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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.10.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991026022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899102602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899102602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-26
- Monat1899-10
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Gebrauchen könnte das bei allem wirtbschaft- lichen Gedeihen politisch verfilzende Deutschland einen starken Luftzug unter allen Umständen, noch mehr aber angesichts der Thatsache, daß die Würfel um den Vollbesitz eines Welt- tbeils eisern fallen, im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit, daß ein übermächtiger Nachbar vielleicht im Vereine mit einem wahrlich auch nicht schwachen Angrenzcr Anstalten trifft, das britische Reich nicht allein unbereichert in das zwanzigste Jahrhundert eintreten zu lassen. Zweifel, ja Mißtrauen ist immer geboten, aber eS scheint doch, als ob cs sich auf dem Marittegcbicte regen wollte. Wir haben es vorgestern be sonders hervorgckoben, daß die „Nordd. Allg. Ztg." in der Aus lassung, die die Hamburger Flottenrede deS Kaisers auszulöschcn nicht übel Lust zeigte, wenigstens das Vorhandensein einer Flotten frage zuzugestehen sich herbeiließ. Das dürfte aber unr ein Höflichkeitsausdruck gewesen sein. Fürst Hohenlohe wollte jetzt „seine Ruhe baden" und glaubte sie mit jenem Artikel zu be wahren. Es kommt aber vielleicht anders. Vorgestern war der Staatssekretär des Marincamts Tirpitz gemeinsam mit dem Staatssekretär des Answärtigen v. Bülow zum Vortrag beim Kaiser befohlen und gestern Hal Admiral Tirpitz den Reichskanzler in seinem Buen Retiro zu Baden- Baden aufgesucht. Das wird halbamtlich in der unverkennbaren Absicht gemeldet, eine Flottcnjrage als wirklich be stehend erscheinen zu lassen. Sic existirt auch, das erkennt selbst mit süßsaurer Miene die „Nationalztg." an, der Alles unangenehm ist, was den Mittellandeanal benebst der gänzlichen Niederwerfung der „Junker" aus dem Mittclpuncte der Welt begebenheiten, wo mit diesem Blatte einige Politiker die Wasscr- straßenangelegenheit sammtZubehör stehen sehen,herauSdrängcn könnte. Hier liegt nun freilich fchon eine große Schwierigkeit für eine Flottenpolitik. Nicht bei der „Nationalztg." natürlich oder ihren Freunden, sondern in der Kraft des verbitternden Eanalstreits, einer Annäherung der nationalen Parteien Hindernisse zu bereiten. Ein zweites Hinderniß tbürmt fick im Arbeiter schutzgesetzc aus, das nun einmal für den kom menden Tagungsabschnitt des Reichstags dem Fluche unter liegt, in Fremdem trennen zu müssen, ohne zu seinem Vortheil vereinigen zu können. Aber cs gicbt seit einigen Tagen noch eine Nummer drei. Wenn — „Evn- currenzen" sind ja Mode — ein Preis ausgeschrieben worden wäre zur Beantwortung der Frage, wie man die Parteien, die zum Zustandekommen eines Marincgcsetzcs nothwcndig geeint sein müssen, noch heftiger entzweien könnte, als sie es schon sind, so hätte selbst Mephisto kein geeigneteres Mittel zu diesemZwecke angeben können,als die eben dem Bundes rath zugeschickte, „Münzgesetz" genannte Währungsvorlage. Gegen den Inhalt diesesGesetzentwurfs werden wir von unserem währungspolitischen Standpuncte für den Fall, daß die Ver mehrung der Scheidemünze um t .L pro Kopf der Bevölke rung sich nicht als zu hoch hcrausstellt, nichts