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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991026015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899102601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899102601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-26
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Sieclamea unter dem RedactionSstrich (4g«^ spalten) 50/^, vor den Familiennachrichtra (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzrickniß. Tabellarischer und ZiffernjaU »ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Iinnahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halb« Stunde früher. Anzeigen fiad stets an die Sr-eSitto» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzjt- Donnerstag den 26. Ocwber 1899. 93. Jahrgang. 546. Die klerikalen Verräther in Oesterreich. Man hätte annehmen dürfen, daß angesichts der ver änderten Stellung, die Monarch und Regierung in Oesterreich Len deutschen Parteien gegenüber eingenommen haben, die öster reichischen Klerikalen deutscher Herkunft sich allmählich wieder ihres Deutschthums erinnern und von jetzt ab mit ihren Stammesgenofsen in dem Kampfe um die Erhaltung deutscher Art und deutscher Sprache zusammenstehen würden. Man hat sich leider in dieser selbstverständlich scheinenden Erwartung getäuscht. Unmittelbar nach Eröffnung des öster reichischen Parlaments haben die Klerikalen «inen faktischen Be weis dafür geliefert, daß sie der deutschen Sache noch ebenso . gehässig gegenüberstehen, wir nur je zuvor. Die deutschen Parteien hatten zum ersten Dicepräsidenten des Abgeordneten hauses den Abgeordneten Prad« nominirt. Hätten die deutschen Klerikalen sich auf die Seit« ihrer Stammesgenofsen gestellt, so loäre Prade bestimmt gewählt worden. Da aber die Klerikalen mit den Tschechen, den Polen und den anderen Parteien der Rechten zusammengingen, so wurde der Pole Pientak mit einer Majo rität von etwa 30 Stimmen zum ersten Dicepräsidenten ge wählt. Als zweiter Vicepräsident wurde alsdann ein Rumäne gewählt, so daß die deutsch empfindenden Parteien vom Prä sidium ausgeschlossen sind. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß den slawischen Parteien durch die ihnen von der klerikalen Dolkspartei ge leisteten Knechtsdienste der Kamm gewaltig schwellen muß, während andererseits die deutschen Parteien in der Zusammen setzung des Präsidiums des Abgeordnetenhauses «in böses Omen für die weiteren Verhandlungen erblicken müssen. Und ganz mit Recht, denn wenn die Parteien der Rechten weiterhin so Zusammenhalten, wie sie bei der Präsidentenwahl zusammen gehalten haben, so wird es der Regierung nicht möglich sein, die Sprachcnstreitigkeiten in einer den billigen Ansprüchen der Deutschen gerechtlverdenden Weise zu erledigen. Dann werden der Regierung nur drei Wege übrig bleiben, entweder si« schwenkt zu den bisherigen Majoritätsparteien ab und versucht in der vom Ministerium Thun beliebten Weise durch unausgesetzte Ver tagungen des Parlaments und gewissenloses Handhaben des 8 14 fortzuwursteln, oder sie demissionirt, oder sie löst das Ab geordnetenhaus auf und schreibt Neuwahlen aus, die in einer Erregung vorgenommen werden würden, wie sie in diesem Um fange bisher noch niemals bei österreichischen Parlamentswahlen vorhanden war. Den deutschgesinnten Abgeordneten könnte der letzterwähnte Ausweg nur genehm sein, denn er böte die Gelegenheit, mit den klerikalen Verräthern gründlich abzurechnen. Es würde sich dann hoffentlich zeigen, daß die bisherigen Wähler der klerikalen Abgeordneten in den Alpenländern eine etwas