus Grund der aus di« Erlass« vom 24. Juni, 23. Juli und 3- August von sämmtlichen Pfarrämtern ein gegangenen Antworten abgefaßte) Bericht «des Wiener Ober- tirchenrathes vom 26. August 1899 mij den genauen Zahlen angaben der Uebertritt« des letzten Hälbjahres- Die Gesammt- zahl der Uebertritt« zu beiden evangelischen Kirchen in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni betrug danach 3449, davon aus der römischen Kirch« 3275. In dem dreMhrig«n Zeiträume von 1895—1897 hat die jährliche Durchschnittszahl der gleichen Ueberrritte 1312, also im halben Jahr« 666 betragen. Auch die Einzelzahlen in den einzelnen Superintendenzeu und Pfarr- spreng«ln sind in demselben Berichte genau mitgetheilt. Ob man diese Zahlen hoch oder niedrig findet, verschlägt dem gegenüber wenig, daß derartige Uebertritte niemals still gestanden haben, stets aber nur einen kleinen Bruchtheil der anti-kl«rikal gerichteten Bevölkerung umspannten. Von viel größerer Tragweite dagegen ist die Stellung, in welche die Krone dadurch hinein gedrängt worden ist, daß der böse Schein nicht vermieden wurde, das „Los von Rom" s«r mit „Los von Habsburg", „Los von Oesterreich" identisch. Die bekannte Bemerkung des Kaisers über „die kerndeutschen katholischen Stammländer", die neueren Davktele- gramme an -die sogenannten Katholikenversammlungen gehören sicherlich auch zu den Vorzeichen der Gefahr der Umwandlung eines verschämt klerikalen in ein offenkundig klerikales Regiment. Auf diese schlimmste aller Gefahren für den österreichischen Staat zeitig hinzuweisen, ist der Anlaß dieser Artikel gewesen, welcher d«n Verfasser die im Anfang «rwähnten Bedenken zurück- stellen ließ. Resumiren wir daher schließlich noch einmal jene tiefsten GeLensätz«, welche allen den momentanen politischen Aus einandersetzungen zu Grunde liegen! Der neue Wiener Kirchenhistoriker Albert Ehrhard hat die alte concordatliche Formel neu galvanisirt in der Schrift: „Die orientalische Kirchenfrage und Oesterreichs Beruf zu ihrer Lösung". Nicht zufrieden mit den entsetzlichen Folgen der Gegen reformation, verlangt der — allerdings erst- vor Kurzem von Würzburg nach Oesterreich übergesiedelte — Verfasser die gleiche ett!« Leistung mit Bszug auf di« Papst freien morgenländischen Kirchen. Was in den zahllosen Einzekversuchen der Derwerthung der Orientierst durch di« päpstliche Politik schon längst als ein heitlicher Grundgedanke heraustrat, wird hier in die Formel „Oesterreichs Beruf zur Lösung der orientalischen Kirchenfrag«" gefaßt. EL wird allerdings gut sein, auf diese Taktik, auf welche wir schon vor zwei Jahrzehnten hinwiesen, aufs Neue zu achten- Mer wie sehr täuscht sich Professor Ehrhard bei dieser Zukunfts hoffnung über die wirkliche innere Lage 'der Papstkirche in Oesterreich! Der Einfluß des Papstthums ist auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts — genau wie irr der Zeit der Gegenreformation — der eigentliche böse Dämon in den öster reichischen Nationalitätskämpfen gewesen. Was ein eigener Para graph meines Handbuches über „den Staat Joseph's II. unter der Herrschaft der Conwertiten" zu zeichnen hatte, ist seither durch eine Reihe von feinsinnigen Bemerkungen Döllinger's über den Einfluß, den diese aus dem „Reich" importirte Menschen klasse in Oesterreich immer wieder gewann, noch ganz anders