einzuwendcn haben. Ein Bedürfniß für das „Hineinkvmmen" in die Währunzsfrage durch die Mafseneinschmclzung von Thalern, also von Währungsgeld, ist aber nicht vorhanden ge wesen und auch seit langer Zeil von keinem einzigen der zahlreichen Sachverständigen und eifrigen Ver- tbeidiger unserer Währung bebauptct worden. Es ist ein Einfall und in Anbetracht der Gesammtlage „ein toller Ein fall". Wir hätten die freudestrahlenden Gesichter der von der agrarischen Erregung der Landwirthe politisch oder sonst lebenden Herren sehen mögen, als ihnen dieser prachtvolle AgitativnSsiosf unerwartet ins Haus geliefert wurde! Sie werden ihn nicht verschimmeln lassen und ihre Arbeit wird die Vereinigung der nationalen Parteien zu einer gemeinsamen nationalen Aufgabe außerordentlich erschweren. DieseHerren sind, wie ihre Presse alltäglich verräth, ohnehin Gegner einer Mariucaction, deren Vertretung vor ihren Gläubigen im Lande ihnen von ihrem Standpunct eine brodlvse Kunst ist. Diesem Elemente hat man cs also innerhalb weniger Wochen zweimal erleichtert, die Opposition zu einem Flvttcngesetz in die Wege zu leiten. Die erste, dem „Münzgesetz" voraus- gegangene Thal war das auf dem internationalen Geo grap hencon g re ß vomNeichS ka nzler abgelegteEredo, daß Deutschland bei Lichte besehen doch das sei, als was cS Graf Eaprivi mit so vielem Glück bezeichnet Hal: ein reiner Industriestaat. Mit derartigen Brückcnsprengungcn vor den eigenen Truppen gelangt man zu keinem Marinesiege, und wenn ein solcher erfochten werden soll, muß sich vor der Einleitung der Eampagnc Vieles ändern. So viel schon auf diesem Gebiete geleistet worden, cs lassen sich noch mehr Fehler machen. Der nach menschlichem Ermessen größte wäre der Aufschub einer in Aussicht genommenen gesetzgeberischen Flottenaetion um ein Jahr. Einen solchen scheint auch die „Nationalztg." unter keinen Umständen zu billigen. Das Blatt schreibt: „Wir würden es . . . für allein sachgemäß erachten, daß die Negierung, nachdem sie das Bestehen einer neuen Flottenfrage constalirt hat, deutlich sagte, was sie uud anS welchen Gründen sie es erstrebt. Muß die Erörterung stattfindcn, so sehen wir keinen Vortheil in ihrer Verschleppung um ein Jahr." Für uns handelt cs sich selbstverständlich um mehr als um eine „Erörterung" in diesem Jahre, aber, wenn Ernst gemacht wird, wird sich wohl auch die „Nationalztg." der Mitarbeit nicht entziehen. In badischen Blättern liegt jetzt der Wortlaut der schon erwähnte» Ausprcchs vor, vir der von Freiburg kürzlich in Karlsruhe gehalten hat. Hiernach hat er die monarchische Gesinnung des Knthokicismns folgendermaßen gepriesen: „Wir Katholiken haben niemals Veranlassung gehabt, unsere monarchische Gesinnung zu rcvidiren. Wir sind monarchisch vom Grunde unseres Herzens. Wir haben niemals Veranlassung gehabt, daS, was wir im Namen der Kirche gethan haben, zu bereuen. Die Kirche geht langsam voran, aber sicher, und was sie gchan hat, hat sich stets bewährt. Wenn wir so an alle die Grundsätze uns erinnern, die unsere Kirche unS bietet, alle Gesinnungen wieder in uns wachrufen zu einer actnellen Thäligkeit, die uns Katholiken beseelt, möchte ich ferner conslatiren: wir Katholiken sind der monarchischste Stamm, den das öffentliche Leben hat. Wir schauen zu unserer Obrigkeit hinauf nicht mit den Rücksichten der Opportunität, sondern mit der Ehrfurcht, die Denjenigen gebührt, die mit eigener Autorität