andere Auffassung von dem Begriffe der Treue haben, als die Abgeordneten der katholischen Voltspartei, indem sie als Treue nicht das Zu sammenhalten mit den slawischen Abgeordneten ansehen, sondern die Treue gegenüber den deutschen Stammesgenofsen. Wie erbittert man auch in katholischen Kreisen Oesterreichs über das niederträchtige Verhalten der österreichischen Klerikalen ist, hat sich an demselben Tage, an dem die katholische Volks partei den Polen Pientak zum ersten Vtcepräsidenten erwählte, in der Wiener Universität gezeigt. Dort sollte ein Professor eingeführt werden, der ein eifriger Parteigänger der katholischen Volkspartei ist. Die Studenten, die zum größten Thetle selbst Katholiken sind, bereiteten dem Professor einen üblen Empfang. Trotz der Mahnung des Rectors der Universität und des DecanS der philosophischen Fakultät, Ruhe zu wahren, wurde der Professor mit derartig deutlichen Zeichen des Mißfallens em pfangen, daß er es, nachdem er einige Sätze gestammelt hatte, vorzog, den Hörsaal zu verlassen. Wie mit der Stimmung der akademischen Jugend, so steht es auch mit der Stimmung der „Los-von-Rom-Bewegung". Diese Bewegung hätte in einem so streng katholischen Lande wie Oesterreich niemals auch nur die mindeste Aussicht auf irgendwelchen Erfolg gehabt, wenn nicht das vaterlandslose Verhalten der katholischen Volkspartei die größte Erbitterung aller derjenigen, die sich noch eine Spur deutschen Empfindens bewahrt haben, erregt hätte. Die Kleri kalen spotten darüber, daß nur einige Tausend Katholiken sich öffentlich von Rom losgesagt hätten und zum evangelischen Glauben übergetreten wären. Nun, hinter diesen Tausenden stehen Hunderttausende, die aus Gründen der verschiedensten Art den in einem Staate wie Oesterreich sehr gewagten Schritt der öffentlichen Lossagung von Rom nicht unternehmen, dir sich aber in ihrem Innern von einer Kirche losgesagt haben, deren Diener das Deutschthum bekämpfen, aus dem sie selbst hervor gegangen sind. Gerade der Klerikalismus unterscheidet ja immer sehr scharf zwischen Glaubens-Katholiken und „Auch-Katholiken", d. h. solchen Katholiken, dir sich damit begnügen, als Kinder katholischer Eltern geboren zu sein, die aber für die Förderung der Ziele — und diese Ziele sind ja sehr weit gesteckt — der katholischen Kirche nichts übrig haben; ungezählte Tausende gläubiger und eifriger Katholiken sind durch das Verhalten der katholischen Volkspartei — um vom Standpuncte des Kleri kalismus aus zu sprechen — zu „Auch-Katholiken" herabgrdrückt worden. Vom deutschen Standpuncte aus muß man gegen die deutschen Klerikalen in Oesterreich viel erbitterter sein, als gegen die Tschechen. Dir Tschechen sind von einer empörenden Bruta lität, aber das Ziel, das sie verfolgen, ihre NaUonalität zu der vorherrschenden zu machen, ist ein ideales. Jedem Kämpfer wird der Feind sympathischer sein als der Verräther. Von dem Feinde weiß man, wessen man sich von ihm zu versehen hat, von dem Verräther wird man hinterrücks angegriffen. Deshalb behandelt man auch den Feind, den man in sein« Hand bekommt glimpflich, während man den Verräther kurzer Hand am nächsten Baume aufknllpft. Es wird vielleicht einmal der Tag kommen, wo das österreichische Deutschthum mit der klerikalen Volks partei abrechnen kann. Und wenn es dann mit diesen Ver- räthern erbarmungslos umspringt, wird man ihm nur beipflichten können. Aus der deutschen Colonie in Liidbrafilien. (Nachdruck auch mit Quellenangabe verboten.) °VV. L. Porto Allegre, Ende September. Die letzte Hälfte des Augusts, sowie der Anfang dieses Monats waren für unseren