tiefgründig belegt worden. Nicht minder haben die bekannten geflügelten Worte Bismarck's über den Ein fluß der Beichtväter durch jede neu« Veröffentlichung rm Lande selbst eine neue Bestätigung erhalten. Ich erinnere nur an Friedjung's und Gras Rechberg's Enthüllungen über di« Roll«, welche der convertirte Unterstaatssccretär v. Biegeleben 1866 gespielt hat. Wie sehr dieselbe im Einklang stand mit den Ten denzen der päpstlichen Politik, hat das bekannte Wort Antonelli's (Oasen il moncko) nach der Schlacht von Königgrätz bewiesen. Dieselben Einflüsse, welche 1870 auf di« Kaiserin Eugenie ein wirkten, haben 1866 in Oesterreich die Entscheidung für den Krieg gegeben. Daß es 1859 nicht viel anders stand, hat di« Selbst biographie von Bernhard Meyer (dem Blutbäni des Sonder bundkrieges) zur Genüge dargethan. Bekennt er sich doch u. A. als Verfasser der Proklamation nach dem Frieden von Dilla- franca, in welcher die „Serien" 'beschuldigt wurden, die schiefe Stellung Oesterreichs bewirkt zu haben. Als ob nicht vielmehr gerade im Gegentheil die concordatlichen Errungenschaften der Papstkirche in Oesterreich dieselbe Nachwirkung gehabt hatten, wie die Austilgung der Hugenotten und Jansenisten für den fran zösischen Katholicismus des 18. Jahrhunderts? Nachdem die religiöse Opposition in Frankreich auf diesem bequemen Wege aus der Welt geschafft war, war ja die allein herrschende Kirche alsbald jenem Erstarrungszustande verfallen, der sie zur Widerlegung der Encyklopädisten und bald genug auch der Materialisten unfähig machte. Unter den Ursachen der großen Revolution hat die moralische Fäulniß der Kirche eine noch viel größere Rolle gespielt, als der wsrasmus senilis des abloluten Staates. Der heutige Zustand der österreichischen Papstkirche aber gemahnt nur zu auffällig an das vorrevolutionär-französische Kirchen- thum. Ein zielbewußt klerikales Regiment wäre unter allen Schädigungen, welch« die Monarchie seither erlitten hat, wohl die allerärgste. Zugleich aber würde ein steigender Einfluß der „katholischen Volkspartei", welche — durch ihre Doppelstellung einer seits zu der außerdeutschen Majorität, andererseits zu dm deutschen Fraktionen —> im Grunde immer noch das Zünglein der Waage im Parlament ist, die von Dipauli ausgeplauderte Seelenstimmung gegenüber unserem deutschen Reich noch bedeutend verstärken. Oder würde Italien noch einen Tag unser treuer Bundesgenosse bleiben, wenn es politisch abhängig geworden wäre vom Vatika- nismus? Es steht in Oesterreich um kein Haar anders. Auch wenn dort nicht mehr direkt gegen die Deutschen regiert wird, so wird darum unserem deutschen Reich nur insoweit die Treue gehalten werden, als diepolirischeBerinflussungdurchAgliardi'sche Werkzeuge in Schranken gehalten wird. Fällt die österreichische Monarchie der letzteren völlig anheim, so kommt — wie Bis marck richtig voraussah — zu der von dem jesuitisch-militärisch geleiteten Frankreich im Westen drohenden Gefahr die gleiche im Osten. Und waS für derartige Fälle in Dresden, München und Stuttgart im Stillen vorbereitet wird, dafür sollte doch Niemand blind sein, der die Erziehung österreichischer Erz herzoginnen seit der Restauration des Jesuitenordens kennt. Also noch einmal ein Wort der Sympathie für die evange lische Los-von-Rom-Bewegung! Aber daneben die ernste Bitte, nicht zu