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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991021013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899102101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899102101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-21
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Rrclamen unter dem Redactionsstrich (4g^ spalten) bO^j, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40/^. Eröffne Schriften laut unserem Preis- vrrzeichniff. Tabellarischer und Zissernia» uach höherem Tarif. Srira-Beilagen (gefalzt), nur mit de, Morgen. Ausgabe, ohne Postbesörderung 80.—, mrt Poslbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher Anreige« sind stets an di« Expedition zu richte». Druck und Verlag von E. Pvlz in Leipzfx. Die Socialdemokratie und die Majeftätsbeleidignng. L-! Die Socialdenwkraten wollen bekanntlich verlangen, daß ihr Initiativantrag, der sich auf Aufhebung der Bestimmungen über die Majestätsbelerdigung bezieht, im Reichstage als erster der sociakiftischen Initiativanträge zur Abstimmung gelange. Da der Reichstag bereits Mitt« November Zusammentritt, so ist es nicht ausgeschloffen, daß der Antrag noch vor den Weihnachts ferien zur Berathung gelangt. Die Socialdemokraten scheinen es für nothwendig zu halten, daß der jammervolle Eindruck, den der Parteitag von Hannover durch feine vollkommene Unfruchtbarkeit und durch die gegen seitigen brutalen Beschimpfungen hervorragender Parteiführer gemacht hat, möglichst rasch durch eine socialistisch« parlamen tarisch« Glanzaction verwischt werde. Wird sich denn aber die Berathung über die Aufhebung der Bestimmungen über Maje stätsbeleidigung zu einem Triumph für die Socialdemokratie ge stalten? Das könnt« doch wohl nur der Fall sein, wenn der socialistischc Antrag eine kräftige Resonanz auch bei den bürger lichen Parteien fände. Davon aber wird aus drei Gründen nicht die Rede sein können: einmal, weil gewiss« Verstimmungen, die sich auch nationaler und streng monarchischer Kreise in früheren Jahren auf Grund mancher Vorkommnisse bemächtigt hatten und auch bemächtigen konnten, erfreulicher Weise sehr stark nach gelassen haben; zweitens, weil die Zahl der Majestätsbcleidi- gungsprocesse eher in der Abnahme begriffen ist als — wie die Socialdemokratie gern glauben machen möchte — in einer rapiden Zunahme; endlich, weil die Angriffe gegen deutsche Herrscher, besonders aber gegen den deutschen Kaiser, derartig unwürdig, roh und giftig geworden sind, daß ein energischer Schutz auch Denen angebracht erscheint, die keineswegs geneigt sind, in dem Staatsanwalt die hauptsächliche Stütze des Reichs zu erblicken. Tic Angriffe gegen den alten Kaiser waren oft schmutzig und richteten sich schon dadurch selbst, di« Beleidigungen gegen den gegenwärtigen Monarchen aber sind in Gift getaucht, oft in das Gift von Witzen, dir zwar aus einer lügnerischen Basis ruhen, aber nicht geistlos und gerade darum gefährlich sind. Wer die socialistischc Tagespreise und die socialistischen Zeit schriften verfolgt, wird finden, daß die Angriffe gegen den Mon archen keineswegs der Regel nach im Anschlüsse an Aeußerungen oder Handlungen erfolgen, di« gegen di« Socialdemokratie gerich tet, also geeignet sind, den Zorn der socialdemokratischen Presse oder socialistischer Redner zu erregen. Wäre dies der Fall, so wären zwar die Beleidigungen noch immer strafenswerth, denn auch imZorn soll man nicht die Grenze des Angemessenen überschreiten aber dann könnte man wohl einer Milderung der Bestimmungen auch im Falle der politischen Majestätsbeleidigung — auf die nichtpolitische kommen wir noch — das Wort reden Nein, die Socialdemokratie