Staat außerordentlich traurig. Aus allen Thetlen des weiten Landes, Camponho--, Serra- und Colonie-Regia, kommen be trübend« Nachrichten über große Verheerungen, welche durch langandauernde Ueberschwemmungen angerichtet wurden. Was speciell die Coloniezone, die hauptsächlich von Deutschen be wohnt wird, anbetrifft, so sind besonders dir Gegenden am oberen Taquary (Munizipi«n Estrella und Lageado), des Rio Pardo und des oberen Jacuhy (Santo Angelo, Munizip Cachveine) schwer getroffen worden. Der unseren Landsleuten zugefügte Schaden ist enorm. Die ältesten Leute wissen sich einer solchen Ueverschwemmung nicht zu erinnern und behaupten, daß die diesjährige Wassersnoth noch bedeutend größer gewesen sein soll, als die des Jahres 1873. Die Pflanzungen an den Ufern der Flüsse sind vollständig vernichtet. Der Schaden an Häuftrn, Produkten und Vieh läßt sich vor der Hand nicht einmal an nähernd schätzen, doch dürften 2000 Contos de Reis*) nicht zu niedrig gegriffen sein. Leider sind auch Menschenleben diesmal zahlreicher als bei anderen derartigen Ueberschwemmungen zu beklagen, was dem außergewöhnlichen schnellen Steigen der Flüsse zuzuschreiben ist. Ein Steigen von 12—20 Meter binnen 24 Stunden in einzelnen Flußgebieten zählte nicht zu den Selten heiten. Noch heute sind alle Flüsse hoch angeschwollen, wenn auch momentan die Gefahr vorüber ist. Auch Porto Allegre hatte in seinen tiefer gelegenen Theilen ziemlich unter dem An drang der Wassermassen zu leiden, zumal da eine Zeit lang durch Südwind das Auslaufen des Flußwassers aus dem Guahybabecken verhindert wurde. Der Allgemeinheit fühlbar macht sich augen blicklich der erhebliche Schaden, den di« Regengüsse und die Ueberschwemmungen an den Wegen, Straßen und Eisenbahnen angerichtei hat. Sowohl bei der Siidbahn, als bei der Central bahn (Porto Allegre-Uruguayana) war der Verkehr mehrere Tag« unt«rbrochen. Jedoch gelang es den energischen An strengungen, besonders bei der letzteren, sich zur Zeit in belgischen Händen befindlichen, den Schaden provisorisch derart zu repa- riverr, d'ß die Züge wieder binnen wenigen Tagen v;-sthren konnten. Doch dürste d«r Ausfall, den die Gesellschaft dadurch in ihrem Budget erleidet, nicht unbedeutend sein; man munkelt von 500 Contos d« Reis, jedenfalls etwas zu hoch gegriffen. Bis dato scheint di« Witterung immer noch ihren ungünstigen Charakter bewahren zu wollen, weshalb pessimistische Gemüther schon schlechte Ernten und dadurch bedingte Vermehrung der Geldnoth prophezeien. Die Staatsrrgierung hat bisher für die Ueberschwemmungsgebiete, mit Ausnahmen in der Umgebung der Stadt Porto Allegre, noch nichts gethan, doch wird all gemein erwartet, daß das neue Budget den Posten für Wieder herstellung resp. Neuconstruction von Straßen und besonders Brücken um ein Erhebliches erhöht aufweisen wird. Ein weiteres elementares Unglück, durch das deutsches Capital geschädigt und eine Errungenschaft deutschen Fleißes vernichtet *) 1 Conto de Rei« — 1000 Milreis ---- 2000 wurde, war der Brand der sehr ausgedehnten Fischel'schen Oeb fabrik, die beiläufig meines Wissens die einzige große Anlage dieser Art nicht nur im Staate Rio Grande do Sul, sondern in Brasilien überhaupt war. Es war ein Hochseuer von einem Umfange, wie wir in den letzten Jahren nur sehr wenige zu ver zeichnen gehabt haben. Die Fabrik, die erst vor wenigen Jahren gebaut und ganz vor Kurzem mit neuen großen Maschinen versehen worden war, brannte bis auf den Grund nieder. Am 7. d. M. feierte Herr Pfarrer Haettinger in dem von ihm mit großer Selbstverleugnung gegründeten und zu hoher Blllrhe