vergessen, daß' es daneben auch eine katho lische Los-von-Rom-Bewegung giebt, die im Staate Joseph's II. stärker ist, als irgendwo sonst! Ist es so schwer, sich in die Seele Derer hineinzudenten, deren persönlich« Frömmigkeit mit der katholischen Cultus form verwachsen ist, während die Befreiung vom Papstthum die erste ihrer Forderungen bleibt? Man suche doch einen Rosegger nicht zu „bekehren", sondern bemühe sich einmal, ernstlich vor ihm zu lernen! Die Jubiläumsfeier -er Technischen Hoch schule zu Charlottenburg. V Charlottenburg, 19. Oktober. (Telegramm.) Ter Festact in der Technischen Hochschule ans Anlaß der Hundertjahrfeier verlief in Gegenwart des Kaiserpaares, der fünf ältesten kaiserl.Prinlstn und desPrinzen Joachim Albrecht glänzend. Dem Festacte wohnten anck die Theilnehmer an der Denkmälerenthüllung, ferner Staatsminister vr. v. Miquel, Staatssekretär v. Podbielski, Staatsminister Breseld, der Hausminister Graf Wedel, der Unterstaatssekretär Bartsch und die Generalität bei. Die Halle war mit dunkelrothen, mit Gold verzierten Stoffen und mit Blatt pflanzen prächtig und würdig geschmückt, auch die Estrade und der kronengeschmückte Baldachin. Zur Seite desselben standen je zwei Unterosficiere der Eisenbahnbrigadc. Das Kaiser paar und die Prinzen waren von dem OberlwfmarschaU Graf Eulenburg, dem Geh. EabinetSralh v. LucauuS, dem General t^Plessen u. s. w. begleitet. Der Kaiser schritt die Front deS am Portale ausgestellten Garde-Pionier- Bataillons ab. Die Herrschaften schritten, von dem Rector und dem Studentenausschüsse geleitet, in die Halle und be traten die Estrade. Nach einer Fanfare und den Klängen des niederländischen DankgebetS hielt der Cultusministcr Studt eine Rede, in der er die Entwickelung der technischen Wissenschaften in Deutschland, namentlich seitdem Jahre 1871, schildert und verlas einenErlaß des Königs vom II.Oclobcr dieses JabreS, der den technischen Hochschulen das Recht einräumt, den Charakter als Diplom-Ingenieur zu verleiben, sowie zumDoctor mit dem TitelD octor - Inzenieur zu promoviren, diesen Titel auch Ehren halber zu verleihen. Der Minister fügte hinzu, daß dem Rector der Technischen Hockschule der Titel „Magnisicenz" verlieben worden sei, und verkündete die Auszeichnungen, darunter die Verleihung des Kronenordens 2. Classe an den jetzigen Rector. Hieraus dankte Rector Riedler für die Förderung der technischen Wissenschaften und der nationalen Arbeit, auch Lurch die eben kundgegebenen Bestimmungen, und gelobte, auf dem be- Ein alter Freund im Dienste -er Wissenschaft. Von MaxBergmann. Nachdruck verboten. Wenn der Herbstwind über die Stoppeln fegt, wenn der neckisch-ungestüme Gesell die Kastanien von den Bäumen schüttelt, Vie gelben und rochen Blätter umherstreut und die löse befestigten Hüte von den Köpfen treibt, dann ist die Zeit des Drachen ge kommen, jenes treuen Kinderfreundes, der schon unseres Urgroß- und Großvaters Herz höher schlagen machte, zu dem wir mit stolz bewundernden Augen aufgeschaut und an dem nun wieder unser Erve und Stammhalter mit dem Eifer eines Ingenieurs arbeitet, der eine Maschine erbaut. Da wird dann im Holzstalle oder in der Kinderstube eine Werkstätte eingerichtet, Papier, Bindfaden und Scheere herbeigesucht, Holz zugeschnitten, Kleister fabricirt und was dergleichen Ingredienzien mehr