richtet ihre Angriffe gegen den Mon archen in der Absicht, ihn dem Volke verächtlich zu machen, ihn in seiner Bedeutung herabzuziehen. Sie weiß wohl, daß der breiten Masse des Volkes Institutionen an sich Schall und Rauch sind, daß für sie die Insti tution mit der Persönlichkeit zusammensällt, die sie ver körpert. Sie weiß also, daß, wenn sie die Persönlichkeit des Monarchen herabzieht, sie dadurch die monarchische Institution überhaupt ins Wanken bringt. Die Angriffe der Socialdemo kratie entspringen also nicht einem, wenn auch nicht billigens- werthen, so doch verzeihlichen Gefühle des Zorns, sondern der kalten Berechnung. Diese Berechnung zu schänden zu machen, entspricht aber dem gemeinsamen Interesse der bürgerlichen Par teien, auch derjenigen, die an der monarchischen Institution nicht empfindungsmäßig, sondern nur verstandesmäßig festhalten. Und da sich die Ueberzeugung, daß die socialistischen Angriffe nur einer frevelhaften Berechnung entspringen, immer weiterer Kreise bemächtigt hat, so ist zu hoffen, daß der socialistische An trag nicht nur einen geringen Widerhall finden, sondern daß er Anlaß bieten werde, die infame socialistisch« Taktik, für die auch die höchste Person im Staate nur eine Schachfigur ist, die man beliebig umwerfrn kann, im Reichstage gebührend klar zulegen und zu brandmarken. So wird hoffentlich die Berathung des Antrages nicht zu einem Triumphe, sondern zu einer ecla- tanten Niederlage der socialdemokratischen Partei führen. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Bestimmungen über die Majestätsbcleidigung nicht abgeändert tverden könnten. Die §8 96, 97, 99, 101 setzen nur Gefängniß oder Festungshaft von der Dauer von mindestens zwei Monaten bezw. einem Monate, bezw. gleichfalls einem Monate, bezw. einer Woche fest; die Feststellung mildernder Umstände ist bei diesen Para graphen nicht zulässig. Nun sind zwei Arten von Majestäts beleidigungen mögliche die eine Zulassung mildernder Umstände wohl rechtfertigen: erstens Beleidigungen, die keinerlei politischen Hintergrund haben, sondern von Personen, insonderheit solchen der unteren Stände, im Zustande der Trunkenheit oder einer momentanen Erregtheit — beispielsweise bei den häufigen und nicht immer sehr liebenswürdig gehandhabten Absperrungen — ausgestoßen werden; zweitens bei Beleidigungen durch Mit glieder der Presse oder sonstiger im politischen Leben stehender Persönlichkeiten, bei denen der Nachweis geführt werden kann, daß die Beleidigung mit einem di« Persönlichkeit von ihrem Standpunkte aus erregenden Ereignisse der der Beleidigung un mittelbar vorhergehenden Zeit zusammenhängt. In solchen Fällen könnte die Zubilligung mildernder Umstände dann zu lässig sein, wenn der Angeklagte in der Hauptverhandlung sein Bedauern darüber ausdrückt, daß er sich zu der beleidigenden Aeußerung habe hinreißen lassen. Unter dieser Voraussetzung könnt« es dem Gerichtshof freigestrllt werden, entweder eine Geldstrafe oder eine ganz kurzzeitige Gefängniß- bezw. Festungs strafe (also bis zu einem Tage herab) festzusetzen. Di« Abschnitte 2 und 3 des zweiten Theiles des N.-Str.- G.-B. sollen also in den die Verbal - Beleidigung um fassenden Paragraphen (die §8 94, 96, 98, 100 beziehen sich auf Thätlichkeiten) nicht beseitigt werden, wohl aber dürft« es sich empfehlen, di« Möglichkeit einer Milderung in Betracht zu ziehen. Wo die kaltblütige Absicht der Herabwürdigung des Monarchen und damit auch der monarchischen Einrichtung überhaupt vorliegt, da sind auch die strengen Bestimmungen der einschlägigen Paragraphen durchaus am Platze. Deutsches Reich. ßtz Berlin, 20. October. Dein Bundeörath ist, wie bereits telegraphisch gemeldet, eine