gebrachten evangelischen Waisenasyl Pello bei Taquary sein 25jähriges Amtsjubiläum. Mit Genugthuung dürfte es seine Collegen im alten Vaterland« erfüllen, wenn sie hören, daß die Feier dieses wichtigen Ereignisses eine würde voll-einfache, den Verdiensten des Leiters der Anstalt angemessene war. Zahlreich waren die Glückwünsche von auswärts; auch die deutsch-sprachliche Presse ließ die Gelegenheit nicht vorübergehen, dem Jubilar ihre Sympathien kundzugeben, der gerade in der jüngsten Zeit mannigfachen Anfechtungen, selbst von seinen hiesigen Kollegen (?), ausgesetzt war. In BagS, woselbst er in Garnison stand, st a r b am 7. d. M., am Unabhängigkeitstage, im Alter von 51 Jahren, an einer Herzkrankheit, der General C a r l o s T e l l e s, der noch bis vor Kurzem viel von sich reden machte. Er stammte aus der alt angesessenen und angesehenen Familie Telles, welche, zuerst auf Seiten vr. Castilho's, sich mit in Gegensatz zu diesem setzte und von diesem auf alle Weise chicanirt und angegriffen wurve. Es ist derselbe General, welcher es fast fertig bekommen hätte, daß es zwischen der Bundes- und der Staatsregierung zum offenen, gewaltsamen Bruche gekommen wäre. Hier möchte ick beiläufig bemerken, daß, wenn vielleicht in manchen Kreisen an eine gewaltsame Trennung unseres Staates vom Bunde gedacht wird, es nur ehrgeizige und unruhige eingeborene Elemente vom Schlage Carlos Telles' sind, die derartige Pläne hegen mögen. Wenn man aber letzthin uns Deutschen derartige Pläne untergeschoben hat, so ist das Dummheit oder böswillige Verleumdung. Ich habe gerade in der jüngsten Zeit (im vergangenen Monate und Anfang September) einen großen Th«il des Staates bereist und überall mit den Landsleuten aus der alten Heimath Verkehr gepflogen. Es fällt keinem Deutschen in unserem Staate ein, eine Erhebung zu planen: wir sind im Gegcntheft sehr froh darüber, endlich zu ruhigen, geordneten Verhältnissen gekommen zu sein. — Um zu Carlos Telles zurück zukehren, so trat der Verstorbene, ein Mann von ehrlickem, aber gewaltthätigern Charakter, als Gemeiner ins Heer, kehrte aus dem Feldzug gegen Paraguay als Leutnant zurück, that sich in der jüngsten Revolution als Kommandant sehr bei der Ver teidigung von BagS, die er mit Zähigkeit und Geschick leitete, hervor, und erwarb sich in dem Feldzug gegen die sog. „Fana tiker" in Bahia den Generalsrang. Er hatte etwas von einem slldamerikanischen Boulang«r in sich, und da seine Soldaten an ihm, der aus ihrem Stande hervorgegangen war, hingen, so war es mehr als wahrscheinlich, daß er über kurz oder lang be deutsam in die Geschicke unseres Landes eingegriffen hätte. Die Regierung mag also aufgeathmet haben, als die Natur dem Streben des ehrgeizigen Generals ein Ziel setzte. Fririlletoi,. Chinesische Charaklerzüge. i. Seit der deutsche Adler seine Krallen an der Küste Chinas ringeschlagen, die deutsche Flagge in Kiautschau weit über Land und Meer weht, und unsere Blaujacken in ihrem Schatten sich heimisch fühlen, ist uns das Vierhundertmillionenreich im fernen Osten in die nächste Nähr gerückt, und namentlich der deutsche Kaufmann ist es, der fein« Blicke unter nehmungslustig und auf Gewinn hoffend immer wieder nach dem Reiche der Mitte schlweifen läßt. Aber gut Ding will Weile haben; das gilt vor Allem in China mit seiner exclusiven Cultur und seinen wunderlichen Be wohnern. Niemand wird gute Geschäfte in China machen, der sich mit dem Chinesen nicht auf guten Fuß zu stellen weiß^ Das kann man aber nur, wenn man ihn kennt, gründlich kennt. Und doch, wie schwer ist gerade er zu verstehen, und wie