sind. Ein paar Stunden angestrengter Arbeit, und der Drachen ist fertig, hurtig die Schnur aufgewickelt und hinaus vor dir'Stadt und nach dem Anger. Und jetzt ist der große Augenblick gekommen. Ein Knabe hält den Drachen, ein ariderer den langen Schwanz, ein dritter Vie Schnur, die übrigen stehen erwartungsvoll herum, bereit zur unparteiischen oder je nach den Umständen — wenn sie nämlich neidisch sind — auch parteiischen Kritik. Nun muß es sich offen baren, ob der Drachen gelungen ist. Soll das Werk den Meister loben, Fährt der Drachen schnell nach oben — rauscht er, die Backen aufblasend, in majestätischem Fluge empor, verharrt er wie ein Adler fest und ruhig auf derselben Stelle, „zieht" er tüchtig und zeigt er keine Neigung zu Kreuz- und Quersprüngen, so ist es ein Capitaldrachen, der seinem Ver fertiger zur Ehre und Freude gereicht. Wenn er jedoch ein« hartnäckige Disposition zu Purzelbäumen nicht zu unterdrücken vermag, wenn er mit dem Kopfe nach vorn sich überschlägt und dem Boden zustrebt wie eine Lerche oder wenn er gar hin- und herschwankt wie ein Betrunkener,' so war der Liede Müh' meistens vergebens; entweder ist dann der Schweif zu kurz oder zu lang, oder das Gestell ist zu schwer, oder er Hal die Waage nicht, oder ist sonst nicht genau gearbeitet. Ist doch di« Anfertigung eines solchen schneidigen LuftseglerS nicht so leicht, wie sich der „Laie" dai vorstellt. Ein Drachen ist ein kleines mathematisches Kunstwerk, und wenn er für den beabsichtigten Zweck verwendbar sein soll, so müssen gewisse physikalische und mechanische Grundsätze streng befolgt werden. DaS Princip der schiefen Ebene kommt bei ihm, wie bei manchen Vögeln und den Luftschrauben, zur praktischen Verwendung. Desgleichen müssen die Gesetz« der Gleichgewichts streng beob achtet werden, das Gerüst muß im rechten Verhältniß zur Größe des Drachens stehen und der Schweif die rechte Länge (etwa die sechsfache deS Drachens) haben. Die Form ist bekannt, doch braucht man durchaus nicht die allgemein übliche zu wählen, di« jetzt vielfach benutzten Fledermäuse z. B. stellen eine Abweichung von der Tradition dar, welche phantasiereichen Knaben sehr wohl zu versuchen in anderen geeigneten Formen Beispiel und An regung bieten kann. Die Steigkraft des lustigen Papiervogels hängt übrigens nicht, wie die meisten Menschen annehmen, von der Länge der Schnur otb. Die Schwere des Apparats, die Größe seiner Fläche, die Säble des Windes, Alles kommt mit in Betracht, vor Allem aber die durch di« Schwere der Schnur herbeigesührte GewichlSvermehrung. Je länger daher die Schnur, je mehr zieht sie den schmucken Segler herab; sobald sie anfängt-, im Bogen herahzuhängen, hat man die Grenze überschritten, sie muß immer straff gespannt sein. Jeder Drachen besitzt je nach seiner Größe und Schwere eine bestimmte, nicht überschreitbare Flughöhe, läßt man 'mehr Schnur abrollen, so weicht er nur zurück, höher steigt er nicht, er wird sogar durch die Schwere des Fadens, der auf all« Fälle so leicht wie möglich zu nehmen ist, tiefer herabgezogen. Will man daher die Drachen in recht beträchtlicher Höhe aufsteigen lassen, so muß man die Steigkrcrft mehrerer vereinigen, indem man erst «inen zur vollen Höhe emporsteigen läßt, dann diesen an einen zweiten befestigt, darauf letzteren steigen läßt, sodann «inen dritten anhängt