und in Gottes Namen vor uns stehen ... Wir wollen uns bekennen als Irene Anhänger der Autorität, als treue Anhänger des Thrones, den wir verehren, weil er umstrahlt ist von der Glorie göttlicher Autorität. Wir wollen uns bekennen als treue Stützen der gesellschaftlichen Ordnung . . ." Es sei hier nicht an der ehrlichen monarchischen Gesinnung deS Erzbischofs von Freiburg gezweifelt, aber er hat nicht im eigenen Namen, sondern rn dem der Katholiken überhaupt gesprochen: und er hat sich auch nicht damit begnügt, für die Katholiken monarchische Gesinnung in Anspruch zu nehme», sondern sie als am monarchischsten gesinnt gepriesen und sie damit über die Bekenner der anderen Glaubens gemeinschaften gestellt. Dadurch giebt er den anderen das Recht, seine Worte auf ihre Nichtigkeit zu prüfen. Der Erzbischof hätte sich keinen unglücklicheren Ort für seine Rede aussuchen können, als Karlsruhe. Wenn er in Karls ruhe davon spricht, daß die Katholiken treue Anhänger der Autorität seien, treue Stützen der gesellschaftlichen Ordnung, so wird man daran erinnert, daß die Klerikalen bei den vergangenen Reichstagswahlen diesen Wahlkreis der Social demokratie ebenso überantworteten, wie die Wahlkreise Mannheim und Pforzheim. Kann aber Derjenige, der einem Svcialdemokraten die Stimme giebt, behaupten, daß diese Partei eine treue Anhängerin der Autorität sei und die gesellschaftliche Ordnung stütze? Für dieses Verhalten der badischen Klerikalen erscheint aber der Erzbischof von Freiburg um so verantwortlicher, als gerade die streitbaren katholischen Geistlichen Badens mit dazu beitragen, daß die badischen Eentrumsleute derartige radicale Streiche vvllführen. Die Geistlichen unterstehen ja dem Erz bischof, und wenn er sie energisch in Zucht nähme, so würden sie doch wohl vor radicalen Thorheiten zurückschrecken. Es schein: aber säst, als ob die deutschen Erzbischöfe solchen Geistlichen und katholischen Theologen gegenüber, die sich theoretisch einer liberalen Gesinnung schuldig machen, sehr viel energischer auszutrcten wüßten, als denen gegenüber, die Parteien unterstützen, die den Staat und die gesellschaft liche Ordnung politisch und wirthschastlich zu zerstören bemüht sind (Socialdemokratcn, Polen). Mau wird aber das Wort deS Erzbischofs, daß der Thron umstrahlt sei von der Glorie göttlicher Autorität, sich wohl merken müssen. Steht man auf diesem Standpuncte des GotteSgnadenthumS, so muß man auch jeden direct oder indirecl gegen den Monarchen und die monarchische Institution überhaupt ge richteten Angriff als eine Verletzung der göttlichen Autorität ansehr». Da vlr Ä-isllich?» sind, die der göttlichen Autorität zu sein, so begeht jeder Geist liche — wir schließen uns hier immer an die Rede des Erzbischofs von Freiburg an —, der Bestrebungen unterstützt, die auf die Zerstörung der monarchischen, von Gott ausgehenden Autorität gerichtet sind, die schwersten Frevel gegen seine amtliche Pflicht. Wenn es sich also wieder holt, daß badische Geistliche zur Unterstützung der Social demokratie auffordern, so werden wir nicht verfehlen, den Erzbischof von Freiburg darauf aufmerksam zu machen, Laß er auf daS Strengste gegen Männer vorgehen muß, die so sehr seiner Auffassung, daß man den Thron stützen müsse, weil er umstrahlt sei von der Glorie göttlicher Autorität, zuwiderhandelu. Wenn aber der Erzbischof von Freiburg nicht gewillt sein sollte, die auS seiner Rede uothwendig