wenig Sicheres und Zuverlässiges wissen wir von ihm. Geschrieben ist ja viel über das ferne Reich und seine bezopften Bewohner, aber zumeist von Solchen, die nur eine der großen Küstenstädte oder einen offenen Hafen gesehen haben. Dort pulsirt nicht das echt chinesische Leben, dort lernt man nicht den Charakter der gelben Rasse, nicht die eigentlichen Volkstypen kennen- Dazu muß man, wie die Sendboten der Mission, tief hinein ins Land gekommen, in nahe Beziehungen mit dem Einzelnen getreten und, nicht zuletzt, die Sprache d«r Chinesen gelernt und in seine Denk weise sich eingelebt haben. Deshalb find auch die „Chinesischen Charaktergüge" von Arthur H. Smirh, der 22 Jahre Mitglied der amerikanischen Mission in China war, von competenten Kennern Les Landes bei ihrem Erscheinen als epoche machendes Werk bezeichnet worden.*) Auf alle Fälle gehört cs zu dem Besten, waS jeüberdieChinesen geschrieben wurde. ESPlaidirt nicht pro und covtrs, sondern sucht durch gleich ocksective Beleuchtung der Licht- wie der Schattenseiten des originellen Volkes diesem voll gerecht zu werden. Zunächst an der Hand der Smith'schen Aufzeichnungen das Eine und das Andere über die Lichtseiten! Da wir heutzutage in westlichen Ländern so viel darüber grübeln, wie man den Armen nahrhafte Speisen möglichst billig beschaffen könnte, ist es sicherlich nicht uninteressant, die nicht zu bezweifelnde Thatsache zu erfahren, daß man in China zu gewöhnlichen Zeiten gut« Nahrung in genügender Menge für nicht mehr als 8 H pro erwachsene Person und Tag liefern kann. *) Die treffliche Ilebersehung des besonder« durch die Fülle und Schönheit seiner Illustrationen sich auszeichnenden Buche« hat F. C. D ü r b i g besorgt. Verlegt ist es von A. Stuber in Würzburg, 1S00. In Zeiten von Hungersnoth sind Abertausende von Menschen mit 6 H pro Tag und Kopf erhalten worden. Dieser Umstand deutet darauf hin, daß man in ganz China eine große Fertigkeit in der Zubereitung der Speisen haben muß. So einfach und ge wöhnlich das Essen auch sein mag, so kann man sich doch der That sache nicht verschließen, daß di« Chinesen im Kochen und in der Art der Zubereitung ihrer Gerichte unübertroffene Meister der kuli narischen Künste sind. Für die Europäer bleiben die chinesischen Feinheiten natürlich immer ein recht zweifelhafter Genuß, mögen sie auch noch so gut zübereitet sein; Thatsache ist aber, daß die Chinesen, welche europäisch kochen gelernt haben, ihre Sache vor züglich machen. All« die feinen Diners, die man in den euro päischen Privathäusern d«r fremden Niederlassungen Chinas be kommt, werden vom Chinesen-Koch 'bereitet, der seinem guten Rufe stets Ehre macht. Eine andere Thatsache von großer Bedeutung ist die folgende: Bei der Zubereitung der chinesischen Speisen giebt es sehr wenig Abfälle. Alles, selbst das Kleinste, wird wieder ver wendet. Was übrig bleibt, wenn eine Chinesenfamilie ihre Mahlzeit beendet hat, ist ein Minimum. Man braucht nur einen Blick auf den physischen Zustand der chinesischen Hunde und Katzen zu werfen, die von den Abfällen dieser Mahlzeiten leben müssen: sie sichen meistens auf dem Aussterbeetat. Die Be völkerungen neuer Länder verschwenden sprichwörtlich, und es be steht nicht der geringste Zweifel, daß man 60 Millionen Asiaten verhältnißmäßig luxuriös von Dem ernähren könnte, was täglich in Europa umkommt. Bei der Nahrungszubereiiung kann man auch noch rin anderes Beispiel chinesischer Sparsamkeit kennen lernen, nämlich die prak tischen Kochgesäße, die sehr wenig Feuerung bedürfen. Letztere ist im Allgemeinen knapp und theuer und besteht meistens