u- s. w. Wie hoch auch der zweite auf gelassen wird, der erste wird stets um die voll« Länge seiner Schnur höher stehen, der zweite um die volle Länge seiner 'Schnur höher als der dritte u. s. f. Aber wozu diese Auseinandersetzungen? wird der Leser denken. Sollen wir -uns 'denn «inen Drachen machen? Das nicht, doch ist die Kenntniß der allgemeinen Gesetze, auf welchen die Steig kraft des "Drachen beruht, zum Verständniß des Folgenden nolh- wendig. Der Drachen ist im Grunde ein hochwissenschaftlicher Apparat, er stillt die erste, älteste und einfachste Flugmaschine dar, welche der menschliche Scharfsinn erfunden hat. Die hübsche Erfindung verdanken wir (angeblich) Archhtas aus Tarent (400 v. Ehr.), wobei allerdings einschränkend zu bemerken ist. daß die Chinesen wie alle übrigen Dinge selbstverständlich auch den Drachen schon im frühen Alterthum gekannt haben — sollen. Jedenfalls stellt er noch heut« in China ein beliebtes Spielzeug dar, da- selbst die Erwachsenen nicht verschmähen, und das man dort zur höchsten Vollkommenheit ausgebildet hat. Für unS ist der alte Freund unserer Jugend jetzt allerdings mehr als ein Spielzeug geworden. Schon seit mehr als 100 Jahren ist er in den Dienst der «rnstrn Wissenschaft eing«treten, mit seiner Hilf« sind einige der wichtigsten Fragen der Wissen schaft gelöst worden, und die Zukunft behält ihm noch eine viel vornehmere Rolle vor, welche dem harmlosen Gesellen zu den höchsten Ehren verhelfen dürfte. Das Wort des Dichters: „Es liegt oft tiefer Sinn im kind'schen Spiel" geht hier in Erfüllung. Die ersten Versuche mit dem Drachen wurden bereits um die Mitte!deS vorigen Jahrhunderts angesftllt. Fast gleichzeitig — und von einander unabhängig — geriehen drei Männer auf die ingeniöse Idee, das bekannte Kinderfpielzeug als Mittel zur For schung zu verwerthen. Zuerst im Jahre 1749 Wilson, welcher die Temperaturen in den höheren Luftschichten feststellen wollte. Der Luftballon war damals zwar bereits erfunden (von GuSman 1709), die Erfindung aber so gut wie vergessen worden- Die Gedanken Wilson'S fielen daher naturgemäß auf das einzige ihm zur Verfügung stehende Flugwerkzeug, de-gleichen diejenigen Ben jamin Franklin'S, d«S berühmten Amerikaners, als er seine Unter suchungen über die Natur der athmosphärischen Elektricität an stellte und den Nachweis zu tführen beabsichtigte, daß dieselbe von gleicher Art sei, wir die mit der Elektrksirmaschine erzeugte soge nannte ReibungSeleAvicität. Franklin fertigt« sich 1752 «inen gewöhnlichen Papierdrachen, den er mit einer kleinen Eisenspitze vetsa'h und an ein«r Hanfschnur befestigte. An der letzteren hing am unteren Ende ein kleiner Schlüssel, die Hand schützte 'der Forscher durch ein seidenes Tuch. Nachdem die Hanfschnur des emporgestiegenen Drachens vom Regen durchfeuchtet und dadurch zu einem vorzüglichen Leiter geworden war, konnte Franklin aus dem Schlüssel elektrische Funken ziehen und Leydener Flasch«n mit denselben laden. Der Nachweis der Eelektricilät der Wolken war damit erbracht. Aehnliche Versuche machte ein Jahr später dec Franzose de Romas, nur benutzte dieser zur Erziekung noch größerer Erfolg« statt der Hanfschnur eine Schnur aus dünnem Eistndraht. Die von ihm erzielren Ergebnisse übertrafen noch die Franklin'S, er wies nach, daß die Elektricität der Luft bereits