hervorgcbcnden Schlußfolgerungen zu ziehen,"°so würde er eS nicht verübeln dürfen, wenn man künftighin seine öffentlichen Auslassungen mit der kurzen Kritik abthäte: „Worte, nichts als Worte." Nur zögernd bat sich daS spanische Ministerium Silvela dazu entschlossen, die Widerstandsbewegung unter den Steuerträgern in Barcelona mit der Verhängung des Belagerungszustandes zu beantworten. Den Ausschlag scheint die Thatsache gegeben zu haben, daß die Bewegung gegen die neuen Steuern mehr und mehr ein separatistisches Gepräge aunahm und in die seit vielen Jahren vorhandene katalanische Bewegung einmündete. Diese Bewegung, deren letztes Ziel Homerulo für Katalonien ist, strebt zu nächst das Zugeständnis an, daß Katalonien ebenso wie bis her schon das Baskenland und Navarra eine jährliche Pauschal summe an den Staatsschatz zu zahlen habe, deren Auf bringung der Provinz selbst zu überlassen sei. Diese Be wegung batte im Cabinet Silvela einen Anwalt in der Person deS Justizministers Duran, der infolge seiner Stellungnahme am Montag seine Entlassung einreichen mußte und durch den centralistisch gesinnten Grafen Tor- reanaz ersetzt wurde. Allein die katalanische Bewegung bat noch manch anderen einflußreichen Gönner, zu denen in erster Reihe der frühere Kriegsmiuister Marquis Polavieja gehört. Vornehmlich dem Einfluß dieses ehrgeizigen Ränke schmieds und überaus gelehrigen Jesuitenzöglings wird e» der „Voss. Ztg." zufolge in Madrider politischen Kreisen zugeschrieben, daß die katatonischen Separa tisten jetzt so kühn ihr Haupt erheben. Man argwöhnt bereits, daß Polavieja in die Fußstapfen Weyler's treten wolle. Es ist allgemein bekannt, daß er sich während seiner Kriegsministerschast eifrig und nicht ohne Erfolg be müht bat, unter den Osficieren Anhang zu gewinnen, indem er insbesondere jeder Verminderung der Officiersstellen, sowie der Gehälter und Pensionen der Officiere zähen Widerstand leistete. Man glaubt in Madrid bereits mit der Gefahr eines Pronunciamientos Polaviejas rechnen zu müssen. Das bildet für die Regierung einen weiteren Antrieb, in Barcelona die Zügel fest anzuzieben. Um der separatistischen BeweHUng den Weg in die Oeffentlichkeit zu versperren, hat der Präfect von Barcelona die seit einigen Tagen angekündigte Massen kundgebung der katatonischen Vereine verboten; thätlichen Widerstand ist die Negierung mit rücksichtsloser Energie niederzuschlagen entschlossen. Die „Saturday Review", eines der angesehenster» cnylifchc» Wochenblätter, versteigt sich zu folgenden Drohungen gegen Tcntschland: N-N>>rnll Deutsch« «ui- »üniust mit ihm um den Erwerb, gelte es, rin Bergwerk auszubauen oder eine Eisenbahn zu erbauen. Wenn Deutschland morgen vernichtet wäre, gäbe es übermorgen keinen Engländer mehr, der nicht reicher sein würde. Völker haben jahrelang um eine Stadt oder um ein Erbsolgerecht gekämpft, sollten sie nicht auch um einen jährlicher Handel von 250 Millionen Pfund kämpfen?" Das Blatt verlangt daun Krieg mit Deutschland und fährt fort: „England ist die einzige Großmacht, die mit Deutschland ohne schwere Gesohr und ohne Zweifel über den Ausgang kämpfen kann. Wenige Tage und Deutschlands Kriegsschiffe würden auf dem Meeresgründe jein oder unterGeleit nach den britischen Häfen. Hamburg und Bremen, der Kieler Canal und die baltischen Häfen würden unter den Kanonen Englands liegen, die warten würden, bi» die Ent schädigung vereinbart ist. Nach gethaner Arbeit könnten wir ohne Bedenken zu Rußland und Frankreich sagen: Sucht Compen- sationen! Nehmet in Deutschland, was Euch gefällt, Ihr könnt es haben!" In der Mahnung: „Deutschland muß ver nichtet werden!" klingt dann der Artikel aus. Dieser rabbiate Ausfall der „Saturday Review" in Boxerstellung ist um so verwunderlicher, als seit dem deutsch englischen Afrikaabkcmmen die englische Preße wieder einen viel freundlicheren, wenn auch immer noch gönnerhaften Fenrlletsn. Ans freien Lahnen. 