aus weiter nichts, als aus Blättern, Stacheln, Stoppeln, welche ein Helles, aber nicht anhaltendes Feuer geben. Dementsprechend werden die Böden der Töpfe möglichst dünn gemacht und be dürfen vorfichliger Behandlung. Die gange Art und Weise, wie das unentbehrliche Brennmaterial gesammelt wird, ist ein weiteres Beispiel der außerordentlichen Sparsamkeit. Selbst gang klein« Kinder, die sonst nichts thun können, müssen zum Mindesten Brennmaterial sammeln, und die Armeen der Feuerungssammler, welche im Herbst und Winter das Land überschwemmen, lassen nicht ein Hälmchen hinter den Zinken ihres hungrigen Bambus rechens zurück. Jede chinesische Hausfrau versteht ihre Mittel auSzunützen. Bei ihren Kleidern verschwendet sie nicht so viel wie ihr« west liche Schwester. Alles gipfelt im Praktischen, Haltbaren und Verbrauch von möglichst wenig Stoff. Der kleinste Stofffetzen ist einer Chinesin jederzeit herzlich willkommen. Sie weiß ihn immer nützlich zu verwenden, oftmals zu einem Dekorationsstück, das sich die häusliche Sparsamkeit nimmer hätte träumen lassen. Der Chinese schenkt seinen Freunden oft schmeichelhafte In schriften, welche ganz lose auf ein S:ückchen Seidenstoff geheftet, anstatt fest aufgeklebt sind. So kann dann unter Umständen der Empfänger die Schreibereien entfernen und das Stückchen Seide anderweitig besser verwerthen. Es entspricht dem Sinn für Sparsamkeit, daß man fertige Werkzeuge kaum kaufen kann- Wohl sind die einzelnen Theile käuflich, aber man muß sie sich eben selbst zusammensetzen, weil Jedermann glaubt, daß dies am billigsten sei. Ein kleines Licht, das so gut wie nichts kostet, wird in einem Loche der Scheide wand zwischen zwei Zimmern angebracht, daß es Heide Zimmer beleuchtet. Oft treiben die Chinesen die Sparsamkeit soweit, daß sie sich die rUhige Nahrung nicht gönnen, und wollen die Unizweckmäßig keit dieses Verfahrens absolut nicht einsehen, sondern halten es für ganz selbstverständlich. Nur ein Beispiel! Ein Europäer wurde von drei Kulis in fünf Stunden 37 Kilometer weit ge tragen. Darauf gingen die Träger wieder nach Canton zurück, weil dort ihr Essen bereit war. Man denke sich: ein Weg von 74 Kilometer, wovon di« Hälfte mit schwerer Belastung, wird vor dem Essen gemacht, um 20 T) zu sparen! In einem anderen Falle hatten zwei Träger 56 Kilometer zurückgelegt, fuhren dann mit dem Boote zurück und ließen eher ihren Magen knurren, als daß sie sich für 10—15 H zwei Schüsseln Reis gekauft hätten. Das Knarren der unzähligen Schubkarren könnte durch etwas Einölen des Raves leicht abgcstellt werden, man thut es aber nicht, weil das Oel Geld kostet und der Chinese „keine Nerven hat". Ein altes todkrankes Weib schleppte sich mühselig auf der Straße hin. Sie begab sich in die Wohnung eines Verwandten, um, wie sie sagte, näher am Familienbegräbniß zu sterben, damit die Kosten des Sargtragens nicht zu große würden. Die oft verkehrt« Sparsamkeit der Chinesen kann man im Fabrikbetrieb beobachten. So bessert man z. B- in den neuen Baumwollspinnereien und -Webereien Shanghais kleine Defecte an den Maschinen nicht aus, sondern wirdhschaftet ruhig darauf los, bis schließlich die ganz« Maschine unbrauchbar ist. Ebenso wenig wie dem Schubkarrenkuli klar zu machen ist, daß er sich durch regelmäßiges Oclen den Karren viel länger brauchbar er halten kann, ebenso geht der ganzen Rasse bis dato das Ver- ständniß dafür ab, daß Großes nur durch Beseitigung der kleinsten Mängel in gutem Stand« erhalten werden kann. Der phänomenalen Sparsamkeit und Genügsamkeit des Chinesen entspricht sein fabelhafter Fleiß und seine Ausdauer. Der erste Eindruck, den der Neuangekommene in China erhält, ist der, daß das Volk immer in bienenartiger Geschäftigkeit arbeitet, ein Nichtsthun sieht man nichc; Jedermann scheint be schäftigt zu sein. Natürlich giebt es auch Wohlhabende, wenn diese auch nur einen kleinen Theil der großen Masse ausmachen, die sehr gut ohne irgend welch« Arbeit leben könnten. Aber das Leben dieser Leute tritt Len Fremden nicht so entgegen. Reiche Leute ziehen sich in China auch nicht von den Geschäften zurück, sondern besorgen dieselben nach wie vor, als wenn sie arm wären. Sehr interessant sind die osficiellen Angaben über das Alter der Kandidaten in den Provinzialexamina. Der Generalgouver neur berichtete im Frühjahre 1889, daß an den Herbstprüfungen in FooLow neun Candidaten über achtzig Jahre und zwei über neunzig Jahre alt theilnahmen, die sich allen Anforverungcn unterzogen, deren Arbeiten gut unv mit fester deutlicher Hanv geschrieben waren. Ein anderer Gouverneur berichtet ebenfalls von 13 Candidaten über achtzig und einem über neunzig Jahre, welche die ganze neuntägige Feuerprobe bestanden unv deren Arbeiten, vorzüglich im Stil, nichr die Spur von Altersschwäche zeigten. Die Proving Anhui übertrifft aber alle anderen, oenn da gab es im gleichen Jahre fünfunddreißig Candidaten über achtzig uns achtzehn über neunzig Jahre. Wo in der Welt finde: man etwas Aehnliches wieder? Ein Mandarin in Peking erzählt, daß er jeden Morgen um 2 Uhr sein Haus verlassen muß, da er von 3—6 Uhr Dienst im kaiserlichen Palast hat. Als Mitglied des geheimen Rathes war er von 6—9 Uhr in diesem Senate beschäftigt, von 9—11 Uhr mußte er den Vorsitz im Kriegsministerium führen; von 12 bis 2 Uhr hieß es im obersten Strafsenate sitzen und von 2—5 oder 6 Uhr als einer der Minister des Auswärtigen hohe Politik treiben. Das war so der regelmäßige Stundenplan Dazu kamen noch Commissionssitzungen der verschiedensten Art, die eingeschaltet wurden. Erst um 7 oder 8 Uhr Abends war das Tagewerk vollbracht. Der Tag beginnt für den Chinesen über haupt sehr früh, oft kurz nach Mitternacht. Der Kaiser bäit seine Empfängt, wenn die europäischen Höfe noch in tiefstem Schlummer liegen. Lange vor Tagesanbruch trifft der Reisende auf der Landstraße Bauern, welche stundenweit Herkommen, uni bei Sonnenaufgang den Gemüseverkauf zu beginnen. Zu der Zeit, wenn wir Westränder Kaffee trinken, ist ein chinesischer Markt schon beinahe vorüber- Der Handelsbeflissene in China ist nicht besser daran. Er muß entsprechend früh heraus und iommr sehr spät Abends ins Bett, ohne sich viel Erholung gönnen zu können. Die Läden iverden früh geöffnet unv spät geschloffen. Das System der Buchführung ist so complicirt, daß der Unglücks wurm von Buchhalter bis spät in die Nacht hinein arbeiten muß, wenn er st jour bleiben will. Als besonders geistreicher Zeit vertreib gilt dann noch das Sovüren der chinesischen Münzsorten, unter denen sich vielleicht ein werthvolleres Eremplar findet, an dem noch ein kleiner Schnitt gemacht werden kann. Sieht man dieses fleißige Volk, so kann man nickt umhin, an die Zeit zu denken, in der die weiße und die gelbe Rasse in stärkerer Konkurrenz, als man sie bis jeh: kennt, aufeinander- prallen werden. Welche von beiden wirb dann an die Wand gedrückt? Wenn Salomo mit seinem Satze, daß die Hand des Emsigen Reichthümer erwirbt. Reckt hat, dann müssen die Chinesen die meisten Aussichten auf der Welt haben, und dies wäre auch zweifellos der Fall, würden ihnen nich: andere funda mentale Eigenschaften fehlen.
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