Novelle zu den Münz gesetzen zugegaugen, welche auf Grund der gesammelten Erfahrungen verschiedene Abänderungen vorscklägt, dir in keinem inneren Zusammenhänge zu einander stehen, vielmehr nur aus Zweckmäßigkeitsgründen in einem Gesetz vereinigt werden sollen. Wie in der Begründung ter Vorlage bervor- geboben wird, bat sich das Münzgesetz vom 9. Juli 1873 un Großen und Ganzen bewährt. Es sollen also nur solche Mängel beseitigt werden, die vom Verkehr als lästig empfunden werden. Die Novelle bestimmt demnach, daß die Reichs goldmünzen zu fünf Mark mit einer Eiulösungsfrist von einem Jahre außer Cours gesetzt werden. Ferner werden die silbernen Zwanzigpfennig stücke beseitigt, dock soll die Außerkurssetzung nicht vor dem 1. Januar 1902 erfolgen. Auch das Nickel-Zwanzig- pfennigstück wird „als eine ebenso überflüssige wie un beliebte Münze" beseitigt. Die Einziehung soll mit aller Schonung geicbeben und deshalb allmählich bis zum Jahre 1904 bewirkt werden. Dies ermöglicht, durch eine entsprechende Vermehrung der Zehnpfennigstücke dafür Sorge zu tragen, daß diese an Stelle der eingezogenen Zwanzigpfennigstücke sofort dem Verkehr übergeben werden können. Ein weiterer Artikel der Novelle bezweckt eine Erhöhung des Ge- sammtbetrags der NcichSsilbermüuzen auf 14 für den Kopf der Bevölkerung deS Reiches. (Dieser Kopfbcirag ist gegenwärtig „bis auf Weiteres" auf 10 .«Sl festgesetzt.) Wie in der Begründung auS der Entstehungsgeschichte deS Münzgesetzcs nach gewiesen wird, sollte durch Vie Worte „bis auf Weiteres" angekündigt werden, daß die Festsetzung deS Kopfbetrages von 10 nur ein Versuch sei. Die Frage nach der Be messung der Kopsguote müsse wesentlich nach der Entwickelung des Geldvcrkehrs beurthcilt werden. „Ergeben dessen Ver hältnisse, daß der Betrag von 10 dem Bedürfnisse nicht genügt, so entspricht es dem Sinne des Gesetzes, ibn an gemessen zu erbeben. Anderseits muß Pie obere Grenze durch das thatsächliche Verkehrsbedürfniß bestimmt werden, weil die Unterwerthigkeit der Scheidemünzen nur so lange unbedenklich bleibt, als nach ihnen eine wirkliche Nachfrage besteht. Eine Vermehrung über diese hinaus würde ledig lich eine nicht gerechtfertigte Verschlechterung der Währung berbeiführen. Es würde sich die Folge ergeben, daß die vom Verkehr nicht benöthigtrn Silbermünzen auf Grund deS Münzgesetzcs zur Einwechselung gegen Reichsgoldmünzen gelangten, was zu einer bedenklichen Ver minderung des Goldvorratbs führe» könnte. ES bandelt sich also um eine Frage rein praktischer Natur ohne jede grund sätzliche Aenderung des Währungssystems. Eine Vermehrung des Silberumlaufs neben de» Thalern stebt nicht in Rede. Vielmehr sollen die für die Erhöhung der Kopfquote er forderlichen Prägemengen dem Thalervorrath entnommen werden, wie dies auch bisher bei den innerhalb der jetzigen gesetzlichen Grenze vorgenommenen Neuprägungen von Reicks- silberinünre» geschieht. ES würde also in der Folge nur ein größerer Tbeil der Tbaler in Reichssilbermünzen verwandelt werden. Eine solche Verwindcrung der Thaler erfüllt lediglich die Forderung einer reinen Goldwährung und verfolgt nur ein von der Münzgesetzgebung bereits inS Auge gefaßte« Ziel. — Durch die Verwendung von Thalern zu den Neuprägungen von Silbermünzen wird der Nrunwerth des SilberumlaufS im Ganzen entsprechend dem größeren Metallwerlh der Tbaler vermehrt. Es wird sich also unter Berücksichtigung der Prägegebühr, der AfsinirungSkosten für die vor 1857 ge prägten Thaler und des Metallverlustes durch Abnutzung etwa« weniger als ein Zehntel der erforderlichen Prägemengr als Gewinn der Neuprägungen ergeben. Zum Ausgleich und um einer Verschlechterung des Gesammtumlaufs ror- zubeugen.schlägl