22s Roman von Rudolf von Gottschall. Nachdruck virbotrn. Er hatte sich ein Tischchen an'S Fenster gerückt und dort dichtet« er ein orientalisches Märchen. Er wußte nicht recht, welch' fremdartiger Geist ihm in die Feder dictirtc; er kannte seine ckigewe Dichterweise nicht wieder. Nicht die Rathschläge Kreuzmnier's bestimmten ihn zu so feuriger Farbengebung, zu solchen mit pikanten Aromen gewürzten Schilderungen; seini Sultane und Sclavinnen, lauter entzückende Mädchen und Frvu«n, stammten aus dem Salon der Frau von Landolin, und das war sie selbst, die Fee im Duftgewölk, welche das Schicksal des armen Bauernsohnes mit zaubermächtigen Händen lenkte, daß er seine Schafe und Gänse und seine Fatimcn vergaß und einzog in den Fcenpalast, wo ihn die Herrin in ihr rosig schimmerndes Dustgewölk, in ihre Arme lockte. Er war geblendet, «r war krank, er sah nichts mehr in der Welt als das Weib; und im Weibe nichts als die verführerisch« Lockung; «r sah nur, was das Weib für den Mann, nicht, was es für sich selbst ist. Geist und Gemüth, Edelsinn und Opfer- muth, zärtliche Anhänglichkeit und hingebende Treue, alle Vor züge der Menschenwürde, die dem Weibe eigen sind — ihm erschienen sie gleichgMg und wer th los, und nur was er früher als satanisch verdammt hotte, d«r Hexensabbath wilder Sinnlich keit, entzündete mit wüsten Bildern seine Phantasie. Und so schrieb er Verse, verzückte, stammelnde, lallende Ders«, die immer kurzathmiger wurden, weil ihnen das bewegte Blut gleichsam den Athen? benahm — Verse von schwüler Sehn sucht und kosbrechenden Gewittern der Leidenschaft — alles Sturm und Drang und wild« Gährunz. Alles, was er der schönen Valeska gegenüber verleugnet hatte, als seinem eigensten Wesen zuwider — das tobte er in dieser umstößlichen Dichtung aus. Doch wenn er die Feder niedarlegte und sich auf sich selbst besann — da kam er sich wie rin Fremder vor; er trat vor den Spiegel, er war es noch, Timotheus — noch hatte ihn kein bös williger Oberon in das Thi«r verwandelt, dem Titania's Lieb kosungen zu Theil wurden, und dies« Liebkosungen selbst — noch blieben sie ja aus; nur in seinen Träumen hatten sie ihn entzückt. - Er wagte es nicht, sich mit kühnen Wünschen ihr zu nähern, nicht, weil er ein« Ablehnung fürchtete; er entsetzte sich vor der eigenen Untreue. Und doch, er konnte den Kampf nicht länger durchkämpfen; er mußte der endlosen Selbstqual seine Phantasie ein Ende machen. Ein entscheidendes Wort — cs war ein Wort der Verdammnis; für ihn, aber auch eine That der Erlösung. Und zu Alicen zu gehen w-agte cr nicht, solange der ungelöste Zwiespalt in ihm gährte. Wie wollte cr seine innere Untreue, seine bösen Ab sichten bemänteln? Und doch hatte sie ihre Macht über ihn nicht verloren; cs gab Augenblicke, ja Stunden träumerischer Stim mung, in denen sic ihren ganzen Zauber ausübtc. Ein Blick auf die Blumenwiesen im Stadipark — und die Parnassien- wiese ward wieder in seiner Seele lebendig — und die Linden und Kastanien rauschten ihm einen Traum des Friesens zu. Es lvar doch das Recht«, das ihm, das seinem ganzen Wesen am genehmsten war; cr sollte sich nicht fortlockcn lasten vom geraden Wege, der ihn zu einem stillen häuslichen Glücke führte. Da fuhr «r aus aus seinen Träumereien. Gerade dieser Weg war ihm ja versperrt! Sein Vater hatte ihn davor gewarnt; seine Laufbahn war bedroht, wenn er nicht von seiner Alice ließ! Die Tochter eines Verbrechers — es war ja ein grenzen loses Elend! Er sah es ein — und doch gerade gegen diese Tyrannei der Verhältnisse sträubte sich sein ganzes Wesen; und wenn ihn noch irgend etwas an das Mädchen fesseln konnte, so war es der edle Trotz, mit dem er glaubte, sie gegen ein feindlich Schicksal beschützen zu müssen, das ihr einen unverschulveten Makel anhestatc. Und doch — er kannte die Engherzigkeit der Machthaber der Schule, in deren Hand sein Schicksal lag; er wußte,daßgerade die geheimen Einflüsse in der Welt di: stärksten sind, daß hinter den laut proclaniirten Gründen die uneinge- standenen lauern. Seine Censur würde sich verschlechtern, man würde ihn vielleicht durch das Examen fallen lassen, angeblich tvegen ungenügender Kenntnisse, in Wahrheit, weil sein Lebens- wandell Anstoß erregte; er hatte Beziehungen zu einer Schau spielerin, zur Tochter eines Fälschers und Betrügers — das wußte man da vben, wo man Alles weiß! Und wenn man auch jetzt noch ein Auge zudrücken wollte — wenn er sic gar heirathete, würde cr ganz ins schwarze Register kommen nnd die Frauen seiner Kollegen würden dir Nase rümpfen über cin weibliches Wesen so zweideutiger Art und ihr jede nur irgend zulässige Kränkung zufügen. Und gegen diesen Haß, diese Feindschaft sollte er sie schützen im fortwährenden Kampf mit seiner ganzen Umgebung? Er war keine kampfesfreudige Natur; er war weich und nachgiebig, schwankend und empfänglich für die verschiedenartigsten Ein drücke. Sein Blick fiel aus die heutige Nummer der Zeituug, deren Mitarbeiter er war; cr zerknüllte sie ärgerlich in der Hand. Nicht einmal hier vermochte er Alice zn schützen, hier, wo er doch cin Wort mitzusprechen hatte. Eine gehässige Kritik von Kreuzmaier hatte ihre letzte schauspielerische Leistung als „Elaire" im „Hüttenbesitzer" grausam zerpflückt, sie sei zu sehr Thränenw.nde gewesen; diese Elaire sei cin resolutes Mädchen. Kreuzmaier hatte keine Sympathien für sie Künstlerin, kein Verständnis? für das Zarte, Sinnige, Innige ihres Wesens; doch cr wollte ihn zur Red: stellen; das war er seiner Alice schuldig. Gleich darauf erschien Herr Kreuzmaier selbst, gestiefelt und gespornt; denn er kam von einem Ritte zurück, den cr mit Frau von Landdlin, Frau von Bergen und Herrn Vagenow gemacht — das waren Vergnügungen, von denen der arme Timotheus durch seine Unkenntniß des Sports und seine Unge schicklichkeit in allen ritterlichen Hebungen zu seinem großen Leidwesen ausgeschlossen war. „Ich bringe Ihnen Ihre letztö Novelle zurück", sagte der Redacteur sporenklirrend nnd seinen Schnurrbart streichend, „unmöglich, einfach unmöglich! Das können wir unfern Lesern nicht bieten." „Ader", sagte Timotheus, „Sie haben mir doch selbst ge- rathen, der „Moderne" zu huldigen, kühner und rücksichtsloser in meinen Schilderungen zu sein." „Aber, lieber Freund, man muß das Kino nicht mit dem Bad- ausschiitten. Da? P-kant- lieat ia aerade in den Ver schleierungen. Raffinement ist die Hauptsache. Doch Sie haben eine zu plump zugreifende Ehrlichkeit — das müssen Sie sich abgewöhnen." . „Ich bekenne", sagte Timotheus ärgerlich, „daß ich mich hier in Vieles nicht hineinfinden kann, auch nicht in Ihre Schauspiel- kritikem. Einige Rücksichten verdiente doch ein.' Satorin, die mir, einem Mitarbeiter Ihrer Zeitung, so nahe steht." „Rücksichten? Wo kämen wir hin mit solchen Rücksichten? Wenn die Kritik erst zu katzenbuckeln beginnt nach rechts und links — da'muß man sie gleich die Treppe hiirunterwerfen. Ich würde nicht zögern, meiner eigenen Geliebten kritische Maul schellen zu versetzen, wenn sie dieselben verdienkk. Die Kritik ist souverän von Gottes Gnaden, hat nur den blauen Himmel über sich" „Doch die Kritik kann irren." „Das muß man den Leuten nicht sagen! Da hat Jeder seine Meinung im Theater vom Dandy in der Prosceniumsloge bis zum Arbeiter auf der Galerie; dem Einen gefällt, was dem Andern mißfällt. DaS ist ein Sammelsurium von Ansichten, cin wahrer Thurmbau von Babel! Keiner versteht den Andern, und sie würden sich fortwährend in den Haaren liegen, wenn nicht eine Autorität dazwischen träte. Das ist die Kritik, das ist die Zeitung. Was da schwarz auf weiß gedruckt ist, Vas imponirc der Mehrheit — und sie stecken alsbald einige Löcher zurück. Und wenn sich einige Hartnäckige noch wie die Falter gegen die Nad.'l krümmen, daS ist nur noch ein Privatvergnügen und hat keinen Einfluß auf die öffentliche Meinung; die wird von uns gemacht, der Rest ist Schweigen." „Aber Sie können mit solcher Kritik Existenzen vernichten." „Du lieber Gott — die Existenzen in dieser Welt sind ja dazu da, um vernichtet zu werden — und eine strenge Kritik beschleunigt nur den Verwesungsproceß der Halbtalente.' „Sie sinv nicht immer rücksichtslos, Herr Kreuzmaier." „Ich bin's immer — das verlangt schon das Interesse unserer Zeitung. Die Leser wollen zum Morgenkaffee keine matte kritische Limonade genießen; man muß dem Collegen von de: „Rundschau" immer um einige Points voraus sein, und wenn er mit Ruthen züchtigt, muß man mit Scorpionen züchtigen." „Ich bleibe dabei. Sie sind nicht immer rücksichtslos. Die Hausfreunde der LaNvolin, wie den Letory, behandeln Sie mit erstaunlicher Liebcnswürvigkcit." „Meine Ueberzeugung — er ist auf der Bühn« immer ein Kavalier und dabei ein feuriger Liebhaber. Die lange Stange, die Sömmerling —" „Nun, die ist dort nicht Stammgast." „Kommt doch öfters dahin; ich hab: neulich erst ihre Feovora zermalmt. Was aber die Satorin betrifft, lieber Ni-eund, es thnt mir leid — sie bat vielleicht Talent, doch daS blüht noch unter zu vielem Unkraut, das man ausroden muß. Uns man kann doch nicht eine Schauspielerin beweihräuchern, die -"en --nk im Flügelkleive' d-r Unschuls au? die Bühne gekommen ist, welche noch gar keine Routine hat, welch« noch den Recruien gleicht, denen man Stroh und Heu unter die Arme steckt, damit sie rechts und links unterscheiden lernen." „Das ist doch eine böswillig« Uedertreivung." „Und dämm, liebster Blomer — diese Satorin ist vielleicht Ihr Unglück; man thut Ihnen einen Gefallen, wenn man ihr den theatralischen Giftzahn ausreißt. Und sie ist Ihnen jetzt im Wege; Sie wollen Carriöre machen, literarische Carriörc. Dazu brauchen Sie eine I-ack.v patroness; die Berühmtheiten werden heutzutage am Theetisch fsbricirt. Und Sie haben
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