vorhanden ist, eh« noch ein Gewitter in Aussicht steht. Als man in neuerer Zeit begann, 'den Luftballon in den Dienst der Wissenschaft und Kriegstechnik zu stellen, lenkte sich die Aufmerksamkeit bald auch aus den Drachen. War er vor 100 Jahren der Forschung so wesentlich nützlich gewesen, warum sollte er nicht auch in unserem Jahrhundert sich als treuer Hilfsarbeiter der Gelehrten erweisen? So hielt man denn flugS den alten Burschen zur ernsten Arbeit an und erzielte in der That erstaunliche Erfolge. Vor Allem auf dem Gebiete der Meteoro logie, indem man mit Hilfe von Drachen srlbstregistrirende Appa rate in die Höhe ließ, um Messungen oder sonstige Untersuchungen von Temperatur und Feuchtigkeitsverhältnissen anzunehmen. Die hierzu benutzten Drachen besitzen natürlich größtentheis eine von den gewöhnlichen verschiedene Construction; sie zeichnen sich zum Theil durch ganz andere Formen aus, zum Theil giebt man ihnen außerordentliche Dimensionen, auch verwendet man selbst verständlich weit haltbarere und widerstandsfähige Materialien. So hat der Aistralier Hargrave den sogenannten Zellendrachen und der Amerikaner Eddy ein«n schwanzlosen, den malayischen Drachen, construirt, beides zu wissenschaftlichen Experimen.cn vor züglich geeignete Apparate. Die Art der Verwendung ist sehr einfach. Man befestigt an dem Drachen — oder an mehreren ein ander unterstützenden Drachen — ein«n Korb mit registrirenden Instrumenten, worauf man diese von dem Flieger in die Luft emportragen läßt. Die Instrumente functioniren automatisch, ohne menschliche Hilf«. Neuerdings «rstrecken sich diese Versuche sogar auf photographische Experimente, indem man mit dem Drachen photographische Apparate steigen läßt, die erst oben in der Lust in Function treten. Auf dem Blue Hill Observatorium zu Boston ist e» gelungen, die Drachen bis zur Höhe von 3500 Metern in die Luft zu treiben, lieber die Resultate, welche die Amerikaner Fergusson, Clayton und Helm mit der Emportragung von selbstregistrirenden Apparaten erzielt haben, liegen inter essante Berichte vor. Vor Allem die «rzielten Beobachtungen über die Zunahme brr Windgeschwindigkeit haben ganz neue Gesichts- punct« ergeben. Erst langsam, dann immer rascher und rascher nimmt die Geschwindigkeit de» WipdeS mit steigender Höhe zu. Die Zunahme wächst um 0,3 Meter in der Sekunde bei 100 Metern Erhebung, also zwischen dem Erdboden und über 1000 Meter Höhe um über 14 Meter in der Secunde. Aehnliche über raschende Ergebnisse führten die Temperaturmessungen herbei. Sogar Versuche, mit Hilfe von Drachen Menschen zu heben, fehlen nicht. Capitän Boden-Powell in England und Leutnant Wise in Amerika haben entsprechende Experimente angestellt und theilweise Erfolge erzielt. Nach englischen Berichten hat sich bereit» am Ende des letzten Jahrhunderts an einem für gedachten Zweck besonder- hergestellten Riesendrachen eine Frau in die Luft erhoben, während nach einer anderen Meldung vor etwa 30 Jahren ein Drachen von achteckiger Gestalt von 27 Fuß Länge bei 24 Fuß Breite einen Sack mit Erde im Gewicht von 70 Kilo gramm bequem in die Höhe gehoben hat. Das Gewicht des Apparats betrug dabei selbst 113 Kilogramm, wovon 68 Kilo gramm auf daS Gestell und 45 auf die Leinewans und das Halie- seil kamen. In der Flugtechnik selbst spielt der Drache aber insofern eine bedeutsame Rolle, als das Princip des Papierdrachens auf eine besondere Art von Flugmaschinen, die sogenannten Drachen flieger, Anwendung gefunden hat. Der Wind bilde: hier die tragende Kraft und wirkt, wie beim Kinde'.'drachen, auf enn sprechend vergrößerte ebene oder gewölbte Flächen. Solche Flug maschinen construirten u. A. Lilienthal, Maxim, Langley u. s- w.. ersterer ging jedoch bald dazu über, die Vorzüge der Drachen flieger mit denen der Flügel- oder Schwingenflieger (d- h. die den Bau und Rüderflug der Vögel nachahmenden Flugmaschinen) zu vereinigen. Besonderes Aufsehen erregte auch der Maxim'sche Drachenflieger, welcher 3625 Kilogramm wog und im Stande war, drei Personen zn tragen. Die Oberfläche hielt 504 Quadral- meter, der benutzte Dampfmotor entsprach 360 Pferdekräften. Leider ging die imposante Maschine durch einen Unfall zu Grunde. Der Amerikaner Langley unternahm 1896 weitere Ver suche mit dem Ergebniß, daß seine Maschine sich in der Thar eine Strecke von etwa 1500 Metern in der Luft behauptete. Immerhin haben die auf die Erfindung von Fluzmaschinen ge richteten Bemühungen noch zu keinerlei wirklich brauchbaren Re sultaten geführt, wogegen die Benuntzung des Drachenprincips für den Luftballon die Construction eines neuen Ballons, des Drachenballons, gezeitigt hat, der in letzter Zeit die allgemein: Aufmerksamkeit immer mehr auf sich lenkt. Die Erfinder sind der bayerische Hauptmann von Parseval und der Oberleutnant v. SiegsfeÜd. Der Ballon wird — daher auch sein Name — durch «ine an ihm befindliche Drachenfläche durch den Wind in Sie Höhe gedrückt, seine Form ist die einer schräg gegen den Wins gestellten Walze mit halbkugelförmigen Enden. Der Drachen ballon stellt ein neues Hilfsmittel der Kriegskunst dar, mit dem in den letzten Jahren die besten Erfahrungen gemacht worden sind. Bereits im Kaisermanöver von 1897 hat der Drachen ballon seine Ueberlegenheit über den Rundballon dargeihan, und nicht nur zu Lande, sondern auch zur See ha: er sich auSgereicbnet bewährt. Sein Hauptvorzug in Bezug auf seine militärische Qualification besteht in seiner Brauchbarkeit auch bei heftigem Winde, sowie in der Langsamkeit seiner Bewegungen und dem Fortfällen der Seitenschwankungen. Der bisher benutzte, bis jetzt noch in allen Armeen gebräuchliche kugelförmige Fesselballon ist bei Windstärken über 10—12 Meter nicht mehr brauchbar. Nach dieser Darstellung dürfte wohl Niemand mehr unter den Lesern vorhanden sein, dem unser alter Jugendfreund nicht Achtung und erneutes Interesse einflößt. Nicht allein um des willen, was er schon für die Wissenschaft geleistet hat, sondern noch mehr um der Verdienste willen, die er sich noch erwerben wird. Denn zweifellos stehen wir erst am Anfänge seiner Vei- werthung- Die Drachentechnik befindet sich in gewaltigem Auf schwünge, es läßt sich noch gar nicht absehen, was sie alles hervorbringen wird. Sicherlich wird der Riesendrache, mit dem sich die hierzu geneigten Personen ein gutes Stück in die Luft erheben können, bald genug den Fesselballon auf den Aus stellungen ahld'sen. Die herrlichsten Erwartungen hegen wir aber für daS Gebiet der Meteorologie, für welche unser alter Kinderfreund in Kurzem zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel geworden sein dürfte.
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