derEnlwurf vor,daß dieserGewiiin dazu diene» soll, Gold gegen einzuziehende Landsilbermünzcu anzukaufcu und die dabei erwachsenden Verluste zu decken. Da die hiernach abzustoßende Si bermenge gegenüber der jährlichen Gesammt- erzeugung an Silber (1898 rund 5,9 Millionen Kilogramm) nicht ins Gewicht fällt und der Verkauf sich überdies auf eine längere Reihe von Jahren vertheilt, so stebt nicht zu besorgen, daß die Maßnahme den Preis des Silbers irgendwie nachlheilig beeinflussen werde." Ein letzter Artikel der Novelle bezweckt, das besondere Münz gewicht der Maß- und Gcwichtsordnung zu beseitigen und für das Mm zwesen die für das allgemeine Verkehrsgewicht gegebenen Bezeich nungen zur Anwendung zu bringen. Es bandelt sich hier nicht um eine materielle Aenderung der GcivichlSverbältnisse, sondern nur um eine im Interesse der Einheitlichkeit ver änderte Weise der Bezeichnung der Gewichte. Berlin, 20. Lctober. („Gesühlsanarckie.") Auch für den Politiker ist ein Aussatz interessant, den Professor Or. Ludwig Stein in Bern im Novemberbeft der „Deutschen Revue" (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstall) über „Gefühlsanarchie" veröffentlicht. Stein erblickt in den GesüblSanarchiften den geräuschvollen Chor unserer modernen Mystiker. „Die neurasthenische Zerfahrenheit" schreibt Stein „an welcher unser nervöses Jahrhundert infolge ter noch unverdauten, unangepaßten Umwälzungen in Technik und Weltverkehr krankt, verstärkt und vervielfältigt die Schaar der Gefühlsanarchisten inS Unheimliche. Wir laboriren an einem Uebermaß von politischen Hysterikern, von künstlerischen Schwarmgeistern und religiösen Sectirern. Unsere Cultur leidet an allerhand aus dem Gleise gerathenen „Individualitäten." Das Heer ter Zwitter naturen, jener logisch Teclassirten, welche einer mystischen Stimmung, einer „Gesühlsanarckie" verfallen sind, ist in einem so peinlichen Grade angewacksen, daß der Todfeind der Mystik, die Logik, nicht mehr mit verschränkten Armen den moralischen Verwüstungen Zusehen darf, welche die „GesüblSanarchie" allerorten anrichtet." Stein sagt am Schluffe seiner Unter suchung zur Psychologie deS MysticismuS u. a. das Nach stehende: „Im weltgeschichtlichen Ringen zwischen den beiten Antipoden Gefühl und Verstand, Glauben und Wissen ist der Verstand, mühsam und langsam zwar, aber unaufbalt- sam immer weiter vorgerückt und bat sich gar mancher Domäne deS Gefühls nach und nach bemäcktigt. Die schlimmsten Formen deS wissenschaftlichen Aberglaubens — Alckemie und Astrologie — haben wir, bis aus winzige spiritistische Nachzügler, endgiltig überwunden. Die schwärzesten Gestalten des einstmaligen romantischen Zauberspuks —Magier und Mantiker, Teufel, Zauberei, Hexeuwahn, Traum- und Zeichenbeutcr, Chiromantie, Nekromanlie, der „böse Blick" und unzählige Abschattungen des religiösen Aberglaubens — sind entweder vollständig getilgt oder auf das Niveau des vulgären Volksaberglaubens, der Zizeunerpropbctik und Kartenlcger- weisheit herabzedrückt. So gut der menschliche Verstand in seinem unaufhaltsamen Siegeslauf jene Ausgeburten eines irregeleiteten Gefühls oder einer befleckten Phantasie — Hexenwesen und Zauberei — gebannt und zum alten Eisen geworfen hat, eben so gut wird er die moderne Verpuffung FrrsZllston- Der Lampf gegen den Alkohol. Von Dr. P. P. (Nachdruck verboten) Immer lauter erheben sich di« Stimmen der Gelehrten, um auf die drohenden Gefahren des rapid zunehmenden Alkoholismus hinzuweisen, immer eifriger sammeln si« wissenschafiliches Material, um für ihre Befürchtungen ein sicheres, unanfechtbares Fundament zu erhalten. Aber leider st«ht die große Menge des gebildeten Publicums diesen ernsten Fragen theilnahmlos gegen über, was sehr erklärlich ist, wenn man erwägt, wie schwer jene Forschungsresultaie in weitere Kreise dringen; denn was in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wird, bleibt natürlich ganz auf die Fachkreise beschränkt, und die Broschüren — wenn da der Titel nicht rafftnirt ausgeklügelt und dem markt schreierischen Geschmack angepasst ist, so denkt Niemand daran, sie zu kaufen. Und schließlich, wer hat denn heute noch Zeit zu solch' „langweilig" ernster Lectüre? Es dürfte daher nicht uninteressant sein, einmal in aller Kürze zusammenzustellen, was die wichtigsten Broschüren der letzten Jahre im Wesentlichen gebracht haben, und zwar sollen die betreffenden Schriftsteller in der Hauptsache mit ihren eigenen Worten angeführt werden. Zuerst möge Dr. August Smith mit seiner „Alkoholfrage" (Tübingen, 1895) sprechen. Nachdem er die Legende zerstört hat, daß in früheren Jahrhunderten ebenso oiel oder noch mehr getrunken worden sei, — erst durch die B-annKweinbrennerei aus Kartoffeln h» de gegen Mitt« dieses Jahrhunderts di« allseitige Ausbreitung regelmäßigen Alkoholgenusses, besonders auch auf dem Lande, ermöglicht — führt er folgende Zahlen an. Die Ausgabe für Bier, Wein und Branntwein betrug für daS Jahr 1881/82 allein für Preußen 573 Millionen Mark, d. i. mehr als das Doppelte von Dem, waS für sämmtlich« Staats- und Reichssteuern verausgabt wurde. Im Jahve 1898 wurden im deutschen Reiche 676 Millionen Liter Branntwein, 5456 Millionen Liter Bier und 322 Millionen Liter Wein getrunken, d. h. pro Kopf der Bevölkerung (alle Frauen und Kinder, selbst die kleinsten, mit eingerechnet) 13,5 Liter Branntwein, 107,8 Liter Bier und 6,4 Liter Wein. Dafür wurde die ungeheure Summe von 2500 Millionen Mark bezahlt. Bekannt ist der Zusammenhang des Trunkes mit den Ver brechen. Im Jahre 1874 untersuchte Baer bei 32 837 Sträf lingen in 120 Gefängnissen die Ursachen ihrer Bestrafung und fand, daß 13706 ihr verbrechen dtrect unier der Vlkoholwirkung begangen hatten. Davon waren nur 6437 Gewohnheitstrinker, die übrigen 7269 waren einem Gelegenheitsrausche zum Opfer gefallen. Interessant ist die Vertheilung auf die verschiedenen Arien von Verbrechen: bei Körperverletzung wurden 75 Procent aller Fälle in Trunkenheit verübt, ebenso bei Widerstand gegen die Staatsgewalt, bei Raubanfällen 70 Procent, hei Todtschkag 64 Procent, bei Todtschlagsversuch 52 Procent, Unzucht und Notzucht 08 Procent u. s. w. — Merkwürdig tritt ferner der Einfluß des Sonntags in folgender Zusammenstellung hervor: von 14b Personen, die im Laufe des Jahres 1891 vom Bezirks gericht Zürich wegen Körperverletzung veructheilt wurden, hatten 60 ihr Vergehen am Sonntag verübt, 18 am Sonnabend, 22 am Montag, also nur 41 an den übrigen Tagen; von diesen 41 kamen wieder 25 auf di« Nachtzeit und wurden in oder vor einer Wirt schaft verübt, so daß vermuthlich nur 16 Körperverletzungen ohne direkten Einfluß des Trunkes zu Stande gekommen sind. Eine Gegenprobe auf dieses Exempel liegt in. einem Berichte, welchen Neal Dow, General der Vereinigten Staaten und Bürgermeister von Portland (Maine), zu den Acten des Chicagoer Antialkohol- congreffes gegeben hat: „Am 2. Juni 1851 wurde das Pro- hibikion-sgesitz (Verbot des Verkaufes aller Spirituosen) vom Gouverneur unterzeichnet. Nach sechs Monaten standen die Ge fängnisse in fünf Bezirken leer. Das Gefängniß des volkreichsten Bezirkes Cumberland war jahrelang überfüllt gewesen; nach jenen sechs Monaten hatte es nur noch fünf Insassen, darunter drei Rumverkäufer. DaS Correctionshaus aber stand ganz leer. Aehnlich ging «S mit der Zahl der Armen in den Armenhäule-n." Noch erstaunlicher war es in Irland. Dort wurden im Jahre 1837 nicht weniger als 12 096 schwere Verbrechen beganaen; im Jahr« 1841, als auf die Predigten deS berühmten Pat«rS Matthew hin 1800000 Menschen das GelüVde völliger Ent haltsamkeit abaelegt hatten, geschahen nur noch 773 Verbrechen! Ueber die Beeinflussung der Denkthätigkeit durch den Alkohol liegen von Professor Krae Pelin eine Reihe interessanter Beobachtungen vor, welche nach dem Principe der durch Professor Wundt in Leipzig berühmt geworbenen vsychophysischen Methode auSgesührt wurden. AuS diesen geht hervor, daß bei einem noch mäßig zu nennenden TageSauantum von 40 bis 80 Gramm Alkohol, in stark verdünnter Lösung genommen — waS etwa eine halbe bis eine Flasche leichten Wein oder zwei bis vier Glas Bier bedeuten würde —, ein« bedeutend« Minder leistung an geistiger Arbeit zu constatiren war, während nach Ab bruch des Alkohols die Leistungen in den folgenden Tagen wieder in die Höhe gingen. Besonder» lehrreich sind die Versuchs gruppen für das Auswendiglernen und für das Lösen einfacher Rechenaufgaben; in beiden bewirkte di« fortgesetzte Alkohol aufnahme nach einigen Tagen einen ganz auffallenden Absturz in der Leistungsfähigkeit. Wir können hier auf die genaue Be schreibung der angestellten versuche and den Nachweis ibree völlig einwandfreien Anordnung nicht weiter eingehen; jedenfalls haben aber die Experimente den Beweis geliefert, baß auch Der jenige, der nach seiner Ansicht nur mäßig trinkt, seine geistige Leistungsfähigkeit herabsetzt. Daß diese Untersuchungen allen Denen sehr unbequem sind, welche bisher mit wohlfeilen, aber unbewiesenen Behauptungen über die Harmlosigkeit, ja Nützlichkeit „mäßigen" Trinkens den bestehenden Vocurtheilen und Trink sitten ihre „wissenschaftliche" Unterstützung geliehen haben, liegt auf der Hand. Dem Trink zwangderGesellschaft kann man sich nur schwer entziehen. Warum fördert aber die Gesellschaft das Trinken? „Weil die Menschen heiterer, geistig angereg.er werden, ihre Befangenheit und Zurückhaltung verlieren und sich offener und mittheilsamer geben!" Das soll Alles nicht bestritten werden, es ist nur lehrreich, zu sehen, wie sich diese Wirkung erklär:. Bei den vorhin erwähnt«» Versuchen waren die betreffenden Versuchs objekte — lauter wissenschaftlich gebildete Männer — an den Alkohokagen stvis der Meinung, geistig mehr geleistet zu haben, während in Wirklichkeit Vas Geg«n:h«il der Fall war. Sobald man eiiwas getrunken hat, täuscht man sich also gewaltig über die eigene Leistungsfähigkeit und hat auf billige Weise das erhebende und schöne Gefühl, sich hervorgethan zu haben. Und dieses Streben, sich irgendwie hervorzuthun, womöglich unter Seinesgleichen eine führende Stelle einzunehmen, liegt in jedem Manne. Dies zu erreichen, ist aber nur möglich auf Grund hervorragender B« gabung und besonderer Energie. Für das -roß« Heer der Durch schnittsmenschen girbt es nun nichts Einfacheres, als durch einige GlcrstBirr ober Wein sich wenigstens das subjecriv« Gefühl einer sonst unerreichbaren Ueberlegenheit zu verschaffen. Begünstigt wird dir- durch die wunderliche Macht des Alkohols, in kurzer Zeit eine Gesellschaft von verschiedenartigsten Elementen auf den selben niederen Standpunct herabzudrücken. Wer nüchtern in ein« Gesellschaft Zechender kommt, und mögen diese den höchsten wissenschaftlichen Kreisen angehören, ist verwundert und zunächst wenig angenehm berührt von der erstaunlichen Flachheit der Ge spräche. von den Geistlosigkeiten, die Anlaß zum größten Jubel geben — und bald darauf, nach dem Genüsse einiger Glas Wein, wird er an demselben Gefasel die größte Freude haben. Alles geht nach Hause, in dem Gefühl, sich göttlich amüstrt zu haben. Keiner aber könnte am nächsten Tage angeben, wa» nun eigentltch so amüsant war; d«nn gehört hat Jeder nur sich selbst, und die Anerkennung, die ihm so wohl chat, ist auch nur von ihm selber ausgegangen, aber weder er, noch ein Anderer hat dies gemerkt. Zwei Drittel aller männlichen und ein Viertel aller weiblichen Nervenkranken, welche in unseren Nervenheilanstalten Aufnahme und Behandlung finden, haben ihr Leiden dem Alkohol zu danken und könnten nur durch völlige Enthaltsamkeit wieder hergestellt werden. ED ist himmelschreiend, daß solch« Kranke oft Wein und vier geradezu „verordnet" bekommen. — Nach der Zu sammenstellung von Baer waren in den Jahren 1878—1879 von 4013 männlichen Geisteskranken in deutschen Irrenanstalten 1088 durch den Trunk erkrankt; 690 davon hatten Has Delirium tremons. Rechnet man aber die anderen öffentlichen Anstalten, Krankenhäuser u. s. w. dazu, so steigt die Zahl auf 2016 Kranke. In den Jahren 1877—1879 wurden 5212 durch Alkohol Er krankte gezählt, von denen 1993 jährlich starben. Im Jähre 1885 war die Zähl derartiger Kranker auf 11974 gestiegen. An diesen Zahlen sinb die höheren Stände fast mit der Hälfte be theiligt; und zahlreich« Personen wären hinzuzurechnen, Die nicht in Anstalten gebracht werden; sind dem Verfasser doch allein im Jahre 1893 1592 Anfragen wegen Alkoholkranker aus den besseren Ständen zugegangen! Daß der Alkoholgenuß die Neigung zu Krankheiten erhöh:- zeigen z. B. folgende Ziffern der indischen Armee: Unier 26 694 Mann waren 9340, welche sich aller alkoholhaltigen Getränke enl- hielten, von diesen war durchschnittlich der vierzehnte Mann einmal jährlich krank, tvährend von den übrigen 17 354 Soldaten schon jeder siebente Mann im Lazarcth Aufnahme gefunden hatte: während überdies von der ersten Sorte auf je 100 Mann nur 3,6 Krankheitslage gerecknct wurden, hatten die Trinkenden auf 100 Mann 10,2 Krankheitstage zu verzeichnen. Dieseloe Sprache sprechen die Berichte der englischen Krankencassen: in den fünf Jahren von 1884—1889 kamen auf jeden Arbeiter durchschnittlich 26 KrankheitSwochen; bei einer Casse jedoch (8ons e>s tamperanev), welche nur Enthaltsame aufnimmt, nur 7,5 Wochen, also weniger als den dritten Theil der anderen! Daraus darf man natürlich nicht schließen wollen, daß zwei Drittel der Erkrankungen dem Alkohol ganz allein zuzuschreiben sind, sondern die Sache liegt so. daß der Alkoholgenuß ganz be sonders geeignet ist, leichte Erkrankungen zu schweren, kurz« zu langdauernden zu machen, und daß er die Widerstandskraft des Körpers gegen Erkrankungen aller Art lähmt und herabsetzt. Bei der großen Choleraepidemie in Glasgow 1848—1849 starben von 100 erkrankten Enthaltsamen nur 19, von 100 erkrankten Trinkern jedoch 91! Merkwürdiger Weise fand Thomas vor Kurzem in der Straßburger Klinik fast dasselbe Zahlenverhältniß bei Kaninchen, auch von diesen starben fast sechs Mal so viele an Choleraimpfung, wenn sie vorher Alkohol bekommen hatten. Aus den hierbei mit großer Sorgfalt angestellten zahlreichen Experi menten ging übrigens hervor, daß es nicht der bei Biertrinkern häufige Magen- oder Darmkatarrh ist,welcher den Körver wider standsunfähig gegen di« Ansteckung macht, sondern es ist das Blutserum, welches bei einem völlig gesunden Menschen bekannt lich «ine starke Fähigkeit hat, die Bacterien zu tödten, diese Fähig keit fedoch theilweis« verliert, sobald nur geringe Mengen Alkobol genossen werden. Ter Schnaps, das GlaS Portwein, das so Mancher genießt, im Glauben, sich dadurch gegen Cholera zu schützen, ist also daS sicherste Mittel, die Widerstandsfähigkeit deS Körpers zu vermindern! Der